Beratungen

des

Unterausschusses des Justizausschusses

betreffend

Strafprozessreformgesetz

 

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

 

 

Dienstag. 17. Feber 2004

9.50 Uhr – 14.07 Uhr

Lokal VIII


Beginn der Sitzung: 9.50 Uhr

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter eröffnet die 7. Sitzung des Unterausschusses des Justizausschusses, begrüßt alle Anwesenden und führt aus:

Wir diskutieren hier die Strafprozessreform 25 der Beilagen, weiters auch noch den Antrag 228/A (E) der Abgeordneten Mag. Stoisits und KollegInnen sowie die Bürgerinitiative 3/BI. Bedauerlicherweise ist aber ein Entschließungsantrag, nämlich 58/A(E), der auch dem Unterausschuss zugewiesen wurde, der auch zur Strafprozessreform 25 der Beilagen gehört, den wir bereits im April zugewiesen haben, auf die Tagesordnung zu nehmen vergessen worden. Das wird die Parlamentsdirektion korrigieren, und im Ausschuss werden wir dann diesen Entschließungsantrag mit erledigen.

Es geht dabei um den Entschließungsantrag der Kollegen Maier, Jarolim, Wurm und Genossen betreffend bessere Rechte für Privatbeteiligung in der Strafprozessordnung und bezieht sich auf den WEB-Fall.

Dieser Antrag lautet:

„Der Nationalrat wolle beschließen: ,Der Bundesminister für Justiz wird aufgefordert, im Rahmen der anstehenden Novelle der StPO die Stellung der Privatbeteiligten im Strafprozess generell zu verbessern und dafür insbesondere folgende Änderungen vorzusehen’“, worauf dann mehrere Änderungen angeführt sind.

Dieser Antrag ist selbstverständlich auch Teil unserer Beratungen. Ich möchte das nur korrekterweise erwähnen, weil die aufliegende Tagesordnung diesen Entschließungsantrag nie erwähnt hat, obwohl er mit in Beratung stand.

(Es folgen Protokollberichtigungen, die in das Protokoll der Sitzung vom 22. Jänner 2004 eingearbeitet wurden; dieses Sitzungsprotokoll wurde in der aktualisierten Form neu ins Internet gestellt.)

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter entschuldigt Dr. Angela Julcher, Dr. Eckart Rainer, Dr. Johann Rzeszut, Dr. Peter Schick, Dr. Ingrid Siss-Scherz und weist darauf hin, dass Stellungnahmen von Dr. Brachtel, Mag. Edelbacher, Prof. Fuchs, Mag. Geyer, Prof. Höpfel, Dr. Jesionek, Dr. Schmoller und Dr. Swoboda aufliegen.

Die aufgelegten Unterlagen von Mag. Edelbacher seien als Non-Paper zu betrachten, sie beträfen den Konvent.

Weiters werde eine Punktation der grünen Fraktion vervielfältigt und zur Verteilung gebracht. Es handle sich nicht um einen Abänderungsantrag im eigentlichen Sinne, sondern um eine Punktation zu den Positionen der Grünen.

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Symptomatisch scheint mir der Umstand zu sein, dass der Antrag von Kollegem Maier und mir betreffend Verbesserung der Opferrechte erst einmal ins Bewusstsein gerufen werden musste, damit er überhaupt die Chance hat, wieder auf der Tagesordnung zu sein, wo er sein sollte. Ich glaube, dass durch diese Vorgangsweise offenkundig wird, mit welchem Gehudel und mit welcher Chaotik hier vorgegangen wird. Das ist auch der Grund, warum ich mich jetzt zu Wort melde, weil ich eine grundsätzliche Stellungnahme über die weitere Vorgangsweise abgeben will.

Die Papiere des Justizministeriums werden sehr kurzfristig vorgelegt – und das hat diesen chaotischen Zeitdruck zur Folge, der durch nichts gerechtfertigt ist. Ich habe im Vorgespräch heute zu diesem Termin bei vielen der Experten Probleme geortet, mit dem so seriös umzugehen, wie man es von Experten verlangt, nämlich wirklich zu registrieren, was jetzt neu ist und was nicht neu ist. Ich weise nur deshalb darauf hin, weil wir hier eigentlich von dem, was die Experten anbieten können, nämlich von einer fundierten Stellungnahme auf Basis der jeweiligen Entwürfe, nicht Gebrauch machen können.

Offenkundig ist das aber auch nicht geplant. Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen: Wir haben seinerzeit von Terminen im Herbst, im Februar und März, April gesprochen, und jetzt plötzlich soll schon nächste Woche diese Gesetzesnovelle ins Plenum kommen. Offenkundig wird der Beschluss auf Grund der Landtagswahlen vorverlegt. Das zeigt auch, mit welcher intellektuellen Dimension hier mit diesem Thema umgegangen wird.

Herr Bundesminister! Ein anderes logisches Argument dafür, dass wir jetzt blitzartig die Beratungen abbrechen und bereits am Freitag mit der Materie in den Justizausschuss gehen, damit wir es nächste Woche im Plenum haben, eine andere vernünftige Erklärung dafür kann es ja nicht geben. Ich glaube allerdings, dass eine derartige Rechnung nicht aufgehen wird, wenn man sich anschaut, was in der Öffentlichkeit derzeit diskutiert wird.

Daher meine Bitte: Lassen Sie einmal das weg, gehen wir zum Thema zurück – und geben wir der Strafprozessordnung eine Chance! – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist, dass alle von uns wissen, dass sich derzeit im Bereich des Innenministeriums eine Polizeireform darstellt, die nicht wenige mit Begriffen wie „Polizeistaatlichkeit“ in Verbindung bringen. Die Behörden sollen von den Wachkörpern getrennt werden, wird gefordert. Das sind Themen, die im Zusammenhang mit dieser Reform in einem extremen Zusammenhang stehen, weil es natürlich so ist, dass wir von Beginn an dieser Reform gesagt haben, das Gesamtkonzept soll sich ändern ...

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Kollege Jarolim! Ich habe Sie jetzt wirklich lange reden lassen. Zur Geschäftsordnung meldet man sich, wenn man Anträge stellt!

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (fortsetzend): Ich stelle einen Antrag, den ich jetzt zu begründen versucht habe. Es weiß ohnehin jeder im Land, der einigermaßen informiert ist, was sich hier abspielt und wie verantwortungslos das ist, was da derzeit aufgeführt wird.

Ich stelle den Antrag auf Vertagung dieses Unterausschusses jedenfalls bis zur definitiven Erstellung des Konzepts, die derzeit im Innenministerium läuft, weil das im Lichte dessen, was wir vorhatten, wichtig ist, nämlich die Verteidigerrechte auf der einen Seite und das Verhältnis Staatsanwaltschaft – Exekutive auf der anderen Seite so zu ordnen, dass es insgesamt zusammenpasst.

Alles andere zu ignorieren, was sich im Bereich des Innenministeriums abspielt, halte ich für gröbst fahrlässig, und ich ersuche, diese Reform nicht so anzulegen, dass sie innerhalb kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht werden muss, weil das auf Grund dessen, was sich im Innenministerium abzeichnet, so nicht gehen wird. Also bitte der Vernunft eine Chance!

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche) (zur Geschäftsbehandlung): Frau Vorsitzende! Ich bitte Sie, Herrn Prof. Schmoller zu ersuchen, er möge erklären, was im Zusammenhang mit seinem Ausdruck „repetierende Voruntersuchung“ gemeint ist.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne) (zur Geschäftsbehandlung): Ich höre vom Antrag des Kollegen Jarolim zum ersten Mal, um nicht zu sagen, ich bin überrascht, bin aber inhaltlich ganz bei ihm und schließe mich deshalb auch seinem Antrag an.

Ich möchte aber diesen Antrag um einen weiteren Antrag von mir ergänzen. Es hat bisher sieben Unterausschusssitzungen gegeben. Im Schnitt haben wir ungefähr fünf, sechs Stunden diese, wie die Regierung sagt, „Jahrhundertreform“ beraten. Sie haben ja alle Ihre Beiträge geleistet, die ja zu einem beachtlichen Teil in die Ergebnisse der Beratungen eingeflossen sind. Hinsichtlich des Abänderungsantrages, den das Bundesministerium für Justiz vorbereitet hat und der in der Sitzung des Justizausschusses diesen Freitag formal eingebracht wird, ist es ja eine positive Diskussionsentwicklung gewesen.

Das einzige, was ich in diesem Diskussionsprozess vermisst habe, und zwar schwer vermisst habe, ist die Anwesenheit des Bundesministers für Inneres bei diesen Sitzungen. Die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens findet unter intensiven Beratungen statt, für die enorm viel Hirnschmalz, Arbeitszeit, Intensität von so vielen ExpertInnen aus ganz Österreich aufgewendet wird – aber der Bundesminister für Inneres findet es nicht einmal der Mühe wert, auch nur ein einziges Mal hier bei den Beratungen des Ausschusses anwesend zu sein. Ich halte das erstens für eine gröblichste Missachtung des Parlaments, und zweitens kann ich das nur als absolutes Desinteresse dieser Materie gegenüber interpretieren, denn wie sonst ist es zu erklären, dass sich der Herr Innenminister noch die Mühe gemacht hat, in diesen Ausschuss zu kommen!

Deshalb stelle ich den Antrag, diese Unterausschusssitzung des Justizausschusses dahin gehend zu gestalten, dass dem Bundesminister für Inneres die Möglichkeit gegeben wird, dem Ausschuss seinen Standpunkt zu erläutern und vor allem diesen Aspekt der Verknüpfung zwischen Polizeireform und StPO hier mit uns zu erörtern. Ich weiß jetzt nicht, ob so ein Antrag auf Anwesenheit des Herrn Bundesministers für Inneres nach der Geschäftsordnung möglich ist. Wenn der Herr Bundesminister heute nicht kann, dann wird sich ja wohl ein anderer Termin finden lassen. (Abg. Dr. Jarolim: Das bringt ja nichts! Die Reform ist ja noch nicht beschlossen!)

Die Reform ist nicht beschlossen, aber die StPO-Reform befindet sich in einem finalen Stadium. Und ich meine, zumindest bevor unsere Beratungen abgeschlossen sind, sollte der Herr Innenminister es doch der Mühe wert finden, uns einmal über seine Pläne aufzuklären. Falls ich diesen Antrag stellen kann, stelle ich ihn. – Wenn ich ihn nicht stellen kann, muss ich mir überlegen, in welcher Form wir die Anwesenheit von Dr. Strasser hier erwirken können.

Abgeordneter Günter Kößl (ÖVP) (zur Geschäftsbehandlung): Wir dürfen nicht Äpfel und Birnen vermischen, sondern man muss ganz genau auseinander halten: Was ist Polizeireform, und was ist jetzt die neue Strafprozessordnung? Es hat das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun! (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)

Es ist überhaupt keine Frage, dass wir hier eine Sitzung abhalten, in der es um die neue Strafprozessordnung geht – und nicht um die Polizeireform. Es wäre sicherlich unverantwortlich, und zwar allen Experten gegenüber, die heute hierher gekommen sind, wenn wir diese Sitzung unterbrechen oder verschieben würden. Das ist sicherlich keine vernünftige Art, miteinander zu diskutieren.

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Ergänzend: Ich wollte diesen Antrag nicht so verstanden wissen, dass jetzt, also noch bevor diese Sitzung durchgeführt wird, eine Vertagung beschlossen werden soll, sondern dass wir natürlich heute hier diese Diskussion abführen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Kollege Jarolim! Jetzt müssen Sie aber schon deutlich sagen: Haben Sie damit den Vertagungsantrag des Unterausschusses zurückgezogen? (Abg. Dr. Jarolim: Nein!) Wenn nicht, muss ich ihn nämlich gleich zur Abstimmung bringen. Würde dieser eine Mehrheit finden, könnten alle Experten nach Hause gehen.

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Man kann ja Dinge auch absichtlich missverstehen wollen. Ich stelle den Antrag, nach Abschluss dieser heutigen Sitzung die Vertagung durchzuführen bis auf den Zeitpunkt, zu dem die Polizeireform des Innenministers beschlossen wurde. – Es geht mir nicht darum, die heutige Unterausschusssitzung vorzeitig zu beenden.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Ich nehme das einmal so zur Kenntnis, Herr Kollege Jarolim. Tatsache ist aber, dass ich nach der Geschäftsordnung Geschäftsordnungsanträge sofort zur Abstimmung bringen muss. Ich werde aber über die Vertagung gegen Ende abstimmen lassen, so, wie Sie das gewünscht haben.

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): In der vorigen Sitzung habe ich versucht, die Problemstellung der Strafprozessreform mit der Reform des Innenministers darzustellen. – Wenn der Sicherheitssprecher der ÖVP nun meint, es gäbe keinen Zusammenhang, dann muss ich dir einfach sagen, werter Kollege, du hast dir den Entwurf zur Strafprozessreform nicht angeschaut.

Wir stehen vor folgendem Problem: Das ursprüngliche Konzept von „Team 04“ sah generell eine Neubestimmung des Verhältnisses der Sicherheitsbehörden zu anderen Auftraggebern vor, auch zum Justizministerium. Das ist im Papier des Innenministers nachzulesen. Gleichzeitig wurde darin formuliert, dass man weg von der Auftragsverantwortung zu einer Vollzugsverantwortung kommen sollte. Und das steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Strafprozessreform.

Wir wissen derzeit nicht, wie weit diese Beratungen und Verhandlungen im Innenministerium gediehen sind, sondern können nur feststellen, dass hier im Unterausschuss weder der Innenminister noch einer seiner Vertreter anwesend waren beziehungsweise dazu – ich meine hier konkret beispielsweise Herrn Dr. Haidinger – das Wort ergriffen hätten.

Dieser Unterausschuss hätte einen Anspruch darauf, informiert zu werden, wie der Stand dieser Diskussion ist und wie insgesamt die Behördenkonstellation aussehen sollte, denn das ist wiederum Aufgabe des Österreich-Konvents. – Wenn ein Kollege hier meint, das hätte damit nichts zu tun, dann frage ich mich, warum die Polizeijuristen heute den Mitgliedern des Unterausschusses eine Vorlage übermittelt haben. (Abg. Kößl: Eine Fleißaufgabe!) Sie haben anscheinend diese Problemstellung erkannt. Von Seiten der ÖVP wurde sie – wie es nun aussieht – nicht erkannt. (Ruf bei der ÖVP: Eine Unterstellung!)

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Kollege Maier, wir befinden uns immer noch in einer Geschäftsordnungsdebatte, und Wortmeldungen zur Geschäftsbehandlunung haben einen Antrag zu beinhalten, den man begründet. Ich bitte Sie, diese Ihre Ausführungen bis zur Debatte zur Tagesordnung zurückzustellen, wenn kein Antrag gestellt wird!

Abgeordneter Mag. Johann Maier (fortsetzend): Gut: Ich schließe mich dem Antrag des Kollegen Jarolim vollinhaltlich an.

Abgeordnete Terezija Stoisits (Grüne) (zur Geschäftsbehandlung): Dass die StPO nichts mit der Polizei oder mit den Sicherheitsbehörden – und damit natürlich auch mit dem Innenminister, der bekanntermaßen der Ressortchef der Sicherheitsbehörden ist – zu tun habe, ist eine wirklich hanebüchene Aussage. Deshalb möchte ich noch einmal betonen, wie wesentlich es wäre, genau diesen Aspekt jetzt mit dem Innenminister zu diskutieren. Das wird nämlich seit vielen Jahren mit dem Innenministerium diskutiert, das weiß ich.

Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als unter Szymanski/Miklau die StPO-Reform gestartet wurde. Sektionschef Szymanski und Sektionschef Miklau kommen bekanntermaßen aus zwei unterschiedlichen Ressorts. Aber der jetzige Innenminister Strasser, der immerhin schon seit vier Jahren Innenminister ist, hat sich bezüglich StPO bisher gänzlich verschwiegen. (Abg. Kößl: Das hat mit der Zusammenführung der Wachkörper nichts zu tun!) Jetzt bekommt das Ganze eine besondere Brisanz, weil nämlich die Reformpläne des Innenministers inzwischen auch in ein finales Stadium – der Vorbereitung allerdings – gekommen sind.

Wenn ich dann lese: „Polizeijuristen sollen zu Staatsanwälten umgeschult werden“, dann möchte ich wissen, wer in diesem Raum den Zusammenhang zwischen Innenressort, Justizressort, Exekutivreform – also Reform der Polizei und Gendarmerie – und StPO nicht sieht!

Deshalb stelle ich den Antrag, die Sitzung des Unterausschusses des Justizausschusses so zu gestalten, dass der Herr Bundesminister für Inneres die Möglichkeit erhält, hier seinen Standpunkt mit uns zu erörtern, nämlich nicht nur mit den Mitgliedern des Unterausschusses, sondern auch mit den anwesenden ExpertInnen – das ist mir ganz wesentlich, weil ich sonst nicht die Möglichkeit sehe, wie sich Staatsanwälte, RichterInnen und die Vertreter, die hier anwesend sind, aber auch die Herren Professoren, auch die Vertreter der Rechtsanwaltschaft in diesen Kommunikationsprozess mit dem Innenressort einklinken sollten.

Als Mitglied auch des Innenausschusses möchte ich berichten, dass die für den Justizausschuss so positive und vorbildhafte Praxis der intensiven Erörterung von Materien in Form von Hearings, der Einbeziehung von Experten, im Innenausschuss nicht gang und gäbe ist. Der Innenausschuss pflegt in der Regel eine Einwegkommunikation mit dem Innenminister, die sich in der Regel so gestaltet, dass die Opposition ihm Fragen stellt, die er nicht beantwortet. Aber Expertenhearings, Erörterungen mit der Wissenschaft hat es dort noch nie gegeben. Darum befürchte ich, dass sich auch die künftige Polizeireform dort so gestalten wird. (Abg. Kößl: Wieder zurück zur Realität! Ich bitte darum!)

Die StPO-Reform tritt ja nicht in drei, fünf oder acht Monaten in Kraft, sondern laut Abänderungsantrag Fekter, Partik-Pablé am 1. Jänner 2008. – Die Polizeireform hingegen trägt den Titel „Team 04“ – also 2004. Das heißt, dort werden Entscheidungen getroffen, die für unsere Materie, die ja lange Legisvakanz hat, von maßgeblichem Interesse sein sollten.

Ich weiß nicht, warum man das hier so willkürlich nicht will! – Vielleicht könnten wir uns irgendwie über einen neuen Termin für die inhaltlichen Debatten, wie heute vorgesehen, mit den ExpertInnen verständigen, bei dem auch Minister Strasser anwesend ist.

Auch wenn vielleicht nicht jede und jeder Einzelne noch einmal Zeit finden wird, aber soweit ich die engagierten Stellungnahmen der letzten Tage – insbesondere von Seiten der Standesvertretungen – gehört habe, glaube ich schon, dass die Damen und Herren Freude daran hätten, wenn der Justizausschuss sie noch einmal bitten würde, sich auch mit dem Innenminister zu beraten.

Abgeordneter Ing. Norbert Kapeller (ÖVP) (zur Geschäftsbehandlung): Ich verstehe die beiden Anträge nicht ganz. Schließen wir doch diese StPO-Reform ab und bauen die Teile der Polizeireform, die dazu kompatibel sind, darauf auf! Außerdem möchte ich, weil hier ständig nach Minister Strasser gerufen wird, darauf hinweisen, dass sein höchster Beamter auf kriminalpolizeilicher Ebene, Herr Direktor Dr. Haidinger, hier ständig anwesend und mit eingebunden ist und dass auf Beamtenebene zwischen Justizministerium und Innenministerium Expertenrunden stattgefunden haben. – Der Weg, jetzt die StPO-Reform abzuschließen und darauf aufbauend Teile der Polizeireform hinzuadaptieren, macht doch Sinn!

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter bringt die vorliegenden Geschäftsordnungsanträge zur Abstimmung.

Der Antrag des Abgeordneten Dr. Jarolim betreffend Vertagung bleibt in der Minderheit.

Der Antrag der Abgeordneten Dr. Partik-Pablé, Herr Professor Schmoller möge eine Erklärung betreffend seines Ausdrucks „repetierende Voruntersuchung“ abgeben, wird einstimmig angenommen.

Der Antrag der Abgeordneten Mag. Stoisits gemäß § 18 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf Anwesenheit des Innenministers bleibt in der Minderheit.

Der vierte Antrag – den die Obfrau einmal als solchen wertet –, nämlich der Antrag beziehungsweise die Aussage des Abgeordneten Mag. Maier, dass der anwesende Ministerialrat Dr. Haidinger in Bezug auf die hier angesprochenen Problemkreise zu Wort kommen soll, wird einstimmig angenommen.

Zur Geschäftsordnung liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Die Obfrau gibt bekannt, dass Herr Professor Burgstaller bezüglich des letzten Entwurfes eine Stellungnahme übermittelt hat, die vervielfältigt und zur Verteilung kommen wird.

*****

Obfrau Dr. Fekter geht nunmehr in die Tagesordnung ein und weist darauf hin, dass die Opferrechte und die Stellung des Staatsanwaltes im Verhältnis zum Ermittlungsrichter beim letzten Mal nicht im Detail beraten worden sind und grundsätzlich auf der heutigen Tagesordnung stehen.

Zuvor erhält, wie im Antrag beschlossen, Herr Ministerialrat Dr. Haidinger als Vertreter des Innenressorts das Wort.

Direktor MinR Dr. Herwig Haidinger (Bundeskriminalamt): Ich sitze hier nicht nur als der Direktor des Bundeskriminalamts Österreich, sondern ausgestattet mit einem – wenn Sie diese Bezeichnung erlauben – direkten Mandat des Bundesministers für Inneres, und nichts macht mehr verantwortlich.

In dieser Funktion habe ich die Strafprozessordnung zusammen mit Sektionschef Miklau und seinen Damen und Herren intensiv erörtert. Die Auswirkung war die, dass ich mich in den Sitzungen des Ausschusses einmal – und da sehr deutlich – zu Wort gemeldet habe; viele Male aber nicht.

Über das, was hier in Sachen Strafprozessordnung vor sich geht, wird der Herr Bundesminister für Inneres von mir sofort intensiv und umfangreich unterrichtet, und ich habe die Vorgaben des Hauses BMI mit und bringe sie hier ein, soweit sie einzubringen sind.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter weist darauf hin, dass sich in der weiteren Debatte jeder zu Wort melden und Fragen zur Klärung stellen kann und dass es den Abgeordneten auch unbenommen sei, weitere Fragen an Dr. Haidinger zu stellen.

o. Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller (Universität Salzburg; Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht und Kriminologie): Meine Protokollberichtigung bezog sich lediglich auf eine Wortumstellung, um eine Missverständlichkeit zu beseitigen.

Im ursprünglichen Text stand, dass es ein Ziel war, die „repetierende Voruntersuchung zum Teil abzuschaffen“. Gemeint habe ich – und darauf bezog sich meine Protokollberichtigung –, dass es das Ziel war, die „zum Teil repetierende Voruntersuchung abzuschaffen“. – Das zur Protokollberichtigung.

Offenbar besteht Erklärungsbedarf hinsichtlich des Wortes „repetierend“. Man kann es ersetzen durch das Wort „wiederholend“. Ich wollte damit einen der ältesten Kritikpunkte an der Konzeption der Voruntersuchung, die ich auch in meiner Gerichtspraxis bestätigt gefunden habe, zum Ausdruck bringen, nämlich dass der praktische Ablauf des Strafverfahrens häufig so ist, dass im Rahmen polizeilicher Vorerhebungen schon Beweisaufnahmen, insbesondere Vernehmungen durchgeführt werden, die anschließend nach Einleitung der Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter inhaltlich wiederholt werden, und dass dadurch eine wiederholte Beweisaufnahme stattfindet, wobei es Ziel der Reform war, diese zweistufige – und eben zum Teil wiederholende – Beweisaufnahme durch eine einheitliche Struktur des Ermittlungsverfahrens zu beseitigen.

Gemeint hatte ich mit meiner Stellungnahme, dass eines der ursprüngliche Ziele der Strafverfahrensreform war, jenen repetierenden, wiederholenden Charakter, der sich aus der Hintereinanderschaltung zwischen Vorerhebung und Voruntersuchung mit Wiederholung teilweise der inhaltlich selben Beweisaufnahmen, insbesondere Einvernahmen, ergibt, zu beseitigen.

Abgeordneter Günter Kößl (ÖVP): Ich habe eine Frage an Direktor Haidinger, und zwar speziell zur Strafprozessordnung, die wir heute hier beraten, im Zusammenhang mit der Polizeireform, sprich Zusammenführung der Wachkörper, wie es Frau Abgeordnete Stoisits angesprochen hat.

Ich sehe in diesem Bereich keinen Zusammenhang. Wie lautet diesbezüglich die Stellungnahme von Dr. Haidinger?

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Wenn Herr Direktor Haidinger hier sitzt und kein Mandat hat, uns über das, was er weiß – bezüglich dessen er uns allen gegenüber wahrscheinlich einen enormen Wissensvorsprung hat –, zu berichten, und Sie gleichermaßen meinen, dass Herr Minister Strasser hier in unserem Kreis völlig fehl am Platz wäre, dann würde ich empfehlen, als Mittelweg vielleicht Herrn Haidinger zu ersuchen, Herrn Minister Strasser um ein derartiges Mandat für eine Berichterstattung im Unterausschuss zu ersuchen, damit wir wenigstens ein Minimum an Information haben. Wie sollen wir uns als Abgeordnete noch in den Spiegel sehen können, wenn wir hier einfach zur Kenntnis nehmen, dass Herr Strasser nicht will, dass wir über das, was er gerade tut, Bescheid wissen?! – Ich kann das mit meinem Selbstverständnis als Abgeordneter nicht vereinbaren. Wenn Sie es können, denke ich mir meinen Teil. (Abg. Kößl: Da gibt es einen anderen Ausschuss, Herr Kollege Jarolim!)

Ich würde ersuchen, Herrn Dr. Haidinger die Möglichkeit zu geben, Herrn Minister Strasser einzuladen, ihn hier über das reden zu lassen, was uns interessiert.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Herr Kollege Jarolim, Sie haben hier als Antrag formuliert, dass Dr. Haidinger etwas tun sollte. Das ist inkorrekt, das kann man nicht! Ich kann das daher auch nicht als Antrag werten. Ich würde darum bitten, die Wortmeldungen gemäß der Geschäftsordnung zu fassen. Das war offensichtlich kein Antrag, sondern nur eine Wortmeldung.

