1023 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Antrag 21/A der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz

Die Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 20. Dezember 2002  im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Der österreichische Nationalrat hat mit seiner Entschließung, am 14. 7. 1999 einen ersten richtigen Schritt zur längst fälligen Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Militärgerichtsbarkeit gesetzt. Die damalige Entschließung lautete folgendermaßen:

“Die Bundesregierung wird ersucht, ehestmöglich die historische Aufarbeitung der Verurteilungen von Österreichern durch die nationalsozialistische Militärgerichtsbarkeit einschließlich des Reichskriegsgerichtes Berlin, insbesondere nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung, zu veranlassen und zu fördern sowie nach Vorliegen der Forschungsergebnisse für die Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen im Sinne des § 4 des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes, StGBI. Nr. 48/1945, und nach Möglichkeit für die Verständigung der Hinterbliebenen hievon zu sorgen."

Als Folge dieser Entschließung wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur ein entsprechender Forschungsauftrag an das Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien vergeben. In der Folge wurde häufig bei der Forderung nach weiteren Schritten zur Rehabilitierung und Entschädigung auf das Forschungsprojekt verwiesen und diese dadurch verzögert. Es besteht, wie auch vom Projektleiter Dr. Walter Manoschek schon mehrmals betont wurde, kein sachlicher Zusammenhang zwischen der grundsätzlichen Entscheidung über Urteilsaufhebungen und der Vorlage der Forschungsergebnisse. In der derzeitigen Argumentation wird das Anliegen der Rehabilitierung für längere Zeit auf das Gleis der Forschung verlagert. Es ist jedoch, angesichts des hohen Alters der Betroffenen, höchste Zeit, Urteilsaufhebungen so schnell und unbürokratisch wie möglich herbeizuführen.

Dazu ist das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz der Provisorischen Staatregierung unter Renner2 nicht genügend. Es bietet zwar - in seiner derzeitigen, in Einzelfällen recht großzügigen Interpretation - die Möglichkeit, einen großen Teil der NS-Unrechtsurteile aufzuheben, hat jedoch entscheidende Mängel. Zuerst ist es für Einzelfallprüfungen gedacht, und schließlich auch nur in sehr wenigen Einzelfällen bisher angewandt worden. Außerdem deckt sein Inhalt nicht alle Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz, die aufzuheben sind, ab und schließlich - was ein grundsätzlicher Mangel darstellt - ist es einer sehr rigiden Interpretation offen, was zur Folge haben könnte, dass womöglich die Anwendung der KSSVO nicht als per se unrechtsbegründet angesehen, die Wehrdienstverweigerung nicht als eine gegen die nationalsozialistische Herrschaft gerichtete Handlung anerkannt werden und Deserteure von vornherein nicht einbezogen werden könnte.

Vor allem auch auf Grund der Entwicklung in Deutschland hat sich ein dringender Handlungsbedarf ergeben. Der Deutsche Bundestag hat am 17.5.2002 in dritter Lesung beschlossen, Urteile der NS-Militärgerichtsbarkeit wegen Desertion, Feigheit, unerlaubter Entfernung und weiterer militärischer Delikte pauschal aufzuheben. Per Gesetz wurde im Rechtsnachfolger des NS-Regimes alle entsprechenden Verurteilungen aufgehoben.

Angesichts dessen zeigt sich in Österreich, dessen offizielle Vertreter seit jeher die Rolle als "erstes Opfer" Hitlerdeutschlands betonen, sofortiger Handlungsbedarf. Denn nun ist Österreich das einzige Land, in dem Unrechtsurteile der NS-Militärgerichtsbarkeit nicht aufgehoben sind.

Im Laufe der Diskussion wurde von mehreren Seiten die Auffassung vertreten, bei Urteilsaufhebungen sei eine Einzelfallprüfung sachgerechter. Diese Argumentation ist schlüssig und unvermeidbar für Verfahren in den Bereichen der Entschädigung und Versorgung, weil es hier jeweils um sehr individuelle Schadenstatbestände geht (Grad der verfolgungsbedingten Gesundheitsschädigung, Kapitalentschädigung entsprechend der Dauer von KZ-Haft etc.). Bei der Frage der Rehabilitierung, also der Aufhebung von Urteilen, die für bestimmte Tatbestände ergangen sind, gibt es solche Erfordernisse der Differenzierung aber nicht:

Der Großteil der Verurteilungen auf Grund der in diesem Gesetz benannten Rechtsbestimmungen entsprechen nationalsozialistischer Unrechtsideologie, verstoßen elementaren Grundsätzen der Menschlichkeit und sind deshalb per se als Unrecht zu bezeichnen. Deshalb darf auch nicht nach individuellen Motiven für diese Handlungen gefragt werden, es genügt, dass sich die Handlungen de facto gegen die Deutsche Wehrmacht richteten, die an einem völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskrieg aktiv beteiligt war. Die Personen, die wegen dieser Delikte verurteilt wurden, haben es aus Gewissensgründen oder berechtigter Angst um ihr Leben gewagt, sich sinnlosen Befehlen zu widersetzen oder sie in Frage zu stellen, sich dem Kriegsdienst durch Flucht zu entziehen oder ihre Dienstpflichten zu verletzen. In einem vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldeten Angriffs- und Vernichtungskrieg war dies weder kriminell noch unehrenhaft.

