
Beratungen
des
Unterausschusses des Justizausschusses
betreffend
Auszugsweise Darstellung
(verfasst vom Stenographenbüro)
Donnerstag, 15. Mai 2003
9.08 Uhr – 16.07 Uhr
Lokal VIII
Beginn der Sitzung: 9.08 Uhr
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter begrüßt die Anwesenden, insbesondere Bundesminister Dr. Böhmdorfer, und eröffnet die Sitzung.
Für diese Sitzung entschuldigt sind Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Walter Pilgermair und ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Peter Schick.
Über dieses Experten-Hearing wird eine auszugsweise Darstellung gemäß § 39 Abs. 2 Geschäftsordnungsgesetz angefertigt werden.
Obfrau Dr. Fekter teilt mit, dass der Vorschlag vorliegt, das Experten-Hearing zur Generaldebatte medienöffentlich durchzuführen. Diese Medienöffentlichkeit müsse im Ausschuss gemäß § 37 Abs. 9 in Verbindung mit § 28b Abs. 2 beschlossen werden. (In der Folge kommt es zu einer Geschäftsordnungsdebatte.)
Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) meint, dass das ein Thema sei, das in der Öffentlichkeit auf großes Interesse stoße.
Er stellt daher den Antrag, dass die gesamte Unterausschussarbeit medienöffentlich stattfindet.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter macht darauf aufmerksam, dass Medienöffentlichkeit nicht automatisch für alle Sitzungen des Unterausschusses, sondern nur für die heutige Sitzung beschlossen werden könne.
Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) möchte, dass Medienöffentlichkeit grundsätzlich in Aussicht gestellt wird. Außerdem habe er mit Bedauern zur Kenntnis genommen, dass bereits unmittelbar nach dem dritten Hearing eine Sitzung des Justizausschusses anberaumt sei, womit wahrscheinlich einfach das beschlossen werde, was die Mehrheit des Hauses wünsche.
Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche) ist grundsätzlich ebenfalls dafür, dass der Ausschuss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne) äußert sich dahin gehend, dass sie aus langjähriger Erfahrung wisse, dass sich das Medieninteresse in Grenzen hält, wesentlich sei aber die prinzipielle Anwesenheit der Öffentlichkeit.
Die Anhörung sollte ein Dialog und ein Diskussionsprozess zwischen den Mitgliedern des Justizausschusses und den Expertinnen und Experten sein. Aus heutiger Sicht lasse sich noch nicht abschätzen, wie lange die Beratungen auf parlamentarischer Ebene über die Strafprozessordnungsreform dauern werden.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter gelangt zur Abstimmung über den Antrag, dass die Öffentlichkeit zugelassen wird. – Das ist einstimmig angenommen.
Zum Zeithorizont hält sie fest, dass vorgesehen ist, vor dem Sommer eine generelle Debatte abzuhalten und deren Ergebnisse unter Umständen bereits über den Sommer zu Abänderungswünschen zusammenzufassen. Im Herbst würden dann die Spezialdebatte folgen, strukturiert nach einzelnen Schwerpunkten oder sogar entsprechend den Paragraphen.
Sie ersucht die Anwesenden, sich bei ihren Debattenbeträgen möglichst kurz zu halten und eine Redezeit von 10 Minuten nicht zu überschreiten. Da es sich bei der Materie um eine Regierungsvorlage handelt, bittet sie Bundesminister Dr. Böhmdorfer, eine Einleitung zu diesem Entwurf für eine Strafprozessordnungsreform zu geben.
Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) merkt in einem Beitrag zur Geschäftsbehandlung an, dass bei dieser wichtigen Materie eine uneingeschränkte Debatte möglich sein muss.
Weiters stellt er den Antrag, den Generalprokurator und den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, zumindest für die nächste Sitzung, einzuladen.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter lässt über den Antrag, den Generalprokurator und den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs ebenfalls in die Expertenliste aufnehmen, abstimmen. – Das ist einstimmig angenommen.
Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte diese Gelegenheit dazu nützen, Sie alle zu begrüßen. Ich bedanke mich bei allen Experten, die sich die Mühe gemacht haben und auch in Zukunft machen werden, mit uns diese Materie zu diskutieren, bei den vielen Hochschulprofessoren, die in vielen Fällen nicht nur heute die legistische Tätigkeit des Bundesministeriums für Justiz unterstützen. Ich bedanke mich bei den Legisten, denjenigen, die ihre Arbeiten bereits abgeschlossen haben und in anderer Funktion tätig sind, und denjenigen, welche die Arbeiten noch weiterführen. Ich bedanke mich weiters bei den Abgeordneten des Justizausschusses und bei den Staatsanwälten, Richtern und Rechtsanwälten, die uns hier beratend zur Verfügung stehen.
Diese Materie war bereits zweimal, 2001 und 2002, im Volltext im Ministerrat und ist begutachtet. Sie ist also im Prinzip bekannt, zumal einige Herrschaften anwesend sind, die sie auch schon konkret schwerpunktartig diskutiert und wissenschaftlich beurteilt haben.
Es ist ein wichtiges Gesetz. Wir haben eine Materie zu bearbeiten, die jeden Österreicher und überhaupt jeden, der in diesem Land lebt oder dessen Jurisdiktion ausgesetzt ist, treffen kann. Es gibt im Jahr 200 000 Strafanzeigen, davon werden 120 000 eingestellt, und zwar zirka 30 000 deswegen, weil die Täter nicht ausgeforscht werden können. Man sieht die Reichweite dieses Gesetzes sowie die Schwierigkeit und die Bedeutung der Arbeit, die bei den Staatsanwälten liegt.
Das Gesetz hat das Geburtsjahr 1873. Es war der Startschuss für den eigentlichen Kampf um und für den Rechtsstaat, der in dieser Materie 1850 und 1853 begonnen hatte, und hat schon eine lange Geschichte hinter sich. Nach der ursprünglichen Struktur des Gesetzes war es so – und das ist im Prinzip, wenn auch durch Novellierungen verändert, bis heute erhalten geblieben –, dass die eigentliche Verteidigungsmöglichkeit erst nach Abschluss der Voruntersuchung beginnt. Es hatten die polizeilichen Ermittlungen den Charakter eines ersten Zugriffes bei Gefahr im Verzug – heute noch nachzulesen im § 24 StPO.
Seit 1974 gibt es eine mehr oder minder betriebsame Novellierungstätigkeit um diese Materie, die 1998 in dem Ihnen bekannten Diskussionsentwurf ihr vorläufiges Ende gefunden hat. Ich glaube, dass im Laufe dieser jahrzehntelangen Novellierungsdiskussion vor allem viele Praktiker den Eindruck gewonnen haben: Was so lange diskutiert wird, wird überhaupt nie Gesetz werden. Daher war dann – unter Anführungszeichen – der „Schock“ einigermaßen groß, als nach einer heroischen Anstrengung des Leitenden Saatsanwalts Dr. Pleischl von einem Jahr – unter der inhaltlich federführenden Leitung von Sektionschef Dr. Miklau – der Entwurf doch fertig gestellt werden konnte.
Für mich steht im Vordergrund, dass rechtsstaatliche Grundsätze im strafrechtlichen Vorverfahren endgültig Eingang finden sollen, dass auch endlich die Rechte der Opfer und der Geschädigten formuliert werden sollen, sodass diese Rechte, die bisher nur gnadenhalber oder aus Freundlichkeit gewährt wurden, verbrieft werden, dass aber auch die rechtsstaatlichen Standards geschaffen werden sollen und dass vor allem auch keine Behinderung der Ermittlungstätigkeit stattfinden soll. Das ist sicherlich ein schwieriges Spannungsfeld und ein ehrgeiziges Unterfangen, aber diesen Versuch müssen wir unternehmen.
Ich bitte wegen der Wichtigkeit der Materie, hier nicht parteipolitische Interessen in den Vordergrund zu rücken, sondern Ihr Expertenwissen in den Dienst der Sache zu stellen.
Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Zum Entwurf selbst ist zu sagen, dass hier ein großes Stück vorliegt, das inhaltlich mehr als 200 Paragraphen umfasst. Es handelt sich um das Verfahren vom Beginn der Ermittlungen bis zur Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft.
Erinnern Sie sich an die intensive Debatte zu den besonderen Ermittlungsmaßnahmen wie Lauschangriff, automationsunterstützter Datenabgleich und Rasterfahndung im Jahr 1995: Da ist die besondere Eigentümlichkeit der Strafprozessordnung wieder massiv aufgefallen, nämlich dass die schwersten Grundrechtseingriffe bis ins Detail geregelt werden, hingegen, wie auch jüngst eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gezeigt hat, die tagtägliche Ermittlungsarbeit der Polizei – Vernehmungen und dergleichen mehr – im Gesetz keinen ausreichenden Niederschlag gefunden hat.
Das Bundesministerium für Justiz hat daraufhin, auch zurückgehend auf Vorschläge der Richtervereinigung in einem 1991 vorgestellten Konzept, im Sinn eines Neubeginns der Diskussion einen neuen Vorschlag vorgelegt, eine Punktation, die grundsätzlich auf Vorschläge der Standesvertretung zurückgeht, nämlich ein von Beginn an justizielles Vorverfahren, das unter der Leitung der Staatsanwaltschaft steht. 1998 wurde der Diskussionsentwurf vorgelegt, der zum ersten Mal konkret ausformulierte Vorschläge zu den einzelnen Verfahrensabschnitten enthielt.
Das zentrale Anliegen des Entwurfs ist ein einheitliches Vorverfahren, das vom materiellen Beschuldigtenbegriff gekennzeichnet ist. § 1 Abs. 2 gibt das Programm des Entwurfs vor: „Das Strafverfahren beginnt, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermitteln ...“ Ein materieller Beschuldigtenbegriff ist in der Folge im § 48 des Entwurfs enthalten: „Beschuldigter“ ist „jede Person, die auf Grund bestimmter Tatsachen der Begehung einer strafbaren Handlung konkret verdächtig ist, sobald gegen sie ermittelt oder Zwang ausgeübt wird“. Dieses einheitliche Vorverfahren, das durch den Beginn im § 1 Abs. 2 gekennzeichnet ist und einen materiellen Beschuldigtenbegriff aufweist, soll ferner ganz zentral von den Prinzipien der Amtswegigkeit – prominent im § 2 des Entwurfs enthalten – und der Objektivität, der sowohl Staatsanwaltschaft als auch Kriminalpolizei unterworfen werden sollen, gekennzeichnet sein.
Die Leitung und die rechtliche Führung des Verfahrens soll der Staatsanwaltschaft obliegen. Sie soll über Einstellung, Diversion oder Anklageerhebung entscheiden müssen und in diesem Sinn auch die Stoffsammlung nach den dafür vorgegebenen Kriterien beeinflussen können. Das ist entscheidend, deshalb besteht auch ein schmaler Bereich eigener Erhebungstätigkeit der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft soll allerdings – hier findet sich die immer wieder geforderte Beziehung zur derzeitigen Praxis – zur Kooperation mit der Kriminalpolizei verpflichtet sein. Das ist von zentraler Bedeutung. Die Kriminalpolizei soll und wird, wie auch heute, die Hauptlast der Ermittlungen tragen, und der Kriminalpolizei soll durch den Entwurf auch ein effektives Instrumentarium an die Hand gegeben werden.
Ich erinnere nur daran, dass vielfältige Ermittlungshandlungen moderner Art wie verdeckte Ermittlungen und dergleichen mehr derzeit in Wirklichkeit nicht geregelt sind. Hier sollen klare Regelungen geschaffen werden. Wir haben über lange Zeit mit dem hier anwesenden Direktor des Bundeskriminalamtes Dr. Haidinger und seinem Team Verhandlungen geführt. Wir haben auch eine Kooperationsbasis zwischen den Legisten geschaffen, die sich, wie wir hoffen, in der tagtäglichen Zusammenarbeit zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft verstärken und durchsetzen wird.
Zusätzlich geht es um eine genaue Definition der Rechte der Beschuldigten und der Geschädigten im Strafverfahren, um verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten und dadurch auch mehr Einfluss auf die Stoffsammlung. Das ist, wie vom Herrn Bundesminister schon erwähnt, immer im Verhältnis zur Ermittlungseffizienz zu sehen. Das heißt, die Ausübung bestimmter Rechte kann immer dann aufgeschoben oder eingeschränkt werden, wenn dadurch der Zweck der Ermittlungen gefährdet wird. Auch das ist im Zuge des Verfahrens vielleicht von entscheidender Bedeutung.
Insgesamt handelt es sich um ein Verfahren, das von der Staatsanwaltschaft in Kooperation mit der Kriminalpolizei geführt werden soll, das durch verstärkte Partizipationsmöglichkeiten Beschuldigter und Geschädigter gekennzeichnet ist und das dem Gericht ganz besondere Bedeutung zumisst, indem das Gericht verstärkt in die Rechtsschutzfunktion gebracht wird.
Das Gericht soll künftig in einer Art Missbrauchskontrolle sowohl darüber entscheiden können, ob die Staatsanwaltschaft eine Person zu Unrecht verfolgt, als auch darüber, ob die Staatsanwaltschaft ein Verfahren zu Unrecht eingestellt hat. Sowohl Geschädigte als auch Beschuldigte sollen sich an das Gericht wenden können. Zusätzlich soll das Gericht die Ausübung bestimmter Verfahrensrechte kontrollieren und wahrnehmen können, insbesondere die Rechte auf Akteneinsicht und Beweisantrag. Das ist insoweit neu, als wir hier gegenüber der geltenden Rechtslage den geteilten Rechtszug einerseits an die UVS und die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, andererseits, soweit gerichtliche Befehle betroffen sind, an das Gericht vereinheitlichen und einen einheitlichen gerichtlichen Rechtsschutz einführen. Betroffene sollen sich mit einer Beschwerde – im Entwurf „Einspruch“ genannt – an das Gericht wenden können, wenn ihre Grundrechte betroffen sind oder wenn ihnen die Ausübung bestimmter Verfahrensrechte verweigert wird.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Dr. h.c. Manfred Burgstaller (Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien): Gemäß dem Programm, das Sie vorgestellt haben, möchte ich mich in dieser ersten Stellungnahme auf einige Grundsatzpositionen zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens beschränken, und zwar in drei Punkten: erstens ein paar allgemeinen Bemerkungen, zweitens Bemerkungen zu den Grundanliegen des Entwurfs und drittens Bemerkungen zur Problematik der Kosten des Entwurfs.
Was das Allgemeine betrifft, wurde heute schon mehrfach betont, dass es sich um ein wichtiges Gesetz handelt. Ich habe den Eindruck, dass diese Bezeichnung die Wichtigkeit eher herunterspielt. In meinen Augen hat diese Reform größte praktische Bedeutung, eine Bedeutung, von der ich meine, dass sie über all das hinausgeht, was wir in den vergangenen Jahrzehnten an Reformen im Strafrechtsbereich erlebt haben. Sie hat größere Bedeutung als die von mir absolut als wichtig und umfassend eingeschätzte Diversionsregelung, und ich meine sogar, dass die vorliegende Änderung der StPO, sollte sie in der vorliegenden Form Gesetz werden, die Strafrechtspflege noch gewichtiger als die Strafrechtsreform von 1975 beeinflussen würde. Daher danke ich ausdrücklich dafür, dass offenbar Bereitschaft besteht, dies hier im Parlament breit zu diskutieren, und darf Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, ausdrücklich bitten, sich Ihrer Verantwortung als Gesetzgeber bewusst zu sein.
Es wurde zu Recht vom Herrn Bundesminister betont und von Mag. Pilnacek ergänzt, dass die Regierungsvorlage die Frucht einer langjährigen Diskussion ist. Ich stehe nicht an, die Leistung, die im Justizministerium vollbracht wurde, zu würdigen. Ich meine, dass es eine großartige Sache ist, aus sehr vagen und oft weit auseinander laufenden Reformideen einen in sich stimmigen Gesetzentwurf zu machen, der nicht nur die Zustimmung des Ressorts für Justiz, sondern auch des Bundesministeriums für Inneres gefunden hat. Ich weiß, dass die Arbeit in erster Linie bei den Legisten der beiden Ressorts, vor allem des Bundesministeriums für Justiz, lag, möchte aber aus meiner Kenntnis heraus festhalten, dass hier Herr Bundesminister Dr. Böhmdorfer mit ein persönliches Verdienst daran hat, weil er sehr großes Engagement dafür gezeigt hat, damit dies wirklich zum Gesetz wird. Dies zu betonen ist mir deshalb sehr wichtig, weil ich inhaltlich schwere Kritik an diesem Entwurf vorzubringen habe. Ich meine, dass man die Anerkennung der vollbrachten Leistung einerseits und die inhaltliche Auseinandersetzung damit andererseits strikt auseinander halten sollte.
An dem Entwurf ist, seit er in konkreter Form vorliegt, breite fachliche Kritik geübt worden, und zwar von den Standesvertretungen der Richter und Staatsanwälte über den Obersten Gerichtshof, die Generalprokuratur und den Rechnungshof bis hin zu einer großen Zahl von Strafrechtslehrern. Daher bitte ich ausdrücklich darum, diese parlamentarischen Beratungen offen für diese Kritik zu führen. Weiters bitte ich angesichts der großen Tragweite dieser Reform für die ganze Republik darum, dass man sich bemüht, diese Debatte mit dem Ziel zu führen, einen möglichst breiten Konsens zu erreichen.
Nun zum zweiten Punkt: Der Anstoß für die Reform war eindeutig das Bedürfnis, für die praktisch überaus wichtige und unverzichtbare Ermittlungstätigkeit von Polizei und Gendarmerie eine rechtsstaatlich einwandfreie gesetzliche Basis zu schaffen. Meine persönliche Wertung ist, dass dieses Anliegen, das unbestritten ist, in der Regierungsvorlage prinzipiell zufrieden stellend gelöst ist. Ich weiß, dass ich damit im Widerspruch zu vielen anderen stehe, aber ich persönlich finde diese schwierige Balance zwischen Beschuldigteninteressen einerseits und der Sicherung einer effizienten Strafverfolgung andererseits im Großen und Ganzen gewahrt. Zwar wird man in der Debatte im Detail da und dort Verbesserungsbedarf erkennen können, aber die große Linie stimmt.
Ein kleines Gravamen darf ich hier anbringen, das nur scheinbar klein ist, weil es nämlich, was die praktische Durchsetzung anlangt, sehr wichtig ist. Zu der rechtsstaatlich einwandfreien Basis gehört auch der Rechtsschutz, und ich fürchte, dass die Regierungsvorlage hier ein wenig zu weit geht. Wenn sie wegen jedweder Verletzung eines Verfahrensrechts einen Einspruch nicht nur an die Staatsanwaltschaft, sondern auch an das Gericht zulässt, dann könnte das zu einem Aufwand und einem Verzögerungspotenzial führen, das sich nachteilig auf das Funktionieren der Strafjustiz auswirken könnte. Es gibt den Vorschlag der Staatsanwälte, die Anrufbarkeit des Gerichts bis zum Abschluss der Ermittlungen auf behauptete Grundrechtsverletzungen zu beschränken und im Übrigen nur den Einspruch bis zur Staatsanwaltschaft zuzulassen. Ich meine, dass dieser Vorschlag diskutiert werden sollte.
Mein Hauptproblem mit der Regierungsvorlage ist die vorgesehene Totalbeseitigung gerichtlicher Vorerhebungen und Voruntersuchungen. Meiner Überzeugung nach gibt es dafür keine stichhaltigen Gründe. Den Untersuchungsrichter stets durch den Staatsanwalt zu ersetzen, ist in einer Reihe von Fallkonstellationen nachteilig zu sehen. Für Straffälle mit politischen Implikationen – denken Sie nur an die „Spitzelaffäre“ – oder für Strafverfahren, die gegen Personen aus dem Kreis der ermittelnden Behörden selbst geführt werden, erscheint mir eine Ermittlung durch den unabhängigen Untersuchungsrichter schlechthin unverzichtbar. Aber auch in Untersuchungshaftfällen und in Geschworenengerichtssachen sprechen meines Erachtens gute Gründe für die Beibehaltung des Untersuchungsrichters – auch wenn es Gegenargumente gibt. Überhaupt sollte der Staatsanwalt – davon haben mich Gespräche mit Praktikern überzeugt – auch künftig gerichtliche Ermittlungen überall dort beantragen können, wo ihm das wegen der besonderen Fallgestaltung zweckmäßig erscheint.
Man kann mein Anliegen kurz auch so zusammenfassen: Wir alle wissen, dass sich die Verfahrenspraxis, was den Einsatz des Untersuchungsrichters betrifft, weit vom Konzept der StPO entfernt hat. Das ist ja mit ein Grund dafür, warum man einen Regelungsbedarf sieht. Aber ich meine, so, wie sich die Praxis entwickelt hat, und so, wie heute der Untersuchungsrichter eingesetzt wird, ist das ein gutes Konzept. Ich meine, es sollte ernsthaft erwogen werden, daran festzuhalten.
Das letzte Grundanliegen – das wurde auch vom Herrn Minister eigens angesprochen –, die Ausweitung der Opferrechte im Verfahren, verdient meines Erachtens volle Unterstützung. Freilich liegt hier der Hund im Detail begraben: Die Frage, wie weit man die Strafjustiz mit all den Rechten, die ich den Opfern von Herzen gönne, überfordert, müsste man sich in der Detaildebatte noch ansehen. Ich habe mich davon überzeugen lassen, dass es stimmt, dass nach dem Entwurf die gesamte Anklageschrift an alle Privatbeteiligten zugestellt werden soll. Stellen Sie sich dazu eine Faktensache mit hundert verschiedenen Diebstahlsopfern vor!
Einen Punkt greife ich für die Spezialdebatte heraus – wobei fraglich ist, ob es sich dabei um eine Spezialdebatte handelt –, nämlich die Verfolgungserzwingung eines vom Staatsanwalt nicht fortgeführten Verfahrens. Hiefür ist ein Antrag an das Oberlandesgericht vorgesehen. Das sollte man sich sehr überlegen, weil das erstens meines Erachtens nur mit Verfassungsbestimmung möglich wäre und weil ich zweitens auch inhaltlich nicht davon überzeugt bin, ob nicht der insbesondere von Dr. Lambauer gemachte Vorschlag, dies mit einem verbesserten Subsidiaranklagerecht in den Griff zu bekommen, vorzuziehen wäre.
Ich komme zum dritten und letzten Punkt, den Kosten der Reform. Damit befinden wir uns nach meiner Ansicht in einer furchtbaren Crux. Ich bin davon überzeugt, dass die Umsetzung dieses ehrgeizigen Vorhabens nur mit einem zusätzlichen Einsatz von Ressourcen möglich ist, und zwar bedarf es Ressourcen einerseits im Bereich des Bundesministeriums für Justiz – hier natürlich besonders im Bereich der Staatsanwälte –, andererseits aber auch in gewaltigem Umfang im Bundesministerium für Inneres. Ich gebe den Erläuterungen Recht: Niemand vermag heute das konkrete Ausmaß dieser Zusatzkosten seriös abzuschätzen, dass es aber gewaltig sein wird, daran habe ich keinen Zweifel.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Rechtfertigung dieses stark gesteigerten Ressourcenaufwandes durch den zu erwartenden Ertrag der Reform überhaupt gegeben ist. Das möchte ich bewusst offen lassen, denn diese Frage ist nur mit einer sehr komplexen politischen Wertung zu beantworten, und ich nehme an, es können die Abgeordneten mindestens genauso gut wie ich abschätzen, ob man das verantworten kann. Wichtig ist aber eines: Ein solches Vorhaben ohne ausreichende Zusatzressourcen zu beschließen, hätte fatale Folgen. Ich bin davon überzeugt, dass Qualität und Effizienz der Strafrechtspflege massiv zu leiden hätten, wenn man dieses Gesetz der Praxis hinwirft, ohne für den zusätzlichen Ressourcenbedarf vorzusorgen.
Man sollte sich auch hier im Parlament ernsthaft überlegen, ob man nicht statt dieses großen Vorhabens als Alternative eine wesentlich bescheidenere, kleine Reform andenkt. Ich hielte es für vertretbar, sich vorerst mit einer Regelung der Aufgaben und Befugnisse von Polizei und Gendarmerie im Dienste der Strafjustiz zu begnügen.
Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Ich halte es für notwendig, dass wir im Rahmen dieser Diskussion nicht nur den vorliegenden Entwurf allgemein bewerten, sondern uns auch darüber auseinander setzen, ob es allfällige Alternativen gibt, die eine rasche Umsetzung notwendiger Aspekte ermöglichen, bei gleichzeitiger Klärung der Gesamtaspekte in einer weiteren Diskussion.
Es ist keine Frage, dass wir die Opferrechte zügig umsetzen müssen. Wir sind schon auf Grund des bestehenden EU-Rahmenbeschlusses im Verzug, dieser hätte zum 22. März 2003 umgesetzt werden sollen. Es widerspricht einer guten Rechtskultur, säumig zu sein. Daher stellt sich die Frage, ob es sinnvoll wäre, die Opferrechte und den Rechtsschutz zügig umsetzen und die darüber hinausgehenden Aspekte – bei all ihrer Wichtigkeit – später zu diskutieren.
Der jetzige Entwurf stößt auf sehr breite Ablehnung aus den unterschiedlichsten Bereichen. Die Justizpolitik eines Landes sollte sich aber danach orientieren, Beschlüsse auf möglichst breiter Basis zu fassen, weil es dabei um tragende Säulen geht. Professor Burgstaller hält diese Reform sogar für über die Strafrechtsänderungsgesetzgebung des Jahres 1975 hinaus relevant. Auch daran wird erkennbar, dass es unsere Verpflichtung ist, uns genügend Zeit zu nehmen, um alles auszuloten, was zu sinnvollen Verbesserungen beitragen kann.
Daher lade ich die Expertinnen und Experten ein – und es wäre schön, wenn das von allen Fraktionen hier zu hören wäre –, nicht nur zum Entwurf selbst zu sprechen, sondern auch Alternativen aufzuzeigen, etwa im Hinblick darauf, was rasch umgesetzt werden könnte, ohne das Ziel einer weitergehenden Änderung aufzugeben. Dabei wäre es sinnvoll, das Hauptverfahren in den jetzigen Diskurs mit einfließen zu lassen.
Die Frage der Kostentragung scheint mir ebenfalls wesentlich zu sein. In Deutschland ist ein ähnliches Konzept – aus meiner Sicht rechtsstaatlich etwas verbessert – umgesetzt worden, was dazu geführt hat, dass 25-mal mehr Staatsanwälte – jeweils pro Messeinheit –, als hier vorgesehen, notwendig sind, um eine effiziente Umsetzung zu erreichen. Angesichts der bestehenden Einsparungsnotwendigkeiten scheint es mir völlig unrealistisch zu sein, dass wir eine derartige Verhältniszahl erreichen können.
Was den Untersuchungsrichter anlangt, kann ich nur unterstreichen, dass dieser eine zentrale Bedeutung hat. Daher sollte er eine erhöhte Position beibehalten und nicht auf eine reine Rechtsschutzfunktion zurückgedrängt werden. Was meiner Fraktion ebenfalls nicht gefällt, ist, dass der Staatsanwalt zwar nach außen hin mit einer Fülle von Rechten ausgestattet wird, die allerdings auf der anderen Seite nicht wirklich durchsetzbar sind, weil er nach dem derzeitigen Gesetz, § 36 StPO, eine Art Anweisung hat und es nach der jetzigen Vorlage eher um Amtshilfebestimmungen im Verhältnis zur Exekutive geht. Wir halten das nicht für sinnvoll.
Was von den Expertinnen und Experten ebenfalls nicht ausgeklammert werden sollte, ist die Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten im Hinblick darauf, dass die Untersuchungshaftzahlen zu explodieren drohen.
Der derzeitige Entwurf ist aus meiner Sicht nicht als Visitenkarte der österreichischen Rechtskultur geeignet.
Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche): Ich bitte all diejenigen, die schon jahrelang an diesem Vorschlag mitgearbeitet haben, um Verständnis dafür, dass ich jetzt unter Umständen wieder Probleme anspreche, die schon geregelt sind. Diese Verhandlungen wurden nämlich von meinem Kollegen Dr. Ofner geführt; jetzt bin ich Justizsprecherin der Freiheitlichen, daher möchte ich auch meine Sichtweise einbringen.
Es ist klar, dass mit der Reform ungeheure Kosten verbunden sind, daher möchte ich wissen, wie das Innenministerium mit dieser Belastung fertig wird. Als Sicherheitssprecherin weiß ich, dass tausend Dienstposten eingespart werden müssen, hingegen müssen auf Grund dieser Regierungsvorlage neue Dienstposten geschaffen werden.
Was ich für sehr problematisch halte – und da möchte ich in der Argumentation den Kollegen Burgstaller und Jarolim nachfolgen –, ist die völlige Beseitigung des Untersuchungsrichters. Zwar möchte ich nicht an der Glaubwürdigkeit der Polizei oder des Staatsanwaltes rütteln, aber immerhin hat die österreichische Justiz dem Richter doch einen historischen Wert zugeordnet. Der Richter verfügt über besonderes Vertrauen – und jetzt wird er fast völlig eliminiert, indem ihm nur noch in einigen Fällen, etwa bei der Verhängung der Untersuchungshaft, gestattet wird, einzugreifen.
Vielleicht ist es nicht notwendig, von dem Entwurf völlig abzugehen, aber man müsste ihn etwas adaptieren. Mir wäre es zum Beispiel wichtig, dass in entscheidenden Fällen weiterhin der Untersuchungsrichter einschreitet – gleichgültig, unter welcher Bezeichnung –, und ich halte es für untragbar, dass in Fällen, in denen politische Hintergründe vermutet werden, nur die Polizei und der Staatsanwalt ermitteln und nicht mehr der unabhängige Richter einbezogen ist, obwohl er es ist, dem von der Öffentlichkeit Objektivität zugeschrieben wird. Ich denke, es wäre auch in Haftsachen wichtig, dass der Untersuchungsrichter stärker eingebunden ist und unter Umständen auch von sich aus Anträge stellen kann, die der Staatsanwalt vielleicht übersehen hat. Auch im Fall von Polizeiübergriffen wäre es paradox, wenn Staatsanwalt und Polizei, die ja eng zusammenarbeiten, dann sozusagen die Sache untereinander regeln sollten. Es geht nicht um Misstrauen gegenüber Staatsanwaltschaft und Polizei, aber wir wissen, dass gerade in der Justiz die Vorurteile eine sehr große Rolle spielen, und das Vertrauen zur Justiz ist ein positives Vorurteil.
Zum Zweiten fehlt mir in dem Entwurf einer der wichtigsten Grundsätze des bisherigen Strafverfahrens, nämlich die materielle Wahrheitsforschung. Dieser Grundsatz ist völlig unter den Tisch gefallen, er ist aber ungeheuer wichtig und legitimiert auch die Behörden dazu, den Beschuldigten ausfindig zu machen und alle Ermittlungserhebungen anzustellen.
In Bezug auf die Rechtsmittel-Problematik möchte ich mich Herrn Professor Burgstaller anschließen. Dem Entwurf zufolge soll es nun gegen jeden einzelnen Beweisantrag ein Rechtsmittel geben können, und diese Beschwerde – oder wie immer man das Rechtsmittel nennt – soll drei Instanzen durchlaufen. Das führt zu einer unökonomischen Vorgangsweise im ganzen Verfahren. Man kann sich vorstellen, wie dieses Rechtsmittel im negativen Sinn ausgenützt werden kann, um das Verfahren zu verschleppen. Ich denke, man sollte sich überlegen, diesen Vorschlag zu revidieren.
Wir sollten aus dem vorliegenden Entwurf insoweit etwas machen, dass die Justiz nicht ihre Glaubwürdigkeit verliert, dass es nicht zu undurchführbaren Verfahren kommt und dass die Geschädigtenrechte größere Beachtung finden.
Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Ich habe nur zwei kurze Bemerkungen zu machen. Zunächst gehe ich bei der Diskussion zu dieser Regierungsvorlage – ich betone, dass es eine Vorlage der Regierung und nicht der Opposition ist – davon aus, dass diejenigen, die diese Vorlage ins Parlament gebracht haben, sich der Tatsache bewusst sind, dass diese Regierungsvorlage Kosten verursacht. Andernfalls wäre das Ganze etwas wie eine Frotzelei, wenn dem Nationalrat eine Vorlage zugeführt wird, die mit Kosten verbunden ist, ohne dass der Minister oder das Ministerium Überlegungen dazu angestellt hätte, wie die zusätzlichen Kosten zu bewältigen sind. Daher kann auch die Antwort darauf, wie die Umsetzung erfolgen soll, niemand außer den Ressortverantwortlichen geben.