Ich erteile jetzt noch einmal Herrn Direktor Haidinger das Wort.

Direktor MinR Dr. Herwig Haidinger (Bundeskriminalamt): Der Entwurf der Strafprozessordnung, wie er hier vorliegt, lässt offen, wie die Reform innerhalb des Hauses BMI gestaltet wird, präjudiziert nichts, und der Vollzug der Kriminalpolizei im Hause BMI über Wachkörper und Sicherheitsbehörden kann dort ansetzen, wo diese Strafprozessordnung endet. Die Frage ist, wie sie das machen – die StPO hier lässt es offen. (Abg. Kößl: So ist es!)

Mag. Alexandra Weißenbacher (Interventionsstelle gegen Gewalt): In der Annahme, dass heute die Opferrechte im Zentrum stehen, möchte ich meinen Ausführungen ein Zitat aus dem EU-Rahmenbeschluss des Rates über die Rechte der Opfer gleichsam als Thema voranstellen:

„Es ist wichtig, die Bedürfnisse der Opfer auf integrierte und strukturierte Weise zu berücksichtigen und zu behandeln und dabei partielle oder inkohärente Lösungen, die zu sekundärer Viktimisierung führen können, zu vermeiden.“

Damit dies nicht nur eine Absichtserklärung bleibt, sondern die Interessen und Bedürfnisse von Opfern durch die Strafprozessordnung bestmöglich gewahrt werden können, erlaube ich mir, folgende Ergänzungen oder Änderungen anzuregen.

Eines der wichtigsten Anliegen der Opferschutzeinrichtung zur Stärkung der Opferrechte, nämlich die Möglichkeit der Nichtigkeitsbeschwerde, ist nun nicht mehr vorgesehen. Die Durchsetzbarkeit von Opferrechten ist für deren Effektivität ganz zentral, das heißt, bei deren Verweigerung muss die Möglichkeit der Erhebung eines Rechtmittels zustehen. Dies signalisiert nämlich den Opfern, dass sie als solche wahr- und auch ernst genommen werden. Ich möchte dies anhand eines Beispiels aus meiner Arbeitspraxis verdeutlichen.

Ich betreute einmal eine blinde junge Frau, die von ihrem Lebensgefährten vergewaltigt und bedroht wurde. Trotz eines Antrags auf kontradiktorische Vernehmung musste meine Klientin im Beisein des Beschuldigten aussagen, weil der Richter der Meinung war, die junge Frau sei sowieso blind und könne den Beschuldigten daher ohnehin nicht sehen. Dies ist zwar objektiv richtig, doch korreliert dieser Umstand, nämlich, dass diese junge Frau blind war und den Beschuldigten nicht sehen konnte, nicht mit der psychischen Ausnahmesituation dieses Gewaltopfers, nicht mit den Ängsten und Qualen, die sie durchleben musste, weil sie wusste, dass sie sprichwörtlich „unter den Augen des Beschuldigten“ aussagen musste. Es stellt dies eine enorme psychische Belastung dar. Und die junge Frau fühlte sich in ihrem Leid und in ihren Bedürfnissen nicht verstanden; sie war eigentlich sehr enttäuscht vom Strafverfahren.

Aus Erfahrung weiß ich, dass es schwierig ist, sich als Außenstehender in die Psyche eines Gewaltopfers zu versetzen, weil Ängste eben etwas sehr Irrationales sind. In diesem Fall fand das der Richter nicht für notwendig, weil er einen anderen Beurteilungsmaßstab anlegte als jenen, der für das Opfer angemessen gewesen wäre. Wäre die Nichteinhaltung der kontradiktorischen Vernehmung mit Nichtigkeit bedroht gewesen, hätte der Richter eine solche vorgenommen und dadurch dem Opfer einen besseren Dienst erwiesen, auch wenn er von der Notwendigkeit einer solchen nicht überzeugt gewesen wäre. Man hätte dieser jungen Frau eine neuerliche Traumatisierung ersparen können.

Natürlich kann das Wissen über die psychische Situation der Opfer und deren primären sowie sekundären Traumatisierung durch Schulungsmaßnahmen verbessert werden – sofern dies als Argument gebracht werden sollte –, doch parallel dazu ist die Effektivität von Opferrechten sehr wichtig. Auch ich kenne die schon mehrfach geäußerten Bedenken, dass durch die Möglichkeit der Nichtigkeitsbeschwerde dem Beschuldigten gleichsam ein zweiter Staatsanwalt oder auch mehrere gegenüber gestellt würden. Dies erweckt jedoch den Eindruck, dem Opfer ginge es bei der Effektuierung seiner Rechte nur um eine möglichst strenge Bestrafung des Beschuldigten, wodurch eine Stärkung der Opferrechte wiederum zwangsläufig nur zu Lasten des Beschuldigten gehen könne.

Opfern von Gewalt geht es aber nicht darum, dass der Beschuldigte streng bestraft wird, sondern darum, als Opfer anerkannt, mit Würde und Achtung behandelt zu werden – und nicht noch einmal Opfer zu werden. Eine Studie von Kiefl/Lamnek aus dem Jahre 1986 mit dem Titel „Soziologie des Opfers. Theorie, Methoden und Empirie der Viktimologie“ belegt, dass, je besser die Anerkennung von Opfern ist, mit je mehr Rechten sie ausgestattet sind, desto weniger steht für sie ein Rache- oder Vergeltungsgedanke im Vordergrund. Bei der Effektuierung von Opferrechten geht es daher darum, dass dem Bedürfnis und den Interessen der Opfer bestmöglich Rechnung getragen wird – und nicht um Vergeltung und harte Bestrafung des Beschuldigten. Ein faires Verfahren soll und muss die Rechte des Beschuldigten wahren; dasselbe sollte aber auch für die Opfer gelten.

Als nächsten Punkt möchte ich auf die Notwendigkeit der Ausweitung der kontradiktorischen Vernehmung zurückkommen. Bedauerlicherweise hat der Abänderungsantrag dem Anliegen der Opferschutzeinrichtung, den Kreis der Personen, die von Amts wegen und auf Antrag kontradiktorisch zu vernehmen, sind zu erweitern, nicht Rechnung getragen. Opfer erleiden durch Zufügung von Gewalt oder Drohung traumatische Erfahrungen; das ist allgemein bekannt. Dies wiederzugeben – noch dazu in der Atmosphäre eines Gerichtsaals und in Anwesenheit des Beschuldigten –, ist für viele Opfer zu viel und kann zu einer Re-traumatisierung führen. Das Opfer ist Zeuge und verpflichtet, am Verfahren in der Weise mitzuwirken, dass es vor dem Gericht erscheinen und aussagen muss; das ist ein Beweismittel und soll der Wahrheitsfindung dienen. In dieser Funktion muss es sich den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen – egal, ob es will oder nicht.

Um die Belastung des Opfers so gering wie möglich zu halten und eine neuerliche Traumatisierung zu verhindern, ist es notwendig, dass eine Vernehmung so schonend wie möglich stattfindet. Gerade das Zusammentreffen mit dem Beschuldigten und der Umstand, in seinem Beisein aussagen zu müssen, löst beim Opfer das Wiedererleben von traumatischen Situationen beziehungsweise Symptome eines post-traumatischen Stresses aus, wie zum Beispiel Zittern, Weinen, Abspaltung von Gefühlen – was manchmal wie eine völlige Teilnahmslosigkeit des Opfers wirkt – oder das nur bruchstückhafte Erinnern an die das Trauma auslösende Situation. Das wiederum dient weder der Wahrheitsfindung noch ist es für die Psyche des Opfers förderlich.

Ich möchte diesbezüglich noch einmal ein Beispiel aus meiner Arbeitserfahrung bringen. Eine meiner Klientinnen, ich nennen sie Frau S., wurde von ihrem Ex-Freund geschlagen und bedroht, was zur Anzeige kam und in ein Strafverfahren mündete. Frau S. hatte schon in der Interventionsstelle den Wunsch geäußert, nicht im Beisein des Beschuldigten aussagen zu müssen: Sie hätte sowieso Angst vor ihm, eben weil sie sein Aggressionspotenzial kenne und fürchte, er könne sich an ihr rächen; sie wolle zwar aussagen, doch traue sie sich das nicht, wenn er anwesend sei; in seiner Anwesenheit würden ihr seine früher ausgesprochenen Drohungen wieder bewusst, sie könne dann einfach nicht mehr klar denken.

Frau S. wurde es trotzdem nicht erspart, im Beisein des Beschuldigten aussagen zu müssen. Als sie den Gerichtssaal betreten sollte, begann sie so zu weinen und zu zittern, dass dies eine Aussage unmöglich machte und der Beschuldigte während ihrer Aussage den Saal verlassen musste. – Zu Frau S. möchte ich noch sagen, dass sie eine sehr reflektierende Frau mit hohem Bildungsniveau ist, die ihre Bedenken äußern und auch ihre Situation schildern konnte. Sie hat nämlich klar formuliert, sie könnte in Gegenwart des Beschuldigten nicht mehr klar denken. Trotzdem reagierte sie wie viele Gewaltopfer und erlitt eine neuerliche Traumatisierung. Diese Reaktionen sind eben nicht durch Rationalität steuerbar und treten dann auf, wenn der Stress für das Opfer einfach zu groß wird.

Aus dem Gesagten ist ganz klar ersichtlich, dass Opfern von Gewalt im Strafverfahren größtmögliche Schonung zuteil werden muss. Ich möchte daher noch einmal auf die Notwendigkeit der kontradiktorischen Vernehmung für alle Opfer von Gewalt oder gefährlicher Drohung aufmerksam machen und vorschlagen, dass jene Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, jedenfalls kontradiktorisch zu vernehmen sind, Personen nach Vollendung des 14. Lebensjahres auf deren Antrag. Die kontradiktorische Vernehmung sollte zudem nur ein Mal erfolgen und dem Opfer ersparen, in der Hauptverhandlung nochmals aussagen zu müssen. Sollten in der Hauptverhandlung noch Fragen auftauchen, die das Opfer zur Wahrheitsfindung beantworten muss, sollte das Opfer eben noch einmal kontradiktorisch vernommen werden.

Zu begrüßen ist, dass auch Opferschutzeinrichtungen und andere geeignete Personen als Vertreter auftreten können. Allerdings sollte die juristische Prozessbegleitung auch von MitarbeiterInnen anerkannter Opferschutzeinrichtungen durchgeführt werden können. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn ein Opfer schon von einer Einrichtung betreut wird und es etwa, wie meine Kollegin aus einem anderen Bundesland berichtet hat, in ländlichen Gegenden schwierig ist, in kürzester Zeit – etwa wenn die Klientin erst am Vortag kommt und sagt, dass es ein Strafverfahren gibt – einen Anwalt/eine Anwältin zu finden, die am nächsten Tag auch vertreten kann. Überdies sollte in diesen Fällen auch darauf Rücksicht genommen werden, dass bereits ein Vertrauensverhältnis zwischen der Klientin und einer Mitarbeiterin einer Opferschutzeinrichtung besteht und dem Opfer nicht zugemutet werden soll, seine Geschichte nochmals erzählen zu müssen. Diese Doppelgleisigkeit sollte vermieden werden.

Ein weiteres wichtiges Anliegen von Opfern ist es, vom Fortgang des Verfahrens verständigt zu werden. Es ist jetzt nicht mehr vorgesehen, dass den Opfern die Anklageschrift zuzustellen ist. Diese wichtige Information sollte das Opfer aber jedenfalls erhalten, da es sich bei der Versetzung in den Anklagestand und der Anklageschrift um einen wichtigen Verfahrensschritt handelt. Das Opfer soll darüber informiert werden, wegen welcher strafbaren Handlungen sich der Beschuldigte in der Hauptverhandlung zu verantworten hat. In jeder Hauptverhandlung muss das Opfer zumeist mitwirken und als Zeuge aussagen. Darauf sollte sich das Opfer einstellen können – und auch darauf, was Gegenstand seiner Befragung sein wird. Deswegen sollte auch die Zustellung der Anklageschrift an das Opfer vorgesehen werden.

Zu § 66 Abs. 2 Z 3 möchte ich noch Folgendes ausführen: Dieser wurde anders formuliert; anstelle des „Rechtes, vor ihrer Vernehmung Kontakt mit einem Rechtsanwalt ... oder mit einer Opferschutzeinrichtung aufzunehmen“, ist jetzt das Recht auf Information über Prozessbegleitung getreten. Die Interventionsstellen als Opferschutzeinrichtungen halten es für notwendig und sinnvoll, dass anstelle der Information über Prozessbegleitung das Recht tritt, vor der ersten Vernehmung kostenlos durch einen Rechtsanwalt und eine Opferschutzeinrichtung beraten zu werden. Das ist qualitativ ein Unterschied dazu, unter Umständen nur eine Liste von Anwälten oder Opferschutzeinrichtungen zu erhalten beziehungsweise sich selbst einen Anwalt bezahlen zu müssen.

Bezüglich unserer weiteren Anliegen möchte ich auf unsere schriftliche Stellungnahme vom 9. Feber verweisen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter macht darauf aufmerksam, dass die Sitzung um 14 Uhr beendet werden müsse, da viele der anwesenden Abgeordneten auch an der dann stattfindenden Sitzung des Innenausschusses teilnehmen würden, und bittet darum, sich in den Wortmeldungen – im Hinblick auf das noch sehr umfangreiche Programm – auf konkrete Änderungswünsche für den Text des vorliegenden Abänderungsantrages zu beschränken.

Bezüglich der Opfer-Bestimmungen sei auf Wunsch der Interventionsstellen, der Opferschutzeinrichtungen und des Weißen Ringes sehr vieles verändert worden. – Obfrau Dr. Fekter ersucht Mag. Pilnacek, zu erläutern, welche Änderungswünsche aus welchen Gründen nicht berücksichtigt worden seien.

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Sektion II): Zum Eingangs geäußerten Vorwurf des Abgeordneten Dr. Jarolim, die Papiere seien zu kurzfristig übermittelt worden, darf ich nochmals daran erinnern, dass das Justizministerium dem Unterausschuss bereits für seine Sitzung am 6. November 2003 ein Papier vorgelegt hat, in dem die wesentlichsten Änderungsvorschläge umschrieben waren; die Punkte, die die Opferrechte betrafen, waren in diesem Papier bereits ausformuliert. Im Entwurf jenes Abänderungsantrages, der dem Unterausschuss vor dem 22. Jänner zugegangen ist, waren die Bestimmungen zur Verbesserung der Opferrechte – mit Ausnahme von Details – mit jenen im nun vorliegenden Entwurf identisch. Das heißt, es ist doch ausreichend Zeit zur Vorbereitung zur Verfügung gestanden, jedenfalls hinsichtlich der Bestimmung über die Verbesserung der Opferrechte.

Was den Inhalt betrifft, so orientiert sich, wie Frau Mag. Weißenbacher bereits erwähnt hat, die Ausgestaltung der Opferrechte im Wesentlichen an dem Rahmenbeschluss des Rates vom 15. Mai 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren.

Das erste wichtige Anliegen dieses Rahmenbeschlusses war, statt des Begriffs „Geschädigter“ durchgängig den Begriff „Opfer“ zu verwenden. In der Regierungsvorlage hat es auch an einer Bestimmung gefehlt, die Artikel 2 des Rahmenbeschlusses, der mit den Begriffen „Achtung und Anerkennung“ überschrieben ist, entspricht. Sie finden diesen Inhalt nunmehr in einer Grundsatzbestimmung § 10 Abs. 3, der den Strafverfolgungsbehörden die Verpflichtung auferlegt, das Opfer unter Beachtung seiner persönlichen Würde zu behandeln, sein Interesse an der Wahrung der Intimsphäre und am Schutz seiner Identität zu respektieren. Zusätzlich wurde darin die bisher im § 47a StPO behandelte Bestimmung über den Identitätsschutz übernommen sowie ein besonderer Hinweis auf den Wiedergutmachungsaspekt bei Entscheidungen über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens, insbesondere durch diversionelle Erledigungen, aufgenommen.

In den Bestimmungen des 4. Hauptstückes des Entwurfs, der mit „Opfer und ihre Rechte“ übertitelt ist, soll Anregungen von verschiedener Seite folgend grundsätzlich zwischen jenen Opfern unterschieden werden, die durch die Straftat besonderen emotionalen Belastungen ausgesetzt und schon auf Grund dieser Beeinträchtigung am Verfahren zu beteiligen sind, und jenen Opfern, die ihr Wiedergutmachungsinteresse zum eigentlichen Verfahrensziel machen, indem sie erklären, sich als Privatbeteiligte aktiv daran beteiligen zu wollen. Dabei ist im Entwurf des Abänderungsantrages die allzu enge Definition der emotional besonders belasteten Opfer auf jenen Bereich ausgedehnt worden, in dem das Justizministerium schon heute Prozessbegleitung finanziert.

Im Wesentlichen sollen somit alle Opfer, „die durch eine ... Straftat Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtig worden sein“ könnten, eine besondere Stellung im Verfahren erlangen, die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, diese Stellung von Amts wegen zu berücksichtigen. Gleiches soll für nahe Angehörige einer Person gelten; auch der Angehörigenbegriff wurde von jenem der Ehegatten um Lebensgefährten und andere nahe Angehörige erweitert, die im Fall des Todes einer Person Zeugen dieser Straftat wurden und dadurch eine besondere Belastung erleben mussten und vor einer Re-viktimisierung besonders zu schützen sind.

Opfern sollen daher, unabhängig von einer Erklärung, sich am Verfahren beteiligen zu wollen, besondere Rechte zustehen – zu finden im § 66 –, insbesondere das Recht auf Information sowie auf Beteiligung an parteiöffentlichen Beweisaufnahmen und an der Hauptverhandlung. In der Hauptverhandlung soll ihnen auch rechtliches Gehör gewährt werden, wobei sie berechtigt sein sollen, „Angeklagte, Zeugen und Sachverständige zu befragen“ und auf diese Weise ihre Sicht und ihre Verletzungen in das Verfahren einzubringen, ohne unbedingt einen Schadenersatzanspruch geltend zu machen.

Dem Kreis der emotional besonders betroffenen Opfer soll darüber hinaus ein gesetzlicher Anspruch auf Prozessbegleitung gewährt werden. Diese Prozessbegleitung ist diesen Opfern auf Verlangen zu gewähren, wenn und soweit eine psycho-soziale und juristische Begleitung während des Verfahrens erforderlich ist, um die mit ihm verbundenen Belastungen für das Opfer erträglich zu machen und ihm dennoch die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte zu ermöglichen.

Zum diesbezüglichen Kritikpunkt von Frau Mag. Weißenbacher: Wir sind dem Vorschlag, die bisherige Bestimmung über die verpflichtende Durchführung einer kontradiktorischen und einer einmaligen Vernehmung von Personen unter 14 Jahren und beispielsweise Frauen, die durch die Straftat in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, auf sämtliche Gewaltopfer auszudehnen, aus folgenden Gründen nicht gefolgt:

Dieser Kreis von Opfern bekommt nunmehr einen Anspruch auf Prozessbegleitung. Diese Prozessbegleitung umfasst psycho-soziale und juristische Prozessbegleitung. Es muss sich also nicht mehr das Opfer selbst mit dem Richter auseinandersetzen, sondern das kann der Prozessbegleiter übernehmen. Es gibt im Verfahren und in der Hauptverhandlung genügend Möglichkeiten, eine Konfrontation des Beschuldigten, des Angeklagten, mit dem Opfer zu vermeiden. Man kann etwa gestaffelte Ladungen durchführen, man muss das Opfer nicht unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung laden; man kann das Opfer in einem besonderen Raum warten lassen; man kann den Angeklagten während der Vernehmung des Opfers abtreten lassen, und man kann in der Hauptverhandlung auch eine besonders schonende Vernehmung in einem abgetrennten Raum durchführen.

Ich halte das für ganz entscheidend: Der Richter soll sich grundsätzlich in der Hauptverhandlung persönlich ein Bild von der Betroffenheit des Opfers machen können, sonst kann es auch keine angemessene strafrechtliche Reaktion geben, die ja wiederum immer von Opferschutzverbänden verlangt wird. Es ist das Video ein schlechteres Beweismittel als der persönliche Eindruck von jenem traumatischen Geschehen, das das Opfer erlebt hat. Wir halten es für besonders wichtig, dass das in der Hauptverhandlung grundsätzlich möglich sein soll, und glauben, dass die besonderen Belastungen des Opfers durch einerseits juristische Prozessbegleitung, das heißt durch eine professionelle Vertretung durch einen Anwalt, andererseits psycho-soziale Prozessbegleitung in ausreichendem Maße gewährleistet werden kann.

Die Prozessbegleitung ist an eine gewisse Voraussetzung gebunden, eben wenn sie erforderlich ist. Diese ist aber notwendig, weil die Definition der besonders belasteten Opfer sehr weit gefasst ist. Es reicht schon grundsätzlich nach der Definition aus: Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt. Da würde bereits eine Straftat nach § 83 bzw. § 107 StGB ausreichen, um diesen Anspruch auf Prozessbegleitung effektiv zu machen. Deswegen bedarf es im § 66 Abs. 2 einer besonderen Anspruchsvoraussetzung.

Opfer, die sich autonom, wenn auch nach Beratung, dazu entscheiden, sich aktiv am Verfahren beteiligen zu wollen und einen Anspruch auf Entschädigung geltend machen, sollen die Stellung als Privatbeteiligte erlangen, die ihnen besondere Gestaltungs- und Mitwirkungsrechte – wie das Recht auf Aufnahme von Beweisen – gewährleistet.

Diesem besonderen Kreis von Opfern soll auch ein kostenloser Rechtsbeistand beigestellt werden können, wenn sie selbst nicht in der Lage sind, die Kosten für diesen Rechtsbeistand zu tragen und wenn ein solcher Rechtsbeistand erforderlich ist, um die Rechte des Opfers sicherzustellen und einen nachfolgenden Zivilprozess zu vermeiden.

Das ist eine flexiblere Formulierung, als sie noch im letzten Entwurf des Abänderungsantrages enthalten war. Es wird nicht mehr auf die Höhe des geltend gemachten Schadenersatzbetrages abgestellt. Damit wird Anregungen von Staatsanwalt Mag. Geyer und anderen gefolgt, die gemeint haben, hier müsse eine flexiblere, auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Opfers abstellende Formulierung gewählt werden.

Liegen weder die Voraussetzungen für Prozessbegleitung noch jene für Verfahrenshilfe vor, kann und soll sich das Opfer – das hat Frau Mag. Weissenbacher bereits erwähnt – natürlich einen frei gewählten Vertreter wählen können. Dafür würden sich auch Opferschutzeinrichtungen anbieten, die mit dem Bundesministerium für Justiz keinen Vertrag über die Prozessbegleitung abschließen, aber etwa als Interventionsstellen im Rahmen des Sicherheitspolizeigesetzes, Wegweisung und Rückkehrverbot, tätig sind; deswegen auch im § 73 der Verweis auf eine nach § 25 Abs. 3 anerkannte Opferschutzeinrichtung.

Da kritisiert worden ist, dass wir vom Vorschlag der Nichtigkeitsbeschwerde im Falle eines Freispruchs wieder abgegangen sind, möchte ich wiederum auf die Konzeption des gesamten Strafprozessreformgesetzes abstellen. Es betrifft den Verfahrensabschnitt bis zur Anklage. Es wäre sehr schwierig und mit tief greifenden Eingriffen in das Rechtsmittelsystem verbunden, eine Nichtigkeitsbeschwerde des Opfers im Falle eines Freispruchs einzuführen. Man müsste dabei insbesondere auch die Voraussetzungen der Rügepflicht des Staatsanwaltes bei Beweisanträgen überdenken, denen durch das Gericht nicht stattgegeben wird. Dieser schwerwiegende Eingriff in das Rechtsmittelsystem der StPO bedarf, so glaube ich, noch einmal gründlicher Überlegung. Es ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass uns vier Jahre der Legisvakanz Zeit bleiben. Wir müssen noch umfangreiche Änderungen im Bereich des Haupt- und Rechtsmittelverfahrens zur Anpassung an die vorliegende Reform vornehmen. Da wird wieder Gelegenheit sein, dieses Problem zu diskutieren. Im Moment wäre es ohnedies nur eine Ankündigung ohne Inhalt gewesen; deswegen die Entscheidung, vorläufig wieder davon abzugehen.

Wir haben noch die besondere Betonung des Wiedergutmachungsaspekts in den Bestimmungen über die Diversion hervorgehoben. Und es wird auch im Bereich der Anwendung gelinderer Mittel die besondere Situation – hier wiederum von Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind – betont. Es soll nunmehr ausdrücklich das Gericht auch jene Maßnahmen ergreifen können, die die Polizeibehörden sonst nach dem Sicherheitspolizeigesetz anordnen können, also Betretungs- und Rückkehrverbot. Dadurch soll das Gericht im Fall eines Verstoßes gegen diese beiden Anordnungen wieder die Untersuchungshaft verhängen können – und wird dadurch auch mehr in die Pflicht genommen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Ich habe jetzt eine lange Liste von so gut wie allen Experten, die sich wieder zu Wort gemeldet haben. Zuerst sollen all jene reden, die zu den Opferrechten konkrete Abänderungswünsche bezüglich des vorliegenden Abänderungsantrages haben.

Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Ich möchte sagen, dass ich nicht nur meine eigene Meinung wiedergebe, sondern auch jene der wesentlichen Opferschutzorganisationen. Wir haben uns abgesprochen, nicht nur der Weiße Ring, sondern auch die neun Interventionsstellen, der Verein autonomer österreichischer Frauenhäuser, die neun Kinder- und Jugendanwaltschaften und das Kinderschutz-Zentrum – um nur die wichtigsten zu nennen.

Wir alle sind der Meinung, dass eine wesentliche Weichenstellung vorgenommen wird, dass erstmalig in Österreich – wir haben da sehr großen Nachholbedarf, wenn ich jetzt nur die Schweiz oder Deutschland erwähne; von den Niederlanden gar nicht zu reden – in diesem Bereich etwas geschieht. Das muss allerdings noch ausgebaut werden, weil es noch zu wenig ist.

