Beratungen

des

Unterausschusses des Justizausschusses

betreffend

Strafprozessreformgesetz

 

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

 

Mittwoch, 17. September 2003

9.13 Uhr – 14.07 Uhr

Lokal VI

Beginn der Sitzung: 9.13 Uhr

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter begrüßt alle Anwesenden, eröffnet die Sitzung und gibt bekannt, dass für diese Sitzung die Universitätsprofessoren Dr. Burgstaller und Dr. Schick sowie Präsident Dr. Steininger und Dr. Ingrid Siess-Scherz vom Bundeskanzleramt – diese werde von Frau Dr. Angela Julcher vertreten – entschuldigt seien.

Dem Unterausschuss seien mehrere Schriftstücke zugegangen, und zwar Stellungnahmen von Mag. Geyer und Dr. Nemec, von Universitätsprofessor Schmoller, von der Interventionsstelle sowie eine Punktuation über den möglichen Inhalt eines Abänderungsantrages. Diese Unterlagen würden nun schriftlich verteilt.

Wie bereits in der ersten Sitzung vereinbart, werde auch für diese Sitzung eine Auszugsweise Darstellung angefertigt und ins Internet gestellt. Weiters lässt Obfrau Dr. Fekter über die Öffentlichkeit dieser Sitzung abstimmen. – Der Antrag, die Beratungen öffentlich abzuhalten, wird einstimmig angenommen.

*****

In Fortsetzung der Rednerliste zur Debatte über verfassungsrechtliche Aspekte erteilt Obfrau Dr. Fekter Staatsanwalt Mag. Geyer das Wort.

Staatsanwalt Mag. Walter Geyer (Staatsanwaltschaft Wien): Ich möchte noch einmal kurz zur Frage: Wie viele Richter braucht das österreichische Vorverfahren? beziehungsweise, anders gefragt: Wie viele verträgt es? Stellung nehmen. Kollege Nemec und ich haben dazu einen Vorschlag ausgearbeitet.

Zunächst erschienen die Positionen unverrückbar. Die einen behaupten ja, es müsse ein Rest an Voruntersuchung, an selbstständiger richterlicher Ermittlung erhalten bleiben, die anderen sagen, das gehe nicht, das sei inkompatibel mit den Grundstrukturen des Gesetzes.

Unser Vorschlag versucht nun, diesen Spagat zu bewältigen, und zwar dadurch, dass ein Ermittlungsrecht des Richters in bestimmten, im Gesetz definierten Fällen vorgesehen werden könnte, ein Ermittlungsrecht, das an der Leitungsbefugnis des Staatsanwaltes nichts ändert, das diesen nicht von der Verpflichtung, die Sache durch Aufträge an die Kriminalpolizei zu klären, entbindet.

Der Unterschied zum Normalverfahren wäre bei dieser Art des Gerichtsverfahrens, dass der Staatsanwalt seine Anträge, seine Aufträge an die Kriminalpolizei im Wege des Ermittlungsrichters erteilt und die Erhebungsberichte der Polizei im Wege des Richters zum Staatsanwalt zurückkommen, sodass der Richter über den vollen Informationsstand des Staatsanwaltes verfügt. In den im Gesetz zu definierenden Fällen sollte der Richter unserer Ansicht nach die Möglichkeit haben, selbstständig ergänzende Erhebungen durchzuführen. Damit würde jedoch nicht das Leitungsrecht für das Vorverfahren auf ihn übergehen.

Über die Fälle, an die wir dabei gedacht haben, wurde hier schon diskutiert. Es handelt sich um drei Gruppen: Die erste Gruppe sind die Haftsachen. Unserer Meinung nach ist hier ein richterliches Erhebungsrecht besonders wichtig.

Die diesbezügliche Regelung im vorliegenden Entwurf würde eine Einschränkung des Rechtsschutzes in Haftsachen bewirken, und zwar aus folgenden Gründen: Gemäß dem Entwurf würde die Haft vom Gericht immer nur punktuell geprüft werden, nämlich nur in Haftverhandlungen, also im Regelfall alle zwei Monate. All das, was sich zwischen den Haftverhandlungen ergibt, sogar was sich einen Tag nach Abschluss der Haftverhandlung ergibt, gelangt nicht sofort zur Kenntnis des Gerichts, wird nicht sofort vom Gericht überprüft. Auch Umstände, Erhebungsergebnisse, die eine Entlastung des Beschuldigten sein oder so verstanden werden können, werden erst bei der nächsten Haftverhandlung vom Gericht überprüft, vor allem in jenen Fällen, in denen sich der Verteidiger den Akt nicht jeden Tag anschauen kann oder in denen er möglicherweise wegen Verdunkelungsgefahr von der Akteneinsicht noch ausgeschlossen ist.

In derartigen Fällen wäre es ein großer Vorteil und ein Beibehalten des derzeitigen Vier-Augen-/Zwei-Behörden-Prinzips, laut dem sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht die Haftfrage in Haftfällen ständig überprüfen, sich ständig Gedanken darüber machen kann, ob die Haft noch angemessen oder der Tatverdacht nur mehr gering sei.

Ein zweiter Fallkomplex wären die Misshandlungsvorwürfe gegenüber Polizeibeamten. Eine diesbezügliche Forderung der Öffentlichkeit lautet, dass das noch genauer, noch strenger untersucht wird, wobei es durch die durch den Entwurf bedingte engere Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ein Vorteil wäre, wenn jemand Außenstehender, nämlich der Richter, die Möglichkeit hätte, ergänzend etwas zu erheben.

Die dritte Fallgruppe ist sicher die sensibelste, es sind jene Fälle, die man gemeiniglich als „clamorose Fälle“ bezeichnet, die spektakulären Fälle, die Fälle mit einer politischen Implikation. Es wurde auf verschiedenen Ebenen intensiv darüber nachgedacht, ob es eine Möglichkeit gibt, diese Strafe zu definieren, nach den Personengruppen oder nach den Delikten – das scheint unmöglich zu sein.

Wir haben vorgeschlagen, diese Fälle nach einer Gesetzesstelle, die schon existiert, zu beschreiben: nach § 8 Abs. 1 StAG, der vorsieht, dass in „Strafsachen von besonderem öffentlichen Interesse“ die Verfolgungsbehörden, die Staatsanwaltschaften oder Oberstaatsanwaltschaften, dem Bundesministerium für Justiz zu berichten haben. Das umfasst im Wesentlichen jene Fälle, die man als „clamorose Fälle“ bezeichnen kann und in denen einfach durch die Berichterstattung die Möglichkeit der Einflussnahme des Justizministers auf das Verfahren gegeben ist. Auch in diesen Fällen sollte ein selbständiges, ergänzendes Erhebungsrecht eines Ermittlungsrichters stattfinden, ohne dass dadurch der Staatsanwalt von seiner Leitungsbefugnis und von seiner Verpflichtung, die Sache zu klären, entbunden wird.

Wir meinen auch, dass der Richter im Ermittlungsverfahren zwei weitere Aufgaben weiter beibehalten soll, nämlich die Bestellung des Sachverständigen in den Fällen, in denen zu erwarten ist, dass der vom Staatsanwalt bestellte Sachverständige vom Beschuldigten nicht im gleichen Ausmaß akzeptiert wird wie der vom Richter bestellte. Aus dem Blickwinkel des Verdächtigen ist der Staatsanwalt seine „gegnerische Partei“. Wenn der Staatsanwalt einen Sachverständigen in einer sensiblen Frage bestellt und es keine Einigung mit dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger gibt, dann wird dieses Gutachten jedenfalls in den Augen des Verdächtigen als „Parteigutachten“ angesehen werden – mit der Forderung, dass der Verdächtige auch ein eigenes Parteigutachten vorlegt, das das gleiche Gewicht hat.

Unserer Meinung nach sollte daher in einem bestimmten Umfang die Möglichkeit der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens erhalten bleiben, ebenso die Möglichkeit der Zeugenvernehmung.

Noch zwei Punkte, die unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensdauer und der Bürokratisierung des Verfahrens gesehen werden können.

Das Gesetz sieht vor und schreibt allen beteiligten Behörden vor, die Verhältnismäßigkeit in jeder Phase des Verfahrens und bei jeder Handlung zu beachten. Ich denke, dass auch die gesetzlichen Regelungen zueinander in einem vernünftigen Verhältnis stehen sollen, dass das Gesetz insgesamt stimmig sein soll – das bezweifle ich jedoch bei zwei Bestimmungen, die allerdings durchaus Gewicht haben.

Die eine ist der Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 des Entwurfes, der vorsieht, dass der Verdächtige ein formelles Rechtsmittel hat, wenn ihm die Ausübung eines Rechtes verweigert wird oder wenn eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung einer gesetzlichen Bestimmung stattfindet. In diesem Fall kann er sich an den Staatsanwalt wenden. Der Staatsanwalt wird natürlich eine Stellungnahme der Kriminalpolizei einholen, gegen die Entscheidung des Staatsanwaltes steht ihm ein Rechtsmittel an das Gericht zu, und gegen die gerichtliche Entscheidung steht ihm ein Rechtsmittel an das Oberlandesgericht zu.

Wenn ich diese Regelungstechnik mit den Rechtsmitteln und Beschwerdemöglichkeiten, die ein Verdächtiger in der Hauptverhandlung hat, vergleiche, dann halte ich sie für unangemessen. In der Hauptverhandlung geht es um mehr: um die Frage von Schuld, Unschuld, um die Frage einer Freiheitsstrafe. – Im Vorverfahren geht es jedoch nur um die Frage, ob es überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommen wird.

Wenn in einer Hauptverhandlung behauptet wird, dass ein Recht verweigert wurde oder eine Maßnahme unter Verletzung eines Gesetzes gesetzt wird, dann hat der Beschuldigte, der Angeklagte, nur das Recht, sich mit einem Rechtsmittel dagegen zu wehren. Er hat auch nur die Möglichkeit, eine Instanz anzurufen, weil das gesamte Strafverfahren von einem zweiinstanzlichen Verfahren ausgeht. Wenn im bezirksgerichtlichen Verfahren der Richter in der Hauptverhandlung, der immerhin eine Strafbefugnis bis zu einem Jahr hat, eine Bestimmung missachtet, kann sich der Beschuldigte nur noch an eine Instanz wenden, an das Landesgericht. – Nach der vorgesehenen Regelungstechnik kann er sich im Vorverfahren wegen wesentlich geringerer Rechtsverletzungen jedoch an drei Instanzen wenden und vier Behörden beschäftigen.

§ 50 beispielsweise sieht vor, dass der Beschuldigte so bald wie möglich über die Einleitung, über die Ermittlungen gegen ihn informiert werden soll. Wenn er der Meinung ist, dass er um drei Wochen zu spät informiert worden ist, kann er sich bis ans Oberlandesgericht wenden. Wenn er vom Bezirksgericht zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann er sich aber nur an das Landesgericht wenden. – Ich halte das für nicht stimmig und denke, dass man entweder beim zweiinstanzlichen Verfahren bleiben oder zumindest eine Erheblichkeitsschwelle einführen sollte, dass nicht wegen jeder unbedeutenden Missachtung einer Vorschrift alle Instanzen bis zum Oberlandesgericht angerufen werden können; eine Erheblichkeitsschwelle, wie sie zum Beispiel in Nichtigkeitsbeschwerden auch vorgesehen sind. Ziffer 4: nur bei Verstoß gegen Grundsätze des Verfahrens, wenn das faire Verfahren in Frage gestellt wird.

Nach dem Entwurf muss über solche Beschwerden sogar noch entschieden werden, wenn das Verfahren eingestellt wurde. Der Staatsanwalt führt ein Verfahren, der Beschuldigte behauptet eine Rechtsverletzung, zum Beispiel, dass er zu spät von der Einleitung des Verfahrens verständigt worden ist, das Verfahren wird eingestellt. Ist es wirklich sinnvoll, dass jetzt noch über solch einen Einspruch, solch eine Beschwerde entschieden werden kann? – Und das mit einer Rechtsmittelmöglichkeit.

Im Wesentlichen dieselben Argumente treffen auf die Beweisantragsregelung des § 55 des Entwurfes zu. Auch da ist ein Vergleich mit der Hauptverhandlung angebracht. Auch in der Hauptverhandlung können Beweisanträge gestellt werden, wenn ihnen der Richter nicht stattgibt, kann dieser Umstand nur geltend gemacht werden mit dem Rechtsmittel am Ende des Verfahrens. – Nach dem Entwurf soll der Beschuldigte, wenn einem Beweisantrag von ihm nicht stattgegeben wird, ein eigenes Zwischenverfahren eröffnen können, er soll sich an das Gericht wenden können mit einem Rechtsmittel, und gegen die gerichtliche Entscheidung soll er ein Rechtsmittel an das Oberlandesgericht haben. Auch hier: mehr Instanzen als in der Hauptverhandlung, obgleich es in der Hauptverhandlung um wesentlich mehr geht als im Vorverfahren, nämlich um die Frage von Schuld und Freiheitsstrafe, im Vorverfahren jedoch nur um die Klärung der Sache, um es zu Gericht zu bringen. Auch hier also die Unverhältnismäßigkeit, dass ein Zwischenverfahren eröffnet werden kann, in der Hauptverhandlung allerdings nur die Endentscheidung bekämpft werden kann.

Besonders bedeutend wird dieses Argument, wenn man bedenkt, dass von 100 Anzeigen nur rund 30 Prozent überhaupt zu einem Strafantrag und zu einer Anklage führen, 70 Prozent führen gar nicht zu einem Gerichtsverfahren. Sollte man daher nicht, wenn der Betroffene einen Beweisantrag stellt, abwarten, ob es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommt – und erst dann entscheiden, ob dieser Beweisantrag erheblich ist?

Der Entwurf sieht diese Beweisanträge für zwei Fälle zwingend vor, nämlich wenn der Verlust des Beweises droht oder – zweiter Fall – wenn durch den Beweis eine Entkräftung des Tatverdachtes herbeigeführt werden kann.

Wenn der Verteidiger einen Zeugen beantragt und sagt: Es droht mir der Verlust des Beweismittels, wenn dieser Zeuge, der vor der Gerichtstür wartet, nicht vernommen wird, weil er dann nach Argentinien ausreist und nie wieder greifbar sein wird!, hat er in der Hauptverhandlung, auch vor dem Geschworenengericht, wo es sozusagen um Leben oder Tod geht, keine Möglichkeit, das zu erzwingen – im Vorverfahren, wo es um einen Ladendiebstahl geht, soll das aber möglich sein?

Bei der Entkräftung des Tatverdachtes erscheint es mir deswegen auch besonders problematisch, weil die Frage, in welchem Umfang der Tatverdacht ausreicht, zentrales Thema der Hauptverhandlung ist. Und dass man das nicht der Hauptverhandlung vorbehalten kann, ist mir nicht einsichtig.

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o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Moos (Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie; Johannes Kepler Universität Linz): Im Protokoll der letzten Sitzung auf Seite 12 in der 7. Zeile steht: „Innerhalb der staatsrechtlichen Justiz.“ – Das Wort „staatsrechtlichen“ ist ersatzlos zu streichen. Das ist grammatikalisch und auch sonst völlig sinnlos.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Wir nehmen dies zur Kenntnis. Das Wort „staatsrechtlich“ wird aus dem Protokoll gestrichen.

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Präsident Honorarprofessor Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Ich möchte mich im Wesentlichen auf die Opfersituation beschränken, möchte nur vorweg eine Lanze für die Beibehaltung des Ermittlungsrichters – oder wie immer man es nennt –, also einer untersuchungsrichterlichen Tätigkeit in gewissen Fällen brechen. Ich kann mich hier im Wesentlichen dem anschließen, was zuletzt auch Geyer gesagt hat.

Ich wurde in dieser Meinung bestärkt durch eine Sitzung des Menschenrechtsbeirates, die wir kürzlich hatten und in der wir draufgekommen sind, dass die beiden Erlässe im Justiz- und Innenministerium, wonach bei Misshandlungsvorwürfen durch Exekutivbeamte ausschließlich der Staatsanwalt einschalten soll und der Untersuchungsrichter tätig ist, aufgehoben sind.

Das Justizministerium hat ihn, glaube ich, noch nicht aufgehoben, das Innenministerium hat ihn aufgehoben; de facto ist der Erlass aber nicht mehr wirksam, weil im Innenministerium ein Büro für interne Angelegenheiten eingerichtet wurde, das nun ausschließlich das prüft. Das heißt, wir haben jetzt die Situation, dass bei Verdacht gegen Exekutivbeamte – es gibt einen konkreten Fall – das Büro für interne Angelegenheiten allein, wenn es keine Haftsache ist, einmal völlig allein ermittelt und erst dann an den Staatsanwalt weiterleitet.

Auch wenn das Büro mit hoch qualifizierten Leuten besetzt ist und diese auch möglichst unbefangen sind, gibt es doch ein sehr schlechtes Bild in der Öffentlichkeit ab, wenn die Einrichtung, um die es geht, ausschließlich prüft. Ich glaube, das ist ein klassischer Fall dafür, den Ermittlungsrichter einzubinden – daneben auch bei anderen Fällen mit politischem Einschlag und den so genannten „clamorosen Fällen“, wie auch immer man es formulieren möchte.

Ich möchte mich vor allem mit den Opferrechten beschäftigen, die meiner Meinung nach hier noch immer etwas zu kurz kommen, und möchte ausdrücklich sagen, dass das, was ich sage, auch die offizielle Meinung des Weißen Ringes und der meisten Opferhilfeorganisationen, die in der Plattform „Opferhilfe“ organisiert sind, ist.

Erstens: Warum wehrt man sich so dagegen, den Begriff „Opfer“ in die Strafprozessordnung einzuführen. Das mag für viele eine semantische, nebensächliche Kleinigkeit sein, in der täglichen Opferarbeit merkt man jedoch, wie groß das Bedürfnis der Betroffenen ist, als Opfer anerkannt zu werden. – Das Wort „Geschädigter“ ist eine Reduzierung auf zivilrechtliche Ansprüche, das ist für Juristen völlig klar.

Letztes Mal wurde – ich glaube, von Soyer – eingewendet, dass der Begriff „Opfer“ erst mit Rechtskraft des Urteils feststünde. Das ist meiner Meinung nach falsch – das berührt die Unschuldsvermutung nicht. Wer Täter ist, steht erst mit Rechtskraft des Urteils fest, aber die tatsächlich verletzte Person ist da. Ich weiß, dass es ein Opfer gibt, das – von wem auch immer – schwer oder leicht verletzt wurde.

Außerdem verweise ich darauf, dass in unserer Rechtsordnung in vielen Fällen bereits das Wort „Opfer“ ausdrücklich drinsteht, nicht nur im Rahmenbeschluss der EU, der in Österreich geltendes Recht ist: im § 1 Verbrechensopfergesetz, im § 25 Sicherheitspolizeigesetz, im § 6 der Richtlinienverordnung des Innenministeriums zum Sicherheitspolizeigesetz und im § 7a Abs. 1 Z. 1 Mediengesetz.

Ich bitte, dieses verständliche Bedürfnis der Opfer nicht zu bagatellisieren.

Das Zweite ist – ich verweise wieder auf unsere Stellungnahme –, dass wir nicht einsehen, warum eine Verfahrenshilfe für Privatbeteiligte nur eingeschränkt in den Fällen der schweren Körperverletzung und des sexuellen Misbrauchs ist. Ich denke da etwa an die vielen beraubten alten Leute. Erst vorgestern ist es wieder durch die Medien gegangen: Es nimmt immer mehr zu, dass alte Frauen Opfer von Raubüberfällen werden, denen die Handtasche geraubt wird, die total traumatisiert und geschockt sind, jetzt am Verfahren teilnehmen müssen und große Ängste haben, am Verfahren teilzunehmen – ich komme dann auf die Prozessbegleitung, die dem Gott sei Dank ein bisschen abhilft –, und dieser Fall ist derzeit in diesem Entwurf herausgenommen. Das sind keine „Qualen“ – es sei denn, es sind wirklich konkrete Qualen nachweisbar, aber wir wissen, die Judikatur ist da sehr eng –, es ist keine „schwere Körperverletzung“ und keine „sexuelle Beeinträchtigung“.

Warum aber soll nicht dieses Opfer bei Bedürftigkeit auch einen Verfahrenshelfer bekommen? – Abgesehen davon, dass unserer Meinung nach in Artikel 7 des Rahmenbeschlusses ausdrücklich vorgesehen ist, dass die Staaten die Möglichkeit zu schaffen haben, den Parteien die Ausgaben, die ihnen auf Grund eines rechtmäßigen Beteiligungsstrafverfahrens entstanden sind, auch zu ersetzen. Das heißt, bei genauer Erfüllung des Rahmenbeschlusses wäre das eine Verpflichtung.

Konkret zusammengefasst: Eine Privatbeteiligtenvertretung auch für andere Opfer strafbarer Handlungen – selbstverständlich unter der Voraussetzung der Verfahrenshilfe oder der Bedürftigkeit – ist generell vorzusehen.

Das Nächste ist – da tu ich mich vielleicht leichter, weil bereit Kollege Pilnacek in der letzten Sitzung signalisiert hat, und ich weiß es auch aus den Enunziationen des Herrn Bundesministers, dass da großes Entgegenkommen ist bezüglich einer Institutionalisierung der Prozessbegleitung, und zwar etwa das, was derzeit gemacht wird.

Vielleicht ist Ihnen nicht bekannt, dass Prozessbegleitung in sehr großem Stil gemacht wird. Ich habe mir gestern die Zahlen ausgehoben: Der „Weiße Ring“ hat allein 2003 bereits Prozessbegleitung im Ausmaß von 64 000 €, die wir über das Justizministerium abgerechnet bekommen, gemacht, in 124 Fällen. Und wir sind nur eine der Organisationen, die Prozessbegleitung macht.

Prozessbegleitung ist eine psycho-soziale und juristische Begleitung eines Opfers im Prozess und besteht, kurz gesagt, darin, dass ein Anwaltsgespräch stattfindet, ein Gespräch mit einem Therapeuten, und dass dann jemand, wenn es nur rechtlich ist, ein Anwalt, wenn es sich einfach um psychische, traumatische Befindlichkeiten handelt, eben auch in die Verhandlung begleitet. Die derzeitigen Kosten belaufen sich zwischen – ich bin noch bei Schilling – 5 000 und 10 000 S.

Das Justizministerium ist hier – Gott sei Dank – sehr großzügig, und ich muss sagen, wir haben bis jetzt alle Fälle, die wir nachweisen konnten, bewilligt bekommen. Aber es wäre doch gut, wenn das auch institutionalisiert würde im Gesetz – als ein Anspruch von Opfern, und wieder bitte nicht nur bei Opfern von Sexualdaten und von schweren Körperverletzungen – Gott sei Dank können wir die Prozessbegleitung auch anderen Opfern anbieten –, sondern wirklich Opfern, die traumatisiert sind.

Ich habe es schon erwähnt: Ich wusste nicht, wie viele Opfer von Straftaten eine Traumatisierung erleiden, bei Straftaten, bei denen man es sich gar nicht vorstellen könnte. Ich bringe ein Beispiel: Wir haben eine Ärztin, die in Niederösterreich ein Haus hat, bei der eingebrochen wurde. Da gab es keine Täter-Opfer-Berührung, aber sie ist so fertig, dass sie in Psychotherapie ist. Das ist vielleicht nicht erklärbar, aber das ist Faktum.

Wir sind immer wieder konfrontiert mit Opfern von Einbrüchen. Einbruch ist der Eingriff in die Intimsphäre der Wohnung. Das ist für viele Leute so stark traumatisierend, dass dieser Traumatisierung wirklich Rechnung getragen werden sollte. Man kann aber nicht immer nur von Opfern reden, sondern man soll auch bitte den Opfern etwas helfen.

Das Nächste in diesem Zusammenhang sind Wünsche im Rahmen der schonenden kontradiktorischen Einvernahmen, also der Einvernahme in Gegenwart von Staatsanwalt, Verteidiger und des Zeugen, wenn der Zeuge auch Opfer ist. Im Anschluss an das; was ich gerade gesagt habe, fordern wir, dass das nicht nur beschränkt ist – und zwar zwingend beschränkt ist, über Antrag – auf Opfer von schwerer Körperverletzung und Sexualstraftaten, sondern auch auf andere Opfer. Warum muss bitte – und ich bringe dieses Beispiel, weil es ein Alltagsfall ist heute bei uns – die alte Frau, die unheimlich geschockt ist, weil ihr die Handtasche geraubt wurde, die völlig fertig ist, die furchtbare Ängste hat, im Prozess drei Meter vom Angeklagten entfernt, der sie überfallen hat, zu sitzen – der Frau das angetan werden?

Jetzt liegt es im Ermessen des Richters – das ist Gott sei Dank so formuliert, aber es geschieht nicht. Ich sehe nicht ein, warum hier die Unmittelbarkeit beeinträchtigt ist, wenn die technischen Voraussetzungen funktionieren, und das lässt sich heute herstellen.

So kann ich im Prozess jede Frage – als Verteidiger, als Staatsanwalt – an das Opfer richten, das im Nebenraum ist. Ich kann es hundertmal fragen, bis es die Antwort richtig beantwortet, genauso wie im Saal. Es ist eine Unmittelbarkeit, wie wenn die Person im Saal wäre. Das ist eine Forderung, die wir sehr stark unterstreichen.

Und das Zweite steht im Zusammenhang mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2003, das zwar hier nicht behandelt wird, aber das hier hineingreift, weil es mit Begutachtungsfrist bis Mitte September zu uns gelaufen ist. Das sieht vor – sehr richtigerweise und vernünftigerweise – eine notwendige Verteidigung des Beschuldigten im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme.

Das wird von uns absolut unterstrichen, weil es ein ganz wesentlicher Teil des Prozesses ist. Und was da in der kontradiktorischen Einvernahme läuft, deren Ergebnisse in der Hauptverhandlung verlesen werden, ist ja sehr wichtig. Aber wir würden auch sehr eindringlich wünschen, dass der Zeuge, wenn er Opfer ist und sich als Privatbeteiligter anschließt, genauso eine rechtliche Vertretung bekommt mit Verfahrenshilfe, weil auch hier grundsätzliche Weichen für die Zukunft gestellt werden.

Der letzte Punkt, den wir in unserer Stellungnahme nicht drinnen haben, aber der sich mittlerweile ergeben hat, ist der Wunsch nach einer Erweiterung der Rechte des Opfers als Privatbeteiligter im § 66, und zwar ein Antragsrecht. Man kann es herauslesen aus der Ziffer 4: ein Antragsrecht des Opfers auch in Richtung Ermittlung seines Schadens – wobei man das allerdings beschränken kann, wenn das Strafverfahren platzen würde.

Wir stehen vor der immer wieder gestellten Forderung, Straf- und Zivilprozess möglichst in einem abzuführen, auch aus ökonomischen Gründen. Dass das nicht immer geht, ist richtig. Aber ich bringe ein Alltagsbeispiel, das immer wieder läuft: Jemand ist schwer verletzt worden. Im Strafprozess holt der Richter ein gerichtsmedizinisches Gutachten nach dem Verletzungsgrad ein. Er fragt meistens nicht nach den Schmerzperioden, weil es ihm völlig egal ist im Strafprozess; er denkt auch gar nicht daran. Der Sachverständige stellt das Gutachten. Der Strafprozess endet mit einer Verweisung des Opfers auf den Zivilrechtsweg. Und im Zivilprozess muss jetzt wieder ein medizinischer Sachverständiger bestellt werden, um die Schmerzperioden festzustellen. Das kann man gleich sozusagen in einem Aufwaschen mitmachen.

Warum gibt man dem Opfer nicht die Möglichkeit, im Strafprozess den Antrag zu stellen, den Sachverständigen auch mit der Abklärung der Schmerzperioden zu beauftragen, und damit aber auch die Möglichkeit, wenn das nicht erfüllt wird, damit mit Rechtsmittel vorzugehen.

Der Vorschlag, den Moringer und Soyer, der da in den Erläuterungen zitiert ist, einmal gemacht haben, halte ich für sehr klug: Dass man dann eine Möglichkeit einer Nichtigkeitsbeschwerde nach Ziffer 4 vorsieht oder die Möglichkeit, im Zwischenverfahren eine Anfechtung vorzunehmen.

Natürlich ist es nicht möglich, im Strafprozess immer einen Zivilprozess durchzuführen, aber man sollte schon die Möglichkeit überlegen, den Richter auch etwas zu motivieren, und zwar so zu motivieren, mit Rechtsmittelandrohung, gewisse Sachen, die ökonomisch durchführbar sind, gleich auch im Strafprozess durchzuführen, um den unnötigen Zivilprozess anschließend zu sparen.

RA Dr. Elisabeth Rech (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Mein Thema ist Verteidigerkontakt mit dem Verdächtigen vor den Sicherheitsbehörden.

Wie wir immer wieder gehört haben, ist Ziel der Reform eine Stärkung der Beschuldigtenrechte. Dazu gehört es bitte auch, dass der Beschuldigte die Möglichkeit hat, vor der Vernehmung vor den Sicherheitsbehörden mit seinem Verteidiger ein vertrauliches Gespräch zu führen, und dazu gehört es bitte auch, dass der Verteidiger bei der Vernehmung dabei ist.

Das Resultat der Regierungsvorlage ist leider in diesem Punkt ein völlig anderes. Das Ziel ist nämlich in keiner Weise in diesem Punkt erreicht. In Wirklichkeit ist das Resultat nach der Regierungsvorlage nämlich dergestalt, dass man einen Verteidiger oder eine Verteidigung in dieser Phase nur dann bekommt, wenn die Polizei es auch tatsächlich will und gestattet.

Das heißt, in jedem Fall kann jeder Polizeibeamte entscheiden, ob er einen Verteidiger zulässt oder nicht. Und es handelt sich hier nicht um Ausnahmefälle, wie man in letzter Zeit gehört hat; es handelt sich um jeden einzelnen Fall.

Jetzt kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, wir haben in diesem Land nur Polizeibeamte, die auch tatsächlich nach den Gesetzen agieren, und das mag auch so sein. Nur: Wir unterstellen ja bitte auch den Richtern nicht, dass sie Gesetze verletzen, und trotzdem gibt es im Verfahren vor Gericht einen Verteidiger, der nicht einfach ausgeschlossen werden darf, und es gibt auch Rechtsmittel, damit man sich gegen nicht gesetzeskonforme Entscheidungen wehren kann. – Nur bei den Polizeibeamten sagt man plötzlich: Brauchen wir nicht, agieren ohnehin alle nach dem Gesetz.

Ich habe in letzter Zeit überhaupt den Eindruck gewonnen, dass man nicht wirklich weiß, was Inhalt dieses § 164 der Regierungsvorlage ist. Und weil ich nicht glauben kann und auch gar nicht glauben will, dass man sich mit diesem Zustand tatsächlich abfinden will und sich mit diesem Zustand auch wirklich wohlfühlen kann, möchte ich jetzt einmal aufzeigen, was es tatsächlich in concreto bedeutet. Und dazu möchte ich sozusagen vom Olymp der wissenschaftlichen Betrachtung hinab steigen in die Niederungen der Praxis, um wirklich plakativ aufzuzeigen, was das wirklich im täglichen Leben bedeutet.

Stellen Sie sich vor, es kommt jemand in den Verdacht, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Dieser Jemand soll von der Polizei vernommen werden, und dieser Jemand entscheidet sich jetzt, er möchte gern einen Verteidiger haben. Da handelt er durchaus sehr klug, denn er wird sich in einer absoluten Stresssituation befinden. Er wird nicht wissen, was die Polizei ihm genau vorhält. Er wird nicht wissen, welches Material die Polizei hat, aber er wird Antworten geben müssen, die sein ganzes weiteres Leben sehr negativ beeinflussen können.

Wie wichtig die Antworten in diesem ersten Bereich des Verfahrens sind, weiß jeder, der damit schon einmal zu tun gehabt hat, denn die Antworten, die man hier in diesem ersten Moment gibt, diese Antworten werden einen das ganze Verfahren über verfolgen. Diese Antworten werden einem immer wieder vorgehalten werden, und daher ist es ganz, ganz wichtig, wie diese Antworten in diesem ersten Verfahren zustande kommen, was gefragt wird, wie gefragt wird, was protokolliert wird. Das ist ja der Grund, warum er sagt, es muss ein Verteidiger in dieser Phase dabei sein.