Die zweite Bemerkung ist, dass der Rechtsstaat Geld kostet. Wenn es um den Ausbau des Rechtsstaates geht, in dem Fall um die Frage des Rechtsschutzes und der Grundrechte, und wenn dies mit Kosten verbunden ist, dann kann man die Entscheidung darüber, ob man gewisse Rechtsschutzinstrumentarien für gut hält oder nicht, nicht davon abhängig machen, ob diese Geld kosten oder nicht. Entweder sind sie geboten, oder sie sind nicht geboten. Wenn man von einem überbordenden Rechtsschutz spricht oder wenn man es für zweifelhaft hält, ob Rechtsschutz notwendig ist, dann können als Argument dafür oder dagegen nicht die Kosten herangezogen werden. Man hat dann eben einen anderen Standpunkt, den ich auch für legitim halte und akzeptiere.
Die Fraktion der Grünen geht grundsätzlich davon aus, dass wir jetzt den vorliegenden Entwurf diskutieren und Alternativen mitdenken, aber diese Alternativen immer dann mitdenken, wenn die Umsetzung von bestimmten Punkten dieses Entwurfs unmöglich oder nicht sinnvoll wäre. Aber wir sagen nicht von vornherein, dass wir jetzt nicht über die Regierungsvorlage diskutieren, sondern über eine kleinere Reform oder, wie Frau Dr. Partik-Pablé gesagt hat, nur über die Polizeireform. Wenn man das will, dann sitzt man im Innenausschuss. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Sie haben da nicht aufgepasst!) – Ich habe schon aufgepasst. Vielleicht haben auch andere Sie so verstanden wie ich.
Ich bin ganz bei Herrn Professor Burgstaller: Er hat uns schon zu Beginn darauf aufmerksam gemacht, welche Verantwortung die Abgeordneten haben. Es ist der Zweck dieser Veranstaltung, hier ein Meinungsbild zu bekommen. Dabei verhehle ich nicht, dass ich mit allen Interessengruppen schon Gespräche geführt habe und bestimmte Vorbehalte bereits kenne. Aber das heißt nicht, dass im Ausschuss nur alte Argumente ausgetauscht werden, sondern es geht darum, sich inhaltlich wirklich mit der Sache zu beschäftigen.
Sektionschef Dr. Roland Miklau (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Ich bin zwar nicht der Älteste hier im Raum, aber ich glaube, ich bin hier der Einzige, der in den Jahren 1972 und 1973 den Beratungen des Unterausschusses zur Vorberatung des damals neuen Strafgesetzbuches beigewohnt hat. Ich beschäftige mich auch seit fast gleich langer Zeit mit Fragen der Strafprozessreform.
Es ist schon aus den bisherigen Beiträgen klar geworden, dass dieser Entwurf eine quantitative und qualitative Herausforderung für die Gesetzgebung und für Sie als Gesetzgeber darstellt, die ohne Beispiel ist. Jedenfalls gab es in den 30 Jahren, in denen ich die Ehre habe, im Justizausschuss und in den Unterausschüssen beratend tätig zu sein, eine solche Herausforderung noch nicht.
Die Reform des Strafprozessrechts ist eine aus mehreren Gründen schwierigere als Novellen zum materiellen Strafrecht oder dergleichen, denn erstens gibt es einen „Reformstau“, der im Grunde 130 Jahre zurück reicht. Das Untersuchungsrichtermodell, das sich der Gesetzgeber des Jahres 1873 vorgestellt hat und das sich in mindestens der Hälfte der Bestimmungen des geltenden Rechtes nach wie vor findet, hat sich im Grunde von vornherein nur teilweise oder gar nicht eingelebt und ist im Laufe der Jahrzehnte immer illusionärer geworden.
Zweitens muss eine Strafprozessordnung für alle Strafverfahren gelten und tauglich sein, von unbekannten Tätern über Verkehrsunfälle und Ladendiebstähle bis hin zum WEB-Verfahren und zu einem europaweit zu koordinierenden Verfahren bei grenzüberschreitender Kriminalität.
Drittens kann eine Strafprozessordnung nicht punktuell beraten und verändert werden, ohne zu berücksichtigen, dass es sich um Bestimmungen handelt, die nach Art eines Räderwerkes ineinander greifen. Wenn Sie ein Rad aus einer geölten Maschine herausnehmen, dann kann der Rest der Maschine noch so gut sein: die Maschine wird nicht funktionieren.
Wir sind am Ende und nicht am Beginn eines sehr intensiven, rund 15-jährigen Diskussionsprozesses über die Gestaltung des Vorverfahrens. Was dem Beobachter und dem Teilnehmer an diesen Diskussionen auffällt, ist, dass dies zum Zeitpunkt der ersten konkreten Vorlage des Reformkonzepts, das Sie jetzt im Entwurf finden – das war der Diskussionsentwurf 1998, den Bundesminister Dr. Michalek vorgelegt hat –, von allen Gruppen, den Professoren, den Richtern, den Staatsanwälten und den Rechtsanwälten begrüßt wurde. Es geschah mit dieser oder jener Rahmenbedingung, Einschränkung oder Modifikation, aber im Grundsatz wurde das von allen befürwortet, von Theorie wie Praxis. Das ist auch insofern kein Wunder, als sich das Modell, das der Entwurf anbietet, nämlich ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, ein einheitliches Vorverfahren mit einheitlichem Rechtsschutz – genauer müsste man sagen: ein Vorverfahren, das der Staatsanwalt in Kooperation mit der Kriminalpolizei führt, ein Vorverfahren, das die Ermittlungsrealität anerkennt, dass im Vorverfahren in etwa zwei Drittel der Fälle nur die Kriminalpolizei tätig wird, ein Vorverfahren, das eben unter der potenziellen oder aktuellen Leitung des Staatsanwaltes steht – europaweit durchgesetzt hat.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier nicht nur um eine innerösterreichische Angelegenheit geht, sondern um die Frage der Modernisierung des Strafprozesses im Zeitalter eines Zusammenrückens in Europa. Das österreichische Modell entspricht grosso modo dem Modell, das in Deutschland, in Italien oder in Skandinavien längst gehandhabt wird, entspricht jenem Modell, das in den Reformstaaten von Estland bis Kroatien gerade umgesetzt wird, entspricht jenem Modell, das sich in Spanien demnächst durchsetzen wird, und entspricht auch dem Modell in der Schweiz. Dort haben verschiedene Varianten von Untersuchungsrichtermodellen in den einzelnen Kantonen dominiert; die auf Grund einer Verfassungsänderung in der Schweiz in Ausarbeitung stehende Bundesstrafprozessordnung hat sich gleichfalls, obwohl das nicht der schweizerischen Tradition entspricht, für dieses staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren entschieden.
Sehen Sie sich an, welche Reformbestrebungen im Bereich der Europäischen Union vor sich gehen – so haben wir seit kurzem eine Koordinationsstelle der Staatsanwaltschaften namens Eurojust – und dass das Problem der grenzüberschreitenden Kriminalität immer wichtiger wird, gerade für ein Land wie Österreich, das ein Transitland leider auch in der Kriminalität – und manchmal auch ein Zielland der Kriminalität – ist. Die grenzüberschreitende Kooperation wird immer wichtiger, ebenso die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen, die Koordination von Strafverfahren und die Angleichung der Rechtsordnungen.
Eurojust koordiniert die europäischen Staatsanwaltschaften, Eurojust koordiniert nicht die Untersuchungsrichter. Eine europaweite Koordination von unabhängigen Richtern ist nicht möglich, und niemand denkt daran. Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vorgelegt; wir glauben, dass das ein überzogener Vorschlag ist und dass durch die Koordination der nationalen Staatsanwaltschaften durch Eurojust sowie den späteren Ausbau von Eurojust das Ziel, das die Kommission anstrebt, viel besser erreichbar ist.
Man kann natürlich sagen, dass Österreich die „Insel der seligen Voruntersuchung“ ist und weiter auf dem wichtigen Untersuchungsrichter beharren. Aber bitte vergessen Sie nicht, das Untersuchungsrichtermodell hat sich von 1873 an nicht voll durchgesetzt und es ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weniger effizient geworden. Was tatsächlich während der Geltung des Untersuchungsrichtermodells passiert ist, ist, dass sich in einem teilweise rechtsfreien Raum die Kriminalpolizei ausgebreitet hat – nicht, weil sich die Kriminalpolizei etwas arrogiert hätte, sondern weil sich die Kriminalität und die Methoden ihrer Bekämpfung verändert haben.
Ich meine, man kann selbstverständlich über die Angemessenheit und Sinnhaftigkeit aller Bestimmungen der Regierungsvorlage diskutieren, und man muss das auch tun. Das ist die Aufgabe und die Verantwortung dieses Ausschusses und des Nationalrates. Eines aber kann man nicht tun, nämlich den Gegenstand des Entwurfs verändern, indem man ihn ausweitet und sagt: In der Hauptverhandlung und im Rechtsmittelverfahren gibt es auch noch Reformbedarf. Damit überschreitet man den Diskussionsumfang der letzten 15 Jahre und macht aus einem fast unbewältigbaren Vorhaben eines, das ganz unbewältigbar ist.
Man braucht sich nur die Struktur des Strafverfahrens anzusehen: Das Strafverfahren beginnt erst mit der Einleitung der Voruntersuchung. Daher können wir nicht ein kriminalpolizeiliches Verfahren regeln, das Teil des Strafverfahrens ist, dann kommen vielleicht Vorerhebungen, die nicht Teil des Strafverfahrens sind, und danach folgt eine Voruntersuchung, die wieder zum Strafverfahren gehört.
Die Verantwortung des Gesetzgebers kann nur in der Form wahrgenommen werden, dass man bei jenem Umfang bleibt, der als Ergebnis einer 15-jährigen Diskussion auf dem Tisch liegt. Das heißt nicht, dass man nicht diskutieren kann, ob der Richter diese oder jene Vernehmung durchzuführen hat, ob die Abgrenzung da oder dort zu ziehen ist. Die Verantwortung, die der Gesetzgeber hier hat, liegt nicht nur im inhaltlichen Detail, sondern sie liegt auch darin, ob es überhaupt eine Reform geben soll oder ob sich in den Freiräumen, die sich im Gesetz finden, in dem Reformstau, der sich aufgebaut hat, andere breit machen: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Verwaltungsgerichtshof – mit der Frage der Verteidigerbeiziehung im Strafverfahren –, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, Eurojust, die Europäische Union mit einer Reihe von Rahmenbeschlüssen und andere, die naturgemäß nicht systematisch das österreichischen Strafverfahren regeln können, die aber Vorgaben machen, nach denen wir uns richten müssen. Es geht also darum, ob der österreichische Gesetzgeber österreichische Gesetze macht. Diese Verantwortung haben Sie zu tragen, und diese Verantwortung kann Ihnen niemand abnehmen.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Helmut Fuchs (Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien): Auch ich möchte gerne zu Beginn meine grundsätzliche Haltung zu diesem Entwurf darlegen. Es ist mir genauso wie Professor Burgstaller ein Bedürfnis, einleitend die Leistung zu würdigen, die in diesem Entwurf steckt.
Ich muss im Anschluss an den Redebeitrag von Sektionschef Dr. Miklau etwas zum historischen Ablauf sagen. Es mag sein, dass in der Diskussion vor dem Entwurf von 1998 breite Gruppen einbezogen wurden. Die Arbeit der letzten Jahre ist weitgehend durch die Legislativabteilung allein erfolgt, allenfalls unter Einbeziehung von Interessengruppen. Ich halte das für sinnvoll, damit einmal ein konkreter Entwurf vorliegt.
Ein Grundkonzept liegt nun vor, und die Frage ist, ob es zweckmäßig ist und ob wir es wollen. Da habe ich Bedenken grundlegender Art, und zwar in dreierlei Hinsicht. Erstens betrifft es die Stellung des Staatsanwalts, insbesondere das Verhältnis zu den Sicherheitsbehörden und ihren Organen; ich werde hier in verkürzter Form von „Polizei“ sprechen. Zweitens betreffen meine Bedenken die Funktion des Ermittlungsverfahrens im Rahmen des gesamten Strafverfahrens und die Art, wie der Entwurf dies regelt. Drittens betrifft es die Ausgestaltung einzelner Verfahrensregeln, insbesondere die Beteiligung der Parteien im Vorverfahren.
Das Erste ist: Die zentrale Gestalt dieses Vorverfahrens soll der Staatsanwalt sein. Der Entwurf ist ein wenig unklar, indem er von einer gemeinsamen, einvernehmlichen Leitung ausgeht, aber an einigen Stellen wird doch klargemacht, dass der Staatsanwalt die Ermittlungen leitet. Er kann Anordnungen treffen. Aber betrachten Sie die Bestimmung des § 102 über die Anordnungen: Auf Verlangen der Polizei sind diese Anordnungen schriftlich zu geben, und sie sind zu begründen.
Wenn in einem Krankenhaus der Primar eine bestimmte Behandlung anordnet, dann mag es sinnvoll sein, dass er das auch schriftlich tut, damit die Verantwortung klargestellt ist. Dass jedoch die nachgeordneten Ärzte, dass das Personal eine Begründung verlangen können, ist in diesem Bereich nicht vorgesehen. Nicht einmal die Weisungen des Behördenleiters bei der Staatsanwaltschaft an untergeordnete Staatsanwälte – eine sehr heikle Materie! – sind zu begründen. Die Sicherheitsbehörden können dem Staatsanwalt leicht klarmachen, dass er besser keine Anordnungen erteilen sollte, sie können es ihm leichter klarmachen, indem sie eine Begründung verlangen, und sie können es ihm noch leichter klarmachen, wenn er ohnedies schon überlastet ist. Worauf ich hinaus will, ist: Macht und Verantwortung in dem neu geregelten Vorverfahren fallen auseinander. Die Macht liegt bei den Sicherheitsbehörden, die Verantwortung liegt beim Staatsanwalt.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte es für richtig, dass die faktische Macht der Durchführung bei den Sicherheitsbehörden liegt. Aber man sollte nicht die Verantwortung auf jemanden übertragen, der diese Verantwortung nicht leisten kann. Das ist mein erstes Bedenken: dass dies eine ungünstige Regelung ist, die letztlich zu einer organisierten Unverantwortlichkeit führt.
Das zweite Bedenken betrifft die Funktion des Strafverfahrens. Der Entwurf nennt als einzigen Zweck, dass das Ermittlungsverfahren die Grundlagen für die Entscheidung des Staatsanwalts darüber liefern soll, ob er Anklage erhebt oder nicht. Das ist nicht der einzige Zweck des Ermittlungsverfahrens. Wenn das so wäre, dann müssten die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nur für den Staatsanwalt da sein, und das Urteil müsste allein auf Grund der Hauptverhandlung gefällt werden. Das ist nicht die Realität unseres Strafverfahrens, das wird in Österreich nicht so werden, und – um es deutlich zu sagen – es soll auch nicht so werden. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind eine wesentliche Urteilsgrundlage. Sie fließen in das Urteil ein, sie werden zur Begründung verwendet, und das ist durchaus notwendig.
Es ergeben sich zwei weitere Bedenken gegen diesen Entwurf. Das Erste betrifft die starke Stellung des Staatsanwalts. Das dahinter stehende Konzept wird manchmal folgendermaßen begründet: Abschaffung des Untersuchungsrichters ist Abschaffung der letzten Reste des Inquisitionsprinzips. Die Argumentation ist etwa die: Anklageprinzip ist positiv besetzt, Inquisitionsprinzip negativ, also ist die Abschaffung des Untersuchungsrichters etwas Gutes, weil dies zum Anklageprinzip führt.
Doch wird er durch einen Staatsanwalt, der in einer Doppelrolle ist, ersetzt: Er führt die Ermittlungen, er trägt die Verantwortung, und letztlich soll er – das steht ausdrücklich in dem Entwurf – die Entscheidung treffen, ob Anklage erhoben wird oder nicht. Das ist ein wichtige Entscheidung im Strafprozess! Mehr als 60 Prozent der Fälle werden vom Staatsanwalt so erledigt, dass er die Entscheidung trifft, keine Anklage zu erheben. Staatsanwälte sprechen gerne, und mit einer gewissen Berechtigung, von einer richterlichen Funktion, die sie ausüben.
Es ist daher eigentlich sogar ein Ergebnis des Anklagegrundsatzes, wenn man den faktischen Ermittler und denjenigen, der über die Anklageerhebung entscheidet, trennt. Richtig betrachtet, ist der Untersuchungsrichter kein Überrest des Inquisitionsprozesses, sondern ein Ausfluss des Anklageprinzips. Deswegen hält unsere gegenwärtige Strafprozessordnung den Staatsanwalt vom Verfahren fern. Er darf sich zu den Ermittlungen nur der Polizei oder des Untersuchungsrichters bedienen. Wenn also die Ergebnisse weiterhin – wie ich es für unausweichlich halte – Grundlage sein werden, dann scheint es mir sehr bedenklich zu sein, wenn der Staatsanwalt sowohl Ermittler als auch Entscheidender in dieser wesentlichen Phase ist.
Als zweite Konsequenz ergibt sich Folgendes: Wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens Grundlage des Urteils sind, dann muss das Ermittlungsverfahren in bestimmter Weise gestaltet sein. Der Diskussionsentwurf 1998 hatte wesentlich andere Regelungen als der vorliegende Entwurf. Er hielt wesentliche Teile des Ermittlungsverfahrens von der Hauptverhandlung fern. Er sah eine Teilung in Erkundigungen und Vernehmungen vor; Vernehmungen waren formell, Erkundigungen der Polizei oder des Staatsanwalts waren informelle Informationen. Es fand sich die Bestimmung, dass die Ergebnisse der Erkundigungen in der Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit nicht als Beweis verwendet werden dürfen. Diese Bestimmung fehlt heute, sie dürfen verwendet werden, es gibt dabei nur eine etwas verwaschene Umgehungsregelung. Das heißt, der Entwurf trägt der Erkenntnis Rechnung, dass die Ergebnisse verwertet werden. Aber dann ergeben sich eben die Bedenken hinsichtlich der Stellung des Staatsanwalts.
Der Diskussionsentwurf sah eine Reihe von absoluten Rechten der Parteien vor, sich zu beteiligen. Heute etwa hat der Beschuldigte – und der Verteidiger – das absolute Recht, an einem Augenschein oder an einer Hausdurchsuchung teilzunehmen, und zwar nicht nur an einer Hausdurchsuchung, die bei ihm stattfindet, sondern auch bei einer anderen. Das heutige Gesetz aus dem Jahr 1873 besagt: damit der Beschuldigte Gegenstände bezeichnen kann, auf die die Untersuchung ausgedehnt werden soll. Wenn wesentliche Beweise erhoben werden, dann muss es eine bestimmte Beteiligung geben; dass man in der Hauptverhandlung mit den Ergebnissen konfrontiert wird, hilft überhaupt nichts mehr. Dieses absolute Recht fehlt im Entwurf. Es besteht nur für die Tatrekonstruktion und für die Befundaufnahme des Sachverständigen ein Recht, und sonst nicht mehr. Was mir also fehlt, ist die Balance der Regelungen zwischen Einfließen in die Hauptverhandlung und konkreter Ausgestaltung der Beteiligungsrechte.
Das mag übrigens auch für das Opfer in gewisser Weise gelten. Ich bitte nur, zu bedenken, dass das Opfer in einem Strafprozess in verschiedener Weise Opfer sein kann. Man denke etwa an das Opfer eines Überfalls oder eines Sexualdelikts. Es gibt auch andere Opfer oder potenzielle Opfer. Das Strafverfahren wird im wirtschaftlichen Kampf zunehmend auch als Machtinstrument verwendet, und der Anzeiger, der versucht, ein Verfahren gegen jemanden einzuleiten – sei es gegen einen Konkurrenten, sei es gegen einen leitenden Angestellten, den man loswerden möchte –, ist in der Definition des Strafprozesses das Opfer. Ich bitte, bei der Umschreibung der Opferrechte auch dies immer zu bedenken. Was den Beschuldigten betrifft, so ist er dabei natürlich immer in einer bestimmten Weise betroffen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, welche meine zentralen Bedenken sind. Erstens: Der Entwurf spaltet im Ermittlungsverfahren faktische Macht und theoretische Verantwortung, und das scheint mir grundsätzlich für die Organisation eines Prozesses nicht günstig zu sein. Zweitens: Er schafft im Vorverfahren, im Ermittlungsverfahren den Staatsanwalt in einer Doppelrolle, die er derzeit nicht hat und die er eigentlich nicht haben sollte. Drittens: Er nennt nicht die wichtigste Funktion, oder jedenfalls eine gleich wichtige Funktion des Vorverfahrens, nämlich die Ermittlung von Beweisen, die letztlich in der Hauptverhandlung verwendet werden können.
Meine Bedenken gegen den Entwurf sind derzeit größer als jene gegen das Regelungsdefizit der gegenwärtigen Strafprozessordnung. Ich glaube, man sollte bei der Reform davon ausgehen, dass wir ein funktionierendes und weitgehend auch konzentriertes, auf weitgehende Zustimmung stoßendes System haben. Im Grund könnte man die Mängel heute bereits durch Analogie beheben, indem man einfach die Regeln, die für einzelne Bereiche vorgesehen sind, anwendet. Freilich mag das gewisse Unzulänglichkeiten bedeuten, sodass ich auch bitte, eine kleine Reform durchzuführen, die in die Richtung geht, die Mängel zu beseitigen, aber sich nicht durch eine neue Struktur – eine ungeeignete Struktur; es mag im amerikanischen System so ähnlich möglich sein, aber das ist nicht unsere Tradition – Schwierigkeiten einzuhandeln.
Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Herr Professor Fuchs, ich möchte direkt auf Sie eingehen, und zwar mit einer Bitte. Die Sitzung hat begonnen mit dem allgemeinen Wunsch – der selbstverständlich ist –: Die Legisten sollen flexibel sein. Die Frage ist jetzt: Darf man das auch von den Kritikern erwarten? – Denn nur wenn wir beide flexibel sind, werden wir von diesem Gespräch etwas haben. Dazu gehört aber, dass man den Legisten die Möglichkeit gibt, das, was die hohe Wissenschaft sagt, auch zu verwerten.
Herr Professor, Sie haben gesagt – und ich glaube, dass das durch das Stenographische Protokoll belegt werden wird –:
Punkt eins, die Stellung des Staatsanwaltes ist schwach, weil er unter Umständen schriftliche Anweisungen geben muss – auf Verlangen, was ja das Selbstverständlichste von der Welt ist, was seit 1986 bei uns funktioniert und unseren Rechtsstaat auch untermauert –, die Macht liegt bei den Sicherheitsbehörden, die Verantwortung beim StA, und das Ganze ist eine organisierte Unverantwortlichkeit. (Prof. Dr. Fuchs: Die Begründung, habe ich gesagt! Nicht schriftliche Anweisungen als solche!) – Der Unterschied ist minimal; es war mein Risiko, dass Sie ein Wort entdecken, das Sie anders gesagt haben. Sinngemäß habe ich es richtig zitiert.
Punkt zwei, Zweck des Ermittlungsverfahrens: die Stellung des Staatsanwaltes ist zu stark – das ist das Gegenteil. Er trägt die Verantwortung. Sie sehen inquisitorische Elemente; beim Untersuchungsrichter finden Sie keine, weil dies Ausfluss des Anklageprinzips ist.
Ich glaube, Sie haben damit zwar eine wunderbare Kritik für die Medien gegeben, aber den Legisten keine wirkliche Möglichkeit der gedanklichen Verwertung, weil der Widerspruch einfach zu groß ist. Sie sagen, es fehlt die Balance, und erinnern daran, dass der Beschuldigte nicht bei der Hausdurchsuchung dabei sein kann, das fehle im Entwurf – ich zitiere Sie. Wir sagen – und das ist unsere Bitte um Flexibilität –, man möge auch § 121 Abs. 2 des Entwurfes beachten, in dem genau das steht, was Sie vermissen.
Ich bitte also im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung des Gespräches darum, dass man den Legisten die Möglichkeit gibt, dies auch wirklich nachzuvollziehen und einzubauen, denn der gute Wille dazu ist vorhanden. Dies ist jedoch unmöglich, wenn man sich so sehr widerspricht. (Prof. Dr. Fuchs: Frau Vorsitzende! ... zur Richtigkeit etwas sagen? – Abg. Dr. Jarolim: Zur Geschäftsordnung!)
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Die Geschäftsordnung für diesen Unterausschuss ist sehr klar festgelegt: Es gibt hier keine Zwiegespräche und auch keine sofortige Replik, mit Ausnahme dessen, dass der Herr Minister das Recht hat, sich jederzeit zu Wort zu melden. Alle anderen Wortmeldungen sind in der Reihenfolge, die ich hier vorliegen habe, abzuarbeiten. Daher gelangt zwar jetzt Herr Abgeordneter Jarolim zur Geschäftsordnung noch einmal zu Wort, anschließend ist der Nächste in der Rednerliste Herr Abgeordneter Miedl. (Bundesminister Dr. Böhmdorfer: Ich bin noch nicht ganz fertig!) – Bitte, Herr Bundesminister.
Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer (fortsetzend): Ich dehne meine Bitte auf Herrn Professor Burgstaller aus. Sie haben gesagt, die Beschwerdemöglichkeiten gegen angebliche oder behauptete Übergriffe der Polizei sind Ihnen zu sehr ausgeweitet – das ist Ihre inhaltliche Kritik gewesen –, im Übrigen sei die polizeiliche Ermittlung ganz gut geregelt – sinngemäß zitiert –, bei etwas zu viel Rechtsschutz. Jetzt bitte ich wieder, die Flexibilität zu beachten, die wir benötigen, um dies zu verarbeiten. Man muss hier auch um wissenschaftliche Vollständigkeit bitten, mit dem Hinweis darauf, wie es jetzt aussieht, nämlich dass über den UVS nur bei behaupteten polizeilichen Übergriffen die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes angerufen werden können. – Herr Professor, bitte sagen Sie auch, ob das besser ist und welche andere Alternative als die der Anrufung des Gerichtes die Legisten hätten!
Was die Kosten anbelangt, möchte ich Folgendes sagen. Ich persönlich halte es für selbstverständlich – da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Abgeordnete Stoisits –, dass die Republik Österreich, wenn das Parlament das Gesetz beschließt – was ja nicht ohne die Regierungsparteien möglich sein wird –, auch die notwendigen Mittel etwa im personellen Bereich zur Verfügung stellt, um sich den notwendigen Nachholbedarf an Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit zu leisten. Das ist auch mein Standpunkt in der Regierung, und an der Konsequenz dieses Standpunktes führt kein Weg vorbei. Ich bitte wieder um Flexibilität und bitte, nicht mit Horrorzahlen aus Deutschland, die niemand näher begründen kann, zu argumentieren. Richtig kalkulieren wird man erst können, wenn der endgültige Text vorliegt. Die Bereitschaft des Ministeriums ist vorhanden, das „Übermaß“ an Rechtsschutz zurückzunehmen – wenn es ein solches überhaupt gibt. Ich bin allerdings schon älter und habe noch Herrn Professor Graßberger in Erinnerung, der uns sehr auf die Notwendigkeit dieses Rechtsschutzes hingewiesen hat, meiner Erinnerung nach mehr, als Sie dies heute getan haben, Herr Professor. Aber da wird sich sicherlich ein Weg finden. Mit anderen Worten: An den Kosten darf es nicht scheitern.
Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Zurückkommend auf die vom Minister angesprochene Visitenkarte für Justizpolitik möchte ich festhalten, dass der Minister kein Recht hat, hier Qualifikationen abzugeben beziehungsweise Teilnehmer zu maßregeln! Ich bitte daher den Minister, gegenüber den Expertinnen und Experten nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie in ihrem Rederecht in irgendeiner Weise eingeschränkt sind oder Verpflichtungen haben, in die eine oder andere Richtung vorzugehen. Sie haben unumstößlich nach dem Prinzip der Freiheit der Lehre das vorzubringen, was sie vorzubringen haben. Wenn nachher gesagt wird: „das haben Sie jetzt für die Journalisten erklärt und nicht inhaltlich“, ist das geschäftsordnungswidrig.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Abgeordneter Jarolim, bitte halten Sie sich an die Geschäftsordnung. Lassen Sie sich in die Rednerliste eintragen und machen Sie nicht unter Missbrauch der Geschäftsordnung Debattenbeiträge. (Abg. Dr. Jarolim: Dann müssen Sie den Vorsitz so führen, dass solche Meldungen nicht notwendig sind!)
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Miedl.
Abgeordneter Werner Miedl (ÖVP): Herr Kollege Jarolim, das ist jetzt, glaube ich, die dritte Wortmeldung zur Geschäftsordnung, und ich persönlich fühle mich durch Ihre Wortmeldung am Fortgang der Diskussion behindert. Ich habe bei weitem nicht den Eindruck, dass der Minister Maßregelungen austeilt, wenngleich ich gerne die interessante Diskussion zwischen Professor Fuchs und dem Herrn Minister fortgesetzt wissen wollte. Als Abgeordneter des Hauses, der einen ganz schmalen Zugang hat zu dem hochinteressanten Bereich, den Sie als Professionisten vertreten, höre ich dieser Diskussion so gerne zu, weil ich viel erfahre. Ich halte diese Diskussion für sehr politisch und möchte darin niemanden eingeschränkt wissen. Die Tatsache, dass wir heute dieses Forum stattfinden lassen, beweist, dass nicht nur der Herr Minister, sondern wir alle höchstes Interesse an einer solchen Diskussion haben.
Meinem bescheidenen Wissen nach währt diese Diskussion schon sehr lange, es gibt bereits Reformen innerhalb der Exekutive, die ich bestens kenne, mit verfolge und mit gestalte. Ich weiß, dass als nächster Schritt Reformen auch im Bereich des Vorverfahrens im gesamten Justizwesen notwendig sind. Gleichzeitig sage ich Ihnen, dass es wahrscheinlich der sensibelste Punkt in einer Demokratie ist, sozusagen am Rädchen des Justizwesens zu drehen. Daher kommt vielleicht auch die Aufgeregtheit in allen Fraktionen. Ich behaupte, es wird sich etwas ändern müssen, und es sollten persönliche Befindlichkeiten von Berufsgruppen, die selbstverständlich auch eine Rolle spielen, vom Materiell-inhaltlichen getrennt werden. Falls nötig, bitte ich alle Koryphäen, die später zu Wort kommen werden, mich zu korrigieren.
Der erste Punkt, der mir als Abgeordnetem am Herzen liegt – ich bin Exekutivbeamter und komme aus Graz –, ist der Wunsch nach einem effizienten, glasklaren und transparenten Verfahren. Ich wünsche mir möglichst großen Schutz der Opfer und der Rechte, die die Betroffenen haben. Meiner Ansicht nach ist eine Diskussion dann verkürzt und vielleicht opportunistisch, wenn eine Fraktion fordert, die „Zuckerln“, die sich politisch leicht verkaufen lassen, aus der Diskussion herauszunehmen und durchzuführen, hingegen alles andere zu unterlassen. Das ist nicht ernst gemeint und nicht ehrlich.
Ich meine, wir werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich öfter an diesem Rädchen zu drehen habe, als uns lieb ist. Die Kriminalität, auch die grenzüberschreitende, entwickelt sich, und wir dürfen keine Diskussionen hinter Zäunen abhalten. Ich vermute, dass die Verfahren möglichst kompatibel mit jenen in umliegenden europäischen Staaten zu gestalten sein werden.
Wenn wir uns ein einheitliches Vorverfahren mit einheitlichem Rechtsschutz wünschen, dann halte ich diesen Entwurf so, wie er vorliegt, für geeignet. Ich gebe denjenigen Recht, die sagen: da ist er überzogen, und dort geschieht zu wenig. Den Widerspruch, den der Minister im Debattenbeitrag von Professor Fuchs gefunden hat, habe auch ich gefunden, daher lechze ich nach einer Erklärung.