Viele der realisierten Tatbestände sind dahingehend zu sehen, dass Österreicher in einer fremden Armee dienen mussten, weshalb die Strafbarkeit dieser Taten keinesfalls gegeben ist. Vielmehr müsste jegliche Form der Entziehung oder Verweigerung in der Deutschen Wehrmacht eigentlich als Pflicht honoriert, kann aber auf keinen Fall als Verbrechen betrachtet werden!

Das Argument, dass mit der Rehabilitierung von Kriegsdienstverweigerer, Fahnenflüchtige, sogenannten Wehrkraftzersetzer eine Diffamierung der Soldaten im Zweiten Weltkrieg einhergeht ist schlichtweg falsch. Allenfalls könnten durch die Brandmarkung der Unrechtsurteile diejenigen ins Unrecht gesetzt werden, die die Betroffenen verurteilt haben, also die Kriegsrichter. Bei diesen Blutrichtern ist das auch mehr als angebracht. Wenn ein Soldat wirklich glaubte, für eine gerechte Sache zu kämpfen und nicht erkennen konnte, dass er für Hitlers Krieg "missbraucht" wurde, so wird ihm seine Würde mit der Rehabilitierung von den Opfern der NS-Militärjustiz nicht genommen. Wenn auf diesem Hintergrund eine Herabwürdigung geschehen ist, dann durch diejenigen, die diesen Glauben der Soldaten für ihre verbrecherischen Ziele missbrauchten. Wobei in diesem konkreten Fall klargestellt werden muss, dass dieses Gesetz nicht nach den Tätern oder den sogenannten Systemzwängen fragt unter denen die Täter handelten. Es geht allein darum, ob den Verfolgten durch die NS-Unrechtsmaßnahme spezifisches NS-Unrecht widerfahren ist, und dies ist hier der Fall.

Die Argumentation, dass die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure gleichzeitig eine Ermunterung zu Desertion auch in demokratischen Staaten ist, und dass damit das österreichische Bundesheer in Misskredit komme ist eine abenteuerliche. Wird damit also das Bundesheer in die Traditionslinie der Deutschen Wehrmacht gestellt? Wer so argumentiert, hat den fundamentalen Unterschied zwischen dem Bundesheer der demokratischen Republik Österreich und der Wehrmacht in einem völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskrieg bis heute nicht begriffen. Es müsste doch jeder demokratisch eingestellte Mensch gerade zu betonen, dass und worin sich der Unterschied zwischen Bundesheer und Wehrmacht und vor allem der Verurteilungen der verbrecherischen, von der NS-Führung gesteuerten Justiz unterscheidet.

Der Gesetzgeber kann - und sollte in diesem Fall - eine pauschale Aufhebung (bzw. Brandmarkung) der Urteile vornehmen. Eine pauschale Aufhebung kommt in den Fällen in Betracht, bei denen der Unrechtscharakter der Strafvorschrift, der Verfahrenspraxis, der Urteilspraxis und der Strafvollzug so erheblich von rechtsstaatlichen Verfahren abweichen, dass der Unrechtscharakter dieser Justiz evident ist. Dass dies bei den Urteilen der NS-Militärjustiz der Fall ist, steht hoffentlich außer Zweifel, und wurde auch vom österreichischen Justizministerium in der Anfragebeantwortung (5377/AB XX.GP) klargestellt: Es "ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprochen haben. " “


 

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seinen Sitzungen am 20. Feber 2004, 15. April 2004, 18. Mai 2004, 1. Dezember 2004, 19. April 2005 und am 23. Juni 2005 in Verhandlung genommen.

Als Berichterstatterin im Ausschuss fungierte Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits.

An den Debatten beteiligten sich die Abgeordneten Werner Miedl, Dr. Gertrude Brinek, Dr. Peter Wittmann, Dr. Johannes Jarolim, Mag. Terezija Stoisits, Dr. Helene Partik-Pable, Mag. Heribert Donnerbauer, Mag. Walter Tancsits, Dr. Christian Puswald, Bettina Stadlbauer, Dr. Gabriela Moser, Johann Ledolter sowie die Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Miklautsch und die Ausschussobfrau Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter.

Im Zuge der Debatte am 19. April 2005 haben die Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits und Dr. Johannes Jarolim einen Abänderungsantrag eingebracht.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag unter Berücksichtigung des vorstehend angeführten Abänderungsantrags nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Zum Berichterstatter für das Haus wurde Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2005-06-23

Mag. Heribert Donnerbauer Mag. Dr. Maria Theresia Fekter

       Berichterstatter                     Obfrau