37/ABPR XXII. GP
Eingelangt am 26.01.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Präsident
des Nationalrates
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten Dr.
Caspar Einem und Genossen haben am 20. Jänner 2006 an den
Präsidenten
des Nationalrates eine schriftliche Anfrage betreffend „Brief an den
Präsidenten
des
Europäischen Parlaments zur Frage der Abhaltung von parlamentarischen Foren
über
die weitere
Vorgangsweise im Zusammenhang mit der Europäischen Verfassung" (39/JPR)
gerichtet.
Sehr gerne nehme ich diese Anfrage zum Anlass, zur Frage
der Außenvertretung des
Nationalrates Stellung zu nehmen und auch
den Gegenstand der Anfrage umfassend
darzustellen.
Gemäß § 13 Abs. 6
Geschäftsordnungsgesetz obliegt dem Präsidenten des Nationalrates
die
Vertretung des Nationalrates nach außen. Nach langjähriger parlamentarischer
Übung
gehört hiezu auch die
Zusammenarbeit mit den Präsidenten anderer nationaler Parlamente.
Durch die europäische Integration hat
naturgemäß diese Vertretung an Bedeutung
gewonnen. Die bisherige Praxis, wonach
der Präsident des Nationalrates über
diesbezügliche Aktivitäten in der
Präsidialkonferenz berichtet, hat sich bewährt. Allerdings ist
darauf hinzuweisen, dass die Vertretung nach außen nicht zu jenen
Angelegenheiten zählt,
die gemäß § 8 Abs. 3 GOG vorher in der Präsidialkonferenz vorberaten werden
müssen. In
der Präsidialkonferenz vom 16. Dezember 2005
(s. Präsidialkonferenzprotokoll 76/II NR
Punkt V/5) habe ich über meinen Besuch
in Brüssel am 8. Dezember 2005 und mein
Gespräch mit EP-Präsident Josep
Borrell sowie über den aktuellen Stand der Aktivitäten des
österreichischen Parlaments im
Zusammenhang mit der EU-Ratspräsidentschaft berichtet.
Dieser Bericht war allen Abgeordneten im
Intranet/Journalmail vom 17. Dezember 2005
zugänglich. In der Präsidialkonferenz vom
19. Jänner 2006 (s. Präsidialkonferenzprotokoll
77/II NR Punkt VI/2) habe ich über den gemeinsamen Brief des Präsidenten
der finnischen
Eduskunta, des Präsidenten des Deutschen
Bundestages und mir an den Präsidenten des
Europäischen Parlaments berichtet und eine aktualisierte Fassung der
Vorhaben des
österreichischen Parlaments im Zusammenhang mit der Ratspräsidentschaft
berichtet. Der
Brief vom 16. Jänner 2006 wurde in Kopie bei dieser Präsidialkonferenz an die
Klubobleute
verteilt (Anlage). Er war somit zum Zeitpunkt der Anfragestellung bereits den
Klubs bekannt.
Somit lege ich Wert auf die Feststellung,
dass diese Vorgangsweise nicht nur im Einklang
mit den Bestimmungen der Geschäftsordnung, sondern auch mit der
langjährigen Praxis in
der Präsidialkonferenz steht.
Bevor ich auf die einzelnen Fragen der
Anfrage im Detail eingehe, möchte ich den
Hintergrund
des Schreibens von Präsident Lipponen, Präsident Lammert und mir in
zusammenhängender
Form darstellen:
Im Zuge der Planung
der parlamentarischen Aktivitäten im 1. Halbjahr 2006 gibt es seit mehr
als
einem Jahr regelmäßige Kontakte mit dem Europäischen Parlament. Insbesondere
wurde
bereits im Juli 2005 Einvernehmen erzielt, zwei gemeinsame Initiativen des
Europäischen
Parlaments und der nationalen Parlamente unter Ko-Vorsitz des EP und des
österreichischen Parlaments durchzuführen. Die erste gemeinsame Konferenz
findet zum
„Lissabon-Prozess" am 31. Jänner und
1. Februar 2006 in Brüssel statt. Es wurde vereinbart,
eine zweite interparlamentarische Konferenz zur „Zukunft Europas" im Mai
2006 ebenfalls in
Brüssel abzuhalten. Am 8. Dezember 2005 kam ich nach Rücksprache mit den
Präsidenten
der finnischen Eduskunta, Paavo Lipponen, des
Deutschen Bundestages, Dr. Norbert
Lammert und des Europäischen Parlaments Borrell überein, diese Konferenz am 9.