Ich bin dankbar für den hoch professionellen Entwurf und orte auch einen Regelungsbedarf im kriminalpolizeilichen Handeln. Dort muss etwas getan werden, dieses hat sich sehr frei entwickelt.
Meine Bitte ist, uns auch darüber Klarheit zu verschaffen, wann es um Befindlichkeiten einer Berufsgruppe geht – die wir sehr ernst zu nehmen haben – und wann der Entwurf Anlass zu inhaltlichen Bedenken gibt. Da bitte ich Sie, auf unser Nichtwissen Bedacht zu nehmen.
Universitätsdozent Rechtsanwalt Dr. Richard Soyer: Ganz kurz zur Gliederung: Ich werde zuerst allgemein etwas sagen, danach eine Grundpositionierung darlegen und zuletzt zwei oder drei Kritikpunkte äußern.
Ich bin nicht, wie Herr Sektionschef Miklau, seit 30 Jahren an der Diskussion beteiligt, aber immerhin schon seit über zehn Jahren, und kann mich gut daran erinnern, dass Ende der achtziger Jahre die Diskussion über die Reformnotwendigkeit sich an zwei Eckpunkten festmachte. Einerseits wurde zu Recht die Kluft zwischen Theorie und Praxis beklagt und eine Verrechtlichung des Polizeihandelns im Dienste der Strafjustiz gefordert. Ein zweiter Eckpunkt war, dass – nicht nur – von Seiten der Anwaltschaft ein Ausbau der Verteidigungsrechte massiv gefordert wurde.
Ich habe seinerzeit mit Herrn Dr. Schuppich, bei dem ich auch Rechtsanwaltsanwärter war, einen Sammelband herausgegeben, der sich „Vorverfahren und Verteidigungsrechte“ betitelte. Wir waren damals der festen Überzeugung, dass der Eckpunkt für die Reform des Vorverfahrens die Verteidigungsrechte zu sein haben. Ich glaube heute, dass es in diesen Punkten, was die Ursachen für die Reformnotwendigkeit betrifft, kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch geben sollte. Sosehr außer Streit steht, dass das polizeiliche Vorverfahren zu verrechtlichen ist, so sehr glaube ich auch, dass nach wie vor und gerade angesichts dieser Regierungsvorlage ein Ausbau, eine Effektuierung der Verteidigungsrechte notwendig ist.
Folge der Diskussion zu Beginn der neunziger Jahre war eine Entwicklung, die ich hier nur ganz kurz ansprechen möchte. Im vergangenen Jahr hat sich in Österreich sehr spät, aber doch eine Strafverteidigervereinigung konstituiert, die den ersten Strafverteidigertag abgehalten hat. Damit ist – das möchte ich deshalb auch hier einbringen, weil ich derjenige bin, der auf der Liste der Experten ohne Bezeichnung angeführt ist – in gewisser Weise auch meine Doppelfunktion hier verbunden: Einerseits bin ich als Dozent und Rechtsanwalt eingeladen worden, andererseits bin ich aber auch Sprecher dieser Strafverteidigervereinigung und möchte dieses Faktum offen legen, bevor ich mich zu dieser Reform äußere.
Meine Grundposition und auch die Grundposition der Vereinigung, für die ich spreche – auch Kollege Ruhri, der neben mir sitzt, ist für diese Vereinigung hier –, ist eine im Grundsätzlichen positive Grundhaltung zur Regierungsvorlage. Ich meine mich hier ganz wesentlich von bisherigen Redebeiträgen zu unterscheiden. Das möchte ich deshalb deutlich machen, weil ich jene Stellungnahmen, die sagen: Thema und Gegenstand dieses Ausschusses ist die vorliegende Regierungsvorlage, für sehr zielführend halte. Ich begrüße explizit die neue Struktur des Vorverfahrens, ich halte den Entwurf in vielen Punkten für sehr gelungen und auf der Höhe seiner Zeit. Ich bin ein vehementer Befürworter der Abschaffung der Voruntersuchung, und ich bin – obwohl ich Verteidiger bin, und das mit Leib und Seele! – für einen Ausbau der Stellung des Staatsanwaltes.
Derzeit ist die Strafverteidigung in Österreich und sind alle diejenigen, die mit der Strafjustiz zu tun haben, in Wirklichkeit – ich sage dies bewusst, und es ist eine etwas überspitzte Formulierung – mit drei Strafverfolgungsorganen konfrontiert: mit der Polizei, mit dem Staatsanwalt und mit dem Untersuchungsrichter. Die Entlastung des Untersuchungsrichters von Ermittlungsaufgaben und die Stärkung des Staatsanwaltes wird dazu führen, dass sich das Kräfteparallelogramm in diesem Verfahren grundlegend ändert. Das ist mir viel, viel wichtiger, als jetzt sozusagen einzelne Haare in der Suppe zu suchen, von denen es natürlich genug gibt. Ich begrüße daher die grundsätzliche Ausrichtung dieses Entwurfs.
Andererseits teile ich auch – und damit möchte ich eine kurze Stellungnahme zu der Kontroverse zwischen Professor Fuchs und Herrn Bundesminister Böhmdorfer abgeben – die Detailkritik, wie sie Fuchs hier geäußert hat. Ich meine, dass eine Begründungspflicht für Anordnungen der Staatsanwälte absolut nicht am Platze ist. Ich meine auch, dass der Diskussionsentwurf 1998 mit seiner herausragenden Verwertungsverbotsregelung genau jene Balance hatte, die in der Regierungsvorlage verloren gegangen ist. Ich glaube aber ganz konträr zu Professor Fuchs, dass seine Conclusio, seine Grundeinschätzung die Realität des Strafverfahrens völlig verkennt. Die Defizite, mit denen das Strafverfahren in Österreich heute verbunden ist, sind derart enorm, dass es einfach notwendig ist, hier nicht nur kleine Adjustierungen vorzunehmen, sondern grundlegende Änderungen durchzuführen.
Damit bin ich aus meiner Sicht beim Hauptkritikpunkt. Die Vorentwürfe, sowohl der Diskussionsentwurf als auch die Regierungsvorlage, waren in einem zentralen Bereich viel innovativer und, wenn Sie so wollen, viel rechtsstaatlicher, nämlich dort, wo es darum gegangen ist, der Effektuierung der Rolle der Staatsanwaltschaft und der Sicherheitsbehörde auf der einen Seite eine effektive Verteidigung gegenüberzustellen. Ich meine, dass diese These den Ausschuss leiten sollte, und ich möchte nur ganz kurz drei Gedanken äußern, so klar mir dies möglich ist, weil mir das besonders wichtig ist.
Die Europäische Kommission hat im Februar 2003 ein Grünbuch über Verfahrensgarantien im Strafverfahren herausgegeben. In diesem Grünbuch gibt es eine zentrale Aussage, die ich jetzt zitieren werde: „Nach Dafürhalten der Kommission kommt zwar allen Rechten, die den Begriff der Verfahrensgarantien ausfüllen, große Bedeutung zu, doch sind einige dieser Rechte so wesentlich, dass ihnen nach dem gegenwärtigen Stand Vorrang eingeräumt werden sollte. Zu nennen wäre als Erstes das Recht auf rechtlichen Beistand und Vertretung. Hat ein Angeklagter keinen Rechtsanwalt, ist damit zu rechnen, dass er seine Rechte nicht genau kennt und diese deshalb nicht durchsetzen kann. Auf diesem Recht bauen nach Ansicht der Kommission alle anderen Rechte auf.“ – Das ist eine Grundaussage, die ich für absolut notwendig halte, weil wir in Österreich einen Verteidigerbeistand in einer Phase im Vorverfahren zulassen, in der die wichtigen Weichenstellungen in Wirklichkeit bereits erfolgt sind.
Der vorliegende Entwurf schließt sich in diesem Punkt der gegenwärtigen Rechtslage an, ja er geht, wenn man sich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vergegenwärtigt, eigentlich zurück. Es kann nicht so sein, wie es im § 164 Abs. 2 zweiter Satz steht: „Von der Beiziehung einer Vertrauensperson kann jedoch abgesehen werden, soweit auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass ihre Anwesenheit Ermittlungen beeinträchtigen könnte.“ Das mag für Vertrauenspersonen gelten, die nicht Rechtsanwälte sind, das ist aber inakzeptabel, wenn es sich bei dieser Vertrauensperson um einen Rechtsanwalt handelt. Selbst wenn ich eine solche Regelung vorsehe, so müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass dann ein anderer Anwalt unverzüglich diese Funktion einnimmt. Ich meine, dass diese Verwässerung eines grundlegende Rechtes nicht akzeptabel ist.
Genauso wenig ist es akzeptabel, dass die Verteidigerkontakte, wie es in § 59 Abs. 1 und 2 formuliert ist, praktisch – ich möchte nicht sagen, grenzenlos, aber zumindest in einer Art und Weise überwacht werden können, dass Beschuldigten, Verdächtigten das Grundrecht vorenthalten wird, um das es geht, nämlich dass sie ein Vertrauensverhältnis mit einem Anwalt haben können, um sich zu verteidigen.
Ein zweiter Punkt, den ich jetzt nicht explizieren werde, der aber genauso wichtig ist, ist die Tatsache, dass wir in Österreich derzeit eine Art Zwei-Klassen-System haben. Wir haben ein Verfahrenshilfesystem für mittellose Personen, das ineffizient ist. Und nun wird in der Regierungsvorlage vorgeschlagen, die Pflichtverteidigung abzuschaffen. Ich halte das für inakzeptabel und werde das später gerne explizieren.
Abschließend möchte ich noch einmal deutlich machen, dass ich die Bemerkung des Herrn Bundesministers, wonach Kritiker flexibel sein sollen, gerne aufgreife. Ich halte das auch für die Stoßrichtung, und ich meine, dass diese zwei Eingangsgedanken jene zentralen Aspekte sein sollten, denen der Ausschuss seine Aufmerksamkeit schenken möge.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Christian Bertel (Institut für Strafrecht und sonstige Kriminalwissenschaften, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck): Über die Struktur des neuen Vorverfahrens, das Modell, lässt sich reden. Aus dem Entwurf kann durchaus etwas Brauchbares werden, aber in der vorliegenden Form weist er einige schwere Mängel auf. Ich greife drei Punkte heraus.
Das eine ist die schon kritisierte schwache Stellung des Staatsanwalts. Die Zahl der Staatsanwälte ist in Österreich traditionell gering, viel geringer als in anderen Ländern. Dazu kommt, dass die Regierungsvorlage dem Staatsanwalt weitere vermeidbare Mehrarbeit aufbürdet: von der Begründungspflicht war schon die Rede; ferner hat der Staatsanwalt laut Regierungsvorlage keine Möglichkeit, sich zu vergewissern, ob die Polizei objektiv und vollständig ermittelt hat. Auch das ist ungewöhnlich, auch das gibt es in anderen Ländern nicht. Wenn der Staatsanwalt schon nicht den Richter heranziehen kann, um die eine oder andere Beweisaufnahme durchzuführen, stehen ihm in anderen Ländern Kriminalbeamte zur Verfügung, die ihm unmittelbar unterstellt sind, die er individuell so, wie er will, einsetzen kann.
Ein schwacher Staatsanwalt wird zu einem Ermittlungsdefizit führen, das wird sich in vielen Bereichen auswirken. Ich nenne jetzt nur ein Beispiel, nämlich die Fälle, in denen Polizeibeamte in Verdacht geraten, Gefangene misshandelt oder genötigt zu haben. Durch einen Erlass aus dem Jahr 1999 hat das Justizministerium den Staatsanwälten eingeschärft, dass sie in solchen Fällen Ermittlungen durch den Richter anzustellen haben. Ich habe leitende Exekutivbeamte gehört, die mir versichert haben, sie seien dankbar für diesen Erlass, weil er es ihnen erleichtert, in ihren Reihen für Ordnung zu sorgen. Es mag andere solche Fälle auch noch geben, das sind die Fälle mit politischen Implikationen, die schon genannt worden sind. An einem schwachen Staatsanwalt kann niemand interessiert sein.
Der zweite Punkt, den ich kurz erwähnen möchte, ist die Verteidigung. Eine große Strafprozessreform muss danach trachten, wenigstens die gröbsten Unzukömmlichkeiten, die in diesem Bereich bestehen, zu beseitigen. Ich nenne einige Stichworte, zunächst die Anwesenheit des Verteidigers bei einem Augenschein. Wenn die Polizei den Tatort im Vorverfahren besichtigt, wird das Protokoll darüber in der Verhandlung verlesen. Der Verteidiger war im Vorverfahren nicht dabei, was dort alles übersehen worden ist, weiß er nicht. Er sollte schon im Vorverfahren dabei sein können.
Ein anderes Stichwort ist das Recht auf Akteneinsicht. Es wird den Verteidigern oft über Gebühr beeinträchtigt, die Klagen sind uralt. Auch da sind Verbesserungen möglich, zumindest in den Fällen, in denen der Beschuldigte in Haft ist und sein Wissen nicht zur Sabotage der Ermittlungen missbrauchen kann.
Ein weiteres Stichwort ist der Sachverständige. Er gibt in der Hauptverhandlung ein Orakel ab, gegen das der Verteidiger kaum etwas ausrichten kann. Da sind ebenfalls Verbesserungen möglich, zum Beispiel indem man den Einfluss des Verteidigers auf die Auswahl des Sachverständigen etwas vermehrt.
Ein Hauptpunkt sind die Grundrechtseingriffe, insbesondere die Verhängung der Untersuchungshaft. Wir wissen ja, dass die Zahl der Untersuchungsgefangenen bedrohlicherweise ansteigt; man sollte alle Vorkehrungen treffen, um zu vermeiden, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Das Allermindeste, was man auf diesem Gebiet leisten muss, ist, dass man dem Richter, der über die Verhängung der Untersuchungshaft entscheidet, die Möglichkeit gibt, von der Polizei ergänzende Auskünfte zu verlangen, allenfalls selbst nach dem Telefonhörer zu greifen und das eine oder andere aufzuklären. Untersuchungsrichter in den Bundesländern tun das auch, und ich glaube, dass dort, wo das geschieht, die Zahl der Untersuchungsgefangenen auch deutlich geringer ist.
Im Zusammenhang damit steht die Lage des Festgenommenen. In Österreich kann es vier Tage dauern, bis der Festgenommene einen Richter zu sehen bekommt, der über eine Enthaftung oder über eine Verhängung der Untersuchungshaft entscheidet. Das entspricht weder der Menschenrechtskonvention noch dem internationalen Standard. Indiskutabel und unannehmbar ist, dass die Polizei in den ersten 48 Stunden, da sie den Beschuldigten bei sich behalten darf, den Kontakt mit dem Verteidiger weitgehend beschränken kann. Ich kann hier auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verweisen, der neuerdings bemüht ist, sich dem internationalen Standard anzupassen, und darauf hinarbeitet, die Rechte des Beschuldigten im Polizeigewahrsam zu verbessern. Das Innenministerium ist jetzt bemüht, dieses Erkenntnis allmählich durchzusetzen. Wenn die Regierungsvorlage in der vorliegenden Form Gesetz wird, ist diesen Bemühungen der Boden entzogen. Gerade weil es Verwaltungsgerichtshofentscheidungen gibt, die sich in dieser Weise bemühen, halte ich es für gar nicht so schlecht, dass sich der Betroffene gegen Polizeiübergriffe an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts wenden darf.
Eine kurze Zusammenfassung. – Der Entwurf kann gut werden. Er müsste verbessert werden: die Stellung des Staatsanwalts, die Situation des Verteidigers, das Recht der Untersuchungshaft und das Recht der Festnahme. Wenn Verbesserungen kommen, wird der Entwurf ein Fortschritt sein. Wenn er so in Kraft tritt, wie er jetzt ist, dann ist er ganz bestimmt kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt, im besten Fall eine Kodifikation bestehender Unzukömmlichkeiten.
Staatsanwalt Hofrat Dr. Walter Nemec (Staatsanwaltschaft Wien): Ich empfinde es als Auszeichnung, dass ich in diesem Gremium als Sachverständiger beigezogen werde, und führe es darauf zurück, dass ich wahrscheinlich zu den Ältesten gehöre und am längsten in der Strafrechtspflege – materielles und prozessuales Recht – tätig war. Als Mitglied der Vereinigung der Staatsanwälte habe ich durch viele Jahre an der Entwicklung der Strafprozessreform teilgenommen und weiß daher, wie diese Entwicklung begonnen hat.
Ausgangspunkt war, dass ein Defizit bestanden hat – das muss man allgemein anerkennen – über die Einbindung der tatsächlichen Ermittlungsorgane, nämlich der Sicherheitsbehörden, der Kriminalpolizei. Alles, was von Seiten des Ministeriums über die tatsächliche Entwicklung vom Untersuchungsrichtermodell weg und hin zur tatsächlichen Leitung und Führung der Ermittlung durch die Kriminalpolizei gesagt worden ist, muss man unterstreichen. Es war ein eminentes Bedürfnis, hier Regelungen zu schaffen, die diese Tätigkeit von einer Verwaltungsbehörde, der Polizei, in das Verfahren der Justiz bringen sollte. Das war die ursprüngliche Zielsetzung. Nicht daran gedacht war, Regelungen zu beseitigen, die in Österreich ein bewährtes und effizientes Strafverfahren ermöglicht haben, und Strukturen zu beseitigen, die ganz allgemein in der Bevölkerung den Eindruck hinterlassen haben: hier wird in objektiver Weise Recht gesprochen, und es ist in angemessener Weise auch jene Instanz in das Ermittlungsverfahren eingebunden, die für solche Objektivität sorgt, nämlich der Richter, egal in welcher Bezeichnung.
Ganz sicher ist – auch darin muss man das Ministerium und den Entwurf unterstützen –, dass die Voruntersuchung abgeschafft gehört. Die Voruntersuchung als Beschränkung der Leitungsbefugnis des Staatsanwaltes, als Übertragung der Leitungsfunktion an den Richter, der objektiv ermitteln soll, ist anachronistisch und gehört beseitigt. Aber der Entwurf tut viel mehr. Er beseitigt nicht die Voruntersuchung, sondern er schafft die objektive Instanz für Ermittlungen generell ab.
Richtig ist, dass das Schwergewicht der Ermittlungen bei der Kriminalpolizei liegen muss. Das ist eine tatsächliche und auch Entwicklung, weil dort die technischen und personellen Möglichkeiten liegen, Sachverhalte objektiv aufzuklären, und zwar mit den Mitteln, die dem Gericht nur mittelbar, durch Einbindung dieser Instanzen, zur Verfügung stehen. Es werden damit aber alle Möglichkeiten beseitigt, sich dort, wo es um personale Beweismittel geht, jener Instanz zu bedienen, die anerkanntermaßen unabhängig und objektiv ist. Das ist ein Mangel, der nicht verwechselt werden darf mit dem Voruntersuchungsmodell. Der Untersuchungsrichter soll als jene zugleich Rechtsschutz gewährende Instanz eingesetzt werden, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass Vernehmungen nicht nur wirklich, sondern auch dem äußeren Anschein nach in einer Bahn und in einem Rahmen ablaufen, der Objektivität und Wahrung der Interessen der betroffenen Vernommenen sichert. In diesem Umfang – das habe ich auch den Redebeiträgen von Professor Burgstaller und Professor Fuchs entnommen – ist die generelle Beseitigung des Untersuchungsrichters etwas, was diesem Entwurf als Mangel anhaftet und was daher verbessert gehört.
Damit hängt aber auch die Position des Staatsanwaltes im Vorverfahren eng zusammen. Richtig ist, dass dem Staatsanwalt schon bisher die Leitungsbefugnis zugekommen ist, die ausdrückliche Hervorhebung im Entwurf ist nichts anderes als eine rechtliche Verdeutlichung über einen bestehenden Zustand. Leitungsbefugnis heißt aber nicht, die Aktivität unmittelbar auszuüben, sondern das heißt, das Potenzial zu steuern und richtig einzusetzen, vorzugeben, was geschehen soll, durch Logistik, nicht durch tatsächliches Gestalten der Beweisaufnahme. Die Position des Staatsanwaltes im Vorverfahren – auch das haben wir schon gehört – ist in weiten Bereichen durch die Entwicklung, aber auch schon durch die ursprüngliche Gestaltung mit seiner Entscheidung über Verfolgung oder Einstellung des Verfahrens in einen Bereich gerückt, der dem des Richters nahe kommt oder möglicherweise sogar gleichkommt. Das wird dadurch unterstrichen, dass Staatsanwalt ja nur werden kann, wer aus dem Richterberuf kommt, daher diese Funktion wahrgenommen hat und die Entscheidungstätigkeit des Richters selbst einmal ausgeübt hat.
Die Entscheidungstätigkeit soll aber dort, wo es sich um ein Verfahren handelt, das nicht weiter parteizugänglich ist, nicht in die Hand desjenigen gegeben werden, der selbst entscheidet. Der Staatsanwalt soll anordnen können, welche Beweise er braucht, er soll das Verfahren in diesem Umfang leiten, er soll die Möglichkeit haben, den Ermittlungsorganen – die da sind: die Kriminalpolizei im Regelfall, in Ausnahmefällen der Richter – Aufträge zu geben, welche Beweismittel er erhoben haben will, und er soll dann unbefangen, im weitesten Sinn objektiv und unabhängig über diese Beweismittel entscheiden können, nicht in der Position jemandes, der diese Beweismittel selbst geschaffen hat, ihr Zustandekommen verantwortet und der Kritik darüber ausgesetzt sein kann, wie diese Beweismittel zustande gekommen sind. Insofern ist die Ausschaltung des Untersuchungsrichters auch mit Rückwirkungen auf die Position des Staatsanwaltes versehen, der in diesem Umfang richterliche Funktionen der Ermittlung übernehmen soll, ohne mit den Garantien des Richters, seiner Unabhängigkeit und seiner Objektivität ausgestattet zu sein.
Da ich den Vergleich gehört habe, man kann nicht aus einem gesamten Räderwerk ein Rädchen herausnehmen, sonst funktioniert alles andere nicht, möchte ich dem entgegenhalten, dass ich vielleicht komplette Teile sowie integrierte Schaltkreise herausnehme, damit das Funktionieren aufrechterhalte, aber dem Getriebe eine andere Übersetzung gebe. Diese andere Übersetzung sollte in die Richtung gehen, dass wir das, was wir bis jetzt als positive Gestaltungsmöglichkeit des Prozesses haben, bewahren können. Ich möchte hinzufügen, dass die Entwicklung natürlich auch in anderen Ländern dahin geht, eine etwas veränderte Position des Staatsanwaltes einzuführen. Tatsache ist aber, dass alle Länder, die eine solche veränderte Durchführung des Prozesses im Vorverfahren haben, Österreich beneiden um die Art und Weise, wie es sein Vorverfahren abwickelt und zu Entscheidungen kommt. Auch das hat mit dem Opferschutzgedanken zu tun. Je besser, je schneller, je reaktiver ein solches Verfahren abgeführt werden kann, desto mehr wird auch der Opferschutzgedanke verwirklicht.
Raschheit des Verfahrens bedeutet aber auch, dass ich ein solches Vorverfahren nicht mit einer Vielzahl von Rechtsmitteln überfrachten kann. Rechtsbehelfe zur Sicherung eines mit den Regelungen konformen Verfahrens sind sicher notwendig, sie müssen aber nicht vielstufig ausgebaut sein und von einem Einspruch bis zu mehreren gerichtlichen Instanzen führen. Es wird reichen, solche Dinge mit einem einfachen Einspruch zu regeln, auch dort, wo es sich durch Leitungsfragen vermeiden lässt, andere Geschehnisse herbeizuführen. Es wird im Sinne eines Rechtsschutzes ausreichen, eine Regelung zu finden, die verfassungskonform die Einbindung der Tätigkeit einer anderen Behörde, nämlich der Verwaltungsbehörde, in den Rahmen der Justiz als ein justizielles Verfahren sicherstellt und damit die Möglichkeit schafft, die Kontrolle über die inhaltliche Tätigkeit der ermittelnden Instanzen an das Gericht zu übertragen. Wo der Richter unmittelbar tätig wird, ist diese Kontrolle durch das Rechtsmittel in der bewährten Form ohnehin schon geschehen.
Unter diesem Aspekt kann ich als Praktiker nur sagen, dass es eine unglaubliche Leistung gewesen ist, einen solchen Gesetzentwurf zu schaffen, vor allem deswegen, weil die Notwendigkeit bestanden hat, eine Regelung darüber herbeizuführen, wie die Kriminalpolizei tätig werden soll. Das wird durch dieses Verwaltungsgerichtshoferkenntnis unterstrichen, weil da der Widerspruch zwischen Verwaltungsstrafverfahren und gerichtlichem Strafverfahren sowie die Geltung von Normen für die Kriminalpolizei auch im Dienste der Strafrechtspflege und der gerichtlichen Tätigkeit deutlich gemacht worden ist. Wenn dieser Grundgedanke verwirklicht werden kann, so wird ungeachtet der Änderungen, die ich mir persönlich vorstelle, die sich aber auch die Standesvertretung im weitesten Sinn vorstellt, aus diesem Reformwerk noch ein gutes und letztlich ein Jahrhundertwerk werden.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Helmut Fuchs (Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien): Ich möchte voranschicken, dass ich mich nicht gemaßregelt und nicht behindert fühle. Wenn ich hier als Experte eingeladen bin, werde ich das, was ich mir nach langer und reiflicher Überlegung denke, auch sagen. Dafür bin ich ja hier, und nicht, um auf irgendwelche anderen Dinge Rücksicht zu nehmen. Ich bin allerdings dann ein bisschen berührt, wenn ich falsch verstanden werde. Verzeihen Sie bitte, Herr Bundesminister, wenn ich jetzt vielleicht etwas dozierend werde, aber auf die Frage, wer bei der Hausdurchsuchung anwesend sein darf, haben Sie mir gesagt, ich möge das Gesetz lesen.
Im Gesetz steht, der Betroffene darf anwesend sein. Nun ist zu unterscheiden zwischen dem Betroffenen – das ist derjenige, bei dem die Hausdurchsuchung stattfindet – und dem Beschuldigten im Verfahren; das können zwei verschiedene Dinge sein. Der Betroffene ist sehr eng definiert – es ist ein bisschen das Problem dieser neuen Gesetze, dass sie sich um Definitionen bemühen, mit allen Vor- und Nachteilen. Der Nachteil ist, dass man dann wirklich auf diese Definition beschränkt ist. Die Definition des Betroffenen laut § 48 ist: diejenige „Person, die durch Anordnung oder Durchführung von Zwang in ihren Rechten unmittelbar beeinträchtigt wird“. Ich finde, ein von einer Hausdurchsuchung Betroffener ist derjenige, bei dem die Durchsuchung stattfindet – das kann bei einer Bank sein, das kann bei einem Unternehmen sein, oder wo auch immer. Der Beschuldigte ist nach der Definition nicht gleich Betroffener, mag er auch unmittelbar beeinträchtigt sein. Ich finde keine Bestimmung, wonach der Betroffene ein Recht auf Teilnahme daran hat, so wie heute nach § 97 der Beschuldigte darauf ein Recht hat, das ausdrücklich im Gesetz steht. Das ist es, was ich gemeint habe. Ich glaube, da kann ich schwer „flexibel“ sein, weil die Definition des Betroffenen dabei sehr deutlich ist. – Aber das ist eigentlich nur eine Randbemerkung, das ist hier nicht das Zentrale.
Das Problem beim Staatsanwalt liegt darin, dass er in der Tradition unseres Prozesses eine Doppelstellung hat, die einen Widerspruch in sich bedeutet. Er ist einerseits Partei des Verfahrens, das ist die Seite des Parteiprozesses, da wird er dem Beschuldigten gegenübergestellt, und das betrifft primär die Bundesverfassung; es gilt der Anklageprozess. Auf der anderen Seite ist er aber auch quasi Richter, indem er im Verfahren an ganz wesentlichen Stellen Entscheidungen trifft, insbesondere die Entscheidung darüber, ob ein öffentliches Hauptverfahren durchgeführt wird oder nicht. Das ist eine wesentliche Entscheidung, weil man einen Menschen sehr schädigen, wenn nicht vernichten kann, indem man ein öffentliches Verfahren gegen ihn führt und er letztlich freigesprochen wird. Wenn jemand nicht verurteilt werden soll – sei es, weil er es nicht war, weil es nicht beweisbar ist oder was immer –, dann soll die Entscheidung darüber möglichst früh fallen. Unser System bringt den Staatsanwalt in diese Doppelstellung, und dabei ist er zur Objektivität verpflichtet. Das ist ein Widerspruch in sich, und das muss man akzeptieren.
Man kann jetzt fragen: Sollte man diesen Widerspruch beseitigen? – Man kann ihn beseitigen, indem man den reinen Parteiprozess einführt. Das geht in die Richtung des amerikanischen Strafprozesses. Der amerikanische Staatsanwalt ist Partei, er ist nicht zur Objektivität verpflichtet, er ermittelt und braucht keine Akteneinsicht zu gewähren – mich hat das vor Jahren einmal sehr gewundert, dass keine Akteneinsicht besteht –, sondern er präsentiert das Ergebnis. Der Verteidiger hat auf der anderen Seite auch die Möglichkeit, Material zu sammeln – das ist letztlich eine Frage des Geldes –, und er präsentiert so ebenfalls ein Ergebnis.
Aber wollen wir so einen Strafprozess? – Ich muss es ganz deutlich sagen: Ich will ihn nicht! Ich finde, die Struktur unseres Strafprozesses mit einer anderen Stellung des Staatsanwaltes ist besser. Sie ist nicht nur unserer Tradition entsprechend, sondern sie ist etwa für die Gerechtigkeit und für den sozialen Frieden besser.
Wenn wir aber diesen Widerspruch, der in der Person des Staatsanwaltes liegt, akzeptieren, dann kommt er in das Dilemma: Auf der einen Seite ist er an Ermittlungen interessiert – das heißt, er geht in die eine Richtung –, auf der anderen Seite soll er später möglichst unbefangen urteilen. Die Frage ist, wie man dieses Dilemma löst. Unser gegenwärtiges Gesetz löst es dadurch, dass der Staatsanwalt selbst nichts tun darf, sondern nur andere – nämlich den Untersuchungsrichter und die Polizei – ersuchen darf, die es dann weitgehend allein durchführen, und er bekommt es dann zurück. Damit versucht unser Gesetz, einen Ausgleich zu schaffen.
In der Reformdiskussion, die ja schon lange geführt wird, ist das ursprünglich berücksichtigt worden. Das heißt, es ist einmal gedacht worden: Untersuchungsrichter ist ineffektiv – wie schafft man trotzdem den Spagat in der Doppelstellung des Staatsanwalts? – Das Grundmodell, das einmal unter dem Titel „Miklau-Szymanski-Modell“ lief, ging dahin, die Polizei möglichst selbstständig zu machen und den Staatsanwalt erst relativ spät einzubinden. Das ist aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt worden.
Jetzt liegt die Lösung dieses Entwurfs vor, und damit bringt man, so finde ich, den Staatsanwalt in eine unmögliche Position, eine Position, die er letztlich nicht leisten kann. Er soll die Verantwortung übernehmen, ohne das entsprechende Personal zu bekommen. Alle anderen Stellen, die den Staatsanwalt zum Ermittlungsleiter machen, geben ihm auch entsprechende Hilfsbeamte. Es ist heute schon gesagt worden: Die Lösung, aus dem Polizeibereich Teile hinauszugeben, sodass diese dem Staatsanwalt zur Verfügung stehen und direkte Anweisungen bekommen, ist aber nicht vorgesehen. Auf der anderen Seite zwingt man den Staatsanwalt nach wie vor zur Entscheidung, und er soll diese Entscheidung auch wahrnehmen, obwohl man ihm andererseits die Verantwortung für die Ermittlung gegeben hat. Das ist der Widerspruch, den ich aufzeigen möchte.