Wir haben uns erlaubt, uns auf einige konkrete Abänderungsvorschläge zu konzentrieren, die – mit einer Ausnahme – keinen Cent kosten. Zum Teil sind die Abänderungsvorschläge nichts anderes als die Rückführung auf den vorhergehenden Text beziehungsweise auf die Regierungsvorlage.

Erstens: In § 66 Abs. 1 Z 4 war ursprünglich vorgesehen, dass der Privatbeteiligte die Anklageschrift bekommen soll. Das ist jetzt nicht mehr enthalten. – Ich sehe das nicht ein: Wie soll sich der Privatbeteiligte auf die Verhandlung vorbereiten, allenfalls Beweisanträge stellen, wenn er die Anklageschrift nicht bekommt? – Das war enthalten, ist jetzt eliminiert worden. Es würde also genügen, im § 66 Abs. 1 Z 4 wieder den Verweis auf § 213 Abs. 1 aufzunehmen, wie es ursprünglich auch vorgesehen war.

Das Zweite, das ursprünglich im Text war, war, dass das Opfer ganz allgemein das Recht hat, sich am Verfahren zu beteiligen. Dann wurden Details aufgeführt. – Diese grundsätzliche Bestimmung ist jetzt weggefallen; ich weiß nicht warum. Es wäre doch sinnvoll, das, was sich durch die bisherigen Entwürfe durchgezogen hat, wieder aufzunehmen.

Drittens: Wir begrüßen sehr, dass – Anregungen folgend – die 4 000 €-Grenze bei der Verfahrenshilfe eliminiert wurde. Auch die Abgrenzung ist an sich durchaus juristisch vernünftig, das Ganze hat jedoch einen Haken, wie wir einer Stellungnahme entnommen haben: Es steht jetzt drinnen, dass das Opfer kostenlose Verfahrenshilfe dann bekommt, wenn dieses mittellos ist und wenn es zur zweckentsprechenden Durchsetzung der Ansprüche des Opfers zur Vermeidung folgender Zivilprozesse erforderlich ist.

In einer Stellungnahme steht, das sei etwa nicht der Fall, wenn es sich um einen mittellosen Ausländer handelt. – Ich gebe zu bedenken, dass Exekutionstitel 30 Jahre lang wirken. Es kann durchaus sein, dass jemand momentan mittellos ist, aber in drei, vier Jahren sehr wohl entsprechende Mittel hat. Das kommt gerade im Bereich der sexuellen Gewalt immer wieder vor: Da gibt es Regressforderungen, wir, der Weiße Ring, führen Prozesse, die oft zehn Jahre nach der Tat stattfinden. Ich würde darum bitten, das allenfalls als kleinen Hinweis zu nehmen, dass die bloße Prognose im Hinblick auf die Einbringlichkeit nicht die Zweckmäßigkeit beeinträchtigt. – Wenn das nicht in dieser Stellungnahme gewesen wäre, hätten wir es nicht erwähnt.

Der nächste Punkt ist, dass im § 70 Abs. 1 letzter Satz, der gegenüber dem letzten Entwurf ebenfalls geändert wurde, ursprünglich stand, dass das Opfer über seine Rechte generell zu informieren ist, jetzt aber nur über das Recht der Prozessbegleitung. – Das ist ganz wichtig. Man möge also im § 70 Abs. 1 einfach den Satz so wiederherstellen, wie er im letzten Entwurf enthalten war.

Das Nächste ist § 73 letzter Satz. Da verweise ich auf Burgstaller, der das auch unterstützt, dass man nämlich vorsieht, dass auch eine geeignete Person ... (Oberstaatsanwalt Mag. Pilnacek: Ist drinnen!) – In § 73? Okay, das nehme ich zurück. (Oberstaatsanwalt Mag. Pilnacek: 70 ist auch drinnen!)

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Wo wäre dabei der Punkt der Einbringlichkeit zu regeln?

Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Das wäre in § 67 Abs. 7 zu regeln. Dort steht jetzt der Satz mit der Zweckentsprechung, dass man einen Vermerk macht, dass die Frage der momentanen Abschätzung der Einbringlichkeit nicht unbedingt zweckentfremdend sein kann. Warum soll der Täter, der momentan nicht liquid ist, später nicht zahlen müssen? – Nehmen wir Folgendes an: Jemand, der in der Ausbildung ist – es gibt ja immer wieder auch jugendliche Täter, die Gewalttaten begehen –, der aber in Zukunft vielleicht sehr viel Geld oder zumindest so viel Geld haben wird, um dem Opfer einen Teil refundieren zu können, soll das auch tun. (Obfrau Dr. Fekter: Es steht von der Einbringlichkeit nichts da!)

Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Mir hat der Text in der Stellungnahme Geyer zuerst sehr gut gefallen. (Bundesminister Dr. Böhmdorfer: Noch einmal erklären!)

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Sektion II): Die Einbringlichkeit hat überhaupt nichts im § 67 Abs. 7 bei den Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe zu suchen.

Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Wenn die Richter das so auslegen, muss ich sagen: Ich beschäftige mich noch sehr intensiv mit der Judikatur. Und: Ich würde mir einen Vermerk über die Frage der Einbringlichkeit und der Zweckmäßigkeit wünschen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Das können wir unter Umständen in einer Ausschussbemerkung feststellen.

Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Als Richter, der lange mit Strafsachen zu tun hatte, war ich darüber überrascht, welch starken emotionalen Belastungen Opfer ausgesetzt sind, und zwar auch Opfer, die nicht unmittelbarer Gewalt ausgesetzt sind.

Ich möchte vor allem auf die Gruppe der älteren allein stehenden Menschen hinweisen. Diese haben derzeit keine Lobby in Österreich. Es gibt für Sexualopfer, für Opfer von Gewalt in der Familie eine Menge – Gott sei Dank, aber immer noch zu wenig – an Unterstützung, aber es gibt keine Lobby für ältere Leute. Alte Leute, die Opfer von Einschleichdiebstählen, von Einbruchdiebstählen geworden sind, haben große Ängste. Sie sitzen bei uns, wir müssen sie stundenlang beraten und ihnen helfen. Warum sollen sie keine Prozessbegleitung bekommen? – Wenn nichts geschieht, werden wir es weiter machen müssen – gratis! –, aber der Gesetzgeber sollte es tun.

Das Zweite, das offenbar nur ein Versehen ist, ist Folgendes: Es wird sehr stark getrennt zwischen juristischer und psycho-sozialer Prozessbegleitung. Wenn man den Gesetzestext liest, könnte man meinen, die juristische muss ein Rechtsanwalt extra machen und die psycho-soziale jemand anderer. Ein bloßer Verweis auf § 73, dass das auch andere juristisch Geschulte machen sollen, würde genügen.

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Sektion II): Mit der Prozessbegleitung hat der Bundesminister für Justiz eine geeignete Einrichtung zu beauftragen. Die Einrichtung hat dafür zu sorgen, dass ein Anwalt im Sinne des bisherigen Modells beigezogen wird. – Bitte nicht alles misszuverstehen!

Präsident HonProf. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring): Mir würde auch genügen, wenn das in den Ausschussbericht für die spätere Interpretation hineinkäme.

Zur Frage der Nichtigkeitsbeschwerde: Ich weiß, dass das ein Systembruch ist, aber wir sind dauernd mit Gesetzesbestimmungen konfrontiert, die nicht eingehalten werden. Das Wesen einer Nichtigkeitsbeschwerde ist einfach, die Organe – inklusive Richter – dazu zu zwingen, sich an die Prozessordnung zu halten. Wenn gescheiteren Leuten etwas anderes einfällt, um sicherzustellen, dass mit dem Antragsrecht auch dem Antrag entsprochen wird, so ist das in Ordnung. Aber was ist, wenn der Privatbeteiligte einen Antrag stellt, der Richter jedoch nicht einmal darauf reagiert?!

Wir haben zig Fälle – wir können das belegen; ich möchte jetzt keine Richterschelte machen, weil sie unangenehm ist –, in denen sich Richter nicht an die zwingende Bestimmung hielten, wonach über Antrag eine abgesonderte Vernehmung in den Fällen durchzuführen ist, wobei Menschen in ihrer Sexualsphäre verletzt wurden. Kollegin Weissenbacher hat gerade zwei Fälle genannt. Man hat da keine Möglichkeit; man kann sich derzeit nur an den Präsidenten wenden und eine Aufsichtsbeschwerde einbringen. – Wir brauchen ein echtes Mittel, um die Opferrechte durchzusetzen; das war ja einmal vorgesehen.

Ich war froh, den Äußerungen des Kollegen Pilnacek zu entnehmen, dass man noch darüber reden kann. Vielleicht gibt es so etwas wie eine wirksame Verfahrensrüge, wie sie im Zivilprozess besteht. Im Zivilprozess differenzieren wir zwischen Nichtigkeiten und Verfahrensrüge. Es wäre zu überlegen, systematisch auch im Strafprozess eine Verfahrensrüge – aber eine wirksame! – einzuführen.

Das Letzte ist das vielleicht Allerwichtigste – es wurde auch schon erwähnt –: Das ist die kontradiktorische, abgesonderte Einvernahme, wogegen Kollege Pilnacek gerade Argumente vorgebracht hat. (Oberstaatsanwalt Mag. Pilnacek: Gegen die verpflichtende!) – Kommen Sie zu uns, wann Sie wollen! Bei uns sitzen permanent alte Leute, die zittern und beben, zum Beispiel eine Frau, die überfallen und der die Handtasche geraubt worden ist. Diese muss dann in Gegenwart – und wenn sie noch so begleitet ist – des Räubers sitzen und aussagen. Warum? – Wenn jemand in seiner Sexualsphäre berührt ist, dann hat man das Recht, im Nebenraum zu sein und mittels Video auszusagen. – Das sollte in diesem Fall auch möglich sein, zumindest für Gewaltopfer.

In der Großstadt Wien gab es allein im Vorjahr viele Tausende Opfer von Handtaschen-Raubüberfällen. Alte Leute sind momentan eine beliebte Opfergruppe. – Auch die Prozessbegleitung allein genügt nicht, denn die bloße physische Anwesenheit des Täters ruft beim Opfer Ängste hervor. Ich bitte also ganz eindringlich darum, doch noch zu überlegen, ob wir nicht diesen Gewaltopfern auch die Möglichkeit geben, über Antrag wie bei den Sexualopfern eine schonende Einvernahme zu ermöglichen.

o.Univ.-Prof. Dr. Christian Bertel (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Institut für Strafrecht und sonstige Kriminalwissenschaften,): Ich habe natürlich nichts gegen mehr Opferrechte im Strafverfahren, nur glaube ich: Wer mehr Rechte haben will, der sollte auch mehr Pflichten übernehmen. Es gehört in die Strafprozessordnung eine Bestimmung hinein, dass das Opfer und insbesondere sein Vertreter verpflichtet sein sollen, alles zu unterlassen, was dem Fairnessgebot des § 6 und der Unschuldsvermutung zuwider läuft. Das gelte insbesondere für unsachliche und unfaire Fragen bei kontradiktorischen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung. Das Gesetz müsste es darüber hinaus dem Richter zur Pflicht machen, unsachliche und unfaire Auslassungen des Opfers und seines Verteidigers zurückzuweisen.

Dr. Wolfgang Aistleitner (Senatspräsident des Oberlandesgerichts Linz, Vizepräsident der Vereinigung der österreichischen Richter): Ganz konkret zu den Opferrechten – ich habe damit noch nicht mein weiteres Rederecht, was die Ermittlungszuständigkeiten anlangt, konsumiert –: § 67 Abs. 6 Z 3 räumt den Privatbeteiligten ein Beschwerderecht gegen gerichtliche Einstellungsbeschlüsse ein. Wenn man – wozu ich mich noch äußern werde – die Eliminierung der Nichtigkeitsbeschwerde, die da in der Disposition des Privatbeteiligten liegen soll, ernst nimmt, dann wäre es nur konsequent, ihm auch kein Beschwerderecht gegen die gerichtliche Einstellung einzuräumen.

Im Übrigen rührt diese Rechtsmittelmöglichkeit der Beschwerde etwas an dem Anklagegrundsatz, sie könnte sich nämlich als verdeckte Klagserzwingung entpuppen. Nehmen wir den Fall an – und vor allem da wird es dann aktuell –, dass der Staatsanwalt die gerichtlich angeordnete Einstellung akzeptieren, der Privatbeteiligte aber Beschwerde erheben würde, dann käme das eigentlich einer Klagserzwingung zum Nachteil des Staatsanwaltes gleich. – Das lehnen wir aus guten Gründen auch im Fortführungsmodell ab.

Zur Bestimmung des § 66 Absatz 1 Ziffer 4 des Entwurfs, der Privatbeteiligte sollte doch auch eine Ausfertigung der Anklageschrift zugestellt erhalten: Das kann zu einem enormen, möglicherweise im Einzelfall nicht mehr verhältnismäßigen Aufwand führen. Denken wir an einen einzigen Einbrecher mit einer Serie von Taten, mit ebenso vielen, wenn nicht mehr Privatbeteiligten – an einem Faktum können mehrere Privatbeteiligte hängen –, wie zum Beispiel die Versicherung und der einzelne Geschädigte! Es kann sein, dass dann an die hundert Ausfertigungen von Anklageschriften bei an sich einfachen Fällen herzustellen sind. Dessen müssen wir uns bewusst sein, dass wir diesen Mehraufwand eingehen, denn der kann enorm sein, und zwar nicht nur vom Material her, sondern auch was den Personaleinsatz bei Gericht betrifft.

Nun zur Frage der Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten des Privatbeteiligten: Ich glaube, man kann sie mit guten Grund weglassen. Vergessen wir zudem auch nicht, dass mit dieser Rechtsmittelmöglichkeit der Privatbeteiligte auch ein enormes Kostenrisiko eingeht, denn es könnte doch nur so sein, dass im Fall einer erfolglosen Nichtigkeitsbeschwerde – und die Erfahrung lehrt, dass das in der Mehrzahl der Fälle in diese Richtung gehen könnte –, wenn nicht einmal der Staatsanwalt ein Rechtsmittel erhebt, der Privatbeteiligte dann kostenpflichtig wird.

Abschließend eine freudige Bestätigung: Richtigerweise wurde im Rahmen des Diversionsregelwerkes darauf Wert gelegt, dass zumindest bei stärkeren Formen der Diversion, nämlich bei den gemeinnützigen Leistungen und bei der Geldbuße, die Schadenswiedergutmachung die Regel sein soll und nur in Ausnahmefällen davon abgesehen werden kann, es aber trotzdem dann zu einer Diversion kommen kann. Das halte ich für sehr vernünftig.

*****

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Ich möchte alle Ausschussmitglieder davon in Kenntnis setzen, dass heute um 11.30 Uhr eine Pressekonferenz der Herren Jarolim, Maier, Bertel stattfindet – möchte dazu Fogendes sagen: Es ist eine ungeheuerliche Missachtung der Arbeit des Ausschusses, wenn man während der Ausschusstätigkeit Pressekonferenzen anberaumt!

Das Thema dieser Pressekonferenz lautet: „Böhmdorfer und Fekter unterwerfen die Justiz Polizeiminister Strasser – Rechtsstaat durch StPO-‚Reform’ in Bedrägnis“.

Jetzt ist auch der Antrag des Kollegen Jarolim zur Geschäftsordnung, mit dem er den Unterausschuss vertagen wollte, verständlich. (Abg. Dr. Jarolim: Dazu muss man nichts mehr sagen!)

Das ist doch eine ungeheuerliche Missachtung der Experten, die hier sind! (Abg. Dr. Jarolim: Zur Missachtung würde ich an Ihrer Stelle überhaupt nichts sagen!) – Es ist diesen Kollegen ein mediales Spektakel wahrscheinlich mehr wert als die Beratungen hier im Ausschuss!

*****

Leitender Staatsanwalt HonProf. Dr. Heimo Lambauer (Oberstaatsanwaltschaft Graz): Ich möchte drei Punkte anführen, wovon nur einer mehr die Opferrechte betrifft. Der Erste wäre – und dieser gehört am ehesten zum Opferrecht – der „ominöse“ Antrag auf Fortführung des Verfahrens nach § 195f StGB.

Ich bin noch immer der Ansicht, dass da eigentlich letztlich die Möglichkeit vorgesehen ist, den Staatsanwalt durch das Gericht zur Anklage zu zwingen oder zwingen zu können, und zwar dann, wenn es nichts mehr zu ermitteln gibt oder wenn der Antrag auf Fortführung des Verfahrens gestellt wird und erfolgreich ist und es nur um eine reine Rechtsfrage geht. Dass das verfassungswidrig ist, hat selbst Öhlinger anklingen lassen. Es ist auch dann verfassungswidrig, wenn man den Anklageprozess nur auf den formalen Grundsatz zurückführt „Wo kein Kläger, da kein Richter“.

Wenn jedoch, was von den Legisten gesagt wird, nicht beabsichtigt ist, dass man den Staatsanwalt zur Anklageerhebung zwingen kann, dann bin auch ich der Meinung: In diesem Fall wären die verfassungsrechtlichen Bedenken sicher geringer. Allerdings würden dann die Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Anklagetätigkeit durch das Opfer und der Opferschutz gegenüber der geltenden Rechtslage nicht nur nicht vermehrt, sondern im Hinblick auf die derzeit bestehende Möglichkeit des Subsidiarantragsrechtes im Vorfahren sogar wesentlich eingeschränkt sein, denn mit der bloßen Fortführung ist für das Opfer weit weniger gewonnen als mit der derzeitig bestehenden Möglichkeit, subsidiär im Vorverfahren selbst die Verfolgung mit gerichtlicher Bewilligung durchführen zu können.

Weiters interessiert mich besonders, was die Verbeugung vor der von manchen erhobenen rechtspolitischen Forderung anlangt, nur ja nicht den Untersuchungsrichter von den Ermittlungen im Vorverfahren allzusehr auszuschalten. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage in Bezug auf § 101 Abs. 2 des Entwurfes in der letzten Fassung: Was ist dann, wenn es sich um ein Verfahren wegen besonderen öffentlichen Interesses handelt und der Staatsanwalt gerichtliche Beweisaufnahmen zu beantragen hat: Sind da bestimmte Beweisanträge zu stellen – das Gericht wird sich daran halten können und müssen, das Gericht wird aber auch weitere Beweise aufnehmen können; das ergibt sich aus § 104 des Entwurfes –, oder gibt der Staatsanwalt damit das gesamte Vorverfahren aus der Hand und wird dann eigentlich vom Gericht eine Art Voruntersuchung geführt? Wenn das aber nicht der Fall sein sollte, so ist die auch von der Vereinigung der Staatsanwälte aufgezeigte Doppelgleisigkeit tatsächlich zu befürchten. Wird dann durch das Gericht ermittelt – wahrscheinlich zum Großteil auch über die Kriminalpolizei; das würde in der Praxis gar nicht anders möglich sein –, und kann gleichzeitig auch die Staatsanwaltschaft über die Kriminalpolizei ermitteln? – Also diese Doppelgleisigkeit ist prozessual gesehen sicherlich ein Problem und kann durchaus auch ein Dilemma werden.

Dazu kommt auch noch das Problem – das wurde auch von der Vereinigung der Staatsanwälte aufgezeigt –: Was ist, wenn in diesem Fall dann der Antrag auf Einstellung des Verfahrens kommen sollte?

Dritter Punkt: die von mir vorgeschlagene und teilweise aufgenommene Frist für den Fall, dass eine Einstellung des Verfahrens gegen den Willen des Staatsanwaltes begehrt wird, und zwar durch eine Entscheidung des Gerichtes.

Wenn es sich um eine Einstellung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt, dann ist es meines Erachtens doch wohl selbstverständlich, dass eine Frist vorgesehen ist. Das ist auch in Deutschland so. Dort ist auch beabsichtigt, eine ähnliche Einstellung durch das Gericht zu ermöglichen, und dort wird von einer Frist von einem Jahr gesprochen. – Also ohne Mindestfrist, wenn man zur Einstellung wegen überlanger Verfahrensdauer kommen will, wird es gar nicht möglich sein.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Wir haben dankenswerterweise auch schriftlich Ihre Wünsche bekommen und sie weitgehend berücksichtigt.

RA Dr. Elisabeth Rech (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Ich spreche jetzt zu den Opferrechten und beziehe mich dabei auf § 173, der nun eine für die Rechtsanwaltschaft doch sehr überraschende Änderung beinhaltet, und zwar den Zusatz, dass die Vertretungen von Privatbeteiligten, Haftungsbeteiligten, Opfern, Privatanklägern und Subsidiaranklägern nunmehr auch von „anderen geeigneten Personen“ durchgeführt werden können.

Wir haben eigentlich die ganze Zeit darauf Wert gelegt – und ich glaube, das war auch ein wesentliches Ziel dieser Reform –, dass man die Rechte des Beschuldigten insofern stützt, dass man ihm professionelle rechtliche Hilfe zur Seite stellt, nämlich mit dem Ziel, dass er in diesem Verfahren, bereits im Strafverfahren also, einen Privatbeteiligtenzuspruch erhält und nicht mehr in das Zivilverfahren weiter ausweichen soll. Es war eigentlich bis jetzt immer klar, dass wir uns dadurch wesentliche Kosten ersparen und dem Opfer wesentliche Pein. Nur: Wenn wir jetzt wieder dazu übergehen, dass wir sonstigen Personen die Vertretungsmöglichkeit von Privatbeteiligten und ähnlichen Personen eröffnen, dann können wir genau dieses Ziel nicht erreichen, denn was wird denn eigentlich unter einer „sonstigen geeigneten Person“ verstanden? Ich sehe da keine nähere Formulierung, die uns sagt, was sich der Gesetzgeber bei dieser Person denken würde, und wir eröffnen da wirklich Tür und Tor für Winkelschreiber und sonstige Personen, die uns sicherlich im Strafverfahren keine Hilfe sein werden, nämlich bei dem Ziel, das man sich eigentlich gesetzt hat.

Was die Opferschutzeinrichtung betrifft, möchte ich darauf hinweisen, dass es in diesem Zusammenhang immer das Ziel war, dass ein Rechtsanwalt die rechtliche Begleitung übernimmt – und die psycho-sozialen Opferschutzeinrichtungen die psycho-soziale Hilfe. Ich denke, wir sollten da klar eine Trennung machen: Was ist das Können jeder Berufsgruppe? – und darauf auch weiterhin Wert legen.

Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer (Rechtsanwalt, Wien): Ganz kurz zu den Opferrechten, wobei ich mich den Ausführungen der Kollegin Rech vollinhaltlich anschließe und diese nur in zwei Punkten ergänzen möchte. Die Strafprozessordnung ist kein Opferschutzgesetz! Wenn man sich die Ausgestaltung der Opferschutzrechte ansieht, ist man versucht, das zu glauben. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich gegen viele der Verbesserungen überhaupt keinen Einwand habe, ich möchte aber die Gesamttendenz ansprechen: Man kann die Strafprozessordnung nicht so regeln, dass man der Polizei viel stärkere Waffen an die Hand gibt, dass man die Stellung des Staatsanwaltes massiv ausbaut und dass man auch die Stellung der Geschädigten massiv ausbaut, dass man aber auf der anderen Seite die Stellung der Verteidigung beschneidet beziehungsweise auf ein Minimum reduziert. – Die Gesamtbalance in diesem Entwurf stimmt überhaupt nicht mehr.

Wenn man als Schreckgespenst in den Raum gestellt hat, dass es Verteidiger sein könnten, die Verfahren torpedieren, dann meine ich, dass genau die Einführung der „sonstigen geeigneten Personen“ beim Opferschutz auf der Opferseite vielleicht künftig diese Rolle übernehmen wird. Wenn man das Tor so weit aufmacht, dass man sozusagen Opfervertretungen völlig frei gibt, dann darf man sich künftig nicht wundern, wenn von dieser Seite massive Torpedierungen, die den Verfahrensablauf betreffen, kommen werden. – Ich meine daher, dass das grundlegend zu überdenken ist. Die Gesamtbalance stimmt überhaupt nicht mehr, und es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, die Vertretung auf der Opferseite so freizugeben.

o. Univ.-Prof. Dr. Helmut Fuchs (Universität Wien; Institut für Strafrecht und Kriminologie): Zur Opferproblematik: Ich halte es für dringend notwendig, für das Opfer etwas zu tun, insbesondere was Beteiligung und Information betrifft. Wenn man hört, dass das Opfer von einer Beendigung des Verfahrens erst im Nachhinein erfährt, ohne irgendwie daran beteiligt gewesen zu sein, dann muss ich sagen: Das ist natürlich gar nicht zu begrüßen! Diesbezüglich ist in dem Entwurf sehr viel geschehen, insbesondere auch durch das, was auf Grund der Anregungen von Professor Burgstaller noch hineingekommen ist, und zwar betreffend die Diversion.

Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass es verschiedene Arten von Opfern gibt – und nicht nur diesen Typus, der hier bisher beschrieben wurde. Dieser Tage geht in Salzburg der Kaprun-Prozess zu Ende, und da gibt es sehr viele Opfer. Wenn man die Definition des Gesetzes hernimmt, so kann man sagen: Das sind Hunderte. Da stellt sich die Frage: Sind das Opfer einer Katastrophe geworden, oder sind das Opfer einer Straftat geworden? Das hat das Gericht zu klären, und das ist eine sehr schwierige Frage.

Auch in solchen Verfahren hat der Beschuldigte das Recht auf ein faires, möglichst emotionsfrei geführtes Verfahren. Wenn Sie jetzt etwa an den Auftritt des amerikanischen Anwalts Ed Fagan in diesem Prozess denken, dann brauche ich nicht zu sagen, welche Möglichkeiten ein solcher Anwalt hätte, wenn er Antragsrechte im Prozess hätte, wenn es die Möglichkeit einer Nichtigkeitsbeschwerde und so weiter gäbe. – Ich meine, man sollte daher sehr vorsichtig sein, um es dem Richter nicht zu schwer zu machen, ein entsprechendes Verfahren über das zu führen, worum es im Strafprozess geht, nämlich darum, ob eine Straftat vorliegt. – Da hält sich der Entwurf im Wesentlichen im Rahmen.

In der Frage des Klagserzwingungsverfahrens, das ich übrigens generell nicht für richtig halte, geht der Entwurf darüber hinaus. Man sollte aber sicher nicht die Rechte des Opfers etwa im Bereich der Nichtigkeitsbeschwerde festlegen und ausdehnen.