und
10. Mai 2006 im Europäischen
Parlament zu vier Hauptthemen (Finalität der Union, Grenzen
der Union, Rolle der EU in der Welt, Globalisierung und europäisches
Gesellschaftsmodell)
durchzuführen. Nach dem Europäischen Rat im Juni 2006 sollte im Rahmen der
Konferenz
der Parlamentspräsidenten der EU-25 in Kopenhagen am 30. Juni und 1. Juli 2006
über die
weitere Vorgangsweise und mögliche weitere interparlamentarische Konferenzen
beraten
werden.
Am 16. Dezember 2005 verabschiedete der EP-Ausschuss für
Verfassungsfragen seinen
Bericht über die Reflexionsperiode, in dem
auch auf die Zusammenarbeit mit den nationalen
Parlamenten zur Erörterung der Zukunft
Europas und des europäischen
Verfassungsvertrages eingegangen wurde. Am
12. Jänner 2006 wurden
weitere
Änderungsanträge der Berichterstatter Johannes Voggenhuber
und Andrew Duff zum
entsprechenden Entwurf einer Entschließung
dem Europäischen Parlament vorgelegt. Die
dem Europäischen Parlament zur
Abstimmung vorgelegte Version enthielt letztlich eine
Reihe von Bestimmungen, die die
nationalen Parlamente umfassend und langfristig
verpflichten würden. Unter anderem
wurde die Durchführung von einer Reihe von
Konferenzen - „Parlamentarischer Foren" -, mit der Verabschiedung
von „umfassenden
Empfehlungen an den Europäischen Rat" etc. vorgeschlagen. Nach
Konsultationen mit dem
Präsidenten des finnischen Parlaments, Paavo
Lipponen, und dem Präsidenten des
Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert, übermittelten wir am 16.
Jänner 2006 einen
gemeinsamen Brief, in dem wir klarstellten,
dass wir die nationalen Parlamente nicht für ein
zu umfassendes Projekt verpflichten
könnten. Dabei wiesen wir darauf hin, dass die
nationalen Parlamente durchaus
unterschiedliche Zugänge zur Debatte über die Zukunft
Europas haben, zumal 13 Mitgliedsländer den EU-Verfassungsvertrag bereits
ratifiziert und
12 Länder noch nicht ratifiziert
haben. Wir wiesen darauf hin, dass die nationalen Parlamente
über keinen Mechanismus verfügen, der in solchen Fragen die Beschlussfassung
einer
gemeinsamen Strategie zulassen würde. Wir wiesen auch darauf hin, dass die
nationalen
Parlamente nicht die Ressourcen haben, einen derart breiten und langwierigen
Prozess auf
europäischer Ebene entsprechend
mitzugestalten, dass die nationalen Parlamente in so
einem Prozess aber auch nicht nur als
ein „Anhängsel" des Europäischen Parlaments
gesehen werden wollten.
Andererseits stimmten
wir zu, gemäß der früheren Vereinbarung eine gemeinsame
Konferenz
am 8. und 9. Mai 2006 durchzuführen. Diese Konferenz sollte in erster Linie
einem
Meinungsaustausch über den Status quo und die Perspektiven der Debatte über die
Zukunft Europas
gewidmet sein. Wir stellten in dem Schreiben weiters klar, dass wir keine
institutionelle oder rechtliche Grundlage
für die Verabschiedung von umfassenden
Schlussfolgerungen für den Europäischen Rat sehen würden. Die weitere
Vorgangsweise
könnte nach dem Europäischen Rat im Rahmen
der Konferenz der Parlamentspräsidenten
der EU-25 von 29. Juni bis 1. Juli
2006 vereinbart werden.
