4582/AB XXII. GP
Eingelangt am 13.09.2006
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BM für Land –und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
Anfragebeantwortung
JOSEF PRÖLL
Bundesminister
An den Zl. LE.4.2.4/0075-I 3/2006
Herrn Präsidenten
des Nationalrates
Dr. Andreas Khol
Parlament
1017 Wien Wien, am 11. SEP. 2006

Gegenstand: Schriftl.parl.Anfr.d.Abg.z.NR Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen
und Kollegen vom 14. Juli 2006, Nr. 4694/J, betreffend das Ignorieren
der Terrorgefahr bei grenznahen AKW durch die Bundesregierung
Auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen und Kollegen vom 14. Juli 2006, Nr. 4694/J, betreffend das Ignorieren der Terrorgefahr bei grenznahen AKW durch die Bundesregierung, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:
Eingangs verweise ich in diesem Zusammenhang auf meine Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 1539/J-XXII. GP-NR. Weiters erlaube ich mir grundsätzlich festzuhalten:
Mit seiner Entschließung vom 29. Februar 2004 betreffend “Vorgangsweise Österreichs zur Reform des EURATOM-Vertrages“, 36/E (XXII. GP), hat der Nationalrat die Bundesregierung u.a. ersucht,
· sich auf EU-Ebene für die rasche Überprüfung aller europäischer AKW hinsichtlich Terrorsicherheit (v.a. Terror-Attacken mit Flugzeugen) einzusetzen und für eine entsprechende Diskussion und für die Einrichtung bzw. Ausweitung von Flugverbotszonen um alle europäischen Nuklearanlagen einzutreten;
· in Folge aktiv für die Schließung jener – veralteten – Anlagen einzutreten, für die keine ausreichende Sicherheit gegenüber Terror-Anschlägen mit Flugzeugen gegeben ist.
Mein Haus beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Gefährdung kerntechnischer Anlagen durch externe Ereignisse wie Flugzeugabstürze, Erdbeben, etc. Vor dem 11. September 2001 standen allerdings unfallbedingte Ereignisse, wie Flugzeugabstürze, im Vordergrund.
Die Ereignisse des 11. September 2001 haben dann die Verwundbarkeit kerntechnischer Anlagen durch Flugzeugabstürze einer breiten Öffentlichkeit auf drastische Weise bewusst gemacht. Insbesondere mussten ab diesem Tag auch willkürlich herbeigeführte Abstürze mit großen Verkehrsflugzeugen und mit der Absicht, möglicht großen Schaden anzurichten, in Betracht gezogen werden. Dies lag vor dem 11. September 2001 außerhalb jeglicher Überlegungen.
Bereits wenige Tage danach hat die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten in ihrer Rede vor der 45. Generalkonferenz der IAEO, die vom 17. bis 21. September 2001 stattfand, an die IAEO bzw. die internationale Staatengemeinschaft appelliert, gemeinsam tätig zu werden. Im Rahmen seiner Möglichkeiten thematisierte und thematisiert Österreich vor allem auch die Verwundbarkeit der Anlagen im Zusammenhang mit nuklearer Sicherheit auf bilateraler, europäischer, wie internationaler Ebene.
Der internationale und europäische Diskurs hat sich seit 2001 allerdings vor allem auf die Gefahrenabwehr (geheimdienstliche und sicherheitspolizeiliche Maßnahmen) fokussiert, was aus nuklearpolitischer Sicht der Problematik nicht in angemessener Weise gerecht wird.
Dazu kommt insbesondere im Fall von kommerziellen Kernanlagen (z.B. KKW) – vor allem in zunehmend liberalisierten Energiemärkten – die Grundsatzfrage, inwieweit der Schutz gegenüber absichtlichen, illegalen, menschlich herbeigeführten Gefährdungen eine staatliche Aufgabe ist, oder eine Angelegenheit, die insbesondere hinsichtlich der Kosten in das generelle Schutzkonzept der Betreiber aufgenommen werden muss.
