Beratungen

des

Unterausschusses des Justizausschusses

betreffend

Strafprozessreformgesetz

 

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

Donnerstag, 5. Juni 2003

9.11 Uhr – 16 Uhr

Sitzungssaal des Bundesrates

Beginn der Sitzung: 9.11 Uhr

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter eröffnet die Sitzung und begrüßt die Anwesenden.

Sie teilt mit, dass für die heutige Sitzung der Bundesratssaal gewählt wurde, weil für das Hearing eine große Anzahl an Experten anwesend sei und weil es auch den Wunsch betreffend Öffentlichkeit gegeben habe. Sie erklärt, dass die Teilnahme an dieser Sitzung der Öffentlichkeit grundsätzlich freistehe, wobei primär den Medien Öffentlichkeit einzuräumen sei. Im Hinblick darauf lässt sie zunächst gemäß § 37 Abs. 9 darüber abstimmen, dass diese Beratungen öffentlich abzuhalten sind. – Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.

Für diese Sitzung entschuldigt sind ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Helmut Fuchs, ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Peter Schick, Dr. Eva Brachtel und Professor Dr. Otto F. Müller für den ganzen Tag sowie Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl, ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Kurt Schmoller, Mag. Georg Mikusch, Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek, ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel und Universitätsprofessor Dr. Theo Öhlinger für den Nachmittag.

Obfrau Dr. Fekter teilt weiters mit, dass Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Pleischl bezüglich der auszugsweisen Darstellung der Sitzung vom 15. Mai 2003 schriftlich Änderungswünsche mitgeteilt habe. – Man werde diese Änderungswünsche in das Protokoll der heutigen Sitzung mit aufnehmen.

Ferner habe HonProf. Dr. Jesionek eine schriftliche Stellungnahme übermittelt, die allen Ausschussmitgliedern zugehen werde.

Über dieses Experten-Hearing werde wiederum eine auszugsweise Darstellung gemäß § 39 Abs. 2 Geschäftsordnungsgesetz angefertigt werden. Dieses Protokoll werde auch im Internet zur Verfügung stehen.

Zunächst erteilt Obfrau Dr. Fekter Abgeordneter Dr. Partik-Pablé zur Geschäftsordnung das Wort.

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche) (zur Geschäftsordnung) ersucht darum, Leitendem Oberstaatsanwalt Dr. Pleischl das Wort zu den von ihm eingebrachten Änderungswünschen zu erteilen.

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl (Oberstaatsanwaltschaft Wien): Es handelt sich bei meinen Änderungswünschen ausschließlich um technische Änderungen.

Erstens wurde mein Amtstitel nicht richtig zitiert. Korrekt lautet mein Amtstitel „Leitender Oberstaatsanwalt“.

Im sechsten Absatz meiner Darstellung ist das Wort „unmittelbar“ einzufügen: „Zu diesem Zweck soll sich der Staatsanwalt der Polizei und der Gerichte bedienen können, dann soll er entscheiden, ob er ein Verfahren einleitet oder nicht, nämlich die Voruntersuchung; später wurde ihm auch ermöglicht, eine Anklage unmittelbar einzubringen.“

Drei weitere Änderungen sind im achten Absatz einzufügen, damit dieser wie folgt lautet: „Als das Innenministerium daher vor etwa acht Jahren einen Entwurf vorstellte, nach welchem die Auffassung vertreten wurde, dass die Anklage vor den Bezirksgerichten ohne Schwierigkeiten von den Sicherheitsbehörden übernommen werden könnte, nahm man sich die Verfassung vor. Die Kollegen stellten fest, dass Staatsanwälte in der Verfassung gar nicht und in den einfachen Gesetzen, abgesehen vom Staatsanwaltschaftsgesetz, eher nur rudimentär vorkommen. Die Strafprozessordnung hält nicht viel von der Tätigkeit des Staatsanwalts im Vorverfahren, sie will, dass der Staatsanwalt nur vor dem Vorverfahren tätig wird.“

Schließlich ist im 13. Absatz noch folgende Korrektur vorzunehmen: Die Funktion des Untersuchungsrichters ist das Ergebnis eines historischen Kompromisses in einer bestimmten politischen Situation, die völlig überholt ist. Es gibt diese Funktion in vergleichbaren Staaten in Mitteleuropa nicht mehr. Die Reformstaaten ziehen in Betracht, sie wieder einzuführen, es wird ihnen jedoch von allen Seiten davon abgeraten.“

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Theo Öhlinger (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien): Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen Funk zu den verfassungsrechtlichen Fragen Stellung genommen. Die Schrift, in welcher diese Stellungnahme publiziert ist, wurde zu Beginn dieser Sitzung verteilt. Ich kann mich daher entsprechend kurz fassen.

Zunächst möchte ich vom Blickwinkel des Verfassungsrechts zum vorliegenden Entwurf sagen, dass er zur Lösung einer ganz massiven Verfassungswidrigkeit geeignet ist. Die mangelnde gesetzliche Regelung des Vorverfahrens stellt im Lichte des Legalitätsprinzips eine extreme Verfassungswidrigkeit dar, vor allem wenn man vergleicht, mit welchen Subtilitäten die Gesetzgebung in anderen Bereichen im Lichte dieses Prinzips immer noch verfeinernde und Lücken schließende Regelungen trifft. Wenn man diesbezügliche Vergleiche anstellt, wird umso augenfälliger, dass diese Materie, welche die Rechte des Einzelnen massiv berührt, gesetzlich tatsächlich nur ganz minimal geregelt ist.

Dafür, dass das Ganze bisher, insbesondere vor dem Verfassungsgerichtshof, nicht schlagend geworden ist, gibt es verschiedene Gründe, die eher diffizil sind. Zum einen gelangt der Verfassungsgerichtshof nicht so einfach zu einer Gesetzesprüfung, wenn kein Bescheid vorliegt. Außerdem kann man selbstverständlich fehlende gesetzliche Bestimmungen nur schwer aufheben. – Es sind also formale Gründe, warum diese Verfassungswidrigkeit bisher noch nicht akut geworden ist. Dennoch besteht diese Verfassungswidrigkeit, und bekanntlich stoßen etwa der Straßburger Gerichtshof und immer mehr auch der Verwaltungsgerichtshof in diese Lücke, was wiederum zeigt, dass diesbezüglich dringender Änderungsbedarf besteht.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dieser Entwurf also jedenfalls besser als die gegenwärtige Situation, daran ist nicht zu zweifeln. Natürlich gibt es aber auch dabei verfassungsrechtliche Probleme, wie es aber bei einem so großen Gesetzesvorhaben gar nicht anders zu erwarten ist.

Der Entwurf gestaltet im Wesentlichen die Rollen von Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei neu. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei ist verfassungsrechtlich zumindest kein zentrales Problem, denn bei beiden handelt es sich um Verwaltungsorganisationen, die somit auf einer Seite stehen. Auf der anderen Seite trennt die Verfassung aber bekanntlich die Gerichtsbarkeit sehr strikt von der Verwaltung, und durch die Neuregelung des Verhältnisses von Gericht und Verwaltung im vorliegenden Entwurf wird die Verfassung selbstverständlich berührt. 

Bereits nach der geltenden Rechtslage ist das Verhältnis des Gerichts zur Staatsanwaltschaft allerdings anders als zu allen sonstigen Verwaltungsbehörden, weil dieses Verhältnis an sich jenen Kriterien, die aus dem Trennungsgrundsatz abgeleitet wurden, gar nicht entspricht. Es ist dieses jedoch verfassungsrechtlich gedeckt, weil es einem anderen Verfassungsprinzip entspricht, nämlich dem Anklageprinzip.

Das Anklageprinzip fordert zwar auf der einen Seite die Trennung von Kläger und Richter, auf der anderen Seite verlangt es aber eine gewisse Kooperation zwischen diesen beiden. Eine solche Vereinbarkeit wäre nach Art. 94 BV-G an sich gar nicht gegeben, und dass das trotzdem nicht verfassungswidrig ist, liegt eben darin, dass der Anklagegrundsatz eine solche Kooperation ermöglicht. – Damit ist die verfassungsrechtliche Kernfrage des Entwurfs, nämlich die Neugestaltung dieses Verhältnisses, jedenfalls vom Anklagegrundsatz her gedeckt.

Eine bekannte Argumentation besagt, dass der Entwurf so weit verfassungswidrig wäre, als er Kooperationsformen vorsieht, die in der Strafprozessordnung aus dem Jahr 1873 – wobei es auf den Stand von November 1920 ankommt – kein Vorbild haben. Es ist dies die bekannte „Versteinerungstheorie“, die im österreichischen Verfassungsrecht eine prominente Rolle einnimmt. 

In unserem Gutachten kommen Funk und ich zu dem Ergebnis, dass ein dermaßen mechanistisches Verständnis der Versteinerungstheorie im gegebenen Zusammenhang nicht angebracht und dass es auch aus historischer Sicht widerlegbar wäre. Dazu muss man bedenken, dass die beiden hier in Betracht kommenden Verfassungsbestimmungen, nämlich Art. 94 betreffend die Trennung von Justiz und Verwaltung und Art. 90 Abs. 2 betreffend den Anklageprozess, bereits in der Verfassung von 1867 enthalten waren – sie lassen sich bis zum Kremsierer Entwurf zurückverfolgen – und 1920 im Grunde ohne jede Debatte in die Verfassung übernommen wurden, sodass man davon ausgehen muss, dass sie mit jenem Sinngehalt übernommen wurden, den sie in der Zeit vorher hatten.

Nun war aber – und das lässt sich anhand der Diskussion um die Strafprozessordnung 1873 leicht nachvollziehen – diese Strafprozessordnung keineswegs die einzig mögliche Ausführung des Anklageprinzips. Im Gegenteil: In der Literatur wird immer wieder der kompromisshafte Charakter der Strafprozessordnung betont und darauf aufmerksam gemacht, dass die gesetzlich vorgesehene, wenn auch – wie wir wissen – kaum Realität gewordene Regelung des Vorverfahrens mit der zentralen Rolle des Untersuchungsrichters als Rest des Inquisitionsprozesses verstanden wird. Auch später wurde in der Verfassungslehre gerade dieser kompromisshafte Charakter der Strafprozessordnung unter den Prinzipien des inquisitorischen beziehungsweise Anklageverfahrens betont.

Weiler hat Anfang der sechziger Jahre in einem Aufsatz von einer abgeschwächten Form dieses Prozesstypus Anklageprozess gesprochen, und dieser Aufsatz wurde später für die Auslegung des Art. 90 Abs. 2 durch den Verfassungsgerichtshof richtungweisend. Er hat daraus aber nicht den Schluss gezogen, dass die Strafprozessordnung aus diesem Grund verfassungswidrig ist, sondern hat zu erkennen gegeben, dass der Gesetzgeber im Lichte dieses Prinzips durchaus einen Gestaltungsspielraum hat.

Wir kommen in unserer Schrift zum Ergebnis, dass die Aufwertung des Staatsanwalts innerhalb dieses Gestaltungsspielraums liegt, weil sie ja eher eine Weiterentwicklung als eine Abschwächung des Anklageprinzips darstellt und daher im Prinzip verfassungskonform ist. Mit dieser Aufwertung des Staatsanwalts wandelt sich aber zwangsläufig auch die Rolle des Richters. Er wird nach diesem Entwurf vom Untersuchungsrichter zu einem Rechtsschutz gewährleistenden Organ, was aber der Logik dieser Aufwertung des Staatsanwalts entspricht und unserer Auffassung nach ebenfalls durch das Anklageprinzip gedeckt ist.

Es mag sein, dass es Bestimmungen im Entwurf gibt, die diese Grenze überschreiten. In der Diskussion am 15. Mai 2003 ist unter Bezug auf § 196 das Klageerzwingungsverfahren mehrfach genannt worden: Das ist natürlich eine Bestimmung, die unter diesem Gesichtspunkt nicht ganz unproblematisch ist, obwohl man auch in diesem Zusammenhang Einwände gegen die rasche Abqualifikation als verfassungswidrig bringen könnte. Diese Bestimmung sollte unter diesem Gesichtspunkt noch reflektiert werden, ich möchte darauf jetzt aber nicht näher eingehen.

Probleme gibt es selbstverständlich in gewissen Details. So gibt es zum Beispiel das Verfassungsgesetz zum Schutze des Hausrechtes, das eine Hausdurchsuchung kraft richterlichen Befehls erlaubt, und ähnlich Bestimmung gibt es auch bezüglich Beschlagnahme von Briefen, Telefonüberwachung und so weiter. Der Entwurf spricht nicht von einem „Befehl“, sondern von einer „richterlichen Bewilligung“. – Ob man dermaßen am Wort kleben darf oder nicht eher den Sinn dieser Regelung stärker in den Vordergrund stellen müsste, ist, wie ich meine, eine berechtigte Frage. Wir sind der Ansicht, dass Letzteres zutrifft, es besteht aber kein Zweifel, dass es in der österreichischen Verfassungsrechtslehre und auch gemäß der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs Tendenzen gibt, sich an Worten gleichsam festzukrallen. Jedenfalls wäre diese Regelung sicherlich modifizierbar.

Auch der Rechtszug gegen Verwaltungsakte ist nicht mehr im Lichte des Art. 94 B-VG, sondern auch im Hinblick auf Art. 129a und Art. 130  betreffend UVS und VwGH in Frage gestellt worden. – Wenn Art. 90 Abs. 2 das Anklageverfahren als ein spezifisches Zusammenwirken von Verwaltung – repräsentiert durch den Staatsanwalt – und Gericht legitimiert, dann gilt das natürlich auch gegenüber den Rechtsschutzeinrichtungen. Im Hinblick darauf kann man im Zusammenhang mit den von mir genannten Grundrechtsbestimmungen, nach welchen bestimmte Akte polizeilicher Gewalt, die gerade auch im strafprozessualen Vorverfahren eine große Rolle spielen, einer richterlichen Legitimation bedürfen, auch den Gedanken verallgemeinern, dass es gerade nach der Konzeption der Verfassung im Strafverfahren einschließlich Strafvorverfahren die Sache des Strafgerichtes – also des ordentlichen Gerichtes – sein soll, Rechtsschutz zu gewähren, und nicht unbedingt Sache der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes.

Die Argumentation, die einen Widerspruch zu Art. 129a B-VG sieht, ist also in sich selbst irgendwie widersprüchlich. Man muss allerdings hinzufügen, dass eine absolute Garantie der Verfassungsmäßigkeit nicht möglich ist. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist bekanntlich nicht immer sehr leicht berechenbar. In diesem Sinne glauben wir, dass jene Punkte, die ich zuletzt angeführt habe, natürlich gewisse Fragezeichen verdienen. Die Sache könnte natürlich durch verfassungsrechtliche Regelungen gelöst werden. Im Lichte aller neueren Bemühungen, die Verfassung in einer Urkunde zusammenzuführen – und das ist etwas, wofür ich immer sehr gekämpft habe –, möchte ich allerdings an die Abgeordneten appellieren, nicht durch Klammerausdrücke Verfassungsbestimmungen in die StPO einzubringen und damit ein zentrales Gesetz, das bisher von diesen verfassungsrechtlich höchst problematischen Formen frei war, zu durchsetzen.

Sachlich wäre eine Novelle beziehungsweise Ergänzung des Art. 90 Abs. 2 B-VG, wenn man eine verfassungsrechtliche Absicherung wünscht, das Richtige, und zwar etwa in der Richtung, dass man dort die schon oft geforderte verfassungsrechtliche Verankerung der Staatsanwaltschaft vorsieht, etwa mit der Formulierung: Die Anklage vertritt im Grundsatz die Staatsanwaltschaft, welche dabei aber der Kontrolle durch die ordentlichen Gerichte unterliegt. – Eine solche Ergänzung würde, wie ich meine, alle verfassungsrechtlichen Probleme unter diesem Gesichtspunkt lösen.

Ein letzter Punkt: In der Diskussion am 15. Mai 2003 wurde die Verfassungsmäßigkeit des § 165 des Entwurfes in Frage gestellt, welcher gewissermaßen den Rest der richterlichen Untersuchungstätigkeit enthält, und es ist in diesem Zusammenhang die Formulierung „Strafverfahren erster und zweiter Klasse“ im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes gefallen. – Zum Gleichheitsgrundsatz kann man natürlich nur sehr wenig Präzises sagen. Es kommt darauf an, ob eine solche Grenzziehung sachlich gerechtfertig ist und es dafür überzeugende Gründe gibt, dass in bestimmten Verfahren der Untersuchungsrichter doch noch eine Rolle spielt, während das in anderen Verfahren nicht notwendig ist. Ich meine, dass, wenn man sachliche Gründe dafür nennen kann, auch diese Bestimmung nicht verfassungswidrig wäre.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter bringt zur Kenntnis, dass im Rahmen dieses Unterausschusses der Unselbständige Antrag der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim, Mag. Johann Maier und Mag. Gisela Wurm (25 der Beilagen), in welchem es um die Stellung der Privatbeteiligten gehe, mit zur Verhandlung steht. 

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Bernd-Christian Funk (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien): Bei einem Vorhaben wie diesem ist es für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht nur besonders reizvoll, sondern auch geradezu lebensnotwendig, die eigene Argumentation kritisch zu bewerten. Es genügt nicht, verfassungsrechtliche Argumente nach dem Prinzip einer Materialschlacht vorzulegen und mit Gegenargumenten auszutauschen, sondern es ist sehr wichtig, dass von vornherein auch auf einer Art metatheoretischen Ebene geprüft und überlegt wird, welchen Wert und Stellenwert die Argumentation hat.

Theo Öhlingers und meine Überlegungen sind einerseits von dem Gedanken getragen, dass selbst auf Basis der weitgehend herrschenden Verfassungsauslegungsmethoden und -konventionen sehr gut argumentiert werden kann, dass dieser Entwurf eines neuen Vorverfahrens verfassungsrechtlich legitimierbar ist. Natürlich gibt es auch Gegenargumente, und selbstverständlich könnte man Sicherheit dadurch schaffen, dass man die Sache verfassungsrechtlich ausdrücklich absichert. Wenn das nicht geschehen sollte, dann lässt sich auch auf der Basis herrschender Auslegungskonventionen sehr gut argumentieren, dass in wesentlichen Punkten sehr wohl Verfassungsmäßigkeit anzunehmen ist. – Theo Öhlinger hat das im Detail ausgeführt.

Wenn man nun eine Stufe weiter geht und die methodischen Prämissen hinterfragt, dann stößt man sehr bald auf das Problem des Verfassungsverständnisses in Österreich: Die Schwierigkeiten beginnen schon damit, dass es nicht ein Verfassungsverständnis, sondern – was im Bereich juristischer Denkmuster nicht überraschend ist – verschiedene Ansätze, Vorstellungen und Denkgewohnheiten gibt. Im Wesentlichen dominiert in Österreich die historisch-textpositivistische Position stark, wobei es für Letztere viele gute Gründe gibt. Andererseits gibt es aber auch angesichts dieser Dominanz der historisch-textpositivistischen Näherung immer wieder Einflüsse des Gegenprinzips eines gegenwartsbezogenen und final orientierten Verfassungsverständnisses, das sich nicht primär an äußere Texte hält, sondern dazu auch nach den Zwecken, den dahinter stehenden Prinzipien und dem System dieser Prinzipien fragt.

Bedingt durch das Wechselspiel dieser verschiedenen Auffassungen finden wir selbst in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs keine diesbezügliche Homogenität vor. Es ist an sich eine interessante Aufgabe, im Sinne eines kritischen Methodenverständnisses zu hinterfragen, warum der Verfassungsgerichtshof einmal so und einmal so argumentiert. Wir haben in unserem Gutachten zu zeigen versucht, dass ein ganz wesentlicher Punkt die grundlegenden Methodenfragen und Verfassungsauslegungskonventionen betrifft. Diese Dinge kann man gewissermaßen nicht sehen, sondern sie schwingen quasi nur mit und müssen daher unbedingt sichtbar gemacht werden. Daraus folgt, dass selbst auf der Basis der eher historisch-textpositivistischen, traditionellen und orthodoxen Sichtweise für die Verfassungskonformität der wesentlichen Tragelemente dieser Reform argumentiert werden kann.  

Wenn man bereit ist, in eine gegenwartsbezogene, aktuale und finale Sichtweise einzutreten, dann ergeben sich im Wesentlichen keine Schwierigkeiten, sondern fügt sich das Ganze zu einem schlüssigen und konsistenten System. Unter diesem Aspekt lässt sich die gerichtliche Kontrolle von Akten der Staatsanwaltschaft und der Polizei vom Anklageprinzip her durchaus legitimieren. Es handelt sich hiebei eigentlich um eine Stärkung des Anklageprinzips, und es liegt auch in der finalen Systemlogik, wenn man davon ausgeht, dass die Staatsanwaltschaft ein Teil der Rechtsprechung ist. Die Staatsanwaltschaft gehört zwar formal-organisatorisch zweifellos zur Verwaltung, sie kann allerdings nicht in gleicher Weise der Verwaltung zugeordnet werden wie etwa die Finanzverwaltung. Sie hat eine andere Qualität, und das kommt auch in der historischen, organisatorischen und funktionellen Entwicklung der Staatsanwaltschaft, die wir in unserem Gutachten nachgezeichnet haben, sehr deutlich zum Ausdruck.

Ich meine daher, dass es wichtig ist, bei einem Vorhaben wie dem gegenständlichen mit absolut offenen Karten zu spielen und nicht Argumente nach dem Prinzip des Grabenkampfes auszutauschen. Vor allem muss bewertet werden, von welchen Prämissen die jeweiligen Argumente ausgehen.

Wir haben uns bemüht, diese Prämissen offen zu legen. Wir gehen davon aus, dass juristisches Argumentieren – und das gilt natürlich auch für das Verfassungsrecht – niemals voraussetzungslos ist und dass es Situationen gibt, in welchen es gerade wichtig ist, die Voraussetzungen juristischer Argumentation zu hinterfragen, offen zu legen und kritisch deutlich zu machen. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass man sich nicht auf ein binäres Ja/Nein-Denken beschränken darf, sondern dass man Voraussetzungen und Gründe für die jeweilige Argumentierbarkeit finden muss. Ich halte das für ein Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit.

Es wird hier nicht immer die gleiche Sprache gesprochen. Vor kurzem ist ein sehr kritischer Beitrag von Walter und Zeleny in der „Wiener Zeitung“ erschienen, und dazu kann ich nur sagen: In diesem Beitrag wird nicht versucht, einen Schritt in Richtung Rationalitätsbewertung zu gehen, sondern man bleibt nach meinem Verständnis auf der Ebene der Materialschlacht stehen.

Einen Punkt möchte ich betonen: Das Gutachten Funk/Öhlinger wurde vom Justizministerium offenbar nicht unter dem Verständnis bestellt, dass es sich hiebei um ein Gefälligkeitsgutachten handelt, sondern es wurde im Sinne einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit bestellt. In diesem Sinne fühlen wir uns nicht negativ angesprochen, wenn es heißt, dass dieses Gutachten „bestellt“ wurde.

In einer Situation wie dieser besteht immer ein gewisses Dilemma, das man zu minimieren hat, dass nämlich einerseits diskursive Rationalität zu suchen ist, andererseits aber auch der prognostische Aspekt berücksichtigt werden muss, ob nämlich der Verfassungsgerichtshof das oder jenes auch so sehen wird. Vor allem muss dabei darauf geachtet werden, dass man nicht dem Versuch erliegt, Prognosen zu stellen und diese dann mit diskursiver Rationalität zu tarnen, was uns meiner Meinung nach gelungen ist. Vielmehr haben wir zu zeigen versucht, dass der vorliegende Entwurf in den wesentlichen Tragelementen selbst auf der Basis des herkömmlichen Verfassungsverständnisses mit Argumentationen gestützt werden kann, die für die Verfassungsmäßigkeit sprechen, und dass es dann, wenn man bereit ist, sich einem geöffneten Verfassungsverständnis zuzuwenden und dieses zuzulassen, noch weniger verfassungsrechtliche Probleme gibt.

Weiters waren wir darum bemüht, klar zu machen, dass es eine Prognosesicherheit seriöserweise nicht geben kann, weil Gegenargumente immer möglich sind. Wenn man absolute Sicherheit haben möchte, dann wäre in Erwägung zu ziehen, eine eigene verfassungsrechtliche Absicherung vorzunehmen. Wenn das aber nicht möglich ist, dann ist es meiner Meinung nach ein verfassungs- und rechtspolitisch vertretbarer Akt, es auf Basis des Argumentationshaushaltes, den man in diesem Zusammenhang mobilisieren kann, auch ohne Verfassungsbestimmungen zu versuchen.

Dr. Ingrid Siess-Scherz (Bundeskanzleramt, Verfassungsdienst): Ich möchte ganz im Sinne dessen, was Professor Öhlinger und Professor Funk ausgeführt haben, nicht in eine Materialschlacht eintreten, sondern zunächst einen Aspekt anführen beziehungsweise wiederholen, der bereits bei der ersten Expertentagung mehrfach angesprochen wurde, weil dieser auch nach meiner Meinung durchaus nicht selbstverständlich ist.

Der uns vorliegende Entwurf ist auch aus der Sicht des Verfassungsdienstes ganz besonders seriös und sorgfältig erarbeitet worden. Die Kollegen und Kolleginnen aus dem Justizministerium haben sehr klar erkannt, wo die verfassungsrechtlichen Probleme liegen und haben das auch offen gelegt. Im Begutachtungsverfahren 2001 wurde auf die verfassungsrechtlichen Fragen aufmerksam gemacht und zu einer verfassungsrechtlichen Diskussion eingeladen, und in den Erläuterungen finden sich die Problemstellungen.

Der Verfassungsdienst ist in seiner Stellungnahme, die auch den Abgeordneten zur Verfügung gestellt wurde, auf die aufgeworfen Probleme eingegangen, und wir haben die einzelnen Aspekte abgehandelt, wobei wir damals davon ausgegangen sind, dass es zu Verfassungsänderungen kommen und es eine verfassungsrechtliche Absicherung geben würde. Unter diesem Blickwinkel ist auch unsere Stellungnahme zu lesen.

Diese war sehr umfangreich, und ich möchte Sie jetzt nicht mit allen Aspekten behelligen, sondern mich auf die Hauptpunkte beschränken, die schon mehrfach genannt wurden.

Der Verfassungsdienst hat im Begutachtungsverfahren die aufgeworfene Frage, ob der Anklagegrundsatz es erlaubt, dass nicht mehr Untersuchungsrichter, sondern Staatsanwälte mit der Leitung der Ermittlungsverfahrens betraut werden, bejaht. Wir glauben, dass dies auf der Grundlage des Versteinerungsprinzips möglich ist, weil man 1920 nicht zwingend vorgesehen hat, dass die Leitung durch einen Richter notwendiger Bestandteil des Anklagegrundsatzes ist.

Bei der ersten Expertentagung wurde die Frage behandelt, ob § 196 im Hinblick auf Art 90 Abs. 2 Probleme aufwirft oder nicht. Professor Öhlinger hat bereits die Antwort gegeben: Es gibt sehr wohl ein Spannungsverhältnis zum Anklagegrundsatz, und dieses Problem ist wahrscheinlich nur unter Weiterentwicklung der Subsidiaranklage verfassungskonform zu lösen. Aus unserer Sicht ist es nicht ganz unproblematisch, es ist aber argumentierbar, dass es eine verfassungskonforme Lösung gibt.

Betreffend den Trennungsgrundsatz hat der Verfassungsdienst die Auffassung vertreten, dass das Rechtsmittel Betroffener nach § 106 gegen Anordnungen und unmittelbaren Zwang von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei an die ordentliche Gerichtsbarkeit ein Problem darstellt. – Professor Öhlinger und Professor Funk haben auch diesen Gesichtspunkt in ihrem Gutachten abgehandelt und meinen, dass nach ihrer Methode auch dieser Aspekt verfassungskonform gesehen werden kann.

Sie werden von mir jetzt keine inhaltliche Kritik an diesem Gutachten hören, denn dieses ist aus Sicht des Verfassungsdienstes ein wirklich seriöses Werk. Natürlich wird in diesem Gutachten aber ein neuer Weg aufgezeigt. An dieser Stelle möchte ich Ihnen kurz die Rolle des Verfassungsdienstes aus meiner Sicht erläutern: Der Verfassungsdienst versteht sich als Beratungsstelle für die Bundesregierung beziehungsweise für die einzelnen Bundesminister mit der Aufgabe, die jeweiligen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen aufzuzeigen. Auf Grund dieser Aufgabe müssen wir Risken aufzeigen, und das bringt es mit sich, dass wir von vornherein einen eher konservativen Ansatz wählen müssen. Wir müssen sozusagen immer den „worst case“ im Auge behalten, dass der Verfassungsgerichtshof etwas unter Umständen anders sehen und interpretieren könnte. Wir können also keine progressiven Interpretationsmöglichkeiten aufzeigen, und insofern sind wir natürlich vorsichtig.

Das Gutachten Funk/Öhlinger zeigt eine mögliche Variante einer verfassungskonformen Lösung auf. Die Versteinerungstheorie wird dabei ein wenig in Frage gestellt. Wie heute schon erwähnt wurde, ist der Verfassungsgerichtshof nicht immer einschätzbar, und auch seine Linie hinsichtlich der Versteinerungsmethode ist nicht immer einheitlich. Wir haben in diesem Zusammenhang also mit einem Risiko zu kämpfen. Funk/Öhlinger wählen in ihrem Gutachten ein teleologisches Systemverständnis, die beiden Prinzipien Anklagegrundsatz und Trennungsgrundsatz werden einander als gleichrangig gegenübergestellt und aus Art. 90 Abs. 2 wird die Verfassungskonformität abgeleitet. Das Risiko dabei besteht darin, dass diese Interpretationsmethode, die Funk/Öhlinger wählen, vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt werden könnte.

Im Hinblick darauf würden wir aus advokatorischer Vorsicht empfehlen, die Verfassung in diesem Punkt zu ändern, um eine Absicherung zu treffen. Professor Öhlinger hat bereits einen diesbezüglichen Vorschlag gemacht, den wir unterstützen würden.

Damit komme ich zu der Frage der Grundrechtseingriffe und dass richterliche Befehle durch Genehmigungen abgelöst werden sollen. – Auch in diesem Zusammenhang würden wir – um es salopp zu formulieren – eher am Wortlaut kleben. Wir haben die Sorge, dass der Verfassungsgerichtshof diesbezüglich eher eine Wortinterpretation vornehmen könnte und es ihm nicht ausreichen würde, dass nur eine Genehmigung durch den Richter vorgesehen ist. Auch hier würde man sich auf der sichereren Seite befinden, wenn man verfassungsrechtlich entsprechend absichern könnte. Man kann natürlich auch, so wie von Funk/Öhlinger aufgezeigt – auf die Kernaussage der einschlägigen Regelungen abstellend –, die Verfassungskonformität annehmen. Auch diesbezüglich ist man aber leider auf Mutmaßungen angewiesen, und der Verfassungsgerichtshof wird wohl das letzte Wort haben. 

Wir haben weiters noch Aspekte im Zusammenhang mit Staatsanwaltschaft, Sicherheitspolizei und Kriminalpolizei aufgeworfen und hinterfragt, ob es hier zu Überschneidungen im Hinblick auf den gesetzlichen Richter kommen könnte. In der Regierungsvorlage wird versucht, dieses Element zu entkräften. Wir meinen, dass sich ein gewisses Problem aus entsprechenden Überschneidungen ergeben könnte. In diesem Zusammenhang könnte man sicherlich noch auf der einfachgesetzlichen Ebene Verbesserungen vornehmen. Funk/Öhlinger weisen in ihrem Gutachten darauf hin, dass man im Sicherheitspolizeigesetz diesbezügliche Änderungen vornehmen könnte.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass aus der Sicht des Verfassungsdienstes, der eine eher konservative Haltung einnimmt, entsprechende Verfassungsänderungen vorgenommen werden sollten. Ob die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, wird der Verfassungsgerichtshof vermutlich in ein paar Jahren zu beurteilen haben.

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Reinhard Moos (Abteilung für Strafprozessrecht, Kriminologie und Strafvollzug, Johannes Kepler Universität Linz): Bekanntlich bin ich kein Verfassungsrechtler, und natürlich können Sie sich fragen, welchen Beitrag ich hier zu leisten habe. Außerdem bin ich auch nicht im Denken nach österreichischem Verfassungsrecht groß geworden. Erlauben Sie mir daher, sozusagen als Outsider zu sprechen!

Professor Funk hat gesagt, dass es in Österreich nicht nur ein Verfassungsverständnis gibt, und das lässt mich hoffen, dass Sie meine Ausführungen nicht als allzu „unseriös“ – unter Anführungszeichen – betrachten.

Ich möchte zur verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung nach Art. 94 sprechen: Ich vertrete eine Meinung, die derjenigen von Funk/Öhlinger vor allem im Ergebnis nahe kommt, jedoch beträchtlich darüber hinausgeht. Sie kommt dem Ergebnis dieses Gutachtens insofern nahe, als ich meine, dass die in der Regierungsvorlage geplanten Neuerungen auch ohne eine Verfassungsänderung Gesetz werden können. Es bedarf also meines Erachtens keiner Änderung, wohl aber einer anderen Interpretation des Gewaltenteilungsgrundsatzes, und daran werden Sie sich jetzt wahrscheinlich stoßen.

Ich denke, dass es einer anderen Interpretation der Begriffe „Justiz“ und „Verwaltung“ bedarf, die freilich als solche ganz unangetastet in Art. 94 stehen bleiben sollen. Meine Ansicht ist gewiss nicht die herrschende, sie wird aber doch von einigen namhaften Autoren auch in Österreich geteilt. Ich darf in diesem Zusammenhang vor allem Rudolf Machacek nennen, der vom Verfassungsrecht wohl wirklich etwas versteht. Im Anwaltsblatt wurde unlängst seine Rede anlässlich seines 75. Geburtstages im September vorigen Jahres veröffentlicht.

Art. 94 spricht von der Trennung von Justiz und Verwaltung. Die Staatsanwaltschaft wird von der herrschenden Meinung und auch von Funk/Öhlinger zur Verwaltung gezählt, womit sie von der Justiz streng zu trennen ist. Öhlinger hat soeben gesagt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft als Verwaltungsorganisationen auf einer Seite stehen. Indessen betonen beide Herren aber sehr entschieden, wie eng die Justiz mit der Staatsanwaltschaft verbunden ist und wie eng die Staatsanwaltschaft und die Gerichte zusammenwirken; sie sprechen von einer teleologischen Verknüpfung. Allein die Anklage bewirkt schon ein Zusammenwirken von Staatsanwaltschaft und Gericht. Da der Anklageprozess in Art. 90 Abs. 2 ebenso geschützt ist wie in Art. 94 die Trennung, erblickt die herrschende Meinung in Art. 90 eine verfassungsrechtliche Ausnahme zu Art. 94 beziehungsweise wird Art. 90 Abs. 2 als Lex specialis betrachtet, was durch eine ausdrückliche Ergänzung in Art. 90 Abs. 2 geklärt werden könnte.

