2104/J XXII. GP

Eingelangt am 31.08.2004
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend der Haltung der österreichischen Bundesregierung zur Patentierung von "Computerimplementierten Erfindungen" und geplanter Maßnahmen zur Minderung der Auswirkungen auf die benachteiligten österreichischen Unternehmen

 

 

 

 

 

Die derzeit von der EU-Kommission mit Nachdruck verfolgte Durchsetzung einer Richtlinie zur unbeschränkten Patentierung von Computeranwendungen und Geschäftsmethoden legalisiert die rechtswidrige Vergabepraxis des europäischen Patentamtes unter dem Deckmantel einer vorgetäuschten Harmonisierung.

 

Die rückwirkende juristische Absegnung der ausgeuferten, im Widerspruch zum Patentübereinkommen und TRIPS stehende Praktiken des europäischen Patentamtes durch die Richtlinie bewirkt eine massive Verschlechterung für europäische Klein- und Mittelbetriebe. Diese haben sich bisher auf das Patentübereinkommen und TRIPS verlassen und auf die Investitionen in die gegen beides verstoßenden, praxisfernen Trivialpatente des europäischen Patentamtes verzichtet.

 

Trotz der massiven Proteste der Klein- und Mittelbetriebe sowie unzähliger ernster Expertenwarnungen beharrt die Kommission auf ihrem Vorschlag, unbegrenzte Patentansprüche auf Computeranwendungen, computerimplementierte Geschäftsprozesse und Schnittstellen zu erteilen und bezeichnet die Vergabepraxis des EPO sogar fälschlich als “allgemein anerkannt”.

 

Der angebliche “Kompromiss” des Wettbewerbsrates am 18.5 enthält lediglich trickreiche Formulierungen, wie z.B. Artikel 4 welche die grenzenlose Patentierbarkeit von Softwareanwendungen und computerimplementierten Geschäftsprozessen erlauben, obwohl in den Formulierungen das Gegenteil vorgetäuscht wird. Dies, obwohl Ansprüche auf Softwareanwendungen und computerimplementierten Geschäftsprozessen durch das Patentübereinkommen, TRIPS und die österreichische Rechtslage aus gutem Grund klar abgelehnt werden.

 

Die Argumente der Befürworter dieser Richtlinie erscheinen bei näherer Betrachtung sehr zweifelhaft. Den Kritikern unlimitierter Patentierbarkeit geht es im Falle von Klein und Mittelbetrieben um den Erhalt der Rechtsgrundlage ihrer Branche und bei den Vertretern von Freier Software um den Erhalt des kreativen Potentials der Informationsgesellschaft. Beiden gemeinsam ist der Einsatz für den Innovationsstandort Europa und die Entwicklung einer demokratischen und wettbewerbsfähigen Informationsgesellschaft. Beides wird durch diese Richtlinie nachweislich gefährdet.

 

Investitionen und Forschung werden nicht geschützt.

 

Das Argument, man könne mit Patenten auf computerimplementierte Geschäftsideen und ganzen Klassen von Softwareanwendungen Investitionen in Forschung schützen, ist - betrachtet man die Natur von Softwarepatenten und die daraus hervorgegangene Praxis des EPO - widersinnig.

 

Bei den hier einklagbar werdenden Ansprüchen handelt es sich fast ausschließlich um Trivialpatente, welche eine Anwendung oder Geschäftsidee als Ganzes und damit Marktsegmente beanspruchen. Dies ist kein vereinzelter Missbrauch – es ist die klar absehbare Konsequenz der Natur dieser Patente und in der juristischen Taktik hinter der Vergabepraxis des europäischen Patentamtes begründet.

 

Dass diesen Patenten der Technik- und Erfindungsstatus offensichtlich fehlt und durch juristische Verrenkungen erst per Richtlinie erzwungen werden muss, wird schon aus den Patentschriften selbst klar.

 

Die “Technik”, der Programmcode ist (siehe Richtlinientext) gar nicht Gegenstand eines Patents, daher werden Ansprüche auf die Geschäftsidee, welche zur Erstellung des Programms geführt hat, erhoben.

 

Dies liegt – sogar für Laien leicht nachvollziehbar – daran, dass eine technisch exakte Beschreibung den Anspruch als eigentlich nicht patentwürdiges Computerprogramm "enttarnt". Die Regeln und die Vergabepraxis des EPO lehren: Ein Patent auf Software oder Mathematik wird über den Umweg von Ansprüchen auf die Geschäftsidee erteilt.

 

Der eigentliche Sinn von Patenten: Eine Offenbarung neuer Technologie wird hier in das genaue Gegenteil pervertiert: Nach der gängigen Praxis des EPO und in allen Richtlinienentwürfen darf keine Technik beschrieben werden!

 

Erfinderische Tätigkeit ist nicht notwendig.

 

Den Befürwortern ist es auch nicht gelungen, eine glaubhafte Definition für den (bei Patenten selbstverständlichen) geforderten technischen Beitrag zu formulieren. Man begnügt sich daher mit dem Vortäuschen eines technischen Beitrages, der lt. Richtlinienentwurf auch aus nichttechnischen Merkmalen(!) bestehen darf.