Was wird sein? – Es wird sein, dass er es wahrscheinlich nicht wirklich wird wahrnehmen können und in ein Dilemma gerät. Ich nehme an, es wird zu einer Amerikanisierung des Prozesses kommen. Wenn man den Staatsanwalt in diese machtvolle Position bringt, dann stellt sich sofort die Frage, warum nicht auch die Verteidigung eine entsprechende machtvolle Position im Vorverfahren haben soll. Es gibt übrigens einen Punkt in der Diskussion, an dem das immer herauskommt: Der Staatsanwalt bestellt den Sachverständigen, und sofort kommt die andere Seite und fragt: „Was ist das für ein Sachverständiger? Wir wollen auch einen bestellen!“ Daraufhin verhandelt man in der Hauptverhandlung über die beiden Sachverständigen – das ist amerikanisches Modell! Es ist natürlich nahe liegend, wenn man den Staatsanwalt zum zentralen Ermittlungsleiter macht, dass er auch den Sachverständigen bestellt. Nur kommt man dann sofort in diese Schere hinein.
Das ist mein grundlegendes Problem, mein grundlegender Einwand, den ich im gegenwärtigen Stadium des Entwurfs habe.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Es hat sich jetzt wieder der Herr Minister in Antwort auf Professor Fuchs zu Wort gemeldet. Ein bisschen ist es eine unfaire „Waffenverteilung“, wenn der Herr Minister sofort replizieren darf und Professor Fuchs sich dann wieder in die lange Liste einreihen muss. Daher möchte ich den Herrn Minister darauf hinweisen, diese Ungleichheit bei seinen künftigen Wortmeldungen zu bedenken, erteile ihm aber selbstverständlich nun das Wort.
Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Wir können ja die Geschäftsordnung des Nationalrates bei Gelegenheit ändern, wenn das so ungerecht ist.
Ich möchte nur eines sagen, Herr Professor: Vielen Dank für die Ausführungen! Die Legisten sehen diese an einem Wort angehängte Konsequenz nicht so, aber jeder in diesem Raum soll wissen, dass wir die Protokolle ganz genau studieren werden. Wenn dann noch Fragen offen sind, dann, so glauben wir, werden wir in Gesprächen an Sie herantreten, weil es an solchen Problemen wirklich nicht scheitern soll.
Universitätsdozent Dr. Wolfgang Stangl (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Universität Wien): Die rechtswissenschaftliche Diskussion zur Neugestaltung des Strafprozessreformgesetzes dauert mittlerweile 15 Jahre. Gegenstand ist die von VertreterInnen verschiedener juristischer Professionen auszuhandelnde Frage, wie das Verfahren über die Aufklärung von Straftaten, über die Verfolgung verdächtiger Personen und über damit zusammenhängende Entscheidungen gestaltet werden soll. Hinter diesem schlichten Satz lauern zahlreiche komplexe Probleme, an deren Benennung, inhaltlicher Bestimmung, systematischer Einordnung und damit Abklärung die meisten der hier Anwesenden beteiligt waren.
Nachdem ich in den Unterausschuss zur Mitwirkung eingeladen worden war, stellte ich mir naturgemäß die Frage, was mein Beitrag sein kann angesichts einer so langen Reformgeschichte, die zugleich ein Gruppenprozess ist, in dem sich Rollen, Argumente und Hierarchien gebildet haben. Was kann der, zeitlich gesehen, späte Beitrag der Soziologie sein? – Erlauben Sie mir, hier einige Überlegungen anzustellen, bevor wir in die Spezialdebatte einsteigen.
Ich möchte zunächst negativ formulieren und sagen, dass ich nicht die Absicht habe, mich an der innerprofessionellen juristischen Diskussion zu beteiligen. Der juristische Diskurs hat seine eigenen Regeln, Denkfiguren und Argumentationsstrategien, also seine eigenen Arten von Semantik, die schließlich Wissenschaften auszeichnen und von anderen Wissenschaften wie auch vom Alltag abgrenzen.
Was ich hingegen anbieten kann, ist das, was das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie seit nunmehr über 30 Jahren in zahlreichen Projekten verfolgt hat: Interaktionen zwischen Rollenträgern, die rechtlich definiert sind, als empirische Interaktionen sichtbar zu machen, zu beschreiben, darzustellen und zu analysieren. Erwähnen möchte ich beispielsweise die Begleitforschung zum Außergerichtlichen Tatausgleich – ATA –, in der es darum gegangen ist, auf empirischem Weg, das heißt erfahrungswissenschaftlich abzuklären, ob Annahmen über den Erfolg oder Misserfolg dieses Verfahrens, über das es keine Vorerfahrungen gegeben hatte, zutreffend waren oder nicht. Die Frage etwa, ob die Geschädigten von Delikten den ATA als Bühne für ihre Rachebedürfnisse nutzen werden oder nicht, spielt in der Reformdiskussion eine nicht unbedeutende Rolle. Es hat sich im Zuge der Begleitforschung herausgestellt, dass dies keinesfalls ein quantitativ bedeutendes Problem darstellt und dass die diesbezüglichen rechtlichen Diskussionen den empirischen Sachverhalt verfehlt haben.
Ein rezentes Beispiel rechtssoziologischer Forschung ist die Studie von Arno Pilgram in Zusammenarbeit mit Isabella Hager zur heftig diskutierten Haftzahlenentwicklung in Österreich. Sicher ist, dass die Belagzahlen steigen. Mit Hilfe der empirischen Analyse gelingt es, Muster zu beschreiben, um die Steigerung besser verstehen zu können. Was meine ich damit? – Die Haftzahlen bei Jugendlichen steigen nicht nur in Wien mit einem Zuwachs von 74 Prozent im Vergleich der Jahre 2000 und 2002. In sämtlichen oberösterreichischen Gerichtssprengeln beträgt der Zuwachs an jugendlichen Zugängern zu Justizanstalten im Beobachtungszeitraum sogar 138 Prozent, im Bundesland Vorarlberg 100 Prozent, während in den Landesgerichtssprengeln Sankt Pölten, Eisenstadt oder Salzburg die Zahlen stabil oder rückläufig sind. Es gibt also beträchtliche Unterschiede, und die Frage drängt sich auf, wie diese Unterschiede zu erklären sind. Für Wien kann man sagen, die Steigerung der Haftzahlen ist in erster Linie durch eine verstärkte Inhaftierung von Personen aus Osteuropa und aus afrikanischen Ländern zu erklären. Aber diese Antworten sind nicht wirklich befriedigend, sondern führen fast zwangsläufig zu weiteren Fragen wie etwa, welche Delikte diesen Personengruppen vorgeworfen werden, wie die Sicherheitsbehörden Kenntnis von diesen Delikten erhalten, wie die Qualifikationen dieser Delikte aussehen, wie sich diese Qualifikationen im Laufe der Bearbeitung durch die verschiedenen Instanzen verändern, und so weiter.
Das Beispiel zeigt, wie ich hoffe, dass bei der empirischen Analyse nicht Einzelfälle im Zentrum der Überlegungen stehen, so wie es bei der juristischen Bearbeitung von Problemen die Regel ist und auch sein muss. Stattdessen geht es um kollektives Handeln von Polizisten, Staatsanwälten, Richtern, wodurch sich jenseits von Einzelmotiven der Akteure Muster ergeben und die Vorgangsweise einer einzelnen Organisation oder das Zusammenwirken verschiedener Organisationsteile sichtbar gemacht wird. Diese Sichtbarkeit von Entscheidungsmustern eröffnet Lern- und Veränderungsmöglichkeiten für die Organisationen, weil empirisches Material vorhanden ist, um über sich selbst nachzudenken.
Es ist eine risikolose These, wenn ich behaupte, dass die Strafprozessordnung, die in Diskussion steht, voller empirischer Fragen ist, die ungeklärt sind, deren Klärung aber so manche normative Debatte abkürzen oder vielleicht sogar überflüssig machen würde. Hätte man die Debatte über die Reform auch im empirischen Sinn führen wollen, so hätte man entsprechende Erhebungen durchführen können. Das ist nicht geschehen, könnte aber bei künftigen Reformschritten Berücksichtigung finden. Schließlich steht die Reform der Hauptverhandlung oder des Rechtsmittelverfahrens aus, sodass noch genügend Gelegenheit bestehen wird, empirische Perspektiven in den Reformvorgang zu integrieren.
Worauf ich jedoch besonders aufmerksam machen möchte, ist der Umstand, dass nach In-Kraft-Treten der neuen Strafprozessteile naturgemäß viele Probleme entstehen werden, die einer empirischen Klärung bedürfen. Schließlich werden die am Strafprozess künftig beteiligten Rechtspersonen in ihren Rollen und Kompetenzen zum Teil gänzlich neu definiert. Wie werden diese Rollen ausgefüllt werden? Stimmen sie mit den Vorstellungen des Gesetzgebers überein? Gibt es regionale Sonderentwicklungen? Was sind die Gründe für diese Entwicklungen, und wie sind sie zu korrigieren?
Ich komme zum Schluss. Mein Vorschlag besteht darin, bereits jetzt im Zuge der rechtswissenschaftlichen wie auch rechtspolitischen Verhandlungen Vorsorge dafür zu treffen, dass die Selbstbeobachtung des reformierten Strafverfahrens institutionalisiert wird. Damit meine ich, dass künftig systematisch empirische Daten erhoben werden, um auf diese Weise den vielen notwendigen justizpolitischen Debatten, die nach so einer grundlegenden Reform geführt werden müssen, den entsprechenden empirischen Rahmen zu geben. Ich darf an dieser Stelle darauf verweisen, dass es in vielen anderen EU-Staaten selbstverständlich ist, empirische Begleitforschungen oder auch ein laufendes Monitoring bei so wichtigen Justizvorhaben wie dem gegenständlichen zu institutionalisieren. Offen ist, in welcher Form diese Datensammlung erfolgen soll, und dies möchte ich auch zur Diskussion stellen. Wer kann der Adressat dieser Daten sein: der Justizunterausschuss, der Justizausschuss, das Parlament, das Justizministerium allein oder gemeinsam mit dem Innenressort, oder andere Behörden?
Honorarprofessor Dr. Herbert Steininger (Präsident des OGH i. R.): Ich möchte mich in diesem Beitrag zur Generaldebatte auf einen einzigen kritischen Einwand beschränken, der zentrale Bedeutung hat und schon von Beginn an in die Diskussion eingebracht wurde, nämlich die Beseitigung richterlicher Untersuchungstätigkeit, wie sie der Entwurf vorsieht.
Ich räume durchaus ein, dass ich zu Beginn der Reformdebatte, als ich Mitte der achtziger Jahre damit befasst wurde, ebenfalls den Standpunkt vertreten habe, man könne auf eine richterliche Voruntersuchung nicht generell verzichten. Auch bei der Mitwirkung an der Erstellung des damaligen Konzepts der Richtervereinigung war ja für gewisse Fälle noch die Beibehaltung der Voruntersuchung vorgesehen. Jetzt ist nach der Regierungsvorlage die Tätigkeit des Untersuchungsrichters, des Ermittlungsrichters als erhebendes Organ bekanntlich auf zwei Fälle beschränkt: Tatrekonstruktion sowie kontradiktorische Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen. Während des Verlaufs dieser Reformdiskussion habe ich mich selbst immer wieder gefragt: Kann man dem System, das der Regierungsvorlage zugrunde liegt, trotz der bestehenden Bedenken gegen die Abschaffung richterlicher Erhebungstätigkeit beipflichten, oder soll es bei richterlichen Erhebungstätigkeiten bleiben?
Man muss sich dabei über Folgendes im Klaren sein: Wenn man den Aufgabenkreis des Untersuchungsrichters als ermittelnden Richters beibehält, dann ist es, glaube ich, wenig zielführend, diese Tätigkeit von Anträgen des Staatsanwalts oder sonst jemandes abhängig zu machen. Dann läge es nämlich erst im Belieben desjenigen, der die Antragsbefugnis hat, ob der Richter tätig werden kann oder nicht. Wenn man den Richter als Erhebungsorgan im Vorverfahren weiterhin haben will, dann hielte ich es für konsequent, eine obligatorische Voruntersuchung einzuführen, nämlich vorzuschreiben, in welchen Fälle nur der Richter die Erhebungen vorzunehmen hat. Ob wir das wollen, ist eher fraglich, ich habe gewisse Bedenken gegen eine Unflexibilität eines Vorverfahrens, sowohl von der praktischen Durchführung als auch von der Zielsetzung her. Belässt man es bei der Antragsbefugnis, dann könnte man aber sagen: Wenn der Staatsanwalt keinen Antrag stellt und man ihn nicht dazu zwingen kann, dann nützt die Einrichtung einer gerichtlichen Voruntersuchung auch nicht allzu viel. Die Konsequenz müsste eine obligatorische Voruntersuchung sein.
Ich halte diese Kritik für eine sehr ernst zu nehmende, und für mich ist dies einer der wesentlichen Kritikpunkte gegen die Regierungsvorlage. Wenn man jedoch die internationale Entwicklung berücksichtigt – es ist bereits darauf hingewiesen worden –, dass, auch über die Europäische Union hinaus, sozusagen der Zug strafprozessualer Reformen in Richtung Staatsanwaltschaft geht, dann meine ich, dass die Bedenken zwar weiterhin gravierend bleiben, aber doch nicht so überwiegen, dass man das System der Regierungsvorlage deswegen aufgeben sollte. Zu erwägen wäre allerdings, ob man nicht den § 165 der Regierungsvorlage vorsichtig erweitert, und zwar in die Richtung, dass der Ermittlungsrichter nicht nur für die Tatrekonstruktion und für die kontradiktorische Vernehmung zuständig ist, sondern dass es auch Fallgruppen an Untersuchungshandlungen gibt, in denen er – nicht weil der Untersuchungsrichter besser ermitteln würde, als der Staatsanwalt ermitteln kann, sondern weil es auch nach außen hin der Akzeptanz weitaus zuträglicher wäre – als erhebendes Organ tätig sein sollte.
Ich meine daher, man sollte nicht das Grundkonzept aufgeben, sondern man sollte sich überlegen, ob man nicht diesen § 165 der Regierungsvorlage vorsichtig erweitert und damit die Akzeptanz dieser Vorlage entsprechend erhöht.
Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Rech (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Ich darf vorausschicken, dass ich vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag hierher entsandt worden bin und daher auch für diesen spreche. In meiner ersten Stellungnahme möchte ich nicht gleich auf Detailfragen eingehen, sondern werde mir dies für die folgenden Diskussionen vorbehalten. Allerdings möchte ich doch ein Statement zum Standpunkt selbst geben.
Wenn man sich die Entwicklung der österreichischen Strafprozessordnung seit ungefähr 1960 ansieht, dann fällt auf, dass ganz gravierende Neuerungen und Reformen eigentlich deshalb zustande gekommen sind, weil das jeweilige Problem zuvor nach Straßburg getragen worden war. Obwohl die Rechtsanwaltschaft diese Probleme immer wieder aufgezeigt hat, ist man ihr nicht gefolgt, sondern es ist wirklich darauf angekommen, dass eine Entscheidung aus Straßburg gekommen ist, damit dies dann in einem Gesetz umgesetzt worden ist.
Es ist die Frage, ob wir das auch weiterhin so machen wollen, denn es geht um wesentliche grundrechtliche Fragen, die im Raum stehen. Das letzte Beispiel dafür ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs betreffend Anwesenheit des Verteidigers bei Polizeiverhören, ein Problem, das die Rechtsanwaltschaft schon seit langem immer wieder zur Sprache gebracht hat und wofür sie immer eine Lösung gefordert hat, das aber abgetan wurde. Es war wiederum eine Entscheidung eines Gerichtshofs notwendig, damit wir dieses Recht tatsächlich bekommen. Das Problem dabei ist, wir haben zwar jetzt das Recht dazu, aber das Wie ist nicht geregelt. Wir hängen daher wieder in der Luft, und das finden eigentlich alle nicht tragbar. Daher trete ich dafür ein, dass man den Mut hat, über Reformen selbst zu entscheiden und sie durchzuführen, bevor sie einem, von wem auch immer, aufgedrängt werden.
Ich möchte nun zu den einzelnen Themen, die heute schon zur Sprache gekommen sind, etwas sagen. Die Rechtsanwaltschaft hat sich immer sehr positiv zu dem Entwurf ausgesprochen und steht ihm auch weiterhin so gegenüber. Selbstverständlich haben auch wir unsere Kritikpunkte, die sowohl die Beschuldigtenrechte als auch die Rechte der Geschädigten betreffen; dazu aber später.
Zu den heute bereits angesprochenen wesentlichen Themen gehört die Frage der Kosten. Ich gehe davon aus, dass man, wenn man weiß, welche Kosten diese Reform verursacht, auch bereit ist, diese Kosten zu tragen. Wenn das Geld nicht vorhanden ist, dann kann das nicht funktionieren, und das kann keiner wollen.
Zum Thema Untersuchungsrichter hat es bereits eingehende Diskussionen gegeben. Man hat sich darüber den Kopf zerbrochen, ob der Untersuchungsrichter in gewissen Bereichen beibehalten werden kann oder soll. Diese Diskussionen haben stets dahin gehend geendet, dass es erstens problematisch ist, zu definieren, in welchen Fällen der Untersuchungsrichter beibehalten werden soll. Das zeigt sich etwa am Beispiel der politischen Delikte: Was ist eigentlich politisch? Wie weit geht das? Wie lange kann man sagen, dass es politisch ist? – Die zweite Seite ist, dass dadurch wiederum der Eindruck erweckt wird: es gibt Menschen, die privilegiert sind. Wenn man das Modell des Untersuchungsrichters immer wieder als besonders gut, effizient und richtig hervorhebt, dann suggeriert man damit, dass das andere System das schlechte ist. Warum sollen aber – unter Anführungszeichen – „normale“ Bürger mit „normalen“ Delikten den „schlechten“ Staatsanwalt und diejenigen, die irgendwie politisch tangiert sind, den „guten“ Untersuchungsrichter haben? – Das wird man schwer irgendjemandem klarmachen können.
Weiters geht es um die Sache mit dem überbordenden Rechtsschutz, die in letzter Zeit aufgekommen ist. Ich denke, dass es besonders wegen der Kostenfrage dazu gekommen ist, weil das zuvor nicht wirklich ein Problem war. Rechte, die nicht effektiv umgesetzt werden können, sind tatsächlich keine Rechte, sondern das ist nur irgendwo festgeschrieben, aber man kann nichts damit anfangen. Wenn man wirklich über den Rechtsschutz reden will, dann darf man dies nicht an den Kosten aufhängen, sondern muss deutlich sagen: Wo ist er wichtig, und wo können wir ihn sein lassen?
Das Zweite in dem Zusammenhang ist, dass man einen Anreiz schaffen muss, dass Rechte den Betroffenen tatsächlich gegeben werden. Wenn ich Rechte eingeräumt bekomme, es aber keine Folgen hat, wenn sie verletzt werden, so habe ich keinen Anreiz, dass mir diese Rechte gewährt werden. Es wäre daher besonders wichtig, dass entsprechende Nichtigkeitssanktionen wieder in den Entwurf aufgenommen werden, die in den vorangegangenen Entwürfen durchaus enthalten waren.
Nächster Punkt: den Entwurf in Einzelteilen umsetzen. – Das sieht ein bisschen danach aus, dass uns kurz vor dem Ziel der Mut verlassen hat. Wenn wir jetzt darangehen, verschiedene Teile einzeln zu regeln, dann wird das Ganze nicht mehr zusammenpassen, und wir werden wieder der ganzen Sache hinterherhecheln. Was noch dazukommt, ist: Wenn einmal ein Einzelteil umgesetzt ist, müssen wir wieder Jahrzehnte warten, bis der nächste Teil drankommt. Ich glaube, das wollen wir alle nicht.
Ein letzter Punkt, der sehr interessant ist und immer großes Erstaunen hervorruft, ist die Einstellung der Rechtsanwälte zur Position des Staatsanwaltes. Man wird immer seltsam angesehen, wenn ein Rechtsanwalt sagt, er hätte gerne einen starken Staatsanwalt. Aber das ist irgendwie logisch, weil ein schwacher Staatsanwalt auch die Verteidigung schwächt. Wenn nämlich ein Staatsanwalt in einem Verfahren so gut wie nicht vorhanden ist, macht mich dies zum Gegner oder Kontrahenten des Richters, und das ist für die Verteidigung fatal. Daher meine ich, wir sind für eine neue Positionierung des Staatsanwaltes, weil eine starke Staatsanwaltschaft zu einer starken Verteidigung und damit zu einem faireren Verfahren führt.
Staatsanwalt Mag. Walter Geyer (Staatsanwaltschaft Wien): Als weisungsgebundener Staatsanwalt werde ich mich bemühen, dem Ersuchen um Kürze Rechnung zu tragen, und möchte daher zunächst nur anmerken, dass das, was Professor Burgstaller und Professor Fuchs gesagt haben, meine vollste Zustimmung findet.
Meine Weisungsverpflichtung geht allerdings nicht so weit, dass ich dem sehr geschätzten Herrn Bundesminister nicht widersprechen kann, der am Beginn Zahlen geäußert hat, die mit der Realität praktisch nichts zu tun haben. Er hat gemeint, es gebe in Österreich 200 000 Anzeigen pro Jahr; das ist nicht einmal die Zahl der Staatsanwaltschaft Wien, die ich hier habe. Ich denke, wenn man über die Strafprozessreform redet, sollte man sich überlegen, wie die Entwicklung aussieht. Ich habe hier die neuesten Zahlen: Danach ist bei der StA Wien im Gerichtshofbereich – die untere Kriminalität lasse ich also weg – die Anzahl der Anzeigen gegen bekannte Täter, das ist natürlich zugleich die Aufklärungsquote, von 2001 mit 19 000 Anzeigen auf 15 700 gesunken, und gleichzeitig ist die Zahl der Anzeigen gegen unbekannte Täter, betreffend Vergehen und Verbrechen im Gerichtshofbereich, von 45 000 auf 50 000 gestiegen.
Dritte Bemerkung: Kollege Pilnacek hat gemeint, durch die Reform werde das Vorverfahren ein judizielles. Meiner Einschätzung nach ist genau das Gegenteil der Fall. Judiziell war das Vorverfahren, wie es sich Julius Glaser vor 130 Jahren vorgestellt hatte, nämlich dass nach jedem Verbrechen der Untersuchungsrichter kommt und mit seiner Unabhängigkeit die Sache untersucht; danach beurteilt ein Staatsanwalt – dessen staatsrechtliche Stellung in Österreich immer ungeklärt war –, ob die Sache für eine Anklage reicht oder nicht, und dann entscheidet wieder ein Gericht.
Nach dem vorliegenden Entwurf soll das gesamte Vorverfahren nur noch in die Hände von weisungsgebundenen Beamten gelegt sein, nämlich von Beamten des Innenressorts, nämlich von Polizeibeamten, und von Staatsanwälten, die nach der Auffassung, wie sie bei uns praktiziert wird, weisungsgebunden sind. Wenn man sich überdies vergegenwärtigt, wie viele Fälle tatsächlich später zu Gericht kommen und wie viele von den Staatsanwälten im eigenen Bereich erledigt werden, dann kann man die Bedeutung dieser Verschiebung ungefähr abschätzen: Mehr als 50 Prozent aller Anzeigen gegen bekannte Täter werden von den Staatsanwälten eingestellt, dazu kommt die Diversionsmaßnahme, wobei der Staatsanwalt auch die Unrechtsfolge festsetzt. Was letztlich zu Gericht kommt, sind 30 Prozent. Das heißt, die Anzahl der Strafverfahren im Sinne der Justiz hat sich auf 30 Prozent verringert. In den letzten 130 Jahren sind ungefähr 70 Prozent zur politischen Verwaltung, sprich zur Polizei, und zur Staatsanwaltschaft gewandert.
Roland Miklau, mit dem ich auch über diesen Aspekt sehr oft diskutiert hat, meint natürlich zu Recht, dass sich diese Entwicklung nicht rückgängig machen lässt und die Polizei einfach ein Übergewicht hat. Das stimmt, allerdings wird in den meisten anderen Ländern daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass die Staatsanwälte eben nicht in diesem Ausmaß von der politischen Verwaltung abhängig sein dürfen. – Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob nicht der unabhängige Untersuchungsrichter im Vorverfahren bei der Ermittlungstätigkeit in einem gewissen Ausmaß unverzichtbar ist. Für mich wäre es eine gewisse Ironie des Schicksals, wenn jetzt Kollegin Helene Partik-Pablé, die ich auch schon seit 25 Jahren kenne und schätze, ihre Funktion als Untersuchungsrichterin sozusagen mit abschaffen sollte. Sie hat ein kleines Stück Justizgeschichte geschrieben, weil sie in einem der zahlenmäßig ganz wenigen politisch brisanten Fälle gezeigt hat, was für einen Wert die Unabhängigkeit im Ermittlungsverfahren hat. Nach ihr hat es andere Untersuchungsrichter gegeben, die in vergleichbaren Fällen ebenso unverzichtbar waren. Ich nenne dazu als Stichworte Lucona, Noricum und so weiter. In diesen zahlenmäßig wenigen, aber für das Vertrauen der Bevölkerung zur Justiz insgesamt wichtigen Fällen, in den Fragen der wechselseitigen Kontrolle, in der Frage, inwieweit Verfahren mit politischer Implikation trotzdem genau und korrekt untersucht werden, ist der unabhängige Untersuchungsrichter nach wie vor gefordert.
Wir von den Staatsanwälten haben uns auch eine Regelung überlegt, wie man das Grundkonzept des Entwurfs beibehalten kann und trotzdem in einigen Fällen, die wir mit „Rechtsschutzsache“ überschreiben könnten – nämlich dann, wenn es um Haftfragen geht, wenn es um die Frage von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamte geht und wenn es um diese politisch brisanten Fälle geht –, den Untersuchungsrichter nicht anstelle des Staatsanwaltes, sondern als Ergänzung des Staatsanwaltes, der trotzdem verpflichtet ist, die Sache zu klären, einsetzen kann.
Frau Kollegin Rech hat den Ausdruck „privilegierte Menschen“ verwendet. Ich, der ich seit 25 Jahren als Staatsanwalt tätig bin, nehme das auch so wahr, allerdings in einer etwas anderen Form. Ich nehme wahr, dass bei den politisch heiklen Fällen, die alle Berichtsakte sind, die betreffenden Personen privilegiert sind, weil in solchen Fällen nicht ein Staatsanwalt entscheidet – der genauer oder weniger genau sein kann, der Fehler machen kann oder nicht –, sondern weil die Sache dann berichtet werden muss. Das heißt, es beschäftigt sich mit dem Fall in erster Instanz der Staatsanwalt, der Gruppenleiter und der Behördenleiter, bei der Oberstaatsanwaltschaft der Vertreter des Oberstaatsanwaltes und der Oberstaatsanwalt, und im Ministerium ein Referent und ein Abteilungsleiter – möglicherweise auch noch der Minister. Das sind sieben Juristen! Wenn das keine Privilegierung und Ungleichbehandlung ist, dann weiß ich nicht, was sonst eine ist.
Nächster Punkt: Herr Professor Fuchs hat prägnant auf die schwierige Rolle des Staatsanwaltes hingewiesen, die darin besteht, dass er auf der einen Seite die Sache klären soll und auf der anderen Seite, zahlenmäßig in ungefähr 70 Prozent der Fälle, auch die Enderledigung vornimmt. Das ist ein gewisser Widerspruch, weil er bei der Enderledigung, bei der Einstellung, bei der Diversionsmaßnahme unparteiisch und objektiv sein soll, hingegen wird er bei der Klärung in die Rolle des Ermittlers gedrängt. Mein Ansatz dazu ist, die eigenständige Ermittlungstätigkeit des Staatsanwaltes, nämlich selbst Vernehmungen durchzuführen, selbst die Hausdurchsuchung vorzunehmen, sollte möglichst eingeschränkt sein, damit dieses Problem klein bleibt.
Herr Professor Fuchs hat auch gemeint, er sieht in dem Entwurf die Gefahr in Richtung Parteienprozess nach amerikanischem Vorbild. Diese sehe ich auch, die Frage der Bestellung des Sachverständigen ist ein markantes Beispiel dafür. Man kann sie auch nicht bloß unter dem Gesichtspunkt erörtern, wer den Sachverständigen bestellt, sondern man muss dabei auch die Kostenfrage sehen. Wenn der Staatsanwalt den Sachverständigen bestellt, dann wird der Verteidiger auch einen Sachverständigen haben wollen, und dann wird im Streitfall letztlich das Gericht einen dritten Sachverständigen bestellen. Dass das zu einer Verdreifachung der Kosten führt, ist selbstverständlich, jedenfalls in den brisanten Fällen, in denen es um die Zurechnungsfähigkeit und die Verantwortlichkeit des Angeklagten geht.
Letzter Punkt: die Opferrechte. Es wird hier im Raum niemanden geben, der nicht auch für eine Verstärkung der Opferrechte ist. Allerdings möchte ich vor einer sozusagen mechanischen Betrachtungsweise dieses Problems warnen. Opferschutz besteht nicht oder nicht so sehr darin, dass auch dem Opfer irgendetwas gegeben wird, sei es eine finanzielle Abgeltung, sei es auch ein Rechtsanwalt, etwa in der Weise: es passiert ein Verbrechen, der Verdächtige bekommt seinen Rechtsanwalt, und dann erhält auch das Opfer einen Rechtsanwalt. Was das Opfer primär möchte, ist, dass die Wahrheit festgestellt wird, dass in absehbarer Zeit, in angemessener Frist auf den Tisch kommt, was passiert ist, und dass festgestellt wird: „Ich war das Opfer.“ und „Wer war der Täter?“ Es geht da noch gar nicht so sehr um die Konsequenz, nämlich um Rache und darum, dass dem Täter etwas widerfährt, sondern es soll zunächst einmal festgestellt werden können, was passiert ist.
Hier darf man sich, glaube ich, nicht selbst beschummeln. Es gibt Punkte, da kann man sich nur entscheiden: Entweder tut man mehr für den Verdächtigen und Täter, oder man tut mehr für das Opfer. Ich tue mir immer leicht: Als Staatsanwalt stehe ich auf der Seite des Opfers.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel (Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien): Ich stehe nicht an, zu Beginn die Regierungsvorlage als ein anspruchsvolles Werk zu bezeichnen, dem Anerkennung zu zollen ist. Den Beratungen ist dennoch ein Umfang zu wünschen, der sinnvolle Detailkritik und die Auseinandersetzung mit dieser erlaubt. Der Entwurf hat definitiv das Zeug, zu einem großen Fortschritt zu führen, wenn man die Lage bedenkt, in der sich der heutige Strafprozess – das heutige Strafprozessrecht, möchte ich sagen – befindet, vor allem wenn man es mit dem Sicherheitspolizeigesetz vergleicht; da sind wir seit 1988 doch in einem gewaltigen Hintertreffen. Man kann freilich der Meinung sein, dass im Entwurf in dem einen oder anderen Punkt des Guten auch zu viel getan wird, gerade wo es um die Ausgestaltung und Definition von Befugnissen geht. Ich verweise etwa auf die ausdrückliche Anerkennung von Scheingeschäften als Ermittlungsmaßnahme im § 132 der Regierungsvorlage.
Da die entscheidende Verschiebung in der Grundstruktur des Verfahrens um die Figur der Staatsanwaltschaft, des Staatsanwalts kreist, werde ich diese Figur auch in den Fokus nehmen. Dabei ist die Ausweitung des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft für mich der hervorstechendste Grundzug des Entwurfes, auch die Erweiterung und Verbreiterung der Aufgabenstellung dieses Staatsanwalts. Dass gegenüber dem Ministerialentwurf in der Regierungsvorlage nun die Privatanklage beibehalten werden soll, ist aus meiner Sicht – das möchte ich nur am Rande sagen – auf jeden Fall zu begrüßen.
Die Beseitigung der traditionellen Figur des Untersuchungsrichters ist der klarste Ausdruck dieser Verschiebung. Ich halte es mit Miklau und einer Reihe von anderen Vorrednern, dass ich hier die Grundposition des Entwurfes positiv beurteile und im Gleichklang mit dem übrigen Europa – sei es bereits fertigen, sei es in Entwicklung begriffenen neuen Strafprozessordnungen – stehen sehe. Daher bin ich mit diesen Rednern der Meinung, dass das Modell des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens grundsätzlich zeitgemäß ist. Die Qualität der Arbeit der Staatsanwälte steht außer Zweifel, mit oder ohne ministerielles Weisungsrecht. Auch die Übereinstimmung mit der Verfassung scheint mir gegeben zu sein; darüber werden wir aber nächstes Mal noch sprechen.