Ich meine, dass die Konstruktion einer Ausnahme von Art. 94 unnötig ist. Ich bin der Ansicht, dass vielmehr die Einstufung der Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde nicht richtig ist. Diese Ansicht könnte man meines Erachtens ändern, und wie sich auf Grund meiner Überlegungen zumindest mir selbst zeigt, ergeben sich, wenn man diese Änderung vornimmt und die Staatsanwaltschaft nicht mehr als Verwaltungsbehörde betrachtet, ganz harmonische Lösungen. – Art. 90 Abs. 2 und Art. 94 passen also völlig harmonisch zusammen, wenn die Staatsanwaltschaft als ein integrierender Teil der Justiz verstanden wird. Art. 94 schließt das nicht aus, und Art. 90 führt geradewegs zu dieser Interpretation.

Nach meiner Auffassung handelt es sich bei der Justiz um einen komplexen Begriff: Er umfasst einerseits den Aufgabenbereich der Rechtsprechung und andererseits den Bereich der Anklage beziehungsweise der Strafverfolgung.

Die Rechtsprechung obliegt allein den Gerichten. Man versteht darunter die verbindliche Entscheidung über Tat und Rechtsfragen. Es handelt sich um einen materiellen Begriff. – Das wird übrigens in dem schönen Begriff „Erkenntnis“ deutlich: Ein Urteil ist ein Erkenntnis, und dieses kann nur durch ein Gericht gefällt werden. Die Staatsanwaltschaft hingegen fällt keine Erkenntnisse und übt keine Rechtsprechung. Das ist der kategoriale Unterschied zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht.

Die Staatsanwaltschaft arbeitet der Rechtsprechung zu, ohne selbst Rechtsprechung auszuüben, sondern klärt nur das Material vor und hat im Gegensatz zum Gericht keine Belastungs- und Zwangsgewalt. Beide, die Gerichte und die Staatsanwaltschaft, sind funktional integrierende Bestandteile der Justiz. Ich kann das gar nicht oft genug betonen. Beide bedingen und ergänzen einander, beide sind Justizorgane eigener Art. 

Einen dritten Teil der Justiz stellt der Rechtsschutzbeauftragte bezüglich der besonderen Ermittlungen im Rahmen der StPO dar, und alle drei Teile sind – wie gesagt – Teile der Justiz und nicht der Verwaltung.

Die Gerichte sind unabhängige Spruchkörper, die Staatsanwaltschaften sind Behörden. – Das sage ich, obwohl ich hinzufüge, dass die Staatsanwaltschaft nicht zur Verwaltung gehört. Gerichte sind hingegen keine Behörden, darin besteht der Unterschied. Die Staatsanwaltschaft ist eine Behörde, weil sie hierarchisch gegliedert und weisungsabhängig ist. Diese Behörde gehört aber, wie schon gesagt, funktional zur Justiz, sie stellt innerhalb der Justiz ein Gebilde eigener Art dar. Die Staatsanwaltschaften sind daher Justizbehörden, und von einigen Autoren wird dieser Begriff auch in Österreich gebraucht, sie legen aber nicht näher dar, was Justizbehörden im Gegensatz zu Gerichten und zur Verwaltung eigentlich wirklich sind.

Die formelle Weisungsabhängigkeit macht die Staatsanwaltschaft jedoch nicht zur Verwaltungsbehörde, weil ihr materieller Aufgabenkreis mit der Verwaltung nichts zu tun hat. Strafverfolgung und Anklageerhebung sind so wenig Verwaltungstätigkeit wie die Rechtsprechung, und weil die Staatsanwaltschaften keine Verwaltungsbehörden sind, erlassen sie auch keine Verwaltungsakte oder gar Bescheide. Die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft ist rein strafprozessualer Art und sonst gar nichts, und dass lässt sich von der Verwaltung nun wirklich nicht sagen. Die Staatsanwaltschaft hat nur diese eine, ganz besondere Aufgabe.

Übrigens ist das Vorverfahren der Staatsanwaltschaft doch weiß Gott kein verwaltungsbehördliches Verfahren. Es lag gerade daran, es in die Hände der Staatsanwaltschaft zu legen, damit wir ein Justizverfahren und kein Verwaltungsverfahren haben. Das zeigt wiederum ganz harmonisch: Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Justiz.

Nun komme ich noch einmal zu den Weisungen, an welchen offensichtlich alles hängt: Gemäß formalem Verständnis ist die Staatsanwaltschaft deshalb eine Verwaltungsbehörde, weil sie weisungsabhängig ist. Auch das lässt sich klären. Die Weisungen, die der Staatsanwaltschaft im Strafprozess gegeben werden können – und die Staatsanwaltschaft existiert und funktioniert nur im Strafverfahren und sonst nirgends –, gehören zum Anklageprozess. Das ist Sinn und Zweck der Weisungen und stellt auch deren Begrenzung dar. Sie haben nur diese eine Aufgabe und sind keine Weisungen im üblichen verwaltungsrechtlichen Sinn, sondern sie stellen Weisungen eigener Art dar. Das zeigen auch die diesbezüglichen Sonderregelungen im § 29 Staatsanwaltschaftsgesetz mit den Stichworten „Transparenz“ und „Gewissenschutz“. Es ließe sich darum auch durchaus vertreten, sie auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu reduzieren, wie das Machacek vorgeschlagen hat, beziehungsweise sie auf ein bestimmtes Organ innerhalb der Justiz zu verlagern, weil es sich um justizinterne Weisungen und keine verwaltungsrechtlichen Weisungen im üblichen Sinne handelt.

Wenn die herrschende Meinung das Anklageprinzip als Ausnahme zur Gewaltentrennung nach Art. 94 ansieht, macht sie meines Erachtens den Fehler, die staatsrechtliche Gewaltenteilung – und nur um diese geht es in Art. 94 – mit der prozessualen Gewaltenteilung zu verwechseln. Wir haben nämlich zwei Arten von Gewaltenteilung. Innerhalb der staatsrechtlichen Justiz gibt es sehr wohl zwei Gewalten, nämlich die rechtsprechende Gewalt der Gerichte und die anklagende Gewalt der Staatsanwaltschaft. Letztere kontrollieren einander gegenseitig innerhalb des Prozesses, und zwar zu den prozessspezifischen Zwecken der besseren Wahrheitsfindung und auch der Fairness. Keiner soll allein durchmarschieren wie im Inquisitionsprozess, sondern beide Gewalten ergänzen und kontrollieren einander innerhalb der Justiz. – Es handelt sich hiebei also um eine prozessuale und nicht um eine staatsrechtliche Gewaltentrennung.

Sie diskutieren nach meiner Sicht auf einer falschen Ebene, wenn Sie dauernd fragen, ob das Ganze dem staatsrechtlichen Trennungsgrundsatz widerspricht. – Das ist eindeutig nicht der Fall! Diese beiden prozessualen Gewalten gehören zur Justiz.

Deshalb sind auch die Anklageerzwingung und die Einstellungserzwingung, welche im Rahmen dieser Regierungsvorlage angezweifelt wurden, durchaus mit diesem Prinzip vereinbar. Die Gerichte haben die Staatsanwaltschaften ergänzend zu kontrollieren. Sie arbeiten aufeinander zu und kontrollieren einander gegenseitig innerhalb des Prozesses.

Die Trennung stellt ein Problem des Eingriffs in verschiedene prozessuale Gewalten dar, im Fall der Anklageerzwingung und der Einstellungserzwingung in die Anklageautonomie. Man kann daher darüber reden, ob man die Prozessgrundsätze entsprechend verändern sollte. Ich selbst habe mich auch nicht ohne weiteres damit einverstanden erklärt, dass die Anklageerzwingung eingeführt wird, sondern habe mich erst nach und nach dafür erwärmt. Ich habe aber nie gemeint, dass das ein staatsrechtliches Problem sei, weil es hiebei nur darum geht, ob die Anklageautonomie der Prozessgewalt Staatsanwaltschaft zugebilligt wird oder nicht.

Oft wird davon gesprochen, dass die Staatsanwaltschaft eine „Justizverwaltungsbehörde“ sei, wobei dieser Begriff sehr missverständlich ist. Manche, welche diesen Begriff gebrauchen, meinen, dass es sich bei der Staatsanwaltschaft um eine Verwaltungsbehörde handelt, die zur Justiz gehört. Das trifft aber nicht zu, denn die Staatsanwaltschaft ist keine Verwaltungsbehörde, sondern eine Justizbehörde. Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft besteht nicht in Verwaltung in dem Sinne, dass sie mit Etatfragen, Personalfragen, Raumproblemen et cetera befasst wäre. Diese Verwaltung wird vom Justizministerium wahrgenommen. Wenn es aber um inhaltliche Aufgaben und die genuine Tätigkeit der Staatsanwaltschaft geht, nämlich um Strafverfolgung und Anklageerhebung, dann heißt es sofort: Da darf der Herr Justizminister als Verwaltungsbehörde nicht ohne weiteres eingreifen, denn es handelt sich hiebei um ein strafprozessuales Spezifikum! – Das zeigt wiederum, dass dieser Ausdruck an sich falsch ist. Inwieweit der Minister eingreifen kann, ist eine Frage des Weisungsrechts, und dieses Weisungsrecht ist eine Kategorie des Anklageprozesses, womit ich nicht sagen möchte, dass das Weisungsrecht abzulehnen ist. Es ist jedoch auf einer eigenen Ebene zu diskutieren.

Schließlich ist im Staatsanwaltschaftsgesetz davon die Rede, dass die Staatsanwaltschaft ein Organ der Rechtspflege sein. – Dieser Begriff ist äußerst unklar. Er lässt aber doch erkennen, dass die Staatsanwaltschaft der Rechtsprechung der Gerichte zugeordnet ist, ohne selbst Rechtsprechung auszuüben. Oft hört man, dass Rechtspflege der Rechtsprechung ähnlich sei. – Das ist absolut nicht der Fall! Rechtsprechung üben nur die Gerichte, und jene, die der Rechtsprechung zuarbeiten, nennt man Rechtspflegeorgane. Alle anderen Verwaltungsorgane sind hingegen keine Rechtspflegeorgane. Daran wird die besondere Stellung der Staatsanwaltschaft im Bezug auf die Rechtsprechung deutlich.  

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Christian Bertel (Institut für Strafrecht und sonstige Kriminalwissenschaften, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck): Ich bewundere den Scharfsinn meiner Vorredner. Ich kann damit ohnehin nicht wetteifern. Ich meine nur, dass die Grundrechtsproblematik in der bisherigen Diskussion entschieden zu kurz gekommen ist.

Ich möchte gleich sagen: Ich klebe nicht am Wortlaut. Mir geht es nur um den Inhalt. Ich könnte jetzt zu Grundrechtsfragen lange reden. Ich will Ihre Geduld aber nicht allzu sehr in Anspruch nehmen und habe daher sechs Punkte zusammengestellt.

Erstens: § 51 Abs. 1 der Regierungsvorlage erlaubt die Beschränkung der Akteneinsicht, soweit dies ohne Nachteil für die Ermittlungen möglich ist. Das gilt auch in Haftfällen. – Der verhaftete Beschuldigte muss sich aber wirksam gegen die Annahme der Haftvoraussetzungen wehren können, und dafür ist volle Akteneinsicht unerlässlich. Ein Verfahren, in welchem der Beschuldigte keine volle Akteneinsicht hat, ist kein Haftprüfungsverfahren, wie es Art. 5 Abs. 4 der Menschenrechtskonvention dem verhafteten Beschuldigten gewährleistet. Tatsächlich gibt es mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in welchem er Beschränkungen der Akteneinsicht gegenüber einem verhafteten Beschuldigten für konventionswidrig erklärt. Die Bundesrepublik Deutschland ist einmal verurteilt worden. Bei der Verfassung der Regierungsvorlage ist das wohl entgangen. Wenigstens der verhaftete Beschuldigte muss volle Akteneinsicht haben.

Zweitens: § 59 der Regierungsvorlage besagt, dass die Staatsanwaltschaft die Überwachung der Verteidigergespräche in Fällen der Verabredungs- und Verdunkelungsgefahr bis zu zwei Monaten ausdehnen kann. – Das ist mit Art. 5 Abs. 4 der Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Es widerspricht dies der Menschenrechtskonvention einerseits, weil die Überwachung der Verteidigergespräche in allen Strafverfahren möglich und nicht auf bestimmt schwerste Delikte beschränkt ist, bei welchen man sich das allenfalls vorstellen könnte, und andererseits, weil die Voraussetzungen, welche zu einer Überwachung der Verteidigergespräche führen können, ganz und gar unbestimmt sind. Verdunkelungsgefahr kann bei einer Gefahr, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird, angenommen werden. Eine Überwachung ist auch dann zulässig, wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung von Beweismitteln vorliegt.

Ich habe versucht herauszufinden, wie das in unseren Nachbarländern gehandhabt wird: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Überwachung der Gespräche zwischen dem verhafteten Beschuldigten und seinem Verteidiger überhaupt nicht und eine Überwachung des Schriftverkehrs nur auf Anordnung des Richters im Verfahren wegen Bildung terroristischer Vereinigungen. In der Schweiz habe ich gar nichts gefunden.

Dass die Regelungen des § 59 der Regierungsvorlage mit dem Recht auf einer faires Verfahren nicht vereinbar sind, zeigt auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs, das unlängst im Anwaltsblatt veröffentlicht wurde.

Drittens: Gemäß § 120 der Regierungsvorlage erhält die Kriminalpolizei das Recht, Personen und Orte bei Gefahr im Verzug aus eigener Macht zu durchsuchen. – Das ist nicht nur ein Abweichen vom Sprachgebrauch des Gesetzes zum Schutze des Hausrechts, nach welchem die Kriminalbeamten, von den Ausnahmen des § 2 Abs. 2 abgesehen, eine schriftliche Ermächtigung ihrer Behörde vorweisen müssen, sondern etwas ganz anderes! Ich weiß nämlich sehr wohl, dass gerade diese Voraussetzung der Kriminalpolizei in der Praxis sehr lästig ist. 

Viertens: die körperliche Untersuchung. Gemäß § 123 der Regierungsvorlage sind die Untersuchung von Körperöffnungen, die Blutabnahme und andere Eingriffe in die körperliche Integrität zu Aufklärung auch minder schwerer Delikte erlaubt. Zur Aufklärung von Delikten, die mit mehr als fünf Jahren, und von Sexualdelikten, die mit mehr als drei Jahren bedroht sind, sind diese Eingriffe sogar als Reihenuntersuchung, zum Bespiel an allen Männern eines Ortes, zulässig. Bei Gefahr im Verzug kann diese der Staatsanwalt anordnen. – Eine so weit gefasste Eingriffsmöglichkeit ist exzessiv. Argumente für eine kriminalpolitische Notwendigkeit, dass so etwas gebraucht wird, geben nicht einmal die Erläuterungen. Im Gegenteil: In den Erläuterungen selbst wird leise angezweifelt, ob das geltende Verfassungsrecht als Grundlage ausreicht.

Damit werden Art. 8 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention, Art. 90 der Bundesverfassung und möglicherweise Art. 3 der Menschenrechtskonvention verletzt. – Ich möchte daran erinnern, dass alle Bestimmungen, die eine Verpflichtung zur Blutabnahme vorsehen, als Verfassungsgesetze beschlossen wurden.

Als fünften Punkt möchte ich §§ 172 und 174 der Regierungsvorlage erwähnen: Diese Bestimmungen besagen, dass die Kriminalpolizei den Festgenommenen längstens binnen 48 Stunden in die Justizanstalt einliefern und der Richter dort längstens binnen 48 Stunden das Pflichtverhör durchführen muss.

Nach Art. 5 Abs. 3 der Menschenrechtskonvention muss der Festgenommene unverzüglich einem Richter vorgeführt werden. Das steht im Widerspruch zu den oben genannten zweimal „längstens 48 Stunden“, wobei diese Frist jeweils im Ermessen der Kriminalpolizei und des Richters liegt, weshalb die §§ 172 und 174 wohl schwerlich mit der Menschenrechtskonvention vereinbar sind.

Sechstens möchte ich zu § 132 der Regierungsvorlage Stellung nehmen: Wenn die Aufklärung eines Verbrechens oder die Sicherstellung von Gegenständen oder Vermögenswerten, die aus einem Verbrechen herrühren oder vom Verfall oder von der Einziehung bedroht sind, andernfalls wesentlich erschwert wäre, kann nach § 132 der Regierungsvorlage die Kriminalpolizei auf Anordnung des Staatsanwalts verdächtige Personen veranlassen, zum Beispiel Suchtgift zu besorgen und den Fahndern zu übergeben. – Das kann ich mir noch vorstellen. Was dann geschieht, geht aber wohl zu weit: Dann wird nämlich der hereingelegte Festgenommene wegen der Übergabe des Suchtgifts an die Polizeispitzel bestraft. Nach dem Verbrechen, zu dessen Aufklärung das Scheingeschäft angeblich dienen sollte, fragt da niemand mehr.

Solche Verurteilungen verstoßen gegen Art. 6 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention. Der Europäische Gerichtshof lässt solche Manöver zu, er hat das bisher aber nur getan, wenn sie von einem Richter angeordnet wurden und wenn der Hereingelegte mehr getan hat, als die Polizei ihm nahe legte. Die Regierungsvorlage entspricht weder der einen noch der anderen Voraussetzung. Das Scheingeschäft müsste von einem Richter angeordnet werden, und die Regierungsvorlage müsste vorsehen, dass niemand wegen Verhaltensweisen bestraft werden kann, die er auf Veranlassung der Polizei begangen hat. Das sollte in einem Rechtsstaat eigentlich selbstverständlich sein.

Ich versage mir, Ihnen jetzt noch weitere Punkte vorzuführen, um meine Redezeit nicht übermäßig auszudehnen und um Ihre Geduld nicht allzu sehr zu strapazieren.

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Dr. h.c. Manfred Burgstaller (Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien): Wie allseits bekannt, bin auch ich kein Verfassungsexperte, und ich werde mich daher hüten, mich hier auf verfassungsdogmatische Fragen einzulassen.

Im Ansatz bin ich ganz bei Kollegem Bertel. Es geht bei den verfassungsrechtlichen Problemen, die aufgeworfen wurden, um inhaltliche Fragen. Ich kann jetzt nicht im Einzelnen auf die von Kollegem Bertel ausgeführten Punkte eingehen. Sie verdienen sicherlich eine separate Detaildiskussion.

Mir geht es diesbezüglich nur um eine Klarstellung: Es handelt sich bei allen von ihm aufgezeigten Punkten um Grundrechtseingriffe, die sehr ernst zu nehmen sind. Man muss aber auch sehen, dass diese Grundrechtseingriffe, wenn sie im Zuge eines strafrechtlichen Verfahrens gesetzt werden, zugleich auch fundamentale Grundrechte der Bürger schützen.

Es ist, wie ich meine, heute nicht mehr strittig, dass auch ein Recht des Bürgers auf angemessenen Schutz vor verbrecherischen Angriffen besteht und dass alles, was zur deren Abwehr notwendig und verhältnismäßig scheint, durchaus auch vor dem Grundrechtshorizont zu rechtfertigen ist. – Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Einleitungsvortrag von Novak beim Richtertag in Wels hinweisen, der diese Seite der Grundrechte sehr eindrucksvoll dargestellt hat.

Ich möchte auf drei in der Debatte von den Verfassungsrechtlern aufgeworfene Fragen und auf deren inhaltliche Bedeutung eingehen.

Erstens: Durch die vorgeschlagene Aufgabe der Trennung von Ermittlungstätigkeit und Anklagetätigkeit, welche das gegenwärtige Strafprozessrecht trägt, wird jetzt ein inquisitorisches Moment eingebracht, weil nun die Person, welche die folgenschwere Entscheidung betreffend Anklage oder Einstellung zu treffen hat, selbst ermitteln soll. – Das ist meines Erachtens der inhaltliche Aspekt, warum ein deutliches Spannungsverhältnis zum Anklagegrundsatz besteht, wie er meiner Meinung nach dem Bundes-Verfassungsgesetz-Geber des Jahres 1920 vorschwebte.

Zweitens soll der richterliche Befehl durch eine richterliche Bewilligung ersetzt werden: Ich meine, dass das nicht nur ein semantisches Problem darstellt. Auch dahinter verbirgt sich meines Erachtens eine inhaltliche Unterschiedlichkeit: Wenn ein Richter einen Hausdurchsuchungs- oder Haftbefehl erlässt, dann ist dieser durchzuführen. Wenn der Staatsanwalt eine Bewilligung für eine Hausdurchsuchung oder eine Verhaftung einholt, dann bleibt es ihm überlassen, ob er davon Gebrauch macht oder nicht. – Es ist dies also ein inhaltliches und keineswegs nur ein semantisches Problem.

Mein dritter Punkt betrifft die Verfolgungserzwingung, wie sie zuletzt in den §§ 195 und 196 der Regierungsvorlage in Form eines Antrags auf Fortführung des Verfahrens formuliert wurde: Ich meine, dass es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, wie ernst man das nimmt. Wenn damit gemeint ist, dass das Gericht – in concrecto: das Oberlandesgericht – den Ankläger wirklich zwingen kann, eine Anklage zu erheben, dann wäre das meiner Überzeugung nach ein glatter Verstoß gegen Art. 190 B-VG, denn die Kernaussage dieser Regelung besteht ja gerade darin, dass es nur dann zu einer Anklage und zu einer Verurteilung kommen kann, wenn zwei voneinander unabhängige Instanzen dieser Meinung sind. – Genau dieses Prinzip würde durchbrochen werden.

Ich muss hinzufügen, dass in den Bestimmungen der §§ 195 und 196 von einer Anklageerzwingung nicht die Rede ist. Gemäß diesen Bestimmungen kann das Gericht eine Fortführung der Ermittlungstätigkeit vorschreiben. Das ist wohl noch mit dem Anklagegrundsatz vereinbar, mit diesem Spannungsverhältnis könnte ich mich abfinden. Ich frage mich jedoch, worin die Regelung im Kern eigentlich besteht. Wenn der Staatsanwalt dann nämlich sozusagen zwei bis drei Vernehmungen vorgenommen hat, könnte er sagen, dass er fortgeführt hat, und wieder aufhören. Und somit würde das Ganze wieder von vorne beginnen. – Ich meine, dass das inhaltlich eine schlechte Lösung ist, und weise, wie auch schon in der ersten Sitzung, auf den Vorschlag Lambauers hin, statt dessen doch eine Erweiterung des Subsidiaranklagerechts vorzunehmen.

Ich möchte noch eine Ergänzung anbringen: Ein Verbesserung des Subsidiaranklagerechts lediglich in der Weise, dass man es für den Ankläger kostenfrei stellt und ihm einen Rechtsbeistand zugesteht, wird wahrscheinlich den gesellschaftlichen Bedürfnissen, wie sie sich in der letzten Zeit ergeben haben, nicht hinreichend gerecht werden, weil man nicht immer einen Verletzten findet, der die überindividuellen Interessen einer Strafverfolgung gegen eine aus welchen Gründen immer unwillige Staatsanwalt aufnimmt. Man sollte sich daher überlegen, den bereits andiskutierten Gedanken näher zu prüfen, ob man in solchen Fällen nicht eine anerkannte, unabhängige Institution zusätzlich mit einem subsidiären Anklage- und Verfolgungsrecht versieht.

Eine abschließende Bemerkung: Ich habe das Gutachten Funk/Öhlinger bewundernd gelesen, ich nehme aber ganz die Position des Verfassungsdienstes ein: Bei einer Reform von so großer gesellschaftlicher Bedeutung ist es meines Erachtens nicht angebracht, das doch nicht unbeachtliche Risiko von Verfassungswidrigkeiten einzugehen. Man sollte sich auf alle Fälle bemühen, entsprechende verfassungsrechtliche Absicherungen zu treffen, zumal es ohnedies im Sinne der Sache liegt, einen breiten partei- und regierungsübergreifenden Konsens zu erzielen, denn ein Gesetz, das von fundamentaler gesellschaftlicher Bedeutung sein wird, sollte von einer Mehrheit getragen werden.

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl (Oberstaatsanwaltschaft Wien): Ich kann an die ersten drei Redner anknüpfen: Man kann diesen Entwurf unter Eingehen eines gewissen unumgänglichen Risikos sehr wohl so beschließen. Im Übrigen wäre es gut, wenn man bestimmte Verfassungsänderungen anschließen könnte. Ich meine, dass man generell nicht viel mehr sagen kann. Die beiden Verfasser des Gutachtens und die Vertreterin des Verfassungsdienstes haben die Thematik in diesem Rahmen bereits erschöpfend ausgeführt.

Ich werde mich daher nicht an dieser verfassungsrechtlichen Materialschlacht beteiligen. Ich meine aber, dass man sozusagen die Kanonen in dieser Materialschlacht nicht mit rechtspolitischen Argumenten als Munition füttern sollte. Vielmehr sollte man rechtspolitische Argumente bringen und dann sagen, dass aus diesem oder jenem Grund Verfassungswidrigkeit besteht.

Am meisten interessiert mich das neue Bild der Staatsanwaltschaft, welches hier hervorkommt: Die Staatsanwaltschaften werden traditionellerweise quasi immer als Appendices des Blinddarms Gericht gesehen. Die Staatsanwaltschaften sind immer irgendwie angehängt, sie haben keine eigenen Häuser und mit Ausnahme der Staatsanwälte selbst auch keine eigenen Beamten, denn das Personal wird von den Oberlandesgerichten zur Verfügung gestellt. Die Staatsanwaltschaften haben daher auch keine Diensthoheit, und das ist deutlich fühlbar.

Als ich beispielsweise vor einiger Zeit glaubte, eine Bezirksanwältin von einem Sprengel in den anderen versetzen zu müssen, weil im einen Sprengel ein Überanbot an Arbeitskräften bestand und im anderen Personal gefehlt hat, musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass ich das nicht kann, weil das Sache des Obergerichtspräsidenten ist. Ich habe, wie auch meine Kollegen, zum Obergerichtspräsidenten das beste Verhältnis. Dieser schickte mir diesfalls eine Ladung als Beteiligtem in seinem Verfahren, ob er die Bezirksanwältin von Krems nach Sankt Pölten versetzt oder nicht.

Es gibt die Staatsanwaltschaften also gar nicht richtig, und deswegen wissen wir gar nicht, worum es sich dabei in Wirklichkeit handelt. Professor Moos ist auf diese Thematik schon eingegangen. Der Begriff „Justizverwaltungsbehörde“ trifft wirklich überhaupt nicht zu. Mir sagt die Fortführung der Gutachten, wie sie Professor Moos vorgenommen hat, am meisten zu. Er sagt, dass die Staatsanwaltschaft ein Teil der Justiz ist. Ich meine, dass es sich hiebei um die Strafverfolgungsbehörde der Justiz handelt. Die Gerichte sind nämlich keine Strafverfolgungsbehörden.

Es erhebt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich die Zusammenarbeit mit der Strafverfolgungsbehörde Polizei gestalten sollen. Diese Frage betrifft aber mehr den rechtspolitischen Bereich, und darum möchte ich meinen alten Gegensatz mit Professor Burgstaller nicht weiter aufwärmen. Für mich ist es aber jedenfalls rechtspolitisch problematischer, wenn der Richter, der eine Voruntersuchung führt, gleichzeitig über die Grundrechtseingriffe der an der Voruntersuchung beteiligten Behörden entscheidet, als wenn ein Staatsanwaltschaft über eine Anklage entscheidet, nachdem er sich die entsprechenden Information selbst beziehungsweise mit Hilfe der Polizei verschafft hat. Man mag in beiden Fällen ein inquisitorisches Moment erblicken, rechtspolitisch halte ich aber, wie gesagt, die erste Konstellation für problematischer.

Ich meine, dass gemäß dem vorliegenden Entwurf die verfassungsrechtliche Problematik des Vorverfahrens gegenüber der gegenwärtigen Situation vermindert wird, indem die Funktionen der Strafverfolgung und des Rechtsschutzes klar getrennt werden. Das Gericht hat in seiner unabhängigen Position Informationen zu bewerten, die ihm von anderen vorgelegt werden. Die Staatsanwaltschaft hat eine andere Aufgabe.

Ich freue mich, dass diese Problematik auch in dieser verfassungsrechtlichen Diskussion herausgearbeitet wird, dass wir uns nämlich jetzt, nach 150 Jahren Staatsanwaltschaft, überlegen, was die Staatsanwaltschaft können soll und muss und was von ihr erwartet wird.

Ich meine, dass die Staatsanwaltschaft dem Gericht nicht „zuarbeitet“. Dieser eine Ausdruck hat mir bei Herrn Professor Moos nicht gefallen. Es klingt dann nämlich so, als ob wir quasi die Kellner auf der Party des Gerichts wären. – Das sind wir nicht! Vielmehr sind die Staatsanwaltschaften dazu da, Informationen zu sammeln und zu bewerten, ob jemand vor Gericht zu stellen ist. Ich sehe darin einen arbeitsteiligen Prozess und meine, dass es höchst an der Zeit ist, dass die Rolle der Staatsanwaltschaft klarer definiert wird beziehungsweise dass es sogar zu einer verfassungsrechtlichen Absicherung der Staatsanwaltschaften kommt, die jetzt nur als „Verwaltungsbehörden“ gelten, weil sie eben keine Gerichte sind.

Mehr noch als die Weisungsfreiheit, über welche man trefflich und endlos streiten kann, wünsche ich mir außerdem ein Dienstrecht, nach welchem wir endlich auch über unsere nicht staatsanwaltschaftlichen Mitarbeiter Dienstaufsicht haben.

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Ich habe mich jetzt vor allem deshalb zu Wort gemeldet, weil ich mich durch die heutige Diskussion in großem Ausmaß bestätigt fühle.

Ich möchte das noch einmal betonen, worauf auch Frau Dr. Siess-Scherz aufmerksam gemacht hat: Wir haben die verfassungsrechtlichen Probleme bereits in der Regierungsvorlage und im Begutachtungsverfahren offen und ehrlich in guter Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst angesprochen, welcher uns auch große Unterstützung geleistet hat.

Es waren uns auch schon Vorgutachten von der Standesvertretung zur Verfügung gestellt worden. Der heute nicht anwesende Professor Schick hat mit Professor Funk ein Gutachten zur Frage der verfassungsrechtlichen Verankerung der Staatsanwaltschaften für die Stellungnahme der Standesvertretung im Begutachtungsverfahren erstellt.

All das haben wir offen gelegt, und es liegt jetzt an der Abwägung, ob man den sicheren Weg gehen will oder ob man das Risiko einer möglichen Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof, welches bereits sehr klar dargestellt wurde, und eines unsicheren Verfahrensausgangs auf sich nimmt.  

Ich selbst hatte an und für sich zunächst Bedenken betreffend den Auftrag für die Erstellung des Gutachtens, weil ich meinte, dass man dabei zu dem Schluss kommen müsse, dass wir unbedingt eine Verfassungsbestimmung brauchen. Der Gutachtensauftrag war jedoch so gestaltet, dass die Professoren völlig frei waren, und das Ziel, das der Herr Bundesminister mit diesem Gutachten verfolgt hat, war – auch das möchte ich betonen –, eine verfassungsrechtliche Diskussion herbeizuführen. Im Hinblick darauf meine ich, dass man dem Gutachten nicht gerecht wird, wenn man in der „Wiener Zeitung“ einen Artikel verfasst. Das muss ich sagen. Wir haben uns erwartet, dass das Gutachten wirklich eine wissenschaftliche Diskussion auslöst, um herauszufinden, welche die großen Linien sind.

Ich bin auch Professor Bertel dankbar. Er hat schon in der vergangenen Sitzung betont, dass aus dem Entwurf etwas Brauchbares werden kann. – Ich bin immer sehr froh, wenn einmal klargestellt ist, dass ein Entwurf nicht völlig schlecht ist und daraus etwas gemacht werden kann.

Professor Bertel hat sechs Punkte vom grundrechtlichen Blickwinkel dargestellt. Ich beginne gleich mit der am problematischsten Bestimmung, nämlich mit § 132 der Regierungsvorlage betreffend das Scheingeschäft. – Dazu muss man sagen: Der Diskussionsentwurf wurde immer als rechtsstaatlich ausgewogenes Werk gelobt. Allerdings war im Diskussionsentwurf noch eine Bestimmung enthalten, die sogar die gezielte Tatprovokation gestattete. Diesbezüglich ist man im vorliegenden Entwurf deutlich zurückgegangen. Man kann das bereits in § 5 Abs. 3 betreffend die Grundsätze des Strafverfahrens nachlesen, wo es heißt: „Beschuldigte oder andere Personen zur Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer strafbaren Handlung zu verleiten oder durch heimlich bestellte Personen zu einem Geständnis zu verlocken, ist unzulässig.“ – Das muss man bei der Diskussion der Bestimmung gemäß § 132 unbedingt mit bedenken!

Wenn Professor Bertel meint, dass es notwendig sei, den Beschuldigten, der an einem Scheingeschäft mitgewirkt hat und sich dadurch der Strafverfolgung und einer Verurteilung ausgesetzt hat, hier straffrei zu stellen, dann muss ich doch auf die umfangreiche Judikatur des Bundesgerichtshofs in Deutschland verweisen, der gerade die Bestimmung betreffend Straffreistellung und Einstellung des Verfahrens als nicht angemessen ansieht.

Im Entwurf wird in den Erläuterungen darauf hingewiesen, dass man dieses Problem im materiellen Recht im Weg einer außerordentlichen Strafmilderung lösen müsste. – Es trifft also nicht zu, dass es dazu im Entwurf keine Aussagen gibt.

Die Bestimmung ist natürlich in ihrem Umfang problematisch, sie entspricht aber auch dem Versuch, etwas ehrlich anzusprechen, was in der tagtäglichen Praxis der kriminalpolizeilichen Arbeit ohnedies gehandhabt wird. Es war nicht das Ziel des Entwurfs, die Augen davor zu verschließen. Wir wollten diesen Fragenkomplex deutlich ansprechen. Ich gestehe aber auch zu, dass man über die Frage, wer diesen Eingriff bewilligt, noch zu diskutieren haben wird.

Professor Bertel hat weiters § 120 betreffend die Berechtigung der Kriminalpolizei, bei Gefahr im Verzug Durchsuchungen vorzunehmen, problematisiert. – Diesbezüglich stellt der Entwurf ein Korrektiv dar, weil die Möglichkeit heute nicht besteht, dass auch im Fall einer derartigen Überwachung eine nachträgliche gerichtliche Bewilligung einzuholen ist. Diese Bestimmung wurde gerade deshalb geschaffen, damit kontrolliert werden kann, ob die Kriminalpolizei ihre Befugnis, bei Gefahr im Verzug einzuschreiten, rechtmäßig ausgeübt hat. Der Entwurf geht somit über das geltende Recht hinaus und bringt aus meiner Sicht mehr richterliche Kontrolle und eine Verbesserung des Rechtsstandards.

Professor Bertel hat auch auf § 59 betreffend die Überwachung des Verteidigergesprächs hingewiesen. – Ich meine, dass man über die Frist sehr wohl diskutieren kann. Der EGMR hat erst im Fall Lanz die österreichische Rechtslage begutachtet und hat ausgesprochen, dass es nicht hinreicht, wenn ausschließlich mit dem Hinweis auf die Verdunkelungsgefahr die Überwachung des Verteidigergesprächs angeordnet wird. Er hat aber auch völlig außer Streit gestellt, dass die Rechtslage in Österreich nicht per se mit Art. 6 beziehungsweise Art. 5 unvereinbar ist. Daraufhin haben wir im Strafrechtsänderungsgesetz 2002 klargestellt, dass die Bestimmung nicht ausschließlich mit Verdunkelungsgefahr begründet werden kann, und wir haben jetzt dieselbe Regelung wortgleich in den Entwurf übernommen. Ich glaube daher nicht, dass man uns vorwerfen kann, dass wir den Vorgaben des EGMR nicht gefolgt sind.