Derjenige hat sich also entschieden: Er will einen Verteidiger haben. Und jetzt ist die Frage: Bekommt er tatsächlich auch einen? – Ich sage Ihnen, er bekommt nur dann einen, wenn die Polizei das für opportun findet, wenn die Polizei es will. Die Polizei hat nämlich nach dem Text der Regierungsvorlage insgesamt vier Möglichkeiten, vier ganz einfache handhabare Möglichkeiten, den Verteidiger auszuschließen, und diese vier Möglichkeiten möchte ich jetzt aufzeigen:

Die erste, ganz triviale Variante ist, man wartet einfach nicht auf den Verteidiger, man sagt, das dauert zu lange. Das ist möglich! Im Gesetz steht drinnen, die Polizei kann entscheiden, wie lange sie auf den Verteidiger wartet. Und wenn sie nicht lang genug wartet? – Dann hat der Betroffene keinen Verteidiger.

Die zweite Variante, die etwas grimmigere Variante: Die Polizei sagt, man braucht überhaupt keinen Verteidiger. Die Polizei setzt sich ganz einfach über den Wunsch des Betroffenen hinweg und sagt: Brauchen wir nicht! Auch dann wird es keinen Verteidiger geben.

Dritte Variante: Die Polizei billigt zwar einen Verteidiger zu, nur leider Gottes kennt der Betroffene keinen Strafverteidiger so gut, oder zumindest so gut, dass er seine Handy-Nummer einstecken hat. Das wird dann in Abend-, Nacht- und Wochenendzeiten ein unüberbrückbares Hindernis darstellen, einen Verteidiger zu bekommen.

Oder aber, was auch sehr oft vorkommt im Strafverfahren oder eigentlich die Regel ist. Der Betroffene hat nicht genügend Geld, um sich einen Verteidiger zu leisten. Auch dann ist es schlecht um sein Verteidigungsrecht bestellt, denn das heißt nämlich: kein Geld – keine Verteidigung! Bei diesem Punkt der Regierungsvorlage hat man sich überhaupt nicht den Kopf zerbrochen, was da eigentlich passieren soll in einer solchen Situation. Die Regierungsvorlage geht einfach davon aus und findet sich damit ab, dass es eben Personen gibt, die ganz essentielle Rechte nicht ausüben können, weil eben die äußeren Umstände so sind. Man hat hier keine Vorsorge getroffen.

Das führt aber zu einem Resultat, das, glaube ich, nicht wirklich gewollt ist. Es führt nämlich zu dem Resultat, dass in Zukunft, wenn überhaupt, nur Personen einen Verteidige dabei haben werden, die entweder auf Grund ihrer Vergangenheit einen Strafverteidiger schon so gut kennen, dass sie ihn rufen und er auch gleich kommt, oder – die zweite Variante – es sind Personen, die hinter sich eine potente finanzielle Organisation stehen haben, wo gleich ein entsprechender Apparat anläuft, um einen Verteidiger herbeizuschaffen. Und ich glaube, genau dieses Resultat hat man eigentlich nicht gewollt.

Zurück zu unserem Beispiel. – Gehen wir davon aus, derjenige hat jetzt alle Hürden geschafft, also man hat tatsächlich auf seinen Verteidiger gewartet, man hat nicht gefunden, der ist unnötig, und der Verteidiger konnte auch tatsächlich gerufen werden, und der Verteidiger ist jetzt da. Jetzt könnte man natürlich sagen: Wunderbar, alles in Ordnung! Nur: So ist es leider nicht, denn auch jetzt hat die Polizei noch eine Möglichkeit, etwas zu tun. Sie kann sich nämlich jetzt plötzlich auf den Standpunkt stellen, der Verteidiger würde die Ermittlungen gefährden – und schon wieder sind Sie Ihren Verteidiger los. Der kann jetzt nämlich vor der Türe auf Sie warten.

Die Polizei hat also vier Möglichkeiten. Und ich betone noch einmal: Es handelt sich hier nicht um Ausnahmesituationen, sondern das kann die Polizei in jedem Fall machen!

Jetzt sollte man doch eigentlich meinen, man kann sich wenigstens dagegen wehren. Aber auch das ist nicht der Fall. Sie können zwar jetzt ein Rechtsmittel erheben, über das Rechtsmittel wird ein paar Wochen später entschieden werden. Nur: Selbst wenn Sie Recht bekommen, ist Ihnen dabei überhaupt nicht geholfen, weil die Vernehmung ist vorüber, die Antworten sind protokolliert, und das Protokoll kann im weiteren Verlauf verwendet werden. Das heißt, es ist überhaupt nichts mit dieser Entscheidung getan, und die Polizei hat überhaupt keine Sanktionen zu erwarten.

Das heißt, man nimmt es ganz einfach hin, dass ein Gesetz gebrochen wird, dass der Beschuldigte um sein Recht umfällt, und es gibt überhaupt keine Konzequenzen.

Und jetzt möchte ich Ihnen noch kurz erklären, wie es überhaupt zu dieser letzten Variante kommt, dass der Verteidiger einfach so ausgeschlossen werden kann, weil er die Ermittlungen gefährdet. Da hat man sich nämlich etwas sehr Kluges einfallen lassen: Man hat nämlich in den Text der Regierungsvorlage die Vertrauensperson hinein geschrieben. Es steht im Gesetz drinnen, eine Vertrauensperson kann bei der Vernehmung dabei sein. Und man nimmt irgendwie an, auch der Verteidiger ist eben so eine Vertrauensperson. Die Vertrauensperson kann aber in Wirklichkeit jeder sein. Das kann der Nachbar sein, die Ehefrau, und es kann auch der Komplize sein. Und um eben diese Möglichkeit auszuschließen, dass da plötzlich der Komplize daneben sitzt und alles mithört, was da gesprochen wird, hat man sich natürlich dazu durchgerungen – völlig berechtigt –, zu sagen: Wenn die Ermittlungen gestört werden, dann soll die Polizei die Möglichkeit haben, denjenigen auszuschließen.

Nur: Über diesem Umweg der Vertrauensperson und über den Umweg, dass man uns, uns Verteidiger, plötzlich als Vertrauenspersonen betrachtet, über diesen Umweg können wir auf Grund dieser lapidaren Aussage – „Ermittlungen gefährden“ – plötzlich ausgeschlossen werden. Das sind an und für sich die Worte meines Kollegen Soyer, aber ich verwende sie hier auch bitte: Wir sind keine Vertrauenspersonen. Wir haben ein Vertrauensverhältnis zu unseren Klienten, aber wir weigern uns, als Vertrauenspersonen angesehen und dadurch degradiert zu werden.

Noch einen interessanten Effekt gibt es durch dieses Wort „Vertrauensperson“: Der Staat ist nämlich dadurch plötzlich in der Lage, sich nicht darüber den Kopf zerbrechen zu müssen, wie er es bewerkstelligt, dass nämlich tatsächlich in so einer Situation jeder, der es wünscht, einen Verteidiger bekommt. Man kann sich nämlich ganz einfach auf den Standpunkt stellen: Irgendwer wird sich schon finden, der den Betroffenen zu seiner Vernehmung begleitet!, und dann haben wir die Vertrauensperson, und damit ist dem Gesetz auch schon Genüge getan. Wenn man davon nicht ausgehen würde, wenn man nämlich tatsächlich hineinschreibt, ein Verteidiger kann anwesend sein, dann müsste man sich den Kopf darüber zerbrechen: Wie stellt man das an? Und das kostet natürlich Geld, weil auch Verteidiger und Anwälte arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und auch sie haben ein Anrecht darauf, eben entsprechend bezahlt zu werden.

Das heißt, die Regierungsvorlage, so wie sie heute ist, geht eindeutig einen Schritt gegenüber der jetzigen Situation zurück.

Erstens haben wir bereits ein Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnis, in dem klipp und klar drinnen steht, der Betroffene hat ein Recht, einen Anwalt dabei zu haben, ganz ohne Wenn und Aber, und zweitens ist auch die internationale Entwicklung eine völlig andere. Wir haben jetzt in den Statuten zum Internationalen Strafgerichtshof eindeutig drinnen stehen: Jeder Mensch, der vernommen wird, hat die Möglichkeit und das Recht, einen Verteidiger beizuziehen – ganz egal, wo diese Vernehmung stattfindet. Das führt natürlich zu einem absurden Ergebnis: Wenn jemand in Österreich über Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofes vernommen wird, dann hat er das Recht, einen Anwalt dabei zu haben, ohne Wenn und Aber. Wenn derselbe Mensch über Auftrag eines nationalen Verfahrens vernommen wird, dann hat er plötzlich dieses Recht nicht. – Also ich glaube, da werden wir noch einigen Erklärungsbedarf haben.

Die Rechtsanwaltschaft steht auf dem Standpunkt, dass es im dritten Jahrtausend eigentlich selbstverständlich sein müsste, dass es ein Grundrecht auf Verteidigung gibt und dass jeder das Recht hat, zu entscheiden, ob er einen Verteidiger bei einer Vernehmung dabei haben will. Und zwar er entscheidet – und nicht die Polizei! Damit wir überhaupt diese Möglichkeit haben, dass jeder, wenn er es will, einen Verteidiger dabei hat, haben die Rechtsanwaltskammern eine Initiative ins Leben gerufen, und zwar diesen so genannten Anwaltlichen Notdienst, wo Anwälte Tag und Nacht zur Verfügung stehen werden, um diese Aufgabe zu erfüllen. Wir wissen natürlich, dass das Geld kostet, keine Frage, es wird nicht ohne Geld gehen, aber wir werden gerne bereit sein, hier finanziell entgegenzukommen, nur: Der Staat muss halt auch seine Aufgabe erfüllen und die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen, um wirklich eine Verteidigung zu gewährleisten.

Selbstverständlich stehen wir auf dem Standpunkt, dass es natürlich Sanktionen geben muss, wenn die Polizei die Gesetze verletzt, zum Beispiel, indem man das Produkt dieser gesetzwidrigen Handlung – in meinem Beispiel wäre es das Protokoll gewesen – im weiteren Verfahren nicht mehr verwerten kann.

Und dann verlangen wir natürlich auch noch die Abschaffung der Vertrauensperson. Nur so kann man wirklich eine Verteidigung vor den Polizeibehörden gewährleisten.

Ich möchte am Schluss jetzt noch die Frage stellen, wenn Sie sich dieses Szenario so vorstellen, was alles möglich ist und was alles nicht Sie entscheiden können, ob Sie sich, wenn Sie in eine solche Situation kommen – und das kann jedem von uns tagtäglich passieren, auch Rechtsanwälten, völlig unschuldig, wie wir in der Vergangenheit schon gesehen haben –, bei so einem Szenario tatsächlich wohl und sicher fühlen oder ob Sie dann nicht auch der Meinung wären, man braucht eigentlich andere Regeln, um eine effektive Verteidigung zu sichern.

Dr. Brigitte Loderbauer (Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte): Ich möchte von den Verteidigern wieder zurück zu den Staatsanwälten, wenngleich ich vorweg doch einen kurzen Widerspruch zur Frau Dr. Rech aus persönlicher Überzeugung anbringen möchte: Das Abschaffen der Vertrauensperson kann in meinen Augen nicht die Lösung sein. Ich würde mich durchaus dafür aussprechen, mehrere Varianten nebeneinander zu sehen, aber eine totale Abschaffung einer Person, die kein Anwalt ist und die mich begleitet, wenn ich in irgendwelche Vernehmungen eingebunden bin, würde ich auch aus Sicht der Praxis nicht begrüßen; ich weiß, dass es beispielsweise im Jugendstrafverfahren durchaus Sinn macht.

Zur StPO-Reform an sich. Ich bejahe grundsätzlich den Reformbedarf, habe die beiden ersten Generaldebatten mit großem Interesse mitverfolgt, habe auch die verschiedenen Standpunkte mitverfolgt und habe mitverfolgt, so wie Sie alle, dass es etliche gewichtige kritische Stimmen im Hinblick auf die Übertragung der Leitung des Vorverfahrens vom Richter auf den Staatsanwalt gibt. Dazu hat es sachliche Begründungen gegeben, bei denen ich mich schwer tue, ihnen näher zu treten, und standes- und staatsrechtliche, deren kritisches Potential meiner Meinung nach doch einer gewissen Diskussion und einem gewissen Nähertreten bedarf.

Was die sachlichen Argumente anlangt, so sind die Staatsanwälte ganz sicher auf Grund ihres Werdegangs, auf Grund ihrer Ausbildung und auch auf Grund ihrer Stellung als Teil der dritten Staatsgewalt in der Lage, ein Vorverfahren zu leiten und die Leitung dieses Vorverfahrens gut, sachgerecht und zielführend vorzunehmen.

Die Anforderungen des neuen strafprozessualen Vorverfahrens zu tragen und zu bewältigen, ist nicht das Problem, wenn ausreichende personelle Ausstattung, die ja immer wieder gefordert wurde und wird, zur Verfügung gestellt wird, wenn die Kosten, die dafür erforderlich sind, aufgebracht werden. Dabei stehe ich nicht an, darauf hinzuweisen, dass das auch ein großer Teil der Sorge unserer Kolleginnen und Kollegen in der Praxis ist, dass wir hier nicht untergehen, was die personelle und sachliche Ausstattung betrifft. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch darauf hinweisen, dass die Oberstaatsanwaltschaften in Bezug auf die budgetäre Ausstattung teilweise sehr stark verknüpft mit und abhängig sind von den Oberlandesgerichten. Auch hier wird man zweifellos Überlegungen anstellen müssen.

Was die standes- und staatsrechtlichen Bedenken gegenüber der Strafprozessreform und der Stellung des Staatsanwaltes anlangt, so bin ich an sich der Meinung – ich stehe nicht an, das Wort „Weisungsrecht“ in den Mund zu nehmen –, dass es schwierig sein wird, hier zu großen, generellen Änderungen zu kommen, wenngleich ich mich letzte Woche sehr gefreut habe, in der „Presse“ eine Stellungnahme von Prof. Steininger zu lesen, der die Abschaffung der Negativweisung gefordert hat. Auch in diese Richtung und in Richtung Transparenz könnte es durchaus Bewegung geben. Ich freue mich über die Unterstützung von Prof. Steininger; das möchte ich hier ausdrücklich sagen.

Wenn in diesem Punkt Bewegung möglich ist, so denke ich, dass es darüber hinausgehender weiterer standes- und staatsrechtlicher Änderungen oder Fortschritte bedarf. Die Frage der Verfassung wurde und wird immer wieder angesprochen, da Staatsanwälte derzeit nicht in der Verfassung enthalten sind. Dass eine Aufnahme in die Verfassung, eine staatsrechtliche Absicherung als Angehörige der Justiz erforderlich ist, das wurde bereits mehrfach betont, und dazu, glaube ich, sollte es auch tatsächlich im Rahmen der Gesetzwerdung kommen.

Das Dienst- und Standesrecht der Staatsanwälte ist ebenfalls ein Punkt, der für uns wichtig ist und in dem Änderungen vorgenommen werden könnten, die helfen würden, die Aufgaben, die mit der Leitungsbefugnis verbunden sind, auch tatsächlich so umzusetzen, dass nicht von ständigem Anschein gesprochen werden muss. Ich persönlich kann nämlich kein Allheilmittel darin erblicken, den Untersuchungsrichter in genau definierten, zwingenden Causen einschalten zu müssen. Der Umstand, dass er ohnehin immer nur dann tätig werden kann, wenn der Staatsanwalt diese Anträge stellt, „a limine“-Einstellungen also ohnehin nicht davon erfasst werden können, bedingt an sich nicht unbedingt eine erhöhte Rechtsschutzgarantie.

Die Schaffung einer Bestimmung – unter Umständen auch im Sinne des Vorschlages des Bundesministeriums für Justiz, des Papiers, das Sie heute auf den Tisch bekommen haben, aber auch im Sinne von einigen meiner Vorredner insbesondere in der letzten Debatte –, die Schaffung einer Bestimmung, die dem Staatsanwalt eine weitere Einschaltung des Ermittlungsrichters ermöglicht, wäre natürlich grundsätzlich zu begrüßen, aber ein zwingendes Einschalten in ganz genau definierten Causen würde die Leitungsbefugnis – und an diesem Punkt hänge ich schon sehr stark aus meinem beruflichen Selbstverständnis heraus – in meinen Augen einschränken in einer Form, die dem Entwurf nur mehr sehr schwer gerecht werden könnte.

Was das viel zitierte „Anscheinsproblem“ betrifft, das, so wie es manchmal den Anschein hat, nur durch die Einschaltung richterlicher Tätigkeit behoben werden könnte, sehe ich durchaus Auswege, und ich möchte das jetzt zusammenfassend noch einmal sagen: Wenn die Staatsanwälte als Teil der Justiz und nicht der Verwaltung mit einem Ausbau des Dienst- und Standesrechts und einer Aufnahme in die Verfassung sowie einer Bewegung im Rahmen des Weisungsrechtes hier einen gewissen Spielraum bekommen, sich auch wirklich als leitungsbefugte Organe fühlen zu können, dann, denke ich, ist auch eine Umsetzung des Entwurfes in weiten Teilen möglich.

Ich habe mich selbst und persönlich in meinen Vorstellungen hinsichtlich der Sachverständigen-Bestellung sehr stark gewandelt. Ich war ursprünglich sehr massiv dafür, hier nur oder überwiegend richterliche Bestellung ins Auge zu fassen, habe mich aber mittlerweile überzeugen lassen, dass im Rahmen von Beschwerdemöglichkeiten durchaus der Rechtsschutz in entsprechender Form gewahrt ist. Wenn vorher keine Absprache zwischen den Parteien und dem Staatsanwalt möglich ist, hat das Gericht die Möglichkeit zu entscheiden, und ich denke, dass das grundsätzlich ausreichend sein müsste.

Noch einmal der Appell an Sie alle, die Sie letztlich die politische Verantwortung für dieses Werk tragen werden: Dass die Umsetzung etwas kosten wird, das ist vollkommen klar, und dass diese Kosten letztlich auch ein großer und bestimmter Teil für die Umsetzungsmöglichkeit insgesamt sein werden, liegt auch auf der Hand, weil ein Berufsstand von 200 Personen nicht Aufgaben, die letztlich zu einer Verdoppelung führen werden, ohne die erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattungen tragen kann.

Leitender Oberstaatsanwalt HonProf. Dr. Heimo Lambauer (Oberstaatsanwaltschaft Graz): Es hat mich gefreut, dass Kollegin Loderbauer bezüglich der Sachverständigen-Bestellung eine sehr überzeugende Meinung vertritt, die mir auch besonders gut gefiele. Aber nun zur Verfassungsproblematik.

Auch wenn man nicht einer versteinerten Versteinerungstheorie anhängt, so, glaube ich, ist dennoch auf den Anklageprozess abzustellen, den 1920 der Verfassungsgesetzgeber vor Augen hatte. Nur eine Weiterentwicklung dieser damaligen Grundsätze, die damals für den Anklageprozess gegolten haben, würde eine Verfassungskonformität darstellen. Und nur dann könnte man meines Erachtens im Sinne von Öhlinger und Funk von einer so genannten intrasystematischen Fortentwicklung des Anklageprozesses sprechen.

Wenn man sich aber nun vor Augen hält, dass ein prozessualer Grundsatz bereits 1873 war, dass der Staatsanwalt vom Gericht unabhängig sein soll und sein muss und dass der Staatsanwalt in allen Offizialsachen vom Gericht her unbeeinflusst und unbeeinflussbar Anklage erheben kann, dann stellt sich diese Problematik in Hinkunft in Bezug auf die Anklageerzwingung schon dar. Damals war es selbstverständlich, dass er frei sein sollte in seinem Entschluss, ob er anklagt oder einstellt. Bezüglich der Einstellung hat es im Vorverfahren die einzige, kaum genützte Möglichkeit nach § 109 Abs.2 der Strafprozessordnung gegeben. Zur Anklage konnte er überhaupt nicht gezwungen werden von Seiten des Gerichtes. Vor allem war man ja damals – und das war das Entscheidende – gegen dieses gerichtliche Verweisungserkenntnis, dass das Gericht entscheidet, was angeklagt wird. Nur der Geschädigte sollte in Ausnahmefällen die Möglichkeit haben, dass ihm vom Gericht auf freiwilliger Basis die Strafverfolgung bewilligt wird, von der er allerdings, wie gesagt, jederzeit auch zurücktreten kann und konnte.

Also: der Staatsanwalt frei beim Offizialdelikt in der Entscheidung, klagt er an oder klagt er nicht an.

Wenn man sich die Materialien anschaut, so war gerade eben dieses Verweisungserkenntnis ein Stein des Anstoßes – kein Zwang zur Strafverfolgung, kein Zwang zur Anklageerhebung. Die Kontrolle der Anklagetätigkeit sollte ausschließlich innerbetrieblich auf Grund des Behördenaufbaus erfolgen, durch den Bundesminister für Justiz, der dem Parlament verantwortlich ist. Und zusätzlich nur und ausschließlich die Subsidiaranklage. Und auch der wurde, wie ich bereits gesagt habe, nie gezwungen, Anklage zu erheben, sondern das Gericht bewilligt ihm diese Verfolgung.

Ganz anders nun diese geplante Verfahrensfortführung, wie sie in der Regierungsvorlage vorgeschlagen ist. Die ist letztlich ganz sicher ein Zwang zur Anklageerhebung, das hat auch letztes Mal bereits Steininger gesagt. Das ist nämlich nicht nur ein Zwang zur bloßen Verfahrensfortführung, denn was ist dann, wenn alle Beweise bereits vorhanden sind und nur das Gericht die Beweissituation anders bewertet als der Staatsanwalt oder wenn eine weitere Beweisstoffsammlung überhaupt nicht mehr in Sicht ist oder für den Staatsanwalt nicht in Sicht ist? Das Gericht soll ihn ja gar nicht zu bestimmten Beweisermittlungen anhalten können. Dann bleibt letztlich ja nicht anderes übrig, als dass der Staatsanwalt Anklage zu erheben hat – und wir sind bei dem Anklageerzwingungsverfahren, wie es sich auch im Wesentlichen in der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

Dieser vorgesehene Zwang zur Anklageerhebung bedarf meines Erachtens unbedingt der Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers. Ohne dessen Zustimmung ist das verfassungswidrig, weil es meines Erachtens direkt konträr zum Anklageprozess des Jahres 1873 und umso mehr zum Anklageprozess auf Grund einer gewissen Entwicklung des Jahres 1920 ist. Ich habe mit Freude das letzte Mal, wenn ich mich nicht verhört habe, von Öhlinger vernommen, dass er selbst diese Problematik sieht und auch gemeint hat, da könnte es wirklich mit der Verfassungsmäßigkeit ein großes Problem geben.

Ich kann nur wieder dafür eintreten, was ich schon immer tue: Warum nicht statt Klageerzwingung Ausbau des Subsidiarantragsrechtes? – Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich wäre gerne bereit, sie auszuführen, aber das würde hier viel zu weit führen. Aber diesen Einwand, dass wir dann keine Voruntersuchung haben – die es ja in Zukunft nicht geben soll – und daher die Ermittlungen nicht wie bisher vom Untersuchungsrichter durchgeführt werden könnten, lasse ich wirklich nicht gelten. Abgesehen davon, dass es ja noch immer fraglich ist – das hat man heute wieder durchgehört –, ob nicht in gewissen Fällen ohnehin eine Voruntersuchung bleiben soll, darf ich nur darauf hinweisen, dass im Entwurf selbst steht, nämlich in § 196 Abs. 3, dass das Gericht, das über die Anklageerzwingung entscheidet, auch selbst Erhebungen durch die Kripo durchführen und die Kriminalpolizei mit Ermittlungen beauftragen kann. Das steht so bereits im Entwurf. Also man braucht gar nicht unbedingt diese Voruntersuchung.

Ich darf auch auf die deutsche Lösung verweisen: In Deutschland ist es ja so, dass man einen Richter aus diesem Gremium, das entscheidet, mit den Ermittlungen beauftragen könnte. Teilweise macht es in Deutschland – habe ich mir sagen lassen – die Staatsanwaltschaft auf freiwilliger Basis, ohne dazu gezwungen zu sein.

Ich möchte noch einmal eindringlich sagen, dass dieser Zwang zur Verfahrensfortführung und schließlich dieser Zwang zur Anklageerhebung unbedingt der Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers bedarf. Man sollte anstelle dieser Bestimmung, was durchaus möglich ist, die Subsidiaranklage ausbauen. Und wenn dann immer der Einwand kommt, das wird selten ausgeübt und ist wenig effektiv, so kann ich dazu nur sagen: Das ganz Gleiche gilt in Deutschland, was die Anklageerzwingung anlangt. Das zeigt meines Erachtens nur auf, wie effektiv und wie korrekt die Staatsanwälte arbeiten.

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Sektion II): Sehr viele Wortmeldungen beschäftigten sich mit der Frage: In welchen Fällen brauchen wir eine richterliche Ermittlung? Ich kann gleich daran anknüpfen: Wir wollen vom Entwurf her keine „Voruntersuchung“, wie Lambauer gemeint hat, und das, was uns Geyer jetzt vorschlägt, wäre eine „Voruntersuchung“. Wir wollen nicht den Richter, der durch den Staatsanwalt delegiert wird, etwas an die Kriminalpolizei weiterzugeben. Man muss sich doch fragen, was das mehr an Unabhängigkeit bringt, wenn ein Richter nicht unmittelbar die Ermittlungen ausführt und die Beweisaufnahme durchführt, sondern nur als „Delegierter“ gegenüber der Kriminalpolizei auftritt? Das wäre doch ein Mäntelchen.

Was wir vorschlagen, ist, dass das Gericht immer dann, wenn es über Zwangsmittel zu entscheiden hat, sich von Amts wegen sämtliche Grundlagen über Tatverdachtverhältnismäßigkeit selbst beschaffen können soll.

Immer dann, wenn das Gericht eine Beweisaufnahme durchzuführen hat, das heißt kontradiktorische Vernehmung beziehungsweise Tatrekonstruktion, soll es in allen Fällen, in denen Beweismittelverlust droht oder in denen die Tatentkräftung möglich ist, von Amts wegen, aber dann bitte unmittelbare Beweisaufnahmen durchführen können, das heißt, unmittelbar vernehmen – und nicht wieder delegieren. Im Delegieren liegt das Problem, und im Delegieren liegt auch die Verzögerung des Verfahrens.

Wir schlagen vor, dass in einem dritten Fall – und das soll unserer Ansicht nach der einzige Fall sein, wo wirklich die Anscheinsproblematik im Gesetz verankert wird –, nämlich dann, wenn ein Angehöriger der Strafverfolgungsbehörden als Beschuldigter zu behandeln ist, die Staatsanwaltschaft verpflichtet sein soll, das Gericht mit unmittelbaren Beweisaufnahmen zu beauftragen, also wiederum Tatrekonstruktion oder kontradiktorische Vernehmung. Was wir nicht wollen, ist, dass Richter bloß als Weiterleiter von Aufträgen der Staatsanwaltschaft auftreten.

Zum Einspruch: Den Einspruch kann man von beiden Seiten betrachten. Beim Einspruch war es so, dass wir im Stadium des Ministerialentwurfs keine Instanz und keine Beschwerdemöglichkeit vorgesehen haben. Dann ist doch der berechtigte Einwand von Seiten der Staatsanwaltschaft gekommen: Was ist, wenn der Richter eine Entscheidung fällt? Dieser Beweis ist aufzunehmen beziehungsweise hat die Staatsanwaltschaft eine fehlerhafte Anordnung erteilt. Wir können uns gar nicht dagegen wehren. Der Richter wird zu mächtig.

Aus diesem Grund sollte natürlich auch die Möglichkeit bestehen, dass die Staatsanwaltschaft gegen eine Entscheidung des Gerichts im Ermittlungsverfahren das Oberlandesgericht anruft. Wir halten das auch für entscheidend, damit sich in diesen Fällen eine Judikatur herausbildet. Einseitig kann man das Rechtsmittel natürlich nicht nur der Staatsanwaltschaft geben; das würde wohl dem Fairnessgesichtspunkt widersprechen.

Zur beeindruckenden Darstellung der Möglichkeit der Kriminalpolizei, einen Verteidiger auszuschließen: Nach dem Gesetz und nach dem Entwurf schaut es zumindest von den Bestimmungen her schon ein bisschen anders aus. Da gibt es einen unbedingten Anspruch darauf, dass ich einen Verteidiger beiziehe. Der von Frau Dr. Rech geschilderte zweite Fall, dass nämlich die Polizei von sich aus entscheidet, dass man keinen Verteidiger braucht, wäre ein krass rechtswidriges Vorgehen der Sicherheitsbehörden, der Kriminalpolizei.

Ich stehe auf dem Standpunkt und auch der Entwurf steht auf dem Standpunkt: Von vornherein kann man der Kriminalpolizei kein rechtswidriges Vorgehen unterstellen. Man muss die Kriminalpolizei bestimmten Regeln unterwerfen, und man muss die Einhaltung der Regeln kontrollierbar machen. Wenn man argumentiert, auf Basis des geltenden Rechts könnte ich durchsetzen, dass ein Verteidiger bei der Vernehmung dabei ist, dann muss ich Frau Dr. Rech sagen: im gerichtlichen Verfahren eben nicht.

Wir haben ja auch schon Entscheidungen der Ratskammer, die besagen, der gemeinsame Erlass der beiden Ministerien ist für das Gericht nicht maßgeblich. – Das stimmt ja auch. Es ist eine bloße Empfehlung für das Gericht, und die derzeitigen Bestimmungen lassen diese richterliche Meinung auch zu. Wo der Unterschied zwischen einer Beschwerde nach dem derzeitigen System und dem Einspruch ist, das verstehe ich nicht ganz. Man wird doch über den Einspruch jedenfalls sagen können: Mir ist unzulässigerweise der Kontakt mit dem Verteidiger verwehrt worden. Dann wird das wohl oder übel auch Folgen haben. Die Frage ist allerdings: Muss die Folge darin bestehen, dass sonst ein ordnungsgemäß aufgenommenes Vernehmungsprotokoll nicht mehr verwertet werden kann? Ist das wirklich die angemessene Reaktion auf ein Fehlverhalten der Kriminalpolizei, dass wir auf ein wichtiges Beweismittel verzichten? Das ist die entscheidende Frage, die man sich stellen muss.

Wir haben gesagt: So weit kann es nicht gehen! Wenn einer Vernehmung der Charakter einer Vernehmung nicht völlig genommen wird, das heißt, wenn der Beschuldigte zumindest über seine Rechte belehrt und ihm klar gemacht wird, dass er als Beschuldigter vernommen wird und er das Recht hat, zu schweigen, bis er mit einem Anwalt ein Gespräch geführt hat, wenn diese grundsätzlichen Bedingungen einer Vernehmung also eingehalten worden sind, dann sollen andere Verletzungen nicht dazu führen, dass uns ein Beweismittel verloren geht.

Da kann man natürlich anderer Ansicht sein und sagen: Wir fordern ein Beweisverwertungsverbot. Aber dann muss man sich dessen bewusst sein, welche Verluste für die Wahrheitsfindung man damit bezweckt. Das ist eine Abwägungsfrage.

Wie wir auch in dieser Unterlage zum Ausdruck bringen, kann man bei der Formulierung der Möglichkeit, ob ein Verteidiger ausgeschlossen beziehungsweise ob das erste Beratungsgespräch beschränkt wird, bessere Lösungen finden. Wir verschließen uns nie besseren Lösungen. Aber der Vergleich, der immer wieder mit der bundesdeutschen Rechtslage angestellt wird, ist meines Erachtens nicht ganz fair, weil es dort eine viel schärfere Sanktion gibt. In den Fällen, in denen der Verteidiger im Verdacht steht, zusammenzuwirken beziehungsweise Ermittlungsergebnisse hinauszugeben, gibt es dort nämlich einen Ausschluss. Dort wird der Verteidiger von der weiteren Vertretung ausgeschlossen. Da ist ja unsere Sanktion noch die harmlosere. Wir sagen, dass er bei der Vernehmung nicht dabei sein darf und dass möglicherweise, unter ganz bestimmten Bedingungen, das Gespräch mit dem festgenommenen Beschuldigten überwacht werden kann.

