912 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Verkehrsausschusses

über den Antrag 124/A(E) der Abgeordneten Dr. Evelin Lichtenberger, Kolleginnen und Kollegen betreffend §78 StVO und vermeintliche Behinderungen des Fußgängerinnenverkehrs

Die Abgeordneten Dr. Evelin Lichtenberger, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 7. Mai 2003 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„§78 der Straßenverkehrsordnung (StVO 1960 idgF) lautet auszugsweise:

⤠78. Verhalten auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten.

Auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten ist verboten: (...)

c) den Fußgängerverkehr insbesondere durch (...) unbegründetes Stehenbleiben zu

behindern.’

Ein Verstoß gegen diese Vorschrift wird als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bestraft.

In der Vollzugspraxis wird diese Passage der StVO zur ‚Säuberung’ von Einkaufsstraßen von Mitgliedern gesellschaftlicher Randgruppen missbraucht. Für diese sind die ausgesprochenen Geldstrafen regelmäßig uneinbringlich, sie sind daher zum Antreten des Ersatzarrests gezwungen. In den letzten Wochen wurde dieses Vorgehen aufgrund größerer Einzelaktionen und offenbar zunehmender Häufigkeit der Anwendung insbesondere in Wien auch öffentlich zum Thema.

Stehenbleiben auf Gehsteigen und Gehwegen im Ortsgebiet gehört jedoch geradezu zum Wesen des Fußgängerverkehrs, speziell in Einkaufsstraßen. Dass es dabei auch regelmäßig zu ‚Behinderungen des Fußgängerverkehrs’ kommt, unter anderem wegen unzureichender Dimensionierung von Verkehrsflächen für den Fußgängerverkehr, ist Alltagserfahrung von Stadtbewohnerinnen. Welches ‚Stehenbleiben’ dabei als unbegründet zu qualifizieren ist und welches nicht, ist jedoch eine weitestgehend subjektive Frage. Beim Vollzug der genannten Passage wird jedenfalls äußerst selektiv gegen Obdachlose, Bettlerinnen, Punks etc. vorgegangen: Ihr ‚Stehenbleiben’ wird von anderen Interessensgruppen (Geschäftsinhaberinnen, Exekutive) offenbar automatisch als ‚unbegründet’ und unabhängig von der aus StVO-Blickwinkel eigentlich zentralen Frage der Behinderung des Fußgängerverkehrs als ‚behindernd’ eingestuft.

Abgesehen von der sachlichen Fragwürdigkeit, Gesellschaftspolitik derart über Straßenverkehrsrecht durchsetzen zu wollen, und der unverhältnismäßigen Sanktion steht die Konformität der Bestimmung und ihrer Vollzugspraxis mit den Grundrechten ‚Schutz der persönlichen Freiheit’ und ‚Recht auf Freizügigkeit der Person’ in Zweifel. Auf eine diesbezügliche Anfrage der Grünen in der Fragestunde des Wiener Landtags wurde jüngst zudem offensichtlich, dass es in konkreten Anlassfällen um ganz andere Fragen als um eine Behinderung des Fußgängerverkehrs gegangen ist und dass breiter politischer Konsens besteht, dass u.a. bei Alkoholkranken sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen zielführender als ‚zero tolerance’ sind. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der kompetenzrechtlichen Zuständigkeit zwischen Sicherheits- und Verwaltungspolizei, Ortspolizei und überörtlicher Polizei des Bundes bzw. des Landes.


Der überschießende und von Verkehrsorganisationsaspekten weit entfernte Vollzug der gegenständlichen StVO-Passage gehört auch zur Zunahme freiheitsentziehender Maßnahmen, die zur von Regierungsseite erst jüngst im Parlament ausführlich beklagten Überfüllung der Gefängnisse in Österreich, mit allen volkswirtschaftlichen Folgekosten, führen. Eine sachliche und grundrechtskonforme Neuregelung müsste daher auch im Interesse der Regierungsparteien liegen. Überdies bestehen ohnedies alternative Regelungen wie im Fall Wiens das Landessicherheitsgesetz, so dass das Anwenden vorgeschobener Verkehrsorganisationsaspekte jedenfalls entbehrlich und kompetenzrechtlich fraglich erscheint. Eine Streichung, zumindest aber eine auf tatsächliche Verkehrsbehinderung präzisierte Neuformulierung der Passage und eine Überprüfung der fragwürdigen Vollzugspraxis von §78 lit. c) ist daher geboten.“

 

Der Verkehrsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 30. Juni 2004 sowie am 28. April 2005 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger die Abgeordneten Klaus Wittauer, Hermann Gahr, Petra Bayr, Werner Miedl, Josef Broukal , Mag. Christine Lapp, Dr. Gabriela Moser, Gabriele Binder, Mag. Karin Hakl, Heidemarie Rest-Hinterseer sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Eduard Mainoni.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

 

Als Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter Klaus Wittauer gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verkehrsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2005 04 28

Klaus Wittauer              Kurt Eder

       Berichterstatter                  Obmann