Letzter Punkt: Die Balance ist, finde ich, insbesondere durch die Abänderungsanträge der letzten Zeit wirklich aus dem Gleichgewicht geraten, und zwar auch, was die Einschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten betrifft, was die Rechtsmittelmöglichkeiten und die Rechtsstellung des Beschuldigten betrifft. – Das bitte ich noch einmal grundlegend zu überlegen. Man sollte in einigen Punkten zur Version der Regierungsvorlage zurückkehren, die auf einem wohl ausgewogenen und überlegten System beruht.

Staatsanwalt Mag. Walter Geyer (Staatsanwaltschaft Wien): Ich will nur eine ganz kurze Bemerkung zu dem machen, was Professor Jesionek vorhin gemeint hat, und auch darauf hinweisen, dass wir, wenn wir von Opfern sprechen, immer bedenken müssen, dass es ganz verschiedene Arten von Opfern gibt. Diejenigen Opfer, die Professor Jesionek und auch Frau Mag. Weissenbacher meinen, sind nur ein Teil; es ist aber zahlenmäßig nicht der größte Teil. Das sind diejenigen Opfer, die sozusagen persönlich mit ihrem Täter konfrontiert worden sind, die Angst vor dem Täter haben und die sich in fast allen Punkten in den Forderungen von Professor Jesionek finden; nicht in allen.

Der große Teil der Opfer sind allerdings jene von Vermögensdelikten, ohne persönliche Beziehung zum Täter. Das sind genau die Opfer, von denen Kollege Aistleitner vorhin gesprochen hat. Wenn ein Einbrecher 30, 40 Einbrüche begeht, dann gibt es eben 30, 40 Opfer. – Da stellt sich die Frage, ob man wirklich alle Regelungen gleich für alle Arten von Opfern vorsehen kann.

Wenn auch die Rechtsbetreuung des Opfers, etwa einer vergewaltigten Frau, durch einen Rechtsanwalt sinnvoll ist, dann muss das nicht gleich sinnvoll sein bei 30 Einbruchsdiebstählen, die ein Moldawier, der hier in Österreich kein Aufenthaltsrecht hat – und das habe ich in meiner Stellungnahme gemeint –, begeht, da dieser nach dem Verfahren sofort abgeschoben wird. Wenn man für diese 30 Opfer auch jeweils einen Rechtsanwalt bestellt, im Wissen, der Täter wird nach der Verurteilung abgeschoben, die Opfer werden von dem nie einen Groschen bekommen, dann halte ich das für problematisch. Ich denke mir, das Opfer fühlt sich gefrotzelt, wenn es sieht, wie der Staat Geld aufwendet, aber nicht, damit es etwas bekommt. Ich darf daran erinnern, dass derzeit sogar Überlegungen angestellt werden, wie man ausländische Straftäter möglichst rasch wieder in ihr Heimatland zurückbringt. Das widerspricht dem im Grunde genommen.

Das heißt: Meine Botschaft in diesem Punkt ist, dass man sich bei allen Regelungen, was die Opferrechte betrifft, überlegt, für welche Arten von Opfern – und möglicherweise auch differenziert. Das, was für die vergewaltigte Frau notwendig sein kann, ist für das Opfer eines „normalen“ Einbruchsdiebstahles, eines Massendeliktes nicht notwendig.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Ich bin bis jetzt immer davon ausgegangen – ich spreche jetzt als Politikerin –, dass sich die ganze Diskussion um die Stärkung der Opferrechte natürlich in erster Linie auf Opfer von Gewalt, also physischer Gewalt, bezieht. Da bin ich ja, glaube ich, auch ganz bei Frau Mag. Weissenbacher und Professor Jesionek, die in den Opferschutzeinrichtungen allerdings, wie ich weiß, nicht nur Opfer physischer Gewaltanwendung vertreten, sondern auch Opfer, wo es keine direkte Konfrontation zwischen Täter und Opfer gab, etwa bei Einbruchsdiebstählen oder Ähnlichem.

Ich versuche jetzt, sozusagen einen Schluss aus dem Gesagten zu ziehen, und frage: Was ist jetzt am Abänderungsantrag – Stand: voriger Freitag – noch verbesserungsfähig oder -würdig?

Mir ist nicht einsichtig, warum man ursprünglich eine Nichtigkeitsbeschwerde für die Opfer vorgesehen hat. Ich bin nämlich immer davon ausgegangen, dass das vor allem für den Fall gilt, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, denn das stelle ich mir psychisch besonders belastend oder tragisch vor. Obwohl es im Verfahren Beweisanträge gegeben hätte und sich das Opfer bemüht, seine Position darzustellen, endet das Verfahren mit einem Freispruch. Somit ist jetzt von Seite des Gewaltopfers – ich denke bei diesen ganzen Fragen immer an das Gewaltopfer – das Verfahren zu Ende. Ich meine, das Justizministerium muss ja irgendeinen Grund dafür gehabt haben, dass in den ursprünglichen Vorschlägen diese Nichtigkeitsbeschwerde enthalten war.

Jene Argumente, die Mag. Pilnacek heute dafür vorgetragen hat, warum man wieder davon abgegangen ist, waren für mich nicht Erklärung genug, wiewohl ich diese Systemfrage auch sehe. Es wird ja im Zusammenhang mit der StPO sehr viel von Opferrechten gesprochen. Jetzt spreche ich als Politikerin, die diese StPO-Reform nach außen vertreten soll, und frage Sie offen: Wem schadet es, wenn man diese Nichtigkeitsbeschwerde, die auch Weissenbach und Jesionek so heftig eingefordert haben, wieder mitaufnimmt?

Nun zur kontradiktorischen Vernehmung von Gewaltopfern. Das hat Udo Jesionek meiner Ansicht nach schon richtig gesagt: Es geht dabei nicht nur um Opfer physischer Gewalt, wobei dies jetzt eingeschränkt ist auf unter 14-Jährige und Opfer von Sexualdelikten. Nicht nur Sexualdelikte sind etwas, was schwer traumatisierend für Opfer sein könnte, sondern auch physische Gewalt darüber hinaus.

Herr Mag. Pilnacek. kann man da nicht folgenden Weg finden, dass man sagt: Es ist ja nicht so, dass das prinzipiell sein muss, sondern es sollte diese Möglichkeit für den Fall geben, dass – wie Udo Jesionek das dargestellt hat – alte Frauen oder alte Männer allemal noch Wochen danach zittern ... (Mag. Pilnacek: Ist jetzt schon möglich!) Das habe ich ohnehin verstanden, wie du das erklärt hast. Aber um dem mehr Nachdruck zu verleihen, sollte das in der Praxis dann auch so passieren, denn das scheint ja das Problemfeld zu sein. Wie kommen die Opferschutzeinrichtungen dazu, das hier so vehement einzubringen, wenn in der Realität alles so super in Ordnung ist. – Es liegt mir nichts ferner, als in einem Justizausschuss Richter-Kritik oder Richter-Schelte zu betreiben. Ich bin ja nicht Expertin wie Sie alle, sondern nur Abgeordnete und will für alles, was passiert, eine Erklärung haben, denn die Leute fragen einen, warum man für oder gegen etwas bist.

Kann man in irgendeiner Form feststellen, dass das ein von Richtern gewünschtes Verhalten ist, dass sie diese Möglichkeit der kontradiktorischen Vernehmung auch zulassen? Denn offensichtlich liegt das daran.

Ein weiterer Punkt, der noch gar nicht angesprochen wurde: Ich habe schon sehr oft die Erfahrung gemacht, dass es bei Menschen – egal, ob es sich um Beschuldigte oder Opfer handelt – auf Grund der Tatsache, dass sie Ausländer sind oder nicht Deutsch können, eine völlig unterschiedliche Behandlung gibt, unterschiedliche Behandlung auch im Sinne von Chancengleichheit zwischen jenen, die sich ausdrücken können, und jenen, die sich nicht ausdrücken können. Der Gesetzgeber kann nicht wissentlich und willentlich zulassen, dass jemand, der ein Beschuldigter oder in weiterer Folge ein Angeklagter ist – in unserem Fall geht es jetzt um Beschuldigte oder auch um Opfer –, aus der Tatsache, nicht sprachkundig genug zu sein, einen Nachteil hat. Hier habe ich – da beziehe ich mich jetzt nur auf die Opfer, denn für diese gilt nämlich dieselbe Regelung wie für die Beschuldigten, wenn es um Übersetzungshilfe oder Ähnliches geht – nicht das Gefühl, dass der Gesetzgeber genügend Vorsorge trifft, dass es nicht zu einer – ganz drastisch gesprochen – Zwei-Klassen-Justiz auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse kommt.

Abgeordnete Bettina Stadlbauer (SPÖ): Ich möchte zuerst positiv anmerken, dass heute im Unterausschuss den Opferrechten doch sehr breiter Raum gegeben wird. Das letzte Mal habe ich ja kritisiert, dass sie zu kurz kamen.

Ich meine nach wie vor, dass diese Novelle zur Strafprozessordnung eine große Chance ist, Opferrechte auch wirklich zu installieren und auch wirklich alles umzusetzen, was von den Experten/Expertinnen, die in diesem Bereich tagtäglich arbeiten, auch immer wieder kommt.

Was ich auch positiv anmerken möchte, ist, dass es von Unterausschuss zu Unterausschuss zu doch sichtbaren Verbesserungen gekommen ist – obwohl es vorher immer geheißen hat, dass aus irgendeinem Grund etwas nicht umgesetzt werden kann. Dann hat es sich in der neuen Fassung aber doch gefunden. Ich gebe somit die Hoffnung nicht auf, auch wenn wir heute wieder gehört haben, dass einige Punkte aus irgendeinem Grund nicht umgesetzt werden können.

Ich möchte zu drei Punkten jetzt noch Stellung nehmen und dringend plädieren, diese noch zu berücksichtigen.

Der erste Punkt ist natürlich die Nichtigkeitsbeschwerde. Es war wirklich sehr positiv, dass sie bereits drinnen war. Dass sie jetzt wieder herausgefallen ist, sehe ich als sehr negativ und möchte dies einfach mit einem Satz begründen: Was nützen die besten festgeschriebenen Opferrechte, wenn sich dann niemand daran hält und wenn es keine Konsequenzen gibt!

Herr Mag. Pilnacek hat zu diesem Thema gemeint, man müsste sich das noch einmal gründlich überlegen. – Ich denke, in diesem Fall spricht alles dafür, dass wir den Unterausschuss noch einmal einberufen und heute nicht zu einem Beschluss kommen. Gerade diese fehlende Nichtigkeitsbeschwerde erweckt bei mir den Eindruck, dass nach dem Prinzip gehandelt wird: Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Ein bisschen geben wir schon hinein, aber Konsequenzen sollte dies dann nicht haben.

Zweiter Punkt: Die schonende Einvernahme für alle. Mag. Pilnacek hat hier gemeint, auf der einen Seite steht hier der persönliche Eindruck, den sich ein Richter/eine Richterin machen kann, was aber nur dann der Fall ist, wenn eben Täter und Opfer unmittelbar aufeinander treffen.

Für mich besteht aber auf der anderen Seite die Gefahr der Traumatisierung oder der nochmaligen Traumatisierung. Für mich ist schon wichtiger, dass man dem Opfer hilft, anstatt ihm den Tathergang noch einmal vor Augen zu führen. Es muss einfach andere Maßnahmen geben – auch wenn Sie sagen, es gibt schon andere Maßnahmen. Wenn sie nicht gesetzt werden, dann ist das eben ein anderes Paar Schuhe. Wenn das im Gesetz stünde, gäbe es die Möglichkeit, sich darauf zu berufen. Es kostet nichts, hilft aber den Betroffenen sehr.

Dritter Punkt: Prozessbegleitung. Es ist auch heute wieder sichtbar geworden, dass dieser sowohl – als auch ausgelegt wird. Auf der einen Seite ist von der Expertin der Opferschutzeinrichtungen, glaube ich, die Befürchtung geäußert worden, dass die Prozessbegleitung in eine juristische und in eine psycho-soziale getrennt wird, wobei Opferschutzeinrichtungen juristisch nicht begleiten können. Auf der anderen Seite hat Frau Dr. Rech gesagt, dass es das Ziel bei der Prozessbegleitung gewesen wäre, dass der juristische Teil den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zukommt, während der psycho-soziale Teil den Opferschutzeinrichtungen zukommt.

Ich meine, man muss auf jeden Fall klarstellen, was jetzt wirklich gemeint ist. Ich würde doch dafür plädieren, dass auch Opferschutzeinrichtungen sowohl – als auch machen können. Erstens Status quo, und zum Zweiten haben wir auch schon das Beispiel gerade aus dem ländlichen Bereich gehört, wo es nicht so schnell geht, dass man jemanden findet, der die juristische Begleitung macht. Ich denke, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das können; sie haben erstens eine juristische Ausbildung und sind tagtäglich auch damit konfrontiert.

RA Dr. Wolfgang Moringer (Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen): Drei Überlegungen zum hier angesprochenen Thema.

Das Erste: An welcher Kritik der gegenwärtigen Zustände knüpft die Opferrechtedebatte eigentlich an? Es ist nicht so, dass die Stellung des Opfers in der derzeitigen Strafprozessordnung derart schlecht wäre, dass diese umfassende und grundsätzliche Diskussion aus diesem Umfeld ableitbar wäre. Möglicherweise, nämlich auch im Hinblick auf das Beispiel mit der kontradiktorischen Einvernahme, gibt es Einzelfälle, wo dem Gedanken des Opferschutzes nicht immer gerecht wird. Das sind aber nach meinem Verständnis primär Fragen menschlicher und persönlicher Unzulänglichkeiten, aber nicht Fragen, die im diesbezüglichen Teil des Systems der Strafprozessordnung heute ihre Grundlage haben. Diese Unzulänglichkeiten können Unzulänglichkeiten des Richters, des Staatsanwaltes oder auch des Verteidigers sein.

Der zweite Gedanke: 99 Prozent der Delikte des Strafgesetzbuches sind Offizialdelikte – einen Gedanken wiederholend, den Herr Professor Fuchs schon ausgesprochen hat –, und die Strafverfolgung bei Offizialdelikten ist Sache des öffentlichen Anklägers, ist Strafverfolgungsanspruch des Staates, und dabei soll es nach meinem Verständnis auch bleiben. Dieser Strafverfolgungsanspruch des Staates soll unter keinen Umständen durch wesentlichen hier in der Diskussion anklingenden Ausbau der diesbezüglichen Rechte der Opfer zunichte gemacht werden.

Der dritte und letzte Punkt ist der Grundsatz der Fairness im Verfahren. Die Strafprozessordnung war vom Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens geprägt – und sollte dies auch bleiben. Wir müssen uns des Umstandes bewusst sein, dass eine weitergehende Verdrängung der Einvernahme von Zeugen in der Hauptverhandlung durch im Vorverfahren durchzuführende kontradiktorische Vernehmungen nicht das Ziel der Hauptverhandlung sein kann und darf. Das sind Ausnahmeregelungen, die unter engen Voraussetzungen Platz greifen und nicht uferlos ausgeweitet werden sollten, selbst wenn der Zeitgeist danach zu heischen scheint.

Erster Staatsanwalt Dr. Wolfgang Swoboda (Staatsanwaltschaft Eisenstadt): Zwei Punkte zu den Opferrechten.

Das eine: die schonende Einvernahme. In der Debatte über die schonende Einvernahme aller Gewaltopfer kommt ein Aspekt wirklich zu kurz. Das Abspielen des Videobandes in der Hauptverhandlung ist eine Verfremdung des Beweismittels. Diese „Delle“ im Unmittelbarkeitsgrundsatz ist im Gerichtsalltag spürbar. Zwei Beispiele:

Ein kindliches Missbrauchsopfer, dessen Videoband abgespielt wird, dessen Angaben von einem eloquenten Kinderpsychologen begleitet werden, entwickelt eine Beweiskraft, die unter Umständen weit über das hinausgeht, was ursprünglich da war. Umgekehrt: Die Unsicherheit eines weiblichen Vergewaltigungsopfers kann sein Ausdruck ihrer Betroffenheit, kann sein Ausdruck dessen, was sie vielleicht bei einem ihr bekannten Sexualpartner nicht sagen will. Das ist am Videoband viel eher zu verstehen als Unsicherheit, während es in der unmittelbaren Begegnung oft als tatsächliche Betroffenheit herauskommt.

Das heißt, bei dieser rechtspolitischen Abwägung Opferschonung und Beweiskraft, das Unmittelbarkeitsprinzip hochhaltend, ist eine vorsichtige sowie Maß haltende Vorgangsweise bei den Legisten meiner Meinung nach angebracht und letztlich auch im Sinne der Opfer, weil sie die Beweiskraft ihrer eigenen Angaben nicht verfremdet haben wollen, auch wenn es in Einzelfällen vielleicht angenehmer wäre.

Zum Zweiten: Nichtigkeitsbeschwerde durch die Opfer. Hier bin ich ganz bei meinem Vorredner: Es ist das Monopol des Staatsanwaltes, dem staatlichen Anspruch auf Strafe zum Durchbruch zu verhelfen. Bedenken Sie den Fall Kaprun: Wie viele Nichtigkeitsbeschwerden von Opfern wird und kann es geben, welche Prozesslawinen werden losgelöst, und wann wird endlich „rechtskräftig“ auf so einer Urteilsausfertigung stehen?!

HonProf. Dr. Herbert Steininger (Präsident des OGH i. R.): Da jetzt mehrfach die Nichtigkeitsbeschwerde angesprochen wurde, die zunächst in einem Anfechtungsgrund für das Opfer vorgesehen war und jetzt wieder eliminiert wurde: Ich kann nur das unterstreichen, was Kollege Pilnacek dazu gesagt hat, und möchte davor warnen, in diesem Verfahrensstadium schon Schritte zu setzen, die sich erst später im Rechtsmittelverfahren aktualisieren können. Das ist durchaus eine Überlegung, die man anstellen muss. In das derzeitige Verfahrensstadium passt eine solche Regelung nicht.

Davon ganz abgesehen: Der Grund, warum man diese Möglichkeit vorgesehen hatte, war ja der, wenn ich es richtig deute, dass dem Opfer ein Beschwerderecht im Vorverfahren eingeräumt wurde, wenn Beweisanträgen nicht stattgegeben wurde, und man meinte, man müsse diese Regelung auch analog in das Rechtsmittelverfahren hineinziehen.

Ich sehe da schon einen sehr gravierenden Unterschied zwischen Vorverfahren und dem Rechtsmittelverfahren nach einem Freispruch. Dort eine Nichtigkeitsbeschwerde nur aus der Überlegung einzuräumen, weil es im Vorverfahren ein Beschwerderecht gibt, das hielte ich doch für kaum vertretbar.

Davon abgesehen: warum bitte dann nur die Ziffer 4? Wenn man der Überzeugung ist, dass es im Rechtsmittelverfahren für das Opfer eine Anfechtungsmöglichkeit im Wege der Nichtigkeitsbeschwerde oder Nichtigkeitsberufung geben müsse, ja, dann aber aus sämtlichen Nichtigkeitsgründen.

Ich möchte mir jetzt nicht mehr ausmalen, was das für den Obersten Gerichtshof allein im Bereich der Nichtigkeitsbeschwerden bedeuten würde, wenn man ein solches Nichtigkeitsbeschwerderecht vorsehen würde. – Ganz abgesehen davon, dass ja da das Opfer wirklich in die Rolle des Anklägers gedrängt wird. Wenn der Ankläger sagt: Eine Nichtigkeitsbeschwerde ist aussichtslos, daher ergreife ich sie nicht!, soll jetzt das Opfer statt des Anklägers diese Anklägerrolle übernehmen – und außerdem noch das Kostenrisiko?! Diese Verfahren sind ja mit Kosten verbunden, und diese Kosten wird der Staat sicher nicht übernehmen, sondern das werden Kosten des Nichtigkeitsbeschwerdewerbers sein müssen.

All das spricht aus meiner Sicht einmal zunächst dafür, das Problem nicht jetzt zu lösen, und auch dafür, es sich dann reiflich zu überlegen, ob man im Rechtsmittelverfahren wirklich dem Opfer ein Nichtigkeitsbeschwerde- oder Nichtigkeitsberufungsrecht einräumen soll.

Vizepräsidentin Dr. Brigitte Loderbauer (Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte): Im Zusammenhang mit der Diversion ist mir aufgefallen, dass einerseits auf Vorschlag Burgstaller hier ausgeweitet wurde:

„Soweit nicht aus besonderen Gründen darauf verzichtet werden kann, ist der Rücktritt von Verfolgung ... davon abhängig zu machen, dass der Beschuldigte binnen einer zu bestimmenden Frist ... den aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht ...“.

Wenn ich jetzt an Jugendliche denke, die im Rahmen der Diversion meinetwegen Delikte gesetzt haben – seien es auch Körperverletzungsdelikte –, so wird man da wahrscheinlich besondere Gründe haben, darauf zu verzichten, wenn es sich um Schüler handelt oder Lehrlinge mit einem sehr geringen Einkommen.

Gleichzeitig muss ich aber nach der Bestimmung des § 206, die jetzt neu formuliert wurde, das Opfer hören, wenn noch keine volle Schadensgutmachung erfolgt ist. Ich glaube, die Opfer werden uns steinigen, wenn wir das wirklich tun – um ehrlich zu sein –, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass das Opfer einer Körperverletzung Interesse daran hat, von mir gehört zu werden, wenn ich gleichzeitig beim Verdächtigen auf die Schadensgutmachung verzichten kann, weil durch ihn eine Schadensgutmachung innerhalb der sechs Monate, die vorgesehen sind, zum Beispiel völlig unmöglich ist.

Ob hier wirklich eine derartige Verknüpfung geplant ist, weiß ich nicht. Ich würde anregen, zumindest eine Kann-Bestimmung daraus zu machen, nämlich dass das Opfer vor einem Rücktritt von der Verfolgung gehört werden kann, wenn dies Sinn macht für das Opfer – aber nicht eine zwingende Bestimmung, die noch dazu in diesem Stadium wahrscheinlich wenig Auswirkungen haben wird.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Frau Kollegin Loderbauer, Sie wissen aber schon, dass die bisherige Kann-Bestimmung in der Diversion dazu geführt hat, dass der Schaden nicht gutgemacht worden ist, dass man nicht mit den Opfern Kontakt aufgenommen und in der überwiegenden Anzahl der Fälle die Probezeit ohne jegliche Maßnahme verhängt hat. Aus diesen Gründen hatte man ja eigentlich schon vorweg in der Diskussion bei der Strafrechts-Enquete in der vergangenen Legislaurperiode genau diese Vorschläge auf dem Tapet.

Vizepräsidentin Dr. Brigitte Loderbauer (Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte): Sehr geehrte Frau Vorsitzende, da muss ich schon widersprechen. Ich glaube, dass ich in der Diversion sehr viel und sehr ausführlich tätig bin. Abgesehen davon, dass überall dort, wo Opfer ... (Ruf: Da sind Sie eine Ausnahme!) Ich glaube auch nicht, dass ich eine Ausnahme bin. Ich glaube, dass die Staatsanwälte in Österreich, und zwar in allen Bundesländern und in allen Sprengeln, die Diversion erstens dem Gesetz gemäß anwenden, und dass es zweitens eine – ich weiß nicht, wodurch – verbreitete Meinung ist, dass den Opferinteressen nicht ausreichend Rechnung getragen werde. (Mag. Geyer: Die ersten Statistiken waren falsch!)

Die ersten Statistiken waren falsch, wie Kollege Geyer zu Recht einwirft. Darüber hinaus ist bei einer weiteren Erhebung auch einmal herausgekommen, dass die Opferrechte sehr wohl in dem Ausmaß berücksichtigt werden, in dem es dem Verdächtigen zugemutet werden kann. Dass es natürlich auch Fälle gibt, in denen Schaden nicht beziehungsweise nicht vollständig gutgemacht werden kann, liegt auf der Hand und wird sich nie vermeiden lassen, sonst hätte man auch hier eine Zwei-Klassen-Diversion, nämlich: Dort, wo der Verdächtige leicht gutmachen kann, kann ich sie anwenden, und wo der Verdächtige die Mittel nicht hat, könnte ich sie nicht anwenden. – Das kann es doch nicht sein.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Eine vierte Frage ist mir erst jetzt eingefallen, eine politische Frage, weil ja speziell die Bundesregierung, von der die Regierungsvorlage stammt, sagt: Das ist einer der wichtigsten Punkte in der ganzen StPO-Reform, die Stärkung der Opferrechte: Warum gibt es da vier Jahre Legisvakanz?Dafür gibt es eigentlich nicht wirklich einen Grund. Warum setzt man es nicht früher in Kraft?

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Weil man dann natürlich – diese Frage ist berechtigt – im Hinblick auf die Möglichkeit, gewisse Teile vorzuziehen, auf das alte Recht anzupassen hat. Das heißt, das muss in das alte Rechtssystem hineinpassen, und das müssen wir uns im Grunde genommen noch überlegen. (Abg. Mag. Stoisits: Ist das so schwer?) So einfach ist es nicht.

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Sektion II): Gleich zur Frage von Frau Abgeordneter Stoisits: Grundsätzlich handelt es sich um eine Neu-kodifikation des gesamten Verfahrens: von den ersten Ermittlungen bis zur Anklageerhebung. Daraus kann ich nicht gewisse Teile mit einem früheren Inkrafttretens-Termin versehen. Ich müsste daher auf das alte System bezogen einen besonderen Entwurf machen, der sich auch auf den Begriff des Verletzten bezieht, auf das System der Privatbeteiligung nach § 47, § 48, Subsidiar-Antrag. Das komplette Programm, das hier vorgeschlagen worden ist, ist ja auch – darauf wurde bereits hingewiesen – eine gewisse Systemfrage. Manche Experten und Expertinnen meinen, es sei das Gleichgewicht des Entwurfs verrutscht. Würde man jetzt die gesamten Opferrechte, wie sie im Entwurf vorgesehen sind, in die geltende StPO übernehmen – mit all den Schwierigkeiten der legistischen Anpassung –, würde diese Gleichgewichtsproblematik im Verhältnis zur Frage der Rechte des Beschuldigten noch in viel stärkerem Maße auftreten. Und das wird ja heute schon kritisiert.

