Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs.5 GOG

der Abgeordneten Dr. Evelin Lichtenberger

zum Bericht des Verkehrsausschusses über die Regierungsvorlage: Bundesgesetz, mit dem das Bundesbahngesetz 1992, das Schieneninfrastrukturfinanzierungsgesetz, das Hochleistungsstreckengesetz, das Bundesgesetz zur Errichtung einer "Brenner Eisenbahn GmbH", das Bundespflegegeldgesetz und das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz sowie das Gesetz zur Neuordnung des Dienstrechtes der Österreichischen Bundesbahnen und deren Rechtsnachfolge-Unternehmen erlassen wird, mit dem das Bahn-Betriebsverfassungsgesetz aufgehoben wird, und mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz und das Angestelltengesetz geändert werden (Bundesbahnstrukturgesetz 2003, 311 d.B.)

Die in der gegenständlichen Vorlage enthaltene Reform der ÖBB wird den großen Herausforderungen der nächsten Jahre, die auf alle Schienen-Unternehmen zukommen, in keiner Weise gerecht. Gerade nach der schweren Niederlage, die die Bundesregierung bei der Eindämmung der Belastungen aus dem LKW-Verkehr eingefahren hat, wird deutlich, dass den vielen Worten über die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene auch Taten folgen müssen.

1. ÖBB-Reform und Nahverkehr

Die Sicherung des Öffentlichen Nahverkehrs muss allen Parteien ein zentrales Anliegen sein, sollen die städtischen Ballungsräume nicht im Autoverkehr ersticken. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Versorgung mit ÖPNV möglichst flächendeckend und finanziell erschwinglich ausgestaltet werden. Dazu gibt es auch hinreichend viele verbale Bekenntnisse. Allerdings ist die Regierung nicht bereit, beim Nahverkehr Verteuerungen für Fahrgäste und Kostenüberwälzungen auf die Länder durch Festlegungen auf Gesetzesebene auszuschließen. Zugleich war im Ausschuss kein Bekenntnis zur Aufrechterhaltung des ÖPNV-Leistungsangebotes auf der Schiene (!) und damit zur Erhaltung von Nebenbahnen mehrheitsfähig. Fahrgäste und Länder werden damit beim Nahverkehr unter Druck kommen, Verteuerungen und Kostenüberwälzungen sind nach Meinung der Bundesländer, der Städte und anderer Kritiker der Reformpläne nahezu unausweichlich, weshalb bereits Länder unterschiedlicher Couleur (B, OÖ) den Konsultationsmechanismus ausgelöst haben. Die Regierungsparteien waren nur zu einer Ausschussfeststellung bereit, die das gemeinsame Wollen beschwört. Diese hätte allenfalls die Wirkung eines Glaubensbekenntnisses.

2. Die Verschuldungsfrage bei der ÖBB-Infrastruktur bleibt ungelöst 

Zwar ist die Regelmäßigkeit der Investitionen für Schienenneubauprojekte in etwa in der derzeitigen Höhe (bis 1,2 Mrd pro Jahr) über eine Haftungszusage (allerdings nur in Gesetzeserläuterungen und im „Memorandum of Understanding“ Gorbach-Grasser) gesichert. Anstatt einen echten und ambitionierten Leistungsauftrag an die ÖBB zu erteilen und dafür auch ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, wird der  Zuschuss des Bundes jenseits aller fachlichen Diskussionen in der Höhe gedeckelt. Innerhalb dessen sind auch die Zinsen für die verbleibende und unausweichlich wieder anwachsende Verschuldung der ÖBB beim Infrastrukturneubau abzudecken. Die Schulden samt Zinsen werden „irgendwann“ vom Bund zu übernehmen sein. In der Zwischenzeit muss aber ÖBB die Fremdfinanzierungskosten selbst tragen. Die realen Spielräume u.a. für Infrastrukturerhaltungsinvestitionen werden daher schrumpfen, da die von anderen Eisenbahnunternehmen bezahlten Schienenmaut und nach der Regierungslinie zu erwartenden Zuflüsse aus Querfinanzierung die wachsende Zinsbelastung bei weitem nicht kompensiert würden. Regierung war kategorisch nicht bereit, wenigstens die Zinsen zu übernehmen, wenn schon nicht voll entschuldet wird. Mit der sogenannten „Entschuldung“ um rund 6 Mrd. Euro wird nur das bereits seit einigen Monaten faktisch wirksame Scheitern des „Maastricht-Auslagerns“ dieser Staats-Schulden in der SCHIG formal nachvollzogen.

