2/ABPR XXII. GP

Eingelangt am 17.04.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Präsident des Nationalrates

 

Anfragebeantwortung

Die vom Abg.z.NR Dr. Johannes Jarolim an den Präsidenten des Nationalrates
gestellte Anfrage vom 11. April 2003 beantworte ich wie folgt:

Zu Fragen 1, 2, 3 und 7:

Seit vielen Jahren ist das Österreichische Parlament Ort der politischen und
künstlerischen Diskussion. In verschiedensten Veranstaltungen wird eine immer
breitere Palette von Büchern und Kunstwerken der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Präsentation politischer Bücher ist wichtiger Bestandteil der
Diskussionskultur und der Freiheit der Meinungsäußerung in Österreich
geworden. Derartige Buchpräsentationen werden vom Präsidenten, vom zweiten
und dritten Präsidenten sowie von den Klubs veranstaltet. Bei der Genehmigung
solcher Veranstaltungen durch den Präsidenten wurde bisher inhaltliche Zensur
nicht geübt, d.h. eine Vorprüfung über den Inhalt des vorgestellten Werkes fand
nicht statt. Eine solche inhaltliche Prüfung wäre auch mit dem Grundsatz der
Freiheit der Meinungsäußerung unvereinbar. Sie käme der Wiedereinführung
der als eine der ersten Maßnahmen der neuen Republik abgeschafften Vorzensur
(Oktober 1918) gleich.

Als der renommierte Universitätsprofessor Dr. Gottfried-Karl Kindermann an
mich mit der Bitte herantrat, sein jüngstes Buch „Österreich gegen Hitler,
Europas erste Abwehrfront 1933 - 1938 (Langen Müller Verlag, 2003,
München, 479 Seiten) zu präsentieren, habe ich gerne zugesagt. Die
Zwischenkriegszeit in Österreich ist eine von der österreichischen aber auch der
ausländischen Zeitgeschichtsforschung nach wie vor intensiv bearbeitete,
widersprüchlich interpretierte Geschichtsepoche. Sie ist damit Gegenstand
höchst kontroversieller Bewertungen. Insbesondere der Kampf gegen den
Nationalsozialsozialismus und die Rolle Österreichs stehen dabei im Mittelpunkt
der Diskussion. Während nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Alliierten
Mächten folgend, Österreich weitgehend unbestritten bis in die 70er Jahre
herauf als erstes Opfer des Nationalsozialismus gewertet wurde, so wurde dies
in der Folge zunehmend in Frage gestellt: die Mitverantwortung Österreichs und


vieler Österreicherinnen und Österreicher wurde thematisiert, die Täterrolle
hervorgestrichen. So gab es die Grundsatzerklärung von Bundeskanzler Dr.
Franz Vranitzky im Nationalrat, gefolgt von der Gründung des Nationalfonds
der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, des Allgemeinen
Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und des
Österreichischen Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit. Gerade
in dieser historischen Diskussion, in der es eine legitime, breite Meinungsvielfalt
gibt, erschien das Buch von Karl-Gottfried Kindermann ein wichtiger
Diskussionsbeitrag.

Karl-Gottfried Kindermann, seit 1967 Universitätsprofessor am Geschwister-
Scholl-Institut an der Universität München promovierte bei Hans J. Morgenthau
(Chicago), habilitierte sich bei Arnold Bergstraesser (Freiburg), lehrte an der
amerikanischen Harvard-University und verfasste zahlreiche Publikationen zu
internationalen und Österreich-geschichtlichen Fragen. Gerade das vorliegende
Werk breitet zahlreiche neue Primärquellen und neue Erkenntnisse aus. Die
Republik Österreich würdigte das Wirken von Professor Kindermann durch die
Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens durch den Bundespräsidenten, ein
Ehrenzeichen, das dem Geehrten am Tag der Buchpräsentation ausgehändigt
wurde. In meinen kurzen einführenden Worten nahm ich zu den Thesen des
vorgestellten Buches nicht Stellung, sondern dankte dem Autor unter anderem
für seine Forschungsarbeit, die den oft vergessenen Kampf Österreichs gegen
den Nationalsozialismus und den Umfang des nationalsozialistischen Terrors in
Österreich zum Gegenstand hat. Inhaltlich wurde das Buch vom
stellvertretenden Vorsitzenden des Dokumentationsarchivs des Österreichischen
Widerstands, Staatssekretär a.D. Botschafter Dr. Ludwig Steiner, Präsident des
Versöhnungsfonds, in Anwesenheit zahlreicher prominenter Gäste, unter ihnen
der Ehrenpräsident des Dokumentationsarchivs des Österreichischen
Widerstands und der Präsident des Österreichischen Bundesrats, gewürdigt.

Ich werde weiterhin sicherstellen, dass das österreichische Parlament Ort der
politischen Diskussion ohne Zensur und Bevormundung sein wird - und zwar
im ganzen politischen Spektrum. Bei der Genehmigung von Veranstaltungen
werde ich als Präsident an der bisher geübten Praxis meines Vorgängers einer
möglichst offenen Diskussionskultur festhalten, wie dies auch in der
Präsentation (zeit-)historischer Bücher in der Vergangenheit zum Ausdruck kam
(z.B. die Publikationen „Österreicher im Exil", „NS-Herrschaft in Österreich",
„Racism at the Top", „NS-Österreich auf der Anklagebank", etc.).

Zu Fragen 4, 5, 6, 9, und 10:

Die Fragen 4, 5, 6, 9 und 10 sind Fragen nach meinen persönlichen historischen
Bewertungen verschiedener Thesen des Anfragestellers, und beziehen sich nicht
auf die Aufgaben des Präsidenten des Nationalrats.


Zu Frage 8:

Zur Beantwortung dieser Frage schließe ich eine Ausarbeitung aus meiner Feder
bei, die als Gastkommentar am 4. Februar 2003 in den Oberösterreichischen
Nachrichten erschienen ist.