Was also die nahezu vollständige Beseitigung des Untersuchungsrichters im klassischen Sinne betrifft, bin ich zwar auch einverstanden mit einer Streichung des Verbots, das heute im § 97 Abs. 2 enthalten ist, sodass nunmehr der Staatsanwalt auch eigene Ermittlungen anstellen darf. Aber die strukturelle Frage, ob die Funktion des Untersuchungsrichters in diesem weiten Ausmaß auf die Staatsanwaltschaft übertragen werden soll, wie es im Entwurf vorgesehen ist, ist auch meines Erachtens – wie bereits von vielen anderen gesagt – skeptisch zu beurteilen, denn es ist auch Folgendes zu bedenken: Je mehr man den Staatsanwalt frei von eigenen Ermittlungen hält, desto objektiver wird er seine Entscheidung darüber, ob Anklage zu erheben ist oder nicht, treffen. Mir ist auf der anderen Seite klar – um wieder einmal die berühmte Formulierung Kadeckas zu benützen –, dass man das Butterbrot nicht von beiden Seiten bestrichen haben kann. Es ist für mich die spannendste Frage, vor der wir hier stehen, inwieweit die Übertragung der Ermittlungsaufgabe an den Staatsanwalt positive Effekte – die es für den Untersuchungsrichter als Rechtsschutzrichter gibt – hat und wie dies von Nachteilen aufgewogen wird.
Ein Mittelweg, eine flexible Lösung, eine – im Sinne Steiningers möchte ich dieses Stichwort nennen – „vorsichtige Erweiterung“ der Fallgruppen, in denen der Untersuchungsrichter ermitteln soll, ist unser Thema. Dabei möchte ich mich auch als Erstes unbedingt dafür aussprechen, dass sich in Haftsachen in einem größeren Umfang der Untersuchungsrichter selbst den Überblick verschaffen können soll. Es ist nach dem vorliegenden Entwurf zu befürchten, dass der Untersuchungsrichter bei der Haftentscheidung, in der es immer auch um den dringenden Tatverdacht geht, nur einen Ausschnitt angeboten bekommt und wahrnimmt, sodass es dadurch zu einer Verstärkung der Tendenz kommt, die wir jetzt zu beobachten haben, nämlich der Tendenz ansteigender Haftzahlen. Ich kann mir auch vorstellen, dass man dem Beschuldigten ein Antragsrecht auf richterliche Erhebungen einräumt in allen Fällen, in denen nur eine Tatsacheninstanz besteht, also in den schöffen- und geschworenengerichtlichen Fällen, darüber hinaus in den sensiblen Gruppen, die schon angesprochen wurden.
Die Frage betreffend Aufgaben des Staatsanwalts hängt auch mit einem anderen Problem zusammen; das betrifft jetzt wieder die Ausgestaltung der Staatsanwaltschaft selbst. Angesichts der riesigen Bedeutung der bezirksgerichtlichen Fälle auch bei der Diversion frage ich mich, wie lange wir es noch verantworten können, dass der öffentliche Ankläger in bezirksgerichtlichen Verfahren nicht rechtskundig sein muss. Das ist ein Gedanke, der wieder zusammentrifft mit dem Stichwort von Frau Rechtsanwältin Rech, dass wir für einen starken Staatsanwalt sein wollen, auch im Interesse des Beschuldigten. Was dessen eigene Stellung betrifft, gibt es ebenfalls eine Reihe von Fragen, die ich nur stichwortartig anführen möchte, um noch andere Themen beleuchten zu können.
Dass die Rechtsstellung des Beschuldigten teilweise unbefriedigend ausgestaltet ist, liegt an diesem Kompromiss, der mit dem Innenressort im Vorfeld gefunden wurde und der im Entwurf zu einer Reihe von Gummiparagraphen geführt hat. Die Klausel „soweit der Zweck der Untersuchung nicht gefährdet ist“ ist mir sehr verdächtig: Was heißt „der Zweck der Untersuchung“? – Den kann man sehr bald finden.
Aber es geht auch um die Verteidigung als System. Hier möchte ich unterstreichen, was von Bertel über die Verfahrenshilfe im heutigen Recht gesagt wurde. Gleichzeitig möchte ich mich dafür aussprechen, dass man darangeht, nach ausländischem Vorbild einen anwaltlichen Notdienst zu schaffen. Das betrifft zunächst einmal die Fälle der Festnahme. Hinsichtlich der ordentlichen Untersuchungshaft sehe ich in dem Entwurf vorläufig noch wenig an möglichen Entwicklungen enthalten, die derzeit angezeigt sind, nicht nur wegen unserer Haftzahlenproblematik. Wenn wir uns mit dem Ausland vergleichen, so sehen wir doch, dass wir einige Haftgründe sehr weit gestaltet haben. Ich nenne insbesondere die Tatbegehungsgefahr. Hier ist auch auf EU-Ebene etwas im Gange; ich meine nicht nur das Grünbuch, sondern auch die Vorbereitung zur Harmonisierung der Haftbestimmungen durch die Europäische Kommission. Auf der anderen Seite ist die europäische Ebene auch bei der Stellung des Geschädigten angesprochen, das wurde schon gesagt.
Da möchte ich zum Abschluss nur noch einen Punkt herausgreifen, nämlich die Kontrollbefugnis des Geschädigten gegenüber der Staatsanwaltschaft, wenn diese nicht verfolgen will. Der Entwurf enthält ein Nebeneinander von zwei Modellen: für das Vorverfahren das schon mehrfach angesprochene Modell der Klageerzwingung oder genauer Verfolgungserzwingung, und für das Hauptverfahren die klassische Subsidiaranklage. Ich plädiere für die Beibehaltung des Modells des Subsidiaranklägers, auch in Form der Subsidiarantragstellung im Vorverfahren.
Freilich wirft das jetzt wieder ein neues Licht auf die Thematik der Beweiserhebungen durch den Untersuchungsrichter. Aber so, wie das jetzt enthalten ist – das habe ich schon mehrfach gesagt, zuletzt in der Vorlesung, die ich mit dem Herrn Minister letzte Woche genießen durfte –, besteht da meiner Ansicht nach ein eklatanter Widerspruch zum Anklageprinzip, obwohl das Anklageprinzip in den programmatischen Erklärungen am Beginn des Entwurfes, in den allgemeinen Bestimmungen, beschworen wird. Dort heißt es, glaube ich, auch: „gegen ihren Willen darf ein Strafverfahren nicht durchgeführt werden“ – „ihren“ bezieht sich auf die Staatsanwaltschaft. Doch dann soll die Staatsanwaltschaft von einem Gericht gezwungen werden, weiterzuarbeiten? Das ist ein Widerspruch, den mir noch niemand wirklich hat plausibel machen können, und da sehe ich letztlich am ehesten auch verfassungsrechtliche Probleme, nämlich in der Untergrabung des Anklageprinzips.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter unterbricht die Sitzung.
(Die Sitzung wird um 12.12 Uhr unterbrochen und um 13.15 Uhr wieder aufgenommen.)
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Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf und informiert die Anwesenden darüber, dass die Art und Weise der Veröffentlichung des Protokolls geklärt wurde.
Leitender Staatsanwalt Dr. Werner Pleischl (Oberstaatsanwaltschaft Wien): Gestatten Sie mir eingangs einige persönliche Worte: Es wurde bereits erwähnt, dass ich an diesem Entwurf mitgearbeitet habe, und ich trage sehr gerne die Mitverantwortung für das Ergebnis. Ich freue mich über das Lob, das der Entwurf – vor allem in formaler Hinsicht – heute erfahren hat. Ich persönlich stehe zu jedem Satz beziehungsweise zu jedem einzelnen darin enthaltenen Wort. Ich freue mich über das Ergebnis, was jedoch nicht bedeutet, dass ich nicht auch die Meinung vertrete, dass man da und dort noch etwas ändern kann.
Für mich war es vor 15 Jahren eine persönliche Entscheidung, der Einladung des Justizministeriums zu folgen, an diesem Entwurf mitzuarbeiten. Für mich persönlich ist diese Arbeit abgeschlossen.
Die Aufgabe des Legisten besteht darin, einen Entwurf zu machen, das andere kommt dann von den Politikern. – Ich spreche jetzt völlig distanziert in eigenem Namen und als Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, und ich freue mich, falls ich in die Lage kommen sollte, dieses oder ein ähnliches Gesetz in einigen Jahren zu vollziehen. Ich könnte es aber verschmerzen, wenn Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, der Meinung sein sollten, dass wir die nächsten 130 Jahre besser nach wie vor mit einem 130 Jahre alten Gesetz verbringen sollen.
Die Diskussion des Vormittags ähnelt vielen vergleichbaren Diskussionen: Sie ging vom Generellen ins Spezielle, war in sich widersprüchlich, und es ist schwierig, dabei einen Überblick über die einzelnen Meinungen zu behalten.
Ich möchte mich inhaltlich jenen anschließen, die der Meinung Ausdruck verliehen haben, dass die Staatsanwaltschaften die Schlüsselrolle bei dieser Reform einnehmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Beruf erst ungefähr 150 Jahre alt ist, dass hingegen der vergleichbare Beruf des Richters viel ältere Vorläufer hat. Der Beruf des Staatsanwalts hat sich erst in den Folgejahren des Jahres 1848 entwickelt, als man die Auffassung vertrat, dass man dem Angeklagten die Wohltat eines Gegners bieten wolle, damit er nicht das Gericht kritisieren muss, um seine Verfahrensposition zu verbessern.
Letzteres gilt für die Hauptverhandlung. In der Hauptverhandlung sind die Staatsanwaltschaften Parteien. Im Vorverfahren ist die Situation hingegen ganz anders. –Das historische Gesetz ist unentschlossen. Ich möchte mich nicht gerne auf die Diskussion einlassen, ob die Rolle der Staatsanwaltschaft nach diesem Gesetz stark oder schwach ist. Ich würde kurz sagen: Sie ist bescheiden. Das geltende Gesetz hält nicht viel vom Staatsanwalt. Es bestimmt nur, dass der Staatsanwalt die Anhaltspunkte erhebt, ob es überhaupt ein Verfahren geben soll. Zu diesem Zweck soll sich der Staatsanwalt der Polizei und der Gerichte bedienen können, dann soll er entscheiden, ob er ein Verfahren einleitet oder nicht, nämlich die Voruntersuchung; später wurde ihm auch ermöglicht, eine Anklage einzubringen.
Wenn wir immer wieder davon sprechen, dass die Tätigkeit der Polizei im Vorverfahren nicht geregelt sei, dann gilt dasselbe in hohem Maße auch für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. – Die Praxis hat sich davon weit entfernt, und das macht den Beruf reizvoll: Die Staatsanwaltschaft ist heute etwas ganz anderes als ein bloßer Transformator. Nach der historischen Vorstellung ist die Staatsanwaltschaft jedoch jene Institution, die links das Ergebnis, das von anderen ermittelt wurde, bekommt, es in eine juristische Form gießt, und rechts weitergibt. Für die Wahrnehmung dieser Rolle bedürfte es nicht unbedingt einer eigenständigen Behörde.
Als das Innenministerium daher vor etwa acht Jahren einen Entwurf vorstellte, nach welchem die Auffassung vertreten wurde, dass die Anklage ohne Schwierigkeiten auch von den Bezirksgerichten übernommen werden könnte, nahm man sich die Verfassung vor. Die Kollegen stellten fest, dass Staatsanwälte in der Verfassung gar nicht und in den Gesetzen, abgesehen von Staatsanwaltschaftsgesetz, eher nur rudimentär vorkommen. Die Strafprozessordnung hält nicht viel von der Tätigkeit des Staatsanwalts im Vorverfahren, sie will, dass der Staatsanwalt nur vor dem Vorverfahren tätig wird.
Es wurde heute schon mehrfach erwähnt, dass diese Auffassung weder der gegenwärtigen Praxis noch den internationalen Gegebenheiten und der internationalen Entwicklung entspricht. Die Staatsanwaltschaften sind jene justiziellen Behörden, die in der Lage sind, die Rechtsförmigkeit des Verfahrens zu garantieren, sie sind die Behörden, die das Verfahren vom ersten Tatverdacht in Zusammenarbeit mit der Polizei über die Anklage, bei welcher sie dann die Rolle wechseln und Partei im Verfahren werden, bis zur Rechtskraft des Verfahrens beziehungsweise sogar bis zum Strafvollzug mit begleiten.
Das ist die ideale Behörde, und es gilt jetzt, aus dieser Behörde auch legistisch etwas zu machen. Wir alle wissen, dass die Tätigkeit der Staatsanwälte weit über das hinaus geht, was im Gesetz vorgesehen ist, beziehungsweise dass ihr durch die Diversion eine weitere Aufgabe aufgepfropft wurde, ohne dass man sich mit der grundsätzlichen Frage auseinander gesetzt hat.
Ich weiß nicht, warum man auf diese Behörde verzichten sollte, denn bei dieser liegt die Garantie der Objektivität und der Unabhängigkeit. Wir alle sind aber gewohnt, von einem richterlichen Vorverfahren auszugehen, obwohl es dieses in dieser Form gar nicht gibt, und daraus resultiert ein falsches Denken, denn die Staatsanwaltschaft soll in einem Vorverfahren nicht Partei sein. Alles, was wir über Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung gehört haben, kann in einem modernen Verfahren keine Gültigkeit haben. Die Staatsanwaltschaft soll im Vorverfahren nicht Partei bei Gericht sein, sondern sie ist die verfahrensführende Behörde. Es geht nicht darum, dass der Staatsanwalt früher Akteneinsicht bekommt als der Verteidiger, sondern die Staatsanwaltschaft sammelt die Informationen, um entscheiden zu können, ob eine Anklage erhoben wird oder nicht.
In § 91 (1) des Entwurfes steht, dass das Ermittlungsverfahren dazu dient, den Sachverhalt durch Ermittlungen so weit zu klären, dass die Staatsanwaltschaft über Anklage, Rücktritt von der Verfolgung oder Einstellung des Verfahrens entscheiden kann. – Darin liegt die primäre Bedeutung des Vorverfahrens, und höchstens sekundär geht es darum, dass dabei auch Beweise für das Hauptverfahren gesammelt werden, denn schließlich haben wir ja auch im Hauptverfahren ein Unmittelbarkeitsprinzip.
Die Funktion des Untersuchungsrichters ist das Ergebnis eines historischen Kompromisses in einer bestimmten politischen Situation, die völlig überholt ist. Es gibt dieses Prinzip in vergleichbaren Staaten in Mitteleuropa nicht mehr. Die Reformstaaten ziehen in Betracht, dieses Prinzip wieder einzuführen, es wird ihnen jedoch von allen Seiten davon abgeraten.
Es ist logisch, dass die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren einen Sachverständigen bestellt, denn sie will auf Grund der Informationen des Sachverständigen beurteilen können, ob Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt werden soll. Deswegen ist es auch ganz wichtig, dass es Verteidigungsrechte gibt, denn wenn man als Verteidiger zur verfahrensführenden Behörde geht und einen Beweisantrag stellen will und dies mit der Begründung abgelehnt wird, dass eine Beschwerde erst nach der Anklage erfolgen kann, dann ist man hilflos.
Änderungen sind dabei aber durchaus noch möglich. Ich stelle allerdings bei vielen Diskussionsbeiträgen fest, dass die Vorstellung eines gerichtlichen Vorverfahrens so stark in den Köpfen verwurzelt ist, dass man sich etwas anderes gar nicht vorstellen kann.
Die Unabhängigkeit kann nicht durch eine bestimmte Person damit garantiert werden, dass diese keine Weisungen erhalten kann. Die Objektivität des Verfahrens ist sehr viel mehr durch Antrags- und Einsichtsrechte, durch Beschwerdemöglichkeiten, durch Transparenz des Verfahrens und durch Anrufungsmöglichkeiten gegeben.
Ich bin in Anbetracht dessen mit jenen einer Meinung, die sagen, dass die Staatsanwaltschaft die wesentliche Schlüsselfunktion ausübt. Wir müssen die Rolle der Staatsanwaltschaft definieren, um zu wissen, welches Verfahren wir wollen, die Rolle des Gerichts kann sich dann nur komplementär ergeben.
Die Institution des Untersuchungsrichters ist eine contradictio in adiecto: Entweder es wird untersucht, oder es wird gerichtet. Dieselbe Person jedoch kann nicht beide Funktionen wahrnehmen und für den Fortgang der Untersuchungen und gleichzeitig für den Rechtsschutz in dieser Voruntersuchung zuständig sein. – Dieser Widerspruch missfällt mir am meisten.
Ich bin daher der Meinung – diesbezüglich möchte ich besonders Herrn Professor Fuchs widersprechen –, dass die Staatsanwaltschaft nicht Partei des Vorverfahren ist. Alle Konsequenzen, die sich aus der Annahme der Parteistellung ergeben, und alles, was davon abgeleitet wird, ist folglich nicht sachgerecht.
Außerdem möchte ich Herrn Professor Fuchs ganz entschieden widersprechen, wenn er meint, dass das gegenwärtige Regelungsdefizit eher zu ertragen sei, als wenn es dazu käme, dass dieser Entwurf Gesetz wird. – Ich meine, dass absolut das Gegenteil richtig ist: Es gibt keine Alternative zu diesem Entwurf, und zwar auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte. Das haben die vergangene Diskussion und die Reformdauer gezeigt.
Die Legisten haben keine Verantwortung mehr, sie können nur mehr beratend tätig sein, die Verantwortung liegt nun bei den Abgeordneten. Wenn Sie ein modernes Gesetz haben wollen, das den internationalen Vorgaben entspricht und entwicklungsfähig ist, dann muss es dazu kommen, dass dieser Entwurf beschlossen werden kann. Falls dies nicht geschieht, werden wir weiterhin mit einem 130 Jahre alten und im Grunde nicht mehr reformierbaren und der Praxis nicht entsprechenden Gesetz arbeiten müssen. – Ich hoffe sehr, dass Sie uns das ersparen werden.
Rechtsanwalt Dr. Rudolf Breuer (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Ich möchte einleitend darauf eingehen, dass heute unter anderem gesagt wurde, dass es sich hiebei um ein Jahrhundertgesetz handelt. – Dem kann ich durchaus beipflichten.
Ich sehe das Problem darin, dass man, weil es sich eben um ein Jahrhundertgesetz handelt, gegenwärtig noch in zu traditionellen Erfahrungen verhaftet ist und sich manches nicht vorstellen kann. Ich glaube, dass der eine oder andere Redebeitrag das durchaus aufgezeigt hat, und in diesem Lichte sehe ich auch den Beitrag des Herrn Dr. Fuchs, den ich im Übrigen sehr schätze und der vieles gesagt hat, was durchaus überlegenswert ist.
Grundsätzlich möchte ich zunächst festhalten, dass man diesem Entwurf positiv gegenüberstehen muss. Ich stehe auch nicht an, die Leistung, die damit erbracht wurde, anzuerkennen. Ich kann das umso mehr, als ich selbst an Besprechungen im Justizministerium teilgenommen habe. Es war ein Vergnügen, den Problemkomplex mit Herrn Dr. Miklau, Herrn Dr. Pleischl, Herrn Mag. Pilnacek und anderen Teilnehmern zu erörtern. Wir haben sehr genaue Überlegungen angestellt, wir haben manchmal um einzelne Passagen der gesetzlichen Bestimmungen gerungen, und es war meines Erachtens eine überwiegend sehr hoch stehende Diskussion.
Es handelt sich hiebei um einen Gesetzentwurf, der so, wie er vorliegt, zur Durchführung gelangen sollte, wenn auch eine gewisse Adaptierungsbedürftigkeit vorhanden ist. Ich bin davon überzeugt, dass, nachdem das Strafprozessreformgesetz in Wirksamkeit getreten sein wird, Erfahrungen aus der Praxis gewisse Novellierungen notwendig machen werden.
Ich möchte feststellen, dass im Zusammenhang mit der Beibehaltung des untersuchungsrichterlichen Ermittlungsverfahrens der Zug schon längst abgefahren ist. Wie hier mehrfach gesagt wurde – und das ist absolut richtig –, geht die internationale Entwicklung über den EU-Raum hinaus in Richtung staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren. Daher sollte darauf Wert gelegt werden, insbesondere im EU-Raum zu einer einheitlichen Regelung zu kommen.
Gleichgültig, ob es ein untersuchungsrichterliches oder ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gibt, hängt die Qualität eines Ermittlungsverfahrens beziehungsweise eines Strafprozesses nach wie vor davon ab, wie stark oder schwach jene Personen sind, die agieren, wobei ich die Verteidiger auch nicht ausschließe. – Ich persönlich habe einmal in Deutschland eine Verteidigung geführt. Ich musste mit dem Staatsanwalt in Traunstein fünf Minuten sprechen, musste mich aber eine Stunde lang in seinem Zimmer aufhalten, weil er rund 55 Minuten lang Anweisungen an Ermittlungsbeamte gab, als ob er der Generaldirektor eines Konzerns wäre. Er agierte dabei mit einer Selbstverständlichkeit und Dominanz, die für mich absolut beeindruckend war.
Natürlich wird, wenn das Gesetz in Kraft tritt, eine gewisse Übergangsphase notwendig sein. Selbstverständlich wird auch die Ausbildung der Staatsanwälte eine gewisse Richtung nehmen müssen, etwa im Sinne einer stärkeren Betonung des Ermittlungsverfahrens.
Alles in allem ist dieses Gesetz jedenfalls notwendig. Ich gebe zu, dass es adaptierungsbedürftig ist und sein wird. Professor Steininger hat § 165 angesprochen, und ich teile seine Meinung: Es geht nicht darum, die Befragungstätigkeit des Untersuchungsrichters zu erweitern, um irgendwelche Personen damit zu privilegieren, sondern es geht darum, dass man gegen den Fall, dass nach außen hin der Eindruck entstehen könnte, dass Parteilichkeit waltet, insofern vorbeugt, als in solchen Angelegenheiten der unabhängige Untersuchungsrichter zuständig sein soll. Diese Möglichkeit sollte nicht ausufernd wahrgenommen werden, doch ich meine, dass dafür eine Notwendigkeit besteht und dass die Öffentlichkeit auch sehr gut verstehen wird, dass in gewissen Fällen der unabhängige Richter berufen ist, tätig zu werden.
Es sind heute auch ein paar Mal die Kosten zur Sprache gekommen: Selbstverständlich wird das einiges kosten, selbstverständlich wird man eine erkleckliche Anzahl an Staatsanwälten dazu brauchen. Andererseits wird das wiederum bewirken, dass die Untersuchungsrichter teilweise entlastet werden. Man sollte dabei bedenken, dass Rechtsstaatlichkeit eben etwas kostet und man in diesem Bereich nicht zu sehr nach den Kosten fragen sollte.
Man könnte sich auch überlegen, ob es Bereiche gibt, in denen man die Staatsanwaltschaft entlasten kann. Es stand einmal zur Diskussion, warum zum Beispiel in Einzelrichterverfahren ein Staatsanwaltschaft bei der Hauptverhandlung anwesend sein muss. Aus der Praxis gesehen ist er dabei überflüssig. Der Richter ist dazu verpflichtet, die Wahrheit zu erforschen, und muss in jede Richtung prüfen. Der Staatsanwaltschaft kann seinen schriftlichen Strafantrag einbringen, aber er muss nicht bei den Verhandlungen im Einzelrichterverfahren dabei sein.
Betreffend schöffengerichtliches Verfahren bin ich eher der Meinung, dass der Staatsanwalt wegen der Bedeutung der Sache gebraucht wird, und im Schwurgerichtsverfahren muss er selbstverständlich anwesend sein. – Aber es können jedenfalls Entlastungen geschaffen werden.
Was ich zum Schluss erwähnen möchte, ist mir besonders wichtig, vor allem aus dem Blickwinkel meiner langjährigen Praxis, wobei ich jetzt die Praxis der Untersuchungshaft in Österreich anspreche: Ich bin der Meinung, dass man, wenn man eine Studie darüber durchführt, wie es dazu kommt, dass die Häftlingszahlen dermaßen ausufern, feststellen wird, dass einen gewissen Anteil davon die Untersuchungshaft ausmacht. Nach meiner Auffassung ist die Untersuchungshaft zu oft unnotwendig und dauert oft zu lange. Vorredner haben heute schon gesagt, dass man für den Bereich der Untersuchungshaft auch Überlegungen betreffend Adaptierungen treffen müssen wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen Punkt erwähnen, der mir ein besonderes Anliegen ist: Hinsichtlich der Haftgründe besteht zweifellos die Möglichkeit, Klarstellungen zu treffen. – Ich nenne jetzt als Beispiel einen Spruch des Obersten Gerichtshofs, mit dem ich nicht konform gehe: Die „Tat mit schweren Folgen“ wurde vor einigen Jahren so interpretiert, dass unter schweren Folgen auch die Auswirkungen der Tat auf die Gesellschaft und die entsprechend zu treffenden Abwehrmaßnahmen zu verstehen sind. – Im Rahmen einer Grundrechtsbeschwerde habe ich geltend gemacht, dass der OGH, wenn er dieser Rechtsauffassung ist, konsequenterweise der Auffassung sein müsste, dass auch der Ladendiebstahl eine „Tat mit schweren Folgen“ ist, denn wir wissen ganz genau, dass jährlich Waren im Wert von fast einer Milliarde Schilling gestohlen werden und dass Hunderte Millionen von der Wirtschaft aufgewendet werden müssen, um diesen Ladendiebstählen entgegenzutreten. Nach meinem Dafürhalten müssten die Haftgründe im Sinne der Verfassung und somit im Sinne des Stufenbaus der Rechtsordnung und im Sinne des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit ausgelegt werden.
Es sind also durchaus einige Adaptierungen notwendig.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Kurt Schmoller (Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, Universität Salzburg): Ich möchte nicht zu Details des Entwurfes Stellung nehmen, sondern mich nach dem bisherigen Verlauf der Diskussion auf das Grundsätzliche beschränken.
Zunächst möchte ich über die Wichtigkeit des Reformanliegens sprechen. Ich glaube, man sollte die Dringlichkeit des Reformanliegens nicht bagatellisieren. Die Reformbedürftigkeit des gesamten Vorverfahrens steht seit Jahrzehnten außer Frage. Als ich vor ungefähr 25 Jahren zu studieren begann, war einer der ersten Aspekte, mit dem ich im Strafprozess konfrontiert wurde, dass dringender Reformbedarf besteht, und dieser Reformbedarf ist bis heute aufrecht beziehungsweise hat sich noch intensiviert.
Aus den Lehrbüchern des Strafprozessrechts geht hervor, dass es heute eine Doppelgleisigkeit zwischen dem Regelungskonzept der StPO und der Durchführung in der Praxis gibt. Wenn man gezwungen ist, das den Studenten zu erklären, dann ist das für einen Rechtsstaat wohl eine sehr unbefriedigende Situation.
Erster Punkt: Ich glaube, dass der Umfang der Reform, wie er in Aussicht genommen ist, dass nämlich das gesamte Vorverfahren novelliert werden soll, angemessen ist. Dieser Bereich wird seit 15 Jahren intensiv diskutiert, und es liegen Ergebnisse vor, über die man nicht hinweggehen sollte. Eine Ausdehnung der Reform auch auf das Hauptverfahren ist im Augenblick aussichtslos, weil die Vorarbeiten dafür noch nicht geleistet wurden; eine Einschränkung auf nur einige wenige Punkte des Vorverfahrens, also nur auf die Polizeitätigkeit, würde die Reform hingegen um Jahrzehnte zurückwerfen.
Wenn man die Reformdiskussion mitverfolgt hat, dann kann man feststellen, dass der vorliegende Entwurf inhaltlich nicht ein Entwurf der jetzigen Regierung oder einer bestimmten Partei ist, sondern dass die Diskussionsergebnisse im Laufe der vergangenen 15 Jahre kontinuierlich in diesen Entwurf eingeflossen sind. Die prinzipielle Reform des gesamten Vorverfahrens sollte in Anbetracht dessen nicht in Frage gestellt werden, sondern die Frage sollte lauten: Wie können im Rahmen dieser Reform noch Justierungen vorgenommen werden?
Zweiter Punkt: Ich meine, dass das grundsätzliche Konzept des Entwurfs, nämlich die Schaffung eines einheitlichen Vorverfahrens unter Leitung des Staatsanwalts, Zustimmung verdient. Es ist ein wesentliches Verdienst dieses Entwurfs, dass das Vorverfahren weiterhin unter justizieller Leitung stehen soll. Nach früheren Entwürfe, etwa bis zum Jahr 1990, sollte das Vorverfahren weitgehend in die Hände der Polizei und damit in die Hände des Innenministeriums gelegt werden. Das war eher bedenklich. Seit 1995 wird diese Variante der Reform meines Erachtens sachgerechterweise nicht mehr diskutiert. Mit der Staatsanwaltschaft hat man eine Justizbehörde, die das Vorverfahren leitet und gewährleistet, dass das Vorverfahren unter dem Justizressort geführt wird.
Ich halte es auch für sachgerecht, dass jene Person, die anschließend die Entscheidung darüber trifft, ob eine Anklage erhoben wird oder nicht und sich dabei auf bestimmte Ermittlungsergebnisse stützt, beeinflussen kann, welche Tatsachen ermittelt werden müssen, was die Effizienz der Ermittlungen zweifellos steigert.
Im Gegensatz zu Professor Fuchs glaube ich nicht, dass dabei problematische inquisitorische Momente enthalten sind. Es wurde argumentiert, dass nicht jene Person über die Anklage entscheiden sollte, die vorher zum Sammeln von Stoff für die Fällung dieser Entscheidung beigetragen hat. – Ich meine aber, dass das Anklageprinzip zu weit ausgedehnt werden würde, wenn man vor den Ankläger quasi noch einen weiteren Ankläger vorschalten will.
Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass diese inquisitorischen Momente in der heutigen Voruntersuchung tatsächlich und in stärkerem Maß enthalten sind, wenn nämlich jener Untersuchungsrichter, der auch ermittelt, dann sehr wesentliche Entscheidungen etwa betreffend die Verhängung der Untersuchungshaft trifft und andere strafprozessuale Eingriffe vornimmt. Diese Probleme werden durch die neue Struktur eher abgemildert.
Grundsätzlich glaube ich, dass die Abschaffung des Untersuchungsrichterkonzepts unter den Kautelen, die der Entwurf vorsieht, berechtigt beziehungsweise vertretbar ist. In gewissen Bereichen hat der Richter ohnehin weiterhin Kompetenzen, was deshalb besonders wichtig ist, weil so unwiederholbare Beweise für die Hauptverhandlung geschaffen werden. Das trifft für die Tatrekonstruktion und für die kontradiktorische Vernehmung zu. Man könnte sich im Anschluss an das, was Herr Präsident Steininger gesagt hat, überlegen, ob es weitere Bereiche gibt, die man dem Richter zuweisen soll. Ich würde das vorrangig unter dem Gesichtspunkt sehen, ob es Agenden sind, die unwiederholbar sind und von welchen zu erwarten ist, dass sie das Hauptverfahren in hohem Maße beeinflussen. Solche Bereiche sollten schon im Vorverfahren unter richterliche Leitung gestellt werden.
Weiters denke ich, dass das vorgesehene Rechtsschutzsystem, das ich nicht für überbordend, sondern für notwendig halte, dass nämlich bei möglichen Eingriffen das Gericht angerufen werden kann, hinsichtlich jener Garantien, die heute durch das untersuchungsrichterliche Konzept gegeben sind, ausgleichend wirkt. Dieser Rechtsschutz wird sich in der Praxis einspielen müssen, vielleicht wird es am Anfang mit diesem sehr weit gefassten Rechtsmittel Schwierigkeiten geben, es wird aber meines Erachtens in der weiteren Folge durch die Praxis bewältigbar sein.
Wir stehen bei der Vorverfahrensreform vor einem Schritt, der ähnlich große Bedeutung hat wie die Neufassung des StGB im Jahre 1974, und wir sollten alles daran setzen, dass dieser Schritt auch zu einem erfolgreichen Ergebnis kommt. Das StGB hat sich in den vergangenen über 25 Jahren sehr gut bewährt und genießt international den Ruf, ein modernes, gut verständliches Gesetz zu sein. Im Hinblick darauf sollten wir uns auch bemühen, im Strafprozessrecht einen ähnlichen Schritt zu setzen, damit wir nicht weiterhin damit leben müssen, dass zwischen dem Gesetzestext und der Handhabung in der Praxis große Divergenzen bestehen.