Ein Rechtsvergleich ist also immer etwas schwer durchzuführen, und man kann sich auch nicht immer nur die Rosinen aus vergleichbaren Rechtsordnungen herauspicken.

Zu Jesionek, Begriff „Opfer“: Auch das ist eine Diskussion, die jetzt schon lange hin und her geht. Einerseits ist jedermann bewusst, dass mit dem Begriff „Opfer“ – und das kommt ja auch zum Teil in Untersuchungen vor – schon auch zum Teil das Übernehmen von Mitschuld verbunden ist. Opfer hat schon noch etwas Sakrales an sich: Ich bringe ein Opfer. Eine Person, die durch eine strafbare Handlung geschädigt wird, bringt aber niemandem ein Opfer. Wir haben da gewisse Bedenken bei diesem Begriff. Nebenbei trifft es unserer Ansicht nach noch immer zu, dass sozusagen das Verhältnis zum Begriff des Täters möglichst gewahrt werden sollte.

Bei der Bestimmung Verfahrenshilfe für jeden Privatbeteiligten muss ich sagen, dass wir uns da sehr schwer tun. Grundsätzlich steht das Zivilverfahren für diese Ansprüche zur Verfügung. Im Zivilverfahren gibt es einen Anspruch auf Verfahrenshilfe, und im Strafverfahren ist es leider Gottes oft so, ganz im Gegenteil, dass man natürlich den Sachverständigen nach den Schmerzperioden fragt und man natürlich als Richter die Möglichkeit hätte, einen wesentlich höheren Schmerzensgeldbetrag zuzusprechen. Nur wären dann interessanterweise die Ansprüche auf 1 000 € beschränkt. Warum ist das so? – Weil man im Zivilverfahren dann die höheren Kosten bekommt. Daher muss man schon auch aufpassen, in welchen Fällen man im Strafverfahren Privatbeteiligten einen Vertreter gewährt.

Es geht auch darum, eine zu weit gehende Emotionalisierung des Verfahrens zu verhindern, und es geht auch darum, ob tatsächlich ein Zuspruch zu erwarten ist. Ein Zuspruch ist nur dann zu erwarten, wenn der Vertreter konkretisiert, welche Ansprüche in welcher Höhe er geltend macht. Wenn er sich auf die Teileinklagung eines Schmerzensgeldbetrages von etwa 100 € beschränkt, dann würde auch nach dem Zivilverfahren der Anspruch auf Beigabe eines Verteidigers bestehen. Man sollte also die Relation zum Zivilverfahren und zum eigentlichen Verfahrensziel im Strafverfahren – das ist und bleibt der Versuch des Nachweises der Schuld des Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten – wahren.

Richterin Dr. Eva Brachtel (Landesgericht für Strafsachen Wien; Mitglied der Fachgruppe Strafrecht der Vereinigung der österr. Richter): Als Praktiker bejahe ich zunächst grundsätzlich die Einführung des einheitlichen Vorverfahrens und das Vorhaben, das polizeiliche Handeln in diesem Vorverfahren auf eine rechtsstaatlich einwandfreie gesetzliche Basis zu stellen.

Auch die umfassende Regelung der Rechte der Beschuldigten und den Ausbau der Geschädigtenrechte im Strafverfahren begrüße ich grundsätzlich. Man sollte aber immer dabei nicht vergessen, dass auch die bisherige Strafprozessordnung in einem großen Maß den Geschädigten bereits entsprechende Rechte eingeräumt hat. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, dass bislang die Richter, vor allem auch die Untersuchungsrichter und die Praktiker, auf Grund geltender Regeln mit den Rechten der Beschuldigten oder Geschädigten sträflich umgegangen sind oder sie bislang nicht besonders berücksichtigt haben. Es war mir besonders wichtig, das einmal festzuhalten.

Natürlich ist jedweder Ausbau dieser Rechte möglich. Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der Strafprozess einerseits doch nicht primär der Schlichtung zivilrechtlicher Auseinandersetzungen dienen sollte – man denke in diesem Zusammenhang in der Praxis zum Beispiel an die vielen Streitigkeiten im Zusammenhang mit Ehescheidungsverfahren, die sehr oft im Zuge eines Strafprozesses ausgetragen werden wollen – und andererseits auch der Rechtsschutz des Beschuldigten nicht in einem überzogenen Ausmaß festgeschrieben werden sollte, was in der Praxis dazu führen könnte, dass sich die Bearbeitung eines Aktes im Endeffekt nur mehr in der Erledigung von Rechtsmitteln des Beschuldigten erschöpft und jede mehrfache Einspruchsmöglichkeit wegen jedweder Verletzung eines Verfahrensrechtes letztendlich auch eine Verzögerung des Verfahrens bedeuten kann.

Man sollte daher eine maßvolle Einräumung dieser Rechte überlegen, um eine nachhaltige Beeinträchtigung des Funktionierens der Strafjustiz hintanzuhalten.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Regelung des § 10 Abs. 2 des Entwurfs verweisen, der eine sehr weite Verpflichtung für die Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und das Gericht festschreibt, dass diese unter anderem alle Geschädigten über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren sowie über die Möglichkeit informieren zu haben, Entschädigungs- und Hilfeleistungen zu erhalten.

Im Zusammenhang mit § 65 des Entwurfs über die Definition des Geschädigten wird diese Regelung vor allem in umfangreichen Betrugsverfahren mit mehreren hundert Geschädigten – und diese gibt es leider sehr oft, vor allem im Landesgericht für Strafsachen Wien – zu einem gewaltigen Mehraufwand führen.

Zum Plan der gänzlichen Abschaffung des Untersuchungsrichters in der bisherigen Form, der als unabhängiger und weisungsungebundener Richter und als Garant für eine unbeeinflusste Voruntersuchung auch in heiklen Fällen tätig wird: Die gänzliche Abschaffung des Untersuchungsrichters scheint mir problematisch zu sein. Wir alle kennen doch die Fälle in der Vergangenheit, in denen ein unabhängiger Untersuchungsrichter unverzichtbar war für die vollständige Aufklärung des Sachverhaltes. Dieser Möglichkeit der Einschaltung eines unabhängigen Untersuchungsrichters sollte sich der Gesetzgeber nicht durch gänzliche Abschaffung begeben. Es sollte auch zu denken geben, dass im Rahmen von Reformbestrebungen in anderen Staaten wieder der Untersuchungsrichter eingeführt werden soll beziehungsweise Länder auf diesen Untersuchungsrichter bisher auch nicht verzichtet haben. Ich weiß schon, das Gegenargument ist, dass man sagt, man versucht, diese Staaten eher davon abzuhalten. Aber man sollte zumindest darüber nachdenken, warum diese gerade an eine Einführung dieses Untersuchungsrichters denken.

Das Vertrauen in die Justiz ist sehr wichtig. Der Untersuchungsrichter hatte einen sehr großen Stellenwert, das Vertrauen war sehr hoch in ihn. Vor allem in brisanten Fällen ist die Aufklärung des Sachverhaltes durch den unabhängigen Untersuchungsrichter meiner Ansicht nach sehr wichtig. Auf jeden Fall wäre es überlegenswert, den Untersuchungsrichter und die Voruntersuchung in bestimmten Fällen beizubehalten, so wie es jetzt offenbar doch auch von anderer Seite schon geplant ist, und dem Staatsanwalt daher die Möglichkeit zu eröffnen, eine diesbezügliche Antragstellung auch vorzunehmen.

Dies würde sich zum Beispiel in Haftsachen besonders anbieten, auf jeden Fall in den Fällen mit einem heiklen, brisanten Hintergrund und überhaupt vielleicht bei sehr umfangreichen Faktensachen.

Wie ist es denn derzeit in der Praxis? – Der Untersuchungsrichter bekommt einen Haftakt auf den Tisch mit den entsprechenden Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Einleitung der Voruntersuchung und allenfalls Verhängung der Untersuchungshaft. Er ist ab diesem Zeitpunkt voll verantwortlich für dieses Verfahren. Er hat im Sinne der materiellen Wahrheitsfindung die belastenden und entlastenden Beweise zu erheben. Er hat im kurzen Weg oft telefonisch geladene Zeugen zu vernehmen. Er hat Beschlüsse zu fassen. Er hat Gutachtensaufträge zu erteilen. Er hat ergänzende Einvernahmen des Beschuldigten zu den neuen Verfahrensergebnissen unverzüglich durchzuführen und bearbeitet auf diese Weise den Sachverhalt rasch, effizient und mit einem Gesamtüberblick, vor allem auch dann, wenn es um die Entscheidung über die Haftfrage geht.

Es ist in der Praxis ja so, dass ein Haftakt letztendlich ständig beim Untersuchungsrichter in irgendeiner Form auf dem Tisch liegt. Er ist ja bemüht, dieses Verfahren möglichst rasch und effizient zum Abschluss zu bringen, eben auf Grund der auf ihm lastenden Verantwortung. Das wird dann nicht mehr so sein, wenn die Stoffsammlung bei der Staatsanwaltschaft und bei der Polizei liegt und die Entscheidung über die Haftfrage – und nur über diese – beim Einzelrichter des Gerichtshofs.

Gerade in Haftsachen scheinen mir aber dieser Gesamtüberblick über den Sachverhalt und die laufenden Erhebungen, und zwar der lückenlose Gesamtüberblick, und das kurzfristige flexible Reagieren des für die Entscheidung in Haftsachen berufenen Organs besonders wichtig zu sein. Nicht von ungefähr hat der Gesetzgeber im § 173 des Entwurfes auch vorgesehen, dass die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft unter anderem nur dann zulässig sind, wenn der Beschuldigte vom Gericht zur Sache vernommen worden ist. Das heißt, das Gericht muss, bevor es über die Verhängung der Haft oder die Fortsetzung entscheidet, den Beschuldigten zur Sache vernehmen – nicht nur zu den Haftgründen und zu seinen Personalien.

Was bedeutet das? – Daraus ergibt sich schon die Frage, welche Rolle der angeblich bloß über die Untersuchungshaft entscheidende Richter wirklich spielen soll. Dann wird wieder das Pflichtverhör nach der geltenden Regelung beibehalten, das vor der Entscheidung über die Untersuchungshaft vom Gericht durchzuführen ist. In der Praxis bedeutet das doch: Der Richter geht zu dem Häftling hin, er setzt sich zu ihm und sagt: Erzählen Sie, wie war das? Er vernimmt ihn. Er schafft Beweis.

Ist damit die Kompetenz des § 31 des Entwurfs ausgeweitet? Wird damit wieder der Untersuchungsrichter auf diese Art und Weise eingeführt? Diese Problematik erscheint mir schon sehr überlegenswert.

§ 68 Abs. 2 des Entwurfes. Diese Bestimmung belastet das Hauptverfahren in Strafsachen meiner Ansicht nach mit zivilrechtlichen Vergleichsverhandlungen, wobei auch Ladungen zu einem Vergleichsversuch auf Antrag – wobei sich die Frage stellt: von wem? – und von Amts wegen vorgesehen sind.

Um diversionelles Vorgehen abzuklären beziehungsweise auf eine Schadensbereinigung hinzuwirken, reicht meines Erachtens die Praxis im bisherigen Sinn völlig aus. Unklar ist, ob die Staatsanwaltschaft bei solchen Vergleichsgesprächen im Strafverfahren dabei sein muss beziehungsweise soll. Nach dem reinen Gesetzestext scheint es nicht so zu sein, was mich aber eher verwundert.

§ 175 des Entwurfes: Die erste Haftfrist soll nunmehr 14 Tage nach Verhängung der Untersuchungshaft betragen. – Ich war damals bei den Besprechungen anlässlich der letzten großen Haftreform als Expertin dabei und weiß, dass damals das entscheidende Argument für den Beginn der Haftfrist als Zeitpunkt der Festnahme das war, dass man gesagt hat, der Grundrechtseingriff steht ab diesem Zeitpunkt eindeutig fest. Jetzt soll es anders sein. Es darf nur darauf hingewiesen werden, dass der Zeitpunkt der Festnahme, somit des Grundrechtseingriffes wohl ein besserer, weil eindeutig von Anfang an feststehender Zeitpunkt wäre. Der Mann wurde zu diesem Zeitpunkt festgenommen. Die Frau wurde zu diesem Zeitpunkt verhaftet. Für die Entscheidung über die Untersuchungshaft stehen im Sinne des § 174 des Entwurfs aber 48 Stunden zur Verfügung. Da kann sich einiges verschieben.

Die Abschaffung des Pflichtverteidigers ist im Sinne der Kostenersparnis sehr zu begrüßen, wird aber in der Praxis auch zu Problemen führen, es sei denn, es gibt diesen anwaltlichen Notdienst, der, wie ich gehört habe, geplant sein soll. Was, wenn zum Beispiel innerhalb kurzer Zeit die Durchführung einer Haftverhandlung am Tag nach Verhängung einer Untersuchungshaft geplant ist und kein Verteidiger zur Verfügung steht? Gerade diese Problematik versuchte man, mit dem §-42-(2)-StPO-Verteidiger in den Griff zu bekommen. Ich habe damals das Wort des „Verteidigers vom Apfelbaum“ geprägt. Entschuldigen Sie diesen saloppen Ausdruck, aber es war so typisch: Der Richter hat jederzeit einen Verteidiger zu seiner Verfügung, der den Beschuldigten vertreten, diesem zur Seite stehen kann.

Es ist daher meiner Ansicht nach notwendig, vor allem in Haftsachen, eine diesbezügliche Regelung zu treffen. Ein Anruf – und es muss klar sein: Es ist ein Vertreter und Verteidiger anwesend, es kann ein Verteidiger kontaktiert werden. Diesbezügliche Zweifel dürften aber bereits bestehen, weil sonst die Bestimmung des § 62 (2) des Entwurfes wohl jeder Grundlage entbehren würde. Beibehalten werden soll bei Notwendigkeit die Bestellung einer zum Richteramt befähigten Person zum Verteidiger, wozu in Zeiten moderner Technik eigentlich kein Anlass besteht. Ein Richter soll zum Verteidiger bestellt werden können. – Ja wozu brauchen wir denn diese Regelung? Das ist nicht mehr zeitgemäß! Wenn die Rechtsanwaltskammer tatsächlich in der Lage ist, über Fax sofort einen Verteidiger zu bestellen, dann muss keine zum Richteramt befähigte Person diesbezüglich einschreiten. – Wobei ich dazusagen möchte, dass ich diese Bestimmung überhaupt etwas problematisch finde!

§ 164 des Entwurfes – das wurde schon angesprochen – bezieht sich auf die Vernehmung des Beschuldigten unter Beiziehung einer Vertrauensperson. Ich möchte darauf hinweisen, dass es wieder zu massiven Verzögerungen vor allem in Haftsachen kommen kann, wenn keine Vorkehrungen bezüglich der Verteidigung getroffen sind.

Beispiel: Am Wochenende – und es gibt sehr viele Einlieferungen von Häftlingen am Wochenende – wird eine der deutschen Sprache nicht mächtige Person in die Justizanstalt eingeliefert. Sie ist beschuldigt, sie soll zum Pflichtverhör gebracht werden, ein Dolmetscher wird bestellt, um das Pflichtverhör durchzuführen. Dann teilt der Beschuldigte mit, er brauche eine Vertrauensperson, diese solle verständigt werden. Der Dolmetscher wird zunächst einmal unter Kostenlegung nach Hause geschickt, um keine zusätzlichen Kosten zu verursachen, und es werden andere Beschuldigte vernommen. Inzwischen versucht wer auch immer, eine Vertrauensperson zu kontaktieren, damit sie dabei sein kann. Das kann relativ lange dauern. Dann wird wieder ein Dolmetscher bestellt, und man wird neuerlich versuchen, das Pflichtverhör durchzuführen. Die 48-Stunden-Frist für das Pflichtverhör läuft aber schon. Was ist, wenn das Pflichtverhör nicht innerhalb der 48 Stunden bewerkstelligt werden kann?

Es ist – und ich denke, darin sind sich alle einig – nicht wünschenswert, wenn dann ein wegen eines Kapitaldeliktes Verdächtiger wegen Fristablaufs enthaftet werden muss, weil diese formellen Vorschriften eine Entscheidung über die Haft im vorgesehenen Zeitraum nicht möglich machen. Diesbezüglich ist also meiner Ansicht nach eine Vorkehrung zu treffen.

Nicht ganz einsichtig erscheint mir hingegen – wenn ich das richtig verstanden habe im Entwurf – die Bestimmung des § 174 Abs. 4 StPO, weil diese eine Schlechterstellung des Beschuldigten in der Form darstellt, dass dieser bei Beschwerdeerhebung gegen die Verhängung der Untersuchungshaft die nächste Haftfrist auslösen soll. Ich denke, darüber sollte man auch noch nachdenken: Es wird über jemanden die Untersuchungshaft verhängt, dieser erhebt Beschwerde – ein Recht, das ihm zusteht –, und somit löst er die nächste Haftfrist von einem Monat für sich aus.

Zu § 57 Abs. 2, der Bestimmung, dass der Beschuldigte nur dann einen Rechtsmittelverzicht abgeben kann, wenn er dies im Beisein eines Verteidigers tut und nach Beratung mit diesem, möchte ich Folgendes anmerken: In der Praxis, und zwar sowohl als Untersuchungs- als auch als Erkenntnisrichter, habe ich Fälle erlebt, dass die Beschuldigten über ihre Rechte so gut informiert waren, dass sie die entsprechenden Erklärungen gegenüber dem Gericht völlig fehlerfrei abgeben konnten und sich teilweise sogar nicht unbedingt des Verteidigers bedienen wollten. Letztendlich sollten wir doch immer sehen, dass der Beschuldigte die Hauptperson im Verfahren bleibt und zu einer Beratung mit seinem Verteidiger nicht geradezu gezwungen werden kann. – Ich denke, diesbezüglich ist der Entwurf vielleicht etwas überzogen.

Ich möchte noch kurz etwas zu der Verteidiger-Beiziehung vor der Polizei sagen – ich habe das an und für sich nicht vorgehabt, aber die Diskussionen der letzten Tage haben mich dann doch dazu bewogen, dazu Stellung zu nehmen und aus der Praxis das beizutragen, was ich tagtäglich den Akten entnommen habe und auch jetzt als Erkenntnisrichter höre –: Es ist nicht so, dass der Beschuldigte, der von der Polizei vernommen wird, nicht über seine Rechte belehrt wird. Es ist nicht so, dass in den Protokollen nicht drinsteht: Sie haben das Recht, sich der Aussage zu entschlagen, Sie brauchen nicht auszusagen, Sie können sich eines Verteidigers bedienen! Ich entnehme den Akten und Protokollen auch sehr oft, dass die Vernehmung sehr kurz ist. Nach der Belehrung sagt der Beschuldigte: Ich sage gar nichts, ich verweigere die Unterschriftsleistung und ich will mit meinem Verteidiger sprechen. Und so steht es dann auch im Protokoll.

Ich denke, wir sollten vorsichtig sein, was das Misstrauen gegenüber den Polizeibehörden betrifft. Sie nehmen diese Rechte sehr wohl wahr, und die Möglichkeiten werden von den Beschuldigten auch in Anspruch genommen.

DSA Mag. Alexandra Weissenbacher (Interventionsstelle gegen Gewalt): Als Mitarbeiterin einer Opferschutzeinrichtung der Wiener Interventionsstelle möchte ich zu Beginn nochmals hervorheben, wie erfreulich es ist, dass in der vorliegenden Regierungsvorlage die Opfer mit einem Mehr an Rechten ausgestattet wurden.

Um jetzt noch einmal auf die Diskussion rund um das Wort „Opfer“ zurückzukommen: Ich verwende das Wort „Opfer“ und nicht das Wort „Geschädigter“, wie es die Regierungsvorlage vorsieht, und ich tue dies auch ganz bewusst, weil der Begriff „Opfer“ im EU-Rahmenbeschluss verwendet wird. Überdies ist der Begriff „Opfer“ ein international gebräuchlicher, und auch ein Zweig der Kriminologie, nämlich die Victimologie, enthält begrifflich das Wort „Opfer“.

Ich meine, dem Begriff „Opfer“ haftet nichts Sakrales an, wie heute schon gesagt wurde, sondern es ist ein Fachterminus, der nicht nur in diesem EU-Rahmenbeschluss, sondern auch in anderen internationalen Übereinkommen zu finden ist. Wohingegen der Begriff „Geschädigte“ beziehungsweise „Geschädigter“ terminologisch mit der Geltendmachung von Schaden und von zivilrechtlichen Ansprüchen verbunden ist. Dadurch wird begrifflich eine Gruppe von Opfern ausgeschlossen, nämlich jene, die keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen können oder wollen, obwohl sie durch eine strafbare Handlung victimisiert wurden.

Aus all diesen Gründen wäre aus unserer Sicht die Verwendung des Wortes „Opfer“ in der vorliegenden Regierungsvorlage und später auch im Gesetz sinnvoll.

So erfreulich es ist, dass, wie gesagt, Opfer mit einem Mehr an Rechten ausgestattet wurden, so schade ist es, dass es eine Hierarchie, eine Kategorisierung von Opfern gibt. Es gibt eine Kategorie von Opfern, die mit mehr Rechten ausgestattet sind als andere. Das sind zum einen die Opfer schwerer Gewalttaten, § 65 Z. 1 lit. a, und zum anderen die Angehörigen von getöteten Personen, § 65 Z. 1 lit. b. Diese Kategorisierung von Taten als schwer ist wichtig für die Beschuldigtenseite. Ob zum Beispiel eine Körperverletzung schwer oder leicht ist, hat Einfluss darauf, welches Gericht zuständig ist, der Strafrahmen ist ein anderer, und auch bei der Strafzumessung spielt das eine Rolle.

Für denjenigen, der Opfer einer strafbaren Handlung wird, ist diese Kategorisierung nicht in diesem Ausmaß von Bedeutung. Opfer einer Gewalttat zu werden, bedeutet, traumatisiert zu werden, und das Ausmaß des Traumas hängt nicht davon ab, wie die Tat im strafrechtlichen Sinn zu qualifizieren ist. Eine Traumatisierung kann auch durch eine vergleichsweise unbedeutende Tat ein für das Opfer gravierendes Ausmaß erreichen. Die subjektiven Qualen – den Begriff „Qualen“ möchte ich jetzt nicht in dem Sinne verwendet wissen, wie er im Gesetz verwendet wird – von Opfern korrelieren nicht notwendigerweise mit der Schwere der Tat. Das Kriterium der Schwere der Tat greift aus diesem Grund für das Opfer nicht. Daher ist es schade, wenn das Ausmaß an Unterstützung von einer für das Opfer nicht maßgeblichen Kategorie abhängt.

Opfern sollte signalisiert werden, dass sie die Unterstützung des Staates erhalten, weil sie Opfer wurden, weil sie ein Trauma erlitten haben. Signalisiert sollte auch werden, dass die Traumatisierung nicht ungeschehen gemacht werden kann, Opfer aber bestmöglich unterstützt werden – unabhängig von der Schwere der Tat.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, dass die Trauma-Therapeutin Babette Rothschild gesagt hat, dass das Ausmaß eines Traumas und dessen Folgewirkungen auch maßgeblich davon abhängen, wie beispielsweise Polizei und Justiz reagieren, ob dem Opfer Glauben geschenkt wird oder nicht, ob das Opfer in seinem subjektiven Leid ernst genommen wird.

Auch die amerikanische Psychologin Judith Herman problematisiert die Gefahr der Re-traumatisierung, des unerwünschten Wiedererlebens des traumatisierenden Erlebnisses durch inadäquaten Umgang mit Opfern. Es ist daher wichtig, dass alle Opfer einer strafbaren Handlung die gleiche Unterstützung erhalten und dass keine Kategorisierung von Opfern erfolgt.

Noch ein Letztes: Oft wird ein Gegensatz, ein Spannungsverhältnis zwischen Opfer- und Beschuldigten-Rechten gesehen. Ich habe des Öfteren das Argument gehört, dass, wenn Opfer-Rechte ausgebaut werden, dies zu Lasten der Beschuldigten gehe. Der Victimologe Jan van Dyk hat in seiner Rede zur Eröffnung des IX. Symposiums der „World Society of Victimology“ darauf hingewiesen, dass der bessere Umgang mit Opfern strafbarer Handlungen vereinbar ist mit der fairen und menschlichen Behandlung von Verdächtigten und Beschuldigten. In einem modernen Strafrechtssystem muss und kann beides vereinbar sein.

Professor Dr. Otto F. Müller (Generalprokurator a.D.): Da ich an der Sitzung vom 5. Juni nicht teilnehmen konnte, gestatten Sie mir zunächst einige kurze allgemeine Bemerkungen. Alle meine Ausführungen verstehen sich aus der Sicht eines Praktikers nach mehr als 40-jähriger Tätigkeit als Richter und Staatsanwalt.

Ich möchte meine Meinung, die ich auch schriftlich niedergelegt habe, nicht verschweigen, dass es erstrebenswert und für die Praxis nützlicher wäre, wenn eine Neugestaltung der gesamten Strafprozessordnung jetzt und in einem Guss erfolgen könnte. Denn, zumal schon in der Regierungsvorlage in mindestens 30 Bestimmungen auf die Hauptverhandlung Bezug genommen wird, es scheint mir – abgesehen auch von vielfältiger Verzahnung dieser Bestimmungen des Vorverfahrens und des Hauptverfahrens – notwendig zu sein, zu überlegen, ob nicht zu befürchten ist, dass der jetzt noch anhaltende Reformdruck verloren gehen könnte, wenn man erst wieder lange Zeit danach über Haupt- und Rechtsmittelverfahren diskutiert – ein Bereich, der ja ebenso reformbedürftig ist. Dieser Reformschwung, der jetzt besteht, sollte genutzt werden, um nach dieser Teilreform sofort auch über Hauptverfahren und Rechtsmittelverfahren zu diskutieren.

Ich darf mich in diesem Zusammenhang auf eine in jüngster Zeit erschienene großartige Arbeit von Professor Moos über ausführliche Gedanken zur Reform des Hauptverfahrens beziehen.

Meiner Ansicht nach ist eine Teilreform auf jeden Fall besser als gar keine Reform – wenn diese durchwegs Verbesserungen bringt, was in einzelnen Punkten allerdings nicht gesagt werden kann. Ich stehe auch nicht an, wie viele andere hier auch, zu sagen, dass ich den Legisten im Bundesministerium für Justiz für ihre großartige Arbeit, für ihre Leistungen im Zusammenhang mit der Regierungsvorlage danke, und zu würdigen, dass die Möglichkeit besteht, in diesem Haus eine offene und freie Diskussion über die Regierungsvorlage zu führen.

Ich darf nun zu einigen Punkten der Regierungsvorlage Stellung nehmen. Meiner Auffassung nach zu begrüßen sind die Bemühungen um die gesetzliche Regelung der Stellung und Tätigkeit der Kriminalpolizei im Dienste der Strafjustiz, die jedoch in Ansehung des Zusammenwirkens, der Kooperation zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei meines Erachtens verbesserungswürdig ist, insbesondere was die eher umständliche und komplizierte Regelung der vielen Verständigungen, der gegenseitigen Stellungnahmen, des gegenseitigen Einvernehmens und so weiter betrifft. Das scheint mir nicht praxisgerecht zu sein und könnte eher zu Verzögerungen und zur Verunsicherung der an diesem Verfahren beteiligten Organe führen.

Insbesondere erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass dies dann geschehen, dann eintreten könnte, wenn die Kriminalpolizei vom Staatsanwalt nicht nur eine schriftliche Ausfertigung seiner Anordnungen und Genehmigungen verlangen kann, sondern auch eine entsprechende Begründung hiefür. Das würde meiner Auffassung nach auf eine Zweckmäßigkeitsprüfung, auf eine Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit, Anordnungen, Genehmigungen, auch Unterlassungen hinauslaufen, die nach derzeitiger Rechtslage nicht einmal dem Untersuchungsrichter zusteht. Das heißt, ich halte diese Einrichtung für nicht notwendig; diese sollte beseitigt werden.

Dasselbe gilt im Zusammenhang mit § 126 Abs. 3 der Regierungsvorlage, wenn nämlich der Sachverständige durch den Staatsanwalt bestellt werden soll und dazu das Einvernehmen – „möglichst“, so heißt es in der Regierungsvorlage – mit der Kriminalpolizei herzustellen ist. Damit würden Autorität und Souveränität des Staatsanwaltes unterlaufen werden. Es gibt auch keine weiteren Regelungen. Was ist denn vorgesehen, wenn das Einvernehmen nicht zustande kommt, wenn sich die Kriminalpolizei dagegen wehrt? Wer sagt überhaupt, was möglich ist? – Alles unzureichende Bestimmungen, die man eher vermeiden sollte.

Neu – erstmals in der österreichischen Justizgeschichte! – und durchaus begrüßenswert ist die Festlegung der Voraussetzungen, unter welchen der Staatsanwalt anzuklagen hat, nämlich dann, wie es in der Regierungsvorlage heißt, wenn danach eine Verurteilung nahe liegt. Das scheint mir sehr wichtig zu sein und spielt etwa auch bei der Regelung des Anklageeinspruchs eine Rolle, auf die ich später noch zurückkommen werde.

Ich halte es für einen bedeutenden Fortschritt – und stütze mich da auf viele hier geäußerte prominente Meinungen, darunter vor allem auch von Professor Moos –, dass die Voruntersuchung abgeschafft sowie Stellung und Funktion des Staatsanwaltes neu gestaltet werden sollen; wenngleich damit meines Erachtens das Anklageprinzip nicht rein durchgesetzt wird und auch das Inquisitionssystem nicht vollständig beseitigt wird, wozu aber nach 130 Jahren Gültigkeit der derzeitigen Strafprozessordnung bei einem so großen Reformgesetz wohl Gelegenheit und Notwendigkeit bestünde.

Auf Grund meiner praktischen Erfahrung darf ich noch sagen, dass der Staatsanwalt über die vorgesehene Regelung des § 31 hinaus berechtigt sein sollte, nach Lage des Falles, dem Gleichheitsgebot entsprechend, also unabhängig von der Person des zu Vernehmenden und unabhängig auch von der Art des Deliktes, „wenn es von den Umständen her geboten ist“ – und da verwende ich eine Formel, die in der Regierungsvorlage, und zwar in § 102, wörtlich verwendet wird –, die Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen durch den Richter durchführen zu lassen. Das würde keine Voruntersuchung und auch keine Ermittlungstätigkeit gegen den Willen des Staatsanwaltes bedeuten.

Die Regierungsvorlage enthält keine Verfassungsbestimmungen, weist aber in den Erläuterungen auf die Problematik der Gewalten überschreitenden Regelungen ausdrücklich hin.

Die bisherige Diskussion hat meiner Meinung nach verfassungsrechtliche Bedenken gegen mehrere vorgesehene Bestimmungen der Regierungsvorlage, so etwa die Regelung des Einspruchs wegen Rechtsverletzung, des Einspruchs gegen die Anklageschrift und der Fortführung des Verfahrens, nicht beseitigt, sondern eher bestärkt. Gerade bei einem Verfahrensgesetz wie die Strafprozessordnung, von so großer Bedeutung und Wichtigkeit, sollten verfassungsrechtliche Regelungen, die bedenklich sind, gar nicht erst in Erwägung gezogen werden. Es besteht jetzt die große Chance, alle diese Bedenken abzusichern. Es sollte damit Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geschaffen werden – auch im Interesse der Richter und Staatsanwälte, die dieses Gesetz anzuwenden haben.

Jedenfalls sollten nicht jene, die das Gesetz anzuwenden haben, mit einer anhaltenden weiteren Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit bestimmter Regelungen belastet werden.

