Anlage

 

Begründung

des Einspruches gegen den Beschluss des Nationalrates vom 24. Mai 2006 betreffend ein  Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern‑Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 und das Sonderunterstützungsgesetz geändert werden (Sozialrechts-Änderungsgesetz 2006 – SRÄG 2006

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2005 § 123 ASVG und daran knüpfende Bestimmungen als verfassungswidrig aufgehoben und dazu ausgeführt:

 

„Die Bundesregierung will einen Unterscheidungsgrund in der Absicht der Förderung von Familien mit Kindern sehen, die es in gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften nicht geben könne. Die in Prüfung stehende Regelung stellt aber nicht auf das Vorhandensein von Kindern ab und es ist auch nicht zu erkennen, dass die Mitversicherung eines haushaltsführenden Hausgenossen oder Partners einen nennenswerten Anreiz in diese Richtung schaffen sollte oder könnte. Im Vordergrund steht vielmehr offenkundig die im Gesetz umschriebene Tatsache der unentgeltlichen Haushaltsführung in häuslicher Gemeinschaft. Eine familienpolitische Zielsetzung hätte der Gesetzgeber ohne weiteres durch eine Einschränkung auf eine Hausgemeinschaft mit Kindern erreichen können. Dass vielleicht eine einschlägige Nebenwirkung eintritt, reicht für die getroffene Unterscheidung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass das Beitragsrecht unter anderem darauf abstellt, ob der Mitversicherte sich der Kindererziehung widmet oder gewidmet hat.

[…]

Mögen auch dem Gesetzgeber nur Lebensgemeinschaften vorgeschwebt sein, nach dem Gesetz kommt es auf das Vorliegen einer solchen nicht an. Eine Abgrenzung von Lebensgemeinschaften zu bloßen Wohngemeinschaften ist daher nicht nötig; vielmehr genügt neben der "Hausgemeinschaft" die unentgeltliche Hauhaltsführung, und die Feststellung und Kontrolle dieser Voraussetzungen bereitet bei gleichgeschlechtlichen Personen keine größeren Schwierigkeiten als bei andersgeschlechtlichen. Auch andere hinreichende Gründe für die Voraussetzung der Andersgeschlechtlichkeit sind nicht erkennbar. Die gesetzlichen Regelungen sind daher als diskriminierend und dem Gleichheitssatz widersprechend verfassungswidrig.“

 

Die vom Nationalrat beschlossene Neufassung des § 123 ASVG prolongiert diese verfassungswidrige Diskriminierung, in dem sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften praktisch von der Möglichkeit der Mitversicherung ausschließt bzw. die Möglichkeit einer Mitversicherung davon abhängig macht, dass eine oder einer der gleichgeschlechtlichen PartnerInnen Kinder aus früheren Beziehungen in die gleichgeschlechtliche Beziehung „mitbringt“. Gleichzeitig aber verbietet der Gesetzgeber Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen die Adoption von Kindern und hindert diese somit daran, jene Leistungen zu erbringen, die der Gesetzgeber von Ihnen als Voraussetzung für den Zugang zur beitragsfreien Mitversicherung verlangt. Die vom Nationalrat beschlossene Neufassung des § 123 ASVG weitet die Diskriminierung sogar aus, in dem sie PartnerInnen in (noch) kinderlose Lebensgemeinschaften verschiedengeschlechtlicher Menschen im Unterschied zu PartnerInnen in kinderlosen Ehen von der Möglichkeit der begünstigten Mitversicherung ausschließt.

 

In der Begründung führen die Antragsteller aus:

 

„...Die Antragsteller (sind) der Ansicht, dass es der Versichertengemeinschaft grundsätzlich nicht zugemutet werden kann, die bloße Existenz von Lebensgemeinschaften ohne Kinder, in denen ein Partner nur den Haushalt führt (egal ob diese zwischen gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Personen bestehen) finanziell durch eine Mitversicherung zu fördern. Dies umso mehr, als gerade das Fehlen von gegenseitigen Rechten und Pflichten ein Wesensmerkmal einer Lebensgemeinschaft ist, also nicht einmal der versicherte Lebensgefährte selbst – geschweige den die Versichertengemeinschaft – irgendeine Verpflichtung hat, die Krankenversicherung seines Partners sicherzustellen.

[...]