Ich hoffe, dass auch in diesem Bereich ein Gesetz zustande gebracht wird, das gut vermittelbar ist, sich einer modernen Rechtssprache bedient, ein klares Konzept aufweist und zukunftsträchtig ist. Ich glaube, dass der vorliegende Entwurf das Zeug dazu hat, ein ähnliches Jahrhundertgesetz wie das StGB 1974 zu werden.
Leitender Staatsanwalt HonProf. Dr. Heimo Lambauer (Oberstaatsanwaltschaft Graz): Ich freue mich, dass ein Legist des Bundesministeriums für Justiz die Tätigkeit des Staatsanwalt als „reizvoll“ empfindet. Allerdings hat er sich – wie ich glaube – noch nicht ganz eingewöhnt, weil er diese Tätigkeit ja erst kurze Zeit ausübt.
Da Frau Dr. Rech gesagt hat, dass es auch schwache Staatsanwälte gibt, so muss ich dazu sagen: Es gibt keine schwachen Staatsanwälte, es gibt nur zu wenige Staatsanwälte. Es wird immer davon geredet, dass wir ein einheitliches Ermittlungsverfahren haben und uns mit dem Ausland vergleichen wollen. Wenn wir das wollen, dann brauchen wir aber auch so viele Staatsanwälte, um das durchzusetzen, und da stoßen wir an Grenzen.
Es ist schade, dass der Herr Bundesminister im Augenblick nicht anwesend ist, denn ich meine, dass man ihm als Staatsanwalt nicht folgen kann, wenn er sagt, dass, wenn der Entwurf fertig vorliegt, über die Kosten geredet werden muss. Im Hinblick darauf bitte ich die Abgeordneten, darauf zu achten, dass über die Kosten primär geredet werden muss, denn sonst haben wir als Staatsanwälte größte Probleme, ein solches Gesetz tatsächlich zu vollziehen, wozu wir jedoch verpflichtet sind.
Ich stehe ziemlich allein mit der Meinung, dass die Staatsanwaltschaft gemäß Entwurf so sehr gestärkt wird, wie es immer wieder dargestellt wird. Die Staatsanwälte sind auch derzeit stark. Bei allen Vorerhebungen – und diese machen die Masse des Vorverfahrens aus – ist der Staatsanwalt dominus litis. Er hat die Leitungsbefugnis. Gemäß § 36 StPO hat der Staatsanwalt auch jetzt bereits die so genannte potentielle Leitungsbefugnis.
In vielen Punkten werden die Staatsanwälte allerdings geschwächt. Es soll in Zukunft das so genannte Anklageerzwingungsverfahren und auch die Möglichkeit der Einstellungserzwingung durch das Gericht geben. Ich meine, dass das keine systematische Weiterentwicklung des Anklageprozesses darstellt. Bei der Anklage- und Einstellungserzwingung handelt es sich meines Erachtens um eine massive Einschränkung der Souveränität der Staatsanwaltschaft.
Ich kann also die immer wieder erwähnte Stärkung der Staatsanwaltschaft nicht wirklich wahrnehmen. Wir werden nicht so sehr gestärkt, jedoch mit viel mehr Arbeit belastet werden. Das wird kaum jemand, der ein wenig Insider ist, bestreiten können.
Zur Anklageerzwingung möchte ich Folgendes anmerken: Auch ich bin ein Anhänger des Ausbaus des Subsidiarantragsrechts. Von einem Staatsanwalt, der gezwungen wird, eine Anklage gegen seine Überzeugung auf Grund eines Gerichtsbeschlusses zu erheben, hat insbesondere der Geschädigte nicht allzu viel zu erwarten.
Ich bin nicht ganz konform mit der Lehre, dass die Institution des Untersuchungsrichters ein Ausfluss des Anklageprinzips wäre. Ich bin eher ein Anhänger der gängigen Meinung, dass die Voruntersuchung ein Rest des Inquisitionsverfahrens ist.
Abgeordneter Miedl hat gemeint, wir sollten die persönliche Befindlichkeit zurückstellen. – Uns geht es um die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. Uns geht es darum, dass wir dieses Gesetz, wenn es so beschlossen wird, auch zu vollziehen haben. Wenn das ernst genommen werden soll, dann darf man auch die Frage, die heute wiederholt aufgetaucht ist, nicht außer Acht lassen, wer diese Strafprozessreform zahlt. Mit einer bloßen Umschichtung, wie es immer wieder vom Bundesministerium für Justiz angedeutet wird, ist diese Reform nach meinem Dafürhalten nämlich nicht zu machen.
Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Man nimmt das Lob, das jetzt gekommen ist, gerne entgegen.
An und für sich hat Professor Schmoller schon vieles vorweggenommen.
Zur Kostenfrage: In der Vorlage ist bereits eine Kostenberechnung enthalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass insgesamt ein Mehrbedarf von 90 Staatsanwälten abzudecken sein wird. Wer den Herrn Bundesminister bei den Planstellenverhandlungen erlebt hat, der weiß, wie er um die Anliegen einer ausreichenden Personalressourcenbewirtschaftung kämpft, und wir werden das weiterhin tun. Es stimmt daher nicht, dass von uns jemals verlautet wurde, dass wir den zusätzlichen Planstellenbedarf durch interne Umschichtungen abdecken könnten. Die Kostenberechnung in der Vorlage spiegelt nach wie vor die aktuelle Meinung wider.
Insgesamt dreht sich die Debatte um grundsätzliche Fragen: Besteht eine Notwendigkeit der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens? In welchen Bereichen besteht diese Notwendigkeit? Kann man die Vorteile und Schwächen der gegenwärtigen gerichtlichen Voruntersuchung den Vorteilen und Schwächen des vorgeschlagenen einheitlichen Vorverfahrens unter Leitung der Staatsanwaltschaft gegenüberstellen? Welchem Verfahrensmodell kann man die größere Glaubwürdigkeit zubilligen?
Im Hinblick auf diese Fragen bin ich dankbar für den Debattenbeitrag von Präsident Steininger, der darauf hingewiesen hat, wie er als Verfechter der gerichtlichen Voruntersuchung nach Durchsicht des Diskussionsentwurfs zu der Auffassung gelangte, dass es auch ohne gerichtliche Voruntersuchung geht. Wir werden jetzt in Richtung des § 165 weiterdenken.
Ich gebe aber auch gleich zu bedenken, dass wir das schon bisher getan haben und die Formulierung nicht ganz einfach ist, in welchen Fällen politischer Einfluss möglich ist und wie das gesetzlich zu definieren sein wird.
Auch hinsichtlich der Verteidigungsrechte kann man natürlich vieles besser und exakter machen. In diesem Zusammenhang sind wir aber immer vor der schwierigen Frage betreffend Wahrung der Ermittlungseffizienz einerseits und Gewährung von ausreichendem Rechtsschutz für die Beteiligten andererseits gestanden. Ich kann daher auch nicht ganz nachvollziehen, wie ein Verfahren mit einer derzeit schwachen Beschuldigtenstellung gestaltet werden sollte, wenn der Vorschlag kommt, dass wir bei dieser schwachen Beschuldigtenstellung stärkere Opferrechte in Form eines zusätzlichen starken Anklägers in das geltende Verfahren einbauen sollen. Das kann die Reform meiner Meinung nach nicht wirklich befördern.
Wenn gesagt wird, dass wir es bei der gerichtlichen Voruntersuchung belassen sollen und dass § 97 ohnedies alles enthält, dann muss man auch § 93 erwähnen, in dem steht, dass der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung persönlich und unmittelbar zu führen hat. – Man möge mir die Hausdurchsuchung zeigen, bei welcher der Untersuchungsrichter persönlich und unmittelbar am Tatort anwesend ist!
In § 97 heißt es betreffend das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten im Schlusssatz, dass dieser davon gar nicht zu verständigen ist, sondern dass der Untersuchungsrichter nur den Ankläger davon zu verständigen hat und er selbst von dieser Verständigung Abstand nehmen kann, wenn Gefahr im Verzug ist. – Würden wir tatsächlich so formulieren, dann könnte man uns zu Recht Ungenauigkeit vorwerfen. Ich bitte also, auch in diesem Punkt Rücksicht auf die Balance zwischen Ausbau der Rechte und Wahrung der Ermittlungseffizienz zu nehmen.
Zum Thema Rechtsschutz: Man kann nicht einerseits die gerichtliche Voruntersuchung abschaffen, andererseits aber bestimmen, dass es nicht einmal mehr den Rechtsschutz gibt, den es bisher in der gerichtlichen Voruntersuchung gibt. Gemäß § 113 der geltenden Strafprozessordnung kann man sich gegen jede Verzögerung durch den Untersuchungsrichter beschweren. Mir ist nicht bekannt, dass derzeit Voruntersuchungen unnötig in die Länge gezogen werden. Ich meine, dass es nicht denkbar ist, alle Beschwerdemöglichkeiten an das Ende des Verfahrens zu verlagern, wenn die Staatsanwaltschaft bereits erwägt, Anklage zu erheben.
Wenn jetzt gefordert wird, dass der Beschuldigte vom Gericht tatsächlich verlangen können soll, dass das Verfahren eingestellt wird, dann möchte ich sagen: Das kann er heute in der Voruntersuchung auch! Wenn man sich die Formulierung in § 108 anschaut, kann man feststellen, dass die Kriterien da ganz eng gefasst sind und es im Wesentlichen um eine Verletzung des Beschleunigungsgebots geht. Nur in Fällen, in denen uns der Gerichtshof in Straßburg vorwirft, überlange Verfahrensdauer zu haben, soll dieses Recht wirksam werden.
Bei Detailkritik sollte man also ganz genau auf die Formulierungen und auch darauf achten, dass nicht etwas verloren geht, was bisher in der gerichtlichen Voruntersuchung jedenfalls akzeptiert war, nämlich voller Rechtsschutz für die Betroffenen.
Staatsanwalt Hofrat Dr. Walter Nemec (Staatsanwaltschaft Wien): Zu dieser Wortmeldung wurde ich durch eine Bemerkung von Frau Dr. Rech angeregt, die das Verwaltungsgerichtshoferkenntnis in einer Weise gedeutet hat, als hätte der Verwaltungsgerichtshof damit Vorgaben für das gerichtliche Verfahren gemacht. – Diese Darstellung ist in dieser Form nicht richtig. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, was gegenwärtig gesetzliche Grundlage ist, und hat nur aufzeigt, dass es notwendig ist, ein neues Vorverfahren zu schaffen, damit die formalen Grundlagen, nach denen die Kriminalpolizei agiert, neu geregelt werden.
Im Verwaltungsstrafgesetz ist vorgeschrieben, dass die Kriminalpolizei auch dann, wenn sie im Dienste der Strafjustiz agiert, die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes einzuhalten hat, abweichend von der in der Praxis gehandhabten Vorgangsweise, dass man sich dabei an die Regeln der Strafprozessordnung hält, weil es ja ein gerichtliches Vorverfahren war, in das die Kriminalpolizei eingebunden war. Das Verwaltungsstrafgesetz sieht jedoch vor, dass bei einer Vernehmung im Verwaltungsstrafverfahren auch eine Person des Vertrauens zur Vernehmung beigezogen werden kann. Das gilt natürlich nicht für das gerichtliche Strafverfahren. Dort existiert gemäß § 198 StPO die Bestimmung, wonach eine Videokamera installiert werden kann, wenn durch das Gericht beigezogene objektive Beobachter des Geschehens einvernommen werden. Hiebei handelt es sich jedoch nicht um die Beiziehung einer Vertrauensperson.
Gerade dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zeigt, dass die Regelungen der StPO anders sind. Daran kann sich die Diskussion knüpfen, ob man hinter oder vor diese Regelung gehen soll. Die Auslegung, dass der Verwaltungsgerichtshof damit Vorschriften für das gerichtliche Vorverfahren gemacht hätte, ist jedoch falsch.
Dr. Pleischl hat gesagt, dass das gerichtliche Vorverfahren so stark in den Köpfen verankert ist, dass man sich etwas anderes gar nicht vorstellen kann. – Er hat es insofern leicht mit seinen Ausführungen, als ein in sich sehr stimmiges Verfahren geschaffen wurde, jedoch mit einer radikalen Ausformung in der Weise, dass es überhaupt keine Untersuchungsrichter gibt. Das ist ein Modell, das können wir uns wohl gut vorstellen. Die Frage ist aber: Wollen wir das auch? Gibt es nicht ein anderes Modell, das nicht Untersuchungsrichtermodell im Sinne der Voruntersuchung ist, sondern das in moderner Form den Richter einbindet, wobei dieser aber nicht die Voruntersuchung führt?
Es geht hiebei um die Frage der Vorstellbarkeit eines anderen ergänzenden Modells, das nicht alte Strafprozessordnung ist, aber auch nicht die extreme Form des Vorschlags im Entwurf umsetzt.
Ergänzend möchte ich noch einen Punkt anfügen, der mir in der Diskussion immer unterzugehen scheint beziehungsweise verwirrend ausgelegt wird: Es wird immer davon gesprochen, dass die Möglichkeit, eine Voruntersuchung über das Gericht zu führen, bestehen soll oder der Staatsanwalt als Ermittlungsorgan gesehen wird. – Die Tatsache, dass der Richter als derjenige eingebunden wird, der Beweise schafft, macht ihn noch nicht zum Voruntersuchungsrichter. In letzterem Fall müsste er verantwortlich für den Gang des Verfahrens sein und bestimmend agieren. Damit würde der Richter das tun, was der Staatsanwalt tun soll. Eine solche Form der Voruntersuchung ist natürlich abzulehnen, denn das ist eine überholte und antiquierte Form. Aber die Einbindung des Gerichts in die Ermittlungstätigkeit über Antrag unter Leitung des Staatsanwaltes ist ein ganz andere Frage.
Hofrat Mag. Maximilian Edelbacher (Leiter des Kriminalkommissariats Süd): Erlauben Sie mir, dass ich mich als alter Polizeipraktiker bei Frau Dr. Partik-Pablé herzlich bedanke, dass ich heute hier sein darf. Es ist für mich nicht so selbstverständlich, dass auf die Erfahrungen alter Polizeipraktiker Wert gelegt wird. Als ich meine Einladung mit den Kriminalbeamten in Favoriten diskutierte, war es Kommentar der Praktiker an der Front, dass wir, wenn die StPO-Reform und die Polizeireform kommen, zusperren können.
Ich kann jetzt nur für die Wiener Verhältnisse sprechen: Die Polizei leidet massiv unter den Reformvorhaben des Innenministeriums. Es ist bekannt, dass Sparen angesagt ist, dass personelle und materielle Knappheit besteht, und wenn wir uns nun sozusagen den Luxus der StPO-Reform leisten, dann wird es mit der polizeilichen Effizienz total bergab gehen.
Es wurden vom Innenministerium keine Zahlen veröffentlicht. Ich sehe es aus der Froschperspektive: Die Zahl der Delikte steigt, die Aufklärungszahl sinkt. Das kann man ganz sicher auch im Bereich des Kriminalkommissariats Süd, wo ich zurzeit arbeite, erkennen. Mag. Geyer hat einige Zahlen genannt, und ich glaube, diese sprechen für sich: Wenn die Aufklärungszahl von 19 000 Fällen auf 15 000 Fälle gesunken, die Anfallszahl der schweren Delikte hingegen von 45 000 auf 50 000 gestiegen sind, dann belegt das die Situation, die ich als Polizist erlebe.
Ein Beispiel für die Knappheit: Die Einbruchsgruppen des KK Süd sitzen derzeit in Liesing. Gestern gab es einen Einbruch in einen Supermarkt in Favoriten. Es dauerte eine Dreiviertelstunde, bis die Kriminalbeamten von Liesing einsatzbereit waren, und die Tatortgruppen kamen aus Hietzing. – All das ist nur vorübergehend, aber es zeigt die polizeiliche Realität und bestätigt, mit welchen Rahmenbedingungen wir konfrontiert sind.
Wenn jetzt noch der Formalismus steigen und die materielle Wahrheitsfindung in den Hintergrund treten wird – und das befürchten wir sehr –, dann wird die Effizienz massiv leiden. Wir sind in Österreich immer so stolz darauf, dass wir das sicherste oder zweitsicherste Land sind, ich glaube aber, dass wir diesen Platz nicht halten können werden.
Vielleicht liegt es an meinem Alter, aber das Rollenbild des Richters und das Vertrauen in ihn sind bei mir und – wie ich glaube – auch in der Bevölkerung sehr stark verwurzelt. Daher bin ich eher der Ansicht, dass das Untersuchungsrichter- beziehungsweise Richtermodell nicht gänzlich abgeschafft werden soll. – Alles, was in Europa modern ist, muss ja nicht unbedingt gut sein!
Zur Kostenfrage: Man wird auf die Kosten, wenn nicht Vorsorge getroffen wird – und ich fürchte, in Zeiten einer Budgetkonsolidierung wird das nicht gehen –, sehr achten müssen.
In dem Entwurf steht nirgends, dass die materielle Wahrheitsfindung wirklich der Kern ist. Es mag sein, dass der Objektivitätsgrundsatz dies beinhaltet. Ich meine aber, dass der Entwurf keine Ausgewogenheit zwischen materieller Wahrheitsfindung und Effizienz und Formalismus zeigt. Strafprozessrecht hat mit Gerechtigkeit zu tun, und Gerechtigkeit beinhaltet unmissverständlich die Wahrheitsfindung. Hiefür muss genügend Raum geschaffen werden. Wenn bereits im polizeilichen Vorverfahren dermaßen viele Rechtsmöglichkeiten eingeräumt werden, dann ist der Vorteil des Täters wesentlich.
Ich vermisse im Entwurf auch die Möglichkeit einer Wahrheitserinnerung bei der Einvernahme. Es ist schon richtig, dass die EMRK vorschreibt, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten. Folgt aber daraus, dass man den Beschuldigten nicht ersuchen darf, die Wahrheit zu sagen? – Ich meine, dies ist nicht der Fall.
Zur Frage der Anwesenheit der Verteidiger: Wann beginnt die Anwesenheit der Verteidiger? Die Polizei hat 48 Stunden alle Hände voll zu tun, um die Identität zu klären. Vielfach wissen wir gar nicht, wer unser Kunde ist. „Know your customer“ ist ein alter Grundsatz im Bankengeschäft, wir wissen das jedoch oft nicht. Außerdem müssen wir in dieser kurzen Zeit vertrauensbildende Maßnahmen setzen. Das Gespräch beginnt also schon sehr frühzeitig. Müssen wir da warten, bis der Rechtsanwalt endlich Zeit für uns hat? – Ich meine, diese 48 Stunden sollten wirklich maximal genützt werden.
Auf Grund der Analysearbeit, Vorbereitung und proaktiven Aktionen der Exekutive ist es immer wahrscheinlicher, dass die Polizei mehr Großverfahren durchführt. Wie schaut es da aus, wenn zehn, 20 oder 30 Verdächtige auf einmal eingesperrt werden? Wie oft muss der Akt für die Akteneinsicht kopiert werden? Wie viele Räume sollen zur Verfügung gestellt werden? – Das ist operativ nicht umsetzbar! Bleiben wir daher auf dem Boden der Realität! Hören Sie bitte etwas auf die Polizeipraktiker!
Rechtsanwalt Dr. Gerald Ruhri (Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen): Ich bin Praktiker und erlebe als Rechtsanwalt in Graz das, wovon wir hier reden, tagtäglich im meiner beruflichen Tätigkeit und möchte aus dieser Sicht heraus Detailkritik üben.
Es amüsiert mich etwas, dass offensichtlich die Anwälte diejenigen sind, welche die wenigsten Ressentiments gegen den neuen Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Staatsanwalts haben.
Ich habe festgestellt, dass es, wenn man sich die Entwicklung vom Diskussionsentwurf bis hin zur Regierungsvorlage ansieht, zu einigen Verschiebungen von den Rechten des Beschuldigten und des Anwalts hin zur Polizei gekommen ist. Ich meine, diese Punkte muss man sich vor Augen führen, denn das ist gefährlich und darf nicht so bleiben.
Herr Hofrat Edelbacher! Es ist Zufall, dass wir hier hintereinander reden, aber es passt sehr genau. Die 48-Stunden-Regelung, die Sie erwähnt haben, stammt aus dem Jahr 1873 und hat unter den heutigen Voraussetzungen und Möglichkeiten und in Anbetracht der neuen Strafprozessordnung nichts mehr zu suchen. Wenn Sie in diesen 48 Stunden so agieren, wie Sie es dargelegt haben, verwenden Sie diese 48 Stunden für Zwecke, die Ihnen nicht zustehen. Nur wenn Sie den Beschuldigten mit dem Ochsengespann einliefern, wären diese 48 Stunden gerechtfertigt!
In § 50 des Gesetzentwurfs heißt es, dass die Belehrung über die Rechte so bald wie möglich vorzunehmen ist. – Diese Formulierung beeinträchtigt meines Erachtens unzulässigerweise wiederum den Beschuldigten. Ich meine, dass die Belehrung sofort durchzuführen ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass es keine Begründung dafür gibt, sozusagen nach dem Klicken der Handschellen zuzuwarten, bis man den Beschuldigten belehrt, warum er festgenommen und beamtshandelt wird und welche Rechte er in dieser Situation hat.
Zu § 164 Abs. 2, Hand in Hand mit § 59 Abs. 1, betreffend die Beschränkung des Verteidigerkontakts und die Möglichkeit, eingeräumt durch eine undefinierte und etwas verschwommene Bestimmung, den Verteidiger davon abzuhalten, mit dem Beschuldigten sprechen zu können: Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass der Polizeibeamte in dieser Situation zu mir sagt, dass er mich bei dieser Vernehmung nicht dabei haben will. Dazu bringen mich nicht Standesdünkel, sondern die Sorge um den Rechtsstaat. Ich fühle mich in diesem Punkt auch von der Regierungsvorlage ein wenig persönlich angegriffen, wenn man mir als Anwalt unterstellt, dass ich ein Komplize beziehungsweise berufsmäßiger Begünstiger von Straftaten bin. Man unterstellt mir damit, dass ich eine Gefahr für die Ermittlungseffizienz und für erfolgreiche Ermittlungen bin. Das kann ein Anwalt, der Wert darauf legt, seriös zu arbeiten – und das nehme ich für meinen Berufsstand in Anspruch –, nicht auf sich beruhen lassen.
Es ist selbstverständlich zulässig, den Anwalt hinaus zu komplimentieren, aber nur dann, wenn die Voraussetzungen für den Ausschluss eines Verteidigers gegeben sind. Wenn sich im Rahmen der Erhebungen herausstellt, dass der Anwalt mit der Sache zu tun haben könnte, dann ist es selbstverständlich legitim und für die Ermittlung notwendig, zu verhindern, dass der Anwalt weiter dabei bleibt. Aber im Fall eines solchen Verdachts möchte ich eine Begründung haben, um mich dagegen zur Wehr setzen zu können.
Ich meine, dass es diesbezüglich keine weichen Formulierungen geben darf, sondern konkrete Bestimmungen bestehen müssen, wonach der Ausschluss eines Verteidigers gerechtfertigt ist.
Es wurde heute auch mehrfach über die Kosten der Reform gesprochen. Ein Aspekt der Kosten ist jedoch bis jetzt unerörtert gebIieben, nämlich der Aspekt der Kosten des Anwalts. – Die Pflichtverteidigung soll abgeschafft werden, und die Verfahrenshilfe wird vom Gericht bewilligt. Letztere wird naturgemäß zu einem Zeitpunkt bewilligt, zu dem die Ersteinvernahme und wahrscheinlich sogar der Augenschein längst stattgefunden haben, wobei die Weichen in einem Verfahren schon gestellt sind. Auf diese Weise schafft man eine Zweiklassengesellschaft von Beschuldigten: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich einen Anwalt leisten können, auf der anderen Seite diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten können.
Auf jeden Fall ist es unzulässig, das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit zum Anwalt zu verlagern. Die Alternative dazu kann nur sein, die Pflichtverteidigung nicht abzuschaffen, sondern zu erweitern. Wir haben zuletzt intern in der Strafverteidigervereinigung auch mit Herrn Dr. Soyer andiskutiert, wie es ablaufen könnte, dass die Pflichtverteidigung unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Beschuldigten sofort wirksam wird, wenn er festgenommen wird, dass in weiterer Folge geprüft wird, ob sich der Beschuldigte einen Anwalt leisten kann oder nicht: Im Fall, dass er sich das leisten kann, könnte man von ihm die Kosten, die für die Pflichtverteidigung entstanden sind, zurückverlangen. Wenn er vermögenslos ist, könnte die Pflichtverteidigung in weiterer Folge in Verfahrenshilfe übergehen, wobei hier eine mögliche Zäsur der Zeitpunkt der Einbringung einer Anklage wäre.
Die Rechte, die man für den Beschuldigten eingeführt hat, sind nur dann tatsächlich wirksam, wenn man für ihn auch die Möglichkeit schafft, sich eines Anwalts zu bedienen. Es kann vom Anwaltsstand nicht verlangt werden, dass er das wirtschaftliche Risiko übernimmt.
Herr Mag. Pilnacek hat gesagt, dass es darum geht, sozusagen den Spagat zwischen dem Ausbau der Rechte des Beschuldigten einerseits und der Wahrung der Ermittlungseffizienz andererseits zu schaffen. – Es ist schon richtig, dass es da ein Spannungsverhältnis geben kann. Sie werden aber die entsprechende Balance nicht damit schaffen, dass Sie die Rechte des Beschuldigten nicht tatsächlich absichern und die Pflichtverteidigung abschaffen und damit ein weiteres Problem auftun.
Dr. Wolfgang Aistleitner (Senatspräsident des Oberlandesgerichts Linz, Vizepräsident der Vereinigung der österreichischen Richter): Ganz gewiss hat dieser Entwurf ein epochales Anliegen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Entwurf selbst epochal sein wird.
Ich wurde vor 32 Jahren zum Richter ernannt. Ich war in allen dazwischen liegenden Instanzen bis zum Oberlandesgericht tätig. Ich war nur in Strafsachen tätig. Zwischendurch war ich neun Jahre lang Staatsanwalt. Ich weiß aus der Praxis, worum es eigentlich gehen soll.
Lassen Sie mich zu Beginn das Rad sehr weit zurückdrehen! Warum wurde der Untersuchungsrichter eingeführt? – Es gibt aus heutiger Sicht zwei nachvollziehbare Gründe dafür: Eine Erklärung ist die Gegenbewegung gegen das Inquisitionsprinzip. Diesbezüglich bin ich ganz bei Professor Fuchs. Die andere Erklärung ist, dass man vor allem für die Allgemeinheit beziehungsweise den unbefangenen Außenstehenden eine Aura der Unabhängigkeit in dem Sinne schaffen wollte, dass man darauf vertrauen kann, dass hier ein Organ tätig ist, das nicht einer sachfremden Steuerung unterliegen könnte.
Was soll jetzt geschehen? – Einerseits überantwortet man dem Staatsanwalt die Ermittlungen: Ob er diese nur leitet oder selbst durchführt, macht für diese Betrachtung keinen Unterschied. Andererseits bleibt es natürlich bei der Endantragsstellung durch den Staatsanwalt.
Nun hat man den Untersuchungsrichter im Hinblick auf die Inquisitionsebene deshalb eingeführt, weil es untragbar war, dass dieselbe Person, die anklagt, dann auch das Urteil fällt. Heutzutage ist wohl klar einsichtig, dass das nicht möglich ist.
Ich meine, dass der Staatsanwalt in der Phase, in der er das Vorverfahren einstellt oder weiter verfolgt, in einer sehr richterähnlichen Position ist. Die Einstellung kann überhaupt als Urteil aufgefasst werden, und bei einer Anklage kommt es bei weit über 50 Prozent aller Fälle auch zu einer Verurteilung. Somit kommt es aber wiederum zu dem Effekt, dass derjenige, der ermittelt, die Endentscheidung trifft. Damit hat man das wieder erreicht, was man vor 130 Jahren abschaffen wollte. Der Entwurf kann sich also nicht dessen rühmen, dass er rechtsstaatlichen Fortschritt bringt.
Bedenken Sie die Optik der Unabhängigkeit, die ich angesprochen habe und die uns so wichtig ist! Ich unterstelle den Staatsanwälten nicht, dass sie nur deshalb, weil sie weisungsgebunden sind, a priori an eine Sache befangener, tendenziöser und nicht so objektiv herangehen. Es geht aber gleichsam um die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Es geht darum, dass ein von einem Richter aufgenommenes Beweismittel die Punze hat, dass dieses von einem unabhängigen und erwartungsneutralen Organ erhoben wurde, im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft. Ich unterstelle jetzt abermals nichts, aber wer unter derartigem Aufklärungsdruck steht wie heutzutage die Polizei, der hat es sehr schwer, das Objektivitätsgebot in allen Phasen wirklich zu praktizieren.
Erinnern wir uns an die großen Strafprozesse der vergangenen 20 Jahre: Da gab es den AKH-Prozess. Die damalige Untersuchungsrichterin wurde heute schon als nahezu legendär apostrophiert.
Dann gab es den Lucona-Prozess, in welchem der oberste Weisungsgeber gleichsam prophylaktisch, aber nicht mit Erfolg die Suppe für zu dünn erklärte. Das Ganze endete dann mit einem lebenslänglichen Urteil.
Außerdem gab es das Noricum-Verfahren, in welches die Spitze der Republik involviert war. Dabei kam es zur Aufklärung, weil hier ein nicht steuerbares, unabhängiges Organ aufklären konnte, das auf Einflüsterungen nicht angewiesen war und nicht angewiesen sein durfte.
Ich meine, es gibt ein sehr großes Potential an allgemeinem Verlangen nach unabhängigem Organhandeln des Untersuchungsrichters, sodass man den ermittelnden Richter aus dem Vorverfahren mit dieser Radikalität, wie es die Novelle vorsieht, nicht hinauswerfen darf.
Wir brauchen einen Richter für alle Zwangsmittel, die traditionellerweise nur von einem Untersuchungsrichter angeordnet werden können. Meine Damen und Herren Abgeordneten! Versetzen Sie sich bitte in die Lage eines Untersuchungsrichters, der über Telefonüberwachung, Untersuchungshaft und andere gravierende Grundrechtseingriffe zu entscheiden hat! Nach dem Entwurf hat er nur darüber zu entscheiden, er kann jedoch vorher das Verfahren nicht antreiben, und er hat es auch nachher nicht mehr zu behandeln. Er wird nur in dieser einen Phase in das Verfahren hineingestoßen. Der Untersuchungsrichter muss auch die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs prüfen, und das kann er doch nur, wenn er den Verfahrensgang vorher und nachher mitverfolgt.
Ich meine, wir müssten einen Katalog der so genannten spektakulären Strafsachen zusammenstellen: Dabei kann es um eine bestimmte Gruppe von Verdächtigen gehen, nämlich um öffentliche Funktionäre und vor allem Politiker, woran die Öffentlichkeit zu Recht sehr stark interessiert ist. Weiters gibt es den Bereich von bestimmten Deliktsgruppen, wobei es abermals entscheidend ist, dass die Strahlkraft des unabhängigen Organhandelns vorhanden ist, etwa bei der organisierten Kriminalität. In all diesen Fällen können und dürfen wir auf den ermittelnden Richter nicht verzichten.
Ich greife die Idee von Professor Steiniger betreffend eine Weiterentwicklung des § 165 StPO auf. Sie wurde schon in unseren Herbstgesprächen 2001 angesprochen. Es müsste einen taxativen Katalog von Verdächtigengruppen, Deliktsgruppen und Fallgruppen geben, bei denen der Richter agieren muss.
Ich meine – und da sind vor allem die Herren Professoren aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich aufgerufen –, dass man in diesem Zusammenhang auch sehr sensibel mit verfassungsrechtlichen Implikationen umgehen muss. Ich könnte mir vorstellen, dass der Gleichheitsgrundsatz hier eine Rolle spielt.