Eine umfassende Schwachstellenanalyse grenznaher kerntechnischer Anlagen ist mangels Verfügbarkeit relevanter Daten nicht möglich. Die vorliegenden Informationen reichen jedoch aus, grundsätzlich von einer nicht unerheblichen Verwundbarkeit ausgehen zu müssen. Auch wenn Anlagen neuerer Bauart bessere Schutzvorkehrungen aufweisen, bleiben jedenfalls nicht unerhebliche Risken bestehen. Diese sind allerdings in Relation zu anderen externen und internen Risken zu setzen.
Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Noch Ende September 2001 ersuchte das BMLFUW das BMaA, im Wege der österreichischen Vertretungsbehörden konkrete Informationen über Aktivitäten der KKW betreibenden Nachbarstaaten, Beitrittskandidaten und Mitgliedstaaten der EU einzuholen. Seitens des BMaA wurden am 25. Oktober 2001 alle Botschaften in den EU-Mitgliedstaaten und den damaligen Beitrittskandidaten, sowie die Botschaften in Bern, Moskau, Kiew und Armenien um Erhebung der gesetzten oder künftigen Maßnahmen betreffend die Sicherheit der Kernkraftwerke mit Bezug auf terroristische Attacken ersucht. Sämtliche relevanten Staaten übermittelten deren Maßnahmen zur vertraulichen Kenntnisnahme. Die Maßnahmen umfassen u.a. erhöhte Zutritts- und Liegenschaftskontrollen, verstärkte Überwachung von Flugverbotszonen sowie vereinzelt zusätzliche militärische Maßnahmen zum physischen Schutz von Kernanlagen. In der Folge wurde und wird das Thema regelmäßig im Rahmen der bilateralen Nuklearexpertentreffen erörtert.
Derartige bilaterale „Nuklearinformationsabkommen“ bestehen mit folgenden Staaten, die kerntechnische Anlagen betreiben: Ungarn, Deutschland, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Polen, Slowenien, Ukraine, Schweiz. Die Regelungstatbestände dieser Abkommen betreffen jeweils allgemeine Informationen über Kernenergieprogramme und Rechtsvorschriften, Informationen über kerntechnische Anlagen, Umweltüberwachung, Frühwarnung im Falle von Unfällen und anderen besorgniserregenden Ereignissen sowie organisatorische Vereinbarungen. Mit den Nachbarstaaten finden (zumindest) jährliche Expertentreffen statt.
In der Folge der Ereignisse des 11. September 2001 war Österreich bemüht, die Problematik bezüglich Kernkraftwerke auch auf europäischer Ebene zu thematisieren. Die seinerzeitige belgische Ratspräsidentschaft wollte das Thema jedoch mit breiterem Ansatz verfolgen. Anlässlich des Europäischen Rates in Gent am 19. Oktober 2001 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs eine Gemeinsame Erklärung, in der es heißt: Der Europäische Rat bringt erneut und unmissverständlich seine volle Unterstützung für die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus in allen seinen Aspekten in dem von den Vereinten Nationen festgelegten Rahmen zum Ausdruck und bekräftigt seine uneingeschränkte Solidarität mit den Vereinigten Staaten.
Die Maßnahmen waren umfassend, jedoch nicht spezifisch auf die Verletzbarkeit von Kernkraftwerken ausgerichtet. Am 14. November 2001 brachte daher Österreich in der 1940. Tagung des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) zu den Assoziationsräten mit Bulgarien und Tschechien eine einseitige Erklärung ein, der zu Folge die beiden Staaten aufzufordern wären, ihre Schutz- und Vorbeugemaßnahmen für Flugzeugabstürze und Sabotage sowie die diesbezüglichen aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern und die bestehenden Vorschriften mit höchster Konsequenz anzuwenden, um ein höchstmögliches Maß an Sicherheit zu gewährleisten.