Sehr wohl aber halten sie die begünstigte Mitversicherung von Ehegatten ohne Kinder oder Pflegeleistungen für der Versichertengemeinschaft zumutbar und sachlich gerechtfertigt. Dies aus folgenden Überlegungen:

 

·         Die Ehe ist nach wie vor die beste Grundlage von stabilen Familien und die bestmögliche Ausgangssituation für Kinder. Die Versichertengemeinschaft profitiert auf lange Sicht von jedem Kind, das künftig durch (möglichst hohe) Beiträge die Versicherung aufrechterhält.

·         In einer Ehe besteht eine gegenseitige Unterhaltspflicht und ein entsprechender Versorgungsanspruch des nicht berufstätigen Ehegatten; das unterscheidet sie maßgeblich von der rechtlich unverbindlichen Lebensgemeinschaft.

·         Die Ehe weist eine erhöhte Bestandssicherheit im Vergleich zu bloßen Lebensgemeinschaften auf. Es ist daher mit höherer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Ehegatten sich gegenseitig auch schlechte Zeiten wie z.B. bei Pflegebedarf unterstützen und diese Lasten nich sofort unmittelbar für die Versichertengemeinschaft schlagend werden.

·         In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle werden in Ehen Kinder  erzogen; ein Abstellen auf diesen Normalfall ist daher auch  verfassungsrechtlich zulässig.

·         Die Mitversicherung ist ohnehin nur für Ehepaare mit Kindern oder Pflegeleistungen kostenlos, für andere Ehepaare ist sie nur durch einen geringeren Beitrag begünstigt.“

 

Diese Begründung ist zynisch, entlarvend und falsch. Zynisch, weil sie die Vielfältigkeit der Lebensformen und Lebenskonzepte negiert und ein einziges Lebenskonzept, nämlich das Leben in einer Ehe, bevorzugt und damit die Möglichkeit der Ausgestaltung von Beziehungen nach Wunsch der PartnerInnen einschränkt. Entlarvend, weil sie deutlich macht, dass es den Antragsstellern ausschließlich darum geht, gleichgeschlechtliche Beziehungen aus den gesellschaftlich anerkannten Beziehungsformen auszuschließen, selbst um den Preis, dass die Folgen dieses Ausschlusses aus der Möglichkeit der begünstigten Mitversicherung auch Menschen in verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ohne Kinder trifft. Und schlichtweg falsch, weil einzig die Weigerung der AntragstellerInnen bzw. der Regierungsparteien, andere rechtlich verbindliche Formen des Zusammenlebens als die Ehe zuzulassen, dazu führt, dass PartnerInnen in Lebensgemeinschaften „das Fehlen von gegenseitigen Rechten und Pflichten“ als „Wesensmerkmal einer Lebensgemeinschaft“ akzeptieren müssen. Es gibt international erfolgreiche und weithin beachtete Zusammenlebensformen, die gerade den Zustand der wechselseitigen Rechtlosigkeit in Lebensgemeinschaften beheben. Entsprechende Forderungen und Anträge in Österreich wurden stets von den selben Personen, die nun (ab)wertend PartnerInnen in Lebensgemeinschaften fehlende Bereitschaft, Rechte und Pflichten in Partnerschaften zu übernehmen, vorwerfen, abgelehnt.

 

Darüber hinaus geht der Antrag in seiner Begründung fälschlicherweise davon aus, es sei der „Normalfall“, dass Kinder in Ehen erzogen werden. Tatsächlich werden über 35% aller in Österreich geborener Kinder unehelich geboren (2003).

 

Der zu beeinspruchende Nationalratsbeschluss hat es in seiner Begründung zu Stande gebracht, 35% aller in Österreich geborener Kinder zu Menschen zweiter Klasse zu stempeln und frei gewählte Lebensformen erwachsener Menschen einer negativen moralischen Bewertung zu unterziehen, die nicht nur menschenverachtend, sondern darüber hinaus auch hochgradig unsachlich ist. Der Gesetzesbeschluss selbst prolongiert die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare und weitet sie auf PartnerInnen in Lebensgemeinschaften aus, so lange diese noch keine Kinder haben.

 

Aus all den genannten Gründen wird daher der Antrag gestellt, gegen den genannten Beschluss des Nationalrates Einspruch zu erheben.