IV-21 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Mittwoch, 14. Juni 2006

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 


 

XXII. Gesetzgebungsperiode                          Mittwoch, 14. Juni 2006

 

 

 

Tagesordnung

 

 

 

 

 

RAT 9035/06

Europäischer Rat am 15./16. Juni

2006Erläuterter Tagesordnungsentwurf

(74718/EU XXII.GP)

 

und

 

RAT 9858/06

Europäischer Rat am 15./16. Juni 2006

Entwurf von Schlussfolgerungen

(76114/EU XXII.GP)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Sitzung des Hauptausschusses des Nationalrats am 14. Juni 2006, der im Vorfeld des Europäischen Rats am 15. und 16. Juni 2006 einberufen worden war, wurden einmal mehr die unterschiedlichen Einschätzungen und Bewertungen des österreichischen Ratsvorsitzes deutlich. Während die Opposition konkrete und substantielle Ergebnisse vermisste, sprachen die Abgeordneten von ÖVP und F-BZÖ von einem Erfolg.

 

So konnte etwa Abgeordneter Josef Cap (S) keine Handschrift des Bundeskanzlers und Ratsvorsitzenden erkennen. Nirgendwo habe die österreichische Präsidentschaft Spuren hinterlassen, sagte er. Ähnlich argumentierte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G), die auf das Vorhaben der österreichischen Präsidentschaft hinwies, wieder ein positiveres Bild Europas im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Die jüngsten Umfragen zeigten, dass dies in keiner Weise gelungen sei, kritisierte sie. Abgeordneter Caspar Einem (S) sah das Projekt EU-Verfassung in den Tiefschlaf versetzt und äußerte seine Sorge darüber, dass die EU zunehmend versuche, regelnd einzugreifen, wo es bewährte Strukturen gebe, ohne aber die Betroffenen miteinzubeziehen. Subsidiarität bedürfe daher der Rücksichtnahme der nationalen Vertreter und Vertreterinnen in den EU-Gremien. Das, was man jetzt beim Subsidiaritätsprüfungsverfahren vorhabe, sei nicht das zentrale Problem, so Einem.

 

Im Gegensatz dazu verwies beispielsweise Klubobmann Wilhelm Molterer (V) auf die Verabschiedung der finanziellen Vorausschau 2007 bis 2013 sowie auf die Dienstleistungsrichtlinie, beides ein Nachweis dafür, dass Europa auch in kritischen Situationen entscheidungsfähig ist. Eine neue Schiene sei auch durch die Konkretisierung der Wachstums- und Beschäftigungsziele gelegt worden, unterstrich er, wobei erstmals die Bedeutung der KMUs hervorgehoben worden sei. Durch das Subsidiaritätsprüfungsverfahren würde die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt, und damit komme ein neues Element dazu, meinte er. Abgeordneter Maximilian Hofmann (F-BZÖ) begrüßte ebenso die neue Rolle der nationalen Parlamente in Bezug auf die Subsidiarität sowie den Beschluss, dort, wo die europäischen Organe legislativ handeln, die Öffentlichkeit zuzulassen.

 

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sah die Aufgabe der Ratspräsidentschaft in erster Linie als eine professionelle Koordinationsaufgabe. Die Präsidentschaft sei ein Gesamtanliegen, dem alle verpflichtet seien, und er wolle den Erfolg weder für sich selbst noch für eine Partei nutzbar machen, bekräftigte er. Noch nie, so der Kanzler, seien die europäischen Parlamentarier und Parlamentarierinnen so eng eingebunden worden, und die Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten sei ein riesiger Erfolg gewesen. Schüssel unterstrich die Bedeutung einer kontinuierlichen Arbeit an der Spitze der Union und erläuterte, dass Beschlüsse wie die finanzielle Vorausschau oder die Dienstleistungsrichtlinie ein Erfolg mehrerer Präsidentschaften sei. Was Österreich gesät habe, würden wieder die anderen ernten, bemerkte er und hob hervor, dass unter österreichischem Vorsitz erstmals substantiell über Energiefragen diskutiert worden ist. Auch in der Verfassung sei das Schweigen gebrochen worden, hielt Schüssel fest und sprach sich einmal mehr für eine europaweite Volksabstimmung aus.