 

Durch die Gesetzwerdung der Umgehungsmethoden, mit denen das europäische Patentamt bereits die Verstöße gegen das Patentübereinkommens praktiziert, wird jede verwendbare Grenzziehung der Patentierbarkeit unmöglich: Es existiert damit praktisch keine Beschränkung der Patentierbarkeit.

 

Dies zeigt sich deutlich in der angeblich "allgemein anerkannten Rechtssprechung des EPO", welche bei Patenten auf Softwareanwendungen hauptsächlich aus Trivialitäten besteht, für die selbst für laienhafte Computeranwender erkennbar keinerlei Forschungstätigkeit notwendig ist.

 

Repräsentative Beispiele von Patentansprüchen:

 

EP0850441, "Über Netzwerk prüfen ob ein Computer da ist" Erteilung: 2000

EP0927945, "Versenden von Geschenken durch Software" Erteilung: 2003

 

Verstoß gegen das Patentübereinkommen

 

Das Patentübereinkommen nimmt Software ebenso wie Mathematik klar und eindeutig von der Patentierbarkeit aus.

 

Das EPO hat eine sehr fragwürdige Definition entwickelt, um trotzdem Softwarepatente erteilen zu können: Man patentiere einfach nicht das Programm selbst, sondern die abstrakte Idee selbiges zu bauen. Deswegen bestehen die erteilten Patente meist aus technisch unbrauchbarer Information, die lediglich vage eine entsprechende Geschäftsidee oder Anwendung beschreibt.

 

Aus dieser vage formulierten Idee resultieren dann Ansprüche auf Computerprogramme, welche die skizzierte Idee umsetzen.

 

Wettbewerbsfähigkeit europäischer Betriebe

 

Das Argument, diese Trivialpatente wäre notwendig, damit europäische Betriebe sich vor internationalen schützen können, ist nicht nachvollziehbar. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Mit Umsetzung der Richtlinie werden sofort tausende bisher rechtswidrige Ansprüche von japanischen und US-Konzernen auf trivialste Softwareanwendungen und Geschäftsmethoden einklagbar.

 

Die Befürworter konnten bisher noch nicht erklären wie

 

1.       die zu erwartenden Lizenzzahlungen an internationale Konzerne die Wirtschaftskraft von KMUs stärken sollen;

 

2.       Vorteile dadurch entstehen, dass vor dem Erstellen banaler Softwarelösungen erst eine Patentrecherche durchgeführt werden muss – die dann aber auch keine Rechtssicherheit bringt.

 

Verstoß gegen TRIPS

 

Das Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights schreibt in Art. 10 vor, dass Ansprüche auf Software nach dem Urheberrecht zu schützen sind. Die Verwertung dieses Schutzes ist aber nicht mehr möglich, sie kollidiert mit dem Recht, Ansprüche auf ganze Klassen von Softwareanwendungen und Geschäftsmodellen zu erheben.

 

Die Wirklichkeit

 

Um ein Patent auf eine Softwareanwendung oder computerimplementierte Geschäftsidee zu erhalten ist nachweislich keinerlei Forschung oder erfinderische Tätigkeit notwendig. Es wäre geradezu gefährlich zu versuchen, ein Gebiet der Informationstechnologie zu erforschen, ohne vorher die entsprechenden Softwareanwendungen durch Patente zu sichern.

 

Es geht also nicht um Investitionen in Forschung, es geht um Investitionen in Patentschutz. Betriebswirtschaftlich am sinnvollsten ist dies natürlich, erhält man ohne wesentliche Forschungsarbeit dabei Ansprüche auf die Arbeit anderer.

 

Diese Tatsachen werden durch geschickte Formulierungen des Richtlinientextes absichtlich verschleiert. Auch im Übrigen ist die Vorgehensweise zur Durchsetzung gegen die Interessen der Betroffenen sehr fragwürdig geschehen.

 

Auswirkungen auf österreichische KMUs

 

In Österreich sind softwareerzeugende Firmen hauptsächlich aus dem Bereich der KMUs mit bis zu 250 Mitarbeitern.

 

Die meisten österreichischen KMUs haben sich bisher auf die Einhaltung des Patentübereinkommens verlassen. Sie haben daher auf die, aus Ihrer Sicht abstrusen, realitätsfremden und kostenintensiven Dienste des EPO und den Aufbau eines Portfolios sinnentleerter Trivialpatente verzichtet.

 

Das EPO hat bereits tausende Patente in klarem Widerspruch zum Sinn des Patentübereinkommen erteilt. Durch diese Richtlinie werden diese Patente in Österreich durchsetzbar. Ein Einspruch gegen diese Patente ist langwierig und kann nur erfolgreich in Betracht gezogen werden, wenn bewiesen werden kann, dass die patentierte Idee bereits vor der Patentierung bekannt war. Die Richtlinie erschwert dies durch juristische Tricks noch zusätzlich.

 

Das bedeutet:

 

1.             Österreichischen Unternehmen geht das Recht Softwareanwendungen zu entwickeln, in Kernbereichen ihrer Geschäftstätigkeit, über weite Strecken verloren.