So sollte auch zur Klarstellung des Anklagegrundsatzes verfassungsrechtlich verankert werden, welches Organ nun der Staatsanwalt ist. Dafür bietet sich die Definition von Moos meines Erachtens zutreffend an, dass er ein Justizorgan eigener Art ist, dessen Entscheidungen, Anordnungen, Erledigungen – welcher Art immer – keine Bescheide im verwaltungsrechtlichen Sinne darstellen, und – auch das sollte verfassungsrechtlich gesichert sein – dass gegen den Willen des Staatsanwaltes weder ein Strafverfahren geführt noch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und fortgesetzt werden darf, wie es jetzt schon in den Bestimmungen der Regierungsvorlage heißt.

Im Übrigen hat schon im Jahre 1957 der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung auf diese Sonderstellung von Richtern und Staatsanwälten in Bezug auf sonstige Beamte ausdrücklich hingewiesen.

Besondere Bedeutung kommt meines Erachtens der Regelung des erforderlichen Rechtsschutzes gegen die Tätigkeit der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft zu, doch erscheint mir die vorgesehene Regelung des Einspruchs wegen Rechtsverletzung durch die Einschaltung des Gerichtes als gewaltenüberschreitende Kontrollinstanz in mehrfacher Hinsicht als bedenklich und in diesem Verfahrensstadium auch gar nicht erforderlich. Sie wäre, wie man auch in den Erläuterungen meint, mit dem Trennungsgrundsatz und auch mit dem Anklagegrundsatz nicht vereinbar.

Als Praktiker habe ich aber Zweifel an der Wirksamkeit dieser Bestimmung, wenn sich jede Person unbeschränkt im Frühstadium der Ermittlungen wegen der behaupteten Verletzung eines subjektiven Rechtes durch die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft bis an das Oberlandesgericht – immerhin durch vier Instanzen – wenden könnte, sogar noch für den Fall, dass der Staatsanwalt ohnehin dem Einspruch entspricht, wie es in § 106 Abs. 4 der Regierungsvorlage vorgesehen wäre.

Damit ist durch diese aufwendige, eher schwerfällige Regelung eine unnötige, dem Beschuldigten und Verletzten zum Nachteil gereichende Verfahrensverzögerung zu befürchten. – Dies sollte aber nicht geschehen.

Ich glaube, es würde rechtsstaatlich und justizförmig geregelt hinreichen, wenn über den in diesem Verfahrensstadium vorgesehenen Einspruch allein die staatsanwaltschaftlichen Behörden als richtergleiche Justizorgane eigener Art, wie Moos zutreffend ausgeführt hat, entscheiden; nach ihrem organisatorischen Aufbau zuletzt der Oberstaatsanwalt, insbesondere wenn sich der Einspruch gegen die Staatsanwaltschaft richtet, die übrigens schon interner Kontrolle durch die revidierenden Gruppen- und Behördenleiter ausgesetzt ist. Warum Zweifel auch an der rechtmäßigen Vorgangsweise dieser Organe?

Die darüber ergehenden Entscheidungen der staatsanwaltlichen Behörden als Justizorgane sind aber, wie auch Moos wieder überzeugend dargelegt hat, keine verwaltungsrechtlichen Bescheide; wie auch sonst deren Anordnungen, Mitteilungen, Verständigungen und dergleichen mehr – so etwa auch die Mitteilung des Generalprokurators, dass eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht erhoben wird, oder die jetzt in der Regierungsvorlage vorgesehene Entscheidungsmöglichkeit des Generalprokurators in Kompetenzkonfliktfällen – keine solchen verwaltungsrechtlichen Bescheide bedeuten, sohin auch nicht der verwaltungsrechtlichen Anfechtung zugänglich werden – was auch vermieden werden sollte.

Hätte man wirklich Misstrauen gegen die Vorgangsweise der staatsanwaltschaftlichen Behörden in diesen Fällen, dann könnte doch leicht dadurch Abhilfe geschaffen werden, dass man sie, ähnlich wie den Rechtsschutzbeauftragten, in diesen Fällen weisungsfrei stellt, wenn man schon immer wieder die Sorge hat, dass hier politische Einflussnahme durch den Justizminister möglich wäre.

Als praktischer Hinweis: Allerdings könnte schon vieles in dieser Hinsicht entschärft werden, wenn man rascheren und eher zielführenden Rechtsschutz dadurch einräumt, dass eine Vertrauensperson nicht nur bei der förmlichen Vernehmung – wie es in der Regierungsvorlage heißt –, sondern schon bei der Erkundigung beigezogen werden könnte, wo ja schon vielfach die Weichenstellung für das weitere Verfahren durch die erste Befragung von Beschuldigten, Zeugen und dergleichen mehr vorgenommen wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch meine Kritik an der Beibehaltung des Rechtsbehelfs des Einspruchs gegen die Anklageschrift zum Ausdruck bringen. Mit dieser Frage hat sich, soweit ich die Protokolle gelesen und mich an der bisherigen Sitzung beteiligt habe, noch niemand weiter auseinander gesetzt. Ich glaube aber, das, als ebenso gewaltenüberschreitendes Instrumentarium – dessen Legitimation nach den Erläuterungen in der Regierungsvorlage auf historisch-systematische Überlegungen gestützt wird –, erweckt eher Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit, Verfassungsgemäßheit in Ansehung des Trennungs- und Anklagegrundsatzes.

Dieser Einspruch an das Oberlandesgericht, als ein, wie gesagt, historisches, in der Praxis eher bedeutungsloses Relikt, erfüllt aber nicht das ihm zugehörende Rechtsschutzbedürfnis und geht auch in der Regierungsvorlage über die geltende Rechtslage hinaus – und würde meiner Meinung nach in der Praxis später noch weniger als derzeit genützt werden.

Ich darf Ihnen aus der letztzugänglichen Rechtspflegestatistik zitieren, dass nur in rund 0,8 Prozent der Fälle ein Einspruch gegen die Anklageschrift erhoben wurde, der in rund 92 Prozent der Fälle erfolglos war. Die Verteidiger meiden demnach offenbar diese Rechtsschutzmöglichkeit, nicht zuletzt offensichtlich wegen der nicht auszuschließenden Beeinflussung des erkennenden Gerichtes durch die Entscheidung des Oberlandesgerichtes.

Dazu kommt, dass diese Einrichtung gegen das Gleichheitsgebot verstößt, da sie nur bei der Anklageschrift, die zu einem schöffen- und geschworenengerichtlichen Verfahren führt, vorgesehen ist, nicht aber auch bei der überwiegenden Anzahl der Strafanträge im Einzelrichterverfahren beim Gerichtshof erster Instanz und beim Bezirksgericht. Eine sachliche Begründung für diese Differenzierung wird allerdings nirgends geboten.

Geradezu skurril aber mutet an, dass der im Wege des Anklageeinspruches befasste Oberstaatsanwalt zwar gegen die anklagende Staatsanwaltschaft Stellung nehmen kann, wenn er die Einspruchsgründe für berechtigt hält, aber nicht selbst diese Mängel beheben kann, was insbesondere bei formellen Mängeln unverständlich ist.

Die vorgesehene, über die geltende StPO hinaus gehende Regelung, dass das Oberlandesgericht den Einspruch abzuweisen hat, wenn es den Sachverhalt für so weit geklärt erachtet, dass eine Verurteilung nahe liegt, birgt die Gefahr einer präjudiziellen Vorverurteilung durch das Oberlandesgericht und einer jedenfalls nicht auszuschließenden Beeinflussung der auch aus Laienrichtern zusammengesetzten Kollegialgerichte, die im Interesse eines fairen, objektiven Verfahrens zu vermeiden wäre.

Es bedarf insoweit keiner Vorbeurteilung der Anklageschrift durch das dem erkennenden Gericht übergeordnete Oberlandesgericht. Über die Anklage allein hätte ausschließlich das erkennende Gericht zu entscheiden. Zu denken wäre allenfalls an die alleinige Überprüfungsmöglichkeit durch die staatsanwaltschaftliche Oberbehörde, die schon jetzt im Wege von Aufsichtsbeschwerden und Rechtsschutzgesuchen gegeben ist, nämlich hin bis zur Zurückziehung der Anklage. Dann könnte allerdings auch überlegt werden, die Anklageschrift durch den Staatsanwalt und nicht durch den Richter zustellen zu lassen.

Als letzten Punkt darf ich vielleicht noch auf die Ausführungen des Herrn Oberstaatsanwaltes Honorarprofessor Lambauer Bezug nehmen, nämlich zur Regelung der vorgesehenen Verfolgungserzwingung durch das Oberlandesgericht. Ich würde mich hier der Meinung von Dr. Lambauer voll und ganz anschließen, dass – abgesehen von verfassungsrechtlichen Bedenken – eine solche Regelung nicht notwendig ist. Man sollte auch in diesem Falle – zumal im Falle der Stattgebung des Antrages die Staatsanwaltschaft durch das Gericht verpflichtet werden kann, das seinerzeit eingestellte Ermittlungsverfahren fortzuführen – eher diese Überprüfung allein durch die Staatsanwaltschaft und deren vorgesetzte Oberstaatsanwaltschaft als hinreichend gesichert betrachten.

Lambauer hat übrigens, soweit ich mich erinnere, in diesem Zusammenhang auch auf die Regelung in der deutschen StPO hingewiesen, wonach eine Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft von dieser selbst erledigt werden könne. So sieht es jedenfalls die deutsche Strafprozessordnung vor.

Alle diese Gedanken wären hier zu erwägen, und man sollte eher Abstand nehmen von einer derzeitigen Regelung der Fortführung, der Verfolgungserzwingung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht – oder es entsprechend verfassungsrechtlich absichern.

Zweckdienlicher erschiene mir, ebenso wie auch Lambauer, eine Verbesserung und Erweiterung des Subsidiaranklagerechtes auch dahin gehend, dass die Kostenfrage nicht zum Nachteil des Subsidiaranklägers ausschlägt, trifft doch auch – und das, glaube ich, sollte man hier auch erkennen – den Staatsanwalt keine Kostenersatzpflicht im Falle eines Freispruches.

Sektionschef Dr. Roland Miklau (Bundesministerium für Justiz; Sektion II): Ich möchte Ihnen vor allem sagen, was uns motiviert hat, die Ihnen vorliegende Unterlage vorzulegen: Wir meinten, dass es in diesem Stadium der Beratungen nützlich sein könnte, vorläufig – und für die Beratungen im Unterausschuss unpräjudiziell – auf Einwendungen, auf Kritik, auf Anregungen aus den beiden bisherigen Unterausschusssitzungen zu reagieren, aber auch, Sie über einige Punkte vielleicht eher untergeordneter Natur zu informieren, die das Ergebnis eines schon vor einigen Monaten geführten Gespräches mit dem Bundeskriminalamt waren.

Wir haben diese Unterlage in drei Abschnitte geteilt. Wir haben in Abschnitt 1 jene Änderungen aufgenommen, die aus unserer Sicht, aus der Sicht der Fachabteilung im Ministerium, jedenfalls vorzunehmen wären und wo wir auch schon konkrete Vorstellungen haben, in welche Richtung das gehen soll, in welchem Sinne sie erfolgen sollen.

Die einzelnen Punkte haben sehr unterschiedliches Gewicht: Es reicht von Klarstellungen eher untergeordneter Bedeutung bis hin zu sehr gewichtigen Fragen wie der Frage der Erweiterung der gerichtlichen Ermittlungs- und Vernehmungsbefugnisse, die bei vielen Debattenbeiträgen im Zentrum gestanden ist.

Abschnitt 2, auf Seite 3 der Unterlage, enthält dann zwei Punkte, wo wir der Meinung sind, dass darüber jedenfalls weiter gesprochen werden muss und dass hier der Entwurf ergänzungsbedürftig ist. Nur sind wir derzeit noch nicht zu einer Konkretisierung in der Lage, beziehungsweise es ist jedenfalls die Frage der Finanzierung offen.

Abschnitt 3 enthält dann Diskussionspunkte, wo wir uns derzeit noch nicht festlegen wollen, wo wir aber meinen, dass das nach dem bisherigen Beratungsverlauf wichtige Punkte sind, über die jedenfalls bei den Beratungen weiter diskutiert werden sollte. – Das nur zur Erläuterung über den Inhalt dieses Papieres.

Ich wollte ganz kurz zu dem Ihnen heute auch vorgelegten Geyer-Nemec-Konzept etwas sagen und fasse kurz zusammen:

Das Konzept sieht eine quasi begleitende Kontrolle – ob man das jetzt „quasi Voruntersuchung“ oder nicht „quasi Voruntersuchung“ nennt – des Staatanwaltes durch einen Richter – Ermittlungsrichter oder wie immer – in Haftsachen und in clamorosen Strafsachen vor.

Das, glaube ich, führt zu einer unklaren Verteilung von Prozessrollen, weil wir dann nicht einen Leiter des Vorverfahrens, nämlich den Staatsanwalt, sondern zwei haben: einen Staatsanwalt und einen Richter. Und angefangen von der Kriminalpolizei bis zum Verteidiger weiß man dann eigentlich als Ermittlungsorgan oder als Parteienvertreter nicht mehr: An wen soll ich mich jetzt wenden: an den Staatsanwalt oder an den Richter?

Und – was von der Effizienz des Verfahrens her wohl die schlimmste Auswirkung ist –: Es bedarf dann eines weiteren Richters; das sieht das Konzept sehr konsequent vor, es nennt ihn dann „Rechtsschutzrichter“. Das heißt, wir kommen zu einem gegenüber dem jetzigen Vorverfahren, das in diesen Fällen immer wieder als schwerfällig bezeichnet wird, noch viel schwerfälligeren System, wo wir dann die Kriminalpolizei, den Staatsanwalt, einen Ermittlungsrichter und noch einen Rechtsschutzrichter haben. Das kann wohl nicht das Ziel der Reform sein, bei dem ja doch eine der Grundlagen der Versuch ist, ein effizientes und wirksames, schleuniges Vorverfahren zu schaffen!

Darüber hinaus glaube ich auch nicht, dass der § 8 des Staatsanwaltschaftsgesetzes mit seiner Umschreibung der clamorosen Fälle, also der Fälle von besonderem öffentlichen Interesse, eine geeignete Unterscheidung ist, um ein staatsanwaltliches von einem richterlichen Verfahren zu unterscheiden beziehungsweise die clamorosen Fälle einem richterlichen Ermittlungsrecht zu unterwerfen, auch wenn Geyer-Nemec sich hier auf einen prominenten Mitstreiter, nämlich Professor Steininger, stützen können, der das kürzlich in der „Presse“ auch betont hat.

In unserer Unterlage schlagen wir deswegen als Alternative dazu vor, die Ermittlungsbefugnisse des Richters in einer Weise zu erweitern, die mit dem Grundkonzept des Entwurfes vereinbar ist und die Effizienz des Verfahrens nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern möglicherweise sogar verbessert, weil dann das Hin und Her zwischen Staatsanwalt und Richter noch eingeschränkt wird, weil der Richter im Falle der Haft, im Falle der Entscheidung über ein Zwangsmittel, aber auch im Falle der Einschaltung bei Tatrekonstruktion oder kontradiktorischen Vernehmungen von sich aus sofort weitere Ermittlungen anschließen kann.

Ich glaube also, dass hier eine systemkonforme Weiterentwicklung unter Wahrung des Grundkonzeptes des Entwurfes möglich ist und dass auf diese Weise – und das wurde ja auch in einigen Debattenbeiträgen schon anerkannt – auf Bedenken, die bisher geäußert worden sind, eingegangen wird.

Ich meine in aller Bescheidenheit und ohne jemandes Meinung hier entgegentreten zu wollen oder jemandes Meinung absprechen zu wollen, dass wir die Grundsatzdiskussion über die Voruntersuchung oder Restvoruntersuchung, oder wie immer das bezeichnet wird, in diesem Stadium der Unterausschussberatungen abschließen können.

Wir haben in der Zwischenzeit auch zwei Gesprächsrunden mit den Standesvertretungen der Richter und Staatsanwälte gehabt und den Eindruck gewonnen, dass wir uns deutlich aufeinander zubewegen und dass sich jedenfalls die Staatsanwälte keine Restvoruntersuchung wünschen.

Bei den Richtern ist das anders. Bei den Richtern gibt es da sicherlich unterschiedliche Meinungen.

Ich glaube, wir müssen diese Meinungen stehen lassen. Natürlich gibt es weiterhin maßgebende Stimmen, die für eine Restvoruntersuchung eintreten werden. Aber ich glaube, wir haben ein Diskussionsstadium erreicht, wo es nicht sinnvoll ist, sozusagen vom Grundkonzept des Entwurfes abweichende Alternativen zu vertreten, und schon gar nicht – wenn ich das einschieben darf, lieber Herr Professor Müller –, eine Gesamtreform des Strafprozesses zu verlangen, denn wenn man das verlangt, würde man das Reformvorhaben sicher im gegenwärtigen Stadium umbringen.

Ein Wort noch zu Geyers Ausführungen betreffend Vergleich, Einspruchsrecht im Ermittlungsverfahren, Einspruchsrecht in der Hauptverhandlung. Seine Argumentation ist in die Richtung gegangen: Wenn es in der Hauptverhandlung kein abgesondertes Rechtsmittel gibt, dann braucht es auch im Ermittlungsverfahren kein abgesondertes Rechtsmittel zu geben.

Ich halte das für grundsätzlich falsch, denn die Hauptverhandlung soll ja in einem Zug durchgeführt werden und möglichst am gleichen Tag mit der Urteilsfällung enden. Deswegen gibt es eben kein abgesondertes Rechtsmittel, sondern in der Regel nur ein Rechtsmittel gegen das Urteil, mit dem dann auch Verletzungen von Verfahrensrechten, Verfahrensfehler und inhaltliche Fragen angegriffen werden können.

Im Ermittlungsverfahren ist das ganz anders. Das Ermittlungsverfahren zieht sich über einige Wochen, Monate und leider manchmal auch Jahre hin. Da kann ich nicht jemanden damit vertrösten, dass er in zwei Jahren möglicherweise eine Anklage bekommt und dann dagegen Einspruch erheben kann. Hier muss es einen Rechtsschutz geben. Es besteht hier, glaube ich, wirklich keine Vergleichbarkeit der Situationen.

Zu Frau Dr. Rech, die sehr eindrucksvoll die Einschränkungen des Rechtes auf Beiziehung eines Verteidigers oder einer Vertrauensperson geschildert hat:

Bei allem Verständnis für die Dramatisierung von Anliegen in diesem Stadium der Beratungen glaube ich, dass man bei einer ausgewogenen Gesamtbetrachtung von einem Rückschritt gegenüber dem bestehenden Zustand wirklich nicht reden kann. Es ist doch so, dass es – Verwaltungsgerichtshof hin oder her, Erlässe hin oder her – derzeit weder bei der Polizei noch bei richterlichen Vernehmungen im Vorverfahren die faktische Möglichkeit der Beiziehung von Rechtsanwälten oder Vertrauenspersonen gibt. Das wissen wir doch alle – und der Entwurf bringt genau dieses Recht. Da kann man doch insgesamt nicht von einem Rückschritt sprechen!

Ich erkenne aber an, dass es ein Problem sozusagen der Konkretisierung dieser Einschränkungen, die der Entwurf vorsieht, gibt.

Ich glaube, dass alle vier Einschränkungen, die aufgezählt worden sind, sachgerecht und als solche notwendig sind, und zwar nicht deshalb, weil die Polizei sich das wünscht, sondern weil es in Ausnahmefällen einfach notwendig ist. Vergleichbare Rechtsordnungen sehen ja ähnliche Einschränkungen in der einen oder anderen Form, sicher im Einzelnen sehr unterschiedlich, vor. Das Problem, das wir haben, ist das Regel-Ausnahmeverhältnis. Das heißt: In der Regel die faktische und auch durchsetzbare Möglichkeit der Zuziehung eines Anwaltes und in Ausnahmefällen die aufgezählten Einschränkungen. Wir müssen dieses Regel-Ausnahmeverhältnis durch Konkretisierung der Formulierung besser absichern. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, und ich glaube, es wäre hilfreich, wenn man im jetzigen Beratungsstadium Alternativformulierungen vorschlagen würde. Das würde die Beratungen sicher weiterbringen.

Man darf auch nicht vergessen, dass auch ein ganz wesentlicher Unterschied zum bestehenden Zustand darin besteht, dass die Rechte und damit auch deren Einschränkungen, wie konkret oder unkonkret sie immer im Entwurf formuliert werden mögen, nunmehr einer justiziellen Rechtskontrolle unterliegen. Die Kriminalpolizei und die Ausübung der Rechte der Beteiligten bei der Kriminalpolizei unterliegen einer justiziellen Kontrolle. Das ist ein Paradigmenwechsel gegenüber dem bestehenden Strafprozess.

Es geht also um die formulierungsmäßige Konkretisierung der Ausnahmen und auch um die Konsequenzen von Verstößen, um den justiziellen Rechtsschutz bis hin zu den Beweisverwertungsverboten. Für mich gibt es da kein Tabu, aber wenn es Beweisverwertungsverbote gibt, dann muss sichergestellt werden, dass diese auf ganze konkrete Verstöße eingeschränkt werden. Sie dürfen sich nicht auf irgendwelche Formalfehler beziehen, sondern müssen auf eine ganz konkrete Verletzung von Beschuldigten- und Verfahrensrechten ausgerichtet sein. Dann ist meiner Meinung nach durchaus eine Weiterentwicklung möglich.

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Obfrau Dr.  Maria Theresia Fekter: Erlauben Sie mir als Vorsitzende, Sie zu ersuchen, nicht die Dinge, die ohnehin schon sehr ausführlich besprochen wurden, zu wiederholen, sondern konkrete Vorschläge betreffend die Paragraphen unf konkrete Änderungswünsche betreffend das Gesetz oder bezüglich der geplanten Abänderungen und Ergänzungen zu unterbreiten, da ich meine, dass das für uns Justizausschuss-Mitglieder sehr hilfreich wäre.

Dieser Unterausschuss des Justizausschusses wird heute nicht beendet werden, und bis zur nächsten Unterausschusssitzung wird der Unterausschuss auch eine Exkursion zur Staatsanwaltschaft Traunstein unternehmen, um auch dort noch einen Erfahrungsaustausch mit dem deutschen System zu pflegen. Es wäre daher sehr hilfreich, wenn Sie in Ihren Wortmeldungen neue Ideen liefern würden, die wir dann vielleicht noch aufgreifen könnten.

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Rechtsanwalt Dr. Rudolf Breuer (Niederösterreich): Ich darf zu dem Papier, dass das Ministerium vorgelegt hat, ganz kurz zwei Anmerkungen machen: Es ist darin vorgesehen, dass ein Einvernehmen zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft hinsichtlich des zu bestellenden Sachverständigen entfallen soll. Ersetzt werden soll dies durch die Möglichkeit von Einwänden von Seiten der Kriminalpolizei gegen die Person des Sachverständigen. – Ich bin der Auffassung, dass auch das zu entfallen hat. Es dürften meines Erachtens auch der Kriminalpolizei keine Einwände gegen einen Sachverständigen mit Bedeutung zukommen.

Der Staatsanwalt ist der Leiter der Ermittlung, der Staatsanwalt weiß aus seiner gerichtlichen Praxis sehr genau, welche Sachverständigen für die jeweiligen Sachverständigen-Erhebungen geeignet sind. In der Regel ist es so, dass die Gerichte sehr gerne mit bestimmten Sachverständigen zusammenarbeiten, weil man von diesen bereits weiß, welche Qualität sie haben. Nach meinem Dafürhalten wird sich ein Staatsanwalt zweifellos nur solch einen Sachverständigen aussuchen, der für die Tätigkeit, für die er vorgesehen ist, bestens geeignet ist und der auch effizient und rasch arbeitet.

Man darf meines Erachtens da den Staatsanwalt nicht irgendwelchen Einwänden aussetzen, die unter Umständen nur auf personellen Kriterien beruhen, etwa darauf, dass vielleicht der Polizei irgendein Sachverständiger nicht sympathisch ist. – Ich glaube, dass es ein Fehler wäre, wenn man das machen würde. Das würde auch zu einer Verzögerung des Verfahrens führen können.

Zu dem Punkt „Verständigung der Angehörigen von einer Festnahme“ innerhalb eines Zeitraumes von maximal 48 Stunden ist zu bermerken: Ich würde diesbezüglich mit aller Dringlichkeit anregen, dass man da eine klare Bestimmung dahin gehend schafft, dass längstens binnen 24 Stunden, also innerhalb eines vollen Tages, die Familie zu verständigen ist. Ich glaube, es ist Familienangehörigen nicht zumutbar, dass sie 48 Stunden warten müssen, bie sie verständigt werden, wo der Familienvater oder der Sohn verblieben ist.

Nun zum nächsten Punkt: Rechtsmittelverzicht. – Frau Dr. Brachtel hat gemeint, dass einen Rechtsmittelverzicht abzugebende Personen durchaus in der Lage wären, richtig einzuschätzen, was der Rechtsmittelverzicht bedeutet und was er mit sich bringt.

Ich darf aus meiner Praxis dazu Folgendes sagen: Das trifft auf die so genannten Profis zu, die wiederholt das Gericht beehrt haben. Ich gebe zu, es gibt Profis, die die gesetzlichen Bestimmungen, sogar die Absätze einzelner Paragraphen manchmal besser kennen als manche Konzepienten, die man beschäftigt. Aber derjenige, der erstmalig mit dem Gericht in Berührung kommt, in ein Strafverfahren verflochten ist, kennt sich hinten und vorne nicht aus.

Ich muss ganz offen sagen: Wenn ich die Möglichkeit dazu habe, lege ich mir sogar handschriftlich einen Aktenvermerk an, den ich mir unterschreiben lasse, weil meine Erfahrung zeigt, dass die Leute unter dem psychischen Druck eines Verfahrens so aufgeregt sind, dass sie das Ganze teilweise gar nicht mitbekommen. Wenn ich Richter bin, würde ich auf diese Bestimmung Wert legen, denn dann kann mir als Richter nie passieren, dass mir vorgeworfen wird, ich hätte die Belehrung nicht richtig vorgenommen, was nämlich durchaus passieren kann. Auch wir Anwälte hören manches Mal solche Dinge. Als Richter möchte ich das nicht erleben, und ich weiß, dass die Richter es lieber haben, wenn die Partei anwaltlich vertreten ist und sie sich nicht selbst auf alle möglichen Belehrungen beschränken müssen.

Was die Privatbeteiligung betrifft, angesprochen von Herrn Dr. Jesionek und von Herrn Dr. Pilnacek: Da bin ich voll der Meinung des Herr Dr. Pilnacek. Ich spreche da aus der Praxis und aus den Überlegungen des Anwaltes, der eine Partei vertritt, die nicht die Verfahrenshilfe in Anspruch nehmen kann, weil sie über Mittel verfügt.

Man wird als Anwalt einen Geschädigten nur dann als Privatbeteiligter wirklich vertreten, wenn das, was dieser anstrebt, nämlich seinen wirtschaftlichen Schadenersatz, auch irgendwann realisiert werden kann. Es gibt genug Angeklagte, wo man weiß, dass der nie zu einem Geld kommt, dass sich für diesen nie die Möglichkeit bieten wird, dass man einen Schadenersatz für ihn hereinbringt. Dann wird man dem Klienten sagen: Wenn ich die Privatbeteiligung mache, dann mache ich sie nur um Ihr Geld, Sie werden mich bezahlen, aber ich werde davon nie etwas sehen! Also ich rate in solchen Fällen den Leuten grundsätzlich davon ab, wenn ich weiß, dass da nie irgendetwas zu holen sein wird.

Das Anliegen, das Herr Dr. Jesionek diesbezüglich vorgebracht hat, ist durchaus berechtigt, aber man müsste da die Schranke so ziehen, dass man sagt, dass die Privatbeteiligung auch eine effiziente sein muss. Das heißt, dass man sagt: Es gibt da ein Recht, das durchgesetzt werden soll, dessen Durchsetzbarkeit zumindest möglich erscheint.

Es kann ja nicht so sein wie in einem Zivilverfahren: Ich beantrage einen Verfahrenshelfer im Zivilverfahren, und das kann nur wegen mutwilliger Prozessführung verweigert werden. Das kann ich bei einem Strafverfahren nicht sagen, da kann ich es nicht wegen Mutwilligkeit verweigern, weil es eine Anklage oder einen Strafantrag gibt, das heißt, der Vorwurf ist berechtigt. Da kann ich nicht sagen, die Verfahrenshilfe ist mutwillig für eine Privatbeteiligung. Ich muss daher die Grenze schon vom Gesetz her ziehen. Wie man das dann formuliert, ist nicht ganz einfach, das gebe ich zu. Dass das Ganze aber nicht nur dazu dienen soll, dass man irgendeinem Rachengedanken Rechnung trägt, dafür ist ohnehin der Staatsanwalt da, der sorgt ohnehin dafür, dass dem Gesetz Genüge getan wird und eine angemessene Bestrafung herbeigeführt wird. Aber es soll alles einen wirtschaftlichen Hintergrund haben, aber wenn dieser absolut nicht erkennbar ist und nicht da ist, dann ist meiner Meinung nach eine Verfahrenshilfe für eine Privatbeteiligung nicht berechtigt.

Nächster Punkt: Einspruch. – Der Einspruch ist meiner Meinung nach weiterhin notwendig. Es ist hier bemerkt worden, die Anwälte würden ohnenin keinen machen. Das ist vollkommen richtig! Ich habe in meiner langen Praxis einen einzigen Einspruch gemacht, der mich auch dazu veranlasst, zu sagen: Das soll beibehalten werden! Warum muss ein Angeklagter schmachvolle Dinge über sich ergehen lassen, wenn er wegen irgendeiner Sache angeklagt ist, bei welcher nach der Judikatur des Obersten Gerichthofes vielleicht gar kein strafbarer Tatbestand gegeben ist. Meines Erachtens ist daher der Einspruch eine Notwendigkeit und auch dem Rechtsschutzbedürfnis des einzelnen dienend.

Nächster Punkt: Verwertungsverbot von Erhebungsergebnissen. – Nach meinem Dafürhalten ist Folgendes zu überlegen: Ist ein Anwalt nach dem Gesetz beizuziehen und wird dieser Bestimmung nicht entsprochen, so ist das gesetzeswidrig und ist auch ein Amtsmissbrauch. Man würde also Ermittlungsergebnisse durch eine strafbare Handlung erzielen. Es entspricht auch nicht dem System des österreichischen Strafrechtes, dass Folgen einer strafbaren Handlung verwertet werden können. Wir haben Abschöpfungen, wir haben Verfall, aber wenn von der Polizei ein Gesetz nicht beachtet wird und dann die Ermittlungsergebnisse nicht verloren gehen sollen, sondern weiterverwertet werden können, dann bekommt meiner Auffassung nach der Rechtsstaat eine Ohrfeige. Wir müssen daher ein Verwertungsverbot festlegen!

Man kann das durchaus in Form von Beschränkungen machen, kann man dahin gehend Überlegungen anstellen, aber ist ein Anwalt, ein Verteidiger beizuziehen, dann ist das ein Recht eines Verdächtigen! Dieses Recht kann nicht einfach verletzt werden, und dann können nicht einfach die Ergebnisse verwertet werden!

Außerdem: Stellen sie sich die Optik in der Öffentlichkeit vor! Natürlich werden diejenigen, die damit nicht einverstanden sind, in der Öffentlichkeit nicht darüber schweigen. Was ist das für eine Optik, wenn vom Ministerium eine Vorlage vorgelegt wird, in welcher drinsteht, dass, wenn die Polizei eine strafbare Handlung und Amtsmissbrauch begeht, dann trotzdem das, was sie erhoben hat, verwertet werden kann?! Das ist doch für die Öffentlichkeit eine Katastrophe! Das kann man nicht, das geht auch nicht, denn das entspricht doch nicht dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit!

Zum Einwand, der hier diesbezüglich gekommen ist, da würde der Polizei doch etwas verloren gehen, möchte ich sagen: Der Polizei muss klar sein, dass dann, wenn sie rechtswidrig handelt, ein Verwertungsverbot eintritt! Dann wird sie auch dafür sorgen, dass das Gesetz eingehalten wird, und das ist im Sinne des Rechtsschutzinteresses des Einzelnen.