Es wurde das Beispiel Deutschland eingewendet: In Deutschland kann das Gericht nicht überwachen, es kann jedoch in wesentlich größerem Umfang den Verteidiger wegen Gefahr der Kollision von der Verteidigung ausschließen. Im Diskussionsentwurf hatten wir auch die Möglichkeit geschaffen, den Verteidiger auszuschließen, aber auch davon sind wir nach Einwänden im Begutachtungsverfahren wieder abgegangen.

Zu § 51 der Regierungsvorlage hinsichtlich Akteneinsicht im Haftprüfungsverfahren: In § 52 Abs. 2 Z 2 ist verankert, dass der Beschuldigte Anspruch hat, alle Aktenstücke zu erhalten, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können. – Ich meine also, dass man auch in diesem Zusammenhang vorsichtig abwägen muss, ob das klare Verdikt der Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf Art. 5 wirklich gerechtfertigt ist.

Die Bestimmung gemäß § 51 ist – wie ich bereits voriges Mal erwähnt habe – ein Versuch, die berechtigten Ermittlungsinteressen und die Ermittlungseffizienz zu wahren, und die Formulierung wurde gegenüber dem Diskussionsentwurf angehoben: Es müssen immerhin besondere Umstände befürchten lassen – und dies ist zu begründen –, dass durch sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre.

Auch diesbezüglich ist auf den Rechtsschutz zu verweisen: Man kann sich mit dem Einspruch an das Gericht wenden, dass überprüft wird, ob die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht zu Recht verweigert. Diesbezüglich sind mir keine EGMR-Erkenntnisse bekannt, in welchen das problematisiert wurde.

Weiters wurde die körperliche Untersuchung erwähnt. Auch im Hinblick darauf möchte ich auf die abwägenden und sich damit genau befassenden Erläuterungen verweisen. Es gab dazu auch Gegenmeinungen: Professor Schmoller hat zum Beispiel die Lösung im Ministerialentwurf, gemäß welcher körperliche Untersuchungen beziehungsweise Blutabnahmen mit Zwang für durchsetzbar erklärt wurden, als besser empfunden. Diesbezüglich gab es auch eine Diskussion bei der Richterwoche: Bei diesem Anlass wurde diese Frage eingehend beurteilt. Wir haben uns zunächst zu dieser Lösung bekannt, weil es aus unserer Sicht eigentümlich ist, dass im Verwaltungsstrafverfahren Blutabnahmen angeordnet werden können, im gerichtlichen Strafverfahren jedoch unzulässig sind. Auch in diesem Zusammenhang könnte man einen Vergleich zur deutschen Rechtslage ziehen, die körperliche Untersuchungen in viel stärkerem Umfang zulässt.

Aber auch in diesem Punkt gebe ich Professor Bertel Recht: Über die Voraussetzungen beziehungsweise die Strafbarkeitsgrenzen ist jederzeit eine inhaltliche und eingehende Diskussion und wohl auch Verbesserung möglich. Ich bitte aber, auch zu berücksichtigen, dass es sich hiebei wirklich um einen Versuch gehandelt hat, die neuen Ermittlungsmaßnahmen, die aus unserer Sicht und auch aus Sicht der Kriminalpolizei notwendig sind, in einer Form zu verankern, dass einerseits auf die Grundrechte und andererseits auf die Ermittlungseffizienz Bedacht genommen wird. Ob uns das gut geglückt ist, müssen letztlich wirklich Sie mit Hilfe der Experten beurteilen!

Sektionschef Dr. Roland Miklau (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Ich möchte zunächst feststellen, dass ich mich freue, dass wir, nachdem wir die Probleme seinerzeit schon im Diskussionsentwurf und im Ministerialentwurf offen zu Diskussion gestellt hatten, Professor Funk und Professor Öhlinger um ein Gutachten gebeten und damit eine sehr hoch stehende Diskussion ausgelöst haben. Der heutige Tag bestätigt mir, dass diese Vorgangsweise sowohl den Strafrechtlern als auch den Verfassungsrechtlern gut getan hat. Ich habe den Eindruck, dass sich die Dinge in beiden Bereichen bewegen, ob auf die Finalität von Professor Funk oder auf etwas anderes zu, werden wir erst sehen, es ist aber jedenfalls eine Bewegung entstanden, und das ist – wie ich meine – ein großes Positivum dieser Diskussion.

Ich möchte nicht, dass das, was Professor Öhlinger zu Beginn seiner Ausführungen gesagt hat, untergeht, dass nämlich die mangelnde gesetzliche Regelung des jetzigen Vorverfahrens mit massiven Verfassungswidrigkeiten verbunden ist. Das vergisst man manchmal. Wir diskutieren über fein ziselierte Unterschiede und subtile Details betreffend den Entwurf, halten jedoch den bestehenden Zustand für selbstverständlich.

Wir sind daran gewöhnt, dass die Kriminalpolizei ermittelt. Das, was sie tut, ist jedoch durch § 24 StPO keineswegs gedeckt. Es handelt sich hiebei um Verstöße gegen das Legalitätsprinzip und gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters.

Der Staatsanwalt sollte im Rahmen der Vorerhebungen eigentlich Anhaltspunkte für die Entscheidung sammeln, ob er ein Strafverfahren einleitet. Das tut er wohl, aber er tut noch viel mehr, er führt nämlich das Strafverfahren auf Basis der Ermittlungen der Kriminalpolizei und des Richters in der Regel durch Vorerhebungen weiter. Auch hiebei handelt es sich um einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip und den Grundsatz des gesetzlichen Richters.

Mehr noch: Der Staatsanwalt kann entweder die Polizei oder den Richter mit Vorerhebungen betrauen. Auch hier liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters und gegen den Gleichheitsgrundsatz vor.

Außerdem hat der Staatsanwalt das Recht, eine Voruntersuchung einzuleiten. Ohne Antrag des Staatsanwalts gibt es keine Voruntersuchung. – Professor Julius Glaser hat sich für den historischen Gesetzgeber vorgestellt, dass, wenn ein hinreichender Anfangsverdacht vorliegt, den der Staatsanwalt allenfalls durch Vorerhebungen geklärt hat, jeder Tatverdacht gegen eine verdächtige Person im Rahmen einer Voruntersuchung zu klären ist. Das geschieht aber, wie wir wissen, nicht, weil das die Kriminalpolizei dem Untersuchungsrichter oder dem Staatsanwalt abnimmt. Wann nun doch eine Voruntersuchung einzuleiten ist, steht nur insofern im Gesetz, als es wenige Fälle einer obligatorischen Voruntersuchung gibt, und erst 1993 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass in Haftsachen eine Voruntersuchung eingeleitet werden muss. Im Übrigen steht jedoch nicht im Gesetz, wann eine Voruntersuchung einzuleiten ist. – Auch das stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters, gegen das Legalitätsprinzip und gegen den Gleichheitsgrundsatz dar.

Auf diesen bestehenden Zustand sollte meiner Meinung nach dezidiert aufmerksam gemacht werden, denn das begründet die dringende Notwendigkeit einer Reform.

Nun möchte ich zu den Ausführungen Professor Burgstallers und zu den Argumenten jener, die in der vorigen Sitzung von der Doppelrolle des Staatsanwalt gesprochen haben, dass er einerseits ermitteln, andererseits in Ausübung des Anklagemonopols über die Frage der Anklage entscheiden soll, Stellung nehmen: Heute wurde das als inquisitorisches Moment bezeichnet. – Ich glaube, man müsste zunächst festhalten, dass der Normalfall weiterhin die Trennung zwischen Ermittlungsorgan und Anklageorgan ist. Der Normalfall ist die Ermittlung durch die Kriminalpolizei und die Anklageerhebung durch den Staatsanwalt. Das ist jetzt so, und das wird künftig so sein. Insofern besteht in der Mehrzahl der Fälle kein Unterschied.

Allerdings soll der Staatsanwalt in Zukunft auch selbst ermitteln können und das in wichtigen Fällen auch tun. Man kann das zunächst von der praktischen Seite betrachten: Ich glaube, dass jeder Staatsanwalt schon einmal in der Situation war, dass er zum Beispiel wissen wollte, ob ein bestimmter Hauptbelastungszeuge glaubwürdig ist oder in der Hauptverhandlung umfallen wird, was es also mit der Beschuldigtenverantwortung auf sich hat, und daher mit der betreffenden Person sprechen wollte. Das verbietet ihm die geltende Strafprozessordnung. Der Staatsanwalt konnte daher im Zweifel entweder einstellen oder anklagen, was wohl eine unbefriedigende Situation darstellt.

Man kann selbstverständlich sagen, dass die Trennung von Ermittlung durch den Untersuchungsrichter und Anklage durch den Staatsanwalt quasi eine zusätzliche Garantie für die Fairness des Verfahrens ist. Diese Garantie wird allerdings durch das Hin und Her zwischen Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter mit einem deutlichen Effizienzverlust erkauft. Wenn hingegen der Staatsanwalt selbst entscheiden kann, ob er sich die Beweise sozusagen vorführen lässt oder die Kriminalpolizei mit ergänzenden Ermittlungen betraut, kommt es zu einem Effizienzgewinn.

Ich möchte zum so bezeichneten „inquisitorischen Moment“ noch etwas Grundsätzliches hinzufügen: In der Hauptverhandlung, die bekanntlich vom Grundsatz der Unmittelbarkeit getragen ist, erhebt entweder der Einzelrichter oder der Vorsitzende selbst alle Beweise und fällt anschließend das Urteil. – Damit nimmt er offensichtlich eine Doppelrolle ein, nämlich die Doppelrolle des ermittelnden Richters und desjenigen, der über die Urteilsfällung entscheidet, wobei dies nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist! Ich bin neugierig, ob jene, die sich an der Doppelrolle des Staatsanwalts im Vorverfahren stoßen, entsprechende Vorschläge bei der Reform der Hauptverhandlung machen werden. Und ich meine allemal, dass das Urteil doch etwas wichtiger als die Anklage ist.

Gelegentlich wird gemeint, dass der Rechtsschutz in der Regierungsvorlage hypertroph sei, weil sich der Betroffene an die Kriminalpolizei und im Weiteren an den Staatsanwalt wenden könne und dann auch noch das Recht habe, einen Einspruch beziehungsweise eine Beschwerde an das Gericht zu erheben. Professor Burgstaller hat in der vorigen Sitzung argumentiert, dass man den Rechtsschutz auch bei der Staatsanwaltschaft enden lassen könnte. – Ich stelle jetzt die Frage an die anwesenden Verfassungsrechtler: Wie sieht das verfassungsrechtlich aus? Ist das möglich, und – wenn ja – welche Konsequenzen hat das?

Dr. Wolfgang Aistleitner (Senatspräsident des Oberlandesgerichts Linz, Vizepräsident der Vereinigung der österreichischen Richter): Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sie befinden sich wahrlich nicht in einer beneidenswerten Situation! Es stürmen jetzt viele Lehrmeinungen und abweichende Lehrmeinungen, Methodenstreitigkeiten, Schuldivergenzen und so weiter auf Sie ein.

Ich möchte Ihnen kurz erzählen, wie Sie in diese Situation gekommen sind: Im Diskussionsentwurf 1998, der noch unter der Ministerschaft Michalek – Stichwort: blauer Entwurf – ausgearbeitet wurde, bekannte man sich in zwei bis drei Sätzen eindeutig dazu, dass wesentliche Teile dieses Reformwerks ohne Verfassungsbestimmungen nicht denkbar sind. Daraufhin war es in der Welt der Fachleute und auch der Praktiker unbestritten, dass das Ganze nur mit entsprechenden Verfassungsbestimmungen möglich ist.

Dazu fügte sich nahtlos, dass in den Verhandlungen der Legislativabteilung mit den Standesvertretern ein Alternativmodell für den Fall, dass keine Verfassungsmehrheit erreicht werden könnte, vielleicht nicht drohend als Rute ins Fenster gestellt, aber doch skizziert wurde: Wenn der Rechtszug über Polizei und Staatsanwaltschaft zum Gericht nicht möglich sein werde, weil man die nötige Mehrheit im parlamentarischen Procedere nicht bekommen würde, dann müsste es bei einem Rechtszug zum UVS bleiben, was im gegenwärtigen Verfassungsbogen schon enthalten sei. – Es wurde also auch in dieser Phase schon anerkannt, dass man für die neue Rollenverteilung entsprechende Verfassungsbestimmungen braucht. 

Es folgte das braune Buch, in welchem nicht mehr steht, dass Verfassungsbestimmungen nötig sein würden. Darin wird zu dieser Thematik überhaupt nicht Stellung kommen.

Dann wurde das Gutachten Funk/Öhlinger vorgelegt. In der „Wiener Zeitung“ vom Montag dieser Woche findet sich ein Kurzgutachten – wobei ich glaube, dass es nicht übertrieben ist, es so zu bezeichnen – von den Herren Walter und Zeleny, die meiner Meinung nach keine geringere Reputation, Kompetenz und Seriosität als die beiden anderen Herren haben. Sie stellten die Gegenposition dar, dass man natürlich entsprechende Verfassungsbestimmungen braucht. Ich könnte Ihnen jetzt auch noch jede Menge Essays aus Fachzeitschriften zitieren, in welchen von verschiedenster Seite verschiedenste Meinungen dazu vertreten werden.

Es ist es müßig zu betonen, dass auch ich als Mitglied der ordentlichen Gerichtsbarkeit kein Verfassungsjurist bin. Erkenntnismäßig ist für mich jedoch heute der Durchbruch gelungen, nämlich in der Richtung, dass alles offen und möglich ist. – Aus dem Blickwinkel eines sorgfältigen, wirklich nur an der Sache interessierten Gesetzgebers muss man den sicheren und umsichtigen Weg gehen und Verfassungsmehrheit suchen. Ohne Verfassungsbestimmungen darf dieses Gesetz nicht auf die Reise geschickt werden. Alles andere wäre eine Glücksspiel.

Sie werden sich an die letzte Sitzung und daran erinnern, dass festgestellt wurde, dass man durchaus ins Ungewisse tappen könnte, und zwar hinsichtlich der Personaldotierung dieses Gesetzes: Es soll hier ein Gesetz in Gang gesetzt werden, das vorhersehbar nicht vollziehbar ist, weil es keine zusätzlichen Posten geben wird. Auch hiebei handelt es sich um ein Glücksspiel! Mehr noch: Ich halte das sogar annähernd für ein verbotenes Glücksspiel. Die Sache der Verfassungsmäßigkeit ist ein legales Glücksspiel. – Angesichts dieses epochalen Werkes und eines seriösen Gesetzgebers halte ich es für nicht würdig, sich darauf einzulassen!

Dr. Wolfgang Moringer (Rechtsanwalt): Auch ich bin kein Verfassungsrechtler, geschweige denn Wissenschafter. Gestatten Sie mir daher das möglicherweise voreilig hingesprochene Wort, dass mir einige Aspekte der verfassungsrechtlichen Diskussion, soweit sie auf die Systematik der österreichischen Bundesverfassung abstellen, von weitgehend akademischem Interesse zu sein scheinen.

Wie wir alle wissen, findet eine verfassungsrechtliche Kontrolle der Justiz in Österreich nicht statt und wird auch in Zukunft nicht stattfinden. Auch an den Nahtstellen zwischen Verwaltung und Justiz findet eine verfassungsgerichtliche oder sonstige Kontrolle durch Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht statt. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs ist das Handeln der Verwaltungsorgane – also der Sicherheitsbehörden im Dienste der Strafjustiz – der Justiz zuzurechnen und damit der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts entzogen. Ausnahmen gelten nur dort, wo ein so genannter Verwaltungsexzess vorliegt und durch diesen Exzess die Zurechenbarkeit zur Justiz beendet ist und damit eine Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts stattfindet. Soweit das der Praktiker abschätzen kann, wird sich an dieser Situation nichts Wesentliches ändern.

Darüber hinaus ist heute die Möglichkeit eröffnet, dass die Strafgerichte verfassungsrechtliche Zweifelsfragen im Rahmen ihrer Erkenntnistätigkeit dem Verfassungsgerichtshof zur Lösung vorlegen könnten. Vorsichtig formuliert ist meine Lebenserfahrung dadurch geprägt, dass die Strafjustiz im Umgang mit dieser Möglichkeit allerdings sehr zurückhaltend und vorsichtig agiert.

Der zweite denkbare Zugang ist jener der individuellen Normenkontrollverfahren. Auch das gelingt nur in echten Ausnahmefällen. Mir ist überhaupt nur der Fall des § 285 StPO bekannt, nach welchem eine solche Prozedur im Kernbereich der Strafrechtspflege zu finden ist.

Von diesen Überlegungen ausgehend, scheint mir Dr. Pleischls Bemerkung, wie ich sie verstanden habe, dass durch die ersten drei Wortmeldungen der Bogen der verfassungsrechtlichen Problemstellungen bereits hinreichend dargestellt wäre, insofern einer Ergänzung zu bedürfen, als ich glaube, dass der Ansatzpunkt, den Professor Bertel gebracht hat, unbedingt mit einfließen sollte. Dieser betrifft genau den Kernbereich, in welchem auch in der Vergangenheit eine quasi verfassungsrechtliche Kontrolle der Tätigkeit der Strafjustiz erfolgte, nämlich de Teil der österreichischen Bundesverfassung, der auf die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte gestützt ist. Durch deren Organe in Straßburg war ein entsprechendes Korrektiv zur Garantie der Grundrechte im österreichischen Strafverfahren gegeben.

Diesbezüglich möchte auf einen unlängst von Machacek zu diesem Thema publizierten Artikel verweisen, in dem auch dieser Autor darauf hinweist, dass relevante Anpassungen des österreichischen Strafprozessrechts an den in der Konvention enthaltenen Grundrechtskatalog erst durch Entscheidungen der Straßburger Organe erfolgten.

Professor Bertel hat nach meinem Verständnis unter dem Aspekt der Verfassungskonformität im Wesentlichen drei Fragen hinsichtlich der Übereinstimmung der Regierungsvorlage mit Grundrechtsgarantien der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte angesprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch drei Einzelfragen ansprechen, wobei ich gerne einräume, dass diese Beispiele relativen Zufallscharakter haben.

Ich knüpfe erstens an die Ausführungen von Professor Burgstaller an, der meinte, dass die Frage, ob es sich um einen Hausdurchsuchungsbefehl oder eine Bewilligung zur Hausdurchsuchung handle, nicht nur auf eine semantische Differenzierung zurückzuführen sei. – Aus meiner Sicht wäre Herrn Professor Burgstaller zuzustimmen, dass es sich nicht nur um eine semantische Differenzierung handelt, wenn der ursprüngliche Gedanke der Strafprozessordnung des Jahres 1873 tatsächlich so realisiert worden wäre, wie er darin zum Ausdruck kam. 

Aus meiner praktischen Erfahrung ist die überwiegende Zahl von Hausdurchsuchungsbefehlen so zu rekonstruieren, dass sich im Antrags- und Verfügungsbogen, also dem ersten Teil und Herzstück eines gerichtlichen Strafaktes, der Antrag der Staatsanwaltschaft findet, dass der Untersuchungsrichter Hausdurchsuchungsbefehle hinsichtlich der Stätten A und B erlassen möge. Der Untersuchungsrichter erlässt in der Folge den beantragten Hausdurchsuchungsbefehl, der von den Organen der Sicherheitsbehörde durchgeführt wird. – Nach meinem sprachlichen Verständnis beantragt also die Staatsanwaltschaft – wie ich glaube, häufig über entsprechende Anregung der Sicherheitsbehörden – die Erlassung des Hausdurchsuchungsbefehls, und der Untersuchungsrichter bewilligt diesen Antrag der Staatsanwaltschaft, wenn auch in Form eines richterlichen Hausdurchsuchungsbefehls.

Gemessen an dieser Praxis scheint mir die nunmehr vorgesehene Abkehr vom Hausdurchsuchungsbefehl zur Bewilligung der Hausdurchsuchung tatsächlich nur eine sprachliche Anpassung an eine Praxis zu sein, die schon in der Vergangenheit gepflegt worden ist.

Zweites möchte ich auf die von Professor Bertel schon erwähnte Frist von 48 Stunden zur Überstellung des verhafteten Verdächtigen an die Gerichte zu sprechen kommen. – Ich erachte diese Frist als völlig unangemessen. Meiner Meinung nach ist dabei zu überlegen, wie diese Frist überhaupt in den heutigen Fundus der Strafprozessordnung – ich beschränke mich jetzt auf die §§ 176 und 177 – gekommen ist. Im Wesentlichen handelte es sich hiebei um einen Tribut an die zum Zeitpunkt der Gesetzwerdung gegebenen langen Verkehrswege im Rahmen der Monarchie und auch an die damals im Vergleich zu heute wesentlich langsameren Verkehrsmittel.

Die Textierung von § 176 besagt, dass die Sicherheitsbehörden einen Verdächtigen, den sie gemäß einem richterlichen Befehl verhaftet haben, unverzüglich, längstens aber binnen 48 Stunden den Gerichten zu überstellen haben. – Das Verkehrsnetz und der Fuhrpark, welche den Sicherheitsbehörden heute zur Verfügung stehen, sind heute im gesamten Bundesgebiet so ausgeprägt, dass es überhaupt keine Probleme bereiten kann, jedermann von jedem Ort des Bundesgebietes innerhalb maximal 12 Stunden zu jeder Justizanstalt des Landes zu verbringen.

Dazu ist anzumerken, dass die 48 Stunden derzeit auch im § 147 vorkommen, der die Festnahme eines Verdächtigen aus eigener Macht durch die Sicherheitsbehörden regelt. In dieser Bestimmung findet sich, im Gegensatz zur Bestimmung des § 176, auch die Verpflichtung und die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden, den Festgenommenen zuerst zu vernehmen, und zwar zu der Frage, ob die angenommenen Rechtfertigungsgründe einer Haft vorliegen. Liegen sie nach Durchführung dieser Vernehmung nicht vor, ist der Verdächtige freizulassen, ansonsten neuerlich innerhalb von 48 Stunden, gemessen ab der Festnahme, an das gerichtliche Gefangenenhaus zu überstellen.

Die 48-Stunden-Frist des § 176 wird auch heute nur deswegen so geschützt, weil sie zumindest praeter legem zu einem Zweck genutzt wird, welcher der Strafprozessordnung nicht zu entnehmen ist, nämlich zur Vernehmung des Verdächtigen, Zur Ermöglichung dieser Vorgangsweise diente und dient die Bestimmung des § 176 zumindest im historischen Kontext und nach ihrem Wortlaut jedoch nicht. – Wenn ich davon abstrahiere, gibt es keine Notwendigkeit, eine dermaßen lange sicherheitsbehördliche Verwahrung auch im neuen Entwurf vorzusehen.

Im letzten Punkt, den ich ausführen will, befinde ich mich im Widerspruch zu Herrn Mag. Pilnacek, der auf ein Urteil des EGMR in Sachen Lanz verwiesen hat: Nach meinem Verständnis hat Mag. Pilnacek die Sache so dargestellt, dass der Europäische Gerichtshof eine Konventionsverletzung insofern festgestellt hätte, als allein das Vorliegen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr die Überwachung des Verkehrs mit dem Verteidiger nicht rechtfertige. Gleichzeitig habe der EGMR aber auch festgestellt, dass die Regelung des § 45, welche diese Vorgangsweise erlaubt, mit der Konvention nicht in Widerspruch stehe.

Ich habe diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs jetzt nicht im Kopf. Ich kenne aber die Rechtsprechungsmethode des Gerichtshofes hinreichend, um zu wissen, dass er grundsätzlich und immer festschreibt, dass es nicht Aufgabe der Organe der Konvention ist, die Übereinstimmung innerstaatlicher gesetzlicher Regelungen zu prüfen, sondern dass immer nur geprüft wird, wie weit die Konventionsbestimmungen in einem einzelnen Beschwerdefall verletzt wurden. – Ich kann mir also nicht vorstellen, dass in diesem Urteil tatsächlich eine Freizeichnung zu dieser unverständlichen Bestimmung des § 45 enthalten ist, die jetzt perpetuiert werden soll.

Ein abschließender Satz zur Entstehungsgeschichte dieser Regelung des § 45 StPO, die besagt, dass für die Dauer der zeitlichen Zulässigkeit der Beschränkungen der aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr verhängten Untersuchungshaft – das sind zwei Monate – auch der Verkehr des Verhafteten mit dem Verteidiger kontrolliert werden kann: Bis 2002 war die Möglichkeit, dass das Gericht den Verkehr mit dem Verteidiger überwacht, auf 14 Tage beschränkt. Nur während der ersten 14 Tage der Anhaltung aus dem Haftgrund auch der Verdunkelungsgefahr war diese Überwachung möglich. Plötzlich ist aber ohne mir bewusst gewordene Diskussion im Wege eines zunächst unentdeckt gebliebenen Bundesgesetzblattes diese Überwachungsmöglichkeit auf zwei Monate, nämlich auf die maximale Dauer der Beschränkungen, die mit diesem Haftgrund verbunden sind, hinaufgesetzt worden.

Es gibt keinen Grund, eine solche Überwachung des Verteidigers neuerlich zu institutionalisieren, und um nichts anderes handelt es sich: Der Verteidiger ist kein Komplize des Verdächtigen. Soweit Verteidiger, seien es berufsrechtliche, seien es strafrechtliche Bestimmungen in Ausübung ihrer Verteidigung verletzen, reichte in der Vergangenheit das Instrumentarium des Strafrechts, soweit solche Tatbestände dadurch verwirklicht werden, aus und wird auch in Zukunft ausreichen. Darüber hinaus steht auch noch die standesrechtliche Disziplinargewalt für solche Fälle zur Verfügung.

Ich gehe auf Grund meiner diesbezüglichen Erfahrung davon aus, dass es eines solchen Instrumentariums, insbesondere mit diesem zeitlichen Umfang, nicht bedarf. In Wirklichkeit ist nämlich bei der Überwachung des Kontakts mit dem verhafteten Angeklagten eine inhaltliche, sinnvolle Vorbereitung der Verteidigung nicht möglich.

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Ich muss kurz auf Dr. Aistleitners Behauptung vom „verbotenen Glücksspiel“ eingehen: Ich kann nur mit Erstaunen feststellen, dass er gemeint hat, dass sich über die Notwendigkeit von entsprechenden Verfassungsänderungen im vorliegenden Entwurf nichts findet. – Ich darf nur kurz zum Trennungsgrundsatz aus dem Entwurf zitieren: „Der vorgesehene Einspruch wegen Rechtsverletzung, wonach im Ermittlungsverfahren jede Person, die sich durch eine Anordnung oder durch unmittelbaren Zwang in einem subjektiven Recht verletzt fühlt, Einspruch erheben kann, könnte aus diesem Grund mit Art. 94 B-VG nicht vereinbar sein.“ 

Ich halte es daher für nicht fair, wenn man uns vorwirft, dass wir auf diesen Aspekt keine Rücksicht genommen hätten.

Zum Zustandekommen darf ich in Erinnerungen rufen: Bei der Richterwoche 1996 in Rust hat Professor Funk über die Punktation des BMJ einen Einleitungsvortrag gehalten und hat damals – wie auch heute – auf eine gewisse Bandbreite bei den verfassungsrechtlich zulässigen Interpretationen hingewiesen. Damals bestand die einhellige Meinung auch der Standesvertretung – darunter auch Herrn Professor Steiningers –, dass man zunächst unabhängig von der Lösung verfassungsrechtlicher Fragen ein Ermittlungsverfahren entwerfen sollte, das Sinn macht.

Das war der Ausgangspunkt. Deswegen hatten wir die verfassungsrechtlichen Fragen immer ausgeklammert, weil wir zunächst ein Verfahren entwerfen wollten, das den Anforderungen der Praxis und den Vorstellungen entspricht, die seit 1995, ausgehend von einer Stellungnahme der Standesvertretung – Konzept 1991 –, immer wieder geäußert wurden: Man stellte sich vor, dass ein Vorverfahren unter justizieller Leitung des Staatsanwalts geschaffen werden soll.

Darauf sind wir eingeschwenkt, und jetzt sagt uns ein maßgeblicher Vertreter der Standesvertretung, dass wir nicht nur unseriös gearbeitet haben, sondern sogar die Abgeordneten zu einem verbotenen Glücksspiel veranlassen. Darauf muss ich wirklich mit entschiedener Schärfe reagieren! So ist es nicht, und so war es nicht! Wir haben die Fragen seriös vorgelegt und auch versucht, eine seriöse Diskussion in Gang zu bringen.

Wenn jetzt mit dem Artikel in der „Wiener Zeitung“ argumentiert wird, dann empfinde ich das gegenüber den beiden Gutachtern als nicht fair, die völlig unbeeinflusst ihre Meinung abgegeben haben. Ich halte es für unangebracht, nun mit derartigen Kanonen auf das Gutachten zu schießen. Ich halte es weiters für unangebracht, dass man einem Gutachter die Vertreter einer Seite entgegenhält und sagt, dass es sich bei jenen auch um namhafte Juristen handle. – Ich bezweifle das nicht! Walter und Zeleny werden auch im Gutachten als Vertreter einer bedeutenden Lehrmeinung zitiert. Ich meine aber, dass man sich doch in etwas seriöserer Art und Weise mit der Entstehung des Entwurfs auseinander setzen sollte.

Zu Herrn Kollegen Moringer: Ich kann das Erkenntnis des EGMR auch nicht im Wortlaut zitieren. In diesem Erkenntnis ist aber auch ein anderer österreichischer Fall zitiert, in welchem es darum ging, dass nach einer organisierten Tatbegehung mehrere Mitbeteiligte noch auf der Flucht waren. In diesem Fall erachtete der EGMR die Überwachung für zulässig und drückte damit aus, dass diese Regelung nicht schlechterdings unvereinbar mit der Konvention ist. Auch das muss man erwähnen.

In anderen Entscheidungen wie etwa zum strafrechtlichen Entschädigungsgesetz sagt der EGMR hingegen klipp und klar, dass die Rechtslage insoweit mit der Konvention nicht vereinbar ist. Ich bitte also, auch hier bei der Wahrheit zu bleiben.

Wenn Sie meinen, dass das Bundesgesetzblatt über das Strafrechtsänderungsgesetz 2002 unentdeckt geblieben sei, dann muss ich sagen: Es handelte sich hiebei wirklich um ein bedeutendes Gesetz! Herr Dr. Moringer! Wenn Sie uns dann wieder vorwerfen, dass wir die Frist ausgedehnt haben, dann kann ich darauf antworten: Es bestand große Unsicherheit. Wenn Sie im Kommentar Foregger/Fabrizy zum § 45 nachlesen, werden Sie feststellen, dass bisher zwar keine Frist vorgeschrieben, aber immer klar war, dass die Frist der Überwachung nur im Rahmen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr zulässig ist. Nun ist aber bekannt, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach zwei Monaten absolut endet. Darauf haben wir hingewiesen. Wir haben also die Frist nicht ausgedehnt, sondern ganz klar festgestellt, dass es nach zwei Monaten sowieso aus ist und dass das in der Praxis auch bisher so gehandhabt wurde.

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Eckart Rainer (Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck): Ich möchte nur zu einem Punkt Stellung nehmen, und zwar zu dem berühmt-berüchtigten Anklageerzwingungsverfahren, bei welchem das Oberlandesgericht dem Staatsanwalt auftragen können soll, letztlich doch Anklage zu erheben.

Ich glaube, dass wir mit diesem Anklageerzwingungsverfahren mehrere Probleme haben: Zunächst hatte das Bundesministerium für Justiz damit Probleme, dann hatten die Verfassungsrechtler mit diesem Verfahren zumindest geringe Probleme, und schließlich haben wir Staatsanwälte damit Probleme.

Wenn ich mich recht erinnere, war das Anklageerzwingungsverfahren ursprünglich gar nicht vorgesehen, sondern es handelte sich bei dessen Schaffung um eine Reaktion auf die Weisungsdebatte: Man hat den Bundesministern vorgeworfen, dass sie allenfalls Weisungen zur Einstellung erteilen würden, die nicht rechtlich, sondern anders motiviert und begründet sind. Der Herr Bundesminister und auch seine Vorgänger konnten sich in der Weisungsdebatte nicht dazu verstehen, am Weisungsrecht etwas zu ändern. Der Bundesminister hat diesen Vorwurf aber gesehen und wollte ihn entkräften. Daher wurde nach einer Möglichkeit gesucht, eine Kontrolle einzubringen.

So kam man auf dieses Anklageerzwingungsverfahren. Für den Fall, dass es eine ungerechtfertigte Einstellungsweisung geben sollte, wurde die Möglichkeit geschaffen, dass der Verletzte zum Oberlandesgericht geht und das Oberlandesgericht in der Folge den Staatsanwalt zwingen kann, Anklage zu erheben. – Diese Bestimmung wurde als Korrektiv betrachtet. Das Anklageerzwingungsverfahren ist also nachträglich seitens des Ministeriums in den Entwurf eingefügt worden.

Nachdem ich die heutige Verfassungsdebatte verfolgt habe, kann ich feststellen, dass die Verfassungsrechtler im Grundsatz kein Problem damit haben. Der Verfassungsdienst meint allerdings, dass es verfassungsrechtlich damit allenfalls doch Probleme geben könnte.

In einem Punkt muss ich Professor Moos widersprechen: Er hat gemeint, dass es verfassungsgemäß sei, dass das Gericht den Ankläger kontrolliert und der Ankläger das Gericht kontrolliert. – Ich sehe das nicht ganz so. Wie kontrolliert denn der Ankläger das Gericht? Wenn dem Ankläger an einer gerichtlichen Entscheidung etwas nicht passt, dann kann er das zwar bemängeln und ein Rechtsmittel dagegen erheben, er kann aber wiederum nur eine Kontrolle durch das übergeordnete Gericht erreichen. Es kontrolliert also allenfalls ein Gericht das andere Gericht. Der Ankläger kann jedoch das Gericht nicht kontrollieren.

Umgekehrt kann aber sehr wohl das Gericht den Ankläger kontrollieren. Das kann ich mir zwar – und diese Möglichkeit besteht jetzt schon – beim Einspruch gegen die Anklageschrift vorstellen, ich kann mir aber schwer vorstellen, dass das Oberlandesgericht dem Ankläger den Auftrag erteilt, weiter zu erheben und schließlich anzuklagen, widrigenfalls die Anklage erzwungen werden könnte. – Da muss ich mit Professor Burgstaller fragen: Was geschieht, wenn trotzdem nicht Anklage erhoben wird? Wo und wie soll das enden?

Das ist das Problem der Staatsanwälte: Es geht nicht darum, dass wir uns nicht kontrollieren lassen wollen, doch wir meinen, dass es dem Anklageprinzip widerspricht, wenn letztlich wieder das Gericht entscheidet, ob angeklagt wird oder nicht, und den Ankläger zwingt, etwas zu verfolgen, was er nicht verfolgen will. Damit habe ich meine Probleme, und nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen.

