1813/J XXII. GP

Eingelangt am 27.05.2004
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DRINGLICHE ANFRAGE

gemäß § 93 Abs. 1 GOG-NR

 

 

der Abgeordneten Scheibner, Dr. Lopatka und Kollegen

 

an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten

betreffend Österreichs Haltung zur Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Verfassung der Europäischen Union

Mit dem Vertrag von Nizza beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im Dezember 2000 jene institutionellen Reformen, mit denen die Europäische Union erweiterungsfähig gemacht wurde. Gleichzeitig beschlossen die Staats- und Regierungschefs, dass eine breiter angelegte Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union aufgenommen werden soll. Im Rahmen dieses Prozesses sollten u. a. die Kompetenzabgrenzung zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip, der Status der Grundrechtscharta der Europäischen Union, eine Vereinfachung der Verträge und die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas behandelt werden.

 

In diesem Sinne beschloss der Europäische Rat von Laeken die Einberufung eines Konvents zur Zukunft Europas. Dieser nahm am 28. Februar 2002 seine Arbeit zur Erstellung von Reformvorschlägen für die Europäische Union auf. Damit sollte eine möglichst umfassende und transparente Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz sichergestellt werden. Der Europäische Rat von Laeken gab dem Konvent ein umfassendes Mandat, wobei sich für den Diskussionsprozess vier große Themenblöcke abzeichnen: die Verdeutlichung und Vereinfachung der Kompetenzstrukturen sowie eine Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, eine Reform der Politikinstrumente der Union, eine Überprüfung des Institutionengefüges und deren Funktionsweise mit dem Ziel einer Erhöhung der demokratischen Legitimität und der Transparenz, eine Vereinfachung und Neuordnung der Verträge.

 

Der Konvent erarbeitete in der Folge den Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa. Dieser zielt im wesentlichen auf folgendes ab:

 

·        Zusammenfassung der Verträge und Auflösung der Säulenstruktur (einheitliche Rechtspersönlichkeit der Union);

 

·        Integration der Charta der Grundrechte der Union und Verbesserung des Rechtsschutzes;

 

·        Bessere Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten;

 

·        Vereinfachung der Handlungsinstrumente und Entscheidungsmechanismen der Union;

 

·        Transparentere, effizientere und demokratischere Struktur und Funktionsweise der Unionsorgane sowie direktere Einbindung der nationalen Parlamente in die europäischen Entscheidungsprozesse; 

 

·        Stärkung der Handlungsfähigkeit der Union beim außenpolitischen Handeln, bei der Entwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und Berücksichtigung von gemeinsamen Kernelementen des europäischen Sozialmodells.

 

Darüber hinaus beinhaltet der Verfassungsentwurf in Teil I Artikel 58 ein besonderes Verfahren, wenn gegen einen Mitgliedsstaat der Verdacht einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte der Europäischen Union (z.B. Freiheit, Demokratie, Wahrung der Menschenrechte, usw.) besteht. Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedsstaaten oder der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments kann der Europäische Rat einstimmig einen Europäischen Beschluss erlassen, mit dem festgestellt wird, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung dieser Werte der Union durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er den betroffenen Mitgliedstaat zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.  

 

Dieses Verfahren stellt künftig sicher, dass ein Vorgehen wie im Fall der von 14 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gegen Österreich im Jahr 2000 verhängten Sanktionen, die sowohl dem Geist des EU-Vertrages widersprachen als auch einen beispiellosen Eingriff in das demokratische Leben und Selbstverständnis eines gleichberechtigten Mitgliedsstaates darstellten, künftig nicht mehr möglich ist.

 

In diesem Zusammenhang hat der sozialdemokratische EU-Abgeordnete und nunmehrige SPÖ-Spitzenkandidat Hannes Swoboda die damals von den EU-Vierzehn gegen Österreich verhängten Sanktionen in einem Schreiben vom 16. März 2000 an alle EU-Parlamentarier begrüßt, sich für die ihm entgegengebrachten Zeichen der Freundschaft und der Solidarität bedankt und in diesem Dankschreiben wörtlich folgendes ausgeführt: „Diese Zeichen sind für uns genauso wichtig, wie die Tatsache, dass die übrigen EU-Regierungen angesichts der Beteiligung der FPÖ an der österreichischen Regierung reagieren mußte.“

Ungeachtet der Tatsache, daß es letztlich dank der konsequenten Arbeit der österreichischen Außenpolitik möglich war, eine Aufhebung der ungerechtfertigten Sanktionen noch im selben Jahr zu bewirken, ist es sehr zu begrüßen, daß ähnliche Vorgänge nach dem im Verfassungsentwurf vorgesehenen Procedere nicht mehr denkbar sind.

 

In der Folge stellte der Europäische Rat in Thessaloniki fest, dass der Entwurf des Vertrages eine gute Ausgangsbasis für den Beginn der Regierungskonferenz darstellt und diese ihre Arbeit so rasch als möglich abschließen sollte. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 12. und 13. Dezember 2003 wurde jedoch ohne Einigung über eine Europäische Verfassung beendet.