Dazu muss ich hier in aller Deutlichkeit noch sagen: Wenn dieses gesetzliche Verwertungsverbot – möglicherweise mit einzelnen Einschränkungen – nicht kommt, dann wird man sich von der Anwaltschaft her damit nicht abfinden. Und ich bin auch sicher, dass es den einen oder anderen Richter in Österreich geben wird, der sich damit nicht abfinden wird. Diese Verwertungsverbot ist notwendig!

Ich darf auch sagen, dass es auch aus dem Grundsatz des Art. 6 (1), fair trial, nicht statthaft ist. Da ist der Staatsanwalt der Leiter der Ermittlung. Die mit ihm zusammenarbeitende Kriminalpolizei schafft unter Umständen Verfahrensergebnisse rechtswidrig herbei, indem sie einen Anwalt nicht beizieht. Die Staatsanwaltschaft soll das verwerten können, die Verteidigung soll dagegen nichts unternehmen können, außer sich nachher aufregen. In diesem Zusammenhang sage ich ganz offen: Wenn ich zu Beginn schon bei einem Verdächtigen beigezogen werde, werde ich sicher mit einem Vertrauensmann erscheinen, beispielsweise mit meinem Konzipienten, und da müsste man auch dafür Sorge tragen, dass man diesen Vertrauensmann nicht ausschließen kann, denn ich möchte einen Zeugen dabei haben, wenn es um die Frage geht: Ist das, was der Anwalt beanstandet, tatsächlich so geschehen oder ist es nicht so geschehen? Die Vernehmungen werden in der Regel durch zwei Beamte durchgeführt, und ich säße als Anwalt dann alleine dort. Ich würde ganz sicher immer mit einem Vertrauenmann kommen, das sage ich mit aller Deutlichkeit! Es sollte auch die Möglichkeit gegeben werden, dass die Polizei nicht sagen kann, dass der Konzipient draußen bleiben muss. Ich würde bitten, in diese Richtung vorzusorgen.

Frau Dr. Brachtel hat § 173 (1) angesprochen: Der Beschuldigte muss vom Gericht zu den Vorraussetzungen der Untersuchungshaft vernommen sein. – Ich darf dazu aus der Praxis folgendes Beispiel bringen: Ein EU-Bürger wird festgenommen, kommt in das so genannte Pflichtverhör durch den Untersuchungsrichter, und zu den Vorrausetzungen der Untersuchungshaft wird überhaupt nichts gefragt. Es wird wegen Fluchtgefahr – er ist Ausländer, aber EU-Bürger – die Haft verhängt. Es wird keine Frage zu irgendwelchen Haftgründen gestellt, wie etwa: Haben Sie nach Österreich irgendwelche Beziehungen? Das kommt laut den Akten vielfach vor. Im Protokoll über das Pflichtverhör steht in der Regel: „Ich verweise auf meine Aussagen vor der Polizei!“, und dann wird die Untersuchungshaft verhängt. Also die Vernehmung zur Sache ist die Verweisung auf das, was bei der Polizei gesagt wurde.

Ich glaube, dass man da etwas machen müsste. Es hat sich nämlich dann in diesem Fall nachträglich herausgestellt, dass dieser EU-Bürger zwar ein Ausländer ist, aber wirtschaftlich in Österreich durch ein Unternehmen verflochten und jede Woche mindestens zwei Tage wegen dieses Unternehmens in Österreich ist, also intensive Beziehungen zum Inland hat. Das muss man doch, bevor die Untersuchungshaft verhängt wird, erfragen. Das verstehe ich unter Vernehmung zu den Vorrausetzungen in Untersuchungshaft. Ich habe leider Gottes in der Rechtsprechung erfahren müssen – daher mache ich es gar nicht mehr geltend –, dass es völlig sanktionslos ist, wenn das nicht eingehalten wird. Ich begreife das nicht, aber ich habe es zur Kenntnis genommen und bringe es nicht mehr vor, weil es keinen Sinn hat.

Ich rege an, dass in § 173 (1) eine Einfügung erfolgt, wonach es nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft und – ausdrücklich erwähnt – bei sonstiger Gesetzwidrigkeit zulässig ist, denn dadurch wird festgelegt, dass es, wenn das nicht erfolgt ist, gesetzwidrig und nicht durch irgendwelche Auslegungen oder Interpretationen wieder sanktionslos bleibt. Ich halte das für eine notwendige Anregung, auch im Interesse der Wahrung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit.

Weiters möchte ich noch § 178, die Höchstdauer der Untersuchungshaft, ansprechen. Die Untersuchungshaft darf auch bei Verbrechen nicht länger als sechs Monate dauern, es sei denn – § 178, Abs. 2 –, „wenn dies wegen besonderer Schwierigkeit oder besonderen Umfangs der Ermittlungen im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist“.

Hiezu rege ich folgende Einfügung an: „... unvermeidbar ist und dies“ – also die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der U-Haft – „vor Ablauf der Sechs-Monate-Frist mit anfechtbarem Beschluss entschieden ist“. – Ich darf das kurz näher erläutern: Vor der Verhandlung habe ich schon mit Herrn Dr. Aistleitner darüber gesprochen. Er ist vom Oberlandesgericht Linz, welches einmal in einer Entscheidung den, nach meinem Dafürhalten völlig richtigen Standpunkt vertreten hat, das vor Ablauf der Sechs-Monate-Frist darüber zu befinden ist, ob die Voraussetzungen für die Verlängerung vorliegen.

Der Oberste Gerichtshof hat jedoch über eine Wahrungsbeschwerde der Generalprokuratur eine andere Entscheidung getroffen und Folgendes entschieden: Man kann auch nach Ablauf der sechs Monate feststellen, dass die Voraussetzungen vorliegen, und das ist sogar mit einem bloßen Aktenvermerk durch den Untersuchungsrichter möglich. In diese Entscheidung wurde aber auch die Empfehlung hineingeschrieben, vor Ablauf der sechs Monate darüber zu befinden, und zwar nach Möglichkeit in jener Haftverhandlung, die vor Ablauf der sechs Monate stattfindet.

Wenn der Oberste Gerichtshof in einer Rechtsmeinung – die meines Erachtens nicht zutreffend ist – eine solche Empfehlung abgibt, dann sollte man diese Empfehlung zum Gesetz machen, denn er hat sich zweifellos etwas dabei gedacht. Man sollte also vor Ablauf der sechs Monate darüber befinden – und dies anfechtbar. Ich halte das für einen sehr wesentlichen Punkt.

Staatsanwalt Hofrat Dr. Walter Nemec (Staatsanwaltschaft Wien): Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf zumindest zwei Punkte beschränken, nämlich erstens auf die Frage der Durchführung eines Verfahrens, der Einbindung des Untersuchungsrichters, der Frage der Voruntersuchung sowie dem Begriff „Restvoruntersuchung“ und zweitens der Frage der Einbindung des Verteidigers, der Notwendigkeit seiner Beiziehung von Beginn an.

Wir müssen uns einmal vor Augen führen, dass das strafprozessuale Vorverfahren nicht dazu dienen soll, einen der Tat Verdächtigen zu begünstigen und all jene Momente zu schaffen, die dazu beitragen, so viele Zweifel zu säen, dass man ihn im Zweifel nicht verfolgen kann. Das wäre ein missverstandener Eindruck, auch zur Wahrung von Opferrechten. Opferrechte kann man dann wahren, wenn in einem objektiven Verfahren zunächst einmal eine Zuordnung von Handlungen zu bestimmten Personen und eine Zuordnung von Verantwortung für Handlungen erfolgt ist.

Ich möchte darauf hinweisen – und wir sollten uns das vergegenwärtigen –, dass alle am Vorverfahren beteiligten Institutionen – Sicherheitsbehörde, Staatsanwaltschaft, Gericht – allein schon nach dem Gesetz dazu verpflichtet sind, wahrheitsgemäß und gesetzeskonform zu agieren, Staatsanwalt und Richter darüber hinaus durch die besondere Bestimmung des § 3 StPO auch die Interessen des Verdächtigen, des Beschuldigten, wahrzunehmen haben.

Wir müssen uns weiters vor Augen führen, dass der Verteidiger, neben dem Beschuldigten, wohl der Einzige ist, der nicht zu Wahrheit und zu Objektivität verpflichtet ist, ganz im Gegenteil: Seine Vorschriften gebieten es ihm, die Interessen seines Mandanten zu wahren, alles zu tun, was zu dessen Vorteil gereicht, nichts zu tun, was ihm schaden könnte. Diese Parteilichkeit ist ihm ausdrücklich vorgeschrieben, davon kann er sich nicht verabschieden.

Wir müssen auch erkennen, dass das nicht nur eine Vorschrift ist, die dem Schutz des Verdächtigen dienen soll, damit dieser im Verfahren unterstützt wird, sondern auch leicht eine Ausrede für den Verteidiger dafür werden kann, seine rechtlichen und moralischen Grenzen zu überschreiten und das, was dem Interesse seines Mandanten dient und im Prinzip im Rahmen der Rechtsordnung geschehen soll, zu verteidigen und nicht nur zu einem Mitwisser, sondern auch zu einem Begünstiger und, schlimmstenfalls, zu einem Mittäter zu werden.

Ich erwähne das als Gefahr – nicht dass ich das den einzelnen Anwälten vorwerfe. Es gibt aber genügend Verfahren, in denen so etwas offenkundig geworden ist, und es gibt genügend Verfahren, in denen zumindest ein solcher Verdacht entstanden ist. Wir brauchen diesen Verdacht nicht. Es gibt auch genügend Verfahrensbeteiligte aus staatlichen Institutionen, die ihre Grenzen überschritten haben. Man muss aber doch nicht mit Gewalt etwas schaffen, was diese Gefahr noch zusätzlich erweitert.

Aufgabe des Anwalts im Vorverfahren ist es, für ein faires Verfahren im Rahmen der Gesetze zu sorgen – nicht aber, dafür einzutreten, dass dem Verdächtigen, dem Beschuldigten, möglichst viele Begünstigungen zuteil werden und die Objektivierung des Verfahrens hintangesetzt wird. Ich glaube daher, dass nicht nur die Beiziehung von Vertrauenspersonen, sondern auch die geforderte Beiziehung des Anwalts zur Vernehmung weit über jene Grenzen hinausgeht, die wir für ein faires und objektives Verfahren brauchen.

Die Verlässlichkeit von subjektiver Wahrnehmung ist etwas sehr Zweifelhaftes. Ich frage mich, warum es notwendig sein soll, zu Vernehmungen Vertrauenspersonen beizuziehen, wo es doch nur darum geht, objektiv nachvollziehbar zu machen, was bei dieser Vernehmung geschehen ist. Kann ich mich in der heutigen Zeit moderner Kommunikations- und Aufzeichnungstechniken nicht darauf zurückziehen, zu sagen: Ich schaffe ein System der Beweisführung, der Objektivierung des Verfahrensganges!, anstatt mich darauf zu verlassen, dass ich über den Verfahrensgang subjektiv gefärbte, möglicherweise widersprechende, von verschiedenen Interessenlagen geprägte Personen als Zeugen dessen aufrufe, was passiert ist? Ich kann mich nicht einmal darauf verlassen, dass das fortschreitende Verfahren am Beginn jenes Bild zeigt, das es nach Durchführung ergibt, ob die beigezogenen Personen nicht vielleicht in das Verfahren involviert sind, Interessenlagen haben.

Das sollte man genau überdenken und auch die Beiziehung von Vertrauenspersonen in jeder Form überlegen und schauen, ob technische Mittel nicht möglicherweise eine bessere Grundlage und einen besseren Schutz zur Objektivierung bieten könnten.

Die Voruntersuchung als Übertragung der Verantwortung des Verfahrensganges an den Untersuchungsrichter unter Ausschaltung des Staatsanwaltes, der nur ergänzend Anträge stellen kann – das ist eine überkommene Form, sie soll abgeschafft werden. Den Richter, wie Miklau sagt, als begleitende Kontrollinstanz mit einzubinden, ihn laufend gegenwärtig mit dem Verfahrensergebnis zu konfrontieren und ihm die Möglichkeit zu geben, das, was seine wichtigste Position ist, nämlich die Objektivierung eines Verfahrens zu sichern – in jede Richtung hin, sowohl was die Rechte des Beschuldigten betrifft als auch was die Opferrechte betrifft –, zu gewährleisten, indem man ihn laufend auf dem aktuellen Stand hält – dies als Restvoruntersuchung, als „Voruntersuchung“ – in Anführungszeichen! – zu sehen, das halte ich für verfehlt.

Ausdrücklich sollte festgehalten werden, dass der Staatsanwalt der Leiter des Verfahrens ist, dass es ihm zukommt, Anträge zu stellen, den Gang des Verfahrens zu bestimmen, und dass die Erhebungsorgane, derer er sich bedienen kann, nämlich vor allem die Sicherheitsbehörden und in bestimmten Fällen der Untersuchungsrichter, an diese seine Anträge gebunden sind. Dass dem Untersuchungsrichter das Recht zukommen soll, ergänzend – dann, wenn er es für notwendig erachtet – Erhebungen zu veranlassen, entspricht dem Objektivierungsgedanken.

Es findet auch niemand etwas dabei, wenn die Sicherheitsbehörde nicht ausschließlich an die Anträge des Staatsanwaltes gebunden ist, sondern durchaus selbständig das, was sie zur Aufklärung des Sachverhaltes als notwendig erachtet, tun kann. Und im Wesentlichen werden die Möglichkeiten und Notwendigkeiten zur Objektivierung von gravierenden Eingriffen abhängig sein, die ich ohnehin dem Untersuchungsrichter vorbringen muss. Er ist in vielen Fällen zwangsweise in das Verfahren eingebunden. Jene Fälle herauszufiltern, für die eine laufende Einbindung des Untersuchungsrichters von besonderem Interesse sein könnte, also zwangsweise eine Schiene über seine Einbindung führt, halte ich für durchaus zweckmäßig und legitim.

§ 8 (1) StAG, nämlich die Verweisung auf eine Berichtspflicht des Staatsanwaltes, ist genau jener Angelpunkt, der der Objektivierung dienen soll. Die Berichtspflicht ist das notwendige Korrelat zum Eingriff durch Weisung. Die Berichtspflicht soll nichts anderes sichern als die Möglichkeit, durch das Ministerium oder durch die Oberbehörden in bestimmter Weise einzugreifen. Wenn man dort, wo eine solche Möglichkeit geschaffen werden soll, zwangsweise den Richter einbindet, um damit zur Objektivierung, die ganz allgemein und durch die Öffentlichkeit, vor allem durch die Medien gefordert wird, beizutragen, dann sollte man sich dem nicht verschließen.

Verwertungsverbote sind grundsätzlich etwas Schlechtes; sie gehörten generell abgeschafft. Das, was geschehen ist, was sich ereignet hat, bleibt in der Meinung, im Gedächtnis der Betroffenen haften. Sie nehmen bei Verwertungsverboten darauf nicht offiziell Bezug. Viel besser könnte man – ganz generell gesagt und ohne näher darauf einzugehen – mit solchen Dingen umgehen, wenn man eine Begründungspflicht für die Beschäftigung mit diesen Ergebnissen schafft, die Verantwortlichen dazu zwingt, zu solchen Beweisergebnissen Stellung zu nehmen, sie zu bewerten.

Richter Dr. Klaus Schröder (Landesgericht Innsbruck, Vorsitzender der Bundessektion 23 Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst): Die Standesvertretung der Richter und Staatsanwälte hat zu diesem Vorentwurf bereits grundsätzlich ja gesagt und die Reformbedürftigkeit des strafprozessualen Vorverfahrens, insbesondere auch die Verrechtlichung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens grundsätzlich begrüßt und bejaht.

Allerdings wurde diesem „Ja“ immer ein „aber“ angehängt, und dieses „aber“ umfasst erstens eine – entsprechend dem Entwurf und mit diesem korrespondierend – Änderung im Dienst- und Organisationsrecht der Staatsanwaltschaft, zweitens eine Änderung und Neuorientierung bei der Weisungsdiskussion und an der Weisungsspitze auf Grund des Umstandes, dass richterliche Befugnisse von einem unabhängigen Organ zu einem weisungsgebundenen Organ verschoben werden – um jeden Verdacht, diese Forderung sei personen- oder politikbezogen, von vornherein zu verhindern, sei ausdrücklich klargestellt, dass sie bereits zu einem Zeitpunkt aufgestellt wurde, als noch ein anderer Justizminister die Leitung des Ressorts innehatte; sie hat also überhaupt nichts mit den derzeit handelnden Personen im Justizressort zu tun –, und drittens die ausreichende personelle Bedeckung für die sinngemäße Umsetzung des vom Ministerium vorgeschlagenen Entwurfes. – Das grundsätzliche „Ja“ soll unter diesen Voraussetzungen unterstrichen werden.

Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu einzelnen Punkten machen. – Frau Dr. Rech! Grundsätzlich begrüßen wir Richter – und wohl auch die Staatsanwälte, ich vertrete ja als Bundessektionsvorsitzender beide Gruppen – die Forderung, dass die Verteidigungsrechte bereits bei der Polizei beginnen müssen. Es muss aber, wie Sektionschef Miklau bereits angesprochen hat, auch Möglichkeiten geben, um Missbräuchen, die zweifellos vorkommen, irgendeine Ordnungsvorschrift entgegenzustellen.

Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen: Im Moment läuft am Landesgericht Innsbruck ein Verfahren gegen einen Ex-Rechtsanwalt, an dem man sieht, wie jemand sein Spiel treiben und Rechte missbräuchlich in Anspruch nehmen kann. Er ist nämlich vor dem Schöffengericht angeklagt, und dort besteht Verteidigerzwang. Inzwischen hat er sich aus der Verteidigerliste streichen lassen, er kann sich also nicht selbst vertreten, bestellt aber auch keinen Verteidiger. Daraufhin wird vom Gericht vorgeschriebenermaßen ein Verteidiger bestellt, den er selbst bezahlen muss. Kurz vor Beginn der Verhandlung teilt der angeklagte Rechtsanwalt mit, er habe nunmehr einen frei gewählten Verteidiger. Der vom Gericht Bestellte muss demnach enthoben werden, es kommt zu keiner Verhandlung. Dieses Spiel läuft nun schon zum dritten Mal, in der dritten Runde. Es muss Möglichkeiten geben, bei so etwas eingreifen zu können.

Die vom Entwurf vorgesehenen Korrektive finde ich durchaus angemessen und der Situation angepasst, ohne dass damit in unzulässiger Weise in Verteidigungsrechte eingegriffen wird, denn es ist, wie es schon der Herr Generalprokurator gesagt hat, immer noch eine Entscheidung des Beschuldigten beziehungsweise Verdächtigen, ob er einen Verteidiger haben will. Eine gesetzliche Verpflichtung, einen Verteidiger beizuziehen, wird es wohl nicht geben. Es darf auch nicht so weit gehen, dass ein Verdächtiger dann, wenn er nach der entsprechenden Belehrung verzichtet – und diese werden ja protokolliert, das liest er auch durch: „Ich will keinen Verteidiger!“ –, noch einen Verteidiger beiziehen muss, um überhaupt auf einen solchen verzichten zu können, damit nicht die Gefahr besteht, dass dann später der Einwand kommt, er sei unter Druck gestanden oder durch nachträgliche Einfügung dieses Satzes im Protokoll über seine Rechte getäuscht worden.

Bezüglich des Beweismittelverwertungsverbotes kann ich Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, nur eindringlich davor warnen: Wenn Sie nicht wollen, dass wir Zustände wie teilweise in den Vereinigten Staaten bekommen, wo Videoaufnahmen von strafbaren Handlungen nicht verwertet werden dürfen, da ja der Verdächtige vorher nicht gefragt worden war, ob er dabei gefilmt werden dürfe, wie er jemanden niedertritt, dann müssen Sie sich auch dafür entscheiden, dass, wie Dr. Breuer hier angeführt hat, Beweisverwertungsverbote in dieser Form in unserem Rechtssystem an sich nichts verloren haben.

Zur Frage des Rechtsschutzes: Kollege Geyer hat angesprochen, dass in diesem Entwurf teilweise überzogene Rechtsschutzvorschriften enthalten sind. Das wurde bereits mehrfach festgestellt. Insbesondere der Vergleich des Hauptverfahrens mit seinem strengen Zweiinstanzenzug mit dem Verfahren laut Entwurf, in dem man zwei, drei, vier Instanzen durchlaufen kann, samt Nebensächlichkeiten, zeigt, dass hier vielleicht etwas zu viel des Guten gemacht wurde. Als Beispiel dafür sei § 107 Abs. 1 des Entwurfes genannt, demzufolge über einen Einspruch, den ein Beschuldigter, ein Verdächtiger macht, dann, wenn die Anklage bereits eingebracht wurde, das Gericht des Hauptverfahrens zu entscheiden hat. Ich möchte Ihnen nur an diesem einen Beispiel klar vor Augen führen, was das bedeutet.

Es wird also dann der Hauptverhandlungsrichter – wenn es ein Schöffensenat oder ein Schwurgerichtssenat ist, wohl der Vorsitzende als Einzelrichter – über diesen aus dem Vorverfahren noch übertragenen Einspruch zu entscheiden haben, zum Beispiel darüber, ob die Einvernahme eines Entlastungszeugen zu Recht abgelehnt wurde oder nicht. Als weitere Folge haben wir nicht nur eine Überfrachtung und zusätzliche Belastung des Hauptverfahrens mit aus dem Vorverfahren mitgebrachten Sach- und Rechtsproblemen, sondern in den meisten Fällen wahrscheinlich auch einen befangenen oder ausgeschlossenen – zumindest befangenen – Hauptverhandlungsrichter. Wenn der nämlich sagt: Zutreffenderweise wurde der seinerzeit angebotene Entlastungszeuge nicht vernommen!, möchte ich sehen, welcher Beschuldigte oder Verteidiger ihn nicht als befangen ablehnt, weil er sich bereits mit der Sache in dieser Weise auseinander setzen musste.

Man muss das Ganze auch unter dem Gesichtspunkt der personellen Ressourcen sehen, und das ist eines dieser Aber. – Meine Damen und Herren Abgeordnete, da darf ich mich noch einmal ganz konkret an Sie wenden: Wir Richter und Staatsanwälte befürchten, dass trotz der besten Intentionen, die in diesem Entwurf vorhanden sind, hinsichtlich der Verrechtlichung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens, hinsichtlich der Festschreibung von Verdächtigen- und Opferrechten, dass trotz dieser umfangreichen gesetzlichen Regelungen ein Polizeistaat droht. Ich sage das ganz bewusst und ausdrücklich. Warum droht er? – Weil bisher keine entsprechende personelle Vorsorge getroffen wird!

Meine Damen und Herren Abgeordnete, wenn Sie über dieses Gesetz befinden, vielleicht noch heuer, müssten jetzt die personellen Weichen gestellt werden: bei einer vierjährigen Ausbildungszeit und einer zweijährigen Vorlaufzeit, bevor man Staatsanwalt werden kann, sonst wird es nämlich zum Polizeistaat kommen, weil trotz all dieser gesetzlichen Bestimmungen die Staatsanwaltschaften nicht in der Lage sein werden, erstens ihre Leitungsbefugnis und zweitens ihre Kontrollbefugnis wahrzunehmen. Die Richter werden auch nicht dazu in der Lage sein. Das Ganze wird sich dann bei der Polizei abspielen, ohne tatsächlich durchführbare Kontrolle seitens der Gerichte und der Staatsanwaltschaften.

Wenn Sie also tatsächlich dieses wichtige Gesetz wollen – wir wollen es auch, weil es notwendig ist, dass das endlich einmal in einem geregelten Rahmen stattfindet –, dann bitte ich Sie, sich vielleicht in Form eines Entschließungsantrages im Nationalrat zu äußern und der Regierung den Auftrag zu geben, dafür die entsprechenden personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen! Es werden weit mehr sein müssen als die vom Justizminister vorgeschlagenen 90 Staatsanwälte, wovon 20 noch von den Richtern abgezogen werden sollen.

Bemerkenswerterweise hat man es nie für notwendig erachtet, die in der Praxis Tätigen einzubinden. Man hat wohl vor einigen Wochen eine Managementfirma beauftragt, zu erheben, wie viel man zusätzlich brauchen würde – aber können Sie sich vorstellen, auf Grund welcher sachlichen Grundlage und mit welcher sachlichen Kompetenz eine Managementfirma, ausgehend von einem noch nicht einmal fertig vorliegenden Entwurf, einen Planstellenmehrbedarf bei der Staatsanwaltschaft seriös und nachvollziehbar erheben wird? Wir sind der Meinung, es sollte eine Auseinandersetzung mit den Praktikern geben, die aus der Verantwortung für den Vollzug dieses Gesetzes heraus sagen, dieses und jenes ist notwendig, ohne sich sozusagen personell bereichern zu wollen.

Zur Richterposition und zum „Untersuchungsrichter“ unter Anführungszeichen: Eine der Ursachen für diese Diskussion liegt im Misstrauen der Politik, das insbesondere der Strafrechtspflege entgegengebracht wird. Es wird immer wieder vermutet, dass es zu politischen Einflussnahmen kommt. Da geht es jetzt nicht darum, ob es tatsächlich dazu kommt, sondern es geht um den Anschein.

Denken Sie zwei Wochen zurück: Die Staatsanwaltschaft Wien macht ein Diversionsangebot in Zusammenhang mit dem Lombard-Club. Es kommt eine politisch motivierte Äußerung eines oder mehrerer Politiker, der Justizminister möge eine Weisung an die Staatsanwaltschaft erteilen, dass es hier kein Diversionsangebot gibt.

Teilweise wird das gefordert, teilweise kommt es aus dem Eigenen heraus, aber dadurch entsteht der Eindruck, man brauche nur zu schreien und müsse nur die entsprechenden Beziehungen haben – persönliche oder politische –, dann könne man schon regeln, dass es eine entsprechende Weisung oder eben keine Weisung gibt. Das ist das Grundübel, um das es hier geht, und der Grund dafür, dass immer wieder gesagt wird, da müsse ein Richter her.

Wir hätten dieses ganze Grundübel nicht, wenn man insbesondere in der Frage des Weisungsrechtes konkrete Überlegungen anstellen würde und wenn die Politik, damit meine ich insbesondere die Regierung – das Problem ist ja, dass von der Regierung eingegriffen werden könnte –, endlich einmal zur Kenntnis nehmen würde, dass hier auch andere Möglichkeiten bestehen – ob das jetzt dieser berühmte Generalanwalt ist oder nur eine Beschränkung des Justizministers darauf, dass er keine Einstellungsweisung geben darf; da gibt es viele Modelle.

Zu begrüßen ist in diesem neuen Papier der Legislativabteilung, dass man daran denkt, die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft, laut § 98 des Entwurfes, tatsächlich festzuschreiben. Bisher war es ja ein fauler Kompromiss, denn es ist dringestanden: Es ist das Einvernehmen herzustellen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Und wer entscheidet, wenn das Einvernehmen nicht zustande kommt? – Jetzt soll festgeschrieben werden: Die Entscheidung trifft, wenn man sich nicht einigt, die Staatsanwaltschaft! Sie ist auch verantwortlich für dieses Verfahren.

Zur Begründungspflicht: Es ist teilweise viel zu weit gehend im § 102 dieses Entwurfes, was an Begründungen vorgesehen ist. Da gehört ganz gehörig ausgemistet.

Der Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft bisher nicht einmal dem Richter gegenüber eine Begründungspflicht für ihre Anträge hatte und für Maßnahmen, die sie forderte, ist natürlich zutreffend. Und warum soll es dann – ohne Abwertung – gegenüber den Sicherheitsbehörden jetzt vorgeschrieben sein?

o. Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller (Universität Salzburg ; Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht und Kriminologie): Ich habe schon in der ersten Sitzung des Unterausschusses die Möglichkeit gehabt, meine grundsätzliche Befürwortung der Regierungsvorlage und meine weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen darzulegen, und bitte Sie, meine folgenden Ausführungen, die jetzt in einzelnen Punkten kritisch sein werden, vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Zustimmung zu sehen.

Ich möchte einige Punkte aus dem Bereich der Beweisaufnahme und Beweisverwertungsverbote ansprechen, die in dieser Form in diesem Unterausschuss noch nicht zur Sprache gekommen sind.

Erster Bereich: die Regelung der körperlichen Untersuchung, in § 123, einschließlich solcher Untersuchungen, die mit minimalen Eingriffen in die körperliche Integrität verbunden sind, wie beispielsweise die Abnahme einer Blutprobe. – Im Zusammenhang mit dem geltenden Recht wird immer darauf hingewiesen, dass die Strafprozessordnung diesbezüglich nur ganz punktuelle und ganz unzureichende Regelungen trifft.

Die geltende Rechtslage ist dadurch geprägt, dass die einzige Regelung über eine Verpflichtung zur Blutabnahme an einer etwas abgelegenen Stelle in der Straßenverkehrsordnung getroffen wird. Dort sind die Verpflichtung zur Blutabnahme und eine Verwaltungsstrafe im Fall der Verweigerung der Zustimmung zur Blutabnahme vorgesehen.

Diese Regelung ist etwas unglücklich. Erstens, weil sie das Verbot des Selbstbelastungszwangs durchbricht. Jemand ist also bei Strafe verpflichtet, an seiner allfälligen Überführung mitzuwirken, indem er der Blutabnahme zustimmt. Das ist der Grund dafür, dass § 5 Abs. 6 Straßenverkehrsordnung in Verfassungsrang stehen muss – eine nicht sehr glückliche Optik. Zweitens ist diese Regelung insofern problematisch, als bei Bewusstlosen eines Verkehrsunfalls, weil diese nicht zustimmen können, eine Blutabnahme generell unzulässig ist.

Große Rechtsunsicherheit besteht derzeit auch darüber, inwieweit Blutproben, wenn sie abgenommen wurden, verwertbar sind, und zwar in zwei Bereichen: erstens, falls eine Blutabnahme doch unzulässigerweise erfolgt ist, etwa bei einem Bewusstlosen – dazu existiert eine unterschiedliche Judikatur der ordentlichen Gerichte, die eine Verwertbarkeit bejahen, und des Verwaltungsgerichtshofs, der eine Verwertbarkeit verneint –, und zweitens bei Blutproben, die aus anderen als strafprozessualen Zwecken, etwa aus medizinischen Gründen, abgenommen wurden, ob sie im Strafprozess verwertet werden dürfen – auch da besteht eine uneinheitliche Judikatur.

Ich hätte gehofft, dass anlässlich der Gelegenheit der Neufassung des strafprozessualen Vorverfahrens eine einheitliche und adäquate Regelung in der Strafprozessordnung getroffen wird und die problematischen Regelungen in der Straßenverkehrsordnung daneben überflüssig werden. Es ist ja nicht ganz einzusehen, dass selbst dort, wo es um die Aufklärung schwerster Delikte geht, keine entsprechenden Regelungen vorhanden sind, im Straßenverkehrsbereich, wo unter Umständen nur Verwaltungsdelikte zur Beurteilung anstehen, eine Verpflichtung zur Blutabnahme im Verfassungsrang normiert ist.

Die Regierungsvorlage trifft erfreulicherweise eine einheitliche Regelung über körperliche Untersuchungen, allerdings ist sie sehr zurückhaltend. Sofern bei einer Untersuchung ein Eingriff in die körperliche Integrität erforderlich ist, wie bei der Blutabnahme, ist sie nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betroffenen vorgesehen. Diese Regelung ist wenig weiterführend, denn mit ausdrücklicher Zustimmung wäre der Eingriff wohl in jedem Fall zulässig. Fehlt eine ausdrückliche Zustimmung, so hilft die Regierungsvorlage nicht weiter.

Ich glaube, dass es vertretbar wäre – ich habe das in der schriftlichen Stellungnahme, die an Sie verteilt wurde, näher ausgeführt –, einen minimalen Eingriff in die körperliche Integrität, wie er mit der Abnahme einer Blutprobe oder vielleicht auch einer Röntgenuntersuchung verbunden ist, auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen, also insbesondere auch bei bewusstlosen Personen vorzusehen. Das war im Diskussionsentwurf 1998 verankert, ist in der Regierungsvorlage aber nicht mehr enthalten.