 

Auch Außenministerin Ursula Plassnik wies auf die Langzeitwirkungen österreichischer Initiativen hin und nannte in diesem Zusammenhang insbesondere die Bemühungen, die Länder des Westbalkans an die EU heranzuführen, sowie den Lateinamerikagipfel. In der europäischen Außenpolitik habe es eine greifbare und vorzeigbare Entwicklung gegeben und man habe durch die klaren Worte zum Iran sowie zu den Wahlen in Palästina keinen Zweifel an der Haltung der Union gelassen. Die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei schwierig gewesen, sagte sie, denn man teile die Sorge, dass die Türkei die rechtlichen Verpflichtungen, die das Land eingegangen ist, nicht bereit sei umzusetzen. Die Verhandlungen seien daher in dem Wissen aufgenommen worden, dass diese jederzeit blockiert werden können.

 

Der Antrag der Grünen betreffend Flüchtlingstragödien vor den Küsten der EU wurde von ÖVP, SPÖ und F-BZÖ abgelehnt und blieb somit in der Minderheit.

 

Aus Geschäftsordnungsgründen nicht zugelassen wurde vom Ausschussvorsitzenden Nationalratspräsident Andreas Khol ein gemeinsamer Antrag von SPÖ und Grünen, in dem die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo sowie eine lückenlose Aufklärung hinsichtlich der CIA-Gefangenenflüge und Geheimgefängnisse gefordert wird. Inhaltlich sah jedoch der Bundeskanzler damit kein Problem, da sowohl er als auch die Außenministerin des Öfteren öffentlich Kritik an den Überflügen geleistet und die Schließung des Gefangenenlagers gefordert haben. Selbstverständlich werde man daher dieses Thema beim Besuch des US-Präsidenten in Österreich ansprechen, versicherte der Kanzler.

 

 

 

 

 

Eingeleitet wurde die Diskussion von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der die Einigung über die finanzielle Vorausschau und die Dienstleistungsrichtlinie als einen Durchbruch bezeichnete. Intention der Ratspräsidentschaft sei es gewesen, eine "Double Track Strategy" zu verfolgen. Man habe konkrete Projekte weiterführen und Resultate erzielen wollen. Das sei in den beiden genannten Bereichen gelungen wie auch in der Frage der Subsidiarität, wo die nationalen Parlamente stärker in den EU-Entscheidungsprozess eingebunden werden. Darüber hinaus würden die EU-Organe öffentlich tagen, wenn sie legislativ handeln. Die Kommission werde beauftragt, eine Studie über die Frage der Aufnahmefähigkeit zu erstellen, denn diese Frage werde neben den Themen Inneres und Justiz auch in Zukunft eine zentrale Stellung einnehmen.

 

Deutschland werde das Thema "Better regulations" während seiner Präsidentschaft durch ein Zwischenergebnis bewerten, informierte Schüssel. Außerdem sei eine eigene Deklaration zum europäischen Lebensmodell geplant. Hinsichtlich der EU-Verfassung werde Deutschland die Strategie weiterentwickeln und man beabsichtige, bis Ende 2008 unter französischem Vorsitz eine endgültige Einigung zu erzielen. Großen Wert legte der Kanzler auf die Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien mit einem effizienten Überprüfungsmechanismus. Weitere Themen des Gipfels würden Migration und Energie sein, berichtete der Kanzler, ebenso werde man über die aktuelle Situation in Rumänien und Bulgarien sowie über den Euro-Beitritt Sloweniens diskutieren.

 

Bundesministerin Ursula Plassnik betonte, dass die Struktur der Schlussfolgerungen die konsequente Linie von der Gestaltung der Diskussion "Europa hört zu" bis zum "Europa der Projekte und Resultate" widerspiegle. Im Zentrum stünden die Europäerinnen und Europäer, und Europa müsse auf die Herausforderung der Globalisierung antworten. Es gehe darum, auf Grund der bestehenden Verträge Verbesserungen zu erzielen.

 

Bei der Erweiterung seien wichtige Impulse gesetzt worden, sagte die Ministerin, und die Frage der Aufnahmekriterien werde jetzt auf eine klare Basis gestellt. Zum Nahen und Mittleren Osten habe es vier Erklärungen gegeben, erläuterte Plassnik, eine Erklärung betreffe den Westbalkan, eine Afrika. Mit der Schwerpunktsetzung Westbalkan und den Einzelschritten – Anerkennung Montenegros, Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Albanien, Verhandlung und Abschluss des ersten Kapitels mit Kroatien - habe man bewiesen, dass die europäische Perspektive für diese Region kein leeres Wort ist. Man habe auch die Situation im Kosovo besprochen, und vor allem müsse man in der nun für Serbien schwierigen Situation überlegen, wie man das Land unterstützen könne. Besonders wichtig war für Plassnik die verbesserte Reaktionsfähigkeit der EU in Notfällen und Krisen, weshalb sie den Abgeordneten den diesbezüglichen Bericht von Michel Barnier besonders ans Herz legte.