 

2.             Österreichische Unternehmen haben nach Beschluss der Richtlinie ihre Entwicklungstätigkeit zu stoppen oder zu verlangsamen und die patentrechtliche Situation ihrer Produkte zu klären, um

 

a)             für gültige Patente Lizenzen zu erwerben und

b)             bei eventuell ungültigen Patenten Einspruchsverfahren einzuleiten.

 

Da nach den Regeln der Richtlinie die Ansprüche in mehreren Seiten technikloser Beschreibung verschleiert werden müssen, ist diese Patentrecherche äußerst zeit- und kapitalaufwendig.

 

Beispiel: EP0940761, “Patentiert die Formel (A-B) < C”

 

1.             Aus Gründen der Rechtssicherheit muss das Vorhanden sein eines ausreichenden Patentportfolios Kriterium für öffentliche Ausschreibungen werden.

 

2.             Inhaber von KMUs können ihr Risiko vermindern, indem sie aus ihren Angestellten zuliefernde Selbstständige machen. Bei der Softwareentwicklung besteht das ständige hohe Risiko, diese Trivialpatente zu verletzen: Gegenüber Angestellten existiert keine Regressionsmöglichkeit.

 

3.             Gewerbliche Anwender verlieren das Recht auf das im Urheberrecht verankerte Recht zur Herstellung von Interoperabilität. Dieses wird durch Patente auf die Anwendung von Software, welche auf Dateien oder Schnittstellen zugreift, unterlaufen.

 

4.             Durch die Monopolisierung von Anwendungsgebieten werden Marktmechanismen, die Preis und Qualität regulieren, außer Kraft gesetzt.

 

Aus dieser Aufstellung geht klar hervor: Auf österreichische Unternehmen kommen durch diese Richtlinie außerordentliche Belastungen zu. Den Löwenanteil tragen die KMUs der IT-Industrie. Sie sind in ihrer Existenz gefährdet.

 

Aufgrund dieser Situation und aufgrund des enormen Drucks, mit dem diese Richtlinie gegen den Widerstand der Betroffenen und des europäischen Parlaments durchgesetzt werden soll, stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.             Wie weit werden die Kosten der Patentierung, da ja keinerlei praxisrelevante Prüfung durch das Patentamt erfolgen kann und muss, im Gegensatz zu herkömmlichen Patenten gesenkt?

2.             Wie hoch ist das Steueraufkommen heimischer KMUs, insbesondere dessen Anteil am Bundeshaushalt im Vergleich zu jenen nichteuropäischen Unternehmen, die laut EPO-Statistik den überwiegenden Teil an Softwareanwendungen durch Softwarepatente für sich beanspruchen?

3.             Welche außerordentlichen finanziellen Hilfen sind für KMUs geplant, um unberechtigt erteilte Patente durch Einspruch oder Klage zu beseitigen?

4.             Welche außerordentlichen finanziellen Hilfen sind für KMUs geplant, um während der Zeit dieser Einsprüche, in denen keine andere Geschäftstätigkeit ausgeübt werden kann, die Existenz der Betriebe zu erhalten?

5.             Ist eine steuerliche Entlastung nicht entnommener Gewinne für KMUs geplant, damit diese das notwendige Kapital für Patentauseinandersetzungen langfristig aufbauen können?

6.             Welche sonstigen Maßnahmen sind geplant, um den massiven Rechtsverlust und die Enteignung von KMUs und Anwendern auszugleichen?

7.             Mit welchen Maßnahmen wird der Auswirkung auf dem Arbeitsmarkt durch aus dem Markt scheidende KMUs entgegengewirkt?

8.             Mit welchen Maßnahmen wird der verringerten Steuerleistung der KMUs begegnet?

9.             Wie wird den Auswirkungen der Monopolstellungen durch Patente auf ganze Anwendungsklassen (Beispiel: EP1304615, Internetbrowser in Fabriken anwenden) begegnet?

10.         Wie und wann wird die Regierung die betroffenen Betriebe vom Verlust des Rechts auf unbehinderte Erstellung von Softwarelösungen unterrichten?

11.         Wie und wann wird die Regierung die Betriebe, welche Informationstechnologie verwenden, davon unterrichten, dass das Recht auf Wiederherstellung von Interoperabilität (UrhG) nur mehr eingeschränkt gelten wird. (Beispiel: EP0923011, EP1289226 Roboter mit Netzwerken verbinden)?

12.         Gibt es Übergangsfristen, die den Schaden durch die bereits vom EPO erteilten und im Vertrauen auf das Patentübereinkommen von den österreichischen Betrieben als illegal ignorierten Patente vermindern?

13.         Welche Maßnahmen sind geplant, um das derzeitige eGovernment-Programm mit der Richtlinie vereinbar zu machen?

14.         Wurden für die Anwendungen des eGovernment-Programms die erforderlichen Patentlizenzen bereits eingeholt? Wenn ja, in welchem Umfang?

15.         Wie hoch sind derzeit die Kosten für die österreichische Regierung im eGovernment-Programm durch die Patente, die vom EPO beispielsweise auf das Betreiben von Webservern, browserbasierte Anwendungen