Universitätsdozent Rechtsanwalt Dr. Richard Soyer: Auch ich möchte mich kurz zu der Lanz-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte äußeren, weil ich den Beschwerdeführer vertreten habe.

Ich möchte in aller Klarheit sagen, dass mich die Beschränkungen des Verteidigerkontaktes und die Neuregelung im Jahr 2002 sehr wohl einigermaßen überrascht haben. Herr Mag. Pilnacek! Ich meine, dass der Lanz-Entscheidung in keiner Weise zu entnehmen ist, dass die Zwei-Monats-Frist quasi freigezeichnet wird. Die Entscheidung, auf welche sich der EGMR bezogen hat, betrifft einen lange zurückliegenden Fall von schwerster Kriminalität. Vor allem war ich aber deshalb überrascht, weil ich doch mit gewisser Genugtuung festgestellt hatte, dass die Forderung nach einer effizienten Verteidigung im Diskussionsentwurf des Justizministeriums sehr ernst genommen worden war und dort immerhin eine ganz klare Beschränkung der Überwachungsmöglichkeit auf 14 Tage vorgesehen war. Das erschien mir als eine sehr ausgewogene Regelung. Dass in der Folge im neuen § 45 Abs. 3 wieder die zweimonatige Zeitspanne vorgesehen ist, halte ich aus der Sicht der Verteidigung für absolut inakzeptabel. Es ist dies meines Erachtens mit dem Bedeutungsinhalt des Art. 6 nicht vereinbar. Beschwerden nach Straßburg sind somit schon vorprogrammiert.

An dieser Stelle möchte ich auch einige Sätze zur Opferproblematik sagen: Ich habe in der vorigen Sitzung die Stellungnahmen der Opferschutzeinrichtungen und auch jene von Herrn Professor Jesionek mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Aus Sicht der Verteidigung ist es meiner Meinung nach unbedingt notwendig, auch hier in diesem Gremium zu betonen, dass der Opferbegriff eigentlich erst mit Rechtskraft des Urteils feststeht. Es hat wohl eine Straftat stattgefunden, das Opfer im engen Begriffssinn gibt es aber erst mit Rechtskraft des Strafurteils.

Ich glaube, dass viele Errungenschaften der vergangenen Jahre wie etwa die schonende Vernehmung, anonyme Aussagen et cetera sehr gut und wichtig sind. Man sollte aber immer im Auge behalten, dass all das nur dann rechtsstaatlich erträglich ist, wenn es eine effiziente Verteidigung gibt, und diese ist nach der Regierungsvorlage nicht in jenem Sinn gewährleistet, wie es sich vor allem die Praktiker, in diesem Fall die Verteidiger, vorstellen.

Im Zusammenhang damit richte ich einen Wunsch an die Abgeordneten: Das Beweisantragsrecht, wie es in der Regierungsvorlage geregelt ist, ist meines Erachtens zahnlos. Mit einem solchen Beweisantragsrecht werden wir in künftigen Vorverfahren keine effiziente Verteidigung aufbauen können. Der Ausbau der Opferrechte muss ganz einfach mit einer effizienten Verteidigungsmöglichkeit einhergehen! Daher muss auch das Beweisantragsrecht anders gestaltet sein.

Es gibt in diesem Punkt einen meines Erachtens sehr probaten Vorschlag von Professor Bertel, der eine schriftliche Unterlage zur Verfügung gestellt hat, dass es nämlich zulässig sein soll, dass im Verfahren der Verteidigung dienende nähere Umstände ausgeforscht werden. Es ist klar, dass das in Richtung eines Erkundungsbeweises geht, aber im Vorverfahren ist diese „Waffe“ – unter Anführungszeichen – der Verteidigung zu geben.

Ein zweiter Gedanke, den ich hier nicht ganz unter den Tisch fallen lassen möchte, ist die Frage der Verfahrenshilfe. Sie wurde bereits angesprochen, und sie ist deshalb besonders aktuell, weil auch nach der Regierungsvorlage einer bestimmte Gruppe von Geschädigten diese Verfahrenshilfe gewährt werden soll. Ich möchte betonen: Die Verfahrenshilfe ist im Strafverfahren für den Beschuldigten das einzige Institut, für welches es noch keinerlei finanziellen Anreiz für den Verteidiger gibt, und dementsprechend ineffizient scheinen in Österreich viele Verfahrenshilfeverteidigungen auch zu sein. Wenn der Geschädigte künftig einen Verfahrenshelfer bekommt, dann wird es auch möglich sein, seine Kosten einzubringen.

Auch in diesem Bereich sehe ich ein Ungleichgewicht zwischen Geschädigtenrechten und den Verteidigungsrechten. Wenn in der Regierungsvorlage ein so zahnloses Beweisantragsrecht für die Verteidigung vorgesehen ist, dann erwarte ich mir als Verteidiger zumindest, dass das Recht auf eigene Nachforschungen klar geregelt wird, denn es ist für einen Verteidiger unzumutbar, sich bei sachgerechter Ausübung der Verteidigungstätigkeit in einer Grauzone zu bewegen. Das, was erlaubt beziehungsweise gewünscht wird, ist klar zu benennen und sollte außer Streit stehen.

Ein letzter Punkt: Es ist aus meiner Sicht sehr zu bedauern, dass die Regierungsvorlage in der Frage der Verwertungsverbote gegenüber den Vorentwürfen völlig verwässert worden ist. Der Diskussionsentwurf enthielt eine sehr klare Verwertungsverbotsregelung, die nicht nur Fälle von Folter im Auge hatte. In der Regierungsvorlage wird hingegen nicht wirklich über den Status quo hinausgegangen. Ich glaube, dass die Verwertungsverbotsregelung ein ganz wesentlicher Aspekt ist, da sich die Polizeigewalt nur auf diesem Wege zähmen lassen wird.

Rechtsanwalt Dr. Rudolf Breuer (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen zunächst eine launige Bemerkung machen.

Ich habe beim letzten Redebeitrag von Mag. Pilnacek den Eindruck gewonnen, dass er des Trostes bedarf. Dazu möchte ich ihm sagen: Sie bedürfen nicht dieses Trostes, sondern jener Anerkennung, die Sie – wie alle befassten Mitarbeiter des Ministeriums – voriges Mal schon bekommen haben. Es wurde hier wirklich sehr viel Arbeit geleistet. Auch ich habe an den Gesprächen im Ministerium teilgenommen, ebenso wie auch Herr Dr. Aistleitner, und ich kann sagen: So pointiert, wie Letzterer es heute dargelegt, war seine damalige Stellungnahme nicht! Er hat auch vieles begrüßt, was der Entwurf gebracht hat.

Selbstverständlich bin auch ich kein Verfassungsrechtler, möchte aber auf einen Punkt zu sprechen kommen, der bisher noch nicht wirklich zur Sprache gekommen ist: Kollege Dr. Soyer hat etwas gesagt, was ich nur bestätigen kann. Es wäre für den Normadressaten und vor allem für den Verteidiger, der die Interessen einer Person vertritt, die in einem Verfahren als Beschuldigter verfolgt wird, wichtig, dass das Gesetz sehr klare und eindeutige Bestimmungen bringt, die der Auslegung nicht immer breiten Raum lassen. Die Auslegung bestimmter gesetzlicher Bestimmungen geht nämlich häufig so weit, dass man sich die Frage stellen muss, ob die Gerichte nicht bereits als gesetzgebendes Organ auftreten.

Ich möchte dafür einige Beispiele ansprechen: In einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 hat man plötzlich die Meinung vertreten, dass die Haftfristen verfahrensrechtliche Fristen sind, für welche § 6 der Strafprozessordnung anzuwenden ist. – Als Bewunderer der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erlaube ich mir aber auch, hin und wieder der Meinung zu sein, dass die eine oder andere Entscheidung kritikbedürftig ist, und ich meine, dass die genannte Entscheidung sehr wohl kritikbedürftig ist.

Meiner Ansicht nach war dies eine Entscheidung, die bereits gesetzgeberische Rechte für sich in Anspruch nahm. Im § 6 Abs. 1 StPO ist die Bestimmung enthalten, dass der Tag, von dem an die Frist beginnt, nicht mitzählt, und man hat nun den Standpunkt vertreten, dass die Haftfrist dem § 6 der Strafprozessordnung zuzuordnen ist. In § 181 Abs. 2 Z 1 findet sich jedoch betreffend Haftfristen die Bestimmung, dass die erste Haftfrist 14 Tage ab Festnahme und nicht ab dem Tag der Festnahme läuft. Hier ist also nicht ein bestimmter Tag angesprochen, sondern hier geht es um einen elementaren Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit.

Bei einem Strafurteil muss, wenn die Vorhaften anzurechnen sind, die Anrechnung nach Uhrzeit erfolgen! § 6 Abs. 1 hat allerdings von vornherein verhindert, dass man die Haftfristen zur Anwendung bringt. Ich traue jedoch dem Gesetzgeber zu, dass er, wenn er gewollt hätte, dass eine Frist ab einem Tag zu gelten hat, eine entsprechende Bestimmung in § 181 aufgenommen hätte, die gelautet hätte: 14 Tage ab dem Tag der Festnahme.

Aus diesem Grunde ist in diesem Fall nach Meinung der Verteidigung eine Entscheidung gefasst worden, die über das hinausgeht, was der Gesetzgeber eigentlich wollte, und das stellt bereits einen Eingriff in die Gesetzgebung dar. In Anbetracht dessen denke ich, dass man in dem neuen Gesetz Klarheit schaffen sollte. Laut Entwurf ist jedoch nicht mehr der Zeitpunkt der Festnahme für das Laufen der Frist maßgeblich, wobei ich mir denken kann, warum so vorgegangen wurde, denn es ist sehr eindeutig, dass hier nicht ein Tag gemeint ist, sondern dass es um den Eingriff in ein Grundrecht geht. Das ist eine absolut materiell rechtliche Sache und hat mit Verfahrensrecht überhaupt nichts zu tun.

Jetzt lautet die Bestimmung betreffend die Frist „ab Verhängung der Untersuchungshaft“. – Wie ist jetzt zu rechnen? Ist jetzt wieder der Tag der Verhängung der Untersuchungshaft nicht mitzurechnen, oder ist er mitzurechnen? Ich ersuche wirklich, diesbezüglich klare Bestimmungen zu schaffen! Wenn der erste Tag nicht mitgerechnet werden soll, dann muss die Formulierung lauten: „ab dem Tage der Verhängung der Untersuchungshaft“. Wenn jedoch die Formulierung „ab Verhängung der Untersuchungshaft“ lautet, dann geht es um einen bestimmten Zeitpunkt, nämlich um den Zeitpunkt eines Eingriffs in das Grundrecht der persönlichen Freiheit, und dann muss stundenweise berechnet werden.

Ich habe bereits voriges Mal einen weiteren, verfassungsrechtlich nicht uninteressanten Punkt erwähnt, nämlich die „Tat mit schweren Folgen“: In einer Schleppereisache ist eine Rechtsprechung in die Richtung ergangen, dass unter einer „Tat mit schweren Folgen“ auch eine solche zu verstehen ist, die einen gravierenden Eingriff in die Interessen der Gesellschaft darstellt und auch besonders umfangreiche Abwehrmaßnahmen erfordert.

Im Hinblick darauf habe ich mir erlaubt, in einer Grundrechtsbeschwerde – mit welcher ich nicht durchgedrungen bin – die Frage zu stellen, ob jetzt auch auf den Ladendiebstahl zutrifft, dass es sich dabei um eine „Tat mit schwer Folgen“ handelt. Bekanntlich beträgt der Schaden, der jährlich der österreichischen Wirtschaft durch Ladendiebstähle entsteht, Hunderte Millionen €. Es müssen von den Firmen und Gesellschaften große Summen aufgewendet werden, um diesen Diebstählen vorzubeugen. In Anbetracht dessen ist die Frage zu Recht zu stellen: Ist Ladendiebstahl auch eine „Tat mit schweren Folgen“?

Es sollten also klare gesetzliche Bestimmungen geschafft werden. Der Gesetzgeber hat gewiss unter „schweren Folgen“ nie Eingriffe in gesellschaftliche Interessen oder die Kosten der Abwehrmaßnahmen gemeint. Daher vertrete ich den Standpunkt, dass es sich, wenn etwas nicht so gemeint war, die Rechtsprechung aber so judiziert, hiebei bereits um Gesetzgebung und nicht um Rechtsprechung handelt. Daher müssten meines Erachtens sehr wohl entsprechende Überlegungen getroffen werden.

Abschließend noch eine organisatorische Bemerkung. Herr Dr. Pleischl hat erwähnt, dass die Staatsanwaltschaften nicht einmal eigene Häuser haben: Ich habe in Deutschland  gesehen, dass Staatsanwaltschaft und Polizei in einem Gebäude untergebracht sind, unabhängig vom Gerichtsgebäude. Das heißt: Um eine effiziente Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen, ist es sicherlich von Vorteil, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei in einem Gebäude, getrennt vom Gerichtsgebäude, tätig sind. Dies entspricht auch einem alten Wunsch der Verteidigung, weil damit auch optisch eine gewisse Trennung und Waffengleichheit hergestellt wird.

Vor kurzem hatte ich in Innsbruck einen Häftling aufzusuchen, und ich habe bei diesem Anlass zum ersten Mal gesehen, dass ich in der Sprechzelle mit einer Videokamera überwacht wurde. – Das muss ich mir doch nicht gefallen lassen! Auf diese Weise könnte nämlich jedes Gespräch von jemandem, der Lippen lesen kann, überwacht werden. Auch in Graz habe ich das erlebt, nicht jedoch in Eisenstadt, in Wiener Neustadt oder in Wien. Daher drängt sich mir die Frage auf: Gibt es da bestimmte Sonderregelungen?

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl (Oberstaatsanwaltschaft Wien): In alter Freundschaft versuche ich jetzt, dem Ministerium sozusagen Rechtshilfe durch die nachgeordnete Dienstbehörde zu geben, damit sich Kollege Pilnacek nicht ein drittes Mal zu Wort melden muss.

Herr Dr. Breuer! Es steht auch jetzt im Gesetz! – Ich zitiere § 179 Abs. 5 StPO: „Gegen einen Beschluss ... steht ... binnen 14 Tagen nach Zustellung ... zu.“ Und in § 181 Abs. 2 heißt es: „Die Haftfrist beträgt ... 14 Tage ab Festnahme des Beschuldigten.“ Es steht also nirgends „ab dem Tag der Festnahme“ oder „ab dem Tag der Zustellung“. – Es ist aber noch niemand auf die Idee gekommen, das anders als so zu interpretieren. (Rechtsanwalt Dr. Breuer: Doch! Der OGH!)

§ 84 des Entwurfes ist wesentlich exakter als § 6 Abs. 1 des geltenden Gesetzes. In § 6 Abs. 1 steht zwar, dass der Tag, auf welchen das Ereignis fällt, nicht mitgezählt wird, aber man muss sich das Strafgesetzbuch dazudenken – also ein ganz anderes Gesetz –, in welchem bestimmt ist, dass Fristen, die nach Stunden bemessen sind, von Moment zu Moment zu berechnen sind, dass aber Fristen, die nach Tagen, Wochen oder Monaten bemessen sind, so zu berechnen sind, dass der Tag, an den das Ereignis fällt, mit dem der Zeitraum beginnt, nicht mitgezählt wird. – So steht es jetzt auch im § 84 des Entwurfs. Ich glaube, dass wir ohnedies viele Probleme mit diesem Gesetz haben und dass wir uns daher nicht noch zusätzliche Probleme schaffen sollten.

Ich möchte jetzt noch zum Stichwort „Hausdurchsuchungs- beziehungsweise Haftbefehl“ etwas sagen: Es sind dies Begriffe des 19. Jahrhunderts. 1873 konnte man sich nichts anderes vorstellen, als dass ein Richter eine Hausdurchsuchung anordnet und der Gendarm dann diese Hausdurchsuchung durchführt. Es geht da nicht um das Verfassungsverständnis des B-VG! Das passt nicht unter Art. 18 B-VG! Vielmehr hat eine bestimmte Vorstellung den Begriff „Hausdurchsuchung“ damals so selbstverständlich geprägt, dass niemand auf die Idee gekommen ist, dass eine Staatsanwaltschaft etwas dagegen haben könnte!

Das führt uns auf denselben Weg zurück: Strafverfolgungsbehörde ist nicht das Gericht. Deshalb hat das Gericht grundsätzlich keinen Auftrag zu geben, Beweismittel zu erforschen. Über die Ausnahmen kann man in anderen Zusammenhängen reden. Strafverfolgungsbehörde ist nach dem Entwurf die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit der Polizei. Sie entscheidet, ob eine Hausdurchsuchung durchzuführen ist, und dann braucht sie eine gerichtliche Bewilligung, weil es um die Verletzung eines Grundrechtes geht. – Das ist der springende Punkt!

Ich verstehe die Verfassungsrechtler, die sich heute geäußert haben, so, dass das Ganze wahrscheinlich in Ordnung gehen wird, dass man das aber nicht garantieren kann.

Im Übrigen möchte ich meinen Appell wiederholen, dass man nicht rechtspolitische und verfassungsrechtliche Argumente durcheinander bringen sollte. Man kann sehr wohl die Meinung vertreten, dass das Beweisantragsrecht und das Beweisverwertungsverbot zu schwach sind, das hat aber mit der Verfassungsrechtslage nichts zu tun!

Ich fürchte, dass es sich auch mit dem Antrag auf Fortführung des Verfahrens nach § 195 des Entwurfs ähnlich verhält. Nach geltender Rechtslage kann das Oberlandesgericht durch Anklagebeschluss eine bis dahin nicht unter Anklage stehende Person unter Anklage stellen. Ich habe das in 25 Jahren ein- oder zweimal erlebt. Das steht jedenfalls so in einem Gesetz, das 1873 in Kraft getreten ist und dem die Verfassung erst viele Jahre später gefolgt ist.

Wenn man jetzt sagen will, dass das Gericht die Staatsanwaltschaft auf Grund einer Beschwerde zwingen kann, jemanden unter Anklage zu stellen, dann sehe ich als sozusagen einfacher Strafrechtler darin eher ein Minus gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage und kann mir nicht recht vorstellen, dass das verfassungswidrig sein soll. Man möge jetzt bitte nicht mit der Autonomie der Staatsanwaltschaft argumentieren, denn diese müssen wir uns erst erkämpfen! In der Verfassung steht nur, dass die Anklage vom Gericht getrennt ist, es steht aber nicht in der Verfassung, dass die Staatsanwaltschaft das alleinige Anklagerecht hätte. Und sie hat es ja wirklich nicht, denn wir kennen auch die Privatanklage und die Subsidiaranklage. – Wir bewegen uns also wieder größtenteils im rechtspolitischen Bereich, und in diesem Zusammenhang möchte ich mich gerne an der Diskussion beteiligen.

Einer der Ausgangspunkte dieser Bestimmung war, dass vielfach darüber geklagt wurde, dass oft Anzeige erstattet wird, der Staatsanwalt diese aber nur durchliest und mit dem Vermerk versieht: Zivilrechtliche Auseinandersetzung, § 90 StPO, Anzeige zurückgelegt. – In Wirklichkeit handelt es sich dabei aber oft nur um eine ungeschickte Formulierung oder um ein Missverständnis. Würde man zwei oder drei Zeugen vernehmen, dann käme man zu einem ganz anderen Bild.

Es wurde heute schon gesagt, dass § 195 des Entwurfs zumindest nach seinem Wortlaut keine Klagserzwingung, sondern eine Verfahrenserzwingung enthält. Und da erhebt sich die Frage: Wer soll dieses Verfahren führen? – Nach herrschender Rechtslage muss ein Subsidiarankläger auftreten. Wenn also eine Anzeige zurückgelegt wird, kann jener, der die Anzeige erstattet hat, zu Gericht gehen. Das Gericht kann seinerseits feststellen, dass die Anzeige zu Unrecht zurückgelegt wurde und die Staatsanwaltschaft ihre Aufgabe nicht wahrgenommen hat, und kann denjenigen, der die Anzeige erstattet hat, zum Ankläger bestimmen, wobei Letzterer das Prozessrisiko trägt. – Ich verstehe nicht, warum der Staatsbürger eine staatliche Funktion mit hohem Risiko und relativ hohem finanziellem Einsatz übernehmen muss, weil – salopp ausgedrückt – ein Fehler passiert ist.

In Anbetracht dieses Problemkomplexes entstand die Idee, die Möglichkeit zu schaffen, dass ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens gestellt werden kann. Ich meine, dass man darüber sehr wohl rechtspolitisch diskutieren kann, wobei es unter Umständen auch sinnvoll ist, die Staatsanwaltschaft zu einer Anklage zu zwingen. Mir hat der Vorschlag sehr gut gefallen, dass quasi eine eigene „Obergeneralprokuratur“ eingeführt werden sollte, die sich mit solchen Fällen beschäftigt und dann die Anklage übernimmt. Ob es sich lohnt, dafür eine eigene Institution zu schaffen, weiß ich nicht. Aber wir bewegen uns im Wesentlichen auch bei dieser Frage in einer rechtspolitischen, und nicht in einer verfassungsrechtlichen Diskussion.

Der Vorschlag des Entwurfes bietet – nachdem die Version des Vorentwurfes vehementest abgelehnt worden war – im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung eine Möglichkeit der Kontrolle der Staatsanwaltschafen mit ihrer Weisungsspitze, damit auch nach außen hin dargelegt werden kann, dass all das nicht hinter verschlossenen Türen nach nicht bekannten Gesichtspunkten abgehandelt wird, sondern transparent und gerichtlich nachvollziehbar verläuft.

Wenn wir etwas Besseres finden, dann werden wir es sicherlich gern tun. Ich meine aber, verfassungsrechtlich sollten wir uns hier nicht festbeißen!

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Theo Öhlinger (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien): Ich möchte zunächst zu den Ausführungen von Professor Bertel festhalten, dass diese gewiss sehr ernst zu nehmen sind. Wir haben uns mit dieser Thematik deshalb noch nicht beschäftigt, weil die letzte Detailfassung des Entwurfs zu dem Zeitpunkt, als wir die Bestellung für unser Gutachten erhielten, noch gar nicht vorgelegen ist.

Es ist das sicherlich sehr ernst zu nehmen. Man muss ergänzend aber auch das erwähnen, was Kollege Burgstaller ausgeführt hat: Jeder Eingriff in die Stellung des Beschuldigten hat eine Kehrseite, und es geht auch um die Rechte, vor Verbrechern geschützt zu werden. In verfassungsrechtliche Terminologie übertragen heißt das, dass all diese Eingriffe verhältnismäßig sein müssen. Man muss jeweils abwägen, ob die öffentlichen Interessen die Position dessen, der von einem solchen Eingriff betroffen ist, überwiegen. – Das ist allerdings eine Frage, über die man sehr im Detail und auch auf Grund hoher kriminalistischer Kenntnisse diskutieren muss.

Miklau hat eine Frage zur Hypertrophie des Rechtsschutzes gestellt: Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist Rechtsschutz natürlich ein absolut positiver Wert und in einem gewissen Ausmaß geboten. Es gibt jedoch auch da selbstverständlich Grenzen dessen, was noch leistbar ist. Ein Rechtsschutz, der die Strafverfolgung letztlich verhindern würde, ist von der Verfassung her sicherlich nicht geboten. Dennoch ist Rechtsschutz in hohem Ausmaß auch in dieser Verfahrensphase aus verfassungsrechtlicher Sicht selbstverständlich mehr als wünschenswert.

Zur strukturellen Problematik, die unser Hauptthema war: Ich meine, dass es sich hiebei nicht um eine rein akademische Frage handelt. Ich glaube, es gibt auch sehr gute Hinweise darauf, dass sich der Verfassungsgerichtshof in der Sicht der Problematik bisher bewusst zurückgehalten hat. Wie sollte er sich auch anders verhalten? Hätte er die rudimentären Bestimmungen über das Vorverfahren aufheben sollen? Er befand sich diesbezüglich in einem Dilemma. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich die Gerichte auf Dauer zurückhalten und weiterhin vor der von Miklau im Detail dargestellten, massiven Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Rechtslage des Vorverfahrens alle Augen zudrücken würden.

Von Dr. Pleischl habe ich gelernt, dass die Verquickung zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft in organisatorischer Hinsicht noch viel enger ist, als ich geahnt habe. Das erinnert aus verfassungsrechtlicher Sicht geradezu an das Grundanliegen beziehungsweise an den historischen Kerngehalt des Art. 94 B-VG, dass nämlich gemischte Ämter aufgelöst werden sollen. Offenbar gibt es diese noch immer. Versteinerungstheoretiker haben damit natürlich kein Problem, wenn das auch im November 1920 schon so war, was ich annehme, denn ich glaube nicht, dass es sich hiebei um eine Neuerung der Republik handelt. Das zeigt, dass eine rein mechanistischen Anwendung der Versteinerungstheorie geradezu absurd wäre.

Ich meine, dass der Entwurf aus der Sicht des Verständnisses des Anklagegrundsatzes, den man aus der Diskussion des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ableiten kann, eher einen Schritt in Richtung einer Verstärkung des Anklagegrundsatzes geht, auf keinen Fall aber in Richtung einer Abschwächung desselben. Ob im Vorverfahren eine Trennung zwischen Ankläger und Ermittler wünschenswert oder sinnvoll wäre, ist aber jedenfalls eher eine rechtspolitische Frage.

Vom verfassungsrechtlichen Begriff her geht der Entwurf über diese abgeschwächte Form des Anklagegrundsatzes einen Schritt hinaus und ist insofern verfassungsrechtlich problematisch. Hier könnte es im Detail sehr wohl Probleme geben. Eine verfassungsrechtliche Garantie kann es nicht geben, nicht einmal dann, wenn Sie die StPO in Verfassungsform beschließen. Ich glaube, es dürfte bekannt sein, dass der Verfassungsgerichtshof in der Zwischenzeit auch Verfassungsbestimmungen auf deren Verfassungsmäßigkeit überprüft und dass er, wenn er etwa seine eigene Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt sieht, auch bereit ist, aufzuheben.

Daher meine ich noch einmal: Verfassungsbestimmungen in den Entwurf einzubringen wäre verfassungspolitisch bestimmt ein ganz verfehlter Weg. Wenn, dann verdient ein so großes legislatorisches Anliegen eine Absicherung im System der Verfassung, also im B-VG selbst, und dabei müsste man sich dann auf grundsätzlichere Regelungen einigen. Ein solches Vorgehen wäre zweifellos wünschenswert.

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Bernd-Christian Funk (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien): Die grundrechtlichen Einzelfragen, die Professor Bertel aufgeworfen hat, sind auch meiner Meinung nach sehr ernst zu nehmen.

Wir sind in unserer Begutachtung eher von einer sozusagen makrokonstitutionellen Betrachtungsweise ausgegangen, was aber keine Rechtfertigung dafür bietet, dass man grundrechtliche Fragen dieses Kalibers missachtet. Ganz im Gegenteil!

Ich möchte jetzt nur eine kleine Orientierung versuchen: Es besteht ein Unterschied, ob man etwas für verfassungswidrig hält oder ob man die Meinung vertritt, dass eine bestimmte Regelung verfassungsrechtlich gesehen besser gestaltbar wäre. In vielen Fällen der angeführten sechs Punkte würde ich meinen, dass eine Verbesserung und Präzisierung, allenfalls auch im Vertrauen auf verfassungskonforme Praxis und Auslegung, ausreichen würde.

Zur Frage, ob man, um die Einwände zu entkräften beziehungsweise die Besorgnis zu zerstreuen, den Rechtszug bei den Staatsanwaltschaften enden lassen könnte: Einerseits müsste man das Konzept dann so begreifen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft in das Justizsystem eingebaut bleiben, ohne dass ein weiterer Rechtszug zu Gericht geht. Würde man das jedoch nicht so sehen, dann käme man tatsächlich in Schwierigkeiten mit der UVS-Zuständigkeit bei Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt. Das hieße aber, einen wesentlichen tragenden Pfeiler der Reform zu verändern. Ich will das nicht ausschließen, meine aber, dass das letztlich auf einen Paradigmenwechsel hinauslaufen würde, wobei dann sehr schwer zu argumentieren wäre, dass man bei geltender Verfassungsrechtslage die Staatsanwaltschaft mit der Polizei als Teil der Justiz ansieht.

Dazu noch ein Gesichtspunkt: Es könnte dann doch Schwierigkeiten damit geben, dass die Staatsanwaltschaft selbst Ermittlungen führt und in diesem kooperativen Modell mit der Polizei in vielen Fällen über ihre eigenen Verhaltensweisen zu entscheiden hätte.

Zu den Begriffen „richterlicher Befehl“ und „richterliche Bewilligung“: Mir scheint, dass das ein gutes Beispiel für Argumentationen ist, die manchmal entweder zu kurz greifen oder mit zweifachem Maßstab geführt werden. – Man kann natürlich sagen, dass diese beiden Begriffe Unterschiedliches besagen. Man kann argumentieren, dass etwa im Hausrechtsgesetz vom richterlichem Befehl die Rede ist und daher alles andere nicht verfassungskonform ist. – Ich meine, dass man sich auf jeden Fall zumindest historisch vergewissern und deutlich machen sollte, dass das, was im 19. Jahrhundert als richterliche Befehlskonstruktion vorgegeben wurde, in Wirklichkeit immer schon eine Ermächtigung war und es bis heute geblieben ist. Ich kann also selbst jenen, die großen Wert auf Wortlaut plus Versteinerung legen, entgegenhalten und sagen: Dann dürfen wir aber nicht beim Wortlaut halt machen, denn die Wortlautfetischisten rufen ja bei Bedarf immer gleich nach der Versteinerung! Dann muss man das aber ernst nehmen und überprüfen, wie das im vorvorigen Jahrhundert konzipiert war. Und wenn man dann noch bereit ist, sozusagen den obszönen Schritt der Auslegung zu gehen und sich auch noch über die Funktion zu unterhalten und teleologische Aspekte einzubringen, dann wird klar, dass das im Sinne eines modernen Vorverfahrens nicht als Befehl, sondern tatsächlich als Ermächtigung zu deuten ist, ohne dass es dabei irgendeine Beeinträchtigung von Schutzfunktionen gäbe. – Insgesamt meine ich dazu: Man sollte wirklich nicht mit zweierlei Maßstab messen.

Zu dem „Kurzgutachten“ von Walter/Zeleny: „Kurz“ lasse ich gelten, „Gutachten“ lasse ich nicht gelten, daher sage ich nicht mehr dazu.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter unterbricht die Sitzung.

(Die Sitzung wird um 12.12 Uhr unterbrochen und um 13.17 Uhr wieder aufgenommen.)

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Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf und vermerkt einen Teilnehmerschwund sowohl seitens der Opposition als auch auf Expertenseite.

Obfrau Dr. Fekter gibt bekannt, dass Rechtsanwalt Dr. Soyer folgende Anmerkung zum Protokoll der Sitzung dieses Unterausschusses vom 15. Mai 2003, S. 19, gemacht hat. Anstelle seiner Formulierung
„Die Vorentwürfe, sowohl der Diskussionsentwurf als auch die Regierungsvorlage, waren in einem zentralen Bereich viel innovativer ...“
hätte es eigentlich heißen sollen:
„Die Vorentwürfe, sowohl der Diskussionsentwurf als auch der Ministerialentwurf, waren in einem zentralen Bereich viel innovativer ...“

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In Fortführung des Experten-Hearings wird nunmehr die Debatte bezüglich der allgemeinen Themen aufgenommen.

Staatsanwalt Mag. Walter Geyer (Staatsanwaltschaft Wien): Ich werde die Titel- und Funktionsbezeichnungen weglassen, wenn ich jemanden anspreche – um eine Flut von Protokollberichtigungen zu vermeiden –, und muss Sie bitten, sich mit mir jetzt wieder in die Niederungen des einfachen Gesetzes zu begeben. Ich möchte auf zwei grundsätzliche Einwendungen, die am ersten Beratungstag vorgebracht wurden und sozusagen die Regelungstechnik betreffen, noch einmal kurz eingehen.

Der eine Vorwurf ist, dass durch die gänzliche Ausschaltung des Untersuchungsrichters als Ermittlungsorgan weniger Justiz und mehr Verwaltung geschaffen wird, sodass die Dreiteilung der Gewalten zu Lasten der Justiz verschoben wird – ein Argument, das auch Universitätsprofessor DDr. Walter in einem Kurz-Elaborat in der „Wiener Zeitung“ und zuvor schon in einem Fachartikel in einer juristischen Zeitung dargetan hat. Vielleicht hätte er auch gerne einen Auftrag zu einer umfangreichen Gutachtenserstattung gehabt und dann näher erläutert, was er meint. Dieser Einwand ist sowohl von einem guten Teil der Universitätsprofessoren als auch geschlossen von den Richtern und Staatsanwälten vorgebracht worden.

Ich möchte auf das eingehen, was die Väter des Gesetzes dazu gesagt haben, insbesondere Moos, Pleischl und Miklau, und habe auch im Protokoll noch einmal nachgelesen. Moos hat zu dem Vorwurf, dass durch diese Regelungstechnik die Justiz schmäler wird und dass vor allem in den politischen Strafsachen, den glamourösen Strafsachen, eine Aufklärung wie jetzt von der Bevölkerung zumindest nicht mehr in diesem Maße akzeptiert werden und das Vertrauen insofern erschüttert wird, eine bemerkenswerte Stellungnahme abgegeben, nämlich gar keine – was ich auch für sehr aussagekräftig halte. Pleischl hat dazu gemeint, die Unabhängigkeit darf man nicht so eng sehen, es gibt Einsichtsrechte, die vorgesehen sind, und auch Beschwerderechte. Miklau hat ergänzend darauf hingewiesen, dass ja durch das StAG die Schriftlichkeit der Weisung festgelegt worden ist und die Staatsanwälte sich nicht immer sozusagen unter ihrem Wert verkaufen sollen, indem sie auf ihre eigene Weisungsabhängigkeit hinweisen.

Ich denke, dass diese Argumente erstens nicht wirklich stichhaltig sind. Denn Beschwerde- und Einsichtsmöglichkeiten können nie dasjenige, was die Justiz unter Unabhängigkeit versteht, substituieren. Die richterliche Unabhängigkeit abzuschaffen und dafür irgendwelche Beschwerdemöglichkeiten einzuführen – auf den Gedanken kommt hoffentlich überhaupt niemand! Daher ist das kein gleichwertiges Äquivalent, genauso wenig wie die Verpflichtung zur Schriftlichkeit der Weisung.

Es hat heute Vormittag eine interessante Bemerkung von Herrn Professor Funk gegeben, die gut dazu passt. Er hat gemeint, er sei vom Ministerium bestellt worden, aber er möchte darauf hinweisen, dass ein Gutachten und nicht eine bestimmte Aussage, nicht ein bestimmtes Ergebnis bestellt worden ist. Professor Funk hat es also in diesem Kreis für notwendig erachtet, darauf hinzuweisen, dass dieser Anschein bestehen könnte, jedoch nicht für seine Person zutrifft – woran ich keinen Zweifel habe. Aber allein das Auftragsverhältnis erzeugt möglicherweise den Gedanken oder das Misstrauen, der Auftragnehmer werde das liefern, von dem er glaubt, dass der Auftraggeber es erwartet.