Eine Regelung, die nicht den Beschuldigten zwingt, der Blutabnahme zuzustimmen, sondern die einfach ohne seine ausdrückliche Einwilligung von Seiten der Verfolgungsorgane erfolgt, müsste, glaube ich, nicht im Verfassungsrang beschlossen werden – in Deutschland steht die entsprechende existierende Regelung auch nicht im Verfassungsrang. Nachdem der Betreffende zu nichts gezwungen wird, wäre eine solche Regelung keine Ausnahme vom Verbot des Selbstbelastungszwangs. Die verfassungsrechtliche Problematik läge vielmehr im Bereich des Eingriffs in die Privatsphäre, also Eingriff in die körperliche Integrität als Privatsphäreeingriff nach Artikel 8 EMRK. In dieser Regelung ist ein Gesetzesvorbehalt aber ausdrücklich vorgesehen. Also in verhältnismäßigem Rahmen wäre eine solche Regelung, zwangsweise Blutabnahme auch ohne ausdrückliche Einwilligung, ohne Verfassungsbestimmung, glaube ich, zu beschließen.

Der zweite Vorschlag in diesem Bereich wäre die Anregung, Vorschriften über die Verwertbarkeit unzulässig abgenommener Blutproben oder anderer körperlicher Untersuchungsergebnisse und Verwertbarkeitsregelungen über solche Untersuchungsergebnisse, wo Untersuchungen zu anderen Zwecken als dem Strafprozessrecht durchgeführt wurden, vorzusehen. Ich habe diesbezügliche Regelungsvorschläge in meiner Unterlage unterbreitet.

Ein zweiter Bereich, der auch die Verwertbarkeit betrifft: die Folgen eines Vernehmungsfehlers. Nachdem im Diskussionsentwurf 1998 sehr weitgehende Verwertungsverbote vorgesehen waren, glaube ich, dass die Regelung in der Regierungsvorlage, § 166, im Ergebnis einen akzeptablen Kompromiss bedeutet. Ich würde mir aber wünschen – das ist mein zweiter vorgelegter Regelungsvorschlag –, dass die Regelung noch etwas deutlicher an den inhaltlichen Gründen anknüpft, die für die Unverwertbarkeit der Aussage als Folge eines Vernehmungsfehlers sprechen können.

Ich glaube, dass diese Gründe zweifacher Art sein können: Der Vernehmungsfehler beeinträchtigt den Beweiswert der Aussage – wenn jemand unter Drohung etwas zugegeben hat, dann ist dieses Geständnis dann nicht viel wert, wenn möglich ist, dass das Geständnis nur eine Folge der Drohung war, also nicht der Wahrheit entsprechen muss. Dann, wenn der Beweiswert der Aussage unbeeinträchtigt ist vom Vernehmungsfehler, kann der inhaltliche Grund für die Unverwertbarkeit, glaube ich, darin liegen, dass ein Interesse des Staates an der Distanzierung vom rechtswidrigen Vorgehen des Vernehmungsorgans besteht, dass das Interesse an der Beweisverwertung überwiegt.

Das heißt, in solchen Fällen ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse an der Distanzierung vom Vernehmungsfehler – dieses Interesse hängt ab von der Schwere des rechtswidrigen Vorgehens des Vernehmungsorgans – und auf der anderen Seite dem Beweisinteresse an der betreffenden Aussage; dieses Interesse hängt wesentlich ab von der Schwere des anstehenden Delikts. In meinem Regelungsvorschlag zu § 166 hätte ich eine Formulierung vorgeschlagen, die auf diese beiden inhaltlichen Gründe der Unverwertbarkeit eingeht und insbesondere im zweiten Fall die Abwägung der Interessen im einzelnen Fall vorsieht.

Als Letztes hätte ich noch einige wenige Anregungen in Zusammenhang mit den Aussageverweigerungsrechten beziehungsweise den Verwertbarkeitsregelungen – die sind zum Teil nur punktuell.

Aufgefallen ist mir, dass bei den Aussageverweigerungsrechten nach § 157 im Absatz 2 ein Umgehungsverbot normiert ist, das sich aber aus Gründen, die ich nicht genau weiß, nicht auf die Aussageverweigerung über die Ausübung eines geheimen Wahlrechts bezieht. Das könnte den Eindruck erwecken, als sei hinsichtlich des Wahlgeheimnisses im Umkehrschluss eine Umgehung zulässig, was wohl nicht gemeint sein kann. Hier sollte eine Ausdehnung des Umgehungsverbots erfolgen, wobei zu überlegen wäre, ob das Umgehungsverbot nicht auch in den Fällen der Vernehmungsverbote, § 155, normiert wird, weil auch dort eine Umgehung der Vernehmungsverbote, die durch Vernehmung anderer Personen als der Aufgezählten oder auch durch Beschlagnahme oder durch sonstige Ermittlungsmaßnahmen möglich wäre, verhindert werden sollte.

Eine weitere Anmerkung betrifft den Schutz des Intimgeheimnisses, also des höchstpersönlichen Lebensbereiches von Personen, die aussagen. Derzeit ist in § 158 nur für Opfer von Sexualdelikten vorgesehen, dass sie Aussagen, die ihren höchstpersönlichen Lebensbereich betreffen, verweigern dürfen, sofern die Aussage nicht unerlässlich ist.

Mir ist nicht klar, warum der Schutz des Intimgeheimnisses – also des höchstpersönlichen Lebensbereiches eines Zeugen oder dritter Personen – nur bei Opfern von Sexualdelikten berücksichtigt werden sollte. Ich würde vorschlagen, dass diese Regelung im § 158 – einen Regelungsvorschlag hätte ich hier wieder unterbreitet – auf alle Zeugen und dritte Personen ausgedehnt wird, so wie es im Ministerialentwurf 2001 einmal vorgesehen war, dann aber wieder geändert worden ist. Es sollte jeder Zeuge Fragen nach Umständen aus seinem höchstpersönlichen Lebensbereich oder dem höchstpersönlichen Lebensbereich Dritter verweigern können, soferne die Aussage nicht unerlässlich ist. Ich würde insoferne den § 158 erweitern wollen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Arztgeheimnis, das früher öfters diskutiert worden ist im Zusammenhang mit dem Strafprozess; es hat sich aber nicht durchgesetzt, dass das Arztgeheimnis so wie in anderen Verfahrensgesetzen respektiert wird. Derzeit ist nur eine Regelung so wie im geltenden Recht vorgesehen, dass Psychiater die Aussage verweigern dürfen. Ich glaube, dass, wie das auch in den Nachbarrechten der Fall ist, eine Berücksichtigung des Arztgeheimnisses im Strafprozess notwendig ist.

Zu überlegen ist, ob diese Respektierung des Arztgeheimnisses auch durch die Unzulässigkeit der Aussage begrenzt wird. Man könnte sich vorstellen, in § 158 noch den Fall einzufügen, dass ein Arzt über Umstände, die er in Ausübung seines Berufes in Erfahrung gebracht hat, die Aussage verweigern darf, zumindest in der begrenzten Form, solange die Aussage nicht unerlässlich ist. Das würde auch eine Harmonisierung mit dem höchstpersönlichen Lebensbereich, den ich vorher angesprochen habe, bedeuten, weil ein Arzt ja häufig Umstände über den höchstpersönlichen Lebensbereich von Personen in Erfahrung bringt und da nur eingegriffen werden sollte, wenn das bei einer Güterabwägung unerlässlich erscheint.

Noch ein letzter Gesichtspunkt: Zwei Verwertungsverbote enthält schon das geltende Recht und auch die Regierungsvorlage, Verbote, die, glaube ich, nicht sachlich begründet werden können und die man noch einmal überdenken sollte. Ganz zu Recht ist vorgesehen, dass unmündige Opfer und Opfer von Sexualdelikten, wenn sie einmal kontradiktorisch vernommen worden sind, im weiteren Verfahren die Aussage verweigern dürfen. Diese Regelung ist zur Vermeidung einer Belastung durch wiederholte Vernehmung für solche Personen angemessen und zu befürworten. Wenn es aber nun einmal dazu gekommen ist, dass ein Zeuge vielleicht nicht darüber belehrt wurde und doch in der Hauptverhandlung ein zweites Mal ausgesagt hat, so leuchtet mir die vorgesehene Regelung nicht ein, dass dann diese Aussage, die vielleicht unmittelbar in der Hauptverhandlung abgelegt wurde, mit einem Beweisverwertungsverbot belegt ist. Die Belastung durch wiederholte Vernehmung, die man eigentlich vermeiden wollte, ist ja bedauerlicherweise ohnehin eingetreten und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Warum man nun auch die in der Hauptverhandlung unmittelbar abgelegte Aussage, die als Beweismittel ja zweckdienlich ist, als Beweismittel preisgeben will, hilft dem Zeugen nicht mehr und leuchtet inhaltlich nicht ein.

Ähnlich – ein allerletzter Gesichtspunkt – verhält es sich mit selbst belastenden Aussagen von Zeugen. Jemand wird nicht über sein Recht, eine ihn selbst belastende Aussage verweigern zu dürfen, belehrt und legt als Zeuge eine ihn selbst belastende Aussage ab. Es leuchtet nun ein und mag konsequent erscheinen, dass man diese Aussage dann in einem späteren Strafverfahren gegen den Zeugen, der sich selbst belastet hat, als unverwertbar einstuft. Ich sehe aber keinen hinreichenden Grund dafür, warum die selbst belastende Aussage des Zeugen, so wie das vorgesehen ist, in dem Strafverfahren, in dem er sie abgelegt hat gegen den dort Beschuldigten, unverwertbar sein soll. Die selbst belastende Aussage ist geschehen, die lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Das Aussageverweigerungsrecht bei Selbstbelastungsgefahr dient ja nicht dem Interesse des Beschuldigten, sondern dem Interesse des Zeugen, der sich nicht selbst zu belasten hat. Ich könnte mir vorstellen, dass in dem Verfahren, in dem die Aussage abgelegt wurde, eine Verwertbarkeit durchaus sachgerecht ist.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Professor Schmoller! Das ist logisch und einleuchtend, nur: Wie zwingen Sie die Richter dann wirklich, auf die Erstvernehmung zurückzugreifen und nicht selber unmittelbar trotzdem das Opfer zu „sekkieren“? Wenn Sie darauf eine Antwort haben, wäre ich sehr dankbar.

o.Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller: Ich werde versuchen, darauf eine ganz kurze Antwort zu geben. – Ich glaube ganz allgemein nicht, dass Verwertungsverbote – aber da bestehen zugegebenermaßen unterschiedliche Ansichten – nicht primär ein Instrument zur Disziplinierung der Strafverfolgungsorganes sein sollen – dazu gibt es grundsätzlich andere Sanktionierungsmöglichkeiten –, sondern dass das Verwertungsverbot nur dort statuiert werden sollte, wo sachliche Gründe wirklich dafür sprechen, dieses Beweismittel nicht zu verwerten.

Ich glaube grundsätzlich nicht, dass Richter darauf aus sind, das Zeugenverweigerungsrecht von unmündigen Opfern oder Opfern von Sexualdelikten zu missachten, sondern ich glaube eher, dass, wenn so etwas passiert, das wirklich ein Versehen ist, und dann leuchtet mir nicht ein, warum man, wenn ein Versehen passiert ist, als Folge daraus eine zweite sachliche Unrichtigkeit begehen sollte, indem man die unmittelbar vorliegende Aussage dann auch preisgibt, obwohl sie zur Verfügung wäre.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Spannend, ob das die Anwälte im Hinblick auf die Verwertung genauso sehen.

RA Dr. Wolfgang Moringer (Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen): Ich werde Herrn Professor Schmoller bei anderer Gelegenheit, außerhalb des Rahmens dieser Beratungen, fragen, an welche anderen Sanktionsmechanismen außer dem Verwertungsverbot er denn zur Disziplinierung der Organe der Strafrechtspflege gedacht hat, weil mir ad hoc keine einfallen.

Im Anschluss an die letzte Sitzung des Justizunterausschusses, an der ich teilgenommen habe, hat sich auf dem Gang vor dem Beratungssaal ein kurzes Gespräch entwickelt, wo einer der Gesprächsteilnehmer sagte, dass es auffällig sei, dass im Rahmen der Beratungen dieses Ausschusses – Thema: Verteidigungsrechte ausbauen und Wahrung dieser Rechte – in Wirklichkeit nur von Anwälten und Angehörigen der Straflegislative, des Ministeriums artikuliert würden, inbesondere aber nicht von Vertretern der Justiz, also von Staatsanwälten und Richtern in diesem Saal.

Ich habe mir dann das Protokoll noch einmal angeschaut: Es ist richtig. Ich habe dem heutigen Gang der Beratungen folgend diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit gewidmet, und es ist vollauf bestätigt worden. Soweit Verteidigungsrechte insbesondere von Vertretern der Justiz hier angesprochen werden, geht es darum, ihre Disfunktionalität darzustellen, sie zurück zu drängen, sie nicht zu solchen Einrichtungen werden zu lassen, die der Wahrheitsfindung hinderlich im Weg stehen. Wenn ich nicht überhört habe, ist keine einzige Wortmeldung hier in diesem Saal heute, aus dem Justizbereich kommend, eine solche gewesen, die man im Ansatz so verstehen könnte, dass sie auf Ausbau und Sicherung der Verteidigungsrechte orientiert gewesen wäre.

Ich finde das bedauerlich. Verteidigungsrechte sind nicht Rechte, die irgendwo einem egoistischen Standesinteresse der Advokatur geschuldet oder aus einem solchen bornierten Standesinteresse verlangt werden. Es ist schon richtig: Wir verdienen unser Geld auch mit Strafverteidigung, aber das unterscheidet uns nicht von den Richtern, das unterscheidet uns nicht von den Staatsanwälten, die ihr Einkommen aus der im genau gleichen Bereich liegenden Tätigkeit gewinnen wie wir. Und wir gehen auch nicht heran und erörtern Fragen der Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems primär und bestimmend unter dem Gesichtspunkt, dass die Ärzteschaft aus ihrer Tätigkeit im Gesundheitsbereich ihr Einkommen erzielt. Es geht, so wie in der Gesundheitspflege um den kranken Menschen, in der Strafrechtspflege um den Menschen, der, auf Grund welcher Umstände immer, zu Recht oder zu Unrecht, in das Getriebe der Strafjustiz hineingelangt.

Ich bin ca. 30 Jahre in der Liste der Verteidiger eingetragen, und ich darf Ihnen sagen, dass überall dort, wo jemandes Ehemann, Ehefrau, Freund, Bruder, Angehöriger in diese Mühlen der Strafjustiz hinein gerät, blankes Entsetzen herrscht. Plötzlich findet er sich in einem Gebiet wieder, das er bis dorthin über weite Strecken nur aus der Berichterstattung der „Kronen Zeitung“ oder vergleichbarer Medien kannte. Er kommt jetzt das erste Mal mit der Realität des Strafverfahrens in Berührung und ist in der Regel erschüttert vom Ausmaß der Rechtlosigkeit, vom Ausmaß der Unmöglichkeit, sich in diesem System adäquat verteidigend zu bewegen.

Um insgesamt auch diesen Eindruck in der betroffenen Bevölkerung zu reduzieren oder abzuändern, bedarf es dringend eines Ausbaus der Verteidigung.

Herr Dr. Schröder hat heute ein in der Bevölkerung angesprochenes Misstrauen gegen die Politik angesprochen. Ich sage einmal: Für mich persönlich ist mein Misstrauen in die Politik nicht größer als das in die Strafjustiz. Ich habe mehr mit der Strafjustiz zu tun als mit der Politik, und ich sage: Der Ausbau der Verteidigungsrechte hat natürlich auch dem Schutz des Staatsbürgers vor den Möglichkeiten der Strafjustiz zu dienen. Es gibt keinen Berufsstand und Personenstand in Österreich, der mit einer größeren Machtvollkommenheit ausgestattet ist, nämlich Machtvollkommenheit in der Form, dass sie unmittelbar gegen den Staatsbürger eingesetzt werden kann, als die in der Strafjustiz tätigen Menschen.

Um diesen Möglichkeiten ein entsprechendes Pendant entgegensetzen zu können, muss der einzelne Staatsbürger Verteidigungsrechte haben, die er mittels von Verteidigern ausübt. Wenn Herr Dr. Nemec in einem mich wirklich empörenden Beitrag heute davon gesprochen hat, dass die Verteidiger im Prinzip im Rahmen der Rechtsordnung tätig sind, dann möchte ich ihm erwidern: Ich bin nicht im Prinzip im Rahmen der Rechtsordnung tätig, sondern ich bin tatsächlich im Rahmen der Rechtsordnung tätig!

Ich verwahre mich gegen diese durchgängig in der Justiz anzutreffende Positionierung, die den Verteidiger als „Komplizen des Angeklagten“, als „Verdächtigen“ sieht, und die dann zur Beurteilung kommt, dass der Verteidiger im Prinzip im Rahmen der Rechtsordnung agiert, was nämlich unterstellt, dass er tatsächlich und alltäglich außerhalb dieses Rahmens tätig ist. Das ist er nicht! – So lange in der Justiz solche Strömungen an prominenter Stelle vorhanden sind, so lange wird es auch um so notwendiger sein, um einen Ausbau der Verteidigungsrechte zu kämpfen und sich dafür einzusetzen.

Herr Dr. Nemec sagt, der Verteidiger sei der Einzige, der in diesem Bereich nicht der Wahrheit und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sei. Das ist auf der gleichen Ebene gelegen! Wenn sich das in der Justiz artikuliert und eine bestimmende Strömung ist, dann sage ich: Es sind alle erdenklichen Vorkehrungen geboten, dass solche Strömungen möglichst wenig Einfluss auf das Leben der einzelnen Menschen gewinnen können.

Ich bin – das nehme ich für mich in Anspruch – auch in meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt der Wahrheit genauso verpflichtet wie der Herr Staatsanwalt Huber oder die Frau Richterin Müller. Das, was im Strafprozess möglicherweise als Wahrheit gelten kann oder akzeptiert wird, steht am Ende des Strafverfahrens. Es steht nicht am Anfang, dort wo der Staatsanwalt das erste Mal tätig wird. Dort ist die Schuldfrage möglicherweise eine Vermutung. Um diese Schuldfrage zu klären, dazu dient dieser Prozess. Ob das, was am Ende herauskommt, die Wahrheit ist, das ist eine Frage, der man sich mit sehr viel philosophischem Aufwand widmen könnte.

Es wird auf jeden Fall dann, wenn die Verfahrensvorschriften eingehalten werden, auf Grund der Legitimation durch das Verfahren ein Tatsachensubstrat berechtigterweise zur Grundlage eines verurteilenden oder freisprechenden Erkenntnisses gemacht. Es hat aber nichts damit zu tun, dass Staatsanwälte rechtstreuer sind als Rechtsanwälte oder dass Staatsanwälte und Richter der Wahrheit mehr verbunden wären als Rechtsanwälte.

Durch den Ausbau der Verteidigungsrechte gilt es, genau diesem Geist in der Strafjustiz Einhalt zu gebieten!

Jetzt möchte ich abschließend noch ganz kurz, die Anregung Frau Dr. Fekters aufgreifend, konkrete Vorschläge, die diese Positionierung zum Ausdruck bringen sollten, ansprechen.

Im § 52 wird die Herstellung von Aktenablichtungen und Kopien geregelt. Es steht drinnen: Dieses Recht bezieht sich jedoch nicht auf Ton- oder Bildaufnahmen. – Ich gehe davon aus, dass dieser Satz füglich entfallen sollte. Es ist nämlich nicht einzusehen und auch nicht begründbar, warum der Beschuldigte oder Verdächtigte oder Angeklagte, wer immer er gerade ist, nicht die Möglichkeit und das Recht haben sollte, zum Akt gehörende Ton- und Bildaufnahmen vervielfältigt zu erhalten – noch dazu, wo der derzeitige Entwicklungsstand der Technik solchen Vorgängen keine erheblichen Schwierigkeiten bereitet.

Das Nächste ist das schon angesprochene Problem, das auch Herr Dr. Nemec zum Gegenstand seiner Ausführungen gemacht hat. Die §§ 58, 59 und 164 der Regierungsvorlage regeln das Recht des Beschuldigten, einen Verteidiger beizuziehen. In § 59/1, 2. Satz, heißt es: In besonders begründeten Fällen kann dieser Kontakt – nämlich der Kontakt des Verhafteten oder Festgenommenen, Verdächtigen mit dem Verteidiger – auf das für die Erteilung der Vollmacht und eine allgemeine Rechtsberatung erforderliche Ausmaß beschränkt werden.

Dieser Satz hat nach meinem Verständnis ersatzlos zu entfallen. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund dafür. Warum soll der nicht verhaftete oder nicht festgenommene Verdächtige die Möglichkeit haben, sich rechtlich beraten zu lassen, und der Festgenommene soll dieses Recht nicht haben? Ist das eine zusätzliche Sanktion zur Verhängung der Untersuchungshaft? Was soll das sein? In welcher Art und Weise soll die Tätigkeit, nämlich die an den Werten eines demokratischen Gemeinwesens orientierte Tätigkeit der Sicherheitsbehörde, der Kriminalpolizei; dadurch beeinträchtigt werden, dass der Verteidiger den verhafteten Verdächtigen rechtlich berät? Ich verstehe das nicht! Das kann doch nur dort der Fall sein, wo man dem Verteidiger sagt, dass irgendwelche kolportierte oder mögliche Übergriffe nicht zulässig sind oder dass er bestimmte Rechte hat. Warum soll das nicht der Fall sein?

Ich räume natürlich ein, dass ich persönlich in einer sehr großen Zahl solcher Fälle, wo ich in einem frühen Stadium mit jemandem konfrontiert werde, den Rat erteile, in dieser Verfahrenssituation nicht auszusagen, nämlich alleine deswegen nicht auszusagen, weil der Betreffende die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, und die dazu vorliegenden Beweismittel nicht kennt. Man soll seine Verantwortung erst dann artikulieren, wenn man dieses Umfeld kennt.

Daher kann das möglicherweise eine kontraproduktive Beratung sein – aber kontraproduktiv für wen? Der Verdächtige ist nicht schuldig, an der Wahrheitsfindung mitzuwirken, und ich kann ihn nicht dadurch – mehr oder minder trickreich – doch zur Mitwirkung an der Wahrheitsfindung bewegen, dass ich verhindere, dass ihm dieses Recht eingeräumt wird.

Damit im Zusammenhang steht die Regelung des § 164 der Regierungsvorlage. Ich kann, wie die Frau Dr. Loderbauer vorhin gesagt hat, durchaus damit leben, dass dort die Vertrauensperson drinnen ist. Ich habe auch Frau Dr. Rech so verstanden, dass der Hauptangriffspunkt nicht die Existenz der Vertrauensperson ist, sondern der Ausschluss des Rechtes des Verdächtigen, sich bei der Vernehmung des Beistandes des Verteidigers zu bedienen, wie immer dieser Beistand dann ausgeformt sein sollte. – Meines Erachtens ein unabdingbares Recht.

Die Bestimmung, wie sie da steht, wird meines Erachtens auch im Lichte des Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnisses vom September 2002 kaum zu halten sein. Sie kollidiert meines Erachtens – aber hier gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen, und meine Meinungen sind immer verteidigungsfreundlicher als die anderer – mit einer anderen Bestimmung.

Artikel 6 EMRK sagt, jeder Angeklagte hat das Recht, sich in jedem Stadium des Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen. Und es fällt mir logisch schwer, den intellektuellen Durchgriff darauf zu finden, dass die Vernehmung des Verdächtigen nicht Teil eines Verfahrensstadiums ist, in dem er das Recht auf einen Verteidiger hat. Auch da ist eine Beeinträchtigung des legitimen kriminalpolitischen Zweckes nicht zu befürchten und nicht zu erwarten, denn dass man mit dem Rechtlosen, Nicht-Bewährten unter Umständen besser verfügen kann, ist kein Argument dafür, dass der Staatsbürger, der sich in dieser Situation befindet, tatsächlich unbewährt und nicht beraten sein soll. Es scheint mir zu Beginn des 21. Jahrhunderts undenkbar, dass man auf eine Art und Weise zu diesem Problemkreis argumentiert, wie ich es an und für sich zumindest spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts als vorbei wähnte.

Zweiter Punkt: § 126 regelt die Beigebung des Sachverständigen. Im § 126 ist normiert, dass der Staatsanwalt im Vorverfahren, möglichst im Einvernehmen mit der Kriminalpolizei, den Sachverständigen bestellt, im Hauptverfahren das Gericht einen Sachverständigen bestellt. Und ein schlauer Legist hat dann als letzten Absatz des Abs. 3 dieser Norm eingefügt: Aus dem bloßen Umstand heraus, dass der Sachverständige schon für den Staatsanwalt tätig war, kann seine Befangenheit nicht abgeleitet werden.

Das heißt, Staatsanwalt und Kriminalpolizei bestimmen einen Sachverständigen, der mich bis zum Verfahren erster Instanz begleitet. Damit könnte ich ohne Probleme leben, wenn ich gleichzeitig die Möglichkeit habe, meinerseits, als Verdächtiger, einen Sachverständigen in das Verfahren einzubringen.

Der Verteidiger hat nicht das Fachwissen, um sich mit einem Sachverständigen-Gutachten auseinander zu setzen. Ich kann mich nicht mit einem ärztlichen Gutachten auseinander setzen, ich kann mich nicht mit einem betriebswirtschaftlichen Gutachten auseinander setzen, dazu ermangelt es mir als Verteidiger der notwendigen Kompetenz. Der verdächtige Angeklagte braucht also die Möglichkeit, seinerseits einen Sachverständigen einzubringen.

Ich möchte ganz kurz ein Ereignis einflechten. Ich habe einmal versucht – ein paar Monate ist es bereits her –, bei einer Erörterung eines Sachverständigen-Gutachtens eines Buchsachverständigen meinerseits einen Buchsachverständigen zu meiner Unterstützung in den Verhandlungssaal mitzunehmen, ihn an meiner Seite auf der Verteidigerbank sitzen zu lassen, damit ich einfach in der Erörterung, die ich durchführe, die notwendige Assistenz habe. Der Vorsitzende des Schöffengerichtes hat ihn in das Publikum verwiesen und dann auch mit Senatsentscheidung über entsprechenden Antrag erkannt, dass es diesem von mir zu meiner Assistenz mitgenommenen Sachverständigen verwehrt ist, neben mir Platz zu nehmen.

Leicht querulatorisch habe ich dann beantragt, die beiden Damen neben dem Sachverständigen, die dessen Hilfspersonen waren, mögen auch in das Publikum verwiesen werden. Diesem Antrag ist auch nicht Folge gegeben worden.

Es ist unabdingbar und unbedingt notwendig, dass die Angeklagten die Möglichkeit haben, einen Sachverständigenbeweis einzubringen – und sei es nur in der rudimentären Form, wie es im Diskussionsentwurf des Bundesministeriums vorgesehen war, dass er quasi die Stellung eines Zeugen hat.

Die Regelung, wie sie jetzt existiert, ist meines Erachtens, insbesondere auch im Lichte des Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, nicht haltbar. Sie verletzt gravierend Rechte der Angeklagten.

Zu § 42 (2) korrespondierend gibt es jetzt den § 62 (2), die Möglichkeit, einen Richter als Verteidiger beizugeben. Ich gehe davon aus, dass diese Bestimmung ersatzlos zu fallen hat. Ich kann mich nicht zu der Einsicht durchringen, dass ein durchschnittlicher Verdächtiger oder Angeklagter das Verständnis aufbringen könnte, dass der an dem Gerichtshof, an dem er angeklagt ist, tätige Richter ein wirklich tauglicher Verteidiger ist. Das soll nicht sein. Ich glaube auch nicht, dass das den Verteidiger-Garantien der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte entspricht, und es gibt vor allen Dingen keine Notwendigkeit, das zu machen.

Dort bin ich dann auch bei dieser Relation, die Herr Dr. Schröder zuerst mit dem Innsbrucker Verfahren aufgezeigt hat. Es ist überhaupt kein Problem, wenn man eine Einrichtung schafft, dass man sagt: In begründeten Fällen kann ein Pflichtverteidiger beigegeben werden, unabhängig davon, ob ein Wahlverteidiger existiert, um Verfahrensverzögerungen dieser Art zu vermeiden. Mit so etwas kann ich ohne weiteres leben, das müsste man normieren und einführen. Aber dass es irgendwo die Möglichkeit gibt, die zum Richteramt befähigte Person als Verteidiger beizugeben, das halte ich für untunlich und unpassend.

o.Univ.-Prof. Dr. Helmut Fuchs (Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät): Zur Klarstellung der staatsanwaltschaftlichen Leitungsbefugnis. So muss es sein. Wenn man den Staatsanwalt zur Zentralfigur macht, dann muss man ihn mit den entsprechenden Mitteln ausstatten. Und wenn man etwas leiten soll und eine Anordnung gibt und dann derjenige, dem man die Anordnung gibt, sagt: Gib mir das zuerst einmal schriftlich, außerdem gib mir eine schriftliche Begründung!, dann kann man nichts leiten.

Es ist hier dieser Punkt der schriftlichen Begründung auf das reduziert, wo sie hingehört, nämlich auf jene Bereiche, wo Zwangsmaßnahmen angeordnet werden, wo es Dritte gibt, die dagegen Rechte geltend machen können, da muss begründet werden. Aber ich hoffe, damit ist diese Begründungspflicht der Staatsanwälte bloß auf Verlangen der Kriminalpolizei vom Tisch.

Damit, glaube ich, sind einige Probleme gelöst, freilich nicht alle. Das Problem der Zahl ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Die Frage, was diese Anordnungen eigentlich sind, ist noch immer eine offene Frage. Es sind keine Anordnungen, die an einzelne Beamte gegeben werden können; letztlich kann sich der Staatsanwalt nur an den Behördenleiter wenden. Selbst hat er auch keine Hilfsbeamten wie in Deutschland. Darin steckt noch ein Problem, das bei der grundsätzlichen Struktur in Österreich freilich nicht so leicht gelöst werden kann. Aber immerhin ist jetzt klargestellt, dass der Staatsanwalt der Leiter ist – vielleicht könnte man es noch ein bisschen deutlicher machen.

Damit steht übrigens nicht im Widerspruch, dass Betroffene Rechtsmittel ergreifen können. Es ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, dass jeder staatliche Akt von einem Richter überprüft werden muss, und das muss auch für das Vorverfahren gelten. Aber auf der anderen Seite: Der Fortsetzungszwang durch das Gericht oder Klagserzwingungsverfahren oder was immer, das gehört weg, das ist völlig systemwidrig!

Zweiter Punkt: Auf Seite 2 und 3 spricht das Papier von der Erweiterung der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere bei der Bewilligung von Grundrechtseingriffen. Auch das möchte ich mit Nachdruck befürworten. Das schwächt das Problem ab, dass der Untersuchungsrichter auch in Haftfällen wegfällt. Das Gericht muss, vor allem in Haftfällen, entsprechend mehr Möglichkeiten haben.

Was in diesem Papier nicht behandelt ist, ist allerdings das Problem der richterlichen Ermächtigung, des Übergangs vom richterlichen Befehl zu richterlicher Ermächtigung. Ich will jetzt gar nicht auf die verfassungsrechtliche Problematik eingehen, sondern rein praktisch argumentieren. Mein Bedenken ist, dass es damit an klaren Entscheidungsstrukturen fehlt. Dem Richter wird gesagt: Gib uns die Ermächtigung, wir machen ohnedies nur davon Gebrauch, wenn es notwendig ist! Und der, der dann davon Gebrauch macht, sagt: Ich habe ja eine richterliche Ermächtigung dafür!

Die Frage ist: Wer ist jetzt wirklich dafür verantwortlich? Rein semantisch ist die Ermächtigung nur eine bedingte Ermächtigung, aber das erschwert eben die Sache.

Damit noch ein zweites Problem: Kann der Richter eigentlich diese Ermächtigung widerrufen, oder wird sie gewissermaßen als carte blanche für ewige Zeit erteilt?