Man kann sich in gewissen Bereichen Anpassungen des geltenden Rechts vorstellen, und da bietet sich vor allem das Institut der Prozessbegleitung an, das wir vom Bundesministerium für Justiz ja schon derzeit mit Förderungen bedienen. Hier könnte man einen gewissen Vorzieheffekt durch eine Novelle zur geltenden StPO machen. Das halte ich für nicht ausgeschlossen, nur: Ein vorzeitiges Inkrafttreten von Teilen des Entwurfs ist ausgeschlossen, weil das nicht zum geltenden Recht passt.

Zur Frage der Verteidiger hinsichtlich der „anderen geeigneten Personen“: Erstens einmal ist das kein neuer Einfall, sondern entstammt dem geltenden § 50. Es gab jüngst eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen, die besagt: Solange man nicht gewerbsmäßig solche Vertretungen übernimmt – das hat die Interventionsstellen betroffen –, wird dadurch in das Vertretungsmonopol der Rechtsanwälte nicht eingegriffen.

Und alle, die es vielleicht nicht gelesen haben, möchte ich auf die Stellungnahme von Univ. Prof. DDr. Burgstaller verweisen, der dazu meint:

„Zu § 73 des Entwurfes rege ich an, als prozessuale Vertreter für Opfer nicht nur Rechtsanwälte ... und Opferschutzeinrichtungen, sondern auch – wie in der Regierungsvorlage vorgesehen – ‘andere geeignete Personen’ zuzulassen. Warum etwa für ein Individualopfer nicht kostensparend ein rechtskundiger Angehöriger oder für ein geschädigtes Unternehmen nicht ein rechtskundiger Angestellter einschreiten können soll, vermag ich nicht einzusehen.“ – Zitatende.

Ich schließe mich dem vollinhaltlich und mit voller Überzeugung an, denn im Verfahren etwa wegen Einbruchsdiebstählen oder dergleichen mehr wird nicht der Geschäftsführer eines Unternehmens geladen, sondern es wird ein informierter Vertreter, der im Regelfall keine Vertretungsbefugnis hat, geladen. Warum soll man dem verbieten, in der Hauptverhandlung den einen Satz zu sagen: Ich schließe mich für das Unternehmen als Privatbeteiligter mit einem Betrag von 500 € an? – Warum soll das ausgeschlossen sein?

Diese Fälle der „geeigneten Personen“ werden natürlich im Ausschussbericht als Beispiele dargestellt.

Zum Hinweis auf das Kaprun-Verfahren: Das mag richtig sein, nur betreibt Herr Dr. Fagan das gewerbsmäßig. Er ist keine „geeignete Person“, und ihn fürchte ich in diesem Zusammenhang auch nicht. Da wird es Staatsanwälte und Gerichte geben, die diese Person ausschließen – mit Recht ausschließen.

Ich komme jetzt gleich zu den Ermittlungsbefugnissen des Gerichts und damit wieder zur Geschichte der gesamten Entwurfs-Bemühungen und der Bemühungen, in den Expertensitzungen Verbesserungen der Regierungsvorlage zu erzielen. So ist das Positionspapier der Vereinigung Österreichischen Staatsanwälte zur Regierungsvorlage betreffend das Strafprozessreformgesetz einer dieser Punkte gewesen, und dieses führt auf Seite 6 zu § 103 ff. der Regierungsvorlage aus:

Die völlige Ausschaltung des Richters als Ermittlungsorgan im Vorverfahren wird insbesondere in Fällen politischer Implikation als rechtsstaatlicher Nachteil empfunden. Dem Staatsanwalt muss die Möglichkeit erhalten bleiben, in Fällen besonderen öffentlichen Interesses (vgl. § 8 StAG) den Richter einzuschalten. – Zitatende.

Ich wundere mich nur, dass Vorschläge im Entwurf eines Abänderungsantrages, die in § 101, Abs. 2, zweiter Satz, im Wesentlichen diese Anregung aufgreifen, nun in dieser Schärfe kritisiert werden. Wir haben uns in diesem Punkt tatsächlich dazu entschlossen, den Richter, das Gericht als Ermittlungsorgan wieder in den Entwurf aufzunehmen für besondere Fall-Konstellationen, wo – und das war immer der Ansatzpunkt – für diese Anscheinsproblematik, die immer wieder vorgebracht wird, gerichtliche Ermittlungen durchzuführen sind.

Da jetzt gefordert wird: Die Gerichte sollen das von Amts wegen entscheiden können!, muss ich sagen: Bitte, wir sind im Anklageverfahren! Für jede Verfolgung im Strafverfahren bedarf es des Antrags des berechtigten Anklägers, und ich bitte doch zu bedenken, dass auch die gerichtliche Voruntersuchung eines Antrages des öffentlichen Anklägers bedarf. Es kann auch nach geltendem Recht das Gericht nicht sagen: Hier liegt ein besonders wichtiger Fall vor, hier führe ich Voruntersuchungen! Der Antrag des Anklägers ist unverzichtbar, und an diesem System orientiert sich auch der Entwurf. Der Antrag auf Einschaltung des Gerichtes wird dem Staatsanwaltschaft verpflichtend auferlegt in den Fällen, in denen ein besonderes öffentliches Interesse an diesen besonders unabhängigen Ermittlungen wegen der Bedeutung der Straftat und der Person, die als Beschuldigter aufzufassen ist, besteht.

Also das, was die große Mehrheit der Expertinnen und Experten ausgeführt hat, nämlich die Anscheinsproblematik dadurch in den Griff zu bekommen, dass dem Staatsanwalt die Möglichkeit und in bestimmten Fällen die Verpflichtung eingeräumt wird, das Gericht mit Beweisaufnahmen einzuschalten, haben wir in den Entwurf eines Abänderungsantrags aufgenommen.

Zur Frage des Herrn Leitenden Oberstaatsanwalts Prof. Dr. Lambauer, wie denn das Verhältnis zu verstehen ist: Natürlich kann und soll der Staatsanwalt seine Leitungsbefugnis nicht in die Seitentasche stecken und sagen: Jetzt macht alles das Gericht! Es bleibt ihm unbenommen, dem Gericht besondere Anträge auf Vernehmung von Zeugen, auf Durchführung eines Augenscheins et cetera, et cetera zu stellen. Und dass die Leitungsbefugnis des Staatsanwaltes natürlich im System erhalten bleibt, wird unter anderem auch in § 87 Abs. 2 des Entwurfs eines Abänderungsantrags zum Ausdruck gebracht, in dem es ausdrücklich heißt:

Der Staatsanwaltschaft steht auch Beschwerde zu, wenn ihre Anträge gemäß § 101 Abs. 2 nicht erledigt werden. – Also auch dafür wurde vorgesorgt.

Die Staatsanwaltschaft kann durchsetzen, dass ihre Anträge, die ihr ja verpflichtend aufgetragen werden, vom Gericht auch tatsächlich durchgeführt werden.

Welche Beweisaufnahmen soll das Gericht durchführen können? – Es ist das, worauf immer zu Recht Wert gelegt wird: auf die Unmittelbarkeit der richterlichen Beweisaufnahme. Das Gericht soll also alle Beweise, die möglich sind, selbst unmittelbar aufnehmen können. Das betrifft die Durchführung eins Augenscheins, die Bestellung eines Sachverständigen, die Vernehmung von Zeugen, die Vernehmung von Beschuldigten – egal, ob kontradiktorisch oder in camera. Dieses Programm soll dem Gericht offen stehen: die unmittelbare Beweisaufnahme selbst – und das entspricht ja auch den Bestimmungen über die Voruntersuchung, dass der Richter alle ihm aufgetragenen Ermittlungen selbst durchführen sollte.

Insoweit, glaube ich, handelt es sich um einen stimmigen Vorschlag, und ich sehe auch da wieder die Stellungnahme des Herrn Univ. Prof. Burgstaller als Bestätigung des eingeschlagenen Wegs an:

„Die Grundentscheidung, dem Richter im Ermittlungsverfahren wesentlich mehr Beweisaufnahmen zu übertragen, als ursprünglich in der Regierungsvorlage vorgesehen, ist sehr zu begrüßen. Prinzipiell möchte ich alle diesbezüglichen Vorschläge, wie sie der für die Sitzung am 22.1. versendete Entwurf enthalten sind, unterstützen. Insbesondere gilt dies für den Vorschlag, die so genannten ‘clamorosen’ Fälle mit der in § 101 Abs 2 zweiter Satz verwendeten Generalklausel zu erfassen.“

Zur Frage, die ich jetzt gehört habe, ob die Staatsanwaltschaft neben dem Gericht weiter ermitteln kann: Da gilt das Prinzip, das auch für die Polizeiermittlungen neben den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gilt. Es soll in einem beschleunigt durchgeführtem Verfahren immer möglich sein, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht ausschließlich an das Gericht wendet. Sie soll weiterhin Ermittlungsaufträge auch an die Kriminalpolizei geben können. Das ist auch der Sinn, warum das in § 104 Abs. 2 auf Beweisaufnahmen durch das Gericht selbst beschränkt wird. Das heißt, das Gericht soll nicht als Mittler gegenüber der Kriminalpolizei auftreten. Das hat die Staatsanwaltschaft durchzuführen.

Das Gericht soll bestimmte Beweise, die erforderlich sind, selbst aufnehmen, und wenn das Gericht auch nur punktuell außerhalb der Fälle des § 101 Abs. 2 zweiter Satz eingeschaltet wird, steht dem Gericht diese Befugnis auch zu. Das heißt, wenn eine kontradiktorische Beweisaufnahme beantragt wird und im Rahmen dieser kontradiktorischen Beweisaufnahme dem Gericht ein Umstand zur Kenntnis kommt, der sofortiger Klärung bedarf, dann kann das Gericht diese Beweisaufnahme ohne darauf abzielenden Antrag von Amts wegen durchführen.

Zu den dritten Fällen, die jetzt noch kurz anzusprechen sind, die im § 105 erwähnt sind, bei der Entscheidung über die Bewilligung von Zwangsmaßnahmen: Da soll das Gericht überhaupt von sich aus die Grundlagen für seine richtige Entscheidung den wahren Sachverhalt betreffend ermitteln können, und in diesem Spezialfall soll das Gericht, weil es rasch gehen soll, auch der Kriminalpolizei unmittelbare Aufträge geben können. – Sinn und Zweck des Ganzen ist, dass das Gericht nicht auf eine bloße Ja- oder Nein-Entscheidung des Antrages der Staatsanwaltschaft beschränkt wird, das heißt, nicht die Begründung des staatsanwaltschaftlichen Antrages ausschließlich prüft und, wenn das schlecht begründet ist, nein zu sagen hat, sondern das Gericht kann, wenn es die Sachlage gebietet, bestimmte Erhebungen zur Verdachtslage beziehungsweise zur Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahme anstellen, die in der Begründung der Staatsanwaltschaft nicht enthalten sind. Wenn das der Fall ist, dann soll und muss das Gericht das tun, und zwar von Amts wegen – ohne einen darauf gerichteten Antrag.

Im Grunde genommen wurde, wie ich glaube – ich sehe mich da mit Prof. Burgstaller einer Meinung –, eine systemkonforme Weiterentwicklung des Entwurfes im Sinne vielfältiger Anregungen vorgenommen, insbesondere in dem Sinn, in dem es Universitätsprofessor Moos in seinem Gutachten für den 14. Österreichischen Juristentag ausgeführt hat. Er hat immer als Kritik gegenüber dem Entwurf vorgebracht, dass die Möglichkeit der Einschaltung des Gerichts mit zusätzlichen Beweisaufnahmen in zu geringer Form berücksichtigt worden sei.

Ich glaube, wir haben hier ein komplettes System vorgelegt, in dem sehr viele Anregungen aus dem Kreis der anwesenden Expertinnen und Experten aufgegriffen wurden.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Danke für dieses Plädoyer, Herr Mag. Pilnacek. Mag. Pilnacek ist ja federführend bei diesem großartigen Reformwerk. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass es mit den Unterausschussberatungen gelungen ist, Verbesserungen zu erreichen.

Senatspräsident Dr. Wolfgang Aistleitner (Oberlandesgericht Linz; Vizepräsident der Vereinigung der österreichischen Richter): Meine Damen und Herren! Angesprochen wurde, dass dieses System jetzt komplett sei. Zitiert wurde auch, dass das Anscheinsproblem mit dieser Lösung jetzt in den Griff bekommen worden sei. – An beiden Behauptungen habe ich meine ganz erheblichen Zweifel.

Tatsächlich ist es jetzt so – dahinter steht natürlich wieder das Weisungsproblem –, dass ein weisungsgebundener Staatsanwalt es sich aussuchen kann, ob er den unabhängigen Richter bemüht oder nicht. Damit hat man das Anscheinsproblem nicht in den Griff bekommen.

Zum anderen: Diese Zuständigkeit des Richters kann nicht durchgesetzt werden. Es gibt keine einzige Bestimmung im ganzen Regelwerk, die irgendwie eine Durchsetzungsmöglichkeit schaffen würde. Nicht einmal im Katalog der Anklageeinspruchsgründe ist das enthalten. Man darf ja nicht nur an die Anklage denken: Es geht ja schließlich auch um die Einstellung, und zwar gerade auch um die Einstellung. – Man kann diesen § 101 Abs. 2 schlicht nicht durchsetzen.

Das Dritte, die Textierung, könnte dazu verleiten, anzunehmen, dass auch dann, wenn ein A-limine-Einstellungsgrund gegeben wäre, den der Staatsanwalt nicht wahrnehmen kann, weil er gezwungen wäre wegen des besonderen Falles mit öffentlichem Interesse, das Gericht zu bemühen, eine Einstellung nicht möglich ist. Um das wörtlich wiederzugeben:

„... hat der StA gerichtliche Beweisaufnahme zu beantragen, wenn an solchen ... öffentliches Interesse besteht“. – Zitatende.

Das kann so gelesen werden, dass hier möglicherweise eine Vorwegeinstellung abgeschnitten ist, und das kann nicht Sinn dieser Bestimmung sein. – Da müsste zumindest eine grammatikalische Klarstellung erfolgen.

In diesem Zusammenhang zu § 101 Abs. 2: Vergessen wir im ganzen Kontext der Zuständigkeiten zwischen Polizei, StA und Gericht nicht das Problem der Verfassungsmäßigkeit. Ich will hier nicht noch einmal die Debatte aufrühren, sondern nur daran erinnern; ich glaube, es war eine Sitzung im September. Aus Vorsichtsgründen und um Glücksspiele zu vermeiden, sollte man hier doch Verfassungsbestimmungen einziehen. – Es wäre nicht zu verantworten, dass unser aller Arbeit, die sich jetzt nahezu über ein Jahr zieht, vergebens sein sollte.

Prof. Dr. Otto F. Müller (Generalprokurator a.D.): Der begrüßenswerte Regierungsvorschlag, die Voruntersuchung und den Untersuchungsrichter abzuschaffen und an seine Stelle den Staatsanwalt allein als Leiter der Ermittlungen zu setzen, wird inhaltlich allerdings nicht konsequent verwirklicht. So werden Elemente des alten Inquisitionsprinzips in erheblichem Maße aufrechterhalten, wenn etwa der Ermittlungsrichter, an dem nicht zu zweifeln ist, nicht nur die von der StA beantragten, sondern auch jene Ermittlungen durchzuführen hat, die er für erforderlich hält, oder er sogar auch von Amts wegen ohne Antrag des Staatsanwaltes Beweise aufnehmen kann.

Dieses Vorhaben widerspricht dem Anklageprinzip und bedeutet meiner Auffassung nach einen Rückschritt, sollte daher vermieden werden. Diese Regelung ist auch systemwidrig.

Ebenso erhebliche Bedenken erweckt die vorgesehene Regelung des § 101 Abs. 2, wonach der Staatsanwalt verpflichtet, nicht bloß ermächtigt wird, Ermittlungen beim Richter wegen einer bestimmten Tat oder Person aus öffentlichem Interesse zu beantragen. – Ich meine, abgesehen von der Verwendung mehrerer für die Praxis nicht förderlichen unbestimmten Gesetzesbegriffe widerspricht dieses Vorhaben dem Gebot der Gleichbehandlung aller Verdächtigen und der autonomen Entscheidungsbefugnis des Staatsanwaltes, nämlich ob er Ermittlungen durch die Kriminalpolizei oder den Richter durchführen lässt oder gar selber vornimmt.

Selbst die geltende Strafprozessordnung sieht – mit gutem Grund – eine solche Verpflichtung des Staatsanwaltes zu einer Antragsstellung beim Richter nicht vor. Damit wäre auch eine erhebliche Verschlechterung der Stellung des Staatsanwaltes verbunden, die doch nach den Intentionen der Regierungsvorlage gestärkt werden sollte. Das Reformziel wäre also insofern nicht erreicht. Es wäre daher dem Staatsanwalt das Recht einzuräumen, nach seinem Ermessen, so wie bisher – und nicht die Pflicht aufzutragen, auch den Richter zu Ermittlungen heranzuziehen, und zwar ohne Rücksichtnahme auf bestimmte Taten oder Personen, sondern immer dann, wenn dies von den besonderen Umständen her geboten ist. Ein Misstrauen gegen die Staatsanwälte ist insofern völlig unangebracht.

Ich darf vielleicht noch einmal, was allen bekannt ist, erwähnen, dass der Staatsanwalt schon bisher Initiator und Motor aller offiziellen Strafverfahren ist und sich in dieser Position bestens bewährt hat: auch bei großen Verfahren, auch bei großen Wirtschaftsprozessen, wo es nicht nur allein auf den Untersuchungsrichter ankam, sondern bezüglich bestimmter Anträge und zügiger Erledigung des Verfahrens in erster Linie auf die Tätigkeit der Staatsanwälte.

Ich habe selber die Ehre gehabt, eine Wirtschaftsgruppe bei der Staatsanwaltschaft Wien vor Jahrzehnten einzurichten, die notwendig war, um große Wirtschaftsprozesse der damaligen Zeit zügig und erfolgreich abzuschließen. Es sitzen hier Tatzeugen, historische Zeugen, es sitzen hier Staatsanwälte, die in dieser Wirtschaftsgruppe tätig waren, und ich glaube, sie können das mit Fug und Recht bestätigen. Also alle Ehre den Staatsanwälten, die damals in dieser Hinsicht und auch heute tätig sind, die ohne Ansehen von Person und Tat tätig wurden.

Zur Stellung des Generalprokurators, die hier noch nie zur Diskussion stand, erlaube ich mir unter Hinweis auf meine schriftliche Stellungnahme, die ich seinerzeit dem Bundesministerium für Justiz übermittelt habe, darauf hinzuweisen, dass nach § 23 Abs. 1 des Entwurfes die Generalprokuratur – mir gefiele besser: der Generalprokurator“ – unter bestimmten Voraussetzungen eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erheben kann.

Diese Formulierung – ich habe es damals schon erwähnt – bringt aber die herrschende Auffassung und Praxis nicht zum Ausdruck, dass der Generalprokurator nach dem auch für ihn geltenden Legalitätsgrundsatz verpflichtet ist, eine Wahrungsbeschwerde zu erheben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Das Kann im jetzigen § 33 Abs. 2 StPO ist nämlich ein bedingtes Müssen. Zur Klarstellung sollte es daher im § 23 Abs. 1 der Regierungsvorlage heißen, dass der Generalprokurator verpflichtet ist, er hat unter den angeführten gesetzlichen Voraussetzungen eine Wahrungsbeschwerde zu erheben, und zwar nur gebunden an das Gesetz – und nicht an die Rechtssprechung oder die Anschauung eines anderen.

In § 23 Abs. 1 sollte auch, der herrschenden Rechtssprechung folgend, übrigens wie bei der Wiederaufnahme nach § 354 StPO, ausdrücklich festgelegt werden, dass die Erhebung der Wahrungsbeschwerde auch nach dem Tode des Beschuldigten zulässig ist.

Wenn schon eine neue, fortschrittliche Strafprozessordnung geschaffen werden soll, wäre auch die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes dahin weiterzuentwickeln, dass sie auch für Ermessensmissbrauch, also im Ermessensbereich, eingesetzt werden kann, was nach der geltenden Rechtslage nicht möglich ist, aber vielfach als unbefriedigend empfunden wird.

Zuletzt noch ein Hinweis darauf, dass, wenngleich der Generalprokuratur keine Anklagebefugnis zukommt – wie es auch im § 22 der Regierungsvorlage heißt –, es schon jetzt gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, dass sie auch im Hinblick auf ihre Stellung als Behörde sui generis ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegenüber dem OGH zurückziehen könnte, eine Befugnis, die dem Generalprokurator als Ausfluss seiner besonderen Stellung und zur wesentlichen Vereinfachung und Beschleunigung des Strafverfahrens allerdings gesetzlich ausdrücklich eingeräumt werden sollte.

Ich beziehe mich damit auf Fälle, wonach auch im Einzelfall eine dem Ansehen der staatsanwaltschaftlichen Behörden abträgliche Situation vermieden werden könnte, dass nach erfolgloser Empfehlung des Generalprokurators an die Staatsanwaltschaft, ein Rechtsmittel zurückzuziehen, dessen Verwerfung beim Obersten Gerichtshof beantragt werden müsste.

Erster Staatsanwalt Dr. Wolfgang Swoboda (Staatsanwaltschaft Eisenstadt): Ein persönliches Erlebnis in diesem Winter: Mein Onkel ist 89 Jahre alt; er ist Mediziner, nicht Jurist. Ich habe ihn zu Weihnachten besucht, habe ihm von meiner Arbeit erzählt und von der geplanten Abschaffung des Untersuchungsrichters und Aufwertung des Staatsanwaltes. Ohne Nachdenkpause kam die Antwort: Ja ist denn das nicht ein Problem? Der Staatsanwalt ist doch abhängig vom Minister, und der Untersuchungsrichter ist es nicht! – Also diese Frage hat gesellschaftspolitische Relevanz, das ist die Akzeptanzfrage. Und wir bewegen uns hier in dieser Diskussion immer nur in dem Bereich: Können wir diese Akzeptanzfrage innerhalb der neuen Funktionsaufteilung lösen?

Die neue Rollenverteilung zwischen StA und UR ist der strukturelle Kern dieser Reform. Ich glaube, da herrscht Konsens. Strukturänderungen haben vielerlei Aspekte. Das ist eben nicht nur die neue Funktionsaufteilung: Das ist neue Positionierung, das ist neue Organisation, das sind neue Rollenbilder, das sind neue Selbstverständnis- und Fremdverständnisbilder.

Wenn ich direkt Christian Pilnacek antworten darf: Das Positionspapier, das aus 2001, glaube ich, stammt, ruft nach der Möglichkeit, in „clamorosen Fällen“ den Richter anzurufen, nach der Möglichkeit, was nach einem „Kann“ in der Bestimmung rufen würde. Das Resultat ist gewesen, die Diskussion um diese Rollenverteilung von den begleitenden Maßnahmen zu isolieren. Wir haben uns dieser Diskussion gestellt, nicht freudig, aber wir haben uns dieser Diskussion gestellt. Das hat Implikationen nach innen, dass Mitglieder unseres Standes – mein Blick fällt da auf Walter Geyer – ganz andere Vorschläge gemacht haben als die Standesvertretung selbst, nämlich viel weitergehende. Wenn man im System bleibt, kann man nur eine Lösung im Funktionellen zusammenbringen. Ich glaube, die laufende Diskussion hier in diesem Gremium, wonach in bestimmten Fällen einmal mehr, einmal weniger richterliche Kompetenz dazukommen soll, zeigt deutlich, dass es eine Lösung im System nicht gibt. Man muss heraustreten.

In diesem Zusammenhang darf ich ein ganz offenes Wort zum Weisungsrecht sagen: Was mir persönlich wirklich wehtut, ist, dass der Ist-Zustand ein qualitätsvoller ist. Zumindest seit 1986, StAG, sind Weisungen am Schreibtisch des erstinstanzlichen Staatsanwaltes – ich bin mir sicher, auch bei den Oberstaatsanwaltschaften sind keine anderen Erfahrungen gemacht worden –, die anrüchig waren, nicht bekannt. Leute, die diese Karrieren durch die entsprechende Abteilung im Ministerium durchlaufen haben, haben Karriere gemacht bei der Generalprokuratur hin bis zum Präsidium beim Verfassungsgerichtshof.

Da ist ein Qualitätssicherungsinstrument vorhanden – und in der Öffentlichkeit wirkt es exakt andersrum. Es ist notwendig, im Zusammenhang mit dieser Strukturreform ein Signal zu setzen. Wenn der Zustand so qualitätsvoll ist, werden Sie sich fragen: Warum lamentiert dann die Standesvertretung? Es ist a) eine Zukunftsvorsorge, die politischen Verhältnisse müssen nicht so bleiben, und es ist b) ein Problem von Rollenverständnis und Identifikation.

Ich kann mich erinnern, in der ersten Sitzung, glaube ich, hat Roland Miklau Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen bei den Staatsanwälten eingefordert. Selbstvertrauen und Fremdvertrauen sind untrennbare Zwillinge. Insbesondere ist hier eine Signalwirkung nach außen zu setzen, dass es den politischen Entscheidungsträgern bei dieser Strukturreform ernst ist, die Staatsanwaltschaft als ein ausgewiesenermaßen – nicht nur nach innen, sondern ein ausgewiesenermaßen! – apolitisches Instrument darzustellen. In dem Sinne wäre vielleicht sogar eine PR-Aktion.

Gerade dieses Spannungsverhältnis zwischen den Stellungnahmen von Walter Geyer, Walter Nemec und auch der Standesvertretung zeigt ja, dass wir uns um das sorgen und dass es kein Besitzstandsdenken ist, das bei uns durchschlägt. Ich kann hier nur dafür plädieren, die Lösung außerhalb des Systems zu suchen und tatsächlich eine Entschließung zu fassen, wonach der Bundesregierung nicht nur die Bereitstellung des notwendigen Personals aufgetragen wird, sondern auch durch begleitende legistische Maßnahmen dieser Ausweis der Institution Staatsanwaltschaft als apolitische Institution erfolgen sollte, nämlich durch Festschreibung in der Verfassung und Ausgestaltung im StAG.

Kurzformel: Personal und Signal, dann kann es ein Erfolg werden, dann kann es der Wurf werden, der den Legisten und, ich glaube, auch dem Minister und den politischen Entscheidungsträgern vorschwebt.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Zunächst einmal möchte ich mich bei allen Expertinnen und Experten und bei allen Damen und Herren Abgeordneten und bei allen, die hier dazu beigetragen haben, dass diese Debatte stattfindet, bedanken. Damit ich mich nicht am Schluss noch einmal zu Wort melden muss, möchte ich diesen Dank jetzt schon aussprechen. Verzeihen Sie mir, dass ich das nicht ein zweites Mal tue, aber gesagt möchte ich es haben.