Dieses Misstrauen kann man nicht durch ein Gesetz wegdekretieren und nicht dadurch ausräumen, dass man hineinschreibt: Es gibt nur schriftliche Weisungen. Dieses Misstrauen besteht, und das einzige Gegengewicht dazu ist die Unabhängigkeit zwischen Auftraggeber – ich sage jetzt einfach: Weisungsgeber – und Auftragnehmer, also dem Weisungsunterworfenen. Das ist der zentrale Punkt: Es geht um das Vertrauen, dass jemand keinen Vorteil und keinen Nachteil hat, egal, wie er eine Ermittlung führt. In den ganz wenigen politischen Strafsachen ist dieses Vertrauen auf keine andere Weise herbeizuführen, als dass man denjenigen untersuchen lässt, der eine gewisse Unabhängigkeit in jenen Fällen hat, in denen eine politische Befangenheit besteht, weil sich das Ergebnis der Untersuchung, das Ergebnis des Strafverfahrens politisch auswirken kann.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass in diesem Punkt die rechtliche Situation in Österreich praktisch einmalig in Europa ist. Sie können mit Justizvertretern der nordischen Länder reden: Denen ist eine Möglichkeit unbekannt, dass der Justizminister – wie in Zeiten des Absolutismus – auf jedes einzelne Verfahren im Lande Einfluss nehmen kann; das kennen sie dort nicht. In den Reformstaaten ist es genauso undenkbar, dass ein Regierungsmitglied in jedem Verfahren, sozusagen wie früher der König als oberster Gerichtsherr, etwas machen kann. Genauso wenig geht das in Spanien, Italien oder Frankreich. Das ist ein Spezifikum Österreichs.

Den Zusammenhang zwischen diesem Aspekt und dem Umstand, dass derzeit noch im Rahmen einer Voruntersuchung ein Richter unabhängig eine Ermittlung durchführen kann und die Ermittlung immer die Grundlage einer vernünftigen Entscheidung ist, nicht zu sehen, hielte ich für fahrlässig. Deswegen möchte ich noch einmal auf folgenden Umstand hinweisen: Die Frage der Unabhängigkeit ist überhaupt kein Qualitätskriterium! Es wäre ein Missverständnis, zu glauben, dass der Richter wegen seiner Unabhängigkeit in seinem Beruf qualitativ besser als der Staatsanwalt oder der Polizeijurist wäre. Ebenso wenig geht es um die persönliche Befindlichkeit des Staatsanwaltes und seinen Arbeitsplatz. Der – unter Anführungsstrichen – „gewöhnliche“ Staatsanwalt hat in seinem ganzen Leben nie eine politische Strafsache in der Hand und bekommt auch keine Weisungen. An dessen Arbeitssituation würde sich überhaupt nichts ändern, wenn ein Regierungsmitglied kein Weisungsrecht mehr hat, sondern eine andere Regelung Platz greift.

Es geht auch – und das möchte ich gerade in diesem Rahmen betonen – nicht um die Lauterkeit der Person des Ministers. Auch das wäre ein Missverständnis: zu glauben, wenn die Staatsanwälte Unabhängigkeit von einer politischen Verwaltung fordern, dann wäre dies ein Misstrauensvotum gegen einen bestimmten Minister. Das ist überhaupt nicht der Fall und gar nicht die Frage. Ich erkläre hier gerne, dass meines Wissens Minister Böhmdorfer in seinen beiden Legislaturperioden keine einzige Weisung erteilt hat, jedenfalls nicht in einer politisch sensiblen Sache. Das ist nicht der Punkt. Hier geht es nicht um eine Abstimmung über bestimmte Personen, sondern über ein System. Ich kann auch nicht die Frage von Absolutismus oder Demokratie so diskutieren, dass ich sage: Der derzeitige Herrscher ist eh so lieb, der tut ja nichts, daher belassen wir es dabei.

Als weiteres Argument dafür, wie sensibel die Frage des Vertrauens ist, möchte ich Sie an etwas aus der neuesten Geschichte erinnern, nämlich an die Sanktionen gegen Österreich, die sehr viele als extrem ungerecht empfunden haben. Es wurde im Ausland über uns eine Meinung vertreten, die sicher „schief“ war. Den Ausweg daraus hat der so genannte Bericht der drei Weisen gebracht, in dem meiner Einschätzung nach nichts wirklich Besonderes dringestanden ist. Frage: Wenn dieser Bericht im selben Wortlaut im Auftrag der österreichischen Regierung, im Auftrag des Bundeskanzlers von seinen Beamten erstellt worden wäre, hätte das irgendjemand geglaubt? Hätte das irgendetwas an den Sanktionen geändert? – Überhaupt nicht! Es kommt nicht auf die Sache an, es kommt nicht auf die Lauterkeit des Gutachters an. Es kommt auf das Auftragsverhältnis an, auf die Möglichkeiten der Einflussnahme, auf die Abhängigkeit, auch die persönliche Abhängigkeit in Karriere und Beruf.

Das betrifft insbesondere auch die Ermittlungstätigkeit, in der es selten um „richtig oder falsch“, aber sehr oft um Ermessensentscheidungen geht. Es geht etwa darum, wann die Hausdurchsuchung durchgeführt wird: jetzt, wenn es noch sinnvoll ist, oder in einem Monat, wenn alles schon publik ist und alle sich darauf eingerichtet haben? Wer wird vernommen? Ist es gerechtfertigt, diese zehn Leute ebenfalls noch zu vernehmen?

Das alles kann – und jetzt wechsle ich rasch das Thema – auch mit einem Klagserzwingungsverfahren nicht sinnvoll ersetzt oder substituiert werden. Eine gut funktionierende Justiz – und damit meine ich im Sinne von Moos auch die Staatsanwaltschaft – ist meiner Meinung nach nicht ersetzbar durch Parteieneinwendungen, Beschwerden und Antragsrechte.

Kollege Nemec – er ist heute nicht da – und ich haben versucht, eine Lösung zu finden für folgenden sensiblen Punkt: Wie kann man dem meiner Einschätzung nach doch gerechtfertigten Anliegen entsprechen, diese etwas überalterte Voruntersuchung zu beseitigen, trotzdem aber eine unabhängige Ermittlungstätigkeit des Untersuchungsrichters, die nicht an Anträge gebunden ist, weiterhin in einem eingeschränkten Umfang, mit der Betonung auf „eingeschränkten“ Umfang, zu ermöglichen?

Unser Lösungsansatz war – ich verteile das gerne an alle Universitätsprofessoren und bitte um eine freundliche Reaktion –, dass der Untersuchungsrichter in drei im Gesetz definierten Fällen ein ergänzendes selbstständiges Erhebungsrecht haben soll. Diese drei Fälle sollten sein: die Haft, die Folterkonvention – also Vorwürfe gegen Polizisten wegen Misshandlung – und die glamourösen, politischen Strafsachen, bei denen wir eine Formulierung gefunden haben, die unserer Meinung nach im Gesetz Bestand haben kann. In diesen Fällen sollte aber nicht die Leitung des Vorverfahrens auf den Untersuchungsrichter übergehen, also nicht das alte Voruntersuchungsmodell stattfinden, sondern weiterhin der Staatsanwalt Leiter der Ermittlungen sein, und er sollte von dieser Verpflichtung auch nicht entbunden sein, sodass der Untersuchungsrichter im Normalfall gar nichts zu machen braucht. Der Untersuchungsrichter soll jedoch das Recht haben, zusätzliche Erhebungen durchzuführen – ein Ergänzungsrecht. Das würde im Übrigen auch nicht die Einbindung der österreichischen Staatsanwaltschaften in europäische Gruppierungen verhindern. Der Staatsanwalt könnte dann immer noch an einem europäischen Ermittlungsteam teilnehmen und dort Zusagen darüber machen, was er erheben wird, weil er weiterhin Erhebungsleiter bleibt.

In der Frage der Untersuchungshaft möchte ich zusätzlich unter dem Blickpunkt des Rechtsschutzes argumentieren. Die Regelung des Entwurfes weicht von der derzeitigen Regelung dadurch ab, dass die Untersuchungshaft grundsätzlich sozusagen punktuell geprüft wird, nämlich in einer bestimmten Frist oder auf Antrag eines Richters, der sonst mit dem Verfahren nichts zu tun hat. Das bedeutet im Vergleich zum derzeitigen Stand meiner Meinung nach weniger Rechtsschutz. Derzeit kennt ein Richter, der Untersuchungsrichter, den genauen Gang der Sache und alle Erhebungsergebnisse, er weiß auch, was noch zu erwarten ist, und kann es selbst veranlassen. Künftig wird ein Richter konfrontiert werden mit Unterlagen, die unter Umständen sehr umfangreich sind – möglicherweise fünf, sechs Aktenbänden –, und mit dem Verlangen: Bitte bewillige jetzt die Haft! Dabei sehe ich zwei Möglichkeiten: Entweder liest er die Unterlagen nicht gründlich – schlecht! –, oder er liest sie gründlich und sagt zum Staatsanwalt, er solle in zwei Wochen wiederkommen, wenn die Aktenbände gelesen sind. Bei der nächsten Haftverhandlung hat aber der Richter keine Ahnung mehr, was inzwischen geschehen ist.

Das derzeitige System und das von Kollegen Nemec und mir vorgeschlagene brächte den Vorteil, dass der Untersuchungsrichter jedes Erhebungsergebnis kennt, daher ständig, auch zwischen den gesetzlichen Haftverhandlungen, ohne einen Antrag sagen kann: bitte, jetzt ist aber der Tatverdacht zu dünn!, oder: jetzt lasse ich noch etwas zugunsten des Verdächtigen erheben, was möglicherweise zu seiner Enthaftung führt! Somit wäre hier ein weiterer, zusätzlicher Rechtsschutz gegeben.

Ein zweiter grundsätzlicher Einwand gegen den Entwurf, der heute schon zur Sprache gekommen ist, betrifft die Frage, inwieweit durch die Ausschaltung des Untersuchungsrichters und den Umstand, dass der Staatsanwalt Leiter des Vorverfahrens ist, selbst ermittelt und in 70 Prozent der Fälle die Endentscheidung trifft, durch ein Hintertürl wieder die Inquisition eingeführt wird. Pleischl hat dazu gemeint, für ihn wäre es mehr Inquisition, wenn der Untersuchungsrichter, wie derzeit, auch die Haft verhängt. Ich finde dieses Abwägen, was mehr und was weniger Inquisition bedeutet, etwas bedenklich. Zahlenmäßig ist sicherlich die staatsanwaltschaftliche Inquisition gravierender, einfach von den Prozentsätzen her. Ich denke auch, der Einwand Pleischls ist sehr leicht zu entkräften; das könnte dadurch beseitigt werden, dass nicht mehr der Untersuchungsrichter, der die Ermittlungen führt, die Haft verhängt, sondern ein anderer Richter. Hingegen ist das Zusammentreffen von Ermittlungstätigkeit und Enderledigung beim Staatsanwalt unveränderbar, da gibt es auch nichts anderes.

Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass dieser grundsätzliche Einwand in der Praxis keine so große Rolle spielen wird. Was Pleischl und Miklau dazu gesagt haben, nämlich dass sich in bestimmten Fällen – ich füge hinzu: in eher weniger Fällen – der Staatsanwalt selbst ein Bild davon wird machen können, wie glaubwürdig der Belastungszeuge ist, ist als zusätzliche Möglichkeit durchaus positiv zu sehen, auch wenn es dem theoretischen Grundsatz, dass Ermittlungstätigkeit und Entscheidungtätigkeit getrennt werden sollen, widerspricht. So notwendig, wie Miklau es dargestellt hat, ist es in der Praxis nicht. Wenn der Staatsanwalt unsicher ist, wie ein Zeuge ausgesagt hat, kann er entweder den Untersuchungsrichter, der den Zeugen vernommen hat, fragen, oder er beantragt die kontradiktorische Vernehmung; er kann ihn auch selbst vernehmen. Ein allzu großes Problem hat sich in den 25 Jahren Praxis, die ich habe, in dieser Frage bisher nicht ergeben.

Letzter Punkt: Klagserzwingungsverfahren und/oder Subsidiarantragsverfahren. – Vorausschicken möchte ich, dass ich beide Verfahrensmöglichkeiten für wenig wirksam halte, und zwar sowohl das derzeitige Subsidiarantragsverfahren als auch das möglicherweise künftige Klagserzwingungsverfahren. Wenn man mit deutschen Staatsanwälten spricht, die so etwas haben, sagen alle, das spielt in der Praxis keine oder kaum eine Rolle. Es muss einfach klar sein, dass die Tätigkeit des Staatsanwaltes und einer gut funktionierenden Polizei nicht im Nachhinein ersetzbar ist, weil eben die Hausdurchsuchung nicht ein halbes Jahr später über ein Klagserzwingungsverfahren durchgeführt werden kann. Oder ich denke an einen Zeugen, der in der Zwischenzeit zum Beispiel schon lange in sein Heimatland Südafrika zurückgereist ist. Das ist an sich immer ein Minderheitenprogramm, tendenziell – das kann man wohl auch offen sagen – ein Minderheitenprogramm für Querulanten. Wenn man ein eigenes Amt einrichtet, dann weiß ich schon, dass ein Istvan Herczegfalvy dieses Amt auch in einem sehr großen Ausmaß beschäftigen wird. Man darf sich davon nicht zu viel erhoffen.

Ich denke, die Argumente sollten genauer sein. Pleischl hat heute gemeint, beim Subsidiarantragsverfahren trifft den Subsidiarantragsteller das Kostenrisiko, und sonst kann er ohnehin nichts machen. So stimmt das nicht. Derzeit kann bei Zurücklegung der Anzeige der Geschädigte einen Subsidiarantrag stellen, der nichts kostet, und wenn ihm stattgegeben wird, untersucht ein Untersuchungsrichter selbstständig im Rahmen einer Voruntersuchung die Sache. Das kostet den Subsidiarantragsteller auch nichts.

Im Klagserzwingungsverfahren kann der Geschädigte einen Antrag stellen, der nur zu bestimmten weiteren Erhebungen führt, aber nicht dazu, dass die ganze Sache von jemand Neutralem – der eben nicht der Staatsanwalt ist, der es schon zurückgelegt hat, oder die Staatsanwaltschaft, die es zurückgelegt hat; es legt ja auch die Behörde die Anzeige zurück – weitergeführt wird. Insofern halte ich das eigentlich für eine Verschlechterung der Situation.

Wenn ich diese Möglichkeiten rein theoretisch – es ist ohnehin sinnlos, weil es in der Praxis so nicht funktionieren könnte – auf die politisch brisanten Fälle angewendet denke, zum Beispiel auf die Sache Lucona, als es Geschädigte gab, nämlich die Hinterbliebenen der Ermordeten, die theoretisch ein Subsidiarantragsrecht gehabt hätten, so hätte theoretisch die Möglichkeit bestanden, dass sie eine Voruntersuchung erwirkt hätten. Glaubt jemand wirklich im Ernst, dass durch ein Klagserzwingungsverfahren mit einzelnen Zeugen eine solche Sache geklärt werden könnte? – Völlig unmöglich!

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter weist darauf hin, dass sie bei den Worterteilungen geschäftsordnungsgemäß nach der Rednerliste vorgehen muss, sodass direkte Erwiderungen – auf welche sie auch selbst manchmal verzichten müsse – nicht möglich sind.

Universitätsassistent Dr. Alois Birklbauer (Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, Universität Linz): Für mich ist es interessant, dass heute Vormittag das Kostenargument der Reform nicht zur Sprache gekommen ist. Das habe ich recht wohltuend erlebt, weil ich mich nicht kompetent fühle, über die Kosten zu diskutieren. In der Praxis wird es ein entscheidender Punkt dafür, ob die Reform gelingen kann, wahrscheinlich der sein, dass die entsprechenden Planstellen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es die Diskussion über die Sachinhalte lähmen könnte, wenn zu sehr auf dem Kostenargument herumgeritten wird.

Ich möchte hier ein generelles Bekenntnis abgeben: Es ist klar, dass mit der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens ein Mehr an Grund- und Freiheitsrechten des Menschen verbunden ist. Dass Grund- und Freiheitsrechte etwas kosten, ist ebenfalls klar. Insofern wäre es dringend erforderlich, klarzustellen, dass uns dieses Mehr an Grundrechtsschutz auch die Kosten wert ist. Mit dieser Klarstellung wäre es leichter, dafür zu sorgen, dass die Diskussion nicht am Kostenargument hängen bleibt.

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der mir an dem Reformentwurf noch etwas unausgegoren zu sein scheint, nämlich das Verhältnis der Staatsanwaltschaft zur Polizei. Herr Professor Fuchs hat letztes Mal den § 102 erwähnt und ist darauf eingegangen, dass er nicht versteht, warum Anordnungen an die Polizei seitens des Staatsanwalts schriftlich zu geben und zu begründen sind. Er hat aus dieser Bestimmung den Schluss gezogen, dass Macht und Verantwortung im neu geregelten Vorverfahren auseinander fallen, und dazu bildlich einen Vergleich mit einem Krankenhaus angestellt, in dem es auch nicht verständlich ist, dass das untergeordnete Personal vom Primararzt eine Begründung für die Behandlungsmethode verlangen kann.

Wenn man diesen Gedanken weiterführt und sich § 100 Abs. 2 anschaut, die Berichtspflicht, dann merkt man, dass hier wirklich etwas unausgegoren ist. Bei der Berichtspflicht ist es so, dass ein Anfallsbericht nur bei schwer wiegenden Verbrechen – ein Verbrechen ist bekanntlich ein vorsätzliches Delikt mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe – oder bei besonderem öffentlichen Interesse zu erstatten ist. Wenn kein solcher Fall vorliegt, hat die Sicherheitsbehörde drei Monate lang Zeit, einen Bericht abzugeben. Wenn ich mir das Konzept des strafprozessualen Vorverfahrens vorstelle, den Staatsanwalt mit der Leitungsbefugnis: Wie soll er seine Leitungsbefugnis wahrnehmen, wenn er drei Monate lang überhaupt nichts darüber erfährt, welche Delikte die Polizei überhaupt ermittelt? – Diesbezüglich ist der Reformentwurf ganz sicher verbesserungsbedürftig, wenn auch vielleicht nicht in Form der Berichtspflicht – das klingt sehr formalistisch, das muss es nicht sein –, sondern, ich würde sagen, generell einer Informationspflicht. Der Staatsanwalt muss von allen Delikten erfahren, damit er weiß, welche Delikte angefallen sind und wie ermittelt wird, um seine Leitungskompetenz überhaupt wahrnehmen zu können. Eine formalisierte Berichtspflicht sollte es wahrscheinlich geben für Delikte – so wie es jetzt drinsteht –, die schwer wiegende Verbrechen sind. Aber eine generelle Informationspflicht muss früher möglich sein, nicht erst nach drei Monaten. Sonst darf die Polizei drei Monate lang vor sich hin ermitteln, ohne dass der Staatsanwalt auch nur theoretisch etwas kontrollieren kann.

Dagegen kann man einwenden, man könnte ja über den Verordnungsweg regeln, dass die Staatsanwaltschaft der Polizei sagt: Bei mir machen Sie das schon binnen einem Monat! Das wäre denkbar, aber ich halte es für besser, wenn das im Gesetz geregelt ist.

Ein zweiter Punkt, auf den ich eingehen möchte und der mich bedenklich stimmt, ist die Zweigleisigkeit im Ermittlungsverfahren, wenn man sich das Verhältnis zwischen Sicherheitspolizeigesetz und Strafprozessordnung ansieht. Momentan sind im neuen StPO-Entwurf verschiedene Zwangsmittel vorgesehen, die zum Teil auch im Sicherheitspolizeigesetz existieren. Die geplanten Vorschriften der StPO sind an strengere Kautelen gebunden, häufig an eine Anordnung des Staatsanwalts und richterliche Kontrolle. Die Ermittlungsmethoden im Sicherheitspolizeigesetz kennen das natürlich nicht. Da gibt es keinen Richter, sondern die Polizei macht das von sich aus, und man kann sie eventuell im Nachhinein beim UVS einer nachprüfenden Kontrolle unterwerfen.

Ich möchte das an einem Beispiel erklären, das mir sozusagen besonders sauer aufstößt und weshalb ich den Entwurf auch für wirklich nicht ausgegoren halte. Dieses Beispiel betrifft die DNA-Analyse, diese gibt es derzeit ausschließlich im Sicherheitspolizeigesetz. Eine solche DNA-Analyse darf durchgeführt werden, wenn der Betroffene in dem Verdacht steht, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, und wenn im Hinblick auf diese Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen erwartet werden kann, dieser werde bei der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würde. So legt es § 67 Sicherheitspolizeigesetz fest.

Für die Zukunft soll die DNA-Analyse auch im Strafverfahren zur Aufklärung einer strafbaren Handlung vorgesehen sein, um eben eine vorhandene Spur einer Person zuzuordnen oder die Identität einer Person oder deren Abstammung festzuhalten und mit den Ergebnissen einer DNA-Analyse abzugleichen – so vorgesehen in § 124 Abs. 1 StPO. Die Kautelen, die nach § 124 Abs. 2 erforderlich sind: Anordnung durch die Staatsanwaltschaft mit richterlicher Kontrolle.

Somit bestehen zwei Möglichkeiten der DNA-Analyse: nach dem Sicherheitspolizeigesetz präventiv zur Gefahrenabwehr; nach der StPO, um in einem konkreten Verfahren zu ermitteln. Das klänge logisch, wenn hier eine Trennung vollzogen wäre, aber das ist nicht der Fall. Es ist bereits nach geltendem Recht, nach § 22 Abs. 3 Sicherheitspolizeigesetz, möglich, auch wenn bereits ein materieller Beschuldigter existiert und ein gerichtliches Verfahren eingeleitet ist, nach wie vor eine DNA-Analyse nach den sicherheitspolizeilichen Vorschriften durchzuführen. Das steht in § 22 Abs. 3 ausdrücklich drin. Derzeit wird das wahrscheinlich auch gebraucht, sonst könnte nämlich, weil dies in der StPO nicht vorgesehen ist, keine DNA-Analyse mehr gemacht werden.

Da überrascht mich § 124 Abs. 4 und 5 der StPO, weil dort drinsteht: Von Regelungen der StPO bleiben die Regelungen des Sicherheitspolizeigesetzes unberührt. Das heißt, es soll auch in Zukunft eine Doppelgleisigkeit möglich sein. Ich mache jetzt das Worst-Case-Szenario: Wenn die Sicherheitsbehörde keinen Auftrag der Staatsanwaltschaft und keine richterliche Genehmigung bekommt, dann macht sie es über das Sicherheitspolizeigesetz und kommt zum selben Ergebnis. Dann liegt das Ergebnis der DNA-Analyse vor, es ist gespeichert, es kann abgeglichen werden, und so weiter.

Es kann doch nicht der Sinn, dass man hier Zweigleisigkeiten festlegt! Insofern würde ich mir wünschen, dass man die StPO noch einmal durchforstet und nachsieht, wo Doppelgleisigkeiten vorhanden sind. Machen wir wirklich einen eindeutigen Schnitt: Sicherheitspolizeigesetz – präventive Gefahrenabwehr; StPO – Reaktion auf eine begangene Straftat!

Das ist nur ein Beispiel, mit dem ich versucht habe, das Problem zu skizzieren; es ist sicherlich nicht das einzige, aber ich kann jetzt nicht alle Detailprobleme aufzählen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass hier das Verhältnis zwischen Sicherheitspolizei und Staatsanwaltschaft nicht ausgegoren ist und dass man das noch einmal gründlich überdenken sollte. – Soweit fürs Erste; für die Detailprobleme behalte ich mir eine spätere Wortmeldung vor.

Leitender Staatsanwalt Dr. Thomas Mühlbacher (Staatsanwaltschaft Leoben): Es ist am Vormittag Usus geworden, zu betonen, dass man kein Verfassungsrechtler ist – als ob das etwas Schlechtes wäre. Ich bin Staatsanwalt, ich weiß also nicht, wie ich mich da verhalten soll. Einerseits bin ich kein Verfassungsrechtler im eigentlichen Sinn, deshalb beteilige ich mich auch jetzt an der Generaldebatte. Andererseits habe ich, als ich in Graz bei Professor Funk studierte, aus seinem Mund auch, glaube ich, gehört, dass das Strafprozessrecht gelebtes und angewandtes Verfassungsrecht ist. Deshalb glaube ich, dass ich in einer Zwischenstellung bin und dass verfassungsrechtliche Aspekte auch bei der gesamten StPO-Reform immer irgendwo werden mitklingen müssen.

Als Staatsanwalt werde ich zusammen mit ungefähr 180 Kollegen in erster Instanz dieses Gesetz zu vollziehen haben, wenn die Abgeordneten dieses Hauses es beschließen. Als Staatsanwalt fühle ich mich auch von den Worten des Herrn Sektionschefs Miklau zu Ende der letzten Sitzung angesprochen, als er im Wesentlichen gesagt hat – ich habe es nicht genau in Erinnerung –, von den Staatsanwälten sei im Zuge dieser Vorverfahrensreform immer nur zu hören: wir sind zu klein, wir sind zu schwach, und wir können das nicht leisten. Ich glaube, dass das so nicht richtig ist und dass es so nicht im Raum stehen gelassen werden kann. Ich räume ein, dass die Staatsanwälte nicht immer Medien- oder PR-Profis sind; wir tun zwar oft Gutes, aber wir reden meist nicht darüber, und das ist, was PR betrifft, eine Todsünde, habe ich mir sagen lassen. Es liegt zum guten Teil vielleicht auch daran, dass wir die Interessen unseres Berufsstandes neben unserer gewöhnlichen Arbeit vertreten müssen und dadurch nicht entlastet sind. Es kann also sein, dass Äußerungen von Staatsanwälten oder einzelnen Standesvertretern so aufgefasst und verstanden worden sind; wenn sie aber so verstanden worden sind, dann sind sie falsch verstanden worden. Das sage ich als einer, der sich seit sieben Jahren auch im Rahmen der Standesvertretung an der Diskussion beteiligt hat und wirklich weiß, welche Positionen in dieser Zeit vertreten worden sind.

Zunächst glauben die Staatsanwälte keineswegs, dass sie die ihnen in der Regierungsvorlage zugewiesenen Aufgaben grundsätzlich nicht bewältigen können. Warum auch nicht? – Wir sind aus dem Richterstand ausgewählt, um die Interessen der Republik in der Rechtspflege zu vertreten; so steht es im Staatsanwaltschaftsgesetz. Ich gehe davon aus, dass sich die Republik nicht die Dümmsten dazu aussucht, dort ihre Interessen zu vertreten. Wir sind also fachlich durchaus qualifiziert und bestens geeignet, das genauso gut oder genauso schlecht, wie es ein Richter kann, zu tun.

Wahr ist allerdings, dass wir zu wenige sind, um jetzt auch noch diese neuen Aufgaben zusätzlich zur Diversion – diese war ja ebenfalls eine neue Aufgabe – zu bewältigen, und zwar so zu bewältigen, wie es der Entwurf erklärtermaßen will: als ein aktives Organ der Justiz, das die Erhebungen kontrolliert und auch wirklich leitet.

Ich bin mit Bertel einig – er musste leider schon weggehen – in dem, was er vor einem Jahr in Ottenstein gesagt hat: Die Polizei ist im Begriff, mit diesem Entwurf – damals war es noch der Entwurf – ihre ohnehin lockere Kontrolle durch die Justiz nun vollends abzustreifen. – Das hat, glaube ich, etwas Wahres an sich, und ich werde mich bemühen, das auch im Zuge der Generaldebatte näher zu beleuchten.

Was die Personalsituation anlangt, ist es so, dass wir in Österreich 180 Staatsanwälte in erster Instanz haben; dem stehen aus dem Innenressort 30 000 Polizisten und Gendarmen gegenüber, die unter anderem auch Kriminaldienst versehen. Schauen Sie sich die Zahlen in Deutschland an; dort gibt es ein System, das dem der Regierungsvorlage in weiten Bereichen gleicht oder zumindest ähnlich ist. Man kann die Zahlen dort zwar nicht berechnen, wohl aber schätzen: Deutschland hat die zehnfache Einwohnerzahl und ungefähr die zehnfache Anfallszahl von Strafverfahren, gleichzeitig aber 25-mal so viele Staatsanwälte wie Österreich; und die Kollegen dort klagen immer noch, dass ihnen ihre Tätigkeit durchaus nicht leicht fällt. Von der österreichischen Standesvertretung werden 200 Planstellen gefordert; das würde eine Verdoppelung bedeuten, aber diese Forderung ist, im Lichte des Vergleichs mit Deutschland betrachtet, sehr moderat, weil es eigentlich das Zweieinhalbfache sein müsste. Es handelt sich also um eine sehr moderate Forderung!

Zweitens ist das vielleicht der Preis, den der Rechtsstaat kostet. In diesem Hause wurde unlängst eine Debatte über die Sicherung der Lufthoheit geführt, und da ist auch gesagt worden, dass die Neutralität etwas kostet. Auch der Rechtsstaat kostet etwas, er kostet einen winzigen Prozentsatz des Preises für die Sicherung der Lufthoheit, und ich glaube nicht, dass er weniger wert sein dürfte, sodass man dieses Geld aufbringen müsste. Andernfalls müsste man einbekennen, dass man sich diese Reform doch nicht leisten kann, und sie auf einen Zeitpunkt verschieben, zu dem es um die Staatsfinanzen wieder besser bestellt ist.

Der Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte, Wolfgang Swoboda, hat in der letzten Sitzung gesagt: Der österreichische Staatsanwalt ist nicht fit für diese Reform. Das war auch Kritikpunkt von Herrn Sektionschef Miklau; er hat gesagt: Und ihr sagt, ihr seid nicht fit. – Ich kenne meinen Freund und Kollegen Wolfgang Swoboda lange und gut genug, um zu verstehen, wie er das gemeint hat. Er ist Sportler, deshalb versuche ich auch, einen sportlichen Vergleich anzustellen. Kein Mensch wird ernsthaft behaupten, dass Thomas Bubendorfer ein schlechterer Bergsteiger oder Sportler als Reinhold Messner ist, oder umgekehrt. Der Unterschied zwischen den beiden liegt darin, dass im Extremfall Herr Messner mit einem Seil gut gesichert ist; er braucht dieses Seil vielleicht ein Mal im Leben, aber wenn er es braucht, dann ist es bitter notwendig.

Das ist auch der Punkt, dass dieses Rettungsseil den Staatsanwälten im Notfall fehlt: neben dem Weisungsrecht, das man nicht ausklammern sollte, hieße dies auch ein auf die Bedürfnisse des Staatsanwaltes neuen Zuschnitts abgestelltes Dienstrecht, in dem auch diesen neuen Aufgabenbereichen Rechnung getragen wird. Kollege Geyer hat das sehr gut gesagt: Es kommt auf den Anschein an. So kommt es auch auf den Anschein an, dass der Staatsanwalt eben nicht gesichert zu sein scheint und dass man ihm deswegen weniger zutraut, dass man ihm nicht zutraut, dass er im Extremfall ein Hindernis überwindet, wenn er die entsprechende Sicherung nicht hätte, unabhängig davon, ob es der einzelne Kollege dann tun würde oder nicht. Der Anschein macht es also wirklich aus.

Sektionschef Miklau hat in der letzten Sitzung darauf hingewiesen, dass europaweit der Trend in die Richtung geht, die einzelnen Staatsanwaltschaften, nicht aber die Untersuchungsrichter zu vernetzen. Das ist richtig, aber man muss, wenn man diesen Blick über die Grenzen wagt, sich die Staatsanwaltschaften dort anschauen: wie die Staatsanwaltschaften in Europa organisiert sind und welches Dienstrecht die Kollegen dort haben. Vor allem, wenn man in die Reformländer schaut, sieht man, dass man sich dort ein Weisungsrecht, wie wir es haben, politisch einfach nicht mehr antut, sondern dazu übergegangen ist, weit modernere und bessere Systeme zu entwickeln. Der weisungsfreie Staatsanwalt ist von der Standesvertretung nie gefordert worden, weil ja der Staatsanwalt irgendwie kontrolliert werden muss, aber man muss sich überlegen, wie man das Dienstrecht und das Weisungsrecht ausgestaltet. Ich meine, dass der österreichische Staatsanwalt so, wie er sich in seinem Dienstrecht jetzt darstellt, ein europäischer Dinosaurier ist. Mit Ausnahme von Deutschland gibt es kein Land mehr, in dem dieses unumschränkte Weisungsrecht eines Regierungsmitglieds gegenüber der Staatsanwaltschaft noch besteht.

Das Gelingen der Reform wird wesentlich davon abhängen, welche Stellung der Staatsanwalt gegenüber der Kriminalpolizei innehat. Auch dieser Punkt scheint mir sehr wichtig zu sein. Bitte lösen Sie sich von der Vorstellung, dass der Staatsanwalt nur die fahnenfertige Anzeige zum Gericht transportiert, indem er sie eben in eine Anklage gießt und „Strafantrag“ oder „Anklageschrift“ drüberschreibt. Die Rolle des Staatsanwaltes ist bereits jetzt eine viel bedeutendere und vielfältigere als die bloße Bestimmung zum Transporteur.

Wenn Sie sich die geltende Strafprozessordnung ansehen, dann werden Sie in § 36 einen letzten Satz finden – der § 36 regelt die Zusammenarbeit oder das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörde –, in dem es, nachdem festgelegt worden ist, dass der Staatsanwalt alle Behörden in Anspruch nehmen kann, die ihm im Sinne der Amtshilfe Hilfe leisten, heißt: „Die Sicherheitsbehörden und deren untergeordnete Organe haben ihren Anordnungen – nämlich den Anordnungen der Staatsanwälte – Folge zu leisten.“ – Zitatende. Das ist ein Verhältnis, das von vielen, auch in der Lehre, als ein Weisungsverhältnis oder ein weisungsähnliches Verhältnis gesehen wird. Jedenfalls kann der Staatsanwalt Anordnungen erteilen. Wenn Sie sich im Gegenzug § 80 der Regierungsvorlage ansehen, dann sehen Sie, dass genau diese Bestimmung durch eine bloße Amtshilfebestimmung ersetzt wird. Da kann die Polizei dann die Hindernisse mitteilen, die dem entgegenstehen. Das ist also vergleichbar mit § 26, diese Amtshilfebestimmung, die für das Gericht vorgesehen ist, und dadurch wird der Staatsanwalt auch gegenüber der ohnedies schon übermächtigen Polizei sehr geschwächt.

Ich glaube, dass wir im Zuge der Spezialdebatte auf dieses Verhältnis noch näher werden eingehen müssen, und möchte es zunächst dabei bewenden lassen. Nur jenen Vergleich, den Werner Pleischl heute Vormittag gebracht hat, nämlich den Vergleich mit dem Direktor, der sich informieren lässt und dann Anordnungen gibt, möchte ich noch einmal aufleben lassen: Einen Direktor, dem die entgegenstehenden Hindernisse bekannt gegeben werden beziehungsweise der Anordnungen begründen muss, oder dem man auf sein Verlangen sagt: Zuerst möchte ich es schriftlich haben, zuerst möchte ich es begründet haben!, habe ich noch nie gesehen! Es gibt zugegebenermaßen ein Argument, das für diese Begründung spricht: Das ist das Weisungsrecht des Bundesministers für Justiz, das schriftlich und begründet sein muss. Da hat man aber eine ganz andere Zielsetzung, da will man von vornherein den Anschein eines Missbrauches ausschließen.