Ich glaube, lösen lässt sich das Problem nur, wenn man die Wirksamkeit der richterlichen Ermächtigung im Gesetz mit einer kurzen Befristung versieht. Sie wird auf Grund einer bestimmten Sachlage gegeben, und sie kann nur für diese Sachlage gelten – seien es vier Tage, sei es höchstens eine Woche. Dann kann sich die Sachlage so geändert haben, dass die Ermächtigung – und bei Grundrechtseingriffen muss man das neuerlich prüfen – nicht mehr gelten kann. Ich meine, eine kurze Befristung dieser Ermächtigung gehört ins Gesetz.

Dritter Punkt: Unter II „ebenfalls vorzunehmende Änderungen“ stellt sich das Problem der Finanzierung. Ich möchte nur auf den ersten Punkt eingehen, nämlich auf die Finanzierung der Verteidigung. Das ist ein wichtiger Punkt, wie immer das Geld wichtig ist. Aber ich möchte das Problem erweitern, nämlich auf die Finanzierung der Verfahrenshilfe allgemein.

Wenn ich im Ausland das österreichische System der Verfahrenshilfe erklären soll, dann bedarf das eines beträchtlichen Aufwandes. Das versteht zuerst einmal niemand, dass der Anwalt eine effektive Verteidigung betreiben soll und dafür im Einzelfall gar nichts bekommt, nur später einmal die Aussicht auf einen entsprechenden Pensionszuschuss.

Ich habe jetzt im Sommer mit einem Schweizer Anwalt gemeinsam eine Veranstaltung gemacht, der sehr viel in Verteidigungen tätig ist, auch im Mittelbereich, und da hat sich herausgestellt: 70 Prozent seines strafrechtlichen Kanzleiumsatzes betreffen Verfahrenshilfen, also Fälle, wo er den Auftrag bekommt, jemanden zu verteidigen, wo der Kanton das zahlt, natürlich unter Kontrolle des Gerichts, grundsätzlich nach den Honorarsätzen, aber mit bestimmten Grenzen. Da ist eine effektive Verteidigung natürlich möglich, weil in der wirtschaftlichen Betrachtung, zu der der Anwalt genötigt ist – er muss eine Kanzlei führen und hat Angestellte –, mit dem Mandat etwas verbunden ist.

Ich glaube, wir werden nicht darum herumkommen, eine entsprechende Umstrukturierung der Verfahrenshilfe, des Verfahrenshilfe-Entgelts vorzunehmen, wenn wir eine wirksame Verteidigung wollen.

Vierter Punkt: Unter III findet sich die Überschrift „Präzisierung von Verteidigungsrechten“. Da geht es um den ganzen Komplex Kontrolle des Verkehrs mit dem Verteidiger, Einschränkung des Verteidigerverkehrs. Als Begründung dafür hat Christian Pilnacek heute zum zweiten Mal auf die Möglichkeit in Deutschland verwiesen, den Strafverteidiger sogar auszuschließen.

Wann kann der Strafverteidiger ausgeschlossen werden? Ich habe mir das Gesetz mitgenommen. Wenn er in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, dass er den Verkehr mit dem verhafteten Beschuldigten dazu missbraucht – es steht sogar Gegenwart, nicht Zukunft, nicht „missbrauchen werde“ –, Straftaten zu begehen. Und dann gibt es noch einen zweiten Punkt: wenn er ebenso verdächtig ist, eine Begünstigung oder Strafvereitelung oder Hehlerei begangen zu haben.

Dass man in solchen Fällen den Verkehr mit dem Verteidiger beschränkt, das ist natürlich einsichtig. Ich meine, das ist wirklich ein Ausschlussgrund, den man vielleicht vorsehen sollte. Aber man kann doch nicht allen Verteidigern unterstellen, dass sie im ersten Stadium des Verfahrens den Verkehr mit ihrem Mandanten dazu missbrauchen oder missbrauchen werden, Straftaten zu begehen. Wenn man eine solche Beschränkung meint, dann soll man sie hineinschreiben. Das, was jetzt im Entwurf steht, geht um vieles weiter. Es ist nicht mehr leicht, den Umfang zu erkennen, denn da geht es um eine Beschränkung der Einschränkung, aber es läuft letztlich darauf hinaus: entweder besondere Gründe – ohne näheren Inhalt – oder aber die Gefahr, dass Beweismittel beeinträchtigt werden.

Beweismittel ist auch die Vernehmung des Beschuldigten. Die Aussage des Beschuldigten ist ein Beweismittel. Das steht in jedem Lehrbuch des Strafprozesses. Wenn der Beschuldigte mit seinem Verteidiger vor der Vernehmung spricht, wird er wahrscheinlich anders aussagen. Es ist vollkommen legal, dass er sich mit ihm bespricht, also ohne irgendeine Begünstigungshandlung, die da gemacht wird. Also ist die Besprechung vorher eine Beeinträchtigung eines Beweismittels. Es ist gar nicht so absurd, so zu argumentieren, aber es zeigt, dass man in allen Fällen eben dann eine Einschränkung rechtfertigen kann.

Man sollte sich entscheiden, was man wirklich will. Wir sollten uns einen Stoß geben und diese leidige Diskussion, die ich jetzt schon seit fast Jahrzehnten kenne, die sich manchmal beim Verwaltungsgerichtshof abspielt: Wie ist das zu interpretieren, und was ist da zu tun?, endlich beenden und sagen: Der Verkehr mit dem Verteidiger ist unbeschränkt, ausgenommen ein paar punktuelle Fälle. Man kann im Wesentlichen die vorsehen, die hier in der Punktation als Diskussionspunkte genannt sind: Verdacht bestimmter Straftaten im Bereich terroristischer Vereinigungen oder krimineller Organisationen oder bei Vorliegen einer ganz konkreten Straftat.

Letzter Punkt: Zwangsmittel und Eingriffsbefugnisse. Wir haben bisher nur sehr am Rande darüber gesprochen. Schmoller hat das Problem der körperlichen Untersuchung genannt. Ich finde, einer der schönen, fast literarisch wertvollen Sätze aus der Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Satz: „Niemand ist verpflichtet, seinen Körper als Beweismittel zur Verfügung zu stellen.“ – Ich habe den Segen dieses Satzes selbst einmal bei einem Verkehrsunfall als Zeuge erlebt, wo es um eine Untersuchung ging – ich wollte halt nicht. Es war im Grunde eine Kleinigkeit. Warum soll man da den Körper zur Verfügung stellen und zum Amtsarzt gehen? Im Moment ist das die klare Rechtssprechung.

Der Entwurf weicht das zumindest auf. Die letzte Fassung geht mit der Einwilligung in den wesentlichen Punkten wieder zurück. Es wird aber eine ziemliche Unklarheit eröffnet. Ich finde, man könnte dabei bleiben, also einfach sagen: Niemand ist verpflichtet, seinen Körper für Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Die meisten Opfer tun es ohnedies, weil sie Schmerzengeld wollen, und dafür brauchen sie die entsprechenden Ergebnisse. Wenn es über eine ärztliche Untersuchung läuft, dann kann das ohnedies verwertet werden. Aber dass man einen Zeugen vielleicht sogar mit Zwangsmitteln zu einer Untersuchung schleppt, das möchte ich auf keinen Fall haben, auch nicht, was den Beschuldigten betrifft. Irgendwo sollte die Grenze bei staatlichen Eingriffen sein.

Das sind also meine fünf Punkte, wo ich vorschlagen würde, konkret etwas zu tun: die Erweiterung der gerichtlichen Ermittlungen bei Grundrechtseingriffen, eine zeitliche Beschränkung der Wirksamkeit richterlicher Ermächtigungen, die Frage der Finanzierung der Verfahrenshilfe, Pflichtverteidigung als spezielle Entgeltlichkeit, eine Beschränkung des Verteidigerkontakts wirklich nur ganz punktuell, ganz ausnahmsweise, und man sollte die Eingriffsbefugnisse noch etwas überprüfen und durchdenken. Sie bedeuten zum Teil ganz wesentliche Erweiterungen. Wir sind im Institut jetzt dabei, zu kommentieren und zu überlegen, wie es mit Postbeschlagnahme und Telefonüberwachung ist. Überall stößt man auf Erweiterungen, worauf ich jetzt nicht näher eingehen will. Das sollte man, glaube ich, auch noch überlegen.

O.Univ.-Prof. Dr. Christian Bertel (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Institut für Strafrecht und sonstige Kriminalwissenschaften): Ein paar Bemerkungen zu diesem Papier des Ministeriums. Ich finde es erfreulich, erfreulich finde ich vor allem die Erweiterung der Möglichkeit für den Richter, zu ermitteln, wenn es um Grundrechtseingriffe geht. Da hätte ich eigentlich nur noch einen kleinen Wunsch, nämlich dass der Richter in Fällen von Untersuchungshaft, die ein laufender Grundrechtseingriff ist, auch laufend über den Stand der Ermittlungen informiert wird, damit er eingreifen kann.

Sehr schön auch die Übersetzungshilfe. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein wichtiges Problem bleibt freilich ungelöst: das Problem, dass die Leute, die in Vorverfahren als Dolmetscher herangezogen werden, häufig dafür nicht qualifiziert sind.

Schön ist es, dass das Ministerium wenigstens überlegt, über die Präzisierung von Verteidigungsrechten zu sprechen. Leider ist hier von einem Recht des Beschuldigten, in Polizeigewahrsam mit einem Verteidiger zu sprechen, nicht die Rede; das vermisse ich. Der Entwurf ermöglicht es der Polizei, dieses Gespräch auf einen Rechtsvortrag zu beschränken.

Erfreulich ist, dass das Ministerium daran denkt, die Überwachung der Verteidigergespräche auf Verfahren wegen terroristischer Organisationen oder Vereinigungen zu beschränken. Aber ich glaube, das wird nicht genügen. Auch jemand, der einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt wird, muss sich verteidigen können.

Die deutsche Möglichkeit, dass der Verteidiger, der der Beitragstäterschaft oder der Begünstigung verdächtig ist, ausgeschlossen werden kann, ist mir viel lieber. Wenn ich Beschuldigter wäre, wäre es mir lieber, mein Verteidiger wird ausgeschlossen und ich kann mich durch einen anderen Verteidiger wirksam verteidigen lassen, als dass meine Verteidigung durch alle Verteidiger beschränkt wird.

Dass das Ministerium daran denkt, in Fällen der Untersuchungshaft auf die Beschränkung der Akteneinsicht zu verzichten, ist erfreulich, aber das ist eine Forderung, die sich unabweislich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ergibt. Darüber wird sich wahrscheinlich nicht viel diskutieren lassen.

Nach dem Entwurf kann der Verteidiger bei der Vernehmung des Beschuldigten als Vertrauensperson anwesend sein. Der gemeinsame Erlass von Justiz- und Innenministerium ermöglicht das schon nach geltendem Recht. Aber das ist in der Tat nicht das, was der Verwaltungsgerichthof verlangt, und nicht das, was die Menschenrechtskonvention verlangt. Dort ist nämlich vom Beistand eines Verteidigers die Rede – und ein Schweigen der Verteidiger ist kein Beistand. Er muss jedenfalls die Möglichkeit haben, mit dem Beschuldigten zu reden, auch wenn dieser in Untersuchungshaft ist, er muss die Möglichkeit haben, bei dieser Vernehmung des Beschuldigten wenigstens ergänzend Fragen zu stellen. Er muss wohl auch die Möglichkeit haben, dem Beschuldigten zu sagen: Reden Sie nicht weiter, bevor Sie nicht mit mir gesprochen haben!

Es war davon die Rede, dass das System der Verfahrenshilfe indiskutabel ist: Ich glaube, das weiß man schon seit langem. Eine Kollektiventlohnung der Verfahrenshelfer durch eine Zahlung des Ministeriums an die Anwaltskammern kann man wirklich nicht als leistungsfreundlich bezeichnen. Da würde ich eine Änderung dringend begrüßen, nämlich dahin gehend, dass sich der Beschuldigte mit Verfahrenshelfer selber einen Verteidiger wählt und dieser individuell entlohnt wird. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte sein, dass man dem Beschuldigten wenigstens einen Anspruch auf Ersatz der Verteidigerkosten im Fall des Freispruchs gibt.

Beweisverwertungsverbote gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in europäischen Ländern. Jene in der Regierungsvorlage sind sehr maßvoll.

Zu den Sachverständigengutachten: Dass der Verteidiger die Möglichkeit haben muss, einen Fachmann seines Vertrauens mitzubringen, um ihn den gerichtlich bestellten Sachverständigen befragen zu lassen, ist doch selbstverständlich. Dass ihm das heute durch die Rechtsprechung verwehrt wird, ist geradezu eine Gemeinheit.

Frau Dr. Rech hat gemeint, der Entwurf verschlechtert die Situation des Verteidigers. – Ja, gegenüber der Praxis sicher nicht, aber sicher gegenüber dem, was ihm der Verwaltungsgerichtshof ermöglicht. Das, was der Verwaltungsgerichtshof heute als Beschuldigtenrechte festschreibt, das werden die Rechtsanwälte hoffentlich in der nächsten Zeit durch Beschwerden an die Unabhängigen Verwaltungssenate durchsetzen.

Dr. Wolfgang Aistleitner (Senatspräsident des Oberlandesgerichts Linz, Vizepräsident der Vereinigung der österreichischen Richter): Ich beziehe mich auf den Änderungsvorschlag, der heute von Seiten der Legislativabteilung vorgelegt wurde, und hier auf den Abschnitt: Erweiterung gerichtlicher Ermittlungen. Ich darf ein bisschen reminiszieren und behaupte, dass die Diskussion über die Ausweitung richterlicher Ermittlungszuständigkeit in der Diskussion über das Weisungsrecht wurzelt. Das ist in der Öffentlichkeit so angekommen; die Botschaft wurde auch von den Medien so aufgenommen. StPO-Novelle und Weisung sind inzwischen synchron und synonym diskutiert. Die Weisungsdiskussion wurzelt ganz entscheidend in diesen heute schon mehrmals angesprochenen „clamorosen“, also besonderes öffentliches Interesse erregenden Fällen. Das ist es. Es geht nicht um den Dutzendfall.

Deshalb hat zunächst einmal dieser Änderungsentwurf die Idee aufgegriffen, dass es hier eine quasi autonome, jedenfalls ergänzende richterliche Ermittlungsbefugnis geben sollte, und nennt hier Fälle, die überhaupt nicht zu beanstanden sind: beim Grundrechtseingriff, bei der Tatrekonstruktion, bei der kontradiktorischen Vernehmung und dann, wenn es um Untersuchungen gegen Organe der Strafverfolgungsbehörden geht. Das ist durchaus ausgewogen, aber es ist unvollständig, denn es negiert eigentlich den Diskussionsansatz, wo es um die „clamorosen Fälle“ geht. Immer wieder kommen wir darauf zurück. Wenn man auch die „clamorosen Fälle“ – was darunter zu verstehen ist, darf ich dann noch ausführen – in diesen Katalog erweiterter gerichtlicher Ermittlungsbefugnis aufnimmt, dann hat man die Diskussion über das Weisungsrecht maßgeblich abgeschwächt. Man muss wissen, dass man sich dadurch eigentlich Wege frei macht und Argumentationsnotstände teilweise behebt.

Was sind nun diese „clamorosen Fälle“?  Das Gesetz definiert sie eigentlich nicht, sondern nennt sie nur etwas umschreibend im heute schon mehrmals genannten § 8 StAG, dort, wo also der Staatsanwalt Vorhabensberichte erstatten muss, wo eigentlich die Weisungsschiene befahren wird. Ein Vorhaben, das genehmigt oder nicht genehmigt werden kann, das wird wohl dann der Sache nach eine Weisung sein.

Und was spricht eigentlich gegen diese Verknüpfung, zu sagen: Dann, wenn in einer bestimmten Causa ein Staatsanwalt einen solchen Bericht nach § 8 StAG erstatten muss, wegen der Bedeutung der Sache, dann, wenn er schon ermittelt, wenn er glaubt ermitteln zu müssen, dann muss er sich an das Gericht wenden!? Dann greift auch diese subsidiäre richterliche Ermittlungsbefugnis. Das wäre absolut schlüssig, würde uns die Diskussion erleichtern, und wir könnten weiterhin – mit „wir“ meine ich jetzt die Standesvertretung – die Grundforderung nach einer Umstrukturierung des Weisungsrechtes vor uns hertragen, gleichsam als Jahrtausendvorhaben. Aber man könnte etwas leichter damit leben, wenn das noch dazugenommen wird.

Weil es noch zur Sache passt: Weisung und richterliche Befugnisse. Ich plädiere ganz konkret für eine generelle ersatzlose Streichung des Regulativs über das Klagserzwingungsverfahren. Auch hier war – und es ist sogar in den Erläuternden Bemerkungen nachzulesen – der Ansatz, dass es als Korrektiv gegen das Weisungsrecht gedacht ist. In früheren Entwürfen war noch überhaupt keine Silbe darüber enthalten.

Ich meine, dieser Ansatz ist nicht richtig. Einerseits kann man, wenn man einbekennt, dass das Weisungssystem in der öffentlichen Meinung nicht sehr gut ankommt und überhaupt in dieses Unabhängigkeitgebäude der Rechtsfindung nicht hineinpasst, es nicht in die Privatinitiative überantworten, ein Korrektiv zu bilden, es von Willkür, es von nicht vorhersehbaren, nicht abwägbaren Erwägungen einer Einzelperson abhängig machen. Dann greift dieses Verfahren schon überhaupt nicht, wenn wir keinen Geschädigten haben. Gerade in Causen, bei denen die Justiz dieser Republik auf dem Prüfstand stand, hat es keine Geschädigten gegeben.

Wenn man sich schon in das Klagserzwingungsverfahren, in dieses Regelwerk einlässt, dann muss man den Verfassungsgesetzgeber anrufen, denn das Gericht übernimmt hier, wenigstens im Vorfeld, wenn nicht schon im „Salon“ der Strafverfolgung die Anklage, und das passt mit dem Anklagegrundsatz nicht überein. Also meine ich: Weg damit, unsystematisch ist es, es führt nicht zu dem Ziel, das es zu erreichen vorgibt! Man müsste freilich den Subsidiarantrag ausbauen, ihn vor allem schon im Vorverfahren möglich machen. § 72 StPO müsste da geändert werden.

Nur weil es von sehr prominenter Seite aufgetaucht ist und auch medial verbreitet wurde: die Kappung der Einstellungsweisung, auch wieder als Korrektiv zur ministeriellen Interventionsmöglichkeit. Das ist gewiss einmal ein guter Schritt hin zu diesem Fernziel der völligen Änderung der Weisungshierarchie, aber wir dürfen uns nicht zu viel davon erwarten. Solange die Staatsanwaltschaft monokratisch organisiert ist, so wie jetzt, wird der Umstand, dass einer Weisungsspitze, einem Weisungsgeber eine inhaltlich bestimmte Weisung versagt ist, nichts ändern können, weil der Behördenleiter im Sinne der monokratischen Organisation die Sache an sich ziehen kann. Und dann erledigt er es im Sinne der unterdrückten, aber vorgehabten Weisung. Das bringt uns nicht entscheidend weiter.

Ich möchte mich positiv zum Beweisantragsrecht, so wie es in der Novelle vorgesehen ist, äußern. Warum komme ich überhaupt auf dieses Thema? – Es tauchte in den letzten Wochen immer die Idee auf: Wenn wir das Beweisantragsrecht und daran anknüpfend auch den Rechtsschutz etwas zurücknehmen, dann könnten wir uns vielleicht doch budgetär, personell, ausstattungsmäßig diese Novelle leisten. Auf diese Gleichung darf es nicht hinauskommen, zu sagen: etwas weniger Rechtsschutz, dann wird es billiger und dann geht es. Der Rechtsschutz ist, vor allem in § 55 StPO, so ausgewogen, so angemessen formuliert, da kann man nichts mehr wegnehmen. Würde man den Rechtsschutz gar innerhalb der StA ansiedeln, also so gleichsam im Dienstaufsichtsweg, dann wäre das doch kein Rechtsschutz. Rechtsschutz schreit nach einem Gericht, nach einer unabhängigen Behörde. – Alles andere ist, glaube ich, Tünche, das kann nicht so ernst umgesetzt werden.

Ein Wort noch zur Sachverständigenbestellung. Vorgesehen ist, dass die Staatsanwaltschaft im möglichsten Einvernehmen mit der Polizei den Sachverständigen bestellt. Und das ist schon überhaupt nicht einzusehen. Es ist schon sehr schwierig, zu argumentieren, dass man den Anschein der Objektivität wahrt, wenn alleine der StA den Sachverständigen bestellt. Es wird gänzlich unmöglich, wenn er dazu verpflichtet ist, möglichst das Einvernehmen herzustellen; das ist absolut unnotwendig.

Es sollte dahin führen, dass – vielleicht gibt es eine Mittellösung – der Staatsanwalt den Beschuldigten zu verständigen hat, der dann Einwandsmöglichkeiten hat. Dann könnte man ihm nachher sozusagen die Spitze nehmen, wenn er sich gegen ein Gutachten aus der Person des Sachverständigen heraus wendet.

Aber ich gebe eines zu bedenken: Nicht die Wahl der Person des Sachverständigen ist das Hauptproblem, sondern der Akt, dass die Strafverfolgungsbehörde den Sachverständigen bestellt und nicht das unabhängige Gericht, das eher erwartungsneutral ist. Das ist das große Problem; dem sollte man sich noch zuwenden. Vielleicht müsste eine weitere richterliche Zuständigkeit auch darin liegen, dass der Sachverständige bestellt wird, dass der Richter dazu befugt ist, zu entscheiden: Kann ich diesem Antrag des StA überhaupt folgen oder nicht?

Frau Dr. Rech, Ihre Position in Sachen Verteidigerbeiziehung bei der Vernehmung hat mich sehr nachdenklich und letztlich auch sehr zustimmend zu Ihrer Position gestimmt – das räume ich ein. Aber ich sehe auch Möglichkeiten, dass man im Einzelfall, wo es sich nicht so effektuieren lässt, überhaupt keine Beschränkungsmöglichkeiten einzieht. Da durchzublicken, ist sehr schwer. Vielleicht findet man noch eine legistische Lösung, dass man dieses Ermessen der Kriminalpolizei, das derzeit ja nicht determiniert ist, noch stringenter fassen kann.

Meine Damen und Herren von der Abgeordneten-Riege! Nehmen Sie diese Anregung zum Entschließungsantrag sehr ernst! Es ist wahrscheinlich Ihre zweite Möglichkeit, dieses Gesetz auf vernünftige, auf vollziehbare Schienen zu stellen. Entschließungsantrag muss nicht Entschließungsantrag sein, er kann sehr hart gefasst sein, so, dass ein Minister, wenn er das Gesicht nicht verlieren will, diesem Entschließungsantrag nachgeben muss. Denken Sie daran, dass das derzeitige System der StPO mit dem Untersuchungsrichter nie wirklich zum Leben kam! – Wir wollen aber verhindern, dass diese Novelle abermals dasselbe Schicksal ereilt, weil sie mangels Ausstattung nie richtig effektuiert werden kann. Mit dieser Erbsünde sollte das Gesetz nicht losgeschickt werden!

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl (Oberstaatsanwaltschaft Wien): Heute hat es immerhin vier Stunden gedauert, bis wir beim „Zauberwort“ Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft angekommen sind. Ich glaube, wir sollten die Diskussion nicht mit Schlagworten verstellen. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Frage der Weisungsgebundenheit eine organisatorische, aber nicht eine grundlegende Frage dieses Gesetzes ist. Wir sollten uns den großen Wurf, die große Zielsetzung damit nicht verstellen.

Jedenfalls sollte die Frage der Weisungsfreiheit und die Frage der Weisungsfreiheit durch das Gericht nicht als zentrales Thema in den Vordergrund gestellt werden. Das heißt, es ist nicht das Zaubermittel, das alles löst.

Vizepräsident Aistleitner hat mit Recht gesagt, es geht nicht darum, unabwägbare Einzelentscheidungen einzuführen. Das würde bedeuten, dass nicht eine bestimmte Person mit ihrer Unabhängigkeit die Qualität einer Entscheidung herbeiführt, sondern die Möglichkeiten, die es gibt, diese Entscheidungen überprüfen zu lassen. Dieses demokratische Prinzip ist meiner Überzeugung nach der springende Punkt am ganzen Verfahren – und nicht die persönliche Entscheidungsfreiheit einzelner Entscheidungsträger.

Mich hat heute Vormittag besonders die Intervention von Frau Kollegin Dr. Brachtel, Richterin am Landesgericht für Strafsachen Wien, beeindruckt, die sich nicht nur zunächst grundsätzlich und dezidiert für den Entwurf ausgesprochen hat, sondern auch aus ihrer Erfahrung als Untersuchungsrichter, der ich mich ja durchaus persönlich anschließen kann, einleuchtend dargelegt hat: Da muss es eine Person geben, die das in der Hand hat! Da muss es eine Person geben, die den Überblick über das Verfahren hat, die die nötigen Entscheidungen und Veranlassungen trifft! Der Untersuchungsrichter oder die Untersuchungsrichterin muss natürlich nach einem persönlichen Eindruck vom Verdächtigen auch über die Haft und andere Grundrechtsbegriffe entscheiden.

Ich bin ganz der Meinung von Kollegin Brachtel, sehe nur nach wie vor nicht ein, warum das ein Richter sein muss. Ein Richter ist zum Entscheiden da – und nicht dazu, Entscheidungsgrundlagen für andere zu liefern. Ein wesentliches Ziel dieses Entwurfes ist, die Zuständigkeiten im Strafverfahren klar zu regeln. Die Funktionen sind zu verteilen. Es ist ganz klar festzuhalten: Wer ist für das Verfahren zuständig, verantwortlich!

Da haben wir derzeit eine Doppelgleisigkeit. Die Staatsanwaltschaft beantragt und das Gericht macht das, und manchmal muss das Gericht alles machen, was der Staatsanwalt beantragt, manchmal kann das Gericht zusätzlich etwas machen. Und da gibt es jetzt Vorschläge, die sagen, der Staatsanwalt soll das Verfahren führen, aber das Gericht soll doch informiert werden, dass es sich das anschaut. – Wo soll denn das hinführen?! Das ist ja nur eine Verwässerung der Zuständigkeiten!

Wen können wir also in diesem Zusammenhang einsparen? Auf wen können wir verzichten? Ein Richter braucht den Antrag eines Staatsanwaltes. Das sagt schon der Volksmund: „Wo kein Kläger, da kein Richter!“ Aber als Staatsanwalt braucht man nicht unbedingt einen Richter.

Der Richter ist nur dort notwendig, wo es um rechtsstaatliche Entscheidungen geht, um einander widerstreitende Interessen, die in einem Verfahren auszugleichen und zu entscheiden sind. Dann ist die unabhängige Person gefordert, die sich punktuell am Verfahren beteiligt. Aber im Übrigen braucht man keinen Richter, sondern die Funktion der Strafverfolgung kann genauso gut die Staatsanwaltschaft übernehmen – und das, so behaupte ich, unter den neuen Auspizien sogar besser als die Untersuchungsrichter bisher.

Wenn man diesen Gedanken einmal fasst, dann kann man sagen: weitere richterliche Beteiligungen im Verfahren – ja, wenn sie gewünscht werden, aber bitte nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Wir brauchen keinen Supervisor, der von Zeit zu Zeit überprüft, ob alles seine Ordnung hat. Das heißt, wenn man einen Richter befasst, dann deshalb, weil man einen Richter braucht, aber nicht aus dem Grund, dass eben ein Richter dabei ist.

Wenn man diesen Gedanken konsequent fortsetzt – Verfahrensführung durch die Staatsanwaltschaft –, dann kann ein Grundrechtseingriff durch einen Richter nur eine Ermächtigung, aber kein Befehl sein. Die grundrechtliche Voraussetzung, dass eine bestimmte Maßnahme eingesetzt wird, kann durch das Gericht geschaffen werden, aber die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme ist von der das Verfahren führenden Behörde zu beurteilen, etwa ob man die Hausdurchsuchung braucht oder ob man sie aus kriminaltaktischen Gründen aufschiebt.

Die richterliche Entscheidung kann nur eine Ermächtigung sein. Überlegen kann man sich, ob diese Ermächtigung befristet sein soll; sie soll natürlich nicht ad infinitum dauern.

Zum Schluss kommend gestatten Sie mir noch eine allgemeine Bemerkung. Im Zusammenhang mit mehreren Interventionen wurden und werden heute zum Teil recht einseitige Standpunkte vertreten. Ich meine, es ist wirklich wichtig, zu sehen, dass die Dinge immer zwei Seiten haben. Verwertungsverbote dienen nicht dazu, irgendjemanden zu disziplinieren, sondern dazu, zu Unrecht zustande gekommene Beweise auszuscheiden – nicht zuletzt deswegen, um auch die Norm, wie Beweise zustande kommen zu haben, zu bekräftigen. Wenn sich das Gesetz nicht selbst ernst nimmt und nicht sagt, dass der Verstoß gegen die eigenen Regeln sanktioniert wird, dann besteht relativ wenig Motivation, diese Regeln einzuhalten.

Das betrifft zum Beispiel auch das Fristensystem. Mir persönlich ist es völlig gleichgültig, ob die erste Haftfrist zehn Tage, zwölf Tage, 14 Tage oder 16 Tage beträgt, aber wenn die Frist überschritten ist, dann ist eine Konsequenz daraus zu ziehen, nämlich die Konsequenz der Enthaftung. Wir hatten vor der Gesetzesänderung im Jahre1993 die Situation, dass die zweimonatigen Haftfristen oft erst nach drei und vier Monaten überprüft wurden, weil keine Sanktionen daran geknüpft waren. Jetzt haben wir sehr strenge Sanktionen.

Natürlich kann es in Niemandes Interesse sein, dass man jemanden, der eines Mordes dringend verdächtigt ist, enthaftet, weil die Haftfrist um einen Tag übersehen wurde. Das ist in Niemandes Interesse. Wir haben auch eine Möglichkeit vorgesehen, diese Haftfrist für besondere Fälle um drei Tage zu verlängern. Aber irgendwann muss es aus sein, irgendwann muss man sagen: Haben wir eine Frist oder haben wir keine Frist? – Und wenn wir eine Frist haben, dann muss das auch zu Konsequenzen führen.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Verteidiger-Beiziehung. Natürlich ist es ein überaus wichtiges Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens zu verteidigen, aber es gibt Situationen, wo ein freundlich lächelnder Herr aus Kasachstan oder sonst woher – ich will hier niemanden diskriminieren; es kann auch jemand aus einem EU-Land sein, jemand aus Luxemburg oder aus Italien – kommt und sagt: Guten Tag, ich bin Rechtsanwalt Soundso und ich befinde mich jetzt im EWR-Raum! Sie vernehmen Herrn Y, und da möchte ich zuhören! Dann setzt er sich still und ruhig in eine Ecke und sammelt alle möglichen Informationen aus der Vernehmung. – Ich meine, das muss man doch einsehen, dass man solch eine Situation verhindern muss. Da kann man doch nicht sagen: Jeder darf sich immer und überall gegen alles verteidigen, und der Verteidiger muss immer alles wissen. Da muss man sinnvolle Abgrenzungen treffen.

Weitere Fragen: Muss ich den eigenen Körper für eine Untersuchung zur Verfügung stellen? Wie ist es dann, wenn ich das nicht muss? Muss ich meine Röntgenbilder hergeben? Muss ich meine Krankenbefunde hergeben? Muss ich mein verletztes Knie zeigen, ob es nach sechs Wochen wieder intakt ist oder nicht? – Ja, das soll ich müssen, sage ich. Die Grenze soll dort sein, wo es wirklich um Intimitäten, wo es wirklich um Interessen geht, die höher liegen als das Strafverfahren. Wenn wir auf der einen Seite ständig die Forderung erheben, die Opfer-Rechte zu erweitern, werden wir doch nicht auf der anderen Seite festlegen, dass die Opfer nicht mitwirken müssen!