 

 

Die Opposition übte harsche Kritik an der österreichischen Ratspräsidentschaft. Der Europäische Rat werde eine Reihe von Fragen behandeln, sagte Abgeordneter Caspar Einem (S), jedoch sei nichts Substantielles darunter. Die Reflexionsphase für die Verfassung werde um ein Jahr verlängert, und das sei keineswegs eindrucksvoll. Was das Subsidiaritätsverfahren betrifft, so werde das für die Praxis wenig bringen, zeigte sich Einem überzeugt, da die Parlamente bereits heute in einem frühen Stadium Zugang zu den Dokumenten hätten. Als zentrales Problem im Bereich der Subsidiarität sah Einem jedoch die Tendenz in der EU, Regelungen dort treffen zu wollen, wo es bewährte Strukturen gibt. Anstatt die Betroffenen miteinzubeziehen, konzentriere man sich nur auf die dogmatischen Regeln des Wettbewerbsrechts. Das Subsidiaritätsprinzip müsste daher insbesondere von den nationalen Vertretern und Vertreterinnen in den EU-Gremien berücksichtigt werden. Kritisch äußerte sich Einem zum genannten Barnier-Bericht, weil hier offensichtlich der Versuch unternommen werde, der EU nach außen hin bei Katastropheneinsätzen eine durch einheitliche Uniformen erkennbare Identität zu schaffen. Damit stoße man insofern an substantielle Probleme, weil beispielsweise das Rote Kreuz davon betroffen wäre.

 

Abgeordneter Josef Cap (S) warf der Regierung im Hinblick auf die Ratspräsidentschaft Propaganda vor. Die Dienstleistungsrichtlinie sei in erster Linie ein Erfolg des Europäischen Parlaments gewesen. Er könne nichts erkennen, was von der Ratspräsidentschaft dauerhaft bleibe, stellte Cap fest und zitierte zur Untermauerung seiner Argumentation Medienberichte. Nirgendwo seien Spuren gezogen worden, nichts trage die Handschrift Schüssels. Cap zeigte auch wenig Verständnis für den Kompromiss zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei, da er keine Änderung zur vorherigen Situation erkennen konnte. Die Studie über die Aufnahmefähigkeit sei viel zu spät, da die zahlreichen Aufnahmen bereits erfolgt seien.

 

Abgeordneter Peter Schieder (S) zog zwar eine positive Bilanz in Bezug auf die Entwicklungen in Montenegro, er bat jedoch, das Erfordernis von 55 % bei einer Volksabstimmung als eine Sonderregelung zu betrachten. In Hinkunft sollte man wieder bei 50 zu 50 bleiben, so Schieder. Er erinnerte auch an das gemeinsame Seminar der österreichischen Präsidentschaft mit dem Nord-Süd-Zentrum in Kapstadt, dessen Ziel es gewesen sei, die neuen Mitgliedstaaten der EU an die Entwicklungszusammenarbeit heranzuführen. Diese Zusammenkunft sei ein "Riesenerfolg" gewesen, stellte er fest.

 

Abgeordnete Elisabeth Hlavac (S) sprach die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeerraum an und forderte ein Gesamtpaket dazu. Die Schwerpunktsetzung Westbalkan bewertete sie positiv, sie hätte sich aber gewünscht, wenn neben Kroatien auch Mazedonien extra erwähnt worden wäre, zumal das Land auch über Kandidatenstatus verfüge.