In Absprache mit Präsident Lipponen und
Präsident Lammert werde ich in Kürze einen
ersten
Entwurf für die gemeinsame Konferenz der nationalen Parlamente und des
Europäischen
Parlaments im Mai 2006 vorlegen.
Die einzelnen Fragen der Anfrage 39/JPR beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Der gegenständliche
Brief war ausschließlich an den Präsidenten des Europäischen
Parlaments
adressiert. Der Präsident des Europäischen Parlaments hat dann Kopien des
Schreibens
nach seinem Ermessen an eine Reihe von Mitgliedern des Europäischen
Parlaments
weitergeleitet. Wie bereits angeführt, habe ich den Brief den Mitgliedern der
Präsidialkonferenz am 19. Jänner 2006 in
der Früh zur Verfügung gestellt. Der Anfragesteller
konnte den Wortlaut des Briefes von seinem Klubobmann erfahren.
Zu den fast gleichlautenden Fragen 2, 6 und 10:
Ich bin der
Auffassung, dass sich die nationalen Parlamente sehr wohl an der breiten
Debatte über die
Zukunft Europas bzw. die Zukunft der Europäischen Verfassung beteiligen
sollen, sind doch die nationalen Parlamente
letztlich die „Herren der Verträge der Union", da
diese Verträge von den nationalen Parlamenten ratifiziert, also
genehmigt werden. Das
Zusammenwirken mit dem Europäischen Parlament
ist hier nur ein Aspekt in einem
umfassenderen Prozess; ein
gemeinsames Organ der Willensbildung zusammengesetzt aus
Vertretern des Europäischen
Parlaments und der 25 nationalen Parlamente gibt es aber
nicht. Eine Zurückhaltung der
nationalen Parlamente, sich an der breiten Debatte über die
Zukunft Europas oder über die Zukunft der Europäischen Verfassung im
allgemeinen oder
gemeinsam mit dem Europäischen Parlament zu
beteiligen, kann ich jedenfalls nicht
erkennen. In den nationalen Parlamenten findet die Debatte über die
Zukunft Europas bzw.
über die Zukunft der Europäischen Verfassung
laufend in den verfassungsgesetzlich
vorgesehenen, zuständigen Organen
statt. Andererseits gibt es unterschiedliche
Auffassungen, wie die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten
und dem
Europäischen Parlament in der Debatte über die Zukunft Europas bzw. der
Europäischen
Verfassung ausgestaltet werden soll. Die
Positionen des Präsidenten des finnischen
Parlaments, des Deutschen
Bundestages und des österreichischen Nationalrates habe ich in
der Einleitung zu dieser Anfragebeantwortung dargelegt.
Zu den fast gleichlautenden Fragen 3 und 7:
Die nationalen
Parlamente der 25 EU-Mitgliedstaaten sind mit unterschiedlichen Ressourcen
ausgestattet.
Im Falle des österreichischen Parlaments erachte ich die verfügbaren
Ressourcen für die
derzeitigen Anforderungen in EU-Angelegenheiten für angemessen. Als
Präsident des Nationalrates werde ich immer danach trachten, dass die für die
Arbeit des
Parlaments notwendigen Ressourcen zur Verfügung
stehen.
Zu den gleichlautenden Fragen 4 und 8:
Nein
Zu den fast gleichlautenden Fragen 5 und 9:
Die Zukunft Europas bzw. die Zukunft der Europäischen Verfassung ist weder für nationale
Parlamente noch für andere Institutionen wertmäßig zu quantifizieren.
Zu den Fragen 11,12 und 13:
Von einer Ablehnung kann hier wohl nicht
die Rede sein. Schon lange vor der Debatte im
Europäischen Parlament haben wir zu einer
gemeinsamen Konferenz zur Zukunft Europas
eingeladen (s.o.).