Zweitens möchte ich einmal betreffend Staatsanwaltschaft etwas sagen und Sie, Herr Präsident Dr. Swoboda, bitten, mir die Adresse Ihres Onkels zu geben. Ich gratuliere Ihnen, dass er in einem sehr guten geistigen und körperlichen Zustand ist. Wenn Sie mir die Gelegenheit geben, auch mit ihm zu sprechen, dann werde ich ihm sagen, dass es für mich ein Phänomen ist, dass die Staatsanwälte seit mehr als 18 Jahren, glaube ich, über eine neue Fülle an Rechten verfügen, die sie nahezu identisch mit selbständig agierenden Richtern machen.

Sagen Sie doch bitte Ihrem Onkel auch, damit er nicht einseitig informiert ist, dass ein Staatsanwalt eine Weisung auch ablehnen kann, dass er sie schriftlich verlangen kann, dass er verlangen kann, dass ein anderer diese Weisung durchführt – und dass es in Österreich durchaus üblich ist, dass Akten sofort bei den Medien sind, wenn auch nur das Geringste vom normalen rechtlichen Rahmen abgleitet.

Herr Dr. Swoboda, mich fasziniert, dass es den Staatsanwälten trotz dieses rund 19 Jahre alten Gesetzes zum Teil gelungen ist, nicht ihr Selbstvertrauen aufzubauen, und dass es viel zu wenige gibt, die sagen: Wir haben Rechte, uns kann kein Minister eine unkorrekte Weisung erteilen, denn dem Minister, der das auch nur versucht, geht es wirklich schlecht! – Sagen Sie es einmal so, dann werden wir, glaube ich, einen noch größeren Schritt – nämlich in der Praxis – zum Rechtsstaat machen, als wir ihn hier legistisch durchzusetzen versuchen.

Erster Staatsanwalt Dr. Thomas Mühlbacher (Staatsanwaltschaft Leoben): Ich möchte, um auch die Klammer zur Opferfrage wieder zu schließen, beginnen, indem ich sage, die Strafprozessordnung ist primär weder ein Opferschutz- noch ein Täterschutzgesetz, sondern primär soll sie eine Prozessordnung sein und – natürlich unter Berücksichtigung aller Interessen – die Regeln festlegen, nach denen Leute wie ich dann ein Strafverfahren führen müssen und sollen. Wenn man das Opfer zu sehr in die Rolle des Anklägers gibt, dann könnte es uns passieren, dass wir sozusagen die Inquisition zugunsten der Fehde besiegen – und das kann auch nicht Zweck des Verfahrens sein.

Beim Stichwort „Inquisition“ bin ich schon beim nächsten, beim zentralen Punkt der Ausführungen: Christian Pilnacek, den ich wirklich sehr schätze und auch sehr gerne mag, ist wahrscheinlich einer der gescheitesten Menschen, die mir in letzter Zeit untergekommen sind. Ich verstehe deshalb nicht, warum er mich und uns partout nicht verstehen will oder verstehen kann. Er hat selbst ein Schreiben zitiert, in dem steht, dass dem Staatsanwalt die Möglichkeit offen stehen soll, auch das Gericht einzuschalten. – Das sagt aber der Entwurf nicht, sondern er verpflichtet den Staatsanwalt dazu! Das sind zwei Paar Schuhe!

Es ist jetzt aus Papieren, die zum Teil lange zurückliegen, zitiert worden. Damit kann ich auch dienen: Das Bundesministerium für Justiz hat 1998 – und so lange bin ich bei dieser Diskussion auch schon dabei, ich weiß es also aus eigener Erfahrung – zum Diskussionsentwurf ausgeführt – unter Hinweis auf Pleischl, auf Fuchs, auf Moos und wen auch immer –:

Richter sollen im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis effektiver Strafverfolgung und subjektivem Grundrechtsschutz qualitativ hochwertige abwägende Entscheidungen treffen. – Zitatende.

Mit diesem Anspruch ist die systematische Durchführung oder Leitung von Ermittlungen gegen Verdächtige kaum zu vereinbaren!

Und dann heißt es weiters: In der Tatsache, dass Richter unabhängig sind und deswegen Objektivität garantieren, kann hingegen kein Argument gefunden werden, neuerlich zu versuchen, ihnen artfremde Aufgaben zu übertragen. – Zitatende.

Ich möchte auch das unterstreichen. Ich halte das für richtig, und ich halte auch das für richtig, was der Herr Bundesminister soeben gesagt hat: dass die Staatsanwälte durchaus nicht mehr so rechtlos sind, wie sie es vor dem Staatsanwaltschaftsgesetz 1986 waren. Ich glaube aber, dass man das Staatsanwaltschaftsgesetz bei weitem schon wieder einmal ausbauen könnte – und dass es dazu höchste Zeit wäre.

Wenn das aber so ist, dann frage ich mich: Wozu braucht man die Bestimmung des § 101 Abs. 2 – denn diese deckt das Problem nur zu und löst es nicht? Es ist also der Versuch, auf eine an sich runde Sache – und der Entwurf ist eine runde Sache – „Beulen“ aufzupflanzen, die systemwidrig sind; das gilt im Übrigen auch für den Antrag auf Fortsetzung nach §§ 195, 196. Und dann darf man sich eben nicht wundern, wenn der Ball nicht mehr rund läuft. Dann wird er eben, so wie man es in der Sportlersprache sagt, gewisse eierförmige Bewegungen durchführen.

Daraus glaube ich ableiten zu können, dass man diese Anscheinsproblematik in der Strafprozessordnung eben nicht lösen kann, sondern dass man das Problem anders ansetzen muss, nämlich beim Dienstrecht der Staatsanwaltschaft, in der verfassungsmäßigen Absicherung der Staatsanwaltschaft als Institution und so weiter – jedenfalls sicher nicht in der Strafprozessordnung selbst; dort kann das Problem nicht gelöst werden.

Die Formulierung des § 101 Abs. 2 in der neuen Fassung gefällt mir zwar etwas besser als die letzte, aber es ändert nichts daran, dass es eben eine aufgepfropfte Sache ist. Bestenfalls könnte ich mir vorstellen, dass man sagt, der Staatsanwalt kann, wenn er glaubt, unter Druck zu stehen, den Richter anrufen – aber dass er es muss, ist meines Erachtens völlig falsch.

Ich glaube schon, dass hier – Werner Pleischl hat das vor, glaube ich, zwei Sitzungen als Generationenkonflikt aufgezeigt – eben Leute, die zwar hochverdient sind, aber im ganzen Leben gewohnt waren, zwischen abhängigem Staatsanwalt und unabhängigem Richter zu entscheiden, Probleme damit haben, die Voruntersuchung gänzlich fallen zu lassen. Aber ich erinnere daran: Das ist verständlich, aber es ist kein Argument. Auch gegen die Ideen von Sonnenfels ist man ursprünglich gerade von der Lehre her Sturm gelaufen, als er gesagt hat, er möchte die Folter abschaffen. Das hat – ich habe es nachgelesen – in Preußen dazu geführt, dass sie für bestimmte Verfahrensarten – das ist die Parallelität zur jetzigen Situation – einige Zeit noch aufrecht geblieben ist, bis man gesagt hat: Eigentlich passt das überhaupt nicht in unser System.

Was mich am neuen Text, den ich am Freitag bekommen habe, besonders freut, ist, dass man sich entsonnen hat, dass es doch einen Rechtsschutz gegen den Richter braucht. Wir sind im Bereich der Inquisition, und dort heißt es: Wer den Richter zum Ankläger hat, braucht Gott zum Advokaten! – Also wäre eine Beschwerde nicht schlecht.

Die Beschwerde gibt es jetzt in § 87 Abs. 2, sie greift aber meines Erachtens, was den Staatsanwalt betrifft, konkret zu kurz: Er kann sich nämlich nur dann zur Wehr setzen, wenn seinen Anträgen nicht Folge geleistet wird. Andererseits hat der Staatsanwalt aber auch im neu gestalteten § 3 die Pflicht, auch zugunsten des Beschuldigten tätig zu werden – das könnte er hier nicht. Das heißt, da gibt es ein Spannungsfeld, das aufzulösen ist. Wenn man sich schon dazu entschließt, dann müsste der Staatsanwalt ein umfassendes Beschwerderecht haben.

Und im Übrigen ist das Beschwerderecht mit 14 Tagen ab Kenntnis des Umstandes, der die Beschwerde auslöst, befristet. Das wird in der Praxis zu sehr großen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, feststellen zu müssen: Ab wann weiß er, dass diesem Auftrag nicht nachgekommen wird? Oder: Seit wann weiß der Beschuldigte von diesem Rechtseingriff? – Die derzeitige Beschwerde nach § 113 StPO ist unbefristet – und aus gutem Grund! –, und ich glaube, dass man zumindest für diese Fälle auch diese unbefristete Beschwerde aufrechterhalten sollte.

Im Übrigen, weil der Präsident der Vereinigung, Wolfgang Swoboda, eine Geschichte aus dem persönlichen Bereich erzählt hat – und damit möchte ich auch schon zum Schluss kommen –: Ein derartiges Erlebnis hatte ich auch, zwar nicht mit meinem Großvater, sondern mit meinem vierjährigen Sohn, dem ich zu Weihnachten eine Eisenbahn geschenkt habe, und zwar so eine Eisenbahn, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte und wie ich sie immer wollte, mit allem Drum und Dran. Ich war dann furchtbar enttäuscht, als mein Sohn mit der Eisenbahn eigentlich nichts Rechtes anfangen konnte, weil er einfach noch nicht so weit war. Ich dachte in erster Linie: Das ist ein undankbares Kind, und nächstes Mal, zum Geburtstag, bekommt er gar nichts – bis ich dann draufgekommen bin, was der Grund dafür war.

Das Verhalten meines Sohnes war kindlich. Wenn wir jetzt aber den Staatsanwälten sagen: Ihr habt jetzt „toys for the boys“, wir haben euch ein schönes Gesetz gemacht, und ihr lehnt das ab – ihr bekommt daher gar nichts!, dann wäre das nicht kindlich, sondern kindisch. Und ich glaube, das sollten wir doch vermeiden!

O. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Moos (Johannes Kepler Universität Linz; Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie): Ich habe zum Schluss der letzten Sitzung gesagt, ich hätte noch einige Kritikpunkte gegenüber dem ersten Abänderungsantrag, denn ich könnte mit der Fassung, die dort vorgeschlagen worden ist, nicht leben. – Nun werden Sie mich vielleicht fragen, wie ich mein künftiges Leben nun gestalten will, deswegen fühle ich mich veranlasst, dazu doch etwas zu sagen.

Meine Lebensängste oder meine Ablehnung bezogen sich auf die, wie ich das einmal nennen möchte, kalte Einführung der Voruntersuchung im letzten Abänderungsantrag. Das möchte ich ganz kurz begründen:

Im letzten Abänderungsantrag, der sich durch den jetzigen, erneuten, allerdings erledigt hat – und insoweit fasse ich mich kurz –, stand nicht nur drin, dass der Richter selbständig weiter ermitteln kann, sondern ausdrücklich noch – was völlig unnötig ist –, er kann das bis zur Entscheidungsreife über Anklage oder Einstellung. Das ist nichts anderes als die Formulierung der Voruntersuchung! Warum schreiben Sie das hinein, wenn er ohnehin selbständig ermitteln kann? – Damit wird schon nach außen gezeigt, der Richter soll nach Möglichkeit – beziehungsweise kann – faktisch eine Voruntersuchung durchführen. Und das hineinzuschreiben, fand ich ganz unnötig, denn wie weit er das im Einzelnen ausdehnt, bleibt ohnehin seine Sache. Das ist also plakativ in die falsche Richtung.

Ferner hieß es dort, nach seinen Ermittlungen habe der Staatsanwalt einen Ergebnisbericht zu geben – nach bisheriger Voruntersuchung gibt er keinen Ergebnisbericht, sondern er schickt nur die Akten zurück. – Das macht also den Staatsanwalt noch abhängiger, denn das indiziert ja schon die Entscheidung des Staatsanwaltes.

Drittens stand drin: Der Richter kann den Staatsanwalt um weitere Maßnahmen „ersuchen“ – wörtlich! – Ja, um Himmels willen! Wieso kann der Richter, der auf Bitte des Staatsanwaltes Ermittlungen vornimmt, umgekehrt den Staatsanwalt ersuchen? – Der Staatsanwalt ist Herr der Ermittlungen, nicht der Richter! Wie kann man so etwas hineinschreiben?! – Damit wird nochmals deutlich gemacht: Eigentlich ist Herr des Verfahrens der Richter, und dieser ersucht den Staatsanwalt. Das kann man doch nicht machen!

Danach heißt es noch zusätzlich: Der Staatsanwalt hat Rapport zu erstatten und dem Richter zu sagen, ob er es auch wirklich gemacht hat. – Also da wird der Staatsanwalt zum Knecht des Richters! Das dreht die Dinge ganz unnötigerweise völlig um!

Dazu kommt noch etwas – eine Änderung ist insoweit auch schon erfolgt –: Im bisherigen § 101 hieß es, dass bei besonderem öffentlichen Interesse an Tat oder Täter eine richterliche Beweiserhebung stattzufinden hat. Das ist so zu verstehen, und so hat es übrigens auch in den „Salzburger Nachrichten“ kürzlich Herr Escher verstanden – ich lese das im Folgenden vor –:

„Wenn an der Strafverfolgung wegen des Gewichts der aufzuklärenden Tat oder wegen der Person des Verdächtigen ,besonderes Interesse’ besteht“, dann sind richterliche Ermittlungen zu beantragen.

Ich wiederhole noch einmal: Wenn an der Strafverfolgung Interesse besteht, dann richterliche Ermittlungen. – Das heißt doch, das geht weit über die bisherige Voruntersuchung hinaus! Die haben wir nur bei Geschworenengerichtssachen obligatorisch – jetzt, nach diesem Vorschlag, ist sie immer obligatorisch, wenn eine besonders schwere Tat vorliegt. Ja um Himmels willen, da haben wir ja noch viel mehr faktische Voruntersuchungen als bisher!

Das waren alles unsaubere, unnötige Formulierungen. Das ist, wie ich anhand der jetzigen Fassung festgestellt habe, redaktionell in richtiger Weise geändert worden. (Obfrau Dr. Fekter: Wir sind lernfähig, Herr Professor!) – Ja, ich bin froh darüber, dass es geändert worden ist, und deswegen weise ich nur noch darauf hin – ich will mich kurz fassen –:

Dem jetzigen Entwurf sind diese Nachteile in dieser plakativen Form nicht mehr zu eigen, auch die Systemwidrigkeit ist ihm nicht mehr zu eigen. Dem zweiten Abänderungsantrag kann ich unter diesen Umständen zustimmen. Mein Furor hat sich gelegt.

Ich möchte allerdings dazu nur noch ergänzend sagen: Ich selbst hätte das so, wie es jetzt drinnen steht, nicht hineingeschrieben, aber ich halte das für einen politischen Kompromiss, den wir eingehen müssen. Ich selbst hatte gemeint: Nur Einzeluntersuchungen, diese parteiöffentlich und nur auf Ermessen des Richters. Das ist heute schon wieder einmal gesagt worden. Das geht offensichtlich nicht durch. Also hat bei diesem besonderen öffentlichen Interesse an einer richterlichen Vernehmung im Einzelfall ... – und so weiter, wie es im Entwurf steht.

Dies kurz dazu, warum ich jetzt künftig mit diesem Entwurf leben kann und finde, dass das ein Kompromiss ist, den wir aus politischen Gründen eingehen können, und keine Einführung der Voruntersuchung auf kaltem Wege, mit der wir uns international auch lächerlich gemacht hätten.

Noch zwei Punkte: Einmal möchte ich Herrn Dr. Moringer zustimmen, der in seiner schriftlichen Äußerung zum heutigen Tag vorgeschlagen hat, Privatgutachten zuzulassen. Diese Formulierung, die er dort gefunden hat, fände ich gut, und ich möchte dafür eintreten: als Gegengewicht gegen offizielle Gutachten. Es ist immer nötig, dass man zwei Seiten hört. Warum soll man das bei Gutachten nicht machen? Warum soll man sagen können: Es liegt ein offizielles Gutachten vor, und weil es offiziell ist, ist es richtig!? – Das kann doch wohl nicht sein! Was im Einzelnen von Privatgutachten zu halten ist, das werden der Richter und der Staatsanwalt schon wissen. Da, wissen wir, gibt es welche, von denen man nicht viel zu halten hat; andere hingegen sind sehr fundiert. Warum soll man das aber nicht zulassen?!

Noch kurz zu dem, was Herr Dr. Swoboda angeschnitten hat, diese Problematik des Weisungsrechtes, die heute insoweit angetönt ist, als doch wenigstens, wenn schon das Weisungsrecht nicht abgeschafft wird und wenn es nicht an die Generalprokuratur übertragen wird – das lassen wir jetzt einmal alles offen –, das Staatsanwaltschaftsgesetz weiter ergänzt werden soll. Das ist eine alte Forderung auch von mir. Ich freue mich, dass das auch sonst wo gedacht wird, und ich möchte es nochmals unterstreichen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass der Herr Minister selbst – er ist jetzt gerade nicht da – bei der Amtseinführung von Frau Dr. Loderbauer in Steyr, und auch heute noch einmal, wörtlich – ich habe das dort mitgeschrieben – zum Ausdruck gebracht hat, er setzt sich für mehr Transparenz der Weisungen im Staatsanwaltschaftsgesetz ein. – Also nicht nur der Gewissensschutz und das Remonstrationsrecht, sondern Transparenz innerhalb des Prozesses und nach außen. Künftig müssen – nicht nur können oder sollen – also Weisungen in den Akten kenntlich gemacht werden. Die übrigen Parteien und das Gericht müssen davon Kenntnis haben. – Das ist das eine.

Und das andere ist: Dem Staatsanwalt, dem bearbeitenden Sachbearbeiter darf es nicht verboten werden, sich zu äußeren. Es geht nicht an, dass das nur der Behördenleiter nach Abschluss macht, wie es jetzt im § 31 des Staatsanwaltschaftsgesetzes heißt, sondern der einzelne Staatsanwalt muss das auch können. Das steht außerdem in den Akten, und die Parteien haben davon Kenntnis. Man kann das gar nicht geheim halten.

Dass ich das so fordere, geht darauf zurück, dass ich finde: Wenn es schon Weisungen gibt, dann muss sich der Herr Minister damit sehen lassen können. Die sind sachlich fundiert, deren braucht er sich nicht zu schämen. Im Gegenteil: Wenn sie nötig sind, dann soll er sie erteilen, dann sind sie rechtmäßig, und dann kann man darüber reden. Und wenn sie nicht rechtmäßig sind und man nicht darüber reden kann, dann wird er sie nicht geben. Diese Kontrolle durch die Öffentlichkeit ist an sich ein sehr gutes Kontrollorgan: Dann geht es an die Presse, dann geht es an das Gericht; dieses weiß, was es davon zu halten hat. Das ist eine rechtsstaatliche Sache. Der Herr Minister ist auch dafür. Ich finde, diese Möglichkeit als flankierende Maßnahme sollte man nach Inkrafttreten oder nach Beschluss des Gesetzes angehen. Das kann man jetzt schon so regeln, und das lässt viel Dampf ab aus dieser ganzen Weisungsgeschichte, die wir ja – weil es eine hochpolitische Geschichte ist – nicht vom Tisch bekommen. Aber das können wir allemal machen, und damit sind wir sogar international vorbildlich.

Ein allerletzter Punkt, was die Befangenheit der Staatsanwälte betrifft: Staatsanwälte können genauso befangen sein wie Richter. Ablehnungsanträge gibt es aber nicht. Bei Richtern gibt es sie, bei den Staatsanwälten nicht, sondern da wird es nur amtswegig wahrgenommen. – Ich möchte vorschlagen, dass es auch einen Antrag gegen einen Staatsanwalt wegen Befangenheit geben soll – ich glaube nicht, dass es da verfassungsrechtliche Bedenken geben muss –, einfach analog zum Ablehnen der Richter. Auf die Amtswegigkeit würde ich mich nicht so sehr verlassen.

Das bedeutet eine weitere Aufwertung der Unabhängigkeit der Staatsanwälte, denn diese kann ja noch einmal von außen kontrolliert werden. Die kontrollieren sich nicht selbst. Das kann also nicht schaden.

o.Univ.-Prof. Dr. Frank Höpfel (Universität Wien; Institut für Strafrecht und Kriminologie): Ich möchte an die Ausführungen meines Vorredners anknüpfen und auch ausdrücklich sagen, dass es im nunmehr vorliegenden Abänderungsantrag ganz wertvolle Weiterentwicklungen gibt. Es ist der Ausdruck „runde Sache“ gefallen. Wenn etwas rund ist, ist natürlich auch manche Gefahr damit verbunden. Aber das, was da geändert wurde, ist – das würde ich auch sagen – sehr ausgewogen und gelungen. Unter anderem ist der § 101 Abs. 2 wesentlich präziser geworden durch die Fixierung der teleologischen Richtung, wann ein Richter einzuschalten ist, und durch den Austausch des Wortes „oder“ gegen ein „und“. Damit kann man doch oft sehr viel erreichen, wie man sieht.

Unter den Punkten in meiner schriftlichen Stellungnahme, in meinem letzten Kommentar, der heute verteilt worden ist und auf den ich verweise, ist auch – und da muss ich jetzt eine Korrektur anbringen – eine Kritik am Entfall des Nur-Verteidigers ausgeführt. Ich habe hier übersehen, dass in der allerletzten Fassung nun durch die Änderung des § 48 Abs. 1 Ziffer 4 die Universitätsdozenten aus dem Gebiet Strafrecht und Strafprozessrecht ex lege als Verteidiger berechtigt sind, und damit ist eigentlich an sich der Kern dieses Anliegens getroffen. Ich hätte nicht unbedingt die Habilitation dafür verlangt, sondern in meinem schriftlichen Papier habe ich eine Mindestdauer von sechs Jahren Tätigkeit an einem Strafrechtsinstitut verlangt. Was tun wir etwa mit Leuten aus dem Ausland, wo keine Habilitation mehr existiert? – Aber gut, es ist im Wesentlichen getroffen, und ich möchte das hier ausdrücklich korrigieren.

Ich habe nun auf Basis der Grundsatzentscheidungen, wie sie mittlerweile festzustehen scheinen, einige Detailfragen beleuchtet, in denen es meines Erachtens noch begrifflicher Klarstellungen bedürfte. Hervorheben möchte ich – das betrifft den letzten Punkt in meinem Papier, auf das ich im Detail verweise – die notwendige Abstimmung zwischen den §§ 193 und 195 und 205, in denen es um verschiedene Formen der Fortsetzung eines Verfahrens geht: neben der so genannten Fortsetzung auch eine amtswegige Fortführung auf Antrag und dann noch eine nachträgliche Fortsetzung des Strafverfahrens, es ist zum Teil eine Wiederaufnahme, zum Teil eine Klageerzwingung. Man sollte es vielleicht ein bisschen stärker begrifflich auseinanderhalten. Ich ergänze: Zu diesem Gefüge gehört auch § 67 Abs. 6 Z 3, also der von Aistleitner angesprochene Paragraph mit der Problematik einer Beschwerde des Privatbeteiligten gegen die gerichtliche Einstellung.

Inhaltlich erlauben Sie mir eine Einlassung auf einen einzigen Punkt, der bisher nie zur Sprache gekommen ist, und zwar – ich knüpfe da an an die Ausführungen von Herrn Professor Müller – die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, also § 23 statt bisher § 33. Diese Materie sollte jetzt nicht einfach ausgeklammert werden, weil es ja quasi das Rechtsmittelverfahren betrifft; es handelt sich vielmehr um eine Grundsatzregelung, die auch im Vorverfahren seine Bedeutung hat und wo es nur um Rechtsfragen geht.

Mir ist erst jetzt so richtig klar geworden, welche Bedeutung unser Rechtsquellensystem und das Europarecht in dieser Frage haben. Wir könnten in der StPO einen Anknüpfungspunkt zum Europarecht brauchen. Mit der wachsenden Internationalisierung vor allem auch durch das Europarecht ist es eben wichtig geworden, klarzustellen, ob es sich um eine Gesetzwidrigkeit handelt, wenn es ein Gericht unterlassen hat, beim EuGH ein Vorabentscheidungsverfahren zu beantragen.

Bei konkreten Anlässen habe ich gesehen, dass es nicht eindeutig festzustehen scheint, ob man hier eine Gesetzwidrigkeit im Sinne der „klassischen“, noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Formulierung des § 33 konstruieren kann. Ich möchte Ihnen mit einem Beispiel kurz zeigen, worum es geht.

Ein Gastwirt verkauft eine italienische Nachspeise, ein Tiramisu; Sie kennen es wahrscheinlich, es war köstlich, solange man es noch mit frischen Eiern zubereiten durfte. Nach österreichischen Vorschriften ist nun aber nur mehr Tiramisu mit Eipulver gestattet. Ein Gastwirt, der dafür schon einmal eine Verurteilung kassiert hat, beschließt nun, aus frischen Eiern hergestelltes, tiefgekühltes Tiramisu aus Italien, wo das legal ist, einzuführen. Nun möchte man meinen, dieses ist anhand der Cassis-Rechtsprechung dann auch in Österreich verkehrsfähig. Andererseits ist doch da unter Umständen auch der Gesundheitsschutz angesprochen. Es sind also heikle Fragen der Vereinbarkeit mit den Artikeln 28 und 30 des EG-Vertrages, in denen eine Vorabentscheidung nahe liegt. Und es werden gerade im Lebensmittelbereich in den verschiedensten Ländern laufend solche Vorabentscheidungsverfahren geführt.

Unsere Strafgerichte haben sich mit einem solchen Ersuchen an den Europäischen Gerichtshof bisher außerordentlich zurückgehalten, auch der Oberste Gerichtshof. Allerdings ist es auch für die Generalprokuratur nicht einfach, darauf zu dringen. Daher möchte ich vorschlagen, dass in § 23 eine klarstellende Ergänzung aufgenommen wird; auch wenn es im Moment exotisch klingen mag, aber es ist doch das österreichische Recht nicht mehr isoliert zu betrachten. Ich schlage dafür folgende Formulierung vor:

„Ein gesetzwidriger Vorgang eines Strafgerichts liegt auch vor, wenn ein letztinstanzliches Gericht“ – darauf muss man es beschränken – „entgegen Artikel 234 EG-Vertrag oder Artikel 35 EU-Vertrag ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften unterlassen hat.“

Zur näheren Begründung und auch zum verfassungsrechtlichen Hintergrund verweise ich auf meine schriftliche Stellungnahme.