 

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) erinnerte daran, dass die Reflexionsphase dazu gedacht gewesen sei, wieder ein positiveres Bild von Europa im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Neueste Umfragen bewiesen aber, dass die Europäerinnen und Europäer heute genauso skeptisch wenn nicht noch negativer eingestellt seien, bedauerte Lunacek und mutmaßte, dass so manche Veranstaltungen dazu beigetragen haben, die Kluft noch zu vergrößern. Kritik übte Lunacek an der Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten, wo Europaabgeordnete nicht zu Wort gekommen seien. Der Ort, wo man sich mit EU-Agenden intensiv auseinander setzen sollte, sei der Hauptausschuss. Dort würden aber die Möglichkeiten nicht wahrgenommen. Es sei zwar gelungen, so Lunacek weiter, ein Budget zu beschließen, dennoch sei es im Vergleich zu dem, was die EU brauche, zu gering. Lunacek thematisierte auch den Vorschlag des Kanzlers, über eigene finanzielle Ressourcen der EU nachzudenken, und begrüßte seinen Vorstoß nach einer europaweiten Volksabstimmung. Ebenso unterstützte sie die Schritte zur Heranführung der Staaten des Westbalkans an die EU. Ein Anliegen war ihr die EU-Grundrechtsagentur, doch diese müsste ihrer Ansicht nach auch für die dritte Säule, Inneres und Justiz, zuständig sein. Lunacek kritisierte auch die Passagen der Schlussfolgerungen in Bezug auf Migration, da dort nur von Abwehr die Rede sei, nicht aber von der Schutzfunktion, die man diesen Menschen gegenüber habe. Der Antrag auf Stellungnahme, der von ihr eingebracht wurde, geht konkret auf die Flüchtlingstragödien vor den Küsten der EU ein. Darin wird unter anderem der Zugang zu einem fairen Verfahren und die Unterstützung der betroffenen Mitgliedstaaten gefordert.

 

Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) hielt die Nachhaltigkeitsstrategie, wie von der Kommission vorgeschlagen, für nicht ausreichend ambitioniert. Die Bürgerinnen und Bürger hätten den Eindruck, so Pirklhuber, dass auf höherer Ebene die Interessen abgeglichen würden, man aber in für die Menschen wichtigen Fragen diesen Interessenausgleich nicht suche. Er kritisierte die Regierung für deren Zustimmung zum siebenten Rahmenprogramm, wo Millionen für die Atomforschung statt für erneuerbare Energie ausgegeben werden, und bedauerte, dass das Hearing mit dem Europäischen Parlament und Bundesminister Pröll nicht zustande gekommen ist.

 

Für Klubobmann Wilhelm Molterer (V) ist die österreichische Ratspräsidentschaft positiv verlaufen. Sie habe dem Ansehen Österreichs genützt, und es sei gelungen, die Zukunft Europas positiv zu gestalten. Die Zielsetzung, Europa in Schwung zu bringen und die Zukunftsdebatte zu führen, sei richtig gewesen, hielt Molterer fest. Neben den Ergebnissen zur finanziellen Vorausschau, zur Dienstleistungsrichtlinie sowie zur Mehrwertsteuer, zur Wegekostenrichtlinie und zum Europäischen Führerschein sei vor allem die Konkretisierung der Lissabon-Strategie von Wichtigkeit. Erstmals sei die Bedeutung der KMUs für Wachstum und Beschäftigung entsprechend berücksichtigt worden. Damit sei die Strategie auf eine neue Schiene gelenkt worden, unterstrich er. Als eine neue Dimension für die nationalen Parlamente begrüßte er das Subsidiaritätsprüfungsverfahren, denn Europa müsse auch bei uns zuhause stattfinden. Der Westbalkan werde untrennbar mit der österreichischen Präsidentschaft verbunden sein, sagte Molterer und erwähnte darüber hinaus die Maßnahmen zur Sicherheitskooperation und die erfolgreiche Bewältigung der heiklen Situationen im Nahen und Mittleren Osten sowie in der Energiekrise.

 

Abgeordneter Günter Stummvoll (V) knüpfte daran an und bezeichnete es als einen großen Erfolg, dass im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung erstmals quantifizierbare und überprüfbare Zielsetzungen beschlossen worden sind. Europa habe klare Prioritäten bei den KMUs gesetzt und habe damit anerkannt, dass bei diesen die Wachstumsstrategie beginne. Diese Schwerpunktsetzung würde auch von den künftigen Ratspräsidentschaften weiter verfolgt. Zur Kritik der Opposition meinte er, man könne Europa nicht in einem halben Jahr verändern. Man habe jedoch Europa wieder in Schwung gebracht.