 

Unter irischer Präsidentschaft wurde jetzt ein neuer Anlauf genommen, um die Regierungskonferenz noch im ersten Halbjahr 2004 bzw. beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs am 17. und 18. Juni 2004 erfolgreich abschließen zu können.

 

Unabhängig vom Zeitpunkt des Beschlusses einer Europäischen Verfassung hängt der Erfolg des Friedensprojektes Europa im wesentlichen Ausmaß davon ab, dass es gelingt, die innere und äußere Sicherheit der Mitgliedsstaaten uneingeschränkt zu gewährleisten. Dazu gehört, wie sich im Fall des uneinheitlichen Vorgehens der europäischen Länder im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg zeigte, der weitere Aufbau einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, mit dem Ziel, eines weltweit eigenständigen Auftretens Europas. Ebenso ist es erforderlich, die Sicherung der Grenzen der Gemeinschaft, die sich mit der Erweiterung von Österreich weg verschoben haben, konsequent wahrzunehmen. Dies umso mehr, als  die Frage des Umganges mit politischen Flüchtlingen durch die Umsetzung des Konzepts der sicheren Drittstaaten durch das neue österreichische Asylrecht gelöst ist.

 

Im Hinblick auf den möglichen Abschluss der Regierungskonferenz stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten gemäß § 93 Abs.1 GOG-NR folgende

 

 

Dringliche Anfrage:

 

 

1.    Wie sehen Sie im einzelnen die Aussichten, die von der Bundesregierung am 23. September 2003 beschlossenen und vom Hauptausschuß des Nationalrates bekräftigten Grundsatzpositionen zur Regierungskonferenz 2003 im Rahmen der derzeit laufenden Verhandlungen über die Europäische Verfassung durchzusetzen?

 

2.    Wie beurteilen Sie im Hinblick auf die im Jahr 2000 von 14 Mitgliedsstaaten verhängten Sanktionen gegen Österreich den im Art. 58 des Verfassungsentwurfs vorgesehenen Mechanismus?

 

3.    Welche Aussichten hat Ihrer Einschätzung nach die Umsetzung der im Verfassungsentwurf vorgesehenen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union?

 

4.    Teilen Sie die Auffassung, daß es gerade angesichts der wachsenden Spannungen im nahen und mittleren Osten sowie zwischen arabischen Ländern und Ländern der westlichen Welt besonders wichtig wäre, daß Europa hier einheitlich vorgeht?

 

5.    Welche Möglichkeiten sehen Sie, im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg die traditionelle österreichische Vermittlerrolle dahingehend zu nützen, daß nachhaltige Spannungen zwischen der arabischen Welt und dem gesamten Westen und insbesondere der EU vermieden werden können?

 

6.    Welche Möglichkeiten sehen Sie für Österreich im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina – Konflikt beispielsweise im Sinne des Engagements der Europäischen Union im humanitären und infrastrukturellen Bereich, auf eine friedlichere Entwicklung hinzuwirken?

 

7.    Welche Möglichkeiten sehen Sie, die weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus weiterhin nachhaltig zu unterstützen?

 

8.    Wie beurteilen Sie die Frage von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Hinblick auf den Umstand, daß die Kopenhagener Kriterien insbesondere hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und die wirtschaftlichen Voraussetzungen in wesentlichen Punkten derzeit nicht erfüllt werden ?

 

9.    Ist sichergestellt, daß im Rahmen der Europäischen Union das Einstimmigkeitsprinzips in sensiblen Bereichen der Daseinsvorsorge (z.B. Raumordnung, Bodennutzung, Eigenmittelbeschluss, Rechtsakte mit konstitutivem Charakter, Wahl der Energieträger, Wasserressourcen, verbindliche Rechtsakte in der derzeitigen „Dritten Säule“) erhalten bleibt?

 

10.           Welche Möglichkeiten sehen Sie, sicherzustellen, daß künftig der Stabilitäts- und Wachstumspakt von allen Mitgliedsländern in gleicher Weise eingehalten wird?

 

11.           Treten Sie im Zusammenhang mit der finanziellen Vorausschau 2007-2013 für eine Beibehaltung des derzeit tatsächlich erreichten Ausgabenniveaus von 1% des BNE ein?

 

 

12.           Welche Initiativen haben Sie gesetzt, um die Interessen Österreichs mit regionalen Partnern innerhalb der EU verstärkt in die europäische Diskussion einzubringen?

 

 

13.           Welche Auswirkungen wird die Umsetzung des Prinzips der sicheren Drittstaaten im neuen österreichischen Asylgesetz im Hinblick darauf, daß Österreich mit Ausnahme der Schweiz und Liechtensteins keine EU-Außengrenze mehr besitzt, für Österreich haben?

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diese Dringliche Anfrage § 93 Abs. 1 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

 

Wien, den 27.5.2004