Im Übrigen danke ich für die uns Theoretikern gebotene Gelegenheit, uns ausführlich in diesem Unterausschuss zu äußern. Es war wirklich eine wertvolle Arbeit für mich.

Dr. Friedrich Hauptmann (Leiter der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof): Zum soeben eingebrachten Vorschlag von Professor Höpfel: Im Prinzip glaube ich auch, dass eine Ergänzung des § 23 notwendig, zumindest aber zweckmäßig ist. Die Generalprokuratur hat im Lebensmittelbereich tatsächlich schon einen Fall gehabt, der sehr wohl Anlass gegeben hätte, eine Vorabentscheidung einzuholen; es ging dabei allerdings um Fischkonserven und deren bakterielle Verunreinigung. Dieser Fall ist von der Generalprokuratur an den Obersten Gerichtshof herangetragen und im Sinne der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erledigt worden: ohne Vorabentscheidung. – Ob es in diesem Falle zweckmäßiger gewesen wäre, die Meinung aus Luxemburg einzuholen, kann man dahingestellt sein lassen.

Ich glaube allerdings, dass der Vorschlag Höpfels, hier eine Gesetzwidrigkeit quasi ex lege zu definieren, vielleicht nicht ganz der Vorstellung entspricht, die wir bisher von gesetzwidrigen Vorgängen, Urteilen, Beschlüssen und so weiter gehabt haben, und ich könnte mir vorstellen, dass eine Formulierung wie beispielsweise: „einer Gesetzwidrigkeit ist gleich zu halten, wenn eine derartige Unterlassung ... verstößt“ eher den bisherigen Auffassungen über Gesetzmäßigkeit und Gesetzwidrigkeiten entspräche. Die Gesetzwidrigkeit liegt ja in solchen Fällen nicht immer schon dann vor, wenn die Unterlassung der Einholung einer Vorabentscheidung vorliegt, sondern erst dann, wenn diese Vorabentscheidung anders gelautet hätte, als von den österreichischen Gerichten tatsächlich entschieden worden ist.

Hinsichtlich des zweiten Punktes, zu dem ich Stellung nehmen wollte, kann ich ebenso an Höpfel wie an meinen Amtsvorvorgänger Müller anschließen, er betrifft § 101 in der Fassung des letzten Entwurfes eines Abänderungsantrages. Tatsächlich ist hier bereits weitgehend auf bisher gemachte Vorschläge eingegangen worden. Mir fehlt noch ein klein wenig, um dem voll beipflichten zu können. Daraus, wie sich § 101 Abs. 2 jetzt darstellt, wonach nämlich die Staatsanwaltschaft gerichtliche Beweisaufnahmen zu beantragen hat, wenn an solchen „ein besonderes öffentliches Interesse besteht“ – wobei dieses Interesse noch näher definiert wird –, haben sich doch – wie aus dem Positionspapier Geyer hervorgegangen ist und auch die heutige Diskussion ergeben hat – gewisse Streitfragen ergeben, was den Umfang der gerichtlichen Ermittlungstätigkeit, die da vorgeschrieben ist, betrifft – verbunden mit der Befürchtung einer Doppelgleisigkeit von Erhebungen –, auch was Sanktionen gegen den Verstoß des Staatsanwaltes gegen diese Verpflichtung, gerichtliche Ermittlungen zu beantragen, betrifft. Schließlich ist auch die Frage aufgeworfen worden, was denn nun im Falle eines sonst a limine mit Einstellung zu erledigenden Verdachtes rechtens wäre.

Diese Streitfragen hängen meiner Ansicht nach im Wesentlichen damit zusammen, dass hier in § 101 Abs. 2 eine Muss-Bestimmung – das Wörtchen „hat“ spricht ja eindeutig dafür – geschaffen worden ist, in Wirklichkeit sollte jedoch eine der Staatsanwaltschaft erteilte Ermächtigung, eine Befugnis zum Ausdruck gebracht werden, was besser in eine Kann-Bestimmung zu fassen gewesen wäre. Damit wäre nämlich klargestellt, dass die Staatsanwaltschaft in jenen Fällen, in denen diese Voraussetzungen, also das besondere öffentliche Interesse aus bestimmten Gründen, vorliegen, bestimmte einzelne, gerichtliche Beweisaufnahmen beantragen kann, aber nicht muss. Sicherlich ist damit dem Staatsanwalt die Möglichkeit gegeben, sich auszusuchen, wer nun gewisse Vernehmungen, wer gewisse Beweisaufnahmen vornimmt; er wäre aber ein „schöner“ „Herr des Verfahrens“, wenn er diese Möglichkeit nicht hätte.

Was die Möglichkeit einer Einflussnahme des Bundesministeriums für Justiz auf die Entscheidung in solchen Fragen betrifft, so bin ich der Meinung, dass ihm unser System, das ich durchaus nicht befürworte, ganz andere Einflussmöglichkeiten einräumt – Möglichkeiten; ich sage nicht, dass er sie ergreifen muss –, die, verglichen mit jenen, die hier in § 101 geschaffen würden, weitaus gravierender sind.

Was zu § 23, also zur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, aber auch zur Stellung des Generalprokurators im Allgemeinen noch nachzutragen wäre, wäre der Vorschlag Müllers, gewisse Erweiterungen, welche die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes schon nach der bisherigen Rechtsprechung erfahren hat, hier festzuschreiben. Die Generalprokuratur hat das seinerzeit in ihrer Stellungnahme zur Regierungsvorlage deswegen nicht als erforderlich betrachtet, weil sie gemeint hat – und diesem Vorschlag ist ja auch gefolgt worden –, dass man sich möglichst an den bestehenden Gesetzestext anschließen sollte. – Das ist jetzt, da es hier um den Vorschlag Höpfels geht, sicher nicht mehr der Fall, aber im Übrigen ist doch eine weitgehende Anlehnung möglich. Das macht auch die bisherige Judikatur weitgehend verwertbar, sodass ich glaube, dass einer einschränkenden Auslegung der neuen Gesetzesstelle schon insoweit ein Riegel vorgeschoben wäre. Man kann immerhin überlegen, ob man diese Judikatur tatsächlich auch als Gesetz festschreibt.

Nicht befürworten würde ich, dass der Generalprokuratur Einfluss auf von der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden in dem Sinn eingeräumt wäre, dass sie von sich aus die Nichtigkeitsbeschwerde zurückziehen, einschränken oder Ähnliches mit ihr tun könnte. Das wäre doch ein Bruch mit dem bisherigen Verständnis der Generalprokuratur, mit dem bisherigen System, nach dem die Generalprokuratur eben keine Verfolgungsbehörde ist und keine Verantwortung für die Anklage trägt. Das würde sich sofort ändern zu dem Zeitpunkt, in dem sie ein solches Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht nur inhaltlich darauf prüfen könnte, welche Stellungnahme sie selbst dazu abgibt, sondern zugleich darüber verfügen könnte. Das hat dem Selbstverständnis der Generalprokuratur als einer Staatsanwaltschaft, die eben keine Verfolgungsbehörde ist, bisher nicht entsprochen.

HR Mag. Maximilian Edelbacher (Leiter des Kriminalkommissariats Süd): Ich habe heute zwei von drei Positionspapieren der Vereinigung der Juristen der österreichischen Sicherheitsbehörden und der Polizeijuristenvereinigung mitgebracht. Es hat mich, ehrlich gesagt, mitten ins Herz getroffen, dass Sie, Frau Vorsitzende, eines dieser Papiere gleich als „Non-Paper“ bezeichnet haben, denn ich meine, dass das, was im Konvent, was im Unterausschuss des Justizausschusses und im Bereich des Innenministeriums passiert, sehr wohl ineinandergreift. Es ist der Vereinigung der Juristen der österreichischen Sicherheitsbehörden der elementare Zusammenhang sehr wohl bewusst. Sie als Abgeordnete entscheiden ja, wie zukünftig die Bundesverfassung und, im Sinne des Stufenbaus der Rechtsordnung, die Strafprozessordnung und das Konstrukt der Exekutive ausschauen. Welche Qualität werden Sie den Bürgern und Bürgerinnen im Bereich der Sicherheit bieten?

Wir haben uns sehr wohl Sorge darüber gemacht, einerseits natürlich aus existenzieller Berechtigung, teilweise Angst, weil es ja die Spatzen schon von den Dächern pfeifen, dass die Zahl der Polizeijuristen wahrscheinlich sehr reduziert wird, ja diese möglicherweise überhaupt nicht mehr existieren werden. Auf der anderen Seite erhebt sich die berechtigte Frage: Wie werden Sie das Konstrukt Sicherheit gestalten? Nach welcher Architektur werden Sie hier vermitteln, wenn Sie auf der einen Seite eine militärisch geordnete Exekutive und auf der anderen Seite den Bereich des Staatsanwaltes haben? Mit welchen Mitteln und welchem Rollenverständnis kann die „kleine Zahl“ von Staatsanwälten, die wir ja heute noch gar nicht kennen, 25 000 Männer und Frauen in der Exekutive führen?

Wir von der Polizeijuristenvereinigung haben uns ein Hilfestellungs-Modell vorgestellt und das als Beitrag zur Strafprozessreform aus Sicht der Polizeijuristen hier vorgelegt. Und auch wenn Sie es nicht berücksichtigen, so habe ich doch die ernsthafte Bitte, dass Sie es zumindest aufnehmen.

Dr. Haidinger hat natürlich Recht damit, dass § 18 StPO noch gar nichts darüber aussagt, wie die Sicherheitsbehörde und die Struktur des Sicherheitsapparates zukünftig gestaltet sind. Aber gerade Sie hier im Parlament sollten sich dessen bewusst sein, wie diese Räder ineinandergreifen. Aus meiner 33-jährigen Erfahrung als im Sicherheitsapparat Tätiger mache ich mir große Sorgen um die Qualität dieses Apparates, denn ich sitze jetzt in Favoriten sozusagen an der Front und bin verstärkt mit Bürger-Beschwerden konfrontiert, weil vieles nicht funktioniert. Ich möchte nicht kurz vor dem Ende meiner Dienstzeit erleben, dass diese Sicherheitsbehörde wesentlichen Schaden erleidet.

RA Dr. Elisabeth Rech (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag): Ich habe mich ein zweites Mal zu Wort gemeldet, um zu § 101, in dem es um das Ermittlungsverfahren und den Staatsanwalt geht, Stellung zu nehmen. Die Rechtsanwaltschaft war von Anfang an sehr davon angetan, dass in diesem neuen Regelungswerk die Aufgaben sehr klar auf verschiedene Personen verteilt werden – und dass auch klar vorgegeben ist, wie die Trennung zwischen Richter und Staatsanwalt zu funktionieren hat.

Meines Erachtens war der Grund dafür, dass wir jetzt andere Regelungen haben, eine Diskussion, die in den Medien breit getreten wurde, dass eben die Bevölkerung diese Vorstellung in sich habe, nur der Richter könne wirklich urteilen, während man dem Staatsanwalt hilflos ausgeliefert sei.

Das ist auch hier diskutiert worden, und man hat sich eigentlich zu dieser gemeinsamen Meinung gefunden – so hatte ich zumindest den Eindruck –, dass man gesagt hat, wir sind uns einig darin, dass diese Meinung falsch ist. Wir glauben sehr wohl, dass auch der Staatsanwalt das sehr gut kann, aber wir müssen dieser Anscheinsproblematik irgendwie begegnen. Dieses Wort „Anscheinsproblematik“ steht jetzt in einer Fußnote. Wenn es wirklich um diese Anscheinsproblematik geht und wenn wir uns dazu bekennen, dann muss ich allerdings sagen, dass mit dieser Regelung wirklich keine Abhilfe geschaffen worden ist.

Im Endeffekt entscheidet jetzt wieder der Staatsanwalt, der weisungsgebunden ist, welche Akten, welche Fälle tatsächlich zum Untersuchungsrichter weitergehen. Wenn es wirklich nur um diese Anscheinsproblematik geht, dann hat man mit dieser Regelung nichts gewonnen. Ich hätte mir eigentlich mehr Selbstbewusstsein erhofft und erwartet, dass man sagt – und auch der Bevölkerung damit zu verstehen gibt –, dass das der Staatsanwalt sehr gut kann. Auf der einen Seite gibt man dem Staatsanwalt mittlerweile Aufgaben, bei denen wir durchaus der Meinung sind, das sind Aufgaben des Richters – und auf der anderen Seite traut man ihm die Ermittlungen, die eigentlich dem Staatsanwalt von seiner Aufgabe her zustehen, nicht zu.

Wenn ich jetzt von der Position ausgehe, der der Beschuldigte gegenübersteht, dann muss ich sagen, dass sich seine Position noch ein bisschen verschärft hat. Mittlerweile steht er nämlich dem Richter als Ermittler, dem Staatsanwalt als Ermittler, der Sicherheitsbehörde als Ermittlerin gegenüber – und das Opfer hat auch noch gewisse Rechte, also sagen wir auch dem Opfer als Ermittler. Der Beschuldigte hat einen Rechtsanwalt an seiner Seite, der sehr wenige Rechte hat. Wenn ich in diesem Zusammenhang noch einmal die neue Regelung ansprechen darf, wonach ein subjektives Recht nur dann verletzt ist, wenn es sich nicht um eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft und der Sicherheitsbehörde handelt, dann muss ich sagen, ist es um den Beschuldigten und seine Rechte mittlerweile wirklich sehr schlimm bestellt.

Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer (Rechtsanwalt, Wien): Ich teile diese Meinung und möchte dem nichts hinzufügen. Ich wollte mich ursprünglich auch nur zu den Opferrechten zu Wort melden.

Abschließend möchte ich aber schon anmerken, dass es in diesem Abänderungsantrag massive Änderungen bei den §§ 59, 60 und 164 gibt, die heute nicht zur Sprache gekommen und für Verteidiger absolut inakzeptabel sind.

Richter Dr. Klaus Schröder (Landesgericht Innsbruck, Vorsitzender der Bundessektion 23 – Richter und Staatsanwälte – in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst): Das Bundesministerium für Justiz hat bei der Firma ROI Seidel Management Consulting AG eine Studie in Auftrag gegeben, um den Personalbedarf abzuschätzen beziehungsweise auszurechnen. Diese Studie kommt zum Ergebnis, dass zur Umsetzung der Reform 93 Staatsanwälte und – so wird es in der Studie bezeichnet – 35 Staats- und Bezirksanwälte auf bezirksgerichtlicher Ebene zusätzlich notwendig sind.

Derzeit sind in Österreich 183 Staatsanwälte und 154 Bezirksanwälte tätig. Die Studie kommt weiter zum Ergebnis, dass der Nettomehrbedarf tatsächlich nur insgesamt 56 Staatsanwälte beträgt, weil gleichzeitig 33 Untersuchungsrichter, sieben Richter der bisherigen Ratskammer und 32 Strafrichter bei den Bezirksgerichten eingespart werden könnten. Diese 32 Strafrichter bedeuten zirka ein Drittel der bisher – nicht in Köpfen, aber als Vollzeitkapazitäten – eingesetzten richterlichen Kapazität in Strafsachen bei den Bezirksgerichten.

Nicht nur wir als Standesvertretung, sondern eigentlich ein Großteil der Kollegenschaft hat nach Studium dieses Ergebnisses die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt, diese Studie ist in weiten Teilen nicht richtig. Wir wollten das allerdings nicht auf einem Gefühl begründen und haben in sehr kurzer Zeit – die Studie liegt erst sehr kurz vor – sämtliche in Strafsachen tätigen Bezirksrichter österreichweit – das sind in Köpfen gerechnet zirka 250, weil viele Kolleginnen und Kollegen nur teilweise Strafsachen machen – ersucht, uns mitzuteilen, ob diese Einschätzungen hinsichtlich ihrer Tätigkeit im Rahmen des gerichtliches Vorverfahrens, die dann wegfallen würde, wovon ein Drittel ihrer Arbeit umfasst ist, richtig sind.

Ich habe die Auswertung hier. Es haben sich fast alle in Strafsachen tätigen Bezirksrichter österreichweit daran beteiligt. Sämtliche Richter, die sich geäußert haben, kommen zum Ergebnis, dass diese Schätzung der Firma ROI vollkommen falsch ist und nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht.

Die Studie erweist sich auch hinsichtlich des Mehraufwandes und des Mehrbedarfes bei den Staatsanwälten in weiten Punkten als nicht zutreffend. Lassen Sie mich ganz kurz die Gründe dafür ausführen, damit Sie sehen, dass das nicht eine lobbyistische Standesvertretungstaktik ist, sondern wir uns natürlich auch Gedanken darüber machen!

In der Studie wird eingeräumt, dass die Fehlerquote beim Mehrbedarf an Staatsanwälten und beim Einsparungspotential an den Landesgerichten plus/minus 5 Prozent betrage. Das sind, wenn man oben und unten zusammenrechnet, schon 10 Prozent beziehungsweise 20 Prozent, wenn man den oberen Wert nimmt. Die Fehlerquote beim Einsparungspotential, soweit es die Bezirksrichter in Strafsachen betrifft, liegt sogar bei 10 bis 20 Prozent.

Das Ergebnis, das jetzt umgesetzt werden soll, nimmt den Minimalbedarf her, ohne auf diese Fehlerquote einzugehen. Die Standesvertretung hat auf Grund internationaler Vergleiche gemeinsam mit der Vereinigung der Staatsanwälte errechnet, dass der Mehrbedarf an Staatsanwälten in etwa 180 bis 200 beträgt. Die Studie wurde auf Grund der Vorgaben des Bundesministeriums für Justiz unter äußerstem Zeitdruck erstellt. Als statistische Grundlage konnte lediglich ein zweiwöchiger Beobachtungszeitraum herangezogen werden.

Die Firma ROI hat zu Beginn ihrer Tätigkeit erklärt, für eine fundierte Studie wäre zumindest ein Zeitaufwand von sechs Monaten notwendig, der allerdings nicht zur Verfügung stand. An der Erhebung bei den Bezirksgerichten – es wurden Aufschreibungen vorgenommen – waren sage und schreibe elf Richter österreichweit eingebunden, obwohl über 250 Richterinnen und Richter österreichweit ganz oder teilweise in Strafsachen tätig sind. Wenn Sie sich ein wenig mit Statistik, mit dem Sample von Statistiken und den Auswertungsnotwendigkeiten beschäftigen, dann können Sie sich ein Bild über die „Genauigkeit“ dieser Ergebnisse machen.

Ein ganz wesentlicher Punkt, warum diese Studie nicht zutreffend ist, ist jener, dass die Berechnungen der Mehrarbeit bei den Staatsanwälten beziehungsweise des Einsparungspotentials bei den Gerichten auf Grund des Gesetzentwurfes erfolgte, wie er als Regierungsvorlage vorgelegen ist. Die gesamten Änderungen, die sich in den letzten Wochen und Monaten ergeben haben und ausgearbeitet wurden, wurden bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt.

Ich werde ein ganz drastisches Beispiel aus dieser Studie herausgreifen. In diesem Entwurf ist nach § 108, glaube ich, vorgesehen, dass dann, wenn ein rechtliches Hindernis entgegensteht beziehungsweise wenn das Verfahren schon eine gewisse Zeit dauert und keine Aussicht auf Erfolg besteht – sechs Monate beziehungsweise ein Jahr bei Verbrechen –, der Verdächtige einen Antrag bei Gericht auf Einstellung des Verfahrens stellen kann.

Sie können sich vorstellen, dass nach einem Jahr an Ermittlungen der Akt mindestens ein paar hundert Seiten dick sein wird, wenn es eine große Strafsache ist, ein paar tausend Seiten. Die Studie räumt dem Richter, der mit diesem Fall vielleicht noch gar nicht beschäftigt war, genau 28,5 Minuten Zeit ein, um darüber zu entscheiden. In 28,5 Minuten muss der Richter den Akt lesen, eine Entscheidung überlegen, die Entscheidung diktieren, die Entscheidung korrigieren und die Entscheidung abfertigen. – Sie sehen also, dass hier mit Zeitwerten gerechnet wird, die völlig unrealistisch sind.

Die nunmehr vorgesehene verbleibende Ermittlungstätigkeit des Untersuchungsrichters wurde bei der Berechnung des Verschiebungspotentials nicht berücksichtigt; das habe ich bereits ausgeführt. Hinsichtlich der neuen, hinzugekommenen Aufgaben, die bisher nicht durchgeführt wurden, enthält die Studie nur sehr oberflächliche Schätzungen, die überhaupt nicht berechnet wurden. Die Auswirkungen auf das Hauptverhandlungsverfahren wurden überhaupt nicht berücksichtigt, wobei viele Experten und wir auch der Meinung sind, dass die geplanten Änderungen im Vorverfahren auch einen erhöhten Aufwand im Hauptverfahren nach sich ziehen werden.

Was sind die Folgen dieser drohenden personellen Minderausstattung? – Mit den vom BMJ vorgesehenen Personalressourcen ist eine der Intention des Gesetzes entsprechende Umsetzung in der Praxis nicht möglich. Die Staatsanwaltschaften können auf Grund der personellen Unterdotierung ihre Leitungs- und Kontrollfunktion gegenüber der Polizei nicht oder nur sehr eingeschränkt wahrnehmen.

Hier darf ich den zweiten Punkt einfügen. Auch in diesem Sinne – und nur in diesem Sinne! – waren meine gestrigen Äußerungen im Rahmen der Pressekonferenz zu verstehen, in der ich darauf hingewiesen habe, dass, je geringer die personellen Ressourcen bei der Staatsanwaltschaft sind, desto selbständiger und unabhängiger natürlich die Polizei arbeiten kann und muss, weil die Staatsanwaltschaft einfach nicht die Zeit hat, die entsprechenden Leitungs- und Kontrollbefugnisse wahrzunehmen.

Das möchte ich hier ausdrücklich klarstellen, weil einige Irritationen entstanden sind, insbesondere bei Vertretern der Sicherheitsexekutive und der Polizei. Die Gerichte sind – sollte die Personalverschiebung zu den Staatsanwaltschaften in diesem Ausmaß umgesetzt werden – nicht in der Lage, einen dem Gedanken des Gesetzes entsprechenden Rechtsschutz zu gewähren. Die Gerichte – der Herr Bundesminister hat es immer wieder bestätigt, auch in den letzten Wochen – sind ja jetzt schon personell unterbesetzt.

Ich darf an den Herrn Bundesminister die eindringliche Bitte richten, diese Einwendungen und diese Überlegungen mit zu berücksichtigen. Ich darf ihn darum bitten, dass er sich noch einmal ganz gründlich überlegt, wie hoch die personelle Ausstattung tatsächlich sein wird. Ich darf auch die Damen und Herren Abgeordneten bitten, auch wenn ich weiß, dass sie als Legislative dafür nicht primär zuständig sind, sondern natürlich die Exekutive dann die entsprechenden ... (Obfrau Dr. Fekter: Das Budget beschließen wir schon da!) – Das Budget beschließen Sie, aber im konkreten Fall beschließen Sie nicht mit dem Gesetz die notwendigen Planstellen. Sie können das natürlich über entsprechende Erklärungen beziehungsweise im Rahmen des Budgetbeschlusses mit berücksichtigen.

Uns ist es ein Anliegen, dass dieses Gesetz funktioniert. Bitte, meine Damen und Herren Abgeordneten, und bitte, Herr Bundesminister – ich habe versucht, das jetzt objektiv darzustellen –: Geben Sie uns die Chance, dass wir das Gesetz auch entsprechend vollziehen können!

Oberstaatsanwalt Mag. Christian Pilnacek (Bundesministerium für Justiz, Sektion II): Ich nehme zur Kenntnis – und es verwundert mich doch einigermaßen –, dass die Richterschaft von einem seriösen Beratungsunternehmen hellseherische Fähigkeiten verlangt, nämlich dahin gehend, wie das endgültige Ergebnis der Ausschussberatungen aussehen wird. (Abg. Dr. Jarolim: Auch die Polizeireform!)

Ebenso nehme ich zur Kenntnis, dass das Beratungsunternehmen eine objektive Studie erstellt hat, die jetzt durch die subjektive Einschätzung einer Befragung, die höchst punktuell ist, konterkariert wird. Auch das ist offenbar Ausdruck besonderer richterlicher Entscheidungsfindung.

Ich nehme auch zur Kenntnis, dass Frau Dr. Brachtel unmittelbar an der Erstellung der Berechnungsgrundlagen beteiligt war. Ihre ganz subjektive Einschätzung – und ich hoffe, sie nicht falsch zu zitieren – war, dass ausdrücklich Dank ausgesprochen worden ist, wie sehr die Stellungnahmen der Richter und Staatsanwälte, die in diese Studie eingebunden waren, ernst genommen wurden und wie transparent die Studienerstellung abgelaufen ist. Insoweit kann ich gar nicht und will es auch nicht glauben, dass dieser Studie auf einmal jede Seriosität abgesprochen wird.

Zur Frage des Personalmehrbedarfes gibt es auch Äußerungen des Vereins der österreichischen Staatsanwälte, die unmittelbar bei der Präsentation der Studie nicht ganz so negativ hinsichtlich der Berechnungsart waren. Ich denke – und das hat auch Herr Dr. Seidel betont –, es wurden bestimmte Verfahrensmodule berechnet. Natürlich ist zu berücksichtigen, dass nach dem Entwurf dieses Abänderungsantrags wiederum mehr Aufgaben auf das Gericht zukommen als nach der Regierungsvorlage. Diese Modulberechnung erlaubt es aber auch, den Umschichtungsbedarf geringer anzusetzen als in der Studie. Das ist eigentlich nicht so eine schwierige Aufgabe – und das steht auch in der Studie, wenn man sie liest.

Noch zu den statistischen Grundlagen. Man kann natürlich sehr viel mit Zahlen operieren, aber es wurden immerhin in diesem Zeitraum Tätigkeitsaufschreibungen von circa 27 Prozent der Untersuchungsrichter beziehungsweise Staatsanwaltschaften sowie eine Auswertung von etwa 2 200 erledigten Strafsachen vorgenommen. An den Datenerhebungen waren insgesamt rund 170 Justizbedienstete beteiligt, wobei uns die Projektmitarbeit ganz besonders wichtig war.