 

Abgeordneter Werner Fasslabend (V) widersprach Abgeordneter Ulrike Lunacek heftig. Vor allem zum Themenkomplex Demokratie und Bürgernähe seien wesentliche Weichenstellungen erfolgt, betonte er. In der Frage der Subsidiarität und Transparenz seien entscheidende Fortschritte erzielt worden, denn es gehe nicht nur darum, die Gesetzesvorhaben den nationalen Parlamenten besser zu kommunizieren, wesentlich sei, dass die Kommission auf deren Stellungnahmen eingeht. Die EU habe auch wieder Tritt gefasst, was den Verfassungsprozess betrifft, denn in der Zwischenzeit hätten 15 Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert und in Frankreich und in den Niederlanden sei die Debatte nun wieder aufgenommen worden. Es sei auch gelungen, das Thema des Europäischen Lebens- und Sozialmodells in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken, sagte Fasslabend und freute sich, dass die Vorbehalte gegenüber der Dienstleistungsrichtlinie ausgeräumt werden konnten.

 

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) bezeichnete die Haltung der Opposition als kleinlich. In einer Reaktion auf Abgeordnetem Cap versuchte er anhand der Außenpolitik zu beweisen, dass die österreichische Ratspräsidentschaft Spuren hinterlassen hat. So werde die Strategie für den Westbalkan eine lange Wirkung haben, meinte Spindelegger. Mazedonien habe den Kandidatenstatus erhalten, mit Kroatien hätten die Verhandlungen begonnen, mit Albanien seien Assoziierungsabkommen geschlossen worden und man habe sich über einen Nachfolgepakt für den Stabilitätspakt geeinigt. Großes Lob spendete Spindelegger für den Umgang mit den Krisenherden Naher und Mittlerer Osten, wo es gelungen sei, die Lage nicht eskalieren zu lassen und trotzdem klare und gemeinsame Standpunkte zu formulieren. Spindelegger verteidigte auch den Barnier-Bericht zum gemeinsamen professionellen Krisenmanagement, das er als eine europäische Dienstleistung für die europäischen BürgerInnen bezeichnete.

 

Abgeordneter Franz Eßl (V) konzentrierte sich in seiner Wortmeldung auf die Frage der Nachhaltigkeit und vertrat die Auffassung, bei der Gentechnik-Konferenz habe man konkrete Ziele, Maßnahmen und klare Verantwortung festgelegt. Er unterstrich die Bedeutung erneuerbarer Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz und meinte, auch im Bereich der Lebensmittel müsse man der Nachhaltigkeit mehr Augenmerk schenken. Eßl wies auch die Forderungen nach Kürzung der Direktzahlungen zurück.

 

Als einen Erfolg für Europa bezeichnete Abgeordneter Maximilian Hofmann (F-BZÖ) die österreichische Ratspräsidentschaft. Es sei gelungen, wesentliche Schritte zu setzen, auch wenn nicht alle Probleme gelöst werden konnten. Hofmann begrüßte das Subsidiaritätsprüfungsverfahren und das Mehr an Transparenz sowie den Vorstoß des Kanzlers nach einer europaweiten Volksabstimmung. Hofmann erkundigte sich nach der Position Zyperns in Bezug auf die Verhandlungen mit der Türkei, weiters nach der Definition der Aufnahmekriterien sowie nach dem Bericht der Kommission zum Beitritt Rumäniens und Bulgariens.

 

Sein Klubkollege Abgeordneter Anton Wattaul (F-BZÖ) teilte die positive Einschätzung seines Vorredners, wünschte sich aber in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie mehr Information für die Klein- und Mittelbetriebe.

 

In seiner Antwort unterstrich der Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der Ratsvorsitz sollte weder für eine Partei noch für einen Politiker nutzbar gemacht werden. Die Präsidentschaft sei ein österreichisches Gesamtanliegen, dem alle verpflichtet seien. Er orientiere sich daher nicht an Meinungsumfragen. Worum es in erster Linie gehe, sei eine professionelle Koordinierungsaufgabe, deren Erfolg von rund 10.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen abhänge, die aus allen politischen Lagern kommen. In diesem Zusammenhang unterstrich Schüssel auch die Bedeutung einer kontinuierlichen Arbeit in Europa. Der Erfolg etwa bei der Dienstleistungsrichtlinie oder der finanziellen Vorausschau sei auf die Arbeit mehrerer Präsidentschaften zurückzuführen. Der österreichischen Ratspräsidentschaft sei es gelungen, die Frage mit dem Europäischen Parlament und der Kommission erfolgreich fertig zu verhandeln. Wieder andere würden ernten, was Österreich gesät habe.

 

Schüssel betonte, dass während der österreichischen Ratspräsidentschaft erstmals substantiell über Energie mit außenpolitischer Dimension diskutiert worden sei. Auch halte er die Kultur für eine wichtige Dimension, die im Binnenmarkt zu kurz komme. Er habe daher bewusst das Mozartjahr miteinbezogen und den Dialog mit den Religionen gesucht. Was die Verfassung betrifft, so habe Österreich das Schweigen gebrochen. Er persönlich trete für eine europaweite Volksabstimmung ein, wiederholte Schüssel. Er sprach auch die Frage der sozialen Dimension an, die von Deutschland weiter geführt werde. Die Frage der Definition der Aufnahmefähigkeit der EU werde Europa die nächsten Jahre begleiten, zeigte er sich überzeugt. Die Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten bezeichnete er als einen "Riesenerfolg" und verteidigte Umweltminister Pröll, der wie kein anderer Umweltminister zuvor Umweltthemen auf die Tagesordnung gesetzt habe. Schüssel listete Themen wie Biomasse, Anheben der Energiegewinnung aus erneuerbarer Energie und gentechnikfreie Zonen auf. Was den Euratom-Vertrag betrifft, so befürwortete er Fusionsversuche, betonte jedoch, dass die restlichen Gelder nur für die Forschung im Bereich der Sicherheit von Atomtechnologie ausgegeben werden sollten.

 

Bundesministerin Ursula Plassnik dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zum Gelingen der Präsidentschaft beigetragen haben. Zur Illustration rechnete sie vor, dass in den letzten Monaten 10.339 Ratsdokumente erstellt worden seien. Daraus bestehe der "Teppich der EU", so Plassnik. Zur GASP habe es 115 Erklärungen gegeben, wodurch die Substanzlinie der EU-Außenpolitik vorgegeben werde, und 30 Schlussfolgerungen als Kernelemente der Ratstagungen.

 

Sie betonte noch einmal die Wichtigkeit eines gemeinsamen Katastrophenschutzes und zeigte sich überzeugt, dass die während der Präsidentschaft gesetzten Initiativen langfristig Wirkung zeigen werden. Selbstverständlich, so Plassnik in Richtung Abgeordneter Lunacek, werde die Migration nicht nur aus dem Blickwinkel der Sicherheit gesehen. Hier gehe es um Menschenrechte, um Menschenwürde und um den Schutz der Flüchtlinge. Gefragt sei dabei aber auch die Grenzschutzfunktion der EU und die Entwicklungszusammenarbeit, zu der es konkrete Impulse gegeben habe. Positiv berichtete Plassnik über den Lateinamerikagipfel sowie über den Dialog der Kulturen und Religionen, was bisher kein Thema gewesen sei.

 

Ganz bewusst habe sie das Thema Serbien auf die Tagesordnung gesetzt, um das europäische Know-how und die Sensibilität in dieser Frage zu mobilisieren. Die Diskussion über den Beginn der Verhandlungen mit der Türkei sei schwierig gewesen, da viele die Sorge hätten, die Türkei wolle nicht jene rechtlichen Verpflichtungen umsetzen, die sie eingegangen war. Die Gespräche seien klar und offen verlaufen und die Art des partnerschaftlichen Umgangs sowohl mit Zypern als auch mit der Türkei sei für beide glaubwürdig gewesen. Die Verhandlungen könnten aber jederzeit blockiert werden, sagte sie, und dessen seien sich auch alle Beteiligten bewusst. Auch zu den Krisenherden Naher Osten und Iran habe man ein gemeinsames Vorgehen erreicht und damit gezeigt, was in der europäischen Außenpolitik möglich ist. Die Ratspräsidentschaft und die EU hätten durch ihre klare Haltung auch keinen Zweifel im Hinblick auf den Iran und die Hamas gelassen. Was Rumänien und Bulgarien betrifft, so sei der Beitritt nach wie vor für 1.1.2007 vorgesehen. Dieser Termin werde eingehalten, es sei denn, der Rat entscheidet im Herbst auf Empfehlung der Kommission, den Beitritt um ein Jahr zu verschieben. Derzeit wolle man dem Bericht der Kommission nicht vorgreifen.

 

 

 

Debatte über die Zulassung der eingebrachten Anträge auf Stellungnahme

 

Den Antrag der Grünen betreffend Flüchtlingstragödien vor den Küsten der EU ließ der Vorsitzende des Hauptausschusses, Nationalratspräsident Andreas Khol, insoweit zu, als sich der Antrag an Mitglieder der Bundesregierung bei Verhandlungen des Rats auf allen Ebenen richtet. 

 

Ein Antrag, der sich an den Bundeskanzler als Vorsitzenden des Europäischen Rats richtet, wäre jedoch nicht zulässig,  erläuterte Khol dazu unter Hinweis auf ein von der Präsidialkonferenz zustimmend zur Kenntnis genommenes Gutachten der Parlamentsdirektion und eine Entscheidung aus dem Jahr 1998.

 

Hinsichtlich des gemeinsamen Antrags der SPÖ und der Grünen betreffend CIA-Überflüge, Geheimgefängnisse in der EU und die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo  entschied Nationalratspräsident Khol, diesen nicht zuzulassen. Der gegenständliche Antrag sei nämlich ausschließlich auf die Aktivitäten des Bundeskanzlers als Vorsitzender des Europäischen Rats gerichtet, sagte er. In dieser Funktion sei er ein Verfassungsorgan der EU. Während des österreichischen Ratsvorsitzes gebe es im Europäischen Rat keine eigene österreichische Delegation, sondern nur den österreichischen Vorsitz. Auch beim EU-USA-Gipfel fungiere der Bundeskanzler nur als Vorsitzender des Europäischen Rats. Der Gipfel sei eine reine Angelegenheit zwischen der EU und den USA und keine bilaterale Angelegenheit.

 

Der Nationalratspräsident zeigte sich jedoch bereit, in der Präsidiale nochmals über das Thema zu diskutieren,  wie er betonte, wolle er aber heute kein Präjudiz schaffen.

 

Demgegenüber bekräftigte Abgeordneter Peter Schieder (S), ebenfalls unter Hinweis auf das Gutachten der Parlamentsdirektion, der Antrag sei so formuliert, dass er sich nicht an den Vorsitzenden des Europäischen Rats, sondern an den Bundeskanzler richte. Dort, wo es darum gehe, eine österreichische Haltung einzunehmen, müsse es doch eine Möglichkeit geben, sich an den Bundeskanzler auch während des EU-Vorsitzes zu wenden. Außerdem sei das Thema des Antrags als ein Vorhaben der EU zu werten, zumal es dazu einen Sonderausschuss der EU sowie Dokumente und das Zusammentreffen mit Präsident Bush gebe. Sollte eine solche Trennung nicht anerkannt werden, so seien während einer Ratspräsidentschaft Anträge auf Stellungnahme überhaupt nicht zulässig, und das könne doch nicht sein, bekräftigte Schieder.

 

Dem hielt Nationalratspräsident Andreas Khol entgegen, der österreichische Standpunkt könne im COREPER einfließen, und wiederholte, im Europäischen Rat sei der Bundeskanzler nur mehr Ratsvorsitzender.

 

Daraufhin stellten Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) und Abgeordneter Josef Cap (S) die Frage, warum man dann überhaupt noch im Hauptausschuss diskutiere. Beide hielten die Entscheidung Khols für falsch, denn damit schalte man den Hauptausschuss und Österreich vom Europäischen Rat aus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgender Antrag der Grünen wurde mit den Stimmen von ÖVO, SPÖ sowie F-BZÖ mehrheitlich abgelehnt:

 

 

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

Gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

 

Der Abgeordneten Maga. Ulrike Lunacek, Wolfgang Pirklhuber

Betreffend  76114/EU XXII.GP European Council (15 and 16 June 2006)  – Draft conclusions

 

FLÜCHTLINGSTRAGÖDIEN VOR DEN KÜSTEN DER EU

 

Eingebracht im Zuge der Sitzung des Hauptausschusses am 14. Juni 2006

 

 

 

Beim Europäischen Rat am 15. und 16. Juni  werden die Staats- und Regierungschefs über die jüngsten Flüchtlingsströme aus afrikanischen Staaten auf die Kanarischen Inseln und im Mittelmeerraum beraten. Leider ist der Formulierungsvorschlag des österreichischen Vorsitzes in den Schlussfolgerungen für den Europäischen Rat eine Themenverfehlung: Allein die Abwehr von Flüchtlingen wird propagiert. Es gibt keinen einzigen Gedanken, der sich mit dem Schutz der betroffenen Menschen auseinandersetzt.

 

10.000 Menschen sind in den letzten fünf  Jahren vor den Küsten der EU beim Versuch diese zu betreten ertrunken. Unzählige Berichte objektivieren die unhaltbaren Zustände in den Sammellagern auf europäischem Boden: Lampedusa, Ceuta, Melilla, Malta und den Kanarischen Inseln. Zusätzlich gibt es riskante und menschenrechtswidrige Rückführungspraktiken aus diesen Sammellagern in Richtung Transit- und Herkunftsstaaten. Ein im Dezember 2005 veröffentlichter Bericht des Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Alvaro Gil-Robles enthält schwerwiegende Kritikpunkte über die Behördenpraxis in Lampedusa.

 

Die Flüchtlingstragödien vor den Küsten der EU haben längst eine über den einzelnen Mitgliedstaat hinausgehende europäische Dimension erreicht. Die EU hat in der Sitzung des Rates der Innen- und JustizministerInnen am 12.10.2005 finanzielle Mittel in Höhe von € 40.000.000,-- bewilligt. Diese Mittel wurden Marokko zur Verfügung gestellt. Es wurde dabei verabsäumt, Maßnahmen zum Aufbau von Schutzmechanismen in den betroffenen Drittstaaten oder in die Aufnahmelager der betroffenen Mitgliedstaaten zu setzen. Dazu wären weitere Investitionen notwendig. Es fehlt aber auch eine Initiative auf politischer und allenfalls gesetzgebender Ebene, wie mit solchen Sachverhalten im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung umgegangen werden soll.

 

Weiters wird nicht auf die Situation in den Herkunftsländern, die viele Menschen zur Flucht veranlasst, Bezug genommen. Die EU-Afrikastrategie ist zwar ein wichtiger und sinnvoller Schritt, aber die Tatsache der mangelnden Kohärenz in den EU-Außenbeziehungen besteht weiter. Diese wird zwar im Dokument „Europe in the World“ angesprochen, aber von der Umsetzung ist die EU noch weit entfernt.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

 

Antrag auf Stellungnahme

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

Der Hauptausschuss wolle beschließen:

 

 

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, werden dringend und mit Nachdruck aufgefordert sich beim Europäischen Rat sowie bei Verhandlungen des Rates auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass

 

1.         Betroffene in den Sammellagern auf Lampedusa, Ceuta, Melilla, den Kanarische Inseln und Malta menschenwürdige Bedingungen vorfinden, wie sie der EU-Aufnahmerichtlinie entsprechen.

           

2.         Betroffene einen Zugang zu einem fairen Verfahren in der EU haben und Rückführungen nur unter Einhaltung des Non–Refoulement Prinzips stattfinden.

           

3.         europäische Debatten über Migration und irregulärer Migration jedenfalls auch die „Schutzdimension“ umfassen und nicht allein vom Sicherheitsaspekt geführt werden.

           

4.         die betroffenen Mitgliedstaaten nicht alleine gelassen werden. Insbesondere sollten Personen, bei denen ein Schutzbedürfnis festgestellt wird, nach einem Resettlementsystem auch auf andere Mitgliedstaaten der EU nach bestimmten Quoten verteilt werden. Das könnte ein Beitrag zu einer wirklichen Teilung der Verantwortlichkeit sein. Menschen, bei denen ein Schutzbedürfnis besteht, können auf diesem Weg legal in die EU einreisen und werden nicht Opfer von Schlepperbanden. 

           

5.         die finanziellen Mittel, die Drittstaaten bewilligt werden, vor allem den jeweiligen  Aufnahmesystemen und Asylsystemen zugute kommen. Sonst besteht die Gefahr, dass diese in auf die Abwehr von Flüchtlingen gerichtete Maßnahmen investiert werden.

 

6.         die Außenbeziehungen der EU tatsächlich und raschest kohärenter gestaltet werden, damit die EU in ihren Außenwirtschafts-, Außenhandels-, Entwicklungs- und Nachbarschaftspolitiken an einem gemeinsamen Strang zieht.

 

7.         alle EU-Staaten das angepeilte Ziel von 0,56% des BNE für Entwicklungszusammenarbeit bis 2010 auch tatsächlich erreichen.

 

 

 

 

 

Das gegenständliche Vorhaben ist durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen oder auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der Angelegenheiten betrifft, die durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wären.