5/AB XXII. GP
Eingelangt am: 14.02.2003
DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
An den
Herrn Präsidenten des Nationalrates
zur Zahl 8/J-NR/2002
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier,
Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Internationaler Organhandel
und
organisierte Kriminalität" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Die in der Anfrage erwähnte Studie „Internationaler Organhandel und organisierte
Kriminalität" soll auch die Frage klären, ob die
Thematik im Rahmen der Europäi-
schen Union behandelt werden sollte. Fraglich ist, ob eine bloß auf die
EU-Staaten
beschränkte Lösung dem internationalen Organhandel auch wirklich effektive
Gren-
zen setzen kann, weil Organentnahmen unter fragwürdigen Umständen bzw. zu
Gewinnzwecken wohl überwiegend in Entwicklungs- bzw. Transitionsstaaten statt-
finden und auch Transplantationen in den Organempfänger in der Regel vor Ort
er-
folgen („Transplantationstourismus"). Möglicherweise könnte sich ein globales
Vor-
gehen auf Ebene der Vereinten Nationen als sinnvoller und effektiver erweisen.
Vor Einlangen der Ergebnisse der
FALCONE-Studie halte ich es für verfrüht, Aussa-
gen über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer europaweiten Lösung zu
treffen.
Daher meine ich auch, dass ein europäisches Modell zur europaweiten Bekämpfung
des internationalen Organhandels erst nach Vorliegen der Studie ausgearbeitet
wer-
den sollte.
Zu 4:
Eine dem § 62a Krankenanstaltengesetz nicht
entsprechende Entnahme von Orga-
nen Verstorbener zum Zwecke der Transplantation kann den Tatbestand des §
190
StGB (Störung der Totenruhe) erfüllen, der u.a. das Entziehen von Leichenteilen
un-
ter gerichtliche Strafe stellt. Allerdings kann ein gegen den ausdrücklich
erklärten
Widerspruch des Verstorbenen oder seines gesetzlichen Vertreters
explantierender
Arzt unter Umständen nach § 10 StGB (entschuldigender Notstand) entschuldigt
sein. Ob § 62a Krankenanstaltengesetz, der als besonderer Rechtfertigungsgrund
verstanden wird, auch noch Raum für die allfällige Annahme eines
übergesetzlichen
(rechtfertigenden) Notstands lässt, ist in der Lehre umstritten (FOREGGER in
Wie-
ner Kommentar StGB2, § 190 Rz 19
mwN; LEUKAUF/STEININGER, StGB3, § 190
Rz 11a). Höchstgerichtliche Judikatur existiert zu dieser Frage - so
weit überblick-
bar - bislang nicht.
Sofern keine gerichtlich strafbare Tat
vorliegt, ist ein Verstoß gegen § 62a Kranken-
anstaltengesetz gemäß § 62c leg. cit. als Verwaltungsübertretung zu ahnden.
Die Entnahme von Organen lebender
Personen ist strafrechtlich unter dem Ge-
sichtspunkt der Körperverletzung (§§ 83ff StGB) zu beurteilen, wobei in der
Regel
eine schwere Körperverletzung iSd § 84 StGB, u.U. sogar mit schweren
Dauerfolgen
iSd § 85 StGB vorliegen wird. Ob eine allfällige Einwilligung in die Entnahme
zum
Zweck der Transplantation eines für den Spender in concreto nicht
lebenswichtigen
Organs in einen anderen Menschen gegen die guten Sitten verstößt, ist in der
Lehre
umstritten (LEUKAUF/STEININGER, StGB3,
§ 90 Rz 15). Nach BURGSTALLER ist
die Schwere der mit der Organentnahme verbundenen Körperverletzungen und
Ge-
fährdungen beim Spender vor allem gegen die Chancen abzuwägen, die eine
Transplantation des betreffenden Organs für den Empfänger eröffnet. Die zu
erwar-
tenden Vorteile beim Organempfänger müssen zu den Nachteilen beim Organspen-
der jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis stehen. Wenn das entnommene
Organ im konkreten Fall für einen dem Spender persönlich nahestehenden Empfän-
ger bestimmt ist, kann das die Rechtfertigungsmöglichkeit unter dem Aspekt der
Sit-
tenwidrigkeitsprüfung zusätzlich erweitern (Wiener Kommentar StGB1,
§ 90 Rz 125).