3. Die Gewinne aus Güter- und Personenverkehr kommen nicht den Kunden zugute

Mit harten Verhandlungen wurde den Regierungsparteien zwar ein Bekenntnis abgerungen, dass Gewinne aus dem Güter- oder Personenverkehr nicht ins Bundesbudget abgeschöpft werden können. Allerdings bleibt eine Verschiebung derartiger Gewinne in das „schwarze Loch“ Infrastruktur Bau AG zulässig. Dies ginge tendenziell zulasten der (eigentlich versprochenen) laufenden Reinvestition in rasch spürbare Verbesserungen für Fahrgäste und Güterverkehrskunden und verringert die Motivation für ergebnisverbessernde Maßnahmen bei Güter- und Personenverkehr selbst. Mögliche positive Qualitäts- und Angebotseffekte aus der Reform sind damit gleich wieder in Frage gestellt.

4. Die Privatisierungsfrage ist nicht abschließend geklärt

Die Regierungsseite hat trotz harter Verhandlungen abgelehnt, im Gesetz ein explizites Privatisierungsverbot zu verankern – gegenteilige Behauptungen von BM Gorbach in Medien entbehren jeder Grundlage.

5. Die Personal- und Dienstrechtsfrage

ist nach kurzem aber heftigen Streit zu Beginn der parlamentarischen Behandlung doch – wie zugesagt und zwischen ÖGB und Regierung zum Ende des Streiks paktiert - aus der Gesetzesvorlage für die ÖBB-Reform herausgenommen worden. Bei Nichteinigung auf Unternehmensebene über die Umsetzung der Einsparungsvorgabe (ca. 100 Mio) per KV würde jedoch mit Ende April 2004 der ursprüngliche Text wieder eingebracht. Dieses Ziel ist wohl kaum ohne Personalreduktion umsetzbar, daher sind unter Umständen Serviceverschlechterungen zu erwarten. Dies gilt auch für Mehrausgaben für den Bund durch zusätzliche Pensionszuschüsse und AMS-Leistungen, die die Regierung verschweigt!

6. „1 Mrd € pro Jahr Einsparungen durch die Reform“ (© BM Grasser)

Erst hartnäckiges Beharren in den Ausschussberatungen hat dazu beigetragen, dass die forschen Ansagen relativiert wurden und nach und nach wenigstens die wichtigsten Zahlen auf den Tisch gekommen sind (allerdings nicht ihre Berechnungsgrundlagen). Die große Zurückhaltung der Regierung beim Zurverfügungstellen von Unterlagen zur finanziellen Seite der Reform konnte nicht verhindern, dass die Einsparungsbehauptungen (1 Mrd pro Jahr, © Grasser) nicht gehalten haben: Aus der „Einsparung“ wurde im Lauf der Verhandlungen und Expertenhearings eine „Zielgröße“ und ein „Ergebnisverbesserungsbeitrag“, aus der Milliarde Einsparung wurde ein „Brutto-Wert“, in den u.a. auch Einsparungen aus bereits laufenden innerbetrieblichen Effizienzprogrammen (270 Mio pro Jahr!) eingerechnet wurden, als ob es diese ohne ÖBB-Reform nicht auch gäbe. Netto ergibt sich (nach der im Hinblick auf die finanziellen Konsequenzen für Bund und Dritte unvollständigen Rechnung des Unternehmens) ein „Plus-Minus-Null-Ertragseffekt“.

Nach wie vor ist auch die Kritik des Rechnungshofpräsidenten vollinhaltlich zutreffend: Die finanziellen Auswirkungen für Bundeshaushalt und andere Gebietskörperschaften sind nicht gesetzeskonform (§14 Bundeshaushaltsgesetz etc.) dargestellt. Der Umgang der Regierung mit dem Parlament und seinen Einrichtungen (wie insbesondere dem Rechnungshof) in dieser Frage spottet jeder demokratiepolitischen Beschreibung

Das Argument, es gäbe keine Auswirkungen auf den Bundeshaushalt, ist angesichts von Haftungsübernahmen, fälschlicherweise konstant angesetzten Pensionszuschüssen und mehrfachen Aussagen zu haushaltsrelevanten Veränderungen in den Erläuterungen zum Gesetz die glatte Unwahrheit. Auch auf die ebenfalls verpflichtende Ausweisung der Folgekosten für Länder und Gemeinden wurde „vergessen“.

7. Die Holding und ihre Töchter:

Das „Durchgriffsrecht“ der Holding ist auch durch eine personelle Verschränkung, wie sie in den Ausschussberatungen vorgeschlagen wurde, nicht vorhanden, denn sie bedeutet nicht, dass anstelle der schwachen eine starke Holding geschaffen wurde. Das Aktienrecht setzt bei AG-Töchtern der Integration des Gesamt-Unternehmens Grenzen. Zugleich ändert sich nichts an der aufwendigen Gestaltung der vielfältigen Beziehungen über Verträge zwischen den Teil-Unternehmen und auch nichts an der Aufblähung der Führungsebene mit den entsprechenden Versorgungsposten.