Ich hoffe, auch von Frau Dr. Brachtel bestätigt zu bekommen, dass das intensive Arbeiten waren, bei denen niemandem das Wort abgeschnitten worden ist und wir versucht haben, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten und seriöse Berechnungsmodelle zu entwickeln.

Deswegen halte ich den Umstand, dass auf Grund einer Befragung der betroffenen Richter, die das Ergebnis natürlich nicht vorhersehen konnten, die gesamte Studie als unseriös bezeichnet wird, für ein bisschen ein starkes Verdikt, das gut überlegt sein sollte, denn ich bitte, zu berücksichtigen, ob überhaupt gefragt worden ist, dass bei den Bezirksgerichten die gesamte Arbeit der Rechtshilfe und die ganzen Rechtshilfevernehmungen wegfallen. Das ist ein Unsicherheitsfaktor. Die Seriosität der Studie wird dadurch unterstrichen, dass eine realistische Einschätzung der Personalkapazitäten vorgenommen worden ist. Sie ist jedenfalls so realistisch, als dass diese Studie ohne jede inhaltliche Vorgaben durch den Minister in Auftrag gegeben worden ist. Und das ist das Ergebnis. Man kann das jetzt als unseriös kritisieren. Ich möchte aber alle, die daran mitgearbeitet haben, von diesem Vorwurf entbinden. Es war eine seriöse, gediegene Arbeit, die unter höchstem Zeitdruck und unentgeltlich von den Betroffenen geleistet worden ist.

o.Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk (Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht): Die Studie, die Theo Öhlinger und ich über die Frage der verfassungsrechtlichen Beurteilung in struktureller Hinsicht angestellt haben, hat folgendes Bestreben: Sie versucht, Vereinfachungen zu vermeiden und eine komplexe Fragestellung auf komplexe Weise zu beantworten. Dabei hat sich gezeigt, dass sich bei den vielen komplexen Fragestellungen das Kernproblem auf den Rechtschutz konzentriert, nämlich auf die Frage: Rechtschutz gewaltenüberschreitend, Stichwort: UVS, oder Rechtschutz zu den Gerichten.

In dieser Frage kann man mit sehr gut vorzeigbaren Argumenten argumentieren – sowohl historisch als auch systematisch als auch teleologisch –, dass das Modell, das das Vorhaben „Strafprozessreform“ gewählt hat, verfassungsrechtlich haltbar ist.

Nochmals: Das ist alles andere als ein verfassungsrechtlich riskantes Unternehmen! Was man nicht prognostizieren kann, ist die Auffassung, die der Verfassungsgerichtshof dazu haben wird. Aber ich meine, das gehört zum „normalen“ Lebensrisiko in einer gewaltentrennenden Demokratie mit verfassungsgerichtlicher Normenkontrolle. Aber es ist nicht so, dass hier in irgendeiner verfassungsrechtlich leichtfertigen Weise ein Modell gewählt wird, von dem man absehen kann, dass es verfassungsrechtlich nicht hält,

Wenn man nun die Gegenargumente bemüht, etwa die, die die Kollegen Walter und Zeleny geäußert haben, dann lade ich ein, einen Vergleich der Argumentationsweisen anzustellen, der meiner Ansicht nach für sich spricht. Es ist da doch eine deutliche Schieflage festzustellen, was die Tiefe und Breite der Argumentation betrifft.

Das festzuhalten, liegt mir am Herzen: Das ist kein verfassungsrechtliches Glücksspiel! Es gibt natürlich ein gewisses Restrisiko. Das ist in den meisten dieser Fälle so. Wenn man dieses Restrisiko nicht haben möchte, empfiehlt es sich – und vielleicht empfiehlt es sich überhaupt angesichts eines solchen Jahrhundert-Vorhabens! –, eine verfassungsrechtliche Absicherung entsprechenden Inhaltes vorzusehen.

Was die Stellung der Staatsanwaltschaft angeht, so haben wir neben den einzelnen Rollenänderungen – Stichwort: Diversion, Stichwort: Ermittlungsleitung – jenes Ergebnis zu beachten, das sich aus der Kombination der Rollenänderungen ergibt. Das hat nun noch eine weitere Qualität, und dazu möchte ich anmerken, dass das sehr wohl Anlass dazu geben sollte, sich über die verfassungsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft Gedanken zu machen.

Ich glaube, dass das Problem des Weisungsrechts da natürlich eine ganz große Rolle spielt, aber mit Kollegen Moos bin ich der Meinung, dass es nicht so einfach damit getan wäre, dass man sagt: Weg mit dem Weisungsrecht!, aber es hat mit dem Weisungsrecht natürlich zu tun.

Zur Frage der Vorabentscheidung, die Kollege Höpfel angesprochen hat: Europarechtlich gesehen gibt es eine Verpflichtung für ein Gericht letzter Instanz, eine Vorabentscheidung zu beantragen, wenn – im Wesentlichem gesprochen – die Entscheidung von einer Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt und dazu keine klare Lösung, sei es durch das Gemeinschaftsrechts selbst, sei es durch die Rechtsprechung des EuGH, vorliegt. So gesehen ist die Frage, ob eine Verpflichtung zu einer Vorabentscheidung besteht oder nicht, sehr wohl linear zu prüfen – und hängt nicht erst im Nachhinein von der Beurteilung ab, ob der EuGH eine andere Entscheidung getroffen hätte. Das spricht dafür, dass man hier einen Rechtschutzbehelf zur Durchsetzung einer Vorabentscheidung vorsieht.

Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs geht übrigens auch in die gleich Richtung. Sie geht davon aus, dass dann, wenn eine Vorabentscheidung nicht beantragt wird, obwohl sie zu beantragen gewesen wäre, ein Eingriff in das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vorliegt.

Ich glaube, dass der Vorschlag von Höpfel hier sehr wohl entlastend und zielführend ist. Letzten Endes ist das Problem dann auch eine Fragestellung, die über das Ganze weit hinausgeht, nämlich die Fragestellung „Grundrechtsbeschwerde im Bereich der Gerichtsbarkeit“. Ich möchte das hier nur erwähnen.

Schließlich zum Kernproblem: Die Staatsanwaltschaft unterlässt es, gerichtliche Ermittlungen zu beantragen. Sie ist vom Gesetz her verpflichtet, dies zu tun, sie unterlässt es aber.

Nun mein Vorschlag im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation: Wenn die Staatsanwaltschaft es unterlässt, pflichtgemäß gerichtliche Ermittlungen zu beantragen, dann schafft sie damit eine rechtswidrige Lage hinsichtlich der Zuständigkeit im Verfahren. Das heißt, man kann eine solche Unterlassung der Staatsanwaltschaft sehr wohl als Rechtseingriff interpretieren, als Verletzung des Rechtes des Beschuldigten auf den gesetzlichen Richter, und wenn man bereit ist, diese Brücke gedanklich zu begehen, dann ist man wieder beim § 106. Da würde das Unterlassen der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft eine Verweigerung der Ausübung eines Rechts sein, nämlich des Rechts des Beschuldigten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Ich möchte das nur als eine Art Auslegungshypothese hier vorstellen und damit zeigen, dass man, wenn man da verfassungskonform interpretiert, vielleicht sehr vieles abfangen kann, was an Kritikpunkten gebracht wurde.

Nun zum Thema „Staatsanwaltschaft“ und „richterliche Ermittlungen“.

Die Staatsanwaltschaft ist dem Grunde nach gebunden, aber dem Umfang nach nicht. Was sie dem Gericht zur Ermittlung überweist, das entscheidet sie, und das ist eine Ermessensentscheidung. Da möchte ich jetzt die Probe aufs Exempel machen für etwas, was schon bei der letzten Sitzung ein Kritikpunkt von mir war.

Wenn man den § 106 mit dem Zusatz bemüht, dann zeigt sich, dass genau diese Ermessensentscheidung sehr wohl Gegenstand eines Einspruches ist und dass sehr wohl geprüft werden muss, ob die Staatsanwaltschaft da vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat oder nicht.

Nochmals: Es geht nicht um die Entscheidung dem Grunde nach, ob sie in dem Verfahren überhaupt richterliche Ermittlungen beantragt, sondern darum, welche und wie viele sie beantragt. Da zeigt sich für mich, dass die Intention, die ich hinter dem Zusatz des § 106 vermute und die zu Recht kritisiert wurde, fehlschlägt. So gesehen würde ich bei verfassungskonformer Interpretation allen Kritikern dieser Regelung – die Kritik ist sicherlich berechtigt – im Sinne einer gewissen Beruhigung entgegenhalten: Na ja, bitte, lei lassen, man kann damit leben! Wenn es richtig und kritisch angewendet wird, dann besteht ohnehin die Verpflichtung, in jedem einzelnen Fall zu prüfen, erstens, ob überhaupt Ermessen bestanden hat und wie weit dieses Ermessen gereicht hat, und zweitens, ob von diesem Ermessen, wenn es bestanden hat, im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

Das, was sich die Autoren dieser Regelung vermutlich damit erwarten – ich will niemandem zu nahe treten –, dürfte nicht funktionieren, denn das geht in eine andere Richtung. Das ginge in eine Art „Evidenzkontrolle“, zu sagen, das ist offensichtlich mutwillig oder offensichtlich verfehlt. Das müsste man aber dann anders formulieren.

Also ich bin da wieder in dem schon erwähnten Zwiespalt: An und für sich gefällt mir diese Bestimmung überhaupt nicht, aber ich denke, wenn man sie selbst sozusagen beim Wort nimmt, dann führt sie sich selbst ad absurdum. Es kommt nur darauf an, wie man das argumentiert.

Noch eine letzte Frage – Herr Dr. Lambauer hat sie angesprochen, und sie wurde nicht beantwortet –, die Frage der Parallelermittlungen.

Ich glaube, dass auch da im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation davon auszugehen ist, dass parallele Ermittlungen im Zweifel nicht zulässig sind, weil sie in Rechte des Betroffenen belastend eingreifen, da sie damit eine Beeinträchtigung des Prinzips der Klarheit der Zuständigkeiten wären, und damit sind der gesetzliche Richter und natürlich auch die Frage der Verhältnismäßigkeit angesprochen.

Ich will damit nicht sagen, dass parallele Ermittlungen absolut ausgeschlossen werden sollen. Es kann Situationen geben, in denen das zulässig sein kann, aber auch da wird der Maßstab am § 106 Abs. 1 mit dem „ominösen“ Zusatz anzulegen sein, und es wird im Einzelfall darzutun und zu begründen sein, warum von einem möglichen Ermessen in Richtung parallele Ermittlungen, also Ermittlungskonkurrenz, Gebrauch gemacht wurde, obwohl alle Grundsätze dagegen sprechen.

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Ich möchte darauf hinweisen, weil Professor Höpfel das auch massiv vorgebracht hat und das nicht entsprechend intensiv diskutiert worden ist, dass die Bestimmung, die Unterlassung der Vorabentscheidung ex lege als rechtwidrig zu erkennen und daher Nichtigkeitsbeschwerde zuzulassen, im Ministerialentwurf enthalten war, dies aber massiv kritisiert wurde und daher nicht in die Regierungsvorlage hineingenommen wurde.

Ich bin eher der Meinung des Kollegen Hauptmann, der diese Ex-lege-Gesetzwidrigkeit doch als zu weit gehend ansieht. Ich glaube, dass gerade diese Dinge im Österreich-Konvent – zusammen mit der Grundrechtsbeschwerde, mit der Verfassungsbeschwerde für höchstgerichtliche Entscheidungen – mit beraten werden sollten, denn wenn wir so etwas doch in das Gesetz mit aufnehmen, greifen wir eigentlich in unser Baukastensystem des Verfassungs-Konvents ein.

Also ich habe das schon so verstanden, dass sie sozusagen Sympathie für das haben, was Herr Professor Höpfel hier erwähnt hat, und wir wollen ja nicht, dass dieser Entwurf verfassungswidrig ist. Aber dass wir hier wirklich eine Ex-lege-Gesetzwidrigkeit hineinschreiben – für eine Ermessensfrage im Grunde genommen, das muss man ehrlicherweise dazusagen! –, das halte ich für problematisch.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Zur leidigen Geschichte mit dem Weisungsrecht beziehungsweise mit der Weisungsspitze. Meiner Meinung nach ist die ganze Diskussion, die darüber von den größten Kapazundern, die es auf dem jeweiligen Gebiet gibt, und die von den höchsten Hierarchieträgern geführt wird, völlig überflüssig, wenn man das täte, was das Naheliegendste ist, nämlich die Frage: Hat der Bundesminister für Justiz weiterhin oberster Weisungsgeber von Staatsanwälten zu sein; ja oder nein?, so beantwortet, wie sie nach meinem Dafürhalten zu beantworten ist, nämlich mit einem Nein.

Aber diese Diskussionen gibt es auch im Österreich-Konvent, wo ich ebenfalls Mitglied bin, und zwar gibt es sie genauso wie hier, zwar mit differenzierten Standpunkten, aber die haben eine politischen Ausrichtung. Diejenigen, die hinter Böhmdorfer und seiner Partei stehen, sind dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Diejenigen, die hinter Fekter und ihrer Partei stehen, sehen das ein bisschen differenzierter, aber sie sind im Wesentlichen derselben Meinung. Alle anderen in diesem Konvent, wo die Mitglieder ad personam nominiert werden und nicht nach politischen Parteien, sehen die Dinge wesentlich anders.

In nicht allzu ferner Zeit kommt auch der Bericht des „Ausschusses 9“, wo diese Frage genau besprochen wird. Ich sage Ihnen als Mitglied beider Gremien: Ich habe es satt, wenn ich in dem einen Gremium sitze, immer auf das jeweils andere verwiesen zu werden! Da bin ich ausnahmsweise der Meinung des Herrn Hofrates Edelbacher: In Wahrheit ist das alles eine politische Rosstäuscherei!

Geplant ist, nächsten Donnerstag die große StPO-Reform im Plenum des Nationalrates zu beschließen, weil die Mehrheit dafür ist. Was vom Abänderungsantrag, der eigentlich noch keiner ist, weil er erst eingebracht werden muss, und zwar kommenden Freitag, kommen wird, wissen wir nicht, denn wir reden ja jetzt immer noch über die Regierungsvorlage und über das, was Herr Mag. Pilnacek für unsere Beratungen zusammengefasst hat. Erst am Freitag reden wir Politiker dann tatsächlich über die StPO-Reform im Ausschuss, und am nächsten Donnerstag wird die StPO-Reform im Plenum beschlossen, und dann werden alle sagen: Alles andere ist Sache des Konvents!

Meiner Meinung nach ist nichts in dieser Republik, was mit Verfassungsfragen zu tun hat, Sache des Konvents, denn es gibt den Souverän, und den Souverän vertreten wir Abgeordnete. Kein Amt, kein einziges Mitglied des Konvents hat die Legitimation, eine Verfassung zu beschließen. Die Mitglieder des Konvents können nachdenken, können im Auftrag Schüssels oder der anderen Parteichefs Vorschläge machen, aber den Souverän vertreten immer noch der Nationalrat und der Bundesrat, und dort sollen die Entscheidungen gefällt werden.

Es werden also am nächsten Donnerstag die Volksvertreter die StPO-Reform beschließen, und dort wird genau so heftig wie jetzt immer wieder gesagt: Mit all den anderen Fragen, der Frage des Weisungsrecht und mit Verfassungsfragen, wird sich der Konvent beschäftigen!

Ich sagen Ihnen: Der Konvent wird sich damit überhaupt nicht beschäftigen, denn dann wird man sagen: Die StPO-Reform ist Gott sei Dank nach Jahrzehnten der Diskussion beschlossen!

Alle wollen eine StPO-Reform. Aber das, was mich – jetzt spreche ich wieder als Politikerin – daran stört, ist, dass man hier das nicht tut, was in der Politik ja eigentlich sein sollte, nämlich zu versuchen, den größtmöglichen Konsens in solchen Fragen, die wirklich Jahrhundertfragen sind, denn so oft gibt es eine so große Reform nicht, anzustreben.

Die Standesvertretungen und die Berufsvertretungen, auch Opfereinrichtungen, sind ein Teil davon. Ich bin in den Beratungen des Unterausschusses eigentlich immer davon ausgegangen, dass es das Ziel der Vertreter des Souveräns, nämlich der politischen Fraktionen hier im Nationalrat, ist, zu versuchen, zu einem Kompromiss zu finden. Inzwischen habe ich alle Illusionen diesbezüglich aufgegeben.

Es ist bereits so, dass ich sage, wenn nicht bald diese StPO-Reform kommt, dann bleibt von den ursprünglichen Überlegungen sukzessive immer weniger übrig, wiewohl ich das, was es hier in den Ausschussberatungen durch Ihr Zutun noch an Positivem, also an Verbesserungen, oder Veränderungen gegeben hat, überhaupt nicht schmälern möchte. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass dies insgesamt sehr wertvoll war.

Warum beschließen wir diese StPO-Reform nicht im März oder im Juni, zumal ja die Legisvakanz von vier Jahren gewiss ist? In diesem Abänderungsantrag steht schon: 1. Jänner 2008. Ich verstehe nicht, warum wir nicht versuchen, noch mehr Kompromiss und Konsens über einen Kompromiss zu finden – es ist ohnehin egal, ob wir die StPO-Reform nächste Woche oder in zwei Monaten beschließen.

Jetzt komme ich zurück zu dieser leidigen Frage des Weisungsrechtes. Derjenige, der am öftesten sagt, noch nie hat er eine Weisung gegeben, nämlich Minister Böhmdorfer, sträubt sich so vehement, das zu machen, was in so vielen europäischen Ländern Standard ist, worüber auch die Diskussion, soweit ich die Zeitungsberichte richtig verstanden habe, in der Bundesrepublik Deutschland läuft.

Dafür hat niemand Verständnis, dass Bundesminister Böhmdorfer auf das Weisungsrecht so beharrt und sich allen anderen vorgeschlagenen Modellen völlig verschließt. – Das alles ist doch zutiefst politisch, solange es in der Republik 200 Staatsanwälte gibt und die Karriere jedes einzelnen Staatsanwaltes/jeder einzelnen Staatsanwältin von Böhmdorfer abhängt und von sonst niemandem, weil er nämlich der oberste Chef ist. Solange diese Stellung der Staatsanwaltschaft unverändert bleibt, wird sich daran nichts ändern, dass der jeweilige Justizminister/die jeweilige Justizministerin keine Weisungen aussprechen muss, sondern es gibt möglicherweise so etwas – jetzt will ich Ihnen nicht nahe treten, meine Damen und Herren Staatsanwälte – wie in Fleisch und Blut übergegangenes Verhalten, denn niemand ist seines Hemdes Feind, wenn es um die eigene Laufbahn geht.

All diese schwerwiegenden Fragen lassen sich nicht lösen, indem man sagt: Jetzt diskutieren wir ohnehin schon so lange, machen wir jetzt endlich Schluss damit, damit wir ein bisschen mehr Luft haben! Ich frage mich nur: Wofür?– Sie wird nämlich nicht genützt werden. Diese Diskussion hat nichts mit der Regierungsvorlage und dem Abänderungsantrag zu tun, denn das ist darin nicht enthalten.

Wo ist der Raum, wo das diskutiert wurde? Wo gibt es so etwas wie Absichtserklärungen? Da müssten wir ja jetzt, fünf Minuten vor Beschlussfassung, eigentlich schon einen Entwurf für eine Ausschussfeststellung haben, Frau Vorsitzende!

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren Staatsanwälte: Ich würde nicht einmal einen Funken Vertrauen in die Zusagen hinsichtlich Personal und so weiter haben. Auf der anderen Seite gibt es eine Diskussion über die 50 Wiener Polizeijuristen, die vielleicht demnächst zwar nicht arbeitslos, aber ohne Arbeit sein werden und dann auf Staatsanwälte umgeschult werden. Ist es das, was Sie wollen? Dann wird man kommen und sagen: So, jetzt habt ihr eure 50 mehr, der Arbeitsanfall wird durchaus zu bewältigen sein. Das sind die Folgen der StPO-Reform, womit alle letztendlich irgendwie ein bisschen oder doch mehr oder weniger zufrieden gewesen sind.

Meiner Fraktion, die mich fragen wird, ob sie nächste Woche dieser StPO-Reform zustimmen soll – es gibt ja so viele Punkte, denen wir zustimmen –, werde ich mit tiefster Überzeugung sagen: Nein, bitte nicht! Ich glaube auch nicht, dass irgendjemand in diesem Fall an meinem Urteil den geringsten Zweifel haben wird, weil es nämlich die ganzen anderen Signale schlicht und einfach nicht gibt.

Jetzt noch ein letzter Punkt, da die Unterausschusssitzung ihrem Ende zugeht. Auf der Tagesordnung der Unterausschusssitzung steht: „Enschließungsantrag der Abgeordneten Maga. Stoisits, Kolleginnen und Kollegen betreffend Reform der Verfahrenshilfe im Strafprozess“. Das ist ein Antrag, der von mir eingebracht wurde; dieser wurde dem Ausschuss zur Behandlung zugewiesen. Bedauerlicherweise hat ihn nie jemand von anderen Fraktionen erwähnt – von den Experten und Expertinnen kann ich das ja nicht erwarten, weil diese das möglicherweise gar nicht wissen – und auch nicht gesagt, was davon zu halten ist.

Es gibt logischerweise einen sehr engen Konnex. Die Pflichtverteidigung in dieser Republik wird nämlich mit einem Federstrich abgeschafft; die gibt es nicht mehr. Das steht fest. Es wurden aber keine Überlegungen hinsichtlich Verfahrenshilfe angestellt.

Mein Entschließungsantrag geht in diese Richtung – ich zitiere –:

„Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, im Rahmen der Vorbereitung der Neuregelung des strafprozessualen Vorverfahrens Maßnahmen zu einer Gesamtreform der Verfahrenshilfeverteidigung zu prüfen, die insbesondere umfassen:

eine direkte, einzelfallbezogene und wirtschaftlich vertretbare Entlohnung für die Verfahrenshilfeverteidigung anstelle der derzeitigen Pauschalvergütungsregelung,

die freie VerteidigerInnen während des gesamten Strafverfahrens zur Steigerung der anwaltlichen Motivation durch Kostendruck und

die Einführung verpflichtender Qualitätsanforderungen in der Verfahrenshilfeverteidigung sowie verpflichtende Regelungen für StrafverteidigerInnen.“

Ich kann diesen Antrag selbstverständlich nächste Woche am selben Tag, an dem die StPO-Reform beschlossen wird, wieder einbringen – aber dann gibt es nie mehr Motiv und Motivation, darüber zu reden.

Dass man so nonchalant über eine Verfassungsproblematik hinweggeht, wie man es hier im Zusammenhang mit der StPO und mit dem zu beschließenden Reformwerk tut, das habe ich im Justizausschuss noch nicht erlebt! Das halte ich für wirklich kühn!

Bei allem Respekt gegenüber dem Gutachten Funk/Öhlinger muss ich doch sagen: Das ist ein Gutachten, das ist die Meinung von zwei Professoren! Aber es gibt auch einige – um nicht zu sagen: zahlreiche – andere Rechtswissenschafter und Öffentlichrechtler, die eben eine andere Meinung dazu haben.

Die Beratungen hier waren sehr interessant, ausführlich, von höchster Qualität und zum Teil höchster Präzision, werden aber nicht zu dem Ergebnis führen, das es hätte sein können – nämlich eine verfassungskonforme StPO, eine StPO, die dem Anspruch, den wir immer hinsichtlich Verrechtlichung des Verfahrens hatten, gerecht wird, und eine StPO, die die Opferrechte stärkt – das ist der Teil, mit dem noch die höchste Zufriedenheit herrscht, auch von meiner Seite, wiewohl nicht alles so ist, wie es sein könnte – und die auch, was die sensiblen politischen Fragen angeht, in die Zukunft gerichtet ist – Stichwort: Weisungsrecht.

Davon sehe ich nichts, und deshalb verhehle ich meine Enttäuschung nicht, danke Ihnen aber allen. Für mich war die Diskussion sehr aufschlussreich, und ich hoffe, dass das noch nicht das Ende der Diskussion ist.

*****

Obfrau Mag. Dr. Maria Theresia Fekter: Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen Expertinnen und Experten für die Mitarbeit. Den Ausführungen von Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten konnte ich entnehmen, dass es keine Einigung gibt. Die Grünen haben ohnehin ein Positionspapier vorgelegt; dieses ist verteilt worden. Was die SPÖ betrifft, kann ich APA-Aussendungen entnehmen, dass sie mit diesem Vorschlag, mit diesem Entwurf nicht einverstanden ist; daher ist auch von dort keine Zustimmung zu erwarten.

In der Sitzung des Justizausschusses kommenden Freitag werde ich Bericht über die Beratungen hier erstatten und kundtun, dass es keine Einstimmigkeit bezüglich eines vorgegebenen Abänderungsantrages oder eines Gesetzesvorschlages gibt.

Im Ausschuss wird dann der eigentliche Abänderungsantrag eingebracht. Auch den Oppositionsfraktionen ist es natürlich unbenommen, Abänderungsanträge einzubringen. Ich würde mir jedenfalls wünschen, wenn sich jene Fraktion, die die Verfassungsmehrheit gewährleisten kann, doch dazu entschließen könnte, dass wir dieses große Gesetzesvorhaben mit Verfassungsmehrheit beschließen. Derzeit habe ich allerdings keine Signale in diese Richtung. (Abg. Dr. Jarolim: Ich habe mich vorhin gemeldet!) – Die Rednerliste ist geschlossen, Herr Kollege Jarolim. (Abg. Dr. Jarolim: Sie wissen genau, dass ich vorhin auf der Liste gestanden bin! Ich kann nichts dafür, dass Kollegin Stoisits jetzt 25 Minuten gesprochen hat! Das steht in keiner Geschäftsordnung! Noch dazu wenn Sie es ansprechen! Das ist eine extreme Frechheit! Das ist wirklich erbärmlich!) – Es waren mehrere Personen!

Nochmals: Ich werde dem Justizausschuss am Freitag über das Ergebnis dieser Beratungen berichten.

Die Sitzung ist hiemit geschlossen.

Schluss der Sitzung: 14.07 Uhr