Je nach Lösungsansatz wird daher die Möglichkeit einer Rechtfertigung der
Verlet-
zung durch Einwilligung iSd § 90 StGB bejaht oder verneint. So weit
überblickbar,
hat sich die Rechtsprechung auch mit dieser Frage - mangels eines Anlassfalles
-
noch nicht befasst. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in anderen
Entscheidun-
gen (SSt 49/9) bei der Beurteilung der
Sittenwidrigkeit die Motivation der Beteiligten
berücksichtigt, was im gegebenen Zusammenhang der vermittelnden Position von
BURGSTALLER - im Sinne einer möglichen Rechtfertigung - näher kommt.
Gemäß § 62a Abs. 4 Krankenanstaltengesetz
dürfen Organe oder Organteile Ver-
storbener nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Gewinn gerichtet
sind. Demnach würde auch der gewinnorientierte Handel mit Organen
Verstorbener
eine Verwaltungsübertretung iSd § 62c leg. cit. darstellen. Ein
entsprechendes Ge-
winnverbot für den Handel mit Organen von lebenden Personen ist derzeit
nicht vor-
gesehen. Ein praktisches Bedürfnis dafür hat sich bisher offenbar nicht
gezeigt.
Im gegebenen Zusammenhang möchte ich
erwähnen, dass in meinem Ressortbe-
reich derzeit an der legistischen Umsetzung des Zusatzprotokolls gegen
Menschen-
handel zum VN-Übereinkommen gegen transnationale organisierte Kriminalität im
Bereich des materiellen Strafrechts gearbeitet wird, nach welchem eine
Verpflich-
tung zur Kriminalisierung des Menschenhandels u.a. zum Zweck der Organentnah-
me besteht. Dabei werden auch Überlegungen zu allenfalls flankierenden Regelun-
gen im Bereich der Ausbeutung des menschlichen Körpers zu Gewinnzwecken an-
zustellen sein.
Grundsätzlich sollte meines Erachtens aber
die Beurteilung, ob und gegebenenfalls
welche Maßnahmen zur Verbesserung bzw. Ergänzung der vorhandenen gesetzli-
chen Regelungen über Organhandel und Organtransplantation erforderlich sind, im
Rahmen eines ausführlichen und multidisziplinären Diskurses unter Einbeziehung
von Fachleuten aus den Bereichen Medizin und Rechtswissenschaft sowie von Ver-
tretern von Patienteninteressen erfolgen.
Zu 5:
Angesichts der offenbar sehr geringen praktischen Bedeutung im Inland käme einer
strafrechtlichen Regelung zum Organhandel
wohl hauptsächlich im Zusammenhang
mit einer Ahndung von durch österreichische Staatsbürger im Ausland begangenen
Straftaten Bedeutung zu, was - soll österreichische Gerichtsbarkeit unabhängig
von
der Strafbarkeit am Tatort zur Anwendung kommen - auch Änderungen im Bereich
des § 64 StGB bedingen würde. Eine allfällige Strafbestimmung sollte jedoch
keines-
falls Organspender und -empfänger erfassen, sondern bloß Vermittler und gegebe-
nenfalls jene Ärzte betreffen, die beim Bezug von Spenderorganen keine ausrei-
chende Sorgfalt hinsichtlich der Herkunft walten lassen.
Grundsätzlich wären zunächst aber verwaltungs(straf-)rechtliche
Maßnahmen bzw.
disziplinarrechtliche oder zivilrechtliche Regelungen zu diskutieren, zumal der
Han-
del mit Organen lebender Personen vom geltenden Recht überhaupt nicht geregelt
ist und gerade bei der Schaffung von neuen Straftatbeständen stets das
ultima-ratio-
Prinzip des Strafrechts zu beachten ist.
Zu 6:
Eine allfällige strafrechtliche Verfolgung von Personen, die sich in der Hoffnung auf
Besserung ihres Gesundheitszustandes im
Ausland Organe kaufen und einpflanzen
lassen (Transplantationstourismus), halte ich für bedenklich, zumal hier
insbesonde-
re die Frage des entschuldigenden Notstands (§10 StGB) in den Vordergrund
tritt.