8. Offensives Unternehmenskonzept bis Ende 2004

Die Bahn braucht kurzfristig gerade in den nächsten Jahren, in denen der Verkehrsmarkt in Europa neu aufgeteilt wird, ein offensives Unternehmenskonzept für den nationalen und internationalen Verkehr unter besonderer Berücksichtigung der neu entstehenden Verkehrsströme durch die EU-Erweiterung. Als Schwerpunkte dieses Konzeptes sind unverzichtbar:

-       Die Personenbeförderung zwischen 6 und 22 Uhr

-       sowie eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene.

Die konkreten „hard facts“ des Gesetzes (zB Anhebung der Schienenmaut um über 60% in wenigen Jahren, dadurch sowohl im Güterverkehr als auch im Personenverkehr Konkurrenznachteile) deuten eher in die Gegenrichtung. Gerade in diesem Bereich kann eine einfache Willenserklärung allein nicht die weitgehend fehlende bzw. den Finanzaspekten untergeordnete verkehrspolitische Zielsetzung ersetzen.

9. Frage der Sicherung von Nebenbahnen bleibt offen

Das alleinige Setzen auf einige Neubaustrecken kann kein Ersatz für eine Flächenbahn nach Schweizer Modell sein. Es darf nicht vergessen werden, dass jedes Zusperren in der Fläche auch negative Auswirkungen auf das Gesamtnetz hat. BM Gorbach hat die Stilllegung entsprechender Neben-/Regionalstrecken explizit nicht ausgeschlossen. Damit wären aber nicht nur Angebotsverschlechterungen für Bahnkunden in den Regionen möglich. Über die gleichzeitige Verlagerung des Güterverkehrs auf die Straße würde sowohl die Umwelt als auch das Güterverkehrsaufkommen im gesamten Schienenbereich negativ beeinflusst.

10. Zukunft der ehemaligen Postbus AG/“Teilprivatisierung“

Nach Vorstellungen der Regierung und des neuen Eigentümers wird eine Abgabe von 20% am ÖBB-Gesamtbusbereich an die interessierten einheimischen Privaten über ein „Notifizierungsverfahren“ (eigentlich „Verhandlungsverfahren mit vorheriger Ankündigung“, also ohne Ausschreibung) bei der EU angestrebt. Ob dieses Verfahren angesichts der gegebenen Voraussetzungen europarechtlich haltbar umsetzbar ist, ist sehr fraglich. Vor allem fehlt jegliche Bindung an verkehrspolitische Kriterien (zB Einfordern von Nahverkehrskonzepten von den Bewerbern).

11. Fahrgastrechte und Fahrgast- bzw. Bahnkundenbeirat

Eine der wesentlichen Forderungen der Grünen war jene von mehr Rechten und Teilhabe der Fahrgäste im Öffentlichen Verkehr, und zwar sowohl im betrieblichen als auch im überbetrieblichen Bereich. In diesem Sinne sollen vom BMVIT innerhalb der nächsten Monate gesetzliche Verbesserungsvorschläge in folgenden Bereichen vorgelegt werden:

*      Kunden im Öffentlichen Verkehr werden in ihren Rechten (Gewährleistung, ...) den KonsumentInnen anderer Produkte und Dienstleistungen gleichgestellt, bestehende Schlechterstellungen von ÖV-KundInnen bzw. Widersprüchlichkeiten zwischen den Regelungen im ÖV-Bereich im Vergleich zu Konsumentenschutzgesetz etc. werden beendet.

*      Die Gestaltung von Verträgen zwischen Bund und Anbietern im Öffentlichen Verkehr soll im Hinblick auf größtmögliche Gewichtung von KundInneninteressen optimiert werden.

*      Es soll für Personenverkehrs- als auch Güterverkehrskunden der ÖBB bei der Holding ein Kundenbeirat geschaffen werden, in dem ein ständiger qualitätsverbessernder Dialog der Kunden mit dem Unternehmen stattfinden kann.

12. Strategische Umweltprüfung für Infrastrukturprogramme

Die Regierungsparteien haben nicht akzeptiert, dass die überfällige Strategische Umweltprüfung für den gesamten Generalverkehrsplan bei dieser Gelegenheit endlich auf den Weg gebracht wird, stattdessen soll die SUP-Pflichtigkeit der Bahninfrastruktur-Rahmenpläne nach § 43 der gegenständlichen Vorlage umgangen werden, und dies trotz gegenteiliger Stellungnahme des BMLFUW.

Über die obige Liste hinaus sind noch weitere Aspekte des gegenständlichen Gesetzes ungeklärt:

So ist etwa offen, ob bei der Trennung von Infrastruktur-Bau und Infrastruktur-Betrieb wirklich alle vergaberechtlichen Probleme ausgeräumt werden konnten. Weiters ungeklärt bleibt die Art und Weise, in der die von der Regierung angekündigte Regionalisierung des Nahverkehrs erfolgen soll.

Aus diesen Gründen lehnt die Fraktion der Grünen diese Regierungsvorlage ab.