Im Jahre 2004 wurde dann vom Europäischen Rat unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid die Position eines EU-Terrorismusbeauftragten geschaffen. Ich habe mich in der Folge schriftlich betreffend Terrorangriffe gegen Kernanlagen an den EU-Terrorismusbeauftragten, De VRIES, gewandt. In seiner Antwort unterstrich De VRIES zwar die Wichtigkeit, die auch er der Angelegenheit beimesse, beschränkte sich im Näheren jedoch auf polizeiliche und justizielle Aspekte.
Zu Frage 2:
Diesbezüglich darf ich auf die Zuständigkeit der Bundesministerin für Inneres sowie auf meine Beantwortung der Frage 1 verweisen. So weit es meine Zuständigkeiten betrifft, habe ich die Berücksichtigung kerntechnischer Anlagen forciert.
Zu Frage 3:
Aus meiner Sicht ist die Diskussion nach wie vor zu sehr auf die Gefahrenabwehr konzentriert und widmet sich nicht ausreichend den Schwachstellen der Anlagen selbst. Für diesen Standpunkt habe ich bislang jedoch weder auf europäischer noch auf internationaler Ebene Verbündete gefunden.
Zu den Fragen 4 und 5:
Die Verlängerung der Betriebszeit von Kernkraftwerken wird von mir grundsätzlich abgelehnt, nicht nur in Deutschland oder in Ungarn und nicht nur unter dem Gesichtspunkt der terroristischen Gefährdung kerntechnischer Anlagen. Unbeschadet dessen werden die Mitwirkungs- und Konsultationsmöglichkeiten, die sich im Rahmen von UVP-Verfahren oder der bilateralen „Nuklearinformationsabkommen“ bieten, konsequent genützt.
Zu den Fragen 6 bis 8:
Mangels europäischer Sicherheitsstandards und einschlägiger Überprüfungsmechanismen ist „Terrorsicherheit“ primär bilateral zu thematisieren. Dies gilt auch für die Widerstandsfähigkeit gegen „Terror-Attacken mit Flugzeugen“ oder Flugverbotszonen. Unbeschadet dessen haben wir selbstverständlich auch diese Aspekte in die europäische Debatte eingebracht. Wie bereits ausgeführt, besteht jedoch auf europäischer Ebene derzeit keine ausreichende Bereitschaft, sich mit Aspekten der Verwundbarkeit kerntechnischer Anlagen auseinanderzusetzen.
Weiters ist klarzustellen, dass „Terror-Attacken mit Flugzeugen“ nur eine von einer Vielzahl terroristischer Optionen darstellt und „Terror-Attacken“ wiederum nur eine von einer Vielzahl möglicher externer Einwirkungen auf kerntechnische Anlagen. Zum Schutz der österreichischen Bevölkerung und Umwelt ist es aber erforderlich, sich allen Risken mit angemessener Aufmerksamkeit zu widmen.
Aus meiner Sicht ist es grundsätzlich nicht möglich, Kernkraftwerke „ausreichend“ gegen Terror-Anschläge generell zu sichern und somit auch nicht gegen „Terror-Attacken mit Flugzeugen“. Dies gilt sowohl für die Verletzbarkeit der Anlagen an sich, als auch für die Gefahrenabwehr. Es ist dies mithin ein weiterer Grund, die energetische Nutzung der Kernenergie grundsätzlich abzulehnen.
Zu den Fragen 9 und 10:
Wie bereits eingangs erwähnt, ist die terroristische Gefährdung für Kernkraftwerke regelmäßig Thema bilateraler Expertengespräche. So weit die genannten Staaten auf Grund nationalstaatlicher Vorschriften dazu in der Lage und bereit sind, wurden und werden auch technische Aspekte der „Terrorsicherheit“ mit Behördenvertretern erörtert. Ich ersuche um Verständnis dafür, dass aus Sicherheitsgründen keine genaueren Angaben hiezu gemacht werden können. Ich stelle jedoch nochmals klar, dass Österreich weder über die rechtlichen noch politischen Mittel verfügt, die Stilllegung eines Kernkraftwerkes zu erzwingen. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass kein einziges Unternehmen und kein einziger Staat bislang bereit ist, ein Kernkraftwerk wegen erhöhter Terrorgefährdung dauerhaft zu schließen.