Direktor Ministerialrat Dr. Herwig Haidinger (Bundeskriminalamt): Ich habe das große Glück, mich nicht auf die Zunge beißen zu müssen, weil die Rednerliste für mich spricht, und kann auf einiges eingehen, was sehr geschätzte Leute hinsichtlich der Kriminalpolizei vorhin treffend gesagt haben, wobei aber einiges zu relativieren ist.

Die DNA-Analyse ist im SPG-Bereich geregelt, und jetzt auch im vorliegenden Entwurf für das Strafverfahren. Ob das eine mit dem anderen verknüpft werden kann, ist eine weit führende Frage. Ich sehe es so: Wenn Sie das tun, haben Sie ein Ergebnis. Das Ergebnis heißt, die biologische Spur stimmt entweder mit dem Verdächtigen überein oder nicht. Das heißt, er ist auszuschließen, er war es nicht, er ist entlastet – oder seine Spur ist dort.

Zweitens: Die Berichtspflicht ist in der Neuregelung des strafprozessualen Vorverfahrens ein Mindeststandard. Spätestens nach drei Monaten – die anderen Fälle ausgenommen – hat die Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft zu berichten. Es steht dem Staatsanwalt frei – und das tut der engagierte Staatsanwalt heute ohnehin –, auch vorher einen Bericht einzufordern.

Zu dem Thema von heute Vormittag, ob es ein Haus für Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei geben sollte – eine interessante Variante –: Europol und Eurojust bauen ein Haus im Jahre 2006.

Sehr geschätzter Herr Staatsanwalt Geyer! Sind nicht Sie selbst das beste Beispiel dafür, dass ich als Repräsentant der Kriminalpolizei heute hier behaupten kann, dass wir jetzt das Modell des Untersuchungsrichters nicht mehr brauchen? – Ich wüsste nicht, welcher Untersuchungsrichter in Österreich das Verfahren, das Sie zuletzt gegen Herrn B. geführt haben, besser, schneller, gescheiter und effizienter als Sie gemacht hätte. (Staatsanwalt Mag. Geyer: Das ist unfair!) Hätten wir 200 Geyer mehr in Österreich, wir bräuchten keinen U-Richter mehr für die Ermittlungstätigkeit! Das soll keine Herabwürdigung des Systems sein, sondern ich gehe als Vertreter der Kriminalpolizei davon aus, wie effizient es möglich ist, Strafverfolgung zu betreiben.

Damit zum allgemeinen Teil. – Die Rechte des Beschuldigten zumindest beizubehalten, aber doch zu stärken, den Opferschutz auszubauen und zugleich eine effiziente Strafverfolgung zu gewährleisten – das ist ein Spannungsbereich, den dieser Entwurf meiner Ansicht nach gut gelöst hat. Die Frage ist, welche Alternativen es zu diesem Entwurf gibt, generell betrachtet und unter Berücksichtigung der Erfahrung der Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in den letzten Jahren.

Die Kriminalpolizei in Österreich sucht das Korrektiv, sie scheut es nicht. Ich möchte haben, dass Ermittlungen im Vorverfahren in hoher Qualität durchgeführt werden. Das geht nur in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft. Was hier in viele gesetzliche Bestimmungen gegossen und in Worte gekleidet worden ist, entspricht bestehender Praxis. Eine Investition in Ermittlungen über sechs Monate hinweg mit hundert eingesetzten Beamten nützt niemandem etwas, wenn ich nach sechs Monaten vom Staatsanwalt erfahre: das klage ich nicht an, oder: hier stelle ich die Ermittlungen ein. Wir haben uns in umfangreichen Verfahren schon seit längerem daran gewöhnt. Hier sind Beispiele aus Deutschland genannt worden, und ich sage Ihnen, die Staatsanwaltschaften und die Kriminalpolizei in Österreich sind um nichts schlechter oder ineffizienter als die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland und sind auch Vorbild für viele Länder.

Diese Zusammenarbeit ist als ein Paragraph festgelegt, aber das hätte nicht drinstehen müssen; dass Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei kooperieren, ist für ein effizientes Verfahren notwendig. Es ist aber ganz bewusst gefasst worden, und zwar von denjenigen, die diese hohe Qualität in dem Entwurf geschafft haben. Auch das möchte ich als Repräsentant der Kriminalpolizei Österreich jenen Leuten sagen, die dieses Werk gefasst haben, und ihnen für die intensive Einbindung, für vielerlei Streitgespräche und für ein Ergebnis, das einerseits Beschuldigtenrechte ausbaut – das ist Tatsache, im Gegensatz zum jetzigen Standard – und das auch eine effiziente Strafverfolgung ermöglicht, danken. In diesem großen Spannungsfeld ist ein Entwurf gefunden worden, der aus Sicht der Kriminalpolizei Effizienz machbar macht. Dass alles Geld kostet, ist uns allen längst klar; die Frage ist, wie viel Sie für einzelne Sparten aufwenden.

Verfahren werden heute, wie die Beispiele der letzten Jahre zeigen, in enger Kooperation von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei geführt. Es gibt allen Grund für die Staatsanwälte in Österreich, aber auch für die Kriminalpolizei, auf ihre Tätigkeit stolz sein zu können. Denn die Verfahren, die hier geführt wurden, haben in weiten Bereichen auch zu Verurteilungen geführt.

Wesentliches bringt dieser Entwurf – diese Bereiche sind heute schon angesprochen worden – in Bezug auf Offenheit und Klarheit. In diesem Entwurf ist geregelt und definiert, was eine Observation ist, was eine verdeckte Ermittlung ist, was ein Scheingeschäft ist. Das kann gefallen oder nicht, aber es ist angesprochen, und das ist ein wesentlicher Punkt. Hier gibt es aus meiner Sicht nichts, an dem vorbeiformuliert worden wäre, dadurch werden die Dinge klar, vorhersehbar und nachprüfbar. Mit diesem Entwurf ist die Kriminalpolizei in Österreich im Wesentlichen einverstanden. Einzelne Dinge werden sich noch ergeben; das ist ja wohl auch der Sinn dieses Ausschusses.

Ein Wort noch zur Führung: Wie zuvor schon richtig gesagt worden ist, leitet ja auch jetzt der Staatsanwalt das Verfahren. Er leitet es in der Neuregelung des strafprozessualen Verfahrens ebenfalls, und da hat die Kriminalpolizei Ja gesagt. Das haben manche anders gesehen und einige anders erwartet. Aber wenn es um Strafverfolgung geht, dann geht es nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um Effizienz des Verfahrens, um Ausschluss desjenigen, der mit der Tat nichts zu schaffen hatte, um Dinge klarzustellen und um effiziente Verfolgung. Wenn jetzt der Staatsanwalt in den Vordergrund tritt, leitet er das Verfahren wie bisher. Er kann künftig selbst vernehmen – ja, warum denn nicht? Ich kenne viele Amtshandlungen, in denen ich mir gewünscht hätte, dass der Staatsanwalt da gewesen wäre. Der Staatsanwalt wird aber auch nach der neuen StPO nicht der Feldherr sein, solche werden immer weniger. Teamarbeit heißt heute, Verantwortung zu verschränken.

Es wurde auch gesagt, dass die einen die Verantwortung und die anderen die Macht hätten. Wenn Sie das so sehen wollen – ist es aber nicht in sehr vielen Über- und Unterordnungsverhältnissen so? Oder kennen Sie einige, die das ganz klar trennen? – Heute nicht mehr!

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Straflegislativsektion): Damit ich nicht in den Geruch komme, immer nur den Entwurf zu verteidigen, möchte ich daran anknüpfen, was Professor Burgstaller bei der ersten Experten-Anhörung in seiner einleitenden Stellungnahme gemeint hat, mich auch für die Trennung zwischen der vollbrachten Leistung einerseits und der Kritik beziehungsweise der inhaltlichen Auseinandersetzung andererseits bedanken und das in dieser Form auch für mich als Anerkennung nehmen.

Wir sollten auch darstellen, inwieweit wir uns mit Alternativen zu diesem Entwurf auseinander gesetzt haben. Es waren ja Professor Burgstaller und Professor Fuchs, die Alternativen in die Reformdiskussion eingebracht haben, und zwar beide – jetzt sehr verkürzt dargestellt – unter dem Titel: „Machen wir doch eine kleine Reform“. Eine kleine Reform würde im Wesentlichen die Beibehaltung der Trennung der Verfahrensabschnitte: polizeiliches Vorverfahren, Vorerhebungen und gerichtliche Voruntersuchung bedeuten. Professor Burgstaller hat explizit gemeint, die Regelung des polizeilichen Vorverfahrens sei in dem Entwurf im Großen und Ganzen zufrieden stellend gelöst worden, das sollte man übernehmen, aber sonst im Wesentlichen an der geltenden Verfahrensstruktur nichts ändern.

Im Grundsatz kann man das überlegen, und das haben wir auch lange ventiliert. Aber was bleibt dann übrig? – Wir bekommen ein durchgängig geregeltes Vorverfahren für die Polizei, für die Sicherheitsbehörden, für den Einsatz der Kriminalpolizei im Dienste der Strafjustiz; daran anschließend ein System gerichtlicher Vorerhebungen, die nach dem Wortlaut des Gesetzes nur dazu dienen sollten, dem Staatsanwalt Anhaltspunkte für die Frage, ob ein Strafverfahren einzuleiten ist, zu liefern; und daran anschließend – oder möglicherweise überlappend – eine gerichtliche Voruntersuchung. Diese Verbindungen zu schaffen, kann, glaube ich, kaum zufrieden stellend gelöst werden.

Wenn man also von einer kleinen Reform spricht, dann sollte man auch anerkennen, dass man die unrealistischen Bestimmungen im Bereich der gerichtlichen Voruntersuchung in einem modernen Gesetz nicht so stehen lassen kann. Tatsache ist es eben, dass der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung nicht in dieser Unmittelbarkeit führt, wie ihm das Gesetz dies eigentlich vorschreiben würde. Das geht auch gar nicht. Daher ergibt sich die Frage: Soll man an unrealistischen Bestimmungen festhalten?

Dann müsste man wohl auch die Voruntersuchung inhaltlich gründlich reformieren, und dasselbe gilt wohl auch für Vorerhebungen. Natürlich hat sich die Praxis vom Gesetzeswortlaut weg entwickelt, es ist ein richtiges Verfahren, das hier die Staatsanwaltschaften führen. Deswegen verstehe ich auch nicht den Einwand des Kollegen Geyer. In 80 Prozent der Fälle werden Vorerhebungen geführt, und da ist wohl jetzt schon der Staatsanwalt derjenige, der sowohl die Ermittlungen in Auftrag gibt als auch über die Anklage entscheidet, und wir haben in 20 Prozent der Fälle immerhin unmittelbar einen Strafantrag beziehungsweise unmittelbare Anklage, wobei es zu überhaupt keiner Einschaltung des Gerichts kommt. Auch das sollte man sagen. Da ist dann der Entwurf auch wieder nicht so revolutionär.

Daher würde diese kleine Reform in Wirklichkeit eine große Reform mit völlig anderen Voraussetzungen bedeuten. Man kann nicht dem bisherigen, alten Verfahren etwas Modernes voranstellen, sondern man müsste zwingend gerichtliche Vorerhebungen und gerichtliche Voruntersuchung modernisieren und den heutigen Erfordernissen anpassen. Es wäre dann ein ganz anderer Entwurf, mit all den Fragen, die ja auch Kollege Geyer angesprochen hat.

Zu einem zweiten Untersuchungsrichter oder einem Richter, der dann über Grundrechtseingriffe entscheidet: Auf diesen Richter trifft wohl dasselbe zu wie das, was Geyer in seiner Kritik uns vorgeworfen hat, nämlich dass dieser Richter immer schlechter informiert ist als der derzeitige Richter. Da kann ich nicht ganz nachvollziehen, was dadurch in dem System verbessert werden könnte. Die Formulierung, die uns vorgeschlagen wurde, lautet: „in den Fällen einer Untersuchungshaft, in Strafsachen, die von besonderem öffentlichen Interesse sind“, und in Klammer: Verweis auf § 8 Abs. 1 StAG. – Ich darf daran erinnern, dass wir lange über diese Art der Eingrenzung diskutiert haben und eigentlich übereinstimmend der Ansicht waren, dass dieser Verweis auf ein besonderes öffentliches Interesse zur Abgrenzung nicht tauglich ist. Jetzt wird es uns wieder als Vorschlag präsentiert. Ich möchte dazu feststellen, dass wir uns auch mit diesen Alternativen auseinander gesetzt haben.

Was die Frage des Auseinanderfallens von Macht und Verantwortung betrifft, kann ich im Grunde an den Direktor des Bundeskriminalamtes anschließen. Ich verstehe auch nicht ganz, dass sich die Kritik immer am § 102 entzündet, worin angeordnet ist, dass die Staatsanwaltschaft in besonderen Fällen eine Begründung für ihre Anträge abzugeben hat. Es ist, glaube ich, schon heute so, dass ich der Kriminalpolizei sage, aus welchem Grund ich eine Zeugenvernehmung haben will und was ich mir als Staatsanwalt erwarte, wenn ich den Auftrag gebe, dass die Kriminalpolizei ermitteln soll. So ungewöhnlich ist das also nicht. Wenn man schon davon spricht, dass der Staatsanwalt zum Teil ein anderes Rollenverständnis, ein anderes Rollenbild bekommen soll – von einem Richter erwartet man sich bei all seinen Entscheidungen mit Recht eine Begründung, und in manchen Dingen sollten sich auch die Staatsanwälte daran gewöhnen!

Hinsichtlich der Debatte über die steigenden Untersuchungshäftlingszahlen sage ich nur, dass man da auch einmal nachforschen müsste, worauf es zurückzuführen ist, dass im Bereich des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, der Staatsanwaltschaft Wien, 50 Prozent der Untersuchungshäftlinge wieder entlassen werden. Diese Zahl ist auffällig, mit deren Ursachen sollten wir uns näher auseinander setzen: wie heute das System bezüglich staatsanwaltschaftlicher Antragstellung – wie genau diese Antragstellung ist – und richterlicher Entscheidung über die Haft aussieht.

Nun noch kurz etwas zu der Stellungnahme des Weißen Ringes, die heute verteilt worden ist: Der Weiße Ring weist darin auf den Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren hin und meint, in manchen Punkten werde der Entwurf den Vorgaben nicht gerecht. Das beginnt schon mit dem Hinweis, dass der Entwurf nicht den Begriff des „Opfers“ verwendet – dankenswerterweise hat heute schon Kollege Soyer auf die Problematik dieser Begriffsbestimmung hingewiesen. Dann wird relativ kühn die Meinung vertreten, dass der Begriff des „Geschädigten“ die Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses nicht erfüllt.

Das möchte ich gerne klarstellen: Nach dem Rahmenbeschluss lautet die Definition des „Opfers“: „eine natürliche Person, die einen Schaden, insbesondere eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Unversehrtheit, seelisches Leid oder einen wirtschaftlichen Verlust als direkte Folge von Handlungen oder Unterlassungen erlitten hat, die einen Verstoß gegen das Strafrecht eines Mitgliedstaats darstellen können“. Angeknüpft wird also an den Schaden, der insbesondere demonstrativerweise aufgezählt wird.

Wie lautet die Definition in dem vorliegenden Entwurf? – „Geschädigter“: „jede Person, die durch eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung Qualen erlitten haben oder schwer am Körper verletzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sein könnte“, zusätzlich „der Ehegatte, die Eltern und die Kinder einer Person, deren Tod durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden sein könnte“, und zusätzlich „jede andere Person, die durch eine strafbare Handlung einen Schaden erlitten haben und aus diesem Grund privatrechtlichen Anspruch geltend machen könnte“. – Der Schadensbegriff ist umfassend. Ich sehe daher nicht, inwieweit der Begriff des Opfers nach dem Rahmenbeschluss über unsere Definition hinausgeht.

Zu dem Hinweis auf die Verpflichtung, dem Opfer alle Auslagen zu ersetzen: Das bedeutet noch keineswegs eine Verpflichtung, jedem Opfer einen Verfahrenshilfeanwalt bereitzustellen. Es ist nämlich hinreichend klar, dass auch schon mit der geltenden Regelung über die Bestimmung der Kosten der notwendigen Vertretung eines Geschädigten, die dann als vorprozessuale Kosten oder direkter Schaden geltend gemacht werden können, dieser Anspruch grundsätzlich erfüllt wird. Daher liegt dieser Forderung eine Überinterpretation der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses zugrunde.

Zur Prozessbegleitung meine ich, dass wir dieses Produkt Prozessbegleitung, das wir zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Regierungsvorlage noch nicht abschließend bewerten konnten, sicherlich gerne – und mit Hilfe der Abgeordneten – in dem Entwurf näher verankern würden. Die Prozessbegleitung hat sich bei der schonenden Befragung, insbesondere bei der schonenden Befragung von Unmündigen und Opfern von Sexualtaten, als gutes Instrument erwiesen, um eine Zusammenarbeit mit der Justiz zu fördern und die Justiz auch zu entlasten. Hier könnte man, auch im Sinne der Stellungnahme des Weißen Ringes, den Entwurf noch verbessern.

Wenn gemeint wird, dass die Regierungsvorlage keinerlei Schutz der Zeugen und insbesondere der Opfer vor Lichtbildaufnahmen und dergleichen vorsieht, stelle ich dazu fest, dass die große Diskussion um § 56, der jetzt § 54 ist, eigentlich all diese besonders schutzwürdigen Interessen im Auge hat und in dieser zentralen Bestimmung alle bisherigen, verstreuten Bestimmungen wie auch § 47a der Strafprozessordnung aufgefangen worden sind. Auch hier vermag ich keinen Widerspruch zum Rahmenbeschluss zu sehen.

Zum Recht auf unverzügliche Rückgabe sichergestellten Eigentums möchte ich kurz Folgendes sagen. Es findet sich in der Stellungnahme des Weißen Ringes dieser Hinweis: „Im Entwurf fehlt eine entsprechende Bestimmung, die die unverzügliche Rückgabe sichergestellten Eigentums vorsieht, sofern dieses nicht für die weitere Verfahrensführung unbedingt benötigt wird.“ – Es fehlt aber der Hinweis darauf, dass der Entwurf zum ersten Mal eine ausdrückliche Sicherstellungsermächtigung und Beschlagnahmebefugnis zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche vorsieht. Nicht gesehen wird auch die Bestimmung des § 114 Abs. 2 des Entwurfs, worin gerade vorgesehen ist, dass diese Gegenstände, wenn sie aus Beweisgründen nicht mehr erforderlich sind, demjenigen zurückzustellen sind, bei dem sie sichergestellt worden sind, beziehungsweise demjenigen, dem sie auf Grund der zweifelfreien Rechtsansprüche zustehen. Diese Verpflichtung ist daher meines Erachtens im Entwurf sehr wohl vorgesehen.

Auch in dem Hinweis auf eine weitere Ausweitung der schonenden kontradiktorischen Vernehmungen wird der Inhalt des Rahmenbeschlusses überinterpretiert. Der Rahmenbeschluss stellt sehr wohl auf die Verfahrensgrundsätze ab. Ich glaube, Österreich hat die weitestgehende Möglichkeit, von einer Vernehmung im Hauptverfahren abzusehen und eine kontradiktorische Vernehmung durchzuführen, mit dem darauf folgenden Recht, sich jeder weiteren Befragung entschlagen zu können. Das ist eine deutliche Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, und diese Grundsätze des Strafverfahrens werden in den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses, die da zitiert werden, ausdrücklich als Möglichkeit der Einschränkung dieser Verpflichtung gesehen.

Ich denke auch nach genauer Prüfung des Rahmenbeschlusses, dass wir zwar nicht über den Rahmenbeschluss hinausgegangen sind, ihn aber erfüllt haben. Zudem möchte ich auch auf das Gutachten hinweisen, das dem Österreichischen Juristentag dieser Tage vorgelegen ist, und zwar darüber, wie die Stellung des Opfers beziehungsweise die Verbesserung der Rechtsstellung des Opfers aus anderer Sicht gesehen wird. Nämlich so: „Die volle Beteiligung am Verfahren auf Grund objektiv-persönlicher Betroffenheit und eines besonderen Grads der Viktimisierung, ungeachtet des Bestehens privatrechtlicher Ansprüche aus der strafbaren Handlung, ist auch im Hinblick auf Art. 6 der Menschenrechtskonvention höchst problematisch und geeignet, eine Emotionalisierung des Verfahrens zu bewirken, die mit dem legitimen rechtsstaatlichen Interesse des Angeklagten kollidieren könnte.“ – Auch da geht es im Verhältnis zwischen „mögliches Opfer einer Straftat“ und „Rechte des Beschuldigten“ um einen Ausgleich und eine Wahrung der Balance.

Ich glaube, wie auch bei den Verteidigungsrechten und der Ermittlungseffizienz befindet sich der Entwurf hier in einer guten Mittelposition, wenngleich ich zugestehen möchte, dass man die Prozessbegleitung selbst als Institut im Entwurf besser verankern kann und soll.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter weist darauf hin, dass die Möglichkeit besteht, die Verfassungsthematik neu aufzurollen, wenn es beispielsweise in Bezug auf die glamourösen Fälle zu einem Abänderungsantrag kommen sollte. Dann ergäbe sich ein Bedarf, aufs Neue verfassungsrechtlich zu prüfen, ob eine Abgrenzung der glamourösen Fälle von den anderen Fällen und somit Verfahren erster und zweiter Klasse dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen würden.

Universitätsdozent Rechtsanwalt Dr. Richard Soyer: Ich bin sehr froh darüber, dass Herr Oberstaatsanwalt Mag. Pilnacek zur Stellungnahme des Weißen Ringes diese klarstellenden Worte gesagt hat. Ich war mir heute Vormittag bewusst, dass es vielleicht eine etwas provokante Bemerkung ist, zu sagen, dass es erst mit Rechtskraft des Strafurteils ein Opfer gibt, und kann das gerne dahin gehend präzisieren, dass erst mit Rechtskraft des Strafurteils feststeht, ob der Geschädigte Opfer einer strafbaren Handlung ist. Daran möchte ich aber schon festhalten.

Ich habe am Vormittag eine zweite Bemerkung gemacht, die den Leitenden Oberstaatsanwalt von Wien, Dr. Pleischl, herausgefordert hat. Er meinte: Was haben Ausführungen zum Beweis, was hat das Beweisantragsrecht mit Verfassungsrecht zu tun? – Über diese Stellungnahme bin ich eigentlich sehr froh, so lässt sich nämlich ein ganz wichtiger Aspekt auf den Punkt bringen. Das Beweisantragsrecht hat sehr viel mit dem Verfassungsrecht zu tun, weil Art. 6 MRK das Recht auf ein faires Verfahren garantiert. Das Verfahrensfairnessprinzip beinhaltet eine effektive Verteidigung, und eine effektive Verteidigung ist nur dann zu gewährleisten, wenn unter anderem die Verteidigung ein Beweisantragsrecht hat, das nicht zahnlos ist.

Ich glaube aus der Sicht der Strafverteidigung, aus der Sicht der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, dass dem Aspekt der effektiven Verteidigung noch nicht hinreichend Rechnung getragen worden ist. Die Art, wie Verteidigerkontakte überwacht werden können, die Art und Weise, wie das Beweisantragsrecht geregelt ist, das ineffektive Verfahrenshilfesystem ohne persönliche Leistungsanreize für die Verteidiger, das Faktum, dass es praktisch keine Verwertungsverbote gibt, die Tatsache, dass nach der Regierungsvorlage keine uneingeschränkte Akteneinsicht für den verhafteten Beschuldigten vorgesehen ist, und die 48-stündige polizeiliche Verwahrungshaft, die den technischen Gegebenheiten des vorvergangenen Jahrhunderts Rechnung trägt, lassen eine andere Beurteilung aus meiner Sicht nicht zu.

Ein zweiter Punkt, den ich kurz zur Sprache bringen möchte, ist ein wenig provoziert durch die Ausführungen des Herrn Staatsanwaltes Geyer, der zum Auftragsverhältnis betreffend das Gutachten von Öhlinger und Funk und das Justizministerium Ausführungen machte, die mich zu einer ganz anderen Überlegung veranlasst haben.

Ich möchte hier ganz entschieden darauf hinweisen, dass die Regelung des Sachverständigenbeweises im künftigen Vorverfahren nicht zufrieden stellend ist: Das Thema der so genannten Privatgutachten ist ausgeklammert. Ich darf daran erinnern, dass im Diskussionsentwurf vorgesehen war, dass es auch der Verteidigung möglich ist, Privatgutachten, also privat in Auftrag gegebene Gutachten, einzuholen, dem Gericht vorzulegen und damit eine Auseinandersetzungspflicht des Gerichtes zu veranlassen. In der nunmehr vorliegenden Regierungsvorlage besagt demgegenüber § 126 Abs. 3, erster Satz: „Sachverständige sind möglichst im Einvernehmen mit der Kriminalpolizei durch die Staatsanwaltschaft, für gerichtliche Beweisaufnahmen ... und nach Einbringen der Anklage jedoch durch das Gericht zu bestellen.“ Ein Privatgutachten soll es nach dieser Regierungsvorlage nicht geben.

Ich halte das zu Beginn des 21. Jahrhunderts schlicht und einfach für völlig inakzeptabel. Sachverständigenfragen sind auch in einem Gerichtsverfahren einer Diskussion zuzuführen! Ich darf auch darauf hinweisen, dass das Privatgutachten schon derzeit im Wiederaufnahmeverfahren zugelassenes novum productum ist, und immer wieder auch im Verfahren, vor allem im Geschworenenverfahren, sozusagen über das Wiederaufnahmeverfahren versucht werden muss, die Vielschichtigkeit von Tatfragen aufzufächern. Es kann doch nicht so sein, dass im 21. Jahrhundert ein kompetentes Privatgutachten nicht in ein Verfahren eingeführt werden kann!

Ich mache auch darauf aufmerksam, dass das evidente Ungleichgewicht zwischen der Stellung der Staatsanwaltschaft, die es dann in der Hand haben wird, Gutachter zu bestellen, und den Rechten der Verteidigung keine Balance herstellt, wie sie geboten ist. Daher verstehe ich es natürlich, wenn die Stellungnahme des Herrn Dr. Haidinger in dem Punkt, wie das Spannungsverhältnis gelöst wird, sehr positiv ausfällt. Aus der Sicht der Strafverteidigung möchte ich jedoch sagen: Wenn es nicht signifikante Verbesserungen der Verteidigungsrechte gibt, so ist der Entwurf eine halbe Sache. Das sollte er nicht sein, weil er einen ganz anderen Anspruch verfolgt und in vielen Dingen meines Erachtens auch erreicht hat.

Rechtsanwalt Dr. Rudolf Breuer (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Ich darf nur eine kurze Ergänzung zu dem vornehmen, was ich am Vormittag dargelegt habe, und möchte auf die Frage der Akteneinsicht auch aus der Sicht der Praxis des Strafverteidigers eingehen.

Wenn Sie einen Klienten zu vertreten haben, der sich in Untersuchungshaft befindet, dann sind Sie, um dessen Rechte wahrzunehmen und wahrnehmen zu können, schlichtweg darauf angewiesen, dass Sie volle Akteneinsicht haben. Die grundlegende Voraussetzung der Untersuchungshaft ist der so genannte dringende Tatverdacht. Sie können den dringenden Tatverdacht nicht beurteilen, Sie können nicht beurteilen, ob er als dringend zu qualifizieren ist und inwieweit der Tatverdacht nach der Aktenlage tatsächlich gerechtfertigt ist, wenn Ihnen Teile des Aktes vorenthalten werden. Ich meine, man müsste hier eine Differenzierung vornehmen, zumindest zwischen Beschuldigten, die auf freiem Fuß befindlich sind, und solchen, die sich in Untersuchungshaft befinden. Bei Beschuldigten, deren Rechte auf Wahrung ihres Grundrechts der persönlichen Freiheit wahrzunehmen sind, muss die Möglichkeit bestehen, die volle Akteneinsicht zu haben, um auch zum dringenden Tatverdacht, zu den vollen Voraussetzungen der Untersuchungshaft tatsächlich Stellung nehmen zu können.

Die Problematik ist schon dadurch gegeben – und man muss sich einmal aus der Sicht der Praxis damit befassen –, dass die Verteidigung in einer Haftprüfungsverhandlung, wenn die Fortsetzung der Untersuchungshaft beschlossen wird, eine Frist von drei Tagen hat, um eine schriftliche Beschwerde auszuarbeiten. Das heißt, Sie haben zu dem Zeitpunkt, zu dem die Frist beginnt, nicht einmal den Beschluss, den der Untersuchungsrichter über die Fortsetzung der Untersuchungshaft auszufertigen hat. Es ist vielfach so – und das ist dann auch eine entsprechende Bemühung des Untersuchungsrichters; ich glaube, dass hier vielfach auch die Gerichte sehr überfordert sind –, dass man den Beschluss manches Mal am zweiten Tag der Frist, manches Mal am letzten Tag der Frist per Telefax übermittelt bekommt. Das heißt, der Verteidiger muss die Rechte eines Beschuldigten manchmal in einer Art und Weise wahrnehmen, dass man schon sagen muss, es ist fast ein Blindflug. Und ein Blindflug ist es dann, wenn zusätzlich noch wesentliche Aktenstücke von der Einsicht ausgenommen werden. Ich glaube, dass das bei Personen, die sich in Haft befinden und deren Grundrecht auf persönliche Freiheit wahrzunehmen ist, nicht gerechtfertigt ist.

Es ist mir ein besonderes Anliegen gewesen, das noch auszuführen, weil Herr Professor Bertel das am Vormittag in den Raum gestellt hat – absolut richtig! Ich glaube, dies wäre doch noch zu überlegen. Ich habe schon letztes Mal gesagt, die Regierungsvorlage ist durchaus positiv zu beurteilen, aber in gewissen Bereichen ist vielleicht eine Adaptierungsbedürftigkeit als gegeben anzusehen. Ich glaube, die Akteneinsicht ist eine unbedingte Notwendigkeit. Ich sehe auch nicht ein, weshalb gerade bei einem verhafteten Beschuldigten nicht Waffengleichheit hergestellt werden kann. Der Staatsanwalt kennt den Akt – insbesondere in seiner künftigen Funktion als Leiter der Ermittlung – von A bis Z, die Verteidigung aber kennt den Akt vielleicht nur zu 20 oder 25 Prozent und kann die Rechte eines Beschuldigten nicht entsprechend wahrnehmen.

Zusätzlich kommt, wenn aus bestimmten Gründen die Akteneinsicht beschränkt wird, weil die Ermittlungen gefährdet sein könnten, Folgendes hinzu: Wenn man darüber eine Entscheidung herbeiführen lässt, was wird dann in so einem Beschluss drinstehen können? – Wesentliches nicht, weil man damit wieder das würde eröffnen müssen, was eigentlich der Grund dessen ist, warum man mir die Akteneinsicht nicht gewährt! Als Richter hätte ich die Problematik, wie ich so einen Beschluss ausfertige und begründe, warum der Verteidiger nicht volle Akteneinsicht hat.

Ich glaube, wir müssen etwas ganz Wesentliches in den Vordergrund stellen. Hier geht es – und das ist mir in meiner gesamten Berufslaufbahn immer ein Anliegen gewesen – um das Grundrecht der persönlichen Freiheit, das ist etwas ganz Entscheidendes. Wir wissen aus der Praxis genau, dass es viele Verfahren gibt, in denen das Untersuchungsverfahren später eingestellt wurde und in denen es auch ein Unschuldiger über sich ergehen lassen musste, dass eine strafrechtliche Prüfung stattgefunden hat. Wir haben eben verfassungsrechtlich im Sinn des Art. 6 Abs. 2 MRK davon auszugehen, dass die Unschuldsvermutung besteht. Das ist etwas ganz Zentrales. Hier muss ich einem Beschuldigten alle Rechte in die Hand geben, sein Grundrecht auf persönliche Freiheit zu wahren und insbesondere dafür zu sorgen – man muss auch bedenken, dass es Leute gibt, die sich letztlich als unschuldig erweisen –, seine Rechte tatsächlich entsprechend durchsetzen zu können und auch eine geeignete Verteidigung zu bekommen.

Zu dem, was Herr Professor Bertel über das bereits mehrfach angesprochene Problem des so genannten Scheingeschäftes gesagt hat, möchte ich noch Folgendes anmerken: Ich teile die Meinung von Professor Bertel, dass die Abwicklung eines Scheingeschäftes nur dann möglich sein sollte, wenn es über richterliche Genehmigung stattfinden kann. Aus der Praxis möchte ich erwähnen, dass es vor vielen Jahren einen recht spektakulären Fall nach dem Suchtgiftgesetz gab, über den ein großer Artikel im „Kurier“ mit der Überschrift „Wenn die Handschellen klirren, dann klingelt die Kasse“ erschien. In diesem Artikel wurden – für mich nicht verifizierbar, ich kann es nicht überprüfen, sondern ich kann nur wiedergeben, was in der Zeitung stand – die Provisionen gegenübergestellt, die jeweils in Amerika, in Deutschland und in Österreich angeblich je nach der Menge des sichergestellten Suchtgiftes bezahlt werden sollen. Wenn das irgendeine Bedeutung oder Richtigkeit – ich kann das nicht beurteilen, ich kann es auch nicht überprüfen – für den Raum unserer Republik hätte, dann würde ich umso mehr begrüßen, das Professor Bertel gesagt hat: dass ein Scheingeschäft nur mit Zustimmung eines Richters abgewickelt werden kann.

Ein Letztes, was ich anmerken möchte, betrifft die mich immer sehr bewegenden Fragen der Haftgründe. Ich darf vielleicht ganz kurz § 173 Abs. 2 Z 3 lit. b ansprechen. In diesem Paragraphen heißt es: ... wenn befürchtet wird, dass „eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen“ begangen wird, „die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist ...“, wenn der Beschuldigte „entweder wegen einer solchen Straftat bereits verurteilt worden ist oder“ – und jetzt kommt der Halbsatz, auf den es mir ankommt: – „wenn ihm nunmehr wiederholte oder fortgesetzte Handlungen angelastet werden“.

Meiner Auffassung nach ist dieser zweite Halbsatz – man hat ja dann die Wiederholungsgefahr sozusagen in die Tatbegehungsgefahr umgemünzt, weil die Wiederholungsgefahr nicht mit der Unschuldsvermutung vereinbar war – nach wie vor mit der Unschuldsvermutung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Wenn ich jemandem eine wiederholte Tat vorwerfe, dann werfe ich ihm vor, dass er eine Ersttat begangen hat; er kann nur einen Wiederholung begehen, wenn er eine Ersttat begangen hat. Damit wird hier meines Erachtens bereits gegen den Begriff der Unschuldsvermutung ebenso verstoßen wie bei einer „fortgesetzten strafbaren Handlung“. Wenn ich „fortgesetzte strafbare Handlung“ sage, dann unterstelle ich entgegen der Unschuldsvermutung, dass er bereits eine strafbare Handlung in Bewegung gesetzt und unternommen hat. Daher bin ich der Auffassung, dass dieser Teil – das habe ich schon in meiner schriftlichen Stellungnahme zu dem seinerzeitigen Entwurf dargelegt – mit der Unschuldsvermutung nicht in Übereinstimmung steht und daher in dieser Form meiner Meinung nach nicht zu belassen wäre.

Das Letzte – vielleicht eingehend auf Herrn Professor Burgstaller vom Vormittag – betrifft die Abwägung der Interessen. Ich bin hier der Auffassung, dass die Europäische Menschenrechtskonvention Mindestverteidigungsrechte formuliert hat. Es wird derzeit für die Europäische Union ein einheitlicher Katalog erarbeitet, wonach in ihren Mitgliedstaaten gewisse Mindestverfahrensrechte von Beschuldigten garantiert sind. Da soll auch eine entsprechende Einheitlichkeit hinsichtlich dieser Mindestverfahrensrechte gegeben sein. Für mich ist es schlecht vorstellbar, dass für jemanden, der mit Verfassungsqualität als unschuldig zu gelten hat, dessen Mindestrechte, die ihm hier zuerkannt sind, noch irgendwo einer Abwägung dahin gehend unterzogen werden, ob diese Mindestrechte auf Grund einer Interessenabwägung dennoch in irgendeiner Form beschränkbar sind. Ich glaube, dass das nicht Platz zu greifen hätte, zumal der Schutz vor strafbaren Handlungen bei einer Strafverfolgung insofern nicht im Vordergrund steht, als man irgendwo noch eine Person vor einer bereits begangenen strafbaren Handlung schützen will, sondern das wäre wahrscheinlich in Richtung einer präventiven Vorgangsweise gemeint. Nur meine ich, die Rechte eines Beschuldigten und die Mindestrechte eines Beschuldigten, die ihm garantiert sind, sollten an und für sich keine Beschränkung mehr aus Überlegungen einer Interessenabwägung erfahren dürfen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter macht darauf aufmerksam, dass in einem schriftlichen Protokoll immer nur das zu lesen ist, was als gesprochenes Wort geäußert wird, nicht jedoch Meinungsbekundungen wie zum Beispiel Kopfschütteln, zustimmendes Nicken oder sonstige emotionale Äußerungen.

Vizepräsident Mag. Alfred Ellinger (Landesgericht Eisenstadt) (Obmann der Fachgruppe Strafrecht der Vereinigung der österreichischen Richter): Ich möchte an den Seufzer, den Herr Pilnacek am Vormittag ausgestoßen hat – „Gott sei Dank, es ist nicht alles schlecht!“; ich hoffe, ich zitiere ihn richtig – anknüpfen: Nein, es ist nicht alles schlecht, und die legistische Arbeit, die hier geleistet worden ist, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dennoch hält sich meine Freude als Richter, als Vertreter der Richtervereinigung und als Staatsbürger eher in Grenzen.

Ich kann bei meinen Ausführungen, die ich eher schlagwortartig halten möchte, auch auf das verweisen, was schon Herr Professor Burgstaller gesagt hat, was Frau Kollegin Partik-Pablé gesagt hat, was aber insbesondere auch Kollege Geyer heute gesagt hat, und kann mich darauf stützen. Auch der besseren Einprägsamkeit wegen scheint es mir geboten, mich kurz zu halten. Ich möchte auf drei Problemkreise eingehen: die Stellung der Polizei, die Stellung des Staatsanwaltes und die Stellung des Richters in diesem neuen Vorverfahren.

Die Polizei verfügt – das ist, glaube ich, unbestritten – in Bezug auf die Staatsanwaltschaft über die bessere Ermittlungskompetenz. Sie ist personell und materiell besser gerüstet als die Staatsanwaltschaft, sie ist rund um die Uhr einsatzfähig, und sie verfügt über die besseren Ermittlungsquellen. Wenn es daher nicht zu einer deutlichen Ressourcenvermehrung kommt, dann wird der Staatsanwalt eingezwängt sein zwischen dem faktischen Übergewicht der Polizei und seinen Weisungsgebern. Um nicht von der einen oder anderen Seite in Geiselhaft genommen zu werden, wird er sich dann, wie wir dies teilweise auch schon in Deutschland sehen, auf die Tätigkeit eines Staatsnotars zurückziehen: Er wird Anklagen verfassen.

Die Polizei wiederum wird, weisungsgebunden selbstständig agierend, sehr bald der Willkür geziehen werden, wenn sie eben nicht mehr ihre Aufträge vom weisungsfreien, unabhängigen Untersuchungsrichter erhält. Dazu kommt, dass das Weisungsrecht des Innenministers dem Staatsanwalt bei seinen Ermittlungen eine weitere Hürde beschert. Fragen der Kontrolle und wie intensiv und in welcher Weise diese durch den Staatsanwalt ausgeübt werden soll, scheinen mir nicht hinreichend geregelt zu sein. Angesichts des Trennungsgrundsatzes des Artikel 94 B-VG bedürfte meiner Auffassung nach auch der Rechtsschutz durch das Gericht einer verfassungsrechtlichen Absicherung.

Zur Stellung des Staatsanwaltes: Hier handelt es sich um eine tief greifende Änderung des gesamten Verfassungsgefüges. Der weisungsgebundene Staatsanwalt, der, wie ich glaube, auch ein ganz anderes Selbstverständnis als der Richter hat, wird – und das scheint mir eine Kernfrage zu sein – wohl kaum jemals die Akzeptanz erlangen, die der unabhängige Richter erlangt. Das hat nichts mit seiner Qualität, mit der Qualität seiner Arbeit oder mit seiner Position zu tun, sondern das ist einfach eine Tatsache.

Der Aufgabenbereich dieses Staatsanwaltes wird erheblich erweitert, die Involvierung in die Ermittlungstätigkeit kann nur mit gewaltiger Ressourcenvermehrung bewältigt werden. Hiezu bedarf es – und damit spreche ich die Kosten dieses Reformvorhabens an – einer entsprechenden Regelung, einer Garantie, sonst würde es mich daran erinnern, wie es wäre, würde ich in meiner Tätigkeit als Bauer in meinem Weingarten einen Brunnen graben, ohne zu wissen, ob ich überhaupt die Chance habe, auf Wasser zu stoßen. Das heißt, aus meiner Sicht muss die Frage der Ressourcenvermehrung – das heißt, im Konkreten gesagt, die Frage der Dienstposten – geregelt sein, bevor ich dieses Gesetzeswerk umsetzen möchte.

Das Wesen des Anklageprozesses scheint mir durch die Kompetenzverschiebungen zu den weisungsgebundenen Behörden jedenfalls nachhaltig verändert zu sein. Es scheint zumindest fragwürdig zu sein, ob die Neuregelung dem institutionellen Gehalt von Artikel 90 entspricht. Alle heute gehörten, äußerst interessanten Stellungnahmen der Verfassungsrechtler sowie auch das angesprochene Kurzgutachten – oder wenn ich mich vielleicht lieber auf den Artikel, der im Jahr 2001 in der ÖJZ erschienen ist, beziehe – vermeinen, dass es zumindest verfassungsrechtlich bedenklich ist. Ich würde keineswegs so weit gehen, dass ich sagen würde, es sei ein verbotenes Glücksspiel, dies umzusetzen, ohne es entsprechend verfassungsrechtlich abzusichern, aber Fahrlässigkeit könnte es allemal sein.

Die Verschiebung der Kompetenzen scheint mir eine Grundtendenz zu sein, die man wahrnehmen sollte, auch wenn man sagen will, dass das durchaus noch in den Bogen der Verfassungsmäßigkeit hineinpasst. Von der Tendenz her scheint es mir verfassungsrechtlich bedenklich zu sein, wenn ich eine Umverteilung von Befugnissen vornehme, einen Teil strafprozessualer Befugnisse der Sphäre der richterlichen Unabhängigkeit entziehe und der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft – wobei in der Weisungspyramide letztlich die Weisungsmöglichkeit beim Justizminister zusammenläuft – eingliedere.

Damit komme ich zum dritten Problemkreis, der Einschränkung des Aufgabenbereiches des Richters. Darin liegt aus meiner Sicht – und hier wähne ich mich einer Meinung insbesondere mit Herrn Kollegen Geyer, aber auch mit Herrn Professor Burgstaller – das Hauptproblem der gesamten Reform. Es sind in der Ermittlungstätigkeit im gesamten Vorverfahren nur noch Weisungsgebundene am Werk; lediglich der Rechtsschutz ist dem Richter überantwortet. Ich bin daher schon vor Jahren – ohne dass ich dies mit Herrn Kollegen Geyer jemals besprochen hätte – zu der Auffassung gelangt, dass es zumindest einen Rest einer Voruntersuchung auch in einem neuen Verfahren geben muss, nicht nur aus Gründen der Akzeptanz, sondern auch, wie mir scheint, aus Gründen schierer Vernunft. Denn ich bin zu denselben drei Punkten gelangt, wobei mir vor allem jene Fälle, in denen es um Haft geht, besonders am Herzen liegen.

Ich glaube, dass es rein aufgrund der praktischen Gegebenheiten nicht sehr geschickt wäre, wenn hier der Untersuchungsrichter völlig ausgeschaltet wäre. Wie schon Herr Kollege Geyer angedeutet hat, wird es nämlich dann vorkommen, dass dem Richter ein großes Paket auf den Tisch gelegt wird und er über Grundrechtseingriffe entscheiden soll, ohne vom Gang des Verfahrens auch nur die geringste Ahnung zu haben. Dann wird es zu echten Doppelgleisigkeiten kommen, denn ein seriöser Richter wird sich entsprechend vorbereiten müssen und erst dann entscheiden. Dann weiß er wieder lange Zeit nichts von diesem Verfahren, und daraufhin wird er möglicherweise wieder damit konfrontiert und beginnt wieder zu eruieren, was denn in der Zwischenzeit geschehen ist.

In der Frage der politischen Implikationen oder des besonderen öffentlichen Interesses bin ich der Meinung, dass es hier lediglich um die Frage der Akzeptanz geht. Stellen Sie sich einen Fall Omofuma vor – ich kann mich noch gut daran erinnern, wie der Journalist Kindermann im Fernsehen gesagt hat: Wir können ja nun vollkommen beruhigt sein, weil ein unabhängiger Untersuchungsrichter diese Vorwürfe prüfen wird! Andernfalls würde man wohl sagen: Aha, jetzt prüfen sie sich selbst! – Das scheint mir unerträglich zu sein. Daher glaube ich, dass es auch in solchen Verfahren sinnvoll wäre, wenn es da noch eine Voruntersuchung gäbe, und zwar gleichgültig, ob man das als obligatorische Voruntersuchung konstruiert oder in der Form, wie es Kollege Geyer dargelegt hat; auch dem könnte ich durchaus einiges abgewinnen.

Die Bestellung eines Sachverständigen ist heute angesprochen worden. Ich glaube auch, dass der Sachverständige vom Richter und nicht vom Staatsanwalt bestellt werden sollte – nicht, weil das eine so bedeutsame Entscheidung wäre, sondern deshalb, weil der Sachverständige sonst der einen oder der anderen Seite zugerechnet werden würde.

Die Zurückdrängung des Richters auf Rechtsschutz und Entscheidungsfällung scheint mir auch im Zusammenhang mit dem gesamten Reformvorhaben zu einem – das wurde auch schon angesprochen – wenig wünschenswerten Parteiprozess nach angloamerikanischem Muster zu führen.

Die Folgerungen, die ich aus diesem sehr kurz gehaltenen Statement ziehe, sind die, dass die Position des Staatsanwaltes, die diese Reform vorsieht, nur dann wirklich umgesetzt werden kann, wenn Vorsorge getroffen wird, dass die nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Der unabhängige Richter sollte in den genannten Fällen weiterhin in der einen oder anderen Form ermitteln können. Die Position des Staatsanwaltes scheint mir insgesamt, vor allem auch, was die Kontrollmöglichkeiten betrifft, nicht hinreichend geklärt zu sein. Hier ist vor allem auf das Weisungsrecht hinzuweisen. Es ist, wie Kollege Geyer schon gesagt hat, kein Vorwurf gegen irgendeinen Bundesminister, gegen irgendeinen Oberstaatsanwalt, Staatsanwalt oder Polizeibeamten, sondern es ist ein gewisses Misstrauen gegen ein System, das eben einen Missbrauch in der einen oder anderen Form leichter ermöglicht.

Damit habe ich die wesentlichsten Punkte angesprochen.

Präsident Dr. Johann Rzeszut (Oberster Gerichtshof): Ich möchte Ihnen vorerst sehr herzlich dafür danken, dass ich die Gelegenheit habe, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, zumal ich an der Diskussion bisher nur am Rande beteiligt war. Beim Obersten Gerichtshof war ich zwar Mitglied des Begutachtungssenates und habe die Stellungnahme, die dazu abgegeben wurde, mit beschlossen, ich habe aber damals noch nicht präsidiert. Ich ersuche um Verständnis dafür, wenn ich Ihrer Erwartungshaltung vielleicht nicht in vollem Umfang Rechnung tragen kann, weil meine Befassung mit dem Entwurf möglicherweise nicht in dem Ausmaß vorhanden war, wie es bei einem Großteil von Ihnen zutrifft. Es ist mir auch ein Bedürfnis, hier aus dem Anlass, dass ich erstmals einer derartigen Diskussion im Hohen Haus beiwohnen darf, den Eindruck wiederzugeben, dass man sich um unsere Republik keine Sorge für die Zukunft zu machen braucht, wenn eine Problematik auf derart hohem Niveau und mit derartiger Sachbezogenheit diskutiert wird.

In den Worten meines Vorredners ist wiederholt der Begriff der Akzeptanz gefallen. Akzeptanz ist, glaube ich, etwas, was wir alle, die wir uns dem Rechtsleben in verschiedenen Positionen und unter verschiedenen Aufgabenstellungen verschrieben haben, dringend brauchen. Akzeptanz ist das, was die Rechtsordnung selbst als unabdingbare Lebensgrundlage braucht und was gepflegt gehört.

Der Regelungsgegenstand, der heute zur Diskussion steht, ist ein sehr sensibler. Das materielle Strafrecht ist, wie wir wissen, nichts anderes als ein facettierter Katalog aller denkmöglichen Grundrechtsverletzungen von der Täterseite her gesehen. Die Strafprozessordnung selbst beziehungsweise das gesellschaftliche Ordnungsanliegen ist in der Endkonsequenz auch darauf ausgerichtet, durch das Spektrum der Sanktionsmöglichkeiten massive Grundrechtseingriffe zu setzen. Die Akzeptanz rechtlichen Wirkens hängt davon ab, dass die Grundlagen, auf die es zu reagieren hat, in voller Wahrheit auf den Tisch kommen. Es ist Aufgabe des Strafverfahrens, die Tatsachengrundlagen für so schwer wiegende Entscheidungen, wie sie eben die sanktionsbedingten Grundrechtseingriffe darstellen, die Grundlagen entsprechend aufzubereiten und dabei auf widerstreitende Interessen Bedacht zu nehmen.

Die denkmögliche Konstellation hat also folgende Variationsbreite: Es kann jemand in ein Strafverfahren verwickelt sein, der nicht der Täter war. In dieser Konstellation decken sich sein Anliegen und das staatliche Ordnungsanliegen, die staatliche Ordnungsaufgabe vollkommen. Das heißt, eine Kollision von Interessen ist zwischen diesen beiden Antipoden gar nicht denkbar.

Es gibt die zweite Variante: Jemand hat eine strafbare Handlung begangen, und er bekennt sich zu dieser strafbaren Handlung. Auch in diesem Fall ist eine widersprüchliche Position nicht denkbar. All das, was die Wahrheit fördert und an den Tag bringt, liegt in der Interessensphäre beider Zielrichtungen.

Die dritte Variante ist sehr wohl mit Interessenkollisionen behaftet. Es ist die Variante, dass jemand eine strafbare Handlung begangen hat, sich aber nicht dazu bekennen will.

Die Schwierigkeit, die wir bei der Behandlung dieser gesamten Problematik haben, ist die Grenzziehung zwischen der erstgenannten Variante – jemand ist unschuldig, bestreitet daher die Tat, befindet sich, wie erwähnt, darin auf einer Linie mit der Staatsanwaltschaft, dass der Sachverhalt auf den Tisch kommen soll, zum Wohl der Gesellschaft im Sinne der Akzeptanz der Rechtsordnung – und der letzten Variante – jemand hat eine strafbare Handlung begangen, will aber nicht, dass dies an den Tag kommt, sodass er kein Interesse daran hat, dass die Wahrheit in voller Tragweite zu Tag gefördert wird. Die Unterscheidung dieser beiden Varianten ist das große Problem, das uns alle bewegt und das wir in einer vernünftigen Weise unter Beachtung der gesamten in Betracht kommenden Interessen anzugehen haben.

Wir bedienen uns nach bisherigen Erfahrungen und nach bisheriger Rechtskultur eines bestimmten Procedere beziehungsweise bestimmter Hilfestellungen, die einer Evaluierung bedürfen, wenn man neue prozessuale Strafverfahrensregelungen in Angriff nimmt. Der erste Punkt ist die Rechtsschutzqualität des Entscheidungsträgers. Es ist, glaube ich, nicht vernünftig, in Diskussion zu ziehen, dass die höchste Rechtsschutzqualität nach anerkannter Auffassung diejenige ist, die durch richterliches Wirken gewährleistet wird. Das hat, wie heute schon mehrfach zu Recht erwähnt wurde, überhaupt nichts damit zu tun, dass es einen Qualitätsunterschied – sei es in der Ausbildung, sei es in der Befähigung, sei es in der charakterlichen Annäherung an die beruflichen Probleme – zwischen den Organwaltern geben würde. Es hat primär damit zu tun, dass die Organisation des richterlichen Wirkens vor dem Eindruck der Parteilichkeit besser gefeit ist, und zwar nach unserem strafprozessualen Verständnis – das jetzt durch den Entwurf sehr stark in Frage gestellt und problematisiert wird – deshalb, weil gewährleistet ist, dass der Richter selbst aus Eigenem – mit ganz geringen Ausnahmen nach § 89 der geltenden StPO – überhaupt nicht tätig wird. Es ist gewissermaßen der Staatsanwalt, der den Lichtschalter betätigt, und das richterliche Wirken soll abhängig von dieser Schalterbetätigung – verzeihen Sie die Affinität zu einem an sich unproblematischen Bereich – Licht ins Dunkel bringen. Diese richterliche Funktion ist sehr wertvoll und sollte in dieser Bedeutung und in dieser Tragweite, glaube ich, nicht in einer Weise problematisiert werden, die unter Umständen aus rein sachlicher Sicht entbehrlich ist.

Es ist unbestritten und braucht nicht noch erwähnt zu werden, dass alle, die hier sitzen – vor allem alle, die im Justizministerium an dem Entwurf mitgewirkt haben –, dasselbe Ziel verfolgen. Wir alle – das ist eigentlich die oberste Problemstellung der Strafrechtspflege – wollen verhindern, dass ein Unschuldiger verurteilt wird. Es kann kein Ziel sein, dass ein Verfahren gegen einen Unschuldigen eingeleitet wird; wir wissen, es lässt sich manchmal nicht verhindern, dass auch eine unschuldige Person unter gewissen Rahmenbedingungen in eine Verdachtskonstellation kommt, die dann entsprechend zu klären ist. Diese primäre Zielsetzung, dass wir den der Akzeptanz abträglichen Umstand verhindern, dass jemand für etwas einzustehen hat, das er nicht begangen hat, verbindet uns als gemeinsames Bemühen und motiviert auch, wenngleich nicht ausdrücklich ausgesprochen, all diese Diskussionsbeiträge. Aus der Sicht – und nur aus dieser Sicht – habe ich auch als Repräsentant des entscheidenden Berufsstandes Richter die richterliche Rechtsschutzqualität zuerst angesprochen.

Das Zweite ist, dass das Vorverfahren auch die Funktion und die Aufgabe hat, die Belastung, die für den Betreffenden damit verbunden ist, dass er überhaupt in ein Strafverfahren einbezogen ist und unter Verdacht steht, so gering wie möglich zu halten und vor allem eine entbehrliche Hauptverhandlung von ihm fern zu halten. Dieser eigentlichen, zentralen Aufgabenstellung kann das Vorverfahren nur gerecht werden, wenn uns die Möglichkeiten zur Verfügung stehen, in dieser schwierigen Situation, dass jemand verdächtigt wird und bestreitet, tatsächlich den Weg zur Wahrheit zu finden.

Die Kontrollmöglichkeiten, die wir haben, sind unterschiedlich. Im besten Fall haben wir unmittelbare, objektivierte Beweisgrundlagen in Verbindung mit persönlichen Beweisquellen; wenn diese harmonieren, ist der Fall unproblematisch. Es ist aber nicht selten so, dass wir eine Konstellation haben, in der wir schwerpunktmäßig auf die Angaben des verdächtigten, beschuldigten Angeklagten angewiesen sind. Das ist eine Konstellation, die sehr wohl struktureller Vorsorge bedarf. Diese strukturelle Vorsorge ist im geltenden Recht an sich nicht so schlecht.

Ich meine, eine Kontrollmöglichkeit besteht darin, dass jemand zum selben Gegenstand wiederholt vernommen wird, möglicherweise von unterschiedlichen Personen, sodass sich keine Automatismen im Vernehmungsablauf einschleichen. Gegenwärtig ist es möglich – und das geschieht auch nicht so selten –, dass jemand zuerst vor der Polizei und dann vor dem Untersuchungsrichter vernommen wird, und dass letztlich auf dem Substrat, das ihm aktenmäßig geboten wird, der Staatsanwalt entscheidet, der bisher nicht persönlich mit dem Beschuldigten gesprochen hat, der vor allem nicht persönlich ein Protokoll formuliert hat. Das scheint mir der große Quantensprung in der neuen Regelung zu sein, und das ist ein Umstand, den es, wie ich Ihnen bei meinem Bemühen um sachdienliche Lösungen hoffentlich glaubwürdig zum Ausdruck bringe, bisher nicht gegeben hat und der sehr viel dazu beiträgt, die Akzeptanz, die mehr oder weniger den Kern der richterlichen Rechtsschutzfunktion ausmacht, zu beeinträchtigen, dass nämlich er nicht derjenige ist, der selbst Protokolle formuliert und dann auf Grund dieser Protokollformulierungen selbst die Entscheidungen trifft.

Man soll bitte nicht – wie es heute mehrfach geschehen ist – den Unmittelbarkeitsgrundsatz mit dem Anklageprinzip, mit der Trennung von Ankläger und Richter, verquicken. Der Anklagegrundsatz bedeutet, dass derjenige, der das Verfahren finalisiert, der also abschließend über die Anschuldigung abspricht, nicht derjenige sein soll, der die Entscheidungsgrundlagen dafür führend erarbeitet. Das ist ein Punkt, der ganz wesentlich und nicht aus dem Auge zu verlieren ist. Das betrifft nicht die Problematik der Beweisqualität, die aus einer unmittelbaren Beweisaufnahme erfolgt. Selbstverständlich ist der Verhandlungsrichter im Erkenntnisverfahren derjenige, der Vernehmungen leitet, der nach herrschendem Recht noch, wenngleich schon problematisiert, im Rahmen der diskretionären Gewalt darüber entscheidet, wer überhaupt vernommen wird. Sogar in einem Verfahrensbereich der nicht von materieller Wahrheit gekennzeichneten schwerpunktmäßigen Zivilverfahren ist ebenfalls die Tendenz festzustellen, geht es eher mehr in die Richtung, dass Parteien nicht außer Streit stehen dürfen – was absurd ist, was erkennbar tatsachenwidrig ist. Umso mehr soll in dem Bereich, mit dem wir befasst sind, diese materielle Wahrheit hochgehalten werden.

Wenn also der Untersuchungsrichter, nachdem sein Lichtschalter vom Staatsanwalt betätigt worden ist, sich selbst die Grundlagen für – wie es jetzt der Fall ist – einen Haftbeschluss erarbeitet, für jede andere Provisorialmaßnahme, ob es eine Hausdurchsuchung, eine Telefonüberwachung oder sonst etwas ist, ist dies kein inquisitorisches Element, sondern das vernünftige Streben nach bestmöglicher Beweisqualität in einem höchst sensiblen Bereich; dasselbe natürlich auch unter Nichtigkeitsschutz in der Hauptverhandlung der erkennende Richter.

Das hat aber nichts damit zu tun, dass – wie das jetzt vorgesehen ist, und das ist mein massiver Kritikpunkt an der Reform – ein Staatsanwalt rechtlich die Möglichkeit hat – es wird in der Praxis wahrscheinlich ohnedies nicht dazu kommen können, weil die Ressourcen gar nicht ausreichen –, ein Protokoll selbst zu verfassen. Es kann der Eindruck entstehen – auch wenn es niemandem zu unterstellen ist –, er formuliert das Protokoll so zur subjektiven Tatseite, dass er ohne weiteren Arbeitsaufwand entweder einstellen kann oder, weil er bei längeren Voruntersuchungen oder bei längeren Erhebungen sein Kind, also den Akt, oder seine bisherige Mühe lieb gewonnen hat und nicht will, das sich das dann in Form einer Verdunstung verflüchtigt, eine Formulierung wählt, die zumindest so beschaffen ist, dass der Anklageeinspruch erfolglos sein muss. Das ist die zweite Variante. Gegen diesen Eindruck ist in der gegenwärtigen Entwurfsfassung kein Kraut gewachsen, da kann man noch so viel diskutieren. Der Umstand, dass ein Staatsanwalt selbst Protokolle aufnimmt, sie selbst formuliert und dann derjenige ist, der in einem weiten Bereich finalisiert, ist ein Umstand, der sich massiv – trotz aller verfassungsrechtlichen Denkakrobatik, die ich sehr schätze und sehr bewundere – in einer Form reibt, die ganz einfach eine Überdehnung darstellt und nicht zu rechtfertigen ist.

Das ist die Hauptsorge, die ich bei dem Entwurf habe, mit Folgewirkungen, die sich möglicherweise – wie es ansatzweise schon durchklingt – dann auch auf die Hauptverhandlung erstrecken können, dass man von dieser richterlichen Schutzfunktion herkömmlichen Modells dann auch in der Hauptverhandlung abweicht, dem Richter zwar die Verantwortung belässt, zu sagen, jemand ist lebenslänglich oder 20 Jahre in Haft zu nehmen – oder sei es auch eine kürzere Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe –, er aber nicht mehr derjenige sein soll, der auch einen Einfluss darauf hat, in welchem Umfang er sich die Unterlagen dafür beschaffen soll. Das ist ein Weg, mit dem ich mich nicht einverstanden erklären kann.

Ich deponiere diese Bedenken hier in diesem Forum, weil ich das mir selbst und meinem Berufsverständnis schuldig bin, vor allem aber der Sache, die wir alle vertreten und der wir alle uns mit Verantwortungsbewusstsein nähern, nicht zumuten will. Ich weiß mich da – und ich habe das Protokoll der letzten Sitzung durchgelesen – mit einer beträchtlichen Zahl von Anwesenden im Einklang und glaube, dass man allein vor dem Hintergrund, dass doch erwogen wird, in gewissen Punkten das Untersuchungsrichtermodell zu belassen, das Ganze noch überdenken soll. Warum will man es denn in bestimmten Punkten belassen? – Das sind jene Punkte, die besonders wichtig sind, und in diesen wichtigen Punkten will man besondere Rechtsschutzqualität gewähren. Warum soll man dann diese Klassifizierung vornehmen? Wenn man schon der Ansicht ist, es ist dies erhöhte Rechtsschutzqualität, warum verzichten wir dann in weiten Teilen darauf?

Soviel zum heutigen Tag; mit tut es Leid, dass ich nicht zu detaillierteren Fragen noch Stellung nehmen kann. Meine Vorbereitungsmöglichkeiten waren in letzter Zeit zu kurz. Aber ich bin gerne bereit, zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auch noch zu anderen Problemen Stellung zu nehmen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Präsident, Sie haben gemeint, dass gegen diesen Anschein von Jäger und Ankläger in einer Person derzeit noch kein Kraut gewachsen ist. Ich hoffe doch, dass dieses Gremium hier ein Kräutlein sät, das dann auch zu wachsen beginnt.

Generalprokurator Dr. Friedrich Hauptmann: Die Generalprokuratur hat im Jahr 2001 zum Entwurf eine sehr umfangreiche Stellungnahme abgegeben. Keine Sorge, ich werde diese nicht zum Vortrag bringen; ich kann dies umso eher mit gutem Gewissen tun, als sowohl Manfred Burgstaller als auch Hans Rzeszut gerade jetzt sowie auch eine Reihe anderer hier zu Wort Gekommener bereits einen wesentlichen Kritikpunkt angesprochen haben, nämlich die Übernahme der Vernehmungsfunktionen durch den Staatsanwalt. Auch für mich ist es ein Faktum, dass einem richterlichen Protokoll eine andere Qualität als jedem anderen Protokoll beigemessen wird. Ich bezweifle sehr, ob sich das ohne weiteres wird aus der Welt schaffen lassen.

Hier geht es nicht darum, eine Voruntersuchung aufrechtzuerhalten, die in vielen Fällen sehr pro forma geführt worden ist und in vielen Fällen auch nicht dem Ideal entsprochen hat, dass der Untersuchungsrichter tatsächlich der dominus litis des Verfahrens war. Es hat nicht überall eine Untersuchungsrichterin Partik-Pablé gegeben, die hier wirklich sehr initiativ und aktiv geworden ist. Es hat auch andere Untersuchungsrichter gegeben, die mit mehr oder weniger großer Freude den detaillierten Anträgen der Staatsanwaltschaft gefolgt sind und in manchen Fällen sehr dankbar waren, dass es solche detaillierte Anträge gegeben hat. Ich würde sagen, dass ein engagierter Staatsanwalt gewöhnlich – wenn es sich nicht um eine Wald-und-Wiesen-Voruntersuchung gehandelt hat – sehr wohl sehr genaue Beweisanträge auch im Rahmen der Voruntersuchung gestellt hat, ganz abgesehen davon, dass es mitunter auch zu umfangreichen Ergänzungsanträgen gekommen ist. Dominus litis hin oder her, das scheint mir dabei nicht das Problem zu sein, das Problem ist bereits angesprochen worden. Daher scheint es mir durchaus möglich zu sein, unter Beibehaltung richterlicher Vernehmungstätigkeit den Staatsanwalt als Leiter des Vorverfahrens und als Herrn des Vorverfahrens im Sinne des Entwurfes und der Regierungsvorlage zu behalten.

Das hier ebenfalls angesprochene Thema Sachverständigenbestellung und Einholung von Sachverständigengutachten möchte ich in dem Zusammenhang nur ganz kurz streifen. Mir scheint die Qualität eines Gutachtens, das im Gerichtsauftrag erstattet worden ist, auch im Fall der Verwendung, der teilweisen Verwendung oder der Wiedergabe in der Hauptverhandlung doch von anderer Art zu sein als die Qualität eines Gutachtens, das im Auftrag einer Partei erstattet worden ist. Beim Staatsanwalt handelt es sich im Hauptverfahren eben bereits um eine Partei.

An sich ist das nur einer der Kritikpunkte, die in der Einleitung der Stellungnahme der Generalprokuratur zum Ausdruck gekommen sind. Weiters geht es darum, dass ihrer Meinung nach ein wenig zu viel von einer gerade im Zusammenhang mit der Reform des Vorverfahrens zu führenden Diskussion ausgeklammert worden ist. Das betrifft die verfassungsrechtliche Verankerung, um die wir noch immer ringen, das betrifft auch Teile des Nebenstrafrechts, insbesondere die Auswirkungen auf das Finanzstrafverfahren, und das betrifft natürlich das Weisungsrecht. Es ist in der Stellungnahme auch zum Ausdruck gekommen, dass ein Teil jener Rechtsschutzvorschriften, die gut gemeint, aber die Effizienz der Strafverfolgung zu beeinträchtigen geeignet sind, vielleicht auf das Bestreben zurückzuführen ist, das in der Öffentlichkeit, zu Recht oder zu Unrecht, vorhandene Misstrauen gegen den weisungsgebundenen Staatsanwalt – ich mag dieses Epitheton ornans selbst nicht gerne, höre es aber immer wieder – ein wenig zu überwinden.

Das scheint jetzt auch bei einer wesentlichen Änderung der Regierungsvorlage gegenüber dem Entwurf eine Rolle gespielt zu haben, nämlich bei den §§ 195, 196 betreffend die Verfahrensfortführung. Hier wurde eine Bestimmung zur Erzwingung der Fortführung des Verfahrens via Gericht eingebaut, die voraussichtlich – sieht man die deutschen Erfahrungen an – nicht gerade sehr wirksam sein wird, aber vielleicht auch geeignet sein soll, die Gemüter zu beruhigen. Dass hier doch eine Diskrepanz zwischen den übrigen Funktionen, zwischen der Funktionenteilung von Gericht und Staatsanwaltschaft gegeben ist, ist heute insbesondere bei Moos sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, und auch, dass man sogar weitergehend verfassungsrechtliche Bedenken haben kann.

An den Ausführungen von Moos am Vormittag hat mich beeindruckt, dass er mit besonderer Deutlichkeit die Staatsanwälte als Organe der Justiz wie Richter und Rechtsschutzbeauftragte ansieht, und das mit einem Argument, das auf ihre Funktion bezogen ist. Dass er in Beziehung auf diese Funktion auch Weisungen für mit dieser Stellung der Staatsanwaltschaft durchaus vereinbar hält, kann ich zunächst einmal akzeptieren, wenn die Weisungen innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens der Justizorgane bleiben. Innerhalb der einzelnen Behörde sind die Weisungen schon durch die monokratische Behördenstruktur vorgegeben, außerhalb, also von der Oberstaatsanwaltschaft her, eben durch die hierarchische Struktur.

Etwas größere Schwierigkeiten sehe ich allerdings mit dem Bundesminister für Justiz, der dann insoweit zum Justizorgan oder, wenn Sie so wollen, zum Organ der Strafrechtspflege wird, andererseits aber eine im Wesentlichen doch andere Funktion hat, nämlich Regierungsmitglied ist. Auch das lässt darauf schließen, dass man das Weisungsrecht nicht so einfach aus der Diskussion herauslassen kann, ebenso wie das der Fall ist, wenn man bedenkt, dass ja zunächst mit der Diversion, dann mit diesem Reformentwurf wesentliche richterliche Aufgaben den Staatsanwaltschaften übertragen worden sind beziehungsweise werden. Es ist daher ein durchaus legitimes Anliegen der Standesvertretungen, darauf hinzuweisen, dass hier eine Diskussion erforderlich ist.

Es würde meinem Bedürfnis nach Harmonie widersprechen, wenn ich nur auf die Kritikpunkte eingehe. Ich habe durchaus gesehen, dass die Stellungnahme der Generalprokuratur – und ich nehme an, nicht nur deren Stellungnahme, sondern jede relevante Stellungnahme – sehr genau Beachtung gefunden hat und dass einige Anregungen tatsächlich in die Regierungsvorlage Eingang gefunden haben. Das betrifft nicht zuletzt die die Behörde selbst betreffenden Bestimmungen. Das ist an sich dankenswert, wie überhaupt der Entwurf in seiner Qualität durchaus stimmig und – geht man von gewissen Ausklammerungen, die erfolgt sind, aus – auch logisch zwingend aufgebaut ist.

Das gilt auch – und da möchte ich noch eine weitere Streicheleinheit erteilen – für das von Soyer kritisierte eingeschränkte Beweisantragsrecht im Vorverfahren. Ich sehe im Art. 6 MRK keine Bestimmung, die eine besondere Ausdehnung des Beweisantragsrechtes bereits im Vorverfahren verlangt. Wenn ich im § 55 Abs. 3 der Regierungsvorlage lese, dass im Ermittlungsverfahren die Aufnahme eines Beweises der Hauptverhandlung nur dann vorbehalten werden kann, wenn das Ergebnis nicht geeignet sein kann, „den Tatverdacht zu beseitigen, oder die Gefahr des Verlustes des Beweises besteht“, dann scheint mir hier wirklich eine richtige Abwägung zwischen dem Rechtsschutzbedürfnis und dem Bedürfnis nach einer Straffung des Strafverfahrens gegeben zu sein.

Ordentlicher Universitätsprofessor Dr. Reinhard Moos (Abteilung für Strafprozessrecht, Kriminologie und Strafvollzug, Johannes Kepler Universität Linz): Ich möchte mich nur zu zwei Punkten äußern – und das hoffentlich kurz genug –, nämlich einmal zum ministeriellen Weisungsrecht und zum anderen zur richterlichen Vernehmung. Ich kann also an das anschließen, was wir soeben gehört haben.

Das Weisungsrecht war noch bis vor kurzem der Stein des Anstoßes, um die ganze Reform abzulehnen. Von der Richterschaft wurde die Abschaffung des Weisungsrechts junktimiert mit der Zustimmung zum Entwurf. Ich halte die geforderte Abschaffung des Weisungsrechts für irreal. Das wird nicht geschehen; das haben die früheren Regierungen nicht gemacht, das wird wahrscheinlich die jetzige Regierung nicht tun, und wohl auch nicht die zukünftige – ob wir das nun theoretisch begrüßen oder nicht. Gehen wir also davon aus, dass das Weisungsrecht bestehen bleiben wird.

Folglich ist es unsere Aufgabe für den Entwurf, eine möglichst starke Kontrolle des bestehenden Weisungsrechts einzuführen. Wie Sie wissen, haben wir die parlamentarische Kontrolle; man hört oft, das sei etwas ganz Enormes. Ich halte davon nicht so sehr viel, weil diese Kontrolle von parlamentarischen Mehrheiten abhängig ist. Ich würde andere Wege bevorzugen, zunächst solche, die prozesssystematisch sind, also Kontrollen innerhalb des Prozesses. Wir haben schon gehört, dass dazu die richterliche Missbrauchskontrolle gehört, also richterliche Missbrauchskontrolle über Verhalten der Staatsanwaltschaft. Das ist ja der Knackpunkt, es waren sowohl die Klagserzwingung als auch die Einstellungserzwingung Notventile für normale Fälle. Aber man kann beide Rechtsinstitute auch mit der Weisung in Verbindung bringen. Die erläuternden Bemerkungen stellen diesen Konnex auch ausdrücklich her.

Ich gebe zu, das ist ein unvollkommener Behelf, schon deshalb, weil die Klagserzwingung nur bei individuell geschädigten Opfern möglich ist. Aber sie deckt bereits einen erheblichen Teil ab, allein schon die Existenz einer solchen Möglichkeit ist wichtig, finde ich. Im Übrigen kann man darüber reden, dass man bei öffentlichen Interessen – wenn also kein individuell Geschädigter ein solches Verfahren beantragen kann – eine eigene Institution dafür einführt, die dann eine Klagserzwingung, wie ich das jetzt einmal etwas verkürzt nenne, beantragen könnte, also eine Art Ombudsmann.

Aber dazu möchte ich keine weiteren Ausführungen machen, sondern einen Vorschlag unterbreiten, was man als Kontrolle einführen könnte, und zwar als flankierende Maßnahme einer Ergänzung des Staatsanwaltsgesetzes. Es geht um den weiteren Ausbau der Transparenz von Weisungen; daran ist mir gelegen. Wie Sie wissen, wurden 1986 im Staatsanwaltsgesetz bereits das Remonstrationsrecht, der Gewissensschutz und, in geringem Umfang, auch die Transparenz von Weisungen eingeführt. Nach § 31 darf der betroffene Staatsanwalt erst nach der gerichtlichen Entscheidung erkennen lassen, dass er auf Grund einer Weisung gehandelt hat; vorher darf es nur der Behördenleiter.

Mein Vorschlag: Künftig sollte der betroffene Staatsanwalt selbst, also Sachbearbeiter, eine ministerielle Weisung aktenkundig machen und sie dem Beschuldigten beziehungsweise seinem Verteidiger und auch dem Gericht zur Kenntnis bringen. Alle Beteiligten am Verfahren wissen also, hier liegt eine Weisung vor – ganz transparent. Da würde ich fragen: Warum denn das nicht? Warum scheut man sich so sehr davor? Sind das innerbehördliche Betriebsgeheimnisse? – Dann entsteht sofort der Verdacht: Da wird gemauschelt, da wird nicht rechtsstaatlich gehandelt.

Ich gehe davon aus, dass jede ministerielle Weisung rechtmäßig sein muss. Ich glaube auch nicht, dass ein Minister eine offizielle Weisung geben wird, die nicht rechtmäßig ist; damit ist doch wohl nicht zu rechnen. Warum also darf sie dann nicht auf diese Weise transparent sein? – Sie braucht das Tageslicht der Prozessbeteiligten nicht zu scheuen.

Wenn daher alle wissen, dass eine Weisung vorliegt, dann werden sie diese begutachten im Hinblick darauf, ob sie rechtmäßig ist, und besonders kritisch beurteilen. Wenn sie finden, dass es so nicht geht, dann werden sie gegen solche Ermittlungen oder solche Entscheidungen entsprechend vorgehen, auch das Gericht selbst – so lässt es sich das Wasser durch irgendwelche dubiosen Weisungen nicht abgraben! Es ist also nichts dagegen einzuwenden.

Wenn aber die Weisung korrekt ist und sich innerhalb des rechtmäßigen Ermessens, des Legalitätsprinzips und so weiter hält – und das wird sie tun –, dann greift sie auch durch. Ich finde, dass das der Minister dann auch darf, das müssen wir uns gefallen lassen. Dann hört sich endlich die Heimlichkeit von Weisungen auf, sie werden nicht länger als etwas Unanständiges angesehen, und wir brauchen auch keine Junktimierung.

Das Zweite, zu dem ich noch etwas sagen möchte, ist die richterliche Vernehmung. Viele von Ihnen, die sich damit näher befasst haben, wissen, dass dies meine Lieblingsforderung ist – es gibt kaum eine Veröffentlichung oder einen Vortrag von mir, ohne dass ich das abhandle. Deshalb hat es mich erstaunt, Herr Geyer, dass Sie sagten, ich hätte mich dazu nicht geäußert. Ich äußere mich dazu so oft, dass ich es fast schon nicht mehr wage, dazu noch etwas zu sagen.

Im Entwurf gibt es richterliche Vernehmungen nur im Rahmen des jetzigen § 162a. Also: Wenn Vernehmungen in der Hauptverhandlung nicht mehr möglich sind, dann werden sie eben im Vorverfahren mit Parteiöffentlichkeit durchgeführt, damit die Hauptverhandlung stattfinden kann und sie die rechtliche Qualität einer Hauptverhandlung haben. Das steht in § 165. Aber in § 104 steht an sich, richterliche Vernehmungen sind möglich, bloß in § 165 werden sie auf diesen einen Fall und Tatortaufnahmen eingegrenzt.

Da bin ich für eine Erweiterung, und da treffe ich mich mit vielen meiner Vorredner: Richterliche Vernehmungen des Beschuldigten oder von Zeugen sollten in Ausnahmsfällen möglich sein. Solche Vernehmungen – und da möchte ich Andeutungen aufgreifen, die ich in den letzten Diskussionsäußerungen gehört habe – sind in keiner Weise irgendwie eine Voruntersuchung. Das ist klar, dominus litis ist der Staatsanwalt. Sie können eben, wenn der Staatsanwalt die Leitungsbefugnis hat, nur stattfinden, wenn es der Staatsanwalt beantragt. Ich würde also dem Betroffenen, dem Beschuldigten kein Antragsrecht geben, sondern die Leitungsbefugnis hat der Staatsanwalt. Wenn der Betroffene sich nun an den Staatsanwalt wendet und sagt, dass er um eine richterliche Vernehmung bittet, ist das eine andere Sache. Aber es geht nicht ohne den Staatsanwalt.

Im Übrigen bin ich Herrn Präsidenten Rzeszut sehr dankbar für das neue Epitheton ornans für den Staatsanwalt, nämlich „Lichtschalter“. Bis jetzt war er ein Transporteur, ein Türöffner, ein Spediteur, und nun ist er ein Lichtschalter. Hübsch – er selbst weiß, was leuchtet, und schaltet dann dem Gericht sozusagen das elektrische Licht an, damit dieses auch erleuchtet wird!

Ohne Antrag des Staatsanwaltes geht es also nicht, das muss immer dazugesagt werden. Er ist dominus litis, und er bleibt es auch. Es handelt sich um einzelne Ermittlungsakte, und jetzt sage ich noch, um welche, die könnte man im Gesetz aufzählen. Wie man das formuliert, ist eine andere Frage.

Natürlich ist der wichtigste Fall die Glamourösität, Herr Geyer. Das steht schon ausführlichst in dem Gutachten von mir zum letzten Juristentag, und ich habe das, glaube ich, schon 1981 gefordert. Glamouröse Fälle sind Fälle mit delikaten Sachen, mit politischem Einfluss; man mutmaßt, dass vielleicht ein politischer Einfluss bestehen könnte. Wenn dem Staatsanwalt daran liegt, dass sein Ansehen und das Ansehen des Rechtsstaats gewahrt bleibt – ich darf doch annehmen, dass das jeder tut und dass Staatsanwälte nicht mauscheln wollen –, dann wird er den Antrag stellen, die entscheidenden Vernehmungen durch den Richter durchführen zu lassen. Diese Vernehmungen werden nicht einfach dann in der Hauptverhandlung als Protokoll vorgelesen, sondern da kommt es dann noch einmal durch das erkennende Gericht zur Vernehmung dieser entsprechenden Person. Dann haben wir das vorhin so gelobte dreimalige Vernehmen: erst die Polizei, dann der Richter, und dann noch einmal in der Hauptverhandlung. Sonst wollen wir es nicht, sondern nur in solchen Ausnahmefällen. – Erstens also die so genannten glamourösen Fälle.

Ferner Missbrauchsvorwürfe gegen Polizeibeamte oder sogar gegen die Staatsanwaltschaft selbst. Es gibt einen Erlass dazu: Wenn Polizeibeamte in Verdacht gekommen sind, gefoltert, geprügelt oder sonst etwas gemacht zu haben, sollen sie nur von einem Richter und nicht von einem Kollegen vernommen werden. Sie sollen künftig auch nicht vom Staatsanwalt vernommen werden, obwohl er zum Gericht gehört; er ist aber weisungsabhängig.

Jetzt kommen wir zum Dritten: Wenn Weisungsabhängigkeit und das Odium der Weisungsabhängigkeit im Raum steht – die entscheidenden Vernehmungen ab zu einer einzelnen Vernehmung durch den Richter! Dann haben wir noch einmal klargestellt, dass hier nicht gemauschelt wird.

Ein weiterer Fall ist – weil wir gehört haben, dass richterliche Vernehmungen mehr Akzeptanz in der Öffentlichkeit genießen – dann gegeben, wenn es um eine besondere Qualität der Vernehmung geht, wenn also vor allem Beweise gesichert werden sollen, dass jemand in der Hauptverhandlung nicht wieder umkippt. Das ist vor allem für Geständnisse wichtig. Wenn wir künftig in der Hauptverhandlung ein Geständnisverfahren etwas verkürzen, dann ist es wichtig, dass man im Vorverfahren durch eine richterliche Vernehmung annehmen darf, dass es wahrscheinlich beim Geständnis bleiben wird und diese Hauptverhandlung dann so stattfinden kann. – Also auch in diesen Fällen, wie gesagt, nicht durch das Protokoll in der Hauptverhandlung ersetzt.

Nun hat unsere Vorsitzende gesagt: Vorsicht, dann gibt es Verfahren erster und zweiter Klasse, die einen mit richterlicher Vernehmung, die anderen ohne richterliche Vernehmung, und das sei ungleich; gleich ist: für alle richterliche Vernehmung, oder gar keine! – Ich würde sagen, das ist nicht ungleich, weil ich drei oder vier einzelne Fallgruppen herausgeholt habe und diese Fallgruppen nicht gleich mit allen anderen Normalfällen sind: nur in diesen besonderen Fällen, die gesetzlich umschrieben werden – deshalb würde ich da den Verdacht der Verfassungswidrigkeit nicht sehen.

Ein anderes Argument, das vom Ministerium bisher dauernd verwendet worden ist, ist das der Systemreinheit: Schaffen wir den vernehmenden Richter ab, dann wollen wir ihn nicht in Ausnahmefällen doch haben. Außerdem kommt es vielleicht zu Missbrauch, und dann ufert das wieder aus, und am Schluss haben wir dauernd vernehmende Richter – so wie wir es jetzt auch haben. Der Staatsanwalt kann ja nach § 88 Abs. 1 entweder die Polizei oder den Untersuchungsrichter mit einzelnen Vernehmungen beauftragen. Das wollen wir nicht haben, wir wollen nur noch Staatsanwaltschaft und Polizei.

Dazu würde ich sagen, es ist aus den genannten Gründen ein Kompromiss nötig. Das wäre auch ein gewisser Kompromiss zur Abschaffung der Voruntersuchung: Der Richter ist noch nicht endgültig draußen, in Ausnahmefällen kann er noch mit hereinkommen. Sie könnten mir jetzt höchstens vorwerfen, dass ich mir selbst widerspreche, weil ich heute früh gesagt habe: Aufgabe des Gerichts ist die Rechtsprechung, und die Rechtsprechung ist die Entscheidung eines Falles, ist das Erkenntnis, was Recht und Unrecht ist; der ermittelnde Richter im Vorverfahren übt keine Rechtsprechung aus, folglich widerspricht Moos sich selbst.

Nun, in der Hauptverhandlung untersucht der Richter, und auf Grund seiner eigenen Untersuchung erkennt er, was rechtens ist. Er ist also auch untersuchender Richter. Im Vorverfahren könnte er ausnahmsweise auch, wie gesagt, in einer eng begrenzten untersuchenden Funktion im Auftrag des Staatsanwalts tätig werden. Das würde nichts daran ändern, dass Erkenntnisse, dass Urteile nur durch ein Gericht gefällt werden können.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter stellt zu den Ausführungen von Universitätsprofessor Dr. Moos fest, aus ihrer Sicht stelle sich da sofort die Frage, warum dies nur für die Vernehmung und nicht für alle anderen Beweisermittlungen auch gelten sollte, und fügt hinzu, dass sie sich für die im Stellen dieser Frage zum Ausdruck kommende unzulängliche Vorsitzführung entschuldigt.

Präsident Dr. Wolfgang Swoboda (Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte): Zuerst eine persönliche Bemerkung: Seit 30 Jahren, seit meiner Mittelschulzeit, dusche ich in der Früh heiß, bis es wehtut, und nachher kalt, bis es noch einmal wehtut, und dann bin ich munter. Wahrscheinlich bin ich deswegen Standesvertreter geworden; ich habe erwartet, dass ich zwischen den Antipoden „Forderungen des eigenen Standes“ und „Verhandlung mit Ministerium/Obrigkeit“ stehen werde. Ich muss gestehen, die zwei Tage hier im Unterausschuss haben mir bei den einzelnen Stellungnahmen ähnliche Gefühle beschert.

Ich darf zwei Vorbemerkungen zu den Verfassungsfragen vom heutigen Vormittag machen. Durchaus beeindruckend war die Darstellung von Öhlinger und Funk, die die Problematik herausgearbeitet und aufgezeigt haben, dass ihrer Meinung nach ein risikoreicher, aber doch ein gangbarer Weg besteht, das Reformwerk ohne Verfassungsbestimmung so durchzuführen. Was mich – heiß und kalt – doch etwas betroffen gemacht hat, ist, dass die andere Position, die in der Lehre vertreten wurde, insbesondere in Gestalt von Professor Walter, zwar angesprochen, aber nicht zu Wort gekommen ist.

Eine zweite Bemerkung zum heutigen Vormittag: Ich liebe es, den Ausführungen von Professor Moos zu folgen, auch aus standesvertreterischer Sicht. Wenn er zu dem Schluss kommt, dass im Apparat Justiz zwei Institutionen tätig sind, eine gerichtliche und eine staatsanwaltliche, wenn er dieses Wechselspiel darstellt und klarmacht, dass eine Trennung dieser beiden Gewalten nicht gleichzusetzen ist mit der staatsrechtlichen Gewaltentrennung, dann sind das wieder die warmen, wohltuenden Gefühle. Wenn er dann klarlegt, dass aus der Aufgabenstellung, aus der Funktionsstellung bei der Staatsanwaltschaft heraus argumentiert wird, dass die Staatsanwaltschaft als Institution im staatsrechtlichen Gefüge der Justiz zugehörig ist, dann braucht er sehr viele Argumente, weil ein bisschen ein Zirkelschluss drinsteckt. Hier anzusetzen, in der verfassungsrechtlichen Festschreibung der Staatsanwaltschaft als Teil der dritten Staatsmacht, hat nicht nur Etikettcharakter, sondern hat für die aktuelle Problematik, wie Moos sie aufgezeigt hat, eine ganz konkrete Implikation.

Eine kurze Zwischenbemerkung: Ähnliche Gefühle wie jene, als Direktor Haidinger gesprochen hat, habe ich zum Kooperationsmodell gehabt. Ich kann dem voll beipflichten, genauso wie Walter Geyer – ich war selbst auch in Großverfahren tätig, Bank Burgenland –, wie man zusammengespielt hat, positiv zusammengespielt hat: Die Kooperation zwischen der Sicherheitsbehörde und dem Staatsanwalt ist die wünschenswerte Zielvorstellung! Ich glaube, da sind Realität, Modell und Wunschvorstellungen beider Seiten völlig identisch.

Die Problematik dabei ist, dass Kooperation zweierlei voraussetzt, einerseits eine einigermaßen gleichwertige Ausstattung. Man muss sich begegnen können, es darf nicht einer die faktische Übermacht haben. Auf der Informationsseite hat sie normalerweise der unmittelbare Ermittler. Nur dann, wenn beim Staatsanwalt gewährleistet ist, dass er in diesen Verfahren relativ zeitig mitleben kann, ist hier eine Balance möglich. Das Zweite ist, dass Kooperation in einem System nur dann funktioniert, wenn dahinter eine relativ starre Struktur steht.

Wir brauchen uns nicht einzubilden, dass die Institution Staatsanwaltschaft unfehlbar ist, und genauso wenig die Sicherheitsbehörden. Das heißt, wir werden Kollisionsfälle haben, und das betrifft diese Begründungspflicht für den Auftrag an die Sicherheitsbehörde, die hier symptomatisch immer wieder hervorstößt. Wir werden diese Konfliktfälle haben, und in Zeiten, in denen Geld und Ressourcen knapp sind, werden wir sie auch aus nicht sachlichen Erwägungen haben. Zwar haben wir die Verpflichtung zur Kooperation, aber nicht wirklich eine Lösung, wer letztlich dezidiert das Sagen hat. Hier ist es nur die potenzielle Leitungsbefugnis; ich erlebe es tagtäglich, dass wir von den Sicherheitsbehörden leider Gottes hören: Das ist nicht machbar, das ist nicht durchführbar. Wenn dann auf der anderen Seite, beim Staatsanwalt, auch die Möglichkeit zur eigenen Ermittlung besteht, wird dieser Druck größer werden.

Ganz extrem habe ich dieses Wechselbad der Gefühle erlebt, als letztes Mal Sektionschef Miklau das Wort ergriffen hat. Ich hatte nicht nur die Ehre, sondern auch das besondere Vergnügen, vor 15 Jahren dort eineinhalb Jahre meine Arbeit zu verrichten und ihn auch persönlich kennen und schätzen zu lernen. Wenn er sozusagen verbal den Arm um die Schulter der Staatsanwälte legt und hier meint: Stellt euer Licht nicht unter den Scheffel, macht euch nicht so klein!, dann ist das Kritik, aber auch Lob, weil es bedeutet: Ihr seid ja wer! Es wird damit dargestellt, dass es mit dieser Institution etwas auf sich hat, dass sie ihre Arbeit ordentlich macht, und dafür werden auch Beispiele gebracht. Ich glaube, dass wir in Wirklichkeit nicht weit auseinander liegen. Die Wurzeln stecken in der gemeinsamen Ausbildung von Staatsanwalt und Richter, und ich glaube, dass der einzelne Staatsanwalt tatsächlich fit ist für diese Aufgabenstellung, die der Entwurf für ihn vorsieht. Ich glaube aber, dass die Institution Staatsanwaltschaft in keiner Weise fit für diese Aufgabenstellung ist. Nicht fit ist sie in zweierlei Hinsicht: das eine ist die Ressourcenproblematik, das andere ist die staatsrechtliche Problematik.

Präsident Rzeszut hat das Akzeptanzproblem sehr deutlich angesprochen. Sollte tatsächlich die staatsrechtliche Stellung der Institution Staatsanwalt aufgewertet werden können – durch die Verankerung in der Verfassung, daraus implizierend das Dienstrecht, das dann, abgesehen von der individuellen Unabhängigkeit des Richters, eine ähnliche Unabhängigkeit der Institution beinhalten sollte –, kann diese Akzeptanz möglicherweise erhöht werden, um auf lange Sicht tatsächlich zu sagen: Der Staatsanwalt folgt dem Objektivitätsgebot genauso wie der Richter. Kurzfristig kann es nicht funktionieren; mittelfristig wäre, glaube ich, das Potenzial dafür vorhanden. Nur muss man dann den ganzen Weg gehen und darf die Diskussion nicht abschneiden, sondern muss sich tatsächlich daranmachen, die Institution aufzuwerten.

Das heikelste Beispiel für dieses Wechselbad der Gefühle ist die Ressourcenproblematik, muss ich sagen. Es ist hier von Sektionschef Miklau gesagt worden, dass vorgesorgt ist: Die notwendigen Stellen für Richteramtsanwärter sind im Stellenplan vorgesehen. – Wenn man in diesen Stellenplan schaut, kann man erkennen, dass dort für die Jahre 2003 und 2004  150 RiAA-Planstellen vorgesehen sind, tatsächlich die Verminderung der Planposten nach dem Sparkonzept der Regierung – diese 1,5 und 1,5 Prozent, die da schon bei Staatsanwälten mit drei Posten, bei Richtern mit entsprechend mehr Posten durchschlägt – bei RiAAs nicht da ist. Jetzt ist da der Gedanke, dass durch dieses Einsparen, durch dieses Vom-Mund-Absparen ein Potenzial geschaffen wird, das diese neue Institution, diese operativ tätige Staatsanwaltschaft versorgen soll. Es tut mir Leid, aber mir fehlt der Glaube, dass das funktionieren kann.

Pleischl hat heute Vormittag ein ganz pointiertes Beispiel gebracht, wie kleiner Bruder Staatsanwaltschaft und großer Bruder Gericht in der Justiz organisatorisch zusammengefasst werden und wie hier der Ressourcenstreit losbrechen wird. Daran, dass dieses Potenzial an Planstellen, das auch nicht ausreichend sein kann, tatsächlich nur den Staatsanwaltschaften zur Verfügung kommt, fehlt mir – es tut mir Leid – der Glaube. Er fehlt mir auch, weil in den Vorbemerkungen zum Entwurf bei den Nichtrichterlichen steht: 90 – 70 netto – zusätzliche Staatsanwälte und 45/50 zusätzliche Nichtrichterliche bei den Staatsanwaltschaften. Diese Nichtrichterlichen sollen ausschließlich durch Umschichtung innerhalb der Justiz zum kleinen Bruder Staatsanwalt bewegt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein derartiges Einsparungspotenzial da ist, unabhängig davon, dass wir – jetzt als nicht operativ tätige Behörde, als nicht aktenführende Behörde, als nicht Sachverständige bestellende Behörde, als nicht auch vernehmende Behörde – ein sehr eigenartiges Verhältnis haben: nicht einmal einen Kanzleibediensteten, sondern nur 0,7 oder 0,8 pro Staatsanwalt! Dass dieses Verhältnis nach dem Konzept noch einmal verschlechtert wird, kann ich mir nicht vorstellen, auch nicht, dass überhaupt dieses Potenzial innerhalb des Justizbudgets, das in Sparzeiten wie diesen nicht ausgeweitet wird, tatsächlich verschoben werden kann.

Herr Bundesminister! Die legistische Arbeit, die in der Sektion II über viele Jahre geliefert wurde, war eine Kraftanstrengung der Sonderklasse und verdient das Lob, das sie von vielen Seiten gehört hat, genauso von der Standesvertretung. Ein Konzept zur Umsetzung, ein Finanzierungskonzept verdient genau die gleiche Aufmerksamkeit und Anstrengung wie diese legistische Arbeit. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese Strukturreform eine Anschaffung der Justiz ist, die etwas kostet. Darüber aufgeklärt zu werden, wie diese Anschaffung tatsächlich finanziert und ins Leben gerufen werden soll, haben, glaube ich, der Stand wie auch die Abgeordneten das gleiche legitime Interesse. Ich möchte in aller Bescheidenheit und Höflichkeit, aber auch in aller Bestimmtheit ersuchen, dass in diesem Gremium seitens des Justizministeriums nicht nur die Legisten anwesend sind, sondern vielleicht jemand aus dem Bereich Budget/Personal/Präsidial darlegt, wie das Kind tatsächlich ins Leben gerufen werden soll.

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Walter Pilgermair (Oberstaatsanwaltschaft Linz): Als Praktiker der Strafrechtspflege – ich war mehr als ein Jahrzehnt Strafrichter und bin jetzt mehr als zwei Jahrzehnte Staatsanwalt – bejahe ich den Bedarf für eine große Reform des Vorverfahrens. Eine kleine Reform genügt meiner Meinung nach absolut nicht. Ich bejahe auch zentrale Anliegen der Regierungsvorlage grundsätzlich. Hier möchte ich Ihnen in diesem Abschnitt der Diskussion nur drei Punkte zu bedenken geben.

Die erste Frage ist die der Aufteilung der Rollen des Staatsanwaltes und des Richters im Vorverfahren. Es ist dazu heute schon sehr viel gesagt worden, und es ist auf den Umstand der spätnachmittäglichen Wortmeldung zurückzuführen, dass man auf Gutes verweisen kann, dass einem andererseits vieles vorweggenommen wird. Ich teile zu diesem Punkt die Struktur der Regierungsvorlage grundsätzlich, dass der Staatsanwalt der dominus litis zu sein haben wird. Ich bin auch Ihrer Auffassung, Herr Dr. Haidinger, dass diese Kooperation gut funktionieren wird. Ich denke auch, dass in der Regierungsvorlage, was die Frage der Berichte betrifft, die Schnittstellen durchaus positiv gelöst sind.

Ich glaube auch, dass die Vernehmung durch den Staatsanwalt grundsätzlich etwas Positives ist und dass sie nicht diesen grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt ist, die heute Nachmittag hier ventiliert worden sind. Ich gebe in diesem Zusammenhang aber doch zu bedenken, dass meiner Meinung nach aus Gründen der Optik, aus Gründen der Akzeptanz, die die Strafrechtspflege in der Öffentlichkeit braucht, in den heute schon erwähnten glamourösen Fällen – ich spreche jetzt die Lösung von Professor Moos an, habe die gleichartige Lösung aber, wie ich hinzufügen darf, früher auch schon publiziert – der Staatsanwalt dennoch die Möglichkeit haben sollte, die richterliche Vernehmung zu beantragen, wenn er es für erforderlich erachtet. Ich denke, Frau Vorsitzende, das kann durchaus mit dem verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz vereinbart werden, weil ja ganz spezielle Anforderungen geschaffen werden können. Diesen Punkt würde ich also durchaus für wichtig erachten.

Der zweite Punkt, bei dem es mir jetzt am Herzen liegt, ihn Ihnen vorzutragen, ist derjenige der – zugegebenermaßen sehr schwierigen – Balance zwischen dem Rechtsschutzbedürfnis einerseits und der Effektivität der Strafrechtspflege andererseits. Das ist eine sehr schwierige Frage, das steht außer Zweifel, aber Österreich unterscheidet sich international, durchaus auch im europäischen Vergleich, sehr wohltuend von einigen Nachbarn. Ich erwähne hier nur die Bundesrepublik Deutschland und Italien; wenn man dort anschaut, was aus großen Verfahren, seien es wirtschaftliche oder politische, gemacht wird, wie lange das dauert und zu welch geringem Ergebnis es schließlich kommt, dann fällt einem sehr wohltuend auf, dass die österreichische Strafrechtspflege und die österreichische Strafjustiz im Vergleich dazu einen sehr positiven Platz einnehmen.

Ich denke mir, dass man – diese Einschränkung ist zu machen: abgesehen von den Grundrechtseingriffen – durchaus den Rechtsschutz bis zum Ende des Vorverfahrens beim Staatsanwalt belassen könnte. Ich meine damit nicht, dass man grundsätzlich den Rechtsschutz im Vorverfahren dem Staatsanwalt übertragen soll. Es hat heute Herr Professor Funk auf die Frage von Sektionschef Miklau am Ende des Vormittages gemeint, das wäre unter der Kautel, dass man Staatsanwaltschaft und Polizei als Teil der Strafjustiz ansieht, denkbar. Ich möchte nicht so weit gehen, das zu sagen: man soll den Rechtsschutz überlassen – ganz und gar nicht! Man soll ihn aber außerhalb von Grundrechtseingriffen sehr wohl bis zum Ende des Vorverfahrens aufschieben können. Diese Variante würde uns meiner Meinung nach in großen Verfahren einen erheblichen Effektivitätsgewinn bringen, und mit den großen Verfahren stehen wir ja in der Auslage. Die Bevölkerung, die Öffentlichkeit lobt die Strafjustiz nicht deswegen, weil wir die kleinen Hendldiebe und die kleinen Automateneinbrecher schnappen und schnell der Bestrafung zuführen, sondern die Öffentlichkeit sieht uns zu Recht dort in der Auslage, wo die schwierigen Verfahren sind und wo die Verfahren anliegen, die tatsächlich die gesamte Bevölkerung betreffen und an denen sie Anteil nimmt. Ich denke, dass wir hier ein doch erhebliches Manko hätten, würden wir – außerhalb der Grundrechtseingriffe, ich betone es noch einmal! – diese meiner Meinung nach sehr ausgebauten Antragsrechte einführen. – Das wäre mein zweiter Punkt.

Zum dritten Punkt kann ich mich sehr kurz halten, weil ich mich hier eigentlich nur den Ausführungen von Burgstaller, von Lambauer, von Rainer und von einigen anderen anschließen muss. Auch ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren des Unterausschusses, nicht ein Fortführungsverfahren, sondern den Ausbau des Subsidiarantragsrechtes.

Was schließlich die von meinem Herrn Vorredner zu Recht dargestellte Frage der Kostenbedeckung, der personellen Bedeckung betrifft, bin ich davon überzeugt, dass das Hohe Haus weiß, dass eine derart große Reform entsprechende Bedeckung erfordert.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter teilt mit, dass angesichts der fortgeschrittenen Zeit nun noch Bundesminister Dr. Böhmdorfer zu einer Stellungnahme das Wort erteilt werden wird und die noch auf der Rednerliste aufscheinenden Damen und Herren – Staatsanwalt Mag. Geyer, Präsident Honorarprofessor Dr. Jesionek, Rechtsanwältin Dr. Rech und Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte Dr. Loderbauer – bedauerlicherweise erst in der nächsten Sitzung zu Wort gelangen können.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Ich möchte mich am Ende dieses arbeitsreichen Tages ausdrücklich und uneingeschränkt bei Ihnen allen für die sachlichen, informativen Beiträge und alles, was Sie eingebracht haben, bedanken. Ich möchte den Nachmittag nicht abwerten, ganz im Gegenteil, glaube aber doch, dass wir am Vormittag auf einem Niveau diskutieren und zuhören durften, das wir in dieser Materie bisher nicht kennen gelernt hatten.

Erlauben Sie mir, eine Bitte anzuschließen. Es ist völlig richtig, Herr Präsident, dass man auch an die personelle Ausstattung denken muss. Ich glaube aber – und eine ähnliche Bitte wurde heute schon mehrfach geäußert, zum Beispiel Rechtspolitik nicht mit Verfassungsfragen zu verwechseln oder zu vermengen –, dass man korrekterweise auch die Bitte aussprechen darf, dass diese Frage erst gegen Ende der Diskussion konkret erörtert werden kann. Ich habe es schon öfters gesagt, aber anscheinend kommt diese Botschaft nicht an: Diese Frage ist wichtig, sie ist unübersehbar, sie kann aber erst seriös beurteilt werden, wenn das Gesetz die letzten Konturen – vieles haben wir heute schon erlebt – angenommen haben wird. Heute ist zum Beispiel einige Male pauschal erwähnt worden, dass der Rechtsschutz nicht übertrieben werden soll – ich schließe mich diesem Gedanken an –, aber es wurde, außer einem Vorschlag, kein weiterer konkreter Vorschlag dazu gemacht.

Mein Angebot an die Staatsanwälte, mit denen ja eine traditionell gute Gesprächsbasis besteht, lautet deshalb, dass wir uns über diese Frage der personellen Ausstattung parallel und in gleicher Weise wie bisher unpolemisch unterhalten und das Machbare herausfiltern, und dass ich es durchaus übernehme, in der Bundesregierung, soweit ich das kann – und einige Möglichkeiten bestehen doch –, Stimmung und Verständnis dafür zu erzeugen, dass die personelle Ausstattung garantiert ist. Ich glaube auch, dass die Abgeordneten zum Nationalrat, wenn sie dieses Gesetz beschließen, ebenfalls mit bedenken werden, ob dieses Gesetz in einer rechtsstaatlich konkreten und entsprechend redlichen Weise umgesetzt werden kann.

Damit bedanke ich mich noch einmal und hoffe, dass die Diskussion, die heute sehr redlich und wissenschaftlich gewesen ist, in diesem Stil fortgesetzt werden kann.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter bedankt sich bei den Anwesenden und gibt bekannt, dass dieser Unterausschuss am 17. September 2003 seine Fortsetzung finden wird. In der für 18. September geplanten Sitzung des Justizausschusses werde aber die Strafprozessordnungsreform noch nicht auf der Tagesordnung stehen.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne) regt an, weitere Termine dieses Unterausschusses den Expertinnen und Experten so früh wie möglich mitzuteilen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter weist darauf hin, dass die Festlegung weiterer Termine im Einvernehmen mit den Fraktionen geschehen wird. Da eine weitere Sitzung des Justizausschusses für die zweite Novemberhälfte geplant sei, wäre es nahe liegend, dass dieser Unterausschuss im Oktober ein weiteres Mal zusammentritt. Sobald weitere Termine abgeklärt sein werden, werde die Parlamentsdirektion die Expertinnen und Experten per E-Mail benachrichtigen können. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass eine Einigung darüber noch vor der Sommerpause erfolgen werde.

Der Unterausschuss wird bis 17. September 2003 vertagt und die Sitzung geschlossen.

Schluss der Sitzung: 16.00 Uhr