Seinen Körper zur Verfügung zu stellen. – Mir ist das viel zu allgemein und viel zu restriktiv. Ich muss meinen Körper zur Verfügung stellen, aber ich muss nicht unbedingt eine Operation durchführen lassen. Also hier ist irgendwo eine Grenze zu ziehen. Herr Dr. Schmoller geht relativ weit in seinem Vorschlag, und ich würde ihm durchaus folgen wollen, aber es geht um die Abgrenzung, und da sollte man nicht mit Keulen einander erschlagen, sondern das eine und andere – checks and balances, wie es heißt – im Strafverfahren berücksichtigen.

Mag. Georg Mikusch (Verein Neustart; Leiter des Zentralbereiches Recht): Ich bin als Vertreter von Neustart: Bewährungshilfe, Konfliktregelung und Soziale Arbeit hier und möchte trotz Zeitnot ganz kurz eine generelle Positionierung in zwei Sätzen anbringen.

Von unserer Seite gibt es eine starke Befürwortung der Regierungsvorlage. Sie sollte so bald als möglich umgesetzt werden. Einerseits ist ein jahrzehntelanger Reformbedarf evident, und andererseits habe ich in den vielfältigen Ausführungen noch keine generelle Kritik an der legistischen Qualität, aber schon sehr viel Lob über die Qualität gehört. Dem kann ich nur beipflichten. Wenn ich mir den Text durchlese, dann muss ich sagen: Würde er umgesetzt werden, dann würden diese Bestimmungen zu den klarsten und systematischsten unserer Rechtsordnung gehören.

Zu den Diversionsbestimmungen möchte ich sagen: Dieser hoffentlich kommende Meilenstein sollte auch dazu genutzt werden, den allerletzten Meilenstein, nämlich die Strafprozessnovelle 1999, aufzubessern um die praktischen Erfahrungen der nahezu vier Jahre ihrer Anwendung.

Das Diversionsgesetz ist ein wunderbares Gesetz, hat aber einen Nachteil, und der betrifft den ATA. Im letzten Jahr der Anwendung des Modellversuches „ATA“, das war 1999, hatten wir leider den Höchststand an Fallzuweisungen. Es waren nahezu 9 500. Mittlerweile ist die Fallzuweisungszahl auf 8 800 im Jahre 2002 gesunken. Das hat sich die Konfliktregelung nicht verdient. Ich denke, dass ich in diesem Kreis die Konfliktregelung, den außergerichtlichen Tatausgleich, nicht bewerben muss, ich denke auch nicht, dass das bei den Zuweisern erforderlich ist, aber ich denke, dass der außergerichtliche Tatausgleich oder Tatausgleich, wie er in Zukunft genannt werden soll, Nachteile hat, die möglicherweise ausgeglichen werden können. Es handelt sich nämlich um eine relativ aufwendige Diversionsform, und es gibt einfachere.

Ich möchte an dieser Stelle zuallererst unseren Vorschlag, den wir im Begutachtungsverfahren im Oktober 1997 gemacht haben, für die Verankerung einer Präferenz des außergerichtlichen Tatausgleichs wiederholen. Wir haben damals folgenden Text vorgeschlagen:

Soferne die Interessen der Beteiligten, insbesondere des Verletzten – oder des Geschädigten, nach der aktuellen Terminologie –, durch die Anwendung eines außergerichtlichen Tatausgleiches besser als durch eine sonstige Verfahrenserledigung berücksichtigt oder gefördert werden können, ist nach § 90g – wäre jetzt § 204 – vorzugehen. – Zitatende.

Ich glaube, dass das insofern gerechtfertigt ist, weil der außergerichtliche Tatausgleich die einzige Diversionsform ist, in der Verletzter, Geschädigter, Opfer – wie auch immer die Terminologie aussieht – eine Hauptrolle spielt. Es ist die einzige Diversionsform, wo eine zwingende Einbindung vorgesehen ist, die einzige Diversionsform, wo eine Zustimmung vorgesehen ist, die einzige Diversionsform, wo der intervenierende Sozialarbeiter beauftragt ist, konkrete Interessen zu erkunden und wahrzunehmen. Der außergerichtliche Tatausgleich ist daher in den geeigneten Fallkonstellationen – das sind die situativen Konflikte und das sind Konflikte im sozialen Nahebereich – jene Diversionsform, die am ehesten geeignet ist, einen möglichst umfassenden Rechtsfrieden herzustellen. Ich meine, insofern hätte sich der außergerichtliche Tatausgleich eine Präferenz verdient.

Weitere Vorschläge gehen in den Bereich des Formalen. Verjährungsfristen können Schwierigkeiten bei der Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleiches bedeuten. Auf Grund seiner formalen Stellung – aber nicht zwingend notwendig – ist der außergerichtliche Tatausgleich die einzige Diversionsform, während deren Durchführung die Verjährungsfrist nach § 58 Strafgesetzbuch nicht gehemmt ist. Das kann insbesondere zu Schwierigkeiten führen bei den kürzesten Verjährungsfristen von einem Jahr, die beispielsweise gegeben sind bei einem Verdacht nach § 83 gegenüber einem Jugendlichen. Wenn die Ermittlungen vorher schon entsprechend lang gedauert haben, kann in diesem Fall die Zeit während der Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleiches davonlaufen.

Ich würde es nicht für unvereinbar halten, wenn man jene Bestimmungen, die die Verjährungshemmung für die anderen Diversionsformen vorsehen, um die Bestimmung, dass auch ab Zuweisung eines außergerichtlichen Tatausgleiches die Verjährung nach § 58 Strafgesetzbuch gehemmt ist, bereichert.

Ich bleibe beim außergerichtlichen Tatausgleich. Hier geht es jetzt im Weiteren nicht um die Zuwendung, sondern es geht um einen heiklen Punkt bei der Durchführung in Bezug auf die Vergebührung. Es ist ein notwendiger fachlicher Standard, dass alle rechtsgeschäftlichen Erklärungen, die im Ausgleichsgespräch von den Konfliktparteien abgegeben werden, dokumentiert werden. Wir haben dafür bestimmte Formvorlagen. Das betrifft einseitige, aber auch beidseitige Erklärungen.

Da gibt es im Gebührengesetz § 33 Tarifpost 20, der vorsieht, dass außergerichtliche Vergleiche gebührenpflichtig sind. Jetzt haben wir uns zwar bemüht, bei unseren Formvorlagen möglichst im Bereich der Anerkenntnisse zu bleiben. Wir haben das auch in Gesprächen im Finanzministerium und sonst wo prüfen lassen. Wir sind wahrscheinlich weitgehend im grünen Bereich, können aber natürlich nicht hundertprozentig sichergehen, dass wir in keinem Fall im Bereich gebührenpflichtiger Vergleiche sind.

Jetzt wäre es erforderlich, dass wir bei einem Abschluss eines außergerichtlichen Tatausgleiches die Verdächtigen zuerst zur Finanzbehörde schicken und verlangen, dass die Verdächtigen sich dort entweder einen Gebührenvermerk beschaffen oder die Bestätigung beschaffen, dass nach Ansicht der Finanzbehörde dieser konkrete Fall – eine allgemeine Begutachtung ist rechtsverbindlich nicht möglich – nicht der Gebührenpflicht unterliegt. Der Verwaltungsaufwand würde, ohne dass es dazu jetzt ganz genaue Berechnungen gibt, jedenfalls die möglichen Einnahmen von Rechtsgeschäftsgebühren übersteigen.

Insofern mein Ersuchen: in einer Begleitbestimmung zum Strafprozessreformgesetz auch eine Änderung von § 33 Tarifpost 20 Gebührengesetz vorzunehmen. Ein Vorschlag unsererseits wäre Folgender: Im Absatz 2 zur Bestimmung eine neue Ziffer 5 einzufügen, sodass diese lauten würde:

Gebührenfrei sind – nach Punkt 1, 2, 3 und 4 –

5. zivilrechtliche Vergleiche, die im Rahmen einer diversionellen Erledigung abgeschlossen werden.

Als eine Begründung dafür habe ich den Administrativaufwand genannt.

Eine weitere Begründung, warum das meiner Meinung nach konsistent wäre, auch innerhalb der Bestimmung des Gebührengesetzes: Gebührenpflichtig sind außergerichtliche Vereinbarungen. Ich gehe davon aus, dass der Gesetzgeber bedacht hat, dass für gerichtliche Vergleiche ohnehin eine Gerichtsgebühr bezahlt wird. Nun ist ohnedies für einen erfolgreichen ATA vorgesehen, dass ein Kostenbeitrag zu zahlen ist. – Das wäre, glaube ich, auch eine weitere Argumentation, um hier eine Gebührenbefreiung zu verankern. – So weit zum ATA.

Nächster Punkt ist das Clearing in der bestehenden Strafprozessordnung § 90k Abs. 2. Mit Bedauern haben wir festgestellt, dass diese Bestimmung in der Regierungsvorlage nicht mehr vorgesehen ist. In den Erläuterungen steht dazu nur kurz: wegen der kaum vorhandenen Anwendung.

Zugegeben, das Clearing ist ein zartes Pflänzchen. Wir hatten im Jahre 2002 72 Clearing-Fälle. Das ist nicht viel – trotzdem unser Ersuchen, dieses zarte Pflänzchen am Leben zu erhalten, einfach deswegen, weil sozialarbeiterische Anamnesen in vielen Bereichen eine wichtige Voraussetzung für justizielle Entscheidungen sein können. Unser Anliegen wäre eher ein gegensätzliches, nämlich dass das, was momentan an anderer Stelle verankert ist, verankert ist in § 15 Bewährungshilfegesetz – die Möglichkeit, Stellungnahmen einzuholen, bevor Bewährungshilfe angeordnet wird –, verankert ist an anderer Stelle in der Jugendgerichtshilfe, als Clearing zusammengefasst wird und dass eine allgemeine Gerichtshilfe institutionalisiert wird.

Zum Clearing noch etwas: Die 72 Fälle von Clearing, die ausgewiesen sind, sind jene, wo das Clearing offiziell zugewiesen wurde. Es gibt eine nicht bekannte Anzahl – die aber sicher weit über 72 liegt – an versteckten Clearing-Fällen, nämlich jene Fälle, die bestimmten Diversionsformen zugewiesen wurden und wo man dann im Erstgespräch mit den Verdächtigen gemerkt hat: Das passt nicht ganz!, und zwar aus Gründen, die von der Justiz nicht erkennbar waren. So kann man zum Beispiel bei einem zugewiesenen außergerichtlichen Tatausgleich eine multiple psycho-soziale Problemlage erkennen. Das ist in einer kurzen Sequenz im Rahmen einer Konfliktregelung nicht zu beheben, da wäre eine Betreuung indiziert. Es gibt auch vielfach Zusammenarbeit mit den Zuweisern, und ein Zwischenbericht wird dazu genutzt, dass die Diversionsform geändert wird, das hat aber natürlich formale Probleme. In wie vielen Fällen so etwas passiert ist, ist nicht bekannt.

Es können auch ganz simple Fälle sein. Es kann auch sein, dass eine gemeinnützige Leistung zugewiesen wird, und es stellt sich heraus, es handelt sich um eine Verdächtige, die gerade im Mutterschutz ist, und man schafft es nicht, in sechs Monaten eine Vermittlung durchzuführen.

Bei der Vermittlung gemeinnütziger Leistungen konnte im Übrigen in der Praxis ein kleines Defizit festgestellt werden, nämlich im Bereich der Vorsorge für Unfälle und Krankheiten im Rahmen der Vermittlung gemeinnütziger Leistungen. Die Verdächtigen sind abgesichert durch den Verweis auf die entsprechenden Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, aber es ist bei vielen Einrichtungen, die grundsätzlich bereit wären, die Durchführung gemeinnütziger Leistungen zu übernehmen, Verunsicherung aufgetaucht im Hinblick auf die Frage: Wie verhält es sich denn mit dem Dienstgeber-regress? Das ist aus meiner Sicht eine offene Frage. Ich glaube, es wäre vertretbar, von den Einrichtungen das allfällige Risiko eines Regresses abzunehmen und die entsprechende Bestimmung aufzufetten um einen Verweis auf die §§ 133 und 334 ASVG, womit klargestellt ist: Unterhalb der groben Fahrlässigkeit braucht der Träger einer Einrichtung, bei der gemeinnützige Leistungen erbracht werden, keine Angst zu haben.

Ein entsprechender Hinweis ist aus meiner Sicht notwendig, denn jene Bestimmungen aus dem Strafvollzugsgesetz, auf die verwiesen ist, kennen diese Problematik nicht. Der potentielle Dienstgeber ist dort nämlich die Republik Österreich, und die braucht für sich selbst keinen Regress auszuschließen. Anders bei den gemeinnützigen Einrichtungen.

Der letzte Vorschlag im Bereich Diversion: Schadenswiedergutmachung kann Voraussetzung sein für alle Diversionsformen. Wie ich schon angeführt habe: Die einzige, bei der die Verletzten eine Hauptrolle spielen, ist der außergerichtliche Tatausgleich. Ich gehe davon aus, dass in den bestehenden Bestimmungen §§ 90a ff Strafprozessordnung bei den Diversionsformen Geldbuße, gemeinnützige Leistung, Probezeit mit der Schadenswiedergutmachung, die vorgeschrieben wird, gemeint ist, dass sie in einem konkreten Betrag vorgeschrieben wird. Ich gehe davon aus, es wird sich um den Betrag handeln müssen, der andernfalls, nach Durchführung einer Hauptverhandlung, als Privatbeteiligtenzuspruch auszusprechen ist. Ich gehe deswegen davon aus, weil erstens einmal in § 90a die Voraussetzung gegeben ist, dass der Sachverhalt hinreichend ermittelt sein muss.

Weiters, laut § 90i, ist die Voraussetzung, dass möglichst vollständige Ermittlungen im Hinblick auf die Interessen der Verletzten durchzuführen sind.

Und § 90h sieht vor, dass unter anderem ein Strafverfahren fortgeführt oder eingeleitet werden kann, wenn eine Schadenswiedergutmachung nicht rechtzeitig oder vollständig geleistet wird.

Das setzt doch wohl in dieser Formstrenge voraus, dass die Schadenswiedergutmachung konkret beziffert war. Aber in der Praxis werden immer wieder Fälle zugewiesen, wo kein Betrag drinnensteht, sondern wo nur vermerkt ist, dass eine vollständige Schadenswiedergutmachung vorausgesetzt wird. Wie viel das dann ist, das bleibt Erläuterungen vorbehalten, und das ist natürlich hoch problematisch. Wie geht man dann im Hinblick auf § 90h damit um, wenn gemeint wird: Das war aber jetzt nicht vollständig!?

Ich glaube, es wäre nur eine Klarstellung hilfreich. Ich verstehe die StPO-Bestimmungen auch heute schon so, aber ich glaube, als Klarstellung wäre es hilfreich, wenn man eindeutig festhielte, dass die Schadenswiedergutmachung mit einem konkreten Betrag vorauszusetzen ist.

So weit meine Anregungen zur Diversion. Ich habe angekündigt, noch etwas zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu sagen:

Ich befürchte, dass der Entwurf des Strafprozessreformgesetzes um zehn Jahre zu spät kommt. Folgerichtig sind hier die erkennungsdienstlichen Behandlungen als Ermittlungsmaßnahmen festgehalten und geregelt. Aber sie sind eben schon an anderer Stelle nicht als Ermittlungsmaßnahmen, sondern als präventive Maßnahmen geregelt, nämlich im Sicherheitspolizeigesetz.

Dort ist der Zugang ganz simpel: Es muss einmal einen Anfangsverdacht irgendeiner gerichtlich strafbaren Handlung geben, und es muss präventive Befürchtungen geben in der Hinsicht, dass es notwendig ist, erkennungsdienstlich zu behandeln, um von weiteren gefährlichen Angriffen abzuhalten. Gefährliche Angriffe sind im Wesentlichen unter anderem alle Vorsatzdelikte nach dem Strafgesetzbuch.

Und: Das liegt im Ermessen der einzelnen Organe, nämlich deswegen, weil die möglichen Rechtsmittel – das wäre im Rahmen des Sicherheitspolizeigesetzes eine Beschwerde an den UVS – in der Praxis kaum wahrgenommen werden. Möglicherweise liegt dies auch am Kostenrisiko, das jeder hat: Jeder, der solch eine Beschwerde verliert, muss der Behörde einen Kostenersatz leisten. – Jedenfalls sind dazu kaum Entscheidungen zu finden.

Und – jetzt wieder aus unserer Praxis –: Ich kann keine genauen Zahlen angeben, aber es kommt jedenfalls immer wieder vor, dass auch nach erfolgreichem außergerichtlichem Tatausgleich Verdächtige zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung geladen werden. Meiner Meinung nach fehlt es da, wenn der außergerichtliche Tatausgleich erfolgreich war, an der Voraussetzung der präventiven Erfordernisse für die erkennungsdienstliche Behandlung. Trotzdem wird sie durchgeführt. Und welche Konsequenz hat das?

Wenn man als Verdächtiger erkennungsdienstlich behandelt wird und es wird der Tatverdacht nicht entkräftet – was genau bei erfolgreicher Diversion nicht der Fall ist –, dann sind jedenfalls die erkennungsdienstlichen Daten bis zur Vollendung des 80. Lebensjahres zu speichern. Man stelle sich jetzt, wenn man als Zwanzigjähriger erkennungsdienstlich behandelt wird und dann 60 Jahre lang in der erkennungsdienstlichen Evidenz ist, die Chancen vor, dass man dann irgendwann einmal in den 60 Jahren zu Unrecht als Verdächtiger behandelt wird! – Das ist zwar sicher sehr ausgeklügelt, wird sicher sehr ordentlich wahrgenommen, aber dass es komplett fehlerfrei ist, glaube ich nicht.

Es ist damit ein eminenter Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz verbunden. Dieser Eingriff sollte besser abgesichert sein als dadurch, dass es einfach Praxis bei der Sicherheitsbehörde gibt, die im Wesentlichen von den einzelnen Organen bestimmt wird. Hier wäre es aus meiner Sicht eine Chance, diese Bestimmungen, die, wie gesagt, weitreichende Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz bewirken, ausschließlich in der Strafprozessordnung zu verankern. Dort dienen sie der Ermittlung. Nachvollziehbar ist das Bedürfnis der Sicherheitsbehörde, eine erkennungsdienstliche Datei zu haben, aber ich glaube, für diese erkennungsdienstliche Datei braucht man mehr rechtsstaatliche Garantien.

Es sollte dann, wenn es notwendig erscheint, diese im Strafverfahren ermittelten erkennungsdienstlichen Daten in die erkennungsdienstliche Datei überzuführen, dafür ein eigenes Prüfschema geben. Ich muss ehrlich sagen, ich habe noch keine Idee, wo das anzulagern ist, ob das an einen gerichtlichen Beschluss zu knüpfen ist, aber es sollte jedenfalls eine Beschwerdemöglichkeit des Verdächtigen bestehen, bevor die erkennungsdienstlichen Daten für einen so langen Zeitraum in die Evidenz übernommen werden.

Weil ich gesagt habe: bis zum 80. Lebensjahr jedenfalls. – Das setzt voraus, dass seit dem vollendeten 75. Lebensjahr keine erkennungsdienstliche Behandlung mehr erfolgt.

Ich bitte, das zu überlegen, ob es dazu Möglichkeiten gibt. – Das waren im Wesentlichen meine Ausführungen.

Obfrau Dr. Maria Theresia Fekter: Bezüglich der konkreten Höhe bei der Diversion, so sind hier natürlich auch die Versicherungsleistungen dabei: Wenn eine Versicherung vorhanden ist, wird es eine Schadensgutmachung geben. Die diesbezügliche Höhe muss aber nicht automatisch in der Diversion vorweg festgesetzt werden. Das haben wir uns damals bei der Gesetzwerdung schon sehr genau im Detail überlegt.

Mag. Georg Mikusch (Verein Neustart; Leiter des Zentralbereiches Recht): Bei den Versicherungen, glaube ich, ist es nicht notwendig, eventuell innerhalb enger Fristen die Schadenswiedergutmachung vorauszusetzen. Wenn jemand als Versicherungsnehmer einen Versicherungsanspruch hat, dann, glaube ich, kann im Rahmen einer diversionellen Erledigung nicht mehr von ihm verlangt werden, als dass er so gut wie möglich mitwirkt, dass die Versicherungsangelegenheit schnell abgewickelt wird. Es kann nicht zu seinen Lasten gehen, dass vielleicht seine Versicherung sagt, sie prüft länger als sechs Monate, weil da noch Gutachten fehlen und so weiter. Das sollte nicht zu Lasten des Verdächtigen gehen. Für ihn sollte es ausreichen, dass er, soweit es ihm möglich ist, mitwirkt und schaut, dass eine Erledigung möglichst schnell herbeigeführt wird.

Universitätsdozent Dr. Richard Soyer (Rechtsanwalt): Wenn Herr Dr. Aistleitner früher sehr pointiert formuliert hat, der „Rechtsschutz schreit nach einem Gericht“, dann repliziere ich darauf und sage: Diese Regierungsvorlage schreit nach einem Ausbau der Verteidigungsrechte. Was das konkret heißt, ist vor allem an vier beziehungsweise fünf Bestimmungen im dritten Hauptstück festzumachen, am § 51, am § 55, dem Beweisantragsrecht, das der Hauptverhandlung vorbehalten werden soll, am § 59, der Überwachung der Verteidigergespräche, und an der Beschuldigtenvernehmung, § 164.

Wegen der vorgeschrittenen Zeit möchte ich mich nur mehr zur Überwachung der Verteidigergespräche und zur Beschuldigtenvernehmung äußern. Es ist dies, das Recht auf Beiziehung eines Rechtsanwaltes in jedem Stadium der Ermittlungen, das fundamentale Recht der Verteidigung! Im Grünbuch der Europäischen Kommission, das im Frühjahr herausgegeben wurde, wird dies auch in dieser Deutlichkeit gesagt. Alle anderen Verteidigungsrechte können letztlich nur dann zum Tragen kommen, wenn dieses fundamentale Recht auf Beiziehung eines Verteidigers greift. Und daher ist es zum einen nicht rechtfertigbar, den Verteidigerkontakt, der einfach ein vertrauliches Gespräch voraussetzt, in dieser uferlosen Form zu überwachen, wie es die Regierungsvorlage vorsieht.

Herr Professor Fuchs, aber auch Herr Professor Bertel haben sehr klare Worte dazu gefunden. Es ist allemal die korrektere Lösung, wenn man Bedenken hat, die sich auf die Person des Verteidigers beziehen, diese Bedenken zu benennen und diese Person auszuschließen. Dann hat der Betroffene das Recht, einen anderen Verteidiger beizuziehen.

Die Regierungsvorlage, wie sie in § 59 diese Überwachung regelt, geht einfach zu weit. In drei Punkten ist das nicht akzeptabel:

Es kann nicht so sein, dass – Zitat – „in besonders begründeten Fällen“ – nona, welcher Fall lässt sich nicht besonders begründen? – die Kriminalpolizei diesen Kontakt auf eine allgemeine Rechtsbelehrung beschränken kann. Das ist inakzeptabel!

Genauso inakzeptabel ist die Dauer der Überwachung von bis zu zwei Monaten. Es ist maximal ein Zeitraum von 14 Tagen angemessen, und es ist auch an diesem Punkt sozusagen gleich die Brücke zu schlagen zu dem Recht auf Beiziehung einer Vernehmungsperson.

Für mich hat Dr. Pleischl eigentlich die besten Argumente geliefert, die für unseren Standpunkt sprechen. Zum einen hat er klar gesagt – und sich auf Verwertungsverbote bezogen und als Beispiel die Haftfrist gemeint –: Wenn der Gesetzgeber eine Haftfrist vorsieht, dann meint er es ernst. Und wenn diese Frist nicht eingehalten wird, dann muss es Konsequenzen geben.

Und wenn ich sage, es gibt ein fundamentales Grundrecht auf Beziehung eines Verteidigers zur Vernehmung, und dieses Recht wird nicht gewährt, dann muss es – das steht natürlich im Raum – auch Konsequenzen geben. Es gibt keine andere Konsequenz, als dass das unter Verletzung dieses fundamentalen Rechts zu Stande gekommene Protokoll nicht verwertet werden darf. Alles andere ist Makulatur.

Der zweite Gedanke, der mir eigentlich sehr gut gefällt, weil er auch unseren Standpunkt stützt, betrifft diese Person, diesen „freundlichen Herrn aus Kasachstan“. Dieser freundliche Herr, der sich bei der Vernehmung dazusetzt, ist eben kein Verteidiger, er ist nicht in die Verteidigerliste in Österreich eingetragen, er ist eine Vertrauensperson. Und daher herrscht unter der Anwaltschaft große Übereinstimmung dahin gehend, dass man die Fragen in den Raum stellen muss: Wofür soll diese Vertrauensperson gut sein? Welche Personen werden in diese Rolle schlüpfen?

Wir Verteidiger wollen nicht in diese Rolle schlüpfen, wir wollen professioneller Rechtsbeistand sein, wir wollen einer sehr nah angesiedelten Disziplinargewalt unterliegen, aber wir wollen uns dieses Recht nicht so leicht nehmen lassen, weil wir glauben, dass dort die grundlegenden Weichenstellungen erfolgen.

Hofrat Mag. Maximilian Edelbacher: Ich glaube, dass das Misstrauen gegen die Exekutive nicht gerechtfertigt ist. Wir haben Probleme gehabt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die Einführung des Sicherheitspolizeigesetzes hat eine ausreichende Grundlage geschaffen – Beispiel: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der hier in der StPO ja wiederum vorkommt. Es geht also darum, dass Maß haltend vorgegangen wird. Es müssen ja auch beim Einschreiten der Exekutive bereits Grundsätze des Strafprozessverfahrens eingehalten werden.

Wenn man im Rechtsanwaltsverzeichnis nachschaut, in dem, glaube ich, über 200 Rechtsanwälte für ganz Österreich aufscheinen, und eine mehrheitliche Befragung dieser Rechtsanwälte durchführt, dann, so meine ich, wird man feststellen, dass in 90 Prozent der Fälle die Rechtsanwaltschaft mit den Ermittlungen im Bereich der Exekutive zufrieden ist. Es ist eine Frage des Mengengerüstes. Wenn Sie die Fälle umlegen und fragen: Wo gibt es Konfrontationen?, so sehen Sie, dass es solche in etwa 10 Prozent der Fälle gibt. Dort gibt es die heißen Diskussionen: Ist der Rechtsschutz ausreichend – ja oder nein?

Da die Exekutive an den materiellen Wahrheitsgrundsatz gebunden ist, muss sie alle Für und Wider ermitteln, und hier meine ich, dass der § 166, die Beweisverwertungsregelungen ausreichend sind.

Es muss die Möglichkeit grundsätzlich gegeben sein, dass die Exekutive in besonderen Fällen Verteidiger ausschließen kann; das zeigt die polizeiliche Praxis. Gerade im Bereich der Drogenermittlungen, der organisierten Kriminalität, des Terrorismus zeigt es sich immer wieder bei internationalen, transnationalen Delikten, dass der Einfluss von oder die Kooperation mit Anwälten auch negative kriminaltaktische Folgen haben kann. – Also dieses kriminaltaktische Mittel ist einfach unbedingt notwendig.

Soziologische Untersuchungen zeigen, dass dort, wo in europäischen oder ausländischen Rechtsordnungen Anwälte immer unmittelbar dabei sind, auch eine höhere Strafanfälligkeit von Anwälten nachvollziehbar ist. Das sollte man schon zu bedenken geben, denn letztendlich – und jetzt zeichnen wir die Gesamtsituation – stehen wir vor der Notwendigkeit, steigende Kriminalität mit knapperen Ressourcen zu bewältigen. Und das bedeutet, die Frage zu stellen: Welchen „Rechtsschutzluxus“ – unter Anführungszeichen – können wir leisten? – Die europäischen Standards müssen natürlich erfüllt werden, das ist ganz klar, aber man muss auch das Element der kriminaltaktischen Überlegung einfließen lassen.

o. Univ.-Prof. Dr. Frank Höpfel (Universität Wien, Institut für Strafrecht und Kriminologie): Meine Vorstellungen gliedern sich in drei Komplexe. Das eine betrifft diese aktuellen Vorbringen aus den Berufsgruppen der Staatsanwälte, der Verteidiger und auch, im Lichte des Papiers, des Justizministeriums.

Das Zweite betrifft die Frage, welche Regelungen in der RV eigentlich unbesehen aus dem geltenden Recht übernommen werden, wobei ich das Haftrecht problematisieren möchte.

Und das Dritte betrifft konkrete Änderungsvorschläge, die ich zu Bestimmungen programmatischer Natur habe – damit sind einerseits die allgemeinen Bestimmungen am Beginn der Regierungsvorlage gemeint, andererseits die dazugehörige Einpassung in die Verfassung. Insbesondere schlage ich den Artikel 90 Abs. 3 vor, der die Mitwirkung des Staatsanwaltes in einer bestimmten Weise absichert. „Rechtssicherheit“, „Rechtsklarheit“ – das waren heute die Worte von Professor Müller, und da, meine ich, kann gerade auch im Lichte der gegenwärtigen Diskussion über die Diversion manches geklärt werden.

Zu Geyer-Nemec möchte ich nur grundsätzlich sagen, dass der Übergang vom heutigen System – striktes Verbot staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nach § 97 Abs. 2 – zu dem weitgehenden Ausschluss des Ermittlungsrichters tatsächlich einen Schnitt bedeutet, der in dieser Schärfe nicht erfolgen sollte. Daher teile ich, was Pilnacek dazu vorgetragen hat.

Eine weiter reichende Befugnis des Gerichtes auf Durchführung von Ermittlungen wäre wohl nur für jene Fälle vorstellbar, in denen nur eine Tatsacheninstanz besteht, vor allem im geschworenengerichtlichen Verfahren. Aber die vorgeschlagene Abänderung im Papier des Ministeriums scheint mir ausreichend im Sinne eines Rechtes der Staatsanwaltschaft, das Gericht zur Durchführung einer Beweisaufnahme auch unabhängig von der Bewilligung von Grundrechtseingriffen anzurufen.

Die Gruppe der so genannten clamorosen Fälle aus dem Staatsanwaltschaftsgesetz herüberzunehmen, erscheint mir hingegen nicht tunlich, da nicht justiziabel.

Zum Vorbringen der Verteidiger möchte ich unterstreichen, wie wichtig die Einrichtung eines 24-Stunden-Notdienstes wäre. Als Vorbilder dienen Regelungen im Ausland, zum Beispiel in Spanien. Eine Exkursion dorthin oder Anhörung eines spanischen Experten hier wäre sinnvoll. Die Spanier sind auf Grund ihrer relativ jungen demokratischen Verfassung besonders verfassungsbewusst.

Was die Kosten, die hier angesprochen wurden, betrifft, möchte ich zu bedenken geben, dass mit der Einrichtung eines solchen Dienstes auch eine Einsparung verbunden wäre, denn wir werden den Aufwand durch die zu erwartende Reduktion der Haftzahlen kompensiert sehen.

Damit bin ich bei den geltenden Regelungen aus dem Haftrecht, die in der Regierungsvorlage mehr oder weniger unbesehen übernommen werden. Ich schlage dazu zwei konkrete Änderungen vor:

Erstens: die Einschränkung des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr auf eine zu befürchtende Gewalttat – nicht etwa auf den Diebstahl einer Flasche Wein oder einer Zahnbürste, was in letzter Zeit vorgenommen ist. Betroffen sind hievon die § 170 Absatz 1 Ziffer 4 und § 173 Absatz 2 Ziffer 3 Regierungsvorlage.

Zweitens: ein gänzliches Verbot der Verhängung wenigstens der Untersuchungshaft über Verdächtige unter 16 Jahren.

Ich darf die Vorschläge zu den programmatischen Bestimmungen schriftlich nachliefern.

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Obfrau Mag. Dr. Maria Fekter gibt bekannt, dass als Sitzungstermine für den Justizausschuss bzw. dessen Unterausschuss der 5. und 6. November vorgesehen seien, und sie schließt die Sitzung.

Schluss der Sitzung: 14.07 Uhr