Lassen Sie mich noch zum Staatsanwalt als dieser neu gedachten schwergewichtigen Figur des Vorverfahrens etwas anmerken, was bis jetzt nur am Rande angesprochen wurde: Wenn es nach dem Entwurf geht, gewinnt der Staatsanwalt deutlich an entscheidender Kompetenz, an seiner dienstrechtlichen Struktur, an seiner Organisation und Weisungshierarchie soll sich jedoch überhaupt nichts ändern. Das heißt, es kommt zusätzlich zur Polizei eine weitere Verwaltungsbehörde mit viel mehr Gewicht ins Vorverfahren. Trotzdem wird aber behauptet, man hätte das Vorverfahren weiter justiziell adaptiert. – Ich durchschaue diese Logik nicht.
Man müsste sich überlegen, ob man den Staatsanwalt unabhängig von diesem Gesetzesentwurf – es hätte im Zusammenhang mit der Diversion schon längst geschehen müssen, bei der ihm nahezu richtergleiche Kompetenzen eingeräumt wurden – in der Weisungshierarchie nicht doch so ausstattet, dass man gleichermaßen beruhigt davon ausgehen kann, dass die zweite Staatsgewalt auf ihn keinen Zugriff hat. Darum geht es ganz entscheidend. Dass der Staatsanwalt nach wie vor natürlich an das Parlament angebunden sein wird, ist keine Frage. Es geht nicht um die gleiche Qualität wie bei richterlicher Unabhängigkeit, es geht vielmehr um das Herauslösen seiner Weisungsimplikationen aus der Regierungsbank.
Zur Kostenfrage: Es ist eigentlich schändlich, dass man bei einem solchen Gesetz überhaupt über die Niederungen des Finanziellen diskutieren muss. – Wenn argumentiert wird, dass nicht nur der Rechtsstaat, sondern insbesondere diese konkrete Verfahrensausformung etwas kostet, dann möchte ich erwidern: Das ist leichthin gesagt! Dennoch darf ich berichten: Res iudicata, die Sache ist gelaufen.
Herr Hofrat Edelbacher! Diesbezüglich ist die Justiz besser dran als die Polizei. Sie haben gesagt, dass Sie keine konkreten Zahlen haben. Wir haben bestimmte Zahlen, das heißt, wir haben eine einzige Ziffer, nämlich Null. Es gibt keinen einzigen zusätzlichen Posten, weder bei Gericht noch bei den Staatsanwaltschaften, noch bei den nichtrichterlichen Beamten. Das ist in diesem Doppelbudget definitiv festgeschrieben. Wenn aber in den beiden nächsten Jahren keine zusätzlichen Posten geschaffen werden, dann kann das Gesetz zum vorgesehenen Termin nicht in Kraft treten, weil wir keinen Nachschub bekommen haben und nicht ausbilden konnten. Man kann dann nicht plötzlich in einem Monat zusätzliche Planposten schaffen. Und im Übrigen ist klar: Was man heute nicht kann, wird man auch in zwei, drei oder vier Jahren, also in dieser Legislaturperiode, nicht können.
All das bedeutet nicht, dass die Richterschaft sagt: Sämtliche Ansätze dieses Entwurfs sind Schall und Rauch. Natürlich anerkennen wir, dass es dringendst notwendig ist, dass kriminalpolizeiliches Agieren in ein gesetzliches Korsett gedrückt werden muss, denn das war bisher ein kaum erträglicher und in Straßburg sehr scheel angesehener Zustand.
Es wird auch durchaus stimmig sein, wenn man sagt: Wir bauen die Rechte der Verteidigung EMRK-konform aus, und zwar stark orientiert an der Straßburger Rechtsprechung. Diesbezüglich wurde in den vergangenen Jahren schon viel gemacht, und das kann man jetzt noch weiter ausfeilen. Ganz gewiss ist es unabdingbar, dass die Opferrechte entscheidend ausgebaut werden müssen.
Für die neuen Rollenverteilung sehen wir jedoch keine Notwendigkeit, und wir sehen dabei auch keine Zweckmäßigkeit. Wenn immer auf das Ausland verwiesen wird, dann bitte ich Sie, mir einen Staat zu nennen, in dem das Strafverfahren besser läuft. Wo geht es denn schneller? Wollen Sie vielleicht mit dem italienischen Beispiel kommen? Betreffend Deutschland können wir gleich bei der Lucona-Affäre bleiben: Bei uns war der Fall in zwei Jahren rechtskräftig erledigt. Beim Mitangeklagten in Hamburg oder Kiel hat es beim selben Tatverdacht hingegen sechs Jahre gedauert. – Alles vom Ausland abzukupfern ist für sich kein Wert. Es muss auch nachgewiesen werden, dass es dadurch effizienter und nicht teurer wird.
Zuallerletzt möchte ich zur Motivation der Richterschaft und der von Abgeordnetem Miedl angesprochenen Befindlichkeit, die hintangestellt werden sollte, bemerken: Bedenken Sie, was es bedeutet, wenn sich Richter dagegen wehren, dass ihnen Aufgaben abgenommen werden! – Wenn diese Novelle so kommt, wie sie geplant ist, wäre das nicht so sehr fatal für die Richterschaft, sondern es wäre fatal für das österreichische Strafverfahren und für die rechtsstaatliche Reputation Österreichs.
Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Reinhard Moos (Abteilung für Strafprozessrecht, Kriminologie und Strafvollzug, Johannes Kepler Universität Linz): Nach diesem imposanten Beitrag von Herrn Aistleitner ist es für mich jetzt natürlich etwas schwierig, meine Position zu beziehen.
In den bisherigen Diskussionsbeiträge sind zwei große Richtungen deutlich geworden. Einerseits zeigt sich eine Ablehnung der Regierungsvorlage, wie wir es zuletzt von Herrn Aistleitner gehört haben. Es werden ein alternativer Entwurf und eine kleine Reform anstelle der Regierungsvorlage gefordert. – Die kleine Reform wäre nichts anderes als eine StPO-Novelle. Damit wäre die Reform der gesamten Strafprozessordnung, zu der jetzt einleitend die Reform des Vorverfahrens vorliegt, bis auf lange Sicht gestorben. Es hat dann nämlich keinen großen Sinn, wenn wir in einer Woche in Innsbruck über die Reform der Hauptverhandlung reden, die sich an die Reform des Vorverfahrens anschließen sollte. Was wir jetzt brauchen, ist eine Reform des Vorverfahrens, an die wir dann die Reform der Hauptverhandlung und in weiterer Folge des Rechtsmittelverfahrens anschließen.
Ich bin also schon aus grundsätzlichen Überlegungen dagegen, gegen diese Regierungsvorlage zu sein. – Damit habe ich meine Position bereits geschildert. Ich bin Kunde für die Regierungsvorlage, bin aber für entsprechende Detailänderungen. Ich begrüße es außerordentlich, dass diese Anhörung im Unterausschuss stattfindet, damit wir noch solche Änderungen einbringen können.
In einem Vortrag über die Reform der Hauptverhandlung habe ich unlängst gesagt, dass ich dieses Gesetz begrüße, weil es ein großes Werk aus einem Guss ist. Nachdem ich inzwischen gelesen habe, dass daran kritisiert wird, dass es von bescheidenem Niveau sei, habe ich in einer Veröffentlichung hinzugefügt, dass dieser Entwurf von hohem dogmatischen, sprachlichen und rechtspolitischen Niveau ist. – Das schließt freilich nicht aus, dass die Lösung mancher rechtspolitischer Probleme umstritten ist und hie und da andere Regelungen möglich wären.
Man kann rechtspolitisch und auch dogmatisch anderer Ansicht sein und sagen, dass man das Gesetz aus diesen Gründen ablehnt. Das haben Herr Burgstaller, Herr Fuchs und Herr Aistleitner gesagt. Hinsichtlich der Ausführungen der Kollegen Burgstaller und Fuchs bin ich dezidiert anderer Ansicht.
Ein praktischer Gesichtspunkt, warum die Regierungsvorlage Grundlage unserer Diskussion sein sollte, ist die Tatsache, dass diese Regierungsvorlage vom Ministerrat beschlossen wurde, dem Parlament demnächst vorliegen wird und zu erwarten ist, dass sie so, wie sie ist, die parlamentarische Mehrheit finden wird. Es hat also rein realistisch gesehen nicht sehr viel Sinn, diese jetzt komplett abzulehnen. Das Beste, was wir von daher gesehen tun können, ist, in diesen Gesetzentwurf noch möglichst viele sachlich dienliche Änderungen einzubringen, denn Gesetz wird er ohnehin werden.
Eine absolute Ablehnung ist für mich reine Opposition, wenn nicht Obstruktion, ich halte das für unzweckmäßig. Sie dienen damit weder der Strafprozessordnung noch der Geschichte unseres Strafprozessrechts. Wann soll denn dann die große StPO-Reform endlich kommen? – Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, auch das zu bedenken.
Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass es sich hiebei, obwohl diese Vorlage von unserem Justizminister eingebracht wurde, weder um einen ÖVP- noch um einen FPÖ-Entwurf handelt. Inhaltlich wird seit Jahrzehnten darüber diskutiert. Auch die Vorgänger des jetzigen Ministers, ob einer Partei angehörig oder parteilos, haben ganz in diese Richtung argumentiert. Es ist dies kein parteigebundener, sondern ein sachgebundener Entwurf.
Über die Stellung des Untersuchungsrichters und der Staatsanwaltschaft habe ich in den vergangenen 21 Jahren schon so viel gesagt und geschrieben, dass ich es fast für überflüssig halte, das jetzt noch einmal zu wiederholen, aber ich muss es wohl prinzipiell tun.
Herr Kollege Fuchs meint wie viele andere, dass der Staatsanwalt nach dem bisherigen System befangen wäre, wenn er selbst für die Ermittlungen verantwortlich wäre, folglich überlasse er die Ermittlungen der Polizei und dem Untersuchungsrichter und beurteile nur deren Ermittlungsergebnis dahin gehend, ob er auf Grund dessen Anklage erhebt oder nicht. Er ist also eine Durchgangsstation für die Beurteilung der Ermittlungen anderer, und das garantiere seine Objektivität.
Aber schon nach jetzigem Recht verhält es sich bei den Vorerhebungen nicht so: Wenn der Staatsanwalt nach § 36 und § 38 die Polizei mit Ermittlungen beauftragt, kann man nicht unbedingt sagen, dass damit das objektivste Ergebnis erreicht werden kann. Die StPO ging eigentlich davon aus, dass der Untersuchungsrichter ermittelt, und was der Untersuchungsrichter ermittelt, ist das denkbar Objektivste. Darin sollte der Staatsanwalt dann nicht mehr selbst herumpfuschen und nach § 97 Eigenermittlungen betreiben. Beileibe nicht! Er soll auf Grund des richterlichen Ergebnisses entscheiden, ob er anklagt oder nicht.
Wenn es hingegen keinen Untersuchungsrichter gibt, sondern nur die Polizei vorher ermittelt, ist das etwas ganz anderes. In diesem Fall ist es besser und sachgerechter, wenn der Staatsanwalt sich selbst ein Bild macht. Entweder haben wir ein reines Untersuchungsrichtermodell nach der bisherige StPO. Dann haben wir die denkbar objektivsten Vorermittlungen, dann braucht der Staatsanwalt selbst nichts zu machen. Wenn jedoch die Polizei Ermittlungsorgan ist, dann ist meines Erachtens eine justizielle Kontrolle durch den Staatsanwalt sicherlich angebracht.
Die neue Position: Der Staatsanwalt ist im Vorverfahren so wenig parteilich wie der Untersuchungsrichter. Er ermittelt so objektiv wie ein Richter. Die Tatsache, dass er später einen Antrag ans Gericht stellt, macht ihn nicht parteilich. Dadurch wird er zwar im Hauptverfahren zur Partei, im Vorverfahren ist er es jedoch nicht. Er ist objektive Behörde, genauso wie es bisher der Untersuchungsrichter ist. Auf einem anderen Blatt steht die Weisungsgebundenheit. Aber dass er kein Richter ist, wollen wir dem Staatsanwalt hier nicht ankreiden.
Die Anklage baut selbstverständlich auf den Ermittlungsergebnissen auf. Auf Grund der Anklage wird in der Hauptverhandlung ein kontradiktorisches Verfahren geführt. Dabei kommen die verschiedenen Sichtweisen zur Geltung, und dadurch kommt die Wahrheit am besten ans Licht.
Zum Verständnis des Anklageprozesses: Für Herrn Fuchs besteht der Anklageprozess darin, dass der Staatsanwalt anklagt. Das ist in diesem Prozess seine Aufgabe. Andere sammeln das Material und richten, er ist lediglich die Durchgangsstation. Zu diesem System gehört natürlich, dass der Staatsanwalt nicht selbst ermittelt. Folglich gehört der Untersuchungsrichter zu diesem Typ des Anklageprozesses – für das andere System der Regierungsvorlage, bei dem der Staatsanwalt selbst für die Stoffsammlung verantwortlich ist, braucht man hingegen selbstverständlich keinen Untersuchungsrichter. Der Staatsanwalt ist diesfalls objektive Behörde.
Hinsichtlich der Auffassung des Anklageprozesses hat ein Wandel stattgefunden. Früher ging man vom alten Modell des Staatsanwalts – nur als Antragsbehörde, ist gleich Partei – aus. Heute ist der Staatsanwalt jedoch für das gesamte Vorverfahren verantwortlich. Nach § 88 ist er das jetzt schon zum großen Teil, und nach der neuen Regierungsvorlage wird er es endgültig sein.
Ich möchte kurz darstellen, dass es den Untersuchungsrichter im Vorverfahren 1850 und gewissermaßen auch vorher schon gab: Es handelte sich hiebei um die so genannte Spezialinquisition, die auch in einzelnen Bestimmungen fast unverändert geblieben ist. Hinter dieser Spezialinquisition kam die Hauptverhandlung. Dazwischen hat man den Staatsanwalt eingeschoben, der die Angelfunktion erfüllte zu entscheiden, ob es zur Hauptverhandlung kommt oder nicht. Die Staatsanwaltschaft erfüllte lediglich diese Funktion, und sie war damals längst noch nicht so weit entwickelt wie die Richterschaft. Es bestand – ausgehend von Frankreich – Misstrauen gegen die Institution der Staatsanwaltschaft. Der Staatsanwalt sollte lediglich beantragen, aber keineswegs ermitteln. Daher hat sich der Untersuchungsrichter als objektive Ermittlungsinstanz bewährt.
Heute ist dies jedoch nicht mehr so, denn seit 150 Jahren hat sich auch die Staatsanwaltschaft als eigene, objektive Ermittlungsinstanz längst bewährt. Der Staatsanwalt denkt richtergleich, was damals nicht der Fall war. Und wenn dauernd behauptet wird, dass das Misstrauen, das 1850 geherrscht hat, jetzt und in alle Zukunft noch gelten muss, dann sage ich: Nein! Billigen Sie dem Staatsanwalt doch endlich zu, dass er eine objektiv ermittelnde Behörde ist. Bauen Sie dieses Misstrauen ab, sonst bleibt es ewig und dann brauchen Sie natürlich den Untersuchungsrichter. Diesen werden Sie aber nicht mehr bekommen, denn der Untersuchungsrichter macht die Ermittlungen ja nicht mehr selbst, sondern diese macht in der Praxis weitgehend die Polizei. Das Untersuchungsrichtermodell des Strafprozesses ist fast gestorben. Wir haben gehört, dass die obligatorische Voruntersuchung nur noch in wenigen Fällen funktioniert, hauptsächlich bei der Haft.
Sie loben dauernd das Untersuchungsrichtermodell der StPO, das es in der Praxis gar nicht mehr gibt. Es besteht da eine Doppelgleisigkeit. Meinen Studenten muss ich dauernd erzählen, dass es eine StPO per Gesetz und eine StPO in der Praxis gibt – und dass beide völlig verschieden sind.
Ich glaube, dass der tiefste Grund, warum man das nicht ändern will, ganz einfach in der Verbundenheit mit dem gewachsenen Recht, das man gelernt hat, und mit den Kategorien, in denen man aufgewachsen ist, zu suchen ist, was ich verstehe. Beim Untersuchungsrichtermodell lügen Sie sich aber selbst in die Tasche, wenn Sie glauben, dass das noch gilt. Es gilt nicht mehr! Den Großteil der Arbeit macht heute die Polizei. Und dass der Staatsanwalt nur das Ergebnis der Polizei übernimmt, ohne sich selbst ein Bild zu machen, das macht ihn doch nicht objektiver!
Frau Partik-Pablé hat es gesagt: Der – Anführungszeichen – „historische Wert“ des Untersuchungsrichters darf nicht verloren gehen. – Eben: Es ist ein historischer Wert! Man hört auch immer wieder, dass eine Reform des Gewohnten nicht stattfinden darf. Wir müssen aber umdenken und eine neue StPO schaffen, die von einer neuen Dogmatik ausgeht!
Mit einer bloßen Verrechtlichung des Polizeiverfahrens stimmt die ganze StPO systematisch nicht mehr. Das Polizeiverfahren baut, auch wenn es verrechtlicht ist, auf dem Untersuchungsrichtermodell auf, das es faktisch nicht mehr gibt. – Wir brauchen ein Vorverfahren, das dogmatisch aus einem Guss ist, und das bietet diese Regierungsvorlage in großartiger Weise.
Detailvorschläge versage ich mir jetzt. Ich habe mir diesbezüglich zehn Punkte notiert, die ich jetzt aber nicht vorbringe, nur auf einen Punkt möchte ich gleich eingehen.
Es soll bei der Voruntersuchung keinen Richter mehr geben, der dominus litis ist und die ganze Untersuchung führt, sehr wohl aber richterliche Vernehmungen in Einzelfällen. Das steht so in § 104 erster Satz des Entwurfs. Im zweiten Satz wird dann auf § 165 verwiesen, wo es heißt, dass es zwei Arten von richterlicher Vernehmung gibt, einerseits bei der Tatrekonstruktion und andererseits, wenn der Beweis in der Hauptverhandlung nicht mehr möglich ist. – Das ist entschieden zu wenig. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft soll es sehr wohl weitere Vernehmungen durch einen Ermittlungsrichter geben, und diese müssen obligatorisch parteiöffentlich sein, was garantiert, dass diese Vernehmungen von noch größerer Qualität sind. Dies bedeutet ein kontradiktorisches System schon im Vorverfahren. Man kann auch gleich definieren, in welchen Fällen so etwas stattfinden soll.
In Ergänzung zum jetzigen § 165 muss die Möglichkeit der richterlichen Ermittlung bestehen, wenn es um Missbrauchsvorwürfe gegen Polizeibeamte oder Staatsanwälte selbst geht. Es ist denkbar, dass man einem Staatsanwalt den Vorwurf einer Amtspflichtverletzung macht. Dann muss die Sache einem Richter übergeben werden. Das gilt auch für den Fall, dass der Verdacht entsteht, dass ein Staatsanwalt aus irgendeinem Grund parteilich gebunden sein könnte.
Damit komme ich zu der Angst vor Weisungen: Wenn die Möglichkeit der richterlichen Vernehmung auf Antrag des Staatsanwalts besteht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Staatsanwalt auf Weisung parteilich handelt, eindeutig abgeschwächt.
Einen weiterer Punkt, warum diese richterlichen Vernehmungen nötig sind, ist die Beweissicherung, und zwar nicht nur für den Fall, dass die Beweissicherung in der Hauptverhandlung nicht mehr möglich ist, sondern auch im Hinblick auf die größere Qualität einer richterlichen Vernehmung. Der Richter steht nicht unter Erfolgsdruck, ist weiter von der Front entfernt und unabhängig. Eine parteiöffentliche Aussage hat einfach mehr Wert. Selbstverständlich müssen in der Hauptverhandlung noch einmal die gleichen Zeugen vernommen werden, es soll also keine Entlastung der Unmittelbarkeit geben.
Hinsichtlich Untersuchungshaft, Haftverhängung und Haftverlängerung gibt in der Regierungsvorlage schon jetzt die Bestimmung, dass der Richter diesfalls den Beschuldigten und gegebenenfalls auch Zeugen vernimmt.
Zur Erweiterung der Möglichkeit der richterlichen Vernehmungen ist heute schon viel Zustimmung gekommen, und ich halte diese aus rechtsstaatlichen und praktischen Gründen für unerlässlich. Es ist dies ein Kompromiss zur Abschaffung der Voruntersuchung.
Zum Weisungsrecht sage ich jetzt nichts mehr, denn das ginge zu weit.
Präsident Dr. Wolfgang Swoboda (Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte): Ich habe zum ersten Mal, und zwar mit großer Neugier, eine derartige Diskussion verfolgt dabei festgestellt, dass von Seiten der Lehre, von der ich das nicht erwartet habe, erfreulicherweise eine unheimliche Praxisnähe zu spüren ist. Im Hinblick auf die Ausführungen von Professor Burgstaller und Professor Fuchs betreffend die Wandlung des Rollenbilds und des Aufgabenbilds des Staatsanwalts sowie die sich daraus ergebenden Spannungen und Fragen hinsichtlich Kosten, Ressourcen und tatsächlicher Möglichkeiten freut es mich, dass diese Überlegungen von einer Seite kommen, die an und für sich mit diesen praktischen Überlegungen per se nicht so sehr konfrontiert ist, sondern die Dinge normalerweise eher dogmatisch aufrollt.
Enttäuscht hat mich andererseits, dass dieser Frage in der Vorstellung des Gesamtkonzepts nicht die notwendige Bedeutung zugemessen wurde. Sie werden von der Standesvertretung der Staatsanwälte eine Stellungnahme betreffend Pro und Kontra erwarten, wie wir sie im Spannungsfeld Moos – Aistleitner soeben erlebt haben. Ich meine, dass es eine Frage davor gibt, die noch wichtiger ist. Sie lautet nicht, ob wir dafür oder dagegen sind, sondern: Können wir das? Ist die Institution Staatsanwaltschaft fit für diese Aufgabenstellung, beziehungsweise kann sie dafür fit gemacht werden, und – wenn ja – was ist dazu nötig?
Zu untersuchen ist die Frage unserer Fitness meiner Meinung nach vor drei Hintergründen: Es geht erstens um die Infrastruktur und die Ausstattung, zweitens um die staatsrechtliche Stellung mit dem Rollenbild der Parteilichkeit und der Wirkung nach außen und drittens um die persönliche dienstrechtliche Stellung des Staatsanwalts, wie er sich nämlich von der Abhängigkeit, die nach außen hin eine Etikettwirkung hat, freispielen kann.
Zum ersten Fragenbereich, Infrastruktur und Ausstattung: Es ist heute mehrmals darauf verwiesen worden, dass im europäischen Konzert der Zug in Richtung staatsanwaltliches Vorverfahren fährt. In Deutschland ist grosso modo ein System etabliert, das jenem sehr ähnlich ist, das bei uns kommen soll. Die Besonderheit dabei besteht jetzt aber weniger darin, welche Aufgabenstellungen für den Staatsanwalt kommen sollen, sondern darin, dass die aktuelle Aufgabenstellung derzeit zweifellos bescheiden ist. Dieses Faktum muss betont werden, damit man den Kontrast herausarbeiten kann.
Wir führen keinen Akt, abgesehen von unseren Tagebüchern. Wir sammeln nicht Prozessstoff, sondern dieser kommt dem ursprünglichen Konzept entsprechend herein und wir beurteilen ihn. Jetzt werden wir zur operativ tätigen Behörde im Sinne von check and balance. Wir haben potentielle Leitungsbefugnis, und wir sind diesbezüglich gefordert.
In Österreich besteht der staatsanwaltliche Apparat aus sage und schreibe 214 oder 217 Staatsanwälten, und die Zahl des Kanzleipersonals in der Größenordnung von 170 bis 180 liegt deutlich darunter, resultierend aus der derzeit ganz eingeschränkten Aufgabenstellung. – Wenn wir einen Blick über die Grenze wagen, dann müssen wir ihn auch hinsichtlich der Kostenseite wagen: Es gibt in Deutschland zehnmal so viel Einwohner, es gibt zehnmal so viel Beschuldigte, es gibt etwas zehnmal so viel Strafverfahren, es gibt zehnmal so viel Richter, und Sie werden es nicht glauben: Es gibt sage und schreibe 25 Mal so viele Staatsanwälte, und die sind auch entsprechend ausgestattet, um dieser Aufgabe, wie sie in dem Beispiel aus Traunstein gezeichnet wurde, nachkommen zu können. Sie sind mit etwa einer Kanzleikraft und mit einem halben Rechtspfleger pro Kopf ausgestattet. Erst dann wird dieses System lebbar, und nur Lebbarkeit garantiert das, was unser jetziges, zugegebenermaßen veraltetes und betreffend Transparenz im polizeilichen Vorverfahren jedenfalls reformbedürftiges Verfahren derzeit schon birgt, nämlich etwa Raschheit; das Lucona-Beispiel wurde schon genannt, und es gibt viele andere Beispiele. Und diese Qualitätsmerkmale unseres Strafverfahrens stehen auf dem Spiel, wenn wir hier eine akademische Diskussion verfolgen, deren Forderungen in der Praxis unter den Prämissen des jetzigen Doppelbudgets nicht realisierbar sind. Ich muss Aistleitner nämlich jetzt widersprechen: Es handelt sich nicht um eine Null, sondern wir gehen bereits von einem Minus aus!
In Anbetracht dessen frage ich Sie: Wie soll das Ganze implementiert werden? – Ich wünsche mir beziehungsweise fordere vom Ministerium und von der politischen Seite ein Implementierungskonzept. In den Vorbemerkungen zu den Erläuterungen wird eine Zahl von 90 genannt. Sie ist nicht gerechnet, sondern sie ist durchaus seriös geschätzt. Wenn man das Beispiel Deutschland, das so gern als Grundlage genannt wird, für die Berechnung heranzieht, dann sollte man sich der Mühe unterziehen, tatsächlich vor Ort nachzuschauen, was wirklich an Ressourcen notwendig ist.
Zweitens ist der Staatsanwalt in seiner staatsrechtlichen Stellung fit zu machen. Ich bin hier bei Professor Moos: Effizienz und Etikettwirkung nach außen werden gleichgesetzt. Diesbezüglich gibt es jedoch Divergenzen. Die Garantie, dass der Staatsanwalt genauso gute Arbeit abliefert wie der Untersuchungsrichter liegt sozusagen im gemeinsamen Stall, in der gemeinsamen Ausbildung, und damit hat es sich. Das ist in der Öffentlichkeit so aber nicht verkaufbar. Deshalb hat Professor Moos auch die ergänzenden Agenden des Ermittlungsrichters gefordert. Wenn die Stellung des Staatsanwalts durch die Verankerung in der Verfassung und durch eine Einschränkung der Abhängigkeit stärkt, indem man die Weisungsgebundenheit und Karrierehoheit zumindest hinsichtlich politischer Einflussnahme entschärft, dann wäre auch viel hinsichtlich der Etikettwirkung zu machen. Allerdings habe ich den Verdacht, dass das eine mittelfristige und keine kurzfristige Wirkung sein wird.
Am schnellsten wäre das meines Erachtens durch – dritter Bereich – eine bereits lange erhobene Forderung des Standes nach Einführung eines eigenen Dienstrechtes der Staatsanwälte, das sich an jenes der Richterschaft anlehnt, in welchem endlich klargestellt ist, wo wir in diesem Schnittfeld zwischen zweiter und dritter Staatssäule stehen, zu erreichen.
Ein Ausblick impliziert auch noch eine gewisse Kostenproblematik, wenn der Weg gegangen wird, dass der Staatsanwalt in seiner Parteilichkeit betont wird. Der Wechsel zwischen der objektiven Rolle im Vorverfahren und der Parteilichkeit im Hauptverfahren, den Fuchs so schön dargestellt hat, der auch der Verteidigung die Wohltat des Gegners gibt, stellt eindeutig eine Weiche in Richtung Parteienprozess dar. Auch Moos hat das eindrucksvoll dargestellt und hat sehr praxisnah etwas vorweggenommen, was diesen Parteienprozessen im internationalen Vergleich eigen ist: Weil der Prozess nicht mehr so straff vom Richter geführt wird, ist er in seiner Dauer und in seiner Effizienz wesentlich behäbiger. Darin liegt natürlich ein weiteres Kosten- beziehungsweise Unkostenpotential, welchem man nur mit dem Instrument der Prozessabsprache begegnen kann. Wenn wir diese Weiche verfolgen, dann wird in Hinblick auf den ökonomischen Druck das Instrument des Plea Bargaining im Strafprozess noch innerhalb unserer Berufsgeneration eingeführt werden. Und wenn dann der Staatsanwalt noch immer die Stellung hat, die er jetzt hat, und nicht wirklich als Justizbehörde festgeschrieben und abgesichert ist, dann werden wir rechtsstaatlich sicherlich einen Verlust erlitten haben. Diesbezüglich muss Vorsorge getroffen werden.
Vor den angeführten zwei Gefahren möchte ich eindringlich warnen, und bevor man dieses Gesetz beschließt, sollte das genannte Implementierungskonzept wirklich auf den Tisch gekommen sein.
Mag. Alexandra Weißenbacher, DSA (Interventionsstelle gegen Gewalt): Als Mitarbeiterin einer Opferschutzeinrichtung, nämlich der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, berate und betreue ich Opfer familiärer Gewalt.
Wir betreuen Personen nach einer Wegweisung und einem Betretungsverbot, sprich: Meist kommt die Polizei zu einer Familie und weist den Gefährder für zehn Tage aus der Wohnung. In drei Vierteln dieser Fälle ist mit der Wegweisung und dem Betretungsverbot auch eine Strafanzeige verbunden. Das heißt, wir betreuen meist Frauen, begleiten diese auch durch ein Strafverfahren und erleben so hautnah das Unbehagen der Opfer und deren Probleme und Nöte im Strafverfahren mit.
Es gab in diesem Bereich schon lange Reformbedarf, und von den Opferschutzeinrichtungen wurde massiv der Ausbau der Opferrechte gefordert. Die Opferschutzeinrichtungen begrüßen daher den gemäß vorliegendem Entwurf geplanten Ausbau der Rechte der Geschädigten.
Es gibt noch einige Punkte, die wir für verbesserungswürdig halten, insbesondere die Definition des Geschädigten oder der Geschädigten. Darauf werde ich in der Spezialdebatte eingehen.
Erlauben Sie mir jetzt einige allgemeine Bemerkungen zur Befindlichkeit von Opfern strafbarer Handlungen im sozialen Nahraum und zu der daraus resultierenden Notwendigkeit des Ausbaus der Opferrechte: Neben der General- und Spezialprävention hat das Strafrecht für die Opfer einen ganz wichtigen Aspekt, der heute schon angesprochen wurde, nämlich, dass man als Opfer wahr- und auch ernst genommen wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang Jan Philipp Reemtsma zitieren, der es so ausgedrückt hat: „Recht verstärkt die Sicherheit der Orientierung im sozialen Leben. Recht lässt soziales Leben sicherer erscheinen als das des Eremiten. Opfer eines Verbrechens zu sein bedeutet, diese Sicherheit zu verlieren. Das Opfer bedarf diesbezüglich der Resozialisierung.“
Das heißt in anderen Worten: Das Opfer braucht eine Rückversicherung durch die Gesellschaft. Es braucht die Versicherung, dass es – erlauben Sie mir dieses Wortspiel – nicht verrückt ist und dadurch an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde, dass es Opfer und dadurch stigmatisiert wurde. Es bedarf der Versicherung, dass es wahrgenommen, ernst genommen und gehört wird. Das Opfer hat durch die strafbare Handlung einen Schaden erlitten, der meist kein oder nicht nur ein materieller Schaden ist. Neben dem materiellen Schaden besteht nämlich ein immaterieller Schaden, ein Trauma. Im Hinblick darauf hat der Staat die Verpflichtung, einen solchen Schaden, der durch ein Verbrechen zugefügt wurde, zu begrenzen. Diese Traumatisierung entsteht nicht nur durch die Tat selbst, sondern auch dadurch, dass das Opfer in seinem Opfer-Sein nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen wird, dass ihm nicht geglaubt wird, dass ihm nicht die Gelegenheit gegeben wird, darüber zu sprechen, was aus seiner Sicht die Wahrheit ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang speziell auf die Situation von Opfern im sozialen Nahraum hinweisen: Laut einer Studie aus dem Jahr 1992 berichteten betroffene Frauen, dass sie zum Berichtszeitpunkt nicht das erste Mal misshandelt wurden. 42,9 Prozent der Frauen gaben an, dass sie schon seit einem bis fünf Jahren misshandelt worden waren.
Dazu muss man sagen, dass solche Misshandlungen an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Häufig sind auch Drohungen und Einschüchterungen damit verbunden. Es gibt viele Mechanismen, die es dem Opfer sehr schwer machen, sich nach außen zu wenden und sich Hilfe zu holen. Wenn Frauen, aber auch andere Opfer, es wagen, sich nach außen, beispielsweise an die Exekutive und an die Strafjustiz um Hilfe zu wenden, dann ist es ganz, ganz wichtig, dass sie ernst genommen werden.
Es wurde heute schon mehrfach die gewünschte starke Position der Staatsanwaltschaft angesprochen: Die Staatsanwaltschaft kann meiner Meinung nach nur dann stark sein, wenn ihr Zeuge oder ihre Zeugin, das heißt der oder die Verletzte, stark ist. Man kann das Opfer also motivieren auszusagen, wenn man ihm gewisse Sicherheiten und gewisse Rechte gibt.
Eine Stärkung der Opfer wurde gemäß der aktuellen Regierungsvorlage teilweise vorgenommen. Wir sind zum Teil sehr zufrieden damit. Ich möchte mich aber noch einmal an die sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten wenden und eindringlich darauf hinweisen, dass die Position der Opfer weiter gestärkt und dies auch konsequent durchgesetzt werden muss.
Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Ich kann unmittelbar an die Ausführungen meiner Vorrednerin anschließen. Ich möchte mich auf die Opferproblematik berufen, denn ich wurde zu dieser Sitzung als Vertreter des Weißen Rings geladen.
Vorab möchte ich bemerken, dass ich den Entwurf für ein legistisch sehr gut gelungenes Werk halte.
Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, von denen ich hoffe, dass die Damen und Herren Abgeordneten sie in Betracht ziehen, nämlich erstens auf die Ausweitung der Kompetenz des Ermittlungsrichters auf die gewissen glamourösen Fälle und zweitens auf die Kostenfrage.
Ich habe den Eindruck, dass hier im Parlament guten Wissens und Willens immer wieder Gesetze beschlossen werden, die in der Praxis nicht vollzogen werden, und es ist ein Hohn für die rechtsuchende Bevölkerung, dass gewisse Rechte bestehen, die jedoch nicht geltend gemacht werden können, weil die Ressourcen fehlen. – Wenn ich in den Erläuternden Bemerkungen lese, dass mindestens 90 Planstellen für Staatsanwälte und nichtrichterliche Bedienstete spätestens im Juli 2003 geschaffen werden müssten, dann müsste das auch im Budget unterkommen. Aber vielleicht ist das ein Tipp für den Runden Tisch heute Abend!
Zunächst möchte ich sagen: Hinsichtlich der Opfer habe ich in den vergangenen Monaten und Jahren so viele Erfahrungen gesammelt, dass ich es fast als Schande empfinde, dass ich 41 Jahre Richter war und mich mit den Opfern viel zu wenig beschäftigt habe und auch viel zu wenig mit der Opfersituation konfrontiert war.
Für die Opfer ist es oft gar nicht so wichtig, Schadenersatz zu bekommen. Das Wichtigste für die Opfer ist es, als Opfer anerkannt zu werden und nicht als zivilrechtlich Geschädigte zu gelten. Es ist vielleicht eine semantische Frage aber könnte man nicht in § 65 das Wort „Geschädigter“ durch das Wort „Opfer“ ersetzen? – Wenn man darauf oft die Antwort bekommt, dass „Opfer“ ein sakraler Begriff ist, dann möchte ich darauf hinweisen, dass dies bereits Begriff der österreichischen Rechtssprache ist, denn der Rahmenbeschluss, der in Österreich ja verbindlich ist, definiert in seinem Art. 1 lit. a das Opfer viel weiter gehend als § 65, und genau genommen sind wir seit 22. März 2003 verpflichtet, diesen Rahmenbeschluss umzusetzen. – Ich werde das in der schriftlichen Unterlage, die ich nachreichen möchte, noch näher definieren. Jedenfalls ist die Definition des Opfers aber bereits viel weiter gefasst, geht weit über die Definition des Privatbeteiligten hinaus und hat vor allem auch die emotionale Betroffenheit des Opfers zum Gegenstand.
Auch die Unterteilung der Geschädigten in drei verschiedene Gruppen je nach Art der Schädigung halte ich nicht für richtig.
Ich möchte in diesem Zusammenhang vorerst auf die Frage der Verfahrenshilfe eingehen: Nach langem Ach und Krach hat man sich in der Regierungsvorlage dazu durchgerungen, Opfern Verfahrenshilfe zu geben, aber nur Opfern mit schweren Körperverletzungen, mit einer Verletzung der sexuellen Integrität oder Angehörigen eines Todesopfers. – Ich bin jetzt wirklich fast täglich vor allem mit älteren Menschen konfrontiert, die Opfer eines Raubüberfalls oder Einbruchsüberfalls geworden waren, die entsetzliche Angst haben, zu Gericht zu gehen oder bei Gericht zu agieren. In Anbetracht dessen erhebt sich die Frage, warum solche Opfer, vor allem wenn sie vermögenslos sind und sich als Privatbeteiligte anschließen, nicht auch die Möglichkeit haben sollen, einen Verfahrenshilfe-Verteidiger zu bekommen.
Außerdem sieht der Entwurf vor, dass in den wenigen Fällen, in welchen Verfahrenshilfe-Verteidigung gewährt wird, die Verfahrenshilfe durch Opferhilfeeinrichtungen ersetzt werden kann. – Ich vertrete jetzt selbst eine Opferhilfeeinrichtung, aber es ist selbstverständlich, dass im Fall, dass wir eine Rechtsvertretung vornehmen, diese nur durch einen Anwalt geschieht. Ich meine, dass die Beratung im Prozess, wenn es um rechtliche Probleme geht, ausschließlich durch Rechtsanwälte erfolgen sollte.
Laut § 68 Abs. 2 hat das Gericht von Amts wegen oder über Antrag auf jeden Fall einen Vergleichsversuch vorzunehmen. Das ist eine Neuigkeit im Strafprozess. Überlegen Sie sich aber, was ein Vergleichsversuch bei einem nicht vertretenen Opfer bedeutet! – Das nicht vertretene Opfer wird überrannt. Wir sehen das immer wieder. Und das geschieht gar nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Unwissenheit von Richtern. Wenn ein zivilrechtlicher Vergleich geschlossen wird, fallen automatisch alle Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz weg. Daher ist es wichtig, dass den Opfern ein qualifizierter rechtlicher Vertreter zur Verfügung steht.
Weiters meine ich, dass man die Prozessbegleitung institutionalisieren sollte. Heute erfolgt die Prozessbegleitung ganz unterschwellig zum Beispiel durch den Weißen Ring, etwa in der Aufteilung eine Stunde Anwalt, eine Stunde Therapeut. In ganz schwierigen Fällen wie etwa bei sexueller Gewalt und bei Missbrauch sind die Interventionsstellen mit der Prozessbegleitung befasst. Das kostet Geld. Es ist uns derzeit gelungen, das Justizministerium zu motivieren, die reinen Sachkosten teilweise zu übernehmen, wir befinden uns da aber immer in einer Goodwill-Situation.
Im Rahmenbeschluss existiert allerdings bereits eine entsprechende Bestimmung, das müsste an und für sich schon geltendes Recht sein, sollte aber jedenfalls im Rahmen der Neuordnung des Vorverfahrens institutionalisiert werden. Es muss beachtet werden, dass auch harmlos erscheinende Delikte wie Handtaschendiebstähle, Einbrüche oder Betrügereien zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen können. – Wir sollten also versuchen, wenn wir schon eine Neuordnung des Strafprozesses machen, endlich einmal nicht immer nur vom Opfer zu reden, sondern das, was in diesem Zusammenhang etwa in Deutschland oder in der Schweiz schon lange Gesetz ist, auch in Österreich in die Rechtsordnung einzubauen.
Zur schonenden Behandlung: § 117 Z. 3 lit. b des Entwurfs sieht vor, dass jederzeit eine körperliche Untersuchung von Personen – ohne jegliche Begleitmaßnahmen – vorgenommen werden kann. – Das verstößt eindeutig gegen das Verbot der sekundären Viktimisierung von Personen, die tatsächlich Opfer etwa einer Vergewaltigung oder einer schweren Körperverletzung geworden sind. Zumindest muss im Gesetz aber die Bestimmung enthalten sein, dass schonende Begleitmaßnahmen erfolgen müssen und das Opfer nicht einfach nur ruck zuck! zum Amtsarzt geschickt werden darf, wie es derzeit in der Praxis geschieht.
Zuletzt möchte ich noch eine Bemerkung zur abgesonderten kontradiktorischen Einvernahme machen: Die Bestimmungen des Entwurfs sind völlig identisch mit der bereits geltenden Rechtslage. Für mündige Personen gilt das nur, wenn sie in ihrer Sexualsphäre beeinträchtigt wurden, nicht aber für andere Opfer. – Ich rege in diesem Zusammenhang an, dass § 165 des Entwurfes so geändert wird, dass auch alle Opfer schwererer Delikte das Recht haben, eine gesonderte Einvernahme beantragen zu können. Die technischen Möglichkeiten dazu bestehen heutzutage, die Videovernehmung funktioniert.
Bis zur nächsten Sitzung werde ich die offizielle Stellungnahme der Plattform der Opferhilfeorganisationen nachreichen.
Dr. Klaus Schröder (Landesgericht Innsbruck, Vorsitzender der Bundessektion 23 Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst): Ich möchte mit einem Wort anfangen, das Herr Professor Moos gebraucht hat, und zwar mit dem Wort „Obstruktion“. – Die Position, die Kollege Aistleitner vertreten hat – und ich gehöre auch dem Berufsstand der Strafrichter an – war sehr pointiert, und das nicht zu Unrecht. Die Richter haben sich, als der Vorentwurf veröffentlicht wurde, grundsätzlich positiv zu diesem Entwurf geäußert. Diesem grundsätzlichen „Ja“ war jedoch ein großes „Aber“ angeschlossen, und wir haben gehofft, dass dieses „Aber“ in der weiteren Diskussion über dieses Gesetzesvorhaben berücksichtigt werden würde. Wir haben sehr viel Zeit in Sitzungen im Bundesministerium für Justiz auch mit Vertretern des Innenressorts aufgewendet, um unsere Positionen einzubringen, was im Endeffekt aber leider nicht sehr fruchtbar war.
Ich würde es nicht so strikt sehen wie Herr Professor Moos, dass eine Reform des strafprozessualen Vorverfahrens grundsätzlich sozusagen nur mit diesem Rollentausch möglich ist. Das ist eine Möglichkeit, es ist aber mit Sicherheit nicht der einzige Weg, auf welchem man eine Reform des strafprozessualen Vorverfahrens erreichen kann.
Nicht zu Unrecht haben bereits am Vormittag maßgebliche Vertreter der Lehre darauf hingewiesen, dass mit der vollkommenen Ausschaltung des Untersuchungsrichters auch erhebliche Probleme verbunden sind, welche man nicht einfach nur dadurch beseitigen kann, dass man sagt: Gegen diesen Rollenwechsel zu sein bedeutet Obstruktion.
Ich würde mir das, was der Herr Bundesminister am Vormittag erwähnt hat und was er insbesondere bei Herrn Professor Fuchs eingemahnt hat, nämlich Flexibilität, auch in der politischen Bereitschaft, auf den einen oder anderen Punkt einzugehen, und in der legistischen Umsetzung wünschen. Diese Flexibilität sollte man meiner Meinung nach auch in einer ganz zentralen Frage erwarten können, nämlich in der Frage des ministeriellen Weisungsrechts. Hiebei handelt es sich um eines dieser großen „Aber“. In Vorentwürfen sind entsprechende Bestimmungen vorgesehen, dass sich in der inneren Struktur der Staatsanwaltschaften und auch an der Weisungsspitze etwas ändern muss. Warum? – Weil unabhängiges Organhandeln des Richters zu einem weisungsgebundenen Organ verschoben wird.
Der Herr Bundesminister ist an sich das beste Beispiel dafür, dass es dieses Weisungsrechtes nicht bedarf. Er erklärt nämlich immer wieder, dass er dieses Recht nicht braucht, nicht in Anspruch nimmt beziehungsweise sehr behutsam mit diesem Instrument umgeht und dass er das am besten kontrollierte Staatsorgan ist, weil er vierfach kontrolliert werde könnte; wir alle kennen die Beispiele aus den Wortmeldungen.
In Anbetracht dessen frage ich mich, warum man so unflexibel ist und sich aus gewissen Gründen – der schlimmste, den man unterstellen könnte, wäre, dass man nicht Macht abgeben will – so sehr dagegen stellt. Das Problem ist nicht – das will ich jetzt ausdrücklich feststellen –, dass mit dem Weisungsrecht, insbesondere vom amtierenden Justizminister, sorglos umgegangen wird. Das Problem besteht vielmehr im Eindruck, der in der Bevölkerung entsteht. Und der alte Grundsatz, dass Gerechtigkeit nicht nur gelebt werden muss, sondern dass es für die Bevölkerung auch erkennbar sein muss, dass diese Unabhängigkeit vorhanden ist, hat etwas für sich. – Ich fordere diese Flexibilität ein! Man könnte dann vermutlich einiges ändern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie sich nicht täuschen, wenn Sie im Entwurf in § 195, wenn ich es recht im Kopf habe, über das so genannte Klagserzwingungsverfahren lesen! Es ist dies eine politische Notlösung, die im letzten Abdruck hineinfabriziert wurde, weil man dieser Diskussion um das Weisungsrecht entgehen und eine Bestimmung schaffen wollte, dass man bei Gericht einen Antrag stellen kann und das Gericht dann entscheiden muss und der Staatsanwaltschaft den Auftrag geben kann, weiter zu ermitteln.
Es handelt sich hiebei auch um einen Systembruch. Es ist ein ähnlicher Systembruch, wie er in der Strafprozessordnung bereits enthalten ist, dass das Oberlandesgericht über eine Anklage im Rahmen des Anklageeinspruchs entscheidet. – Man kann noch darüber diskutieren, ob das vertretbar ist. Mit Sicherheit nicht vertretbar und mit dem Grundkonzept dieses Entwurfes nicht vereinbar ist es aber meiner Meinung nach, dass ein Gericht der Staatsanwaltschaft die Anweisung geben kann, weiter zu ermitteln und schlussendlich auch anzuklagen. Dann sind wir nämlich tatsächlich dort, wo wir nicht sein wollten, nämlich bei einem Inquisitionsverfahren.
Der Herr Bundesminister hat heute Vormittag gesagt, dass diese Reform eine Visitenkarte der österreichischen Rechtsstaatlichkeit und der österreichischen Kultur sein soll. – Ich unterstreiche das. Ich stimme dem Herrn Bundesminister – was selten vorkommt, da ich kein weisungsgebundenes Organ bin und als Standesvertreter und noch dazu Tiroler sehr stark auf meine Unabhängigkeit bestehe – in dieser Frage zu. Aber wenn es wirklich eine Visitenkarte sein soll, meine Damen und Herren Abgeordneten, dann müssen Sie bitte dafür sorgen, dass dieses Gesetz vollziehbar und lebbar ist! Sie werden in den nächsten Tagen und Wochen dieses Doppelbudget beschließen, in welchem eine weitere Kürzung der Planstellen im Justizbereich um 10 Prozent vorgesehen ist. Es wurde also bereits ein erheblicher Anteil an richterlichem und nichtrichterlichem Personal abgebaut, und es wird trotz des bekannten Umstandes, dass die Anfallszahlen generell steigen, und zwar nicht nur im Strafbereich – die Häftlingszahlen sind ein wirklich beredtes Beispiel dafür –, sondern auch im zivilen Bereich – denn auch wenn es jetzt um eine strafrechtliche Materie geht, dürfen Sie nicht versäumen, sich einen Gesamtüberblick über die Bedürfnisse der Justiz zu machen – wird zusätzlich gekürzt!
Nun kommt ein Jahrhundertgesetz auf uns zu, aber der Herr Finanzminister sagt – ich war bei den Gesprächen am 3. April im Justizressort selbst dabei, bei welchen auch Vertreter des Finanzministeriums anwesend waren – schlichtweg: Es gibt nichts! Macht euch das, wie ihr wollt! Schneidet euch das aus dem eigenen Fleisch! Es gibt nichts dafür! Und wenn Kollege Pilnacek sagt, dass es nach wie vor Stand der Dinge ist, dass das Justizressort auf der Zahl 90 besteht, so ist diese Absicht sehr lauter und ehrlich, es handelt sich hiebei jedoch leider um Wunschdenken. Wenn man dabei war, als die Vertreter des Finanzministeriums von Sektionschef Fellner abwärts das Justizressort abgekanzelt und quasi gesagt haben: Schleicht euch mit euren Personalwünschen! Macht was ihr wollt!, dann muss man sagen, meine Damen und Herren Abgeordneten: Das ist erschütternd!
Man wird diese Visitenkarte zeigen können, aber schauen wir bitte nicht die Rückseite an! Wir werden dann nämlich sehen, was sich in den Jahren 2006 oder 2007, wenn dann auch vielleicht die jetzt politisch Verantwortlichen nicht mehr am Werk sein werden, abspielen wird, wenn sich herausstellt, dass dieses Gesetz nicht vollziehbar ist! Und lassen Sie sich auch nicht dadurch täuschen, dass gesagt wird: Das werden wir irgendwann einmal schon regeln! Wir haben ja noch so lange Zeit!
Wir haben eine vierjährige Vorlaufzeit bei der Ausbildung zum Richter beziehungsweise zum Staatsanwalt, wobei letztere Ausbildung sogar noch ein bisschen länger ist, weil jemand, bevor er Staatsanwalt wird, an sich ein bis zwei Jahre Richter sein sollte. Das heißt, wir müssen jetzt, in diesem Budget, dafür Vorsorge treffen, dass Richteramtsanwärter aufgenommen werden, um die entsprechenden Personalzahlen dann abdecken zu können. Und das müssen Sie jetzt einfordern und beschließen!
Herr Klubobmann Molterer hat, als er darauf angesprochen wurde, gesagt: Das ist nicht Sache des Parlaments! Die Regierung trägt die Verantwortung dafür dass, wenn sie dieses Gesetz haben will, für die budgetäre Bedeckung gesorgt wird! – Darauf erwidere ich: Dafür kann nicht nur die Regierung die Verantwortung tragen, sondern dafür ist der Gesetzgeber verantwortlich! Dessen muss er sich bewusst sein: Wenn sich diese Haltung nicht ändert und der Gesetzgeber dieses Gesetz so beschließt, dann wird es nicht vollziehbar sein.
Zur Stellung des Untersuchungsrichters: Auch ich bin hundertprozentig der Auffassung – wie sie bereits von einigen akademischen Lehrern hier zum Ausdruck gebracht und zuletzt auch von Moos angesprochen wurde –, dass es unverzichtbar ist, dass selbst dann, wenn man diese Systemänderung durchführt, der Ermittlungsrichter in irgendeiner Form erhalten bleibt. Ich bin mir der Problematik, die sich ergeben wird, bewusst: Es wird dann heißen, dass es nun Strafverfahren erster und zweiter Klasse gibt. Frau Kollegin Rech hat es bereits angesprochen. Es wird sich dann die Frage erheben: Wer ist beim guten Richter? Wer ist beim schlechten Staatsanwalt? – Darum geht es aber nicht! Vielmehr geht es wirklich um jene Fälle, die auch Kollege Aistleitner angesprochen hat, die das Bild der Justiz in der Öffentlichkeit prägen. Wenn Sie diese Fälle herausgreifen, dann können Sie damit das gesamte Bild der Justiz entweder positiv oder negativ gestalten, je nachdem, wie diese Fälle in der Öffentlichkeit ablaufen und wie sie von den Medien transportiert werden.
Daher ist es in all diesen Fällen unverzichtbar, dass es, selbst wenn im Bereich der Staatsanwaltschaften und der Polizei alles hundertprozentig richtig abläuft, auch einen unabhängigen Richter gibt. Sie dürfen nicht vergessen: Nach dem jetzigen Konzept sind zwei weisungsgebundene Organe involviert.
Der Innenminister kann Weisungen an die ermittelnden Polizeibehörden geben. Und glauben Sie ja nicht, dass in diesem Bereich nicht wirklich Weisungen gegeben werden! Wenn zum Beispiel politische Interessen bestehen, eine Ermittlung zu blockieren, dann können natürlich auch dem unmittelbaren Ermittler Weisungen gegeben werden, von welchen der Staatsanwalt wiederum überhaupt nichts weiß. Und das zweite Organ, nämlich die Staatsanwaltschaft, ist dem politischen Organ Justizminister ebenfalls weisungsgebunden.
Ich bitte Sie, das auch zu berücksichtigen, und es nicht als Obstruktion zu betrachten, wenn die Richterschaft sagt: Wir brauchen den Untersuchungsrichter beziehungsweise Ermittlungsrichter zumindest in irgendeiner Form weiterhin, und zwar nicht nur als Grundrechtsbewahrer!
Sektionschef Dr. Roland Miklau (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Für mich ist heute der stärkste Eindruck das, was Werner Pleischl schon angesprochen hat, nämlich wie sehr wir alle gedanklich und psychologisch am Untersuchungsrichtermodell hängen. Professor Steininger hat dazu in altmeisterlicher Weise seine persönliche Entwicklung geschildert.
Ich kann meine eigene Geschichte dazu beitragen und kurz sagen: Ich habe zehn Jahre lang die Voruntersuchung für unverzichtbar gehalten, zehn Jahre lang habe ich mich innerlich von ihr getrennt, mich jedoch nicht getraut, das öffentlich zu sagen, und erst in den letzten zehn Jahren habe ich mich wirklich davon gelöst. – Daraus können Sie ersehen, dass ich auch ein gewisses Verständnis für jene habe, die meinen, dass ein bisschen Voruntersuchung doch bestehen bleiben sollte. Ich gestehe auch gerne zu, dass jedes Modell natürlich Vor- und Nachteile hat. Es gibt Kosten und Nutzen auf beiden Seiten. Selbstverständlich liegen nicht alle Vorteile beim Staatsanwaltschaftsmodell und alle Nachteile beim richterlichen Modell. Allerdings sollte man – wie Professor Höpfel gesagt hat – das Butterbrot nur auf einer Seite bestreichen, weil man sich sonst die Hände schmutzig macht. Daher muss man sich entscheiden, und ich glaube, die historische Entscheidung ist jetzt fällig.
Wenn man nun darüber diskutiert, ob die Rolle des Richters innerhalb des neuen Modells da oder dort nicht doch ein bisschen ausgedehnt werden sollte, wie es Professor Steininger und Professor Moos angedeutet haben, dann bitte ich sehr um Präzision in der Begründung, denn man schwindelt sich da gern ein wenig durch.
Welche Gründe gibt es, um einen Richter einzuschalten? – Erstens im Hinblick auf den Rechtsschutz, zweitens zur Beweissicherung und drittens zur Vervollständigung und Objektivierung der Untersuchung und zur Überprüfung, ob der Staatsanwalt alles erhoben hat.
Die ersten beiden Punkte sind meiner Meinung nach grundsätzlich unbestritten. Es geht jetzt um den dritten Punkt. Wenn man argumentiert, dass der Richter in Haftsachen oder glamourösen Sachen aktiv werden soll, dann bitte ich um eine entsprechende Begründung. Soll der Richter etwas tun, um den inhaftierten Beschuldigten besser zu schützen? Oder soll er ermitteln, weil man dem Staatsanwalt nicht traut, weil er schwach oder politisch beeinflusst ist? Diesbezüglich muss man Klartext reden beziehungsweise Farbe bekennen!
Kollege Fuchs, der Staatsanwalt als verfahrensführende Behörde entspricht nicht einem amerikanischen Modell, sondern es handelt sich hiebei um ein europäisches Modell.
Ich möchte mich jetzt ein wenig mit den Kollegen von der Staatsanwaltschaft beschäftigen, und ich bitte im Vorhinein um Entschuldigung, dass ich sie jetzt ein bisschen psychologisierend instrumentalisiere.
Ich habe mir einige Begriffe notiert, die von Staatsanwaltsseite gefallen sind. Sie haben gesagt: Wir sind weisungsgebunden. Wir sind Teil der politischen Verwaltung, wir können eigentlich nicht vollständig ermitteln, weil es der objektiven Ermittlung bedarf. Wir brauchen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung. Sind wir fit genug? Wir sind zu wenige. Wir wollen möglichst wenig, wenn überhaupt, ermitteln.
Liebe Kollegen! Was für ein Bild der Staatsanwaltschaft bieten Sie somit? – Dass Sie klein, schwach und unterdrückt sind! Die Fälle Lucona und Noricum wurden erwähnt, es wurde jedoch nicht erwähnt, dass Lucona und Noricum eine Diskussion ausgelöst haben, die zum Staatsanwaltschaftsgesetz 1986 und dazu geführt haben, dass die Staatsanwälte eben nicht einfach Teil der politischen Verwaltung, sondern Organe der Rechtspflege beziehungsweise Annex zur Gerichtsbarkeit sind, wie immer man das definieren will: Es müssen Transparenz und Begründungspflicht herrschen, dem Staatsanwalt wurde der Rücken gestärkt, der Staatsanwalt hat die Möglichkeit, den Vorgesetzten zu einer Begründung von Weisungen zu zwingen, und außerdem hat der Staatsanwalt das Recht, entbunden zu werden, wenn er etwas mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann.
Jetzt kann man sagen: Damit hat man ja nur ein Etappenziel erreicht. Wir wollen mehr! – Das kann ich nachvollziehen. Ich verstehe aber nicht, dass Sie die zuletzt genannten Punkte überhaupt nicht erwähnen, sondern nur in die Öffentlichkeit und in die Medien posaunen, dass sie so klein und schwach und politisch weisungsgebunden sind, und dann noch hinzufügen, dass es nur um den Anschein geht! Liebe Kollegen! Welcher Eindruck muss denn in der Öffentlichkeit und in den Medien entstehen, wenn Sie dieses Bild des Staatsanwalts ständig in die Öffentlichkeit transportieren? – Das ist der Reflex Ihrer eigenen Standespolitik!
Jetzt komme ich zur Frage betreffend den Richter noch von einem anderen Aspekt: Wir wollen ein effizientes und rasches Vorverfahren schaffen. Was ist darunter zu verstehen? – Wir haben versucht, durch das Modell mit dem Ermittlungsschwerpunkt Kriminalpolizei und dem rechtlichen Schwerpunkt Staatsanwalt das denkbar effizienteste Modell vorzuschlagen, das sich auch international bewährt hat. Wenn Sie nun einen Richter als Ermittler einbringen wollen, der nicht bloß auf Antrag des Staatsanwalts bestimmte kontradiktorische oder nicht kontradiktorische Erhebungen durchführt, sondern selbst als – unter Anführungszeichen und mit Bindestrich – „Ober-Staatsanwalt“ tätig wird und den Staatsanwalt kontrolliert, ob er auch objektiv, unbeeinflusst und richtig ermittelt hat, dann gäbe es plötzlich drei Ermittler. Im Hinblick darauf könnte man nicht von einem effizienten und schnellen Vorverfahren sprechen, das vor allem auch den Opfern dienen soll.
Ich weiß, dass vor allem die Kollegen Geyer und Nemec bei ihren eigenen Fingerübungen konsequenterweise zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es, wenn es einen ermittelnden Richter gibt, auch einen Rechtsschutzrichter geben muss. Das ist konsequent. Der französische Gesetzgeber hat dieselbe Konsequenz gezogen, indem er neben dem Untersuchungsrichter den juge de liberté eingeführt hat. – Das entspricht aber nicht der klassischen Voruntersuchung, und es handelt sich hiebei auch nicht um das effizienteste Vorverfahren.
Zu der Frage der Planstellen und der Kosten, die mit Recht hier in den Raum gestellt wurde: Gewiss, wir leben in schwierigen Zeiten. Derzeit wird im Parlament das Doppelbudget 2003/2004 verhandelt. Die Strafprozessordnung wird, wie ich hoffe, am 1. Jänner 2007 in Kraft treten. Die Planstellen für 2007 können jetzt noch nicht festgelegt werden. Das wird voraussichtlich erst Ende dieser oder in der nächsten Legislaturperiode eine Aufgabe sein. Jetzt geht es – wie Kollege Schröder erwähnt hat – darum, dafür zu sorgen, dass genügend Richteramtsanwärter aufgenommen werden. Diese Forderung wird im Budget 2003/2004 erfüllt.
Mag. Edelbacher hat gemeint, dass die Polizei unter den Reformen leidet. Ich hatte dabei allerdings den Eindruck, dass er mehr von der Wiener Polizeireform als von der Strafprozessreform spricht, und ein bisschen ist mir auch die Quadratur des Kreises nicht klar: Es gibt mehr Anzeigen gegen unbekannte Täter und weniger Anzeigen gegen bekannte Täter, dennoch haben wir in der Justizanstalt Josefstadt um 25 oder 30 Prozent mehr Untersuchungshäftlinge. Woher kommen diese? Ist das ein Verzweiflungsakt der Polizei? – Das müssen wir uns näher anschauen!
Wir haben in einem sehr professionellen Diskussionsprozess im Team um Ministerialrat Haidinger den Entwurf Bestimmung für Bestimmung abgeklopft, und zwar nicht nur, weil das politisch notwendig war, sondern weil in diesen Entwurf die Erfahrungen der täglichen kriminalpolizeilichen Ermittlungsarbeit ebenso einfließen müssen wie die justiziellen Erfahrungen. Und aus Sicht des Verhandlungsteams des Innenministeriums wird das Innenministerium mit dem Ergebnis der Beratungen leben können.
Ich füge noch hinzu: Der Diskussionsprozess mit den Kollegen aus dem Innenministerium war noch professioneller als mit allen anderen Gruppen, mit welchen wir gesprochen haben.
Letzter Punkt: Professor Burgstaller hat gemeint, dass der Rechtsschutz ein bisschen zu weit geht, es sei doch nicht notwendig, dass er sich von der Polizei über den Staatsanwalt bis zum Richter erstreckt, der Rechtsschutz könnte doch beim Staatsanwalt enden. Was bedeutet das konkret? – Entweder endet der formelle Rechtsschutz beim Staatsanwalt: Dann mündet das, was der Staatsanwalt tut, in einen Bescheid, und gegen diesen Bescheid gibt es Rechtsmittel, entweder an den Unabhängigen Verwaltungssenat, an den Verwaltungsgerichtshof oder an beide. Beim informellen Rechtsschutz, wenn das Ersuchen des Verteidigers an den Staatsanwalt, der Polizei ein wenig auf die Finger zu schauen, von Letzterem abgelehnt wird, handelt es sich keineswegs um einen rechtsstaatlichen Rechtsschutz. – Wenn man in Anbetracht dessen meint, dass richterlicher Rechtsschutz im kriminalpolizeilichen Vorverfahren überflüssig sei, dann bedeutet das entweder verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz oder keinen. Das ist die Konsequenz. Und ich meine, es gehört zu einer seriösen und präzisen Diskussion, dass man das ausspricht.
Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Wir setzen mit der Rednerliste das nächste Mal fort.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass keine gesonderte Einladung für den nächsten Sitzungstermin am 5. Juni 2003, 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr und 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr, Lokal VI, ergeht.
Gemäß dem Beschluss, der am Vormittag gefasst wurde, wird eine Einladung an den Generalprokurator und an den Präsidenten des OGH erfolgen.
Ich komme jetzt zur Abstimmung bezüglich Veröffentlichung der Auszugsweisen Darstellung in der Homepage der Parlamentsdirektion unter der entsprechenden Regierungsvorlage, und zwar noch während der Unterausschuss läuft. – Ich stelle fest, dass es dagegen keinen Einwand gibt.
Ich werde daher den Herrn Präsidenten ersuchen, gemäß diesem Beschluss die Veröffentlichung im Sinne § 39 Abs. 3 GOG zu veranlassen.
Wir vertage nunmehr diesen Unterausschuss bis zum 5. Juni 2003. Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Disziplin!
Diese Sitzung ist geschlossen.
Schluss der Sitzung: 16.07 Uhr