Zu den Fragen 11 und 12:
Wie bereits erwähnt, tritt Österreich nach wie vor für rechtlich verbindliche Sicherheitsstandards auf höchstem Niveau ein. Zu einer Abstimmung über die von der Kommission dazu –auch auf Initiative Österreichs – vorgelegten Vorschläge ist es trotz monatelangen Beratungen nicht gekommen, da viele Mitgliedstaaten verbindliche Sicherheitsstandards vehement ablehnen. Zu deren Beschlussfassung wäre im Übrigen jedenfalls eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Vor diesem Hintergrund hat sich der Rat Ende 2004 auf einen Aktionsplan verständigt, der eine umfassende Bestandsaufnahme und die Ausarbeitung von Empfehlungen bis Ende 2006 vorsieht. Aufgabe der österreichischen Präsidentschaft war es, einen ersten substanziellen Entwurf für einen Endbericht der dafür eingesetzten Working Party Nuclear Safety (WPNS) zu erarbeiten. Dieser Entwurf liegt dem Rat vor.
Zu Frage 13:
Hier sei nochmals auf die Initiative der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten im Rahmen der 45. Generalkonferenz der IAEO verwiesen. Vor dem Hintergrund der bereits ausführlich geschilderten internationalen Diskussion ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Initiative zur Aktualisierung der Nuclear Safety Convention nicht Erfolg versprechend.
Zu Frage 14:
Grundsätzlich ist es für die Bemessung der erforderlichen Haftungssummen ohne Bedeutung, ob eine große Freisetzung radioaktiver Stoffe aus einem Kernkraftwerk durch einen Unfall oder einen Anschlag zustande kommt. Österreich hält an der Ablehnung des internationalen Nuklearhaftungsregimes aus bekannten und vielfach dargelegten Gründen fest. Tatsache ist aber, dass weder einzelne Staaten noch die internationale Staatengemeinschaft die Bereitschaft zeigen, dem Vorbild des österreichischen Atomhaftungsgesetzes 1999 zu folgen. In konsequenter Umsetzung seiner Haltung lehnte Österreich die EU-Umwelthaftungsrichtlinie ab, weil Atomhaftung ausgeschlossen wurde.
Zu den Fragen 15 und 16:
Zu den Fragen nach einem bundesweiten Katastrophenplan in Österreich für den speziellen Fall eines terroristischen Angriffs auf ein Atomkraftwerk und nach entsprechenden Übungen ist auszuführen, dass die Art des Anlassfalls für eine großräumige radioaktive Kontamination Österreichs bei der Notfallplanung zweitrangig ist. Ausschlaggebend für die notwendigen behördlichen Maßnahmen sind die Höhe der Strahlenbelastung und die Größe der betroffenen Gebiete. Auswirkungen von terroristischen Aktionen nehmen in diesem Sinn keine Sonderstellung in den denkbaren Szenarien ein.
Für den Fall einer großräumigen radioaktiven Kontamination sind von Seiten des Bundes und der Länder seit vielen Jahren die notwendigen Vorkehrungen getroffen worden. Es existieren entsprechende Konzepte, gesetzliche Regelungen und Maßnahmenkataloge und es werden natürlich auch regelmäßig Übungen in unterschiedlichem Umfang und Tiefe – auch im internationalen Rahmen – durchgeführt. Beispielsweise hatte eine Übung im Herbst vorigen Jahres eine massive radioaktive Freisetzung im Bundesland Vorarlberg durch Zerstörung einer hoch radioaktiven Strahlenquelle als Thema und wurde unter Beteiligung des Bundes, des Landes Vorarlberg und der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt.
Der Bundesminister: