166/J XXII. GP
Eingelangt am: 06.03.2003
ANFRAGE
der Abgeordneten Mag. Johann Maier
und GenossInnen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend "Strafrechtliches
Entschädigungsgesetz (StEG)"
Bereits
in der Antwort zur parlamentarischen Anfrage (1404/AB, XX. GP) hielt es
bereits der damalige Bundesminister Dr. Michalek an sich für wünschenswert,
allen in Untersuchungshaft angehaltenen Personen eine Haftentschädigung
zuzuerkennen, wenn sie nicht verurteilt werden oder die Voraussetzungen an dem
Umfang der Gewährung der Haftentschädigung gegenüber der geltenden
Rechtslage sonst wesentlich zu erweitern oder zu verändern. Auch Bundesminister
Dr. Böhmdorfer ließ in der Öffentlichkeit Bereitschaft für eine Reform
erkennen. In der 2.
Jahreshälfte 2002 ging ein Entwurf eines Bundesgesetzes über den Ersatz von
Schaden
aufgrund strafgerichtlicher Anhaltung und Verurteilung (StEG 2004) in
Begutachtung.
Dieser Entwurf eines Bundesgesetzes über den Ersatz von Schäden aufgrund
strafgerichtlicher Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches
Entschädigungsgesetz 2004 -
StEG 2004) war grundsätzlich zu begrüßen, in einzelnen Details jedoch
fragwürdig.
Diese Reform ist seit Jahren bereits überfällig, da die österreichische
Rechtslage eindeutig
der Unschuldsvermutung des Artikel 6 Abs. 2 MRK widerspricht. Dies wurde auch
in
mehreren Entscheidungen des EGMR festgestellt.
Eine
Entschädigung wird grundsätzlich nur unter Maßgabe des § 2 StEG
gewährt. Nach geltenden Recht haben Personen, die zu Unrecht verurteilt, und
Untersuchungsgefangene, die außer Verfolgung gesetzt werden, nur Anspruch auf
Ersatz der vermögensrechtlichen Nachteile und Ersatz des ziffernmäßig
nachweisbaren Vermögensschadens (z.B.
Verdienstentgang, Anwaltskosten).
Angestrebt werden müsste aber auch eine ideelle Entschädigung, die bestehende
Rechtssituation ist nämlich unzureichend: Wer zu Unrecht eine Freiheitsstrafe
verbüßen müsste oder wer als Untersuchungsgefangener längere Zeit (z.B. mehr
als 3 Monate oder mehr als 6 Monate) in einem Gefängnis verbringen müsste,
sollte dafür auch eine Art Schmerzensgeld erhalten.
Aus
der Analyse von parlamentarischen Anfragebeantwortungen und weiterer
parlamentarischer Materialien zum Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz (StEG)
für die
Jahre 1999, 2000 und 2002 (siehe Anlage) ergeben sich klare Schlussfolgerungen.
Schockierend ist bei diesen Jahresvergleichen die Zunahme der
Untersuchungshaftzahlen
(Steigerung im Jahr 2001 von 9.181 auf 9.745). Diese ist fast ausschließlich
darauf
zurückzuführen, dass mehr über 18-jährige in Untersuchungshaft genommen werden.
Die
Gründe dafür liegen einerseits in der jüngsten Verschärfungen strafrechtlicher
Bestimmungen sowie andererseits im Absenken der Strafmündigkeit auf 18 Jahre.
Die Schlussfolgerungen lassen sich grob wie folgt zusammenfassen:
• 2001 gab es im Vergleich zu 2000 weniger Anzeigen (Sicherheitsbericht 2002)
• 2001 gab es weniger Aufklärung (Sicherheitsbericht 2002).
• 2001 wurden jedoch mehr Personen in
Untersuchungshaft genommen. Gegenüber 2000
waren dies um 564 Personen mehr.
• Es wurden dabei mehr (jugendliche) Ausländer in Untersuchungshaft genommen.
• Die Steigerung in den einzelnen
Gerichtssprengeln bzw. Justizanstalten ist nicht
nachvollziehbar.
• Gegenüber 2000 (188) mussten 2001 bei 204 Untersuchungshäftlingen
die Verfahren
eingestellt werden. Dies entsprach einer Steigerung von 8 %.
• 2001 stellten bereits 49 Personen einen Antrag auf Entschädigung nach
Untersuchungshaft
(2000 waren dies 30 Personen). Dies entsprach einer Steigerung um
über 63%.
• 2001 mussten die Gerichte in 36 Fällen dem
Entschädigungsbegehren entsprechen
(2000 waren dies 22/23). Die Steigerungsrate betrug daher 64 %.
Man kann daher
einen einfachen Schluss für Österreich ziehen:
Je öfter die Untersuchungshaft verhängt
wird, umso mehr wird eingestellt oder
freigesprochen und desto mehr muss
später auch an Entschädigungszahlungen
geleistet werden.
In
der Anfragebeantwortung vom 13.09.2001 (2755/AB) hat BM Dr. Dieter Böhmdorfer
mitgeteilt, dass von den Beamten Ihres Ressorts ein entsprechender
Ministerialentwurf
vorbereitet wird, wobei im Sinne der Judikatur des EGMR, wonach es sich bei der
Entschädigung wegen erlittener Haft um ein "ziviles Recht" im Sinne
des Art. 6 EMRK
handle, überlegt wird, auf das strafgerichtliche Feststellungsverfahren
gänzlich zu verzichten
und die Haftung des Bundes auch auf den Ersatz immaterieller Schäden zu
erstrecken.
Dessen
ungeachtete haben nach Presseberichten in jüngster Zeit das Landesgericht und
das Oberlandesgericht Innsbruck sowie auch das OLG Linz "MRK -
Konform" entschieden.
Das heißt, dass Haftentschädigungen bei einem Freispruch - auch bei Bestehen
einer
Verdachtslage - zugesprochen wurden. Dies kann als Vorgriff auf eine zukünftige
nationale
Rechtslage verstanden werden.
Grundsätzlich begrüßt werden musste in dem Entwurf eines
Strafrechtlichen
Entschädigungsgesetzes
insbesondere:
• die Neugestaltung der Anspruchsvoraussetzungen,
• die Konzentration der Anspruchstellung auf die Zivilgerichte,
• die Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe
• eine angemessene Entschädigungsregelung für die
durch die Festnahme oder die
Anhaltung erlittene Beeinträchtigung (immaterieller Schadenersatz) und
• dass es zu keiner Deckelung oder Pauschalierung der Ersatzbeträge gekommen ist.
Mit
dem vorliegenden Entwurf sollten somit einerseits die verfahrensrechtlichen
Möglichkeiten sowie andererseits die Anspruchsvoraussetzungen für den
Geschädigten
verbessert werden.
Rechtspolitisch
aber nicht nachvollziehbar waren die Ausschließungsgründe und die
Einschränkungen des Ersatzanspruches nach § 3 des Entwurfes. Der Hinweis in den
Erläuterungen auf die Belastungen des öffentlichen Haushalts kann gegenüber
Betroffenen
wohl nicht ernst gemeint sein.
Keine
Berücksichtigung in diesem Entwurf fanden sich gesetzlich verpflichtende
Regelungen
zum Schutz und zur Information sowie Beratung dieser Geschädigten (z.B. durch
Opferhilfeeinrichtungen oder Entschädigungsanwalt), wie beispielsweise durch
ausdrückliche
verpflichtende Beratung über Ersatzansprüche nach dem StEG bzw. über
Amtshaftungsansprüche. Aus Sicht der Fragesteller erscheint allerdings zur
Verstärkung des
Rechtsschutzgedankens und der Opferhilfe die Einführung eines
Entschädigungsanwaltes
sinnvoll zu sein.
Absolut
ungeklärt blieb die Frage der Entschädigung bei Auslieferung in einem anderen
EU-
Mitgliedstaat nach dem Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den
Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den
Mitgliedsstaaten.
Absolut ungeklärt ist damit auch nach welchem Recht sich ein
Entschädigungsanspruch
bestimmt
und welcher Staat (Auslieferstaat oder Haftstaat) bei einem Freispruch bzw.
einer
Verfahrenseinstellung zu zahlen hat.
Die
unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Justiz
nachstehende
Anfrage:
1. Wie viele Personen (Aufschlüsselung in Männer, Frauen
und Minderjährige) wurden im
Jahr 2002 in Untersuchungshaft genommen?
2. Wie teilt sich diese Anzahl - differenziert wie oben - auf die einzelnen Gerichtshöfe auf?
3. Wie hoch war dabei der Anteil der Inländer, der EU -
Ausländer sowie Personen aus
Drittstaaten (Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen)?
4. Wie viele Personen wurden im Jahr 2002 nach gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft
in der Folge außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt
(Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen)?
5. Wie viele Personen, die nach gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft in der Folge
außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt wurde, stellten davon jeweils
im
Jahr 2002 einen Antrag auf Haftentschädigung?
5.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
5.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
6. Wie viele Anträge wurden positiv für Personen, die
nach gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft in der Folge außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren
eingestellt
wurde im Jahr 2002, erledigt?
6.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
6.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
6.3. Wie hoch waren jeweils die Haftentschädigungen in Summe?
7. Wie viele Personen wurden im Jahr 2002 nach
gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft freigesprochen?
7.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
7.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
7.3. Aufschlüsselung nach "glatten Freisprüchen und "in dubio - Freisprüchen"
8. Wie viele Personen, die nach gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft
freigesprochen wurden, davon stellten im Jahr 2002 einen Antrag auf
Haftentschädigung?
8.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
8.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
9. Wie viele Anträge wurden 2002 positiv für die Freigesprochenen erledigt?
9.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
9.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
9.3. Wie hoch waren jeweils die Haftentschädigungen in Summe?
10. Wie viele strafrechtlich verurteilte
Personen wurden im Jahr 2002 bei Strafhaft in einem
Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen? Bei wie vielen davon erfolgte die
Verurteilung
durch ein Geschworenengericht?
10.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
10.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
11. Wie viele Personen die in einem
Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurden bzw.
deren Verfahren eingestellt wurde etc (i.S. § 2 Abs. 1 lit c StEG), stellten im
Jahr 2002
einen Antrag auf Haftentschädigung?
11.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
11.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
11.3. Wie hoch waren die jeweils die Haftentschädigung in Summe?
12. Wie hoch wären Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung nach jährlich die
Haftentschädigungen,
wenn ein Anspruch - im Vergleich zu der geltenden Rechtslage -
auch bei jedem Freispruch - ohne Differenzierung - gewährt würde?
13. Wie viele strafrechtlich verurteilte
Personen wurden im Jahr 2002 - ohne Strafhaft - in
einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen?
13.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
13.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
14. Wie viele Verfahren - gestützt auf das Amtshaftungsgesetz, das strafrechtliche
Entschädigungsgesetz
und die europäische Menschenrechtskonvention - werden derzeit
in dieser Frage gegen die Republik Österreich geführt?
15. Wie viele Verfahren in Österreich sind
derzeit beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte wegen diesbezüglicher Verstöße gegen die EMRK anhängig?
16. Halten Sie die in der Einleitung zur
Anfragebeantwortung (2755/AB, XXI.GP) getroffenen
Feststellungen in Anbetracht der jüngsten Erkenntnisse des EGMR gegen
Österreichs
weiterhin aufrecht?
Wenn ja, mit welcher Begründung?
17. In wie vielen Entscheidungen wurden 2002 "MRK - Konform" rechtkräftig entschieden?
18. Wie beurteilen Sie als ressortverantwortlicher Bundesminister diese Entwicklung?
19. Welchen Einfluss wird diese Rechtssprechung auf die zukünftige Rechtslage nehmen?
20. Welche konkreten Stellungnahmen wurden
im Begutachtungsverfahren zum
Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz 2004
abgegeben?
21 .Wird der Begutachtungsentwurf geändert?
22. Wenn ja, in welchen Bereichen?
23. Wann ist mit einer entsprechenden
Regierungsvorlage zu rechnen und wann soll dieser
zum Beschluss vorliegen?
24. Werden sie § 3 des Entwurfes, der eine Einschränkung
des Ersatzanspruches
vorsah ändern?
25. Wenn nein, warum nicht?
26. Wenn ja, welche konkrete Neuregelung ist geplant?
27. Werden sie verpflichtenden Regelungen zum Schutz und
zur Information sowie
Beratung von Geschädigten in einem neuen Entwurf oder in der
Regierungsvorlage vorsehen?
28. Wenn nein, warum nicht?
29. Werden sie einen sogenannten „Entschädigungsanwalt" vorsehen?
30. Wenn nein, warum nicht?
31. Nach welchem Recht sind Entschädigungsansprüche von
Österreichern nach
einem Freispruch oder Verfahrenseinstellung (im Haftstaat) zu beurteilen,
die(z.B.
zu Unrecht) von Österreich ausgeliefert und in einem EU-Mitglied Staat in Haft
genommen wurden?
32. Welcher Staat - Auslieferstaat oder Haftstaat - hat dabei zuzahlen?
33. Welche EU-Mitgliedsstaaten sowie welche Beitrittswerber
erfügen über ein
„Strafrechtliches Entschädigungsgesetz" bzw. über die Möglichkeit in
derartigen
Fällen zivilrechtlich Ersatzansprüche zu stellen (ersuche um Aufschlüsselung)?
34. Welche konkrete Regelungen gelten in
EU-Mitgliedsstaaten bzw. bei den
Beitrittskandidaten (ersuche um Aufschlüsselung)?
35. Sehen sie die Notwendigkeit diese Regelungen innerhalb
der EU zu
harmonisieren?
36. Wenn nein, warum nicht?