Zu Frage 14:
Der Souverän sind die Völker Europas und ihre Parlamente.
Zu Frage 15:
Durch die in den jeweiligen Verfassungen bestimmten demokratisch legitimierten Organe.
Zu Frage 16:
Ja
Zu Fragen 17 und 18:
Der österreichische
Nationalrat agiert in Fragen der Weiterentwicklung der EU und der
Europäischen
Verfassung sowie in allen anderen Fragen autonom, initiativ und in vollem
Bewusstsein seiner ihm von der Verfassung
übertragenen Befugnisse und Aufgaben.
Zu Frage 19:
Im Gegenteil. Der Brief brachte die gemeinsam von Präsident Lipponen, Präsident Lammert
und mir vertretene Rechtswahrung der Souveränität der nationalen Parlamente zum
Ausdruck.
Zu Frage 20:
Ja
Zu Frage 21:
Die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament ergibt
sich in erster Linie aus dem
EU-Vertrag, darüber hinaus gibt es eine
Reihe von faktischen Formen der Zusammenarbeit
mit dem Europäischen Parlament, wie z.B. mit den nationalen Parlamenten,
woran sich das
österreichische Parlament auch stets aktiv
beteiligt hat. Diese Zusammenarbeit der
nationalen Parlamente mit dem
Europäischen Parlament wird von den zuständigen
Präsidenten der nationalen Parlamente
und des Europäischen Parlaments gleichberechtigt
vereinbart.
Mr. Josep Borrell Fontelles
President of the European Parliament
Rue Wiertz
1047 Brussels
BELGIUM Vienna, 16 January 2006
Dear Mr. President,
Having received the latest draft for a report on the period of
reflection, which shall be voted
on by the European Parliament this week, we would like to communicate to you
our opinion
on those articles which refer to the national
parliaments.
First of all we would like to thank the European Parliament for all its
initiatives to promote the
European dialogue on the future of the Union. We also highly appreciate
that the European
Parliament seeks the cooperation with the national parliaments with regard to
the reflection
period.
However, in
article 13 of the draft it is proposed that "the European Parliament and
national
parliaments jointly organise Conferences -
Parliamentary Forums - in order to stimulate the
debate and to shape, step by step, the necessary political conclusions".
In this regard we are
not in a position to commit national
parliaments to such a series of Conferences or
parliamentary fora. Due to the fact that 13 countries have already
ratified the constitutional
treaty and 12 countries have not, the national parliaments have very different
approaches
towards the debate on the future of Europe and there is neither a need nor a
mechanism to
find a Joint strategy of national parliaments
on how to engage in a lasting debate.
Furthermore national parliaments do not have the resources to engage in
such a broad and
long lasting process of a series of
Conferences and parliamentary fora, and they would not
like to be seen just as an appendix
to the European Parliament in such a process.
Concerning article
16, where a first parliamentary forum shall be convened in the spring of
2006, we agree that such a Conference of
members of the European Parliament and
members of national parliamentss be
held on 8/9 May 2006 as previously discussed. This
shall be a Single interparliamentary
Conference, aiming at an exchange of views on the Status
quo and the perspectives for the debate on the future of Europe. But we
do not see any
institutional or legal basis for drawing
"comprehensive conclusions to the European Council".
Therefore, we can not commit national
parliamentss to enter in such a decision making
process. As concems further interparliamentary Conferences, this shall
be decided after the
Spring Conference and after the European Summit in June, possibly in the frame
of the
Conference of Presidents of Parliaments to be held in Copenhagen from 29 June
to 1 July
2006.
Dear
Mr. President, we attach great importance to this interparliamentary Conference
in
spring 2006, and we very much appreciate the
European Parliament's readiness to
cooperate with the national parliaments in the
debate on the future of Europe. Finally, we
would like to reassure you that we fully respect the complete autonomy
of the European
Parliament in adopting a report on the period
of reflection, however, we wanted to let you
know our opinion on the issues
concerning national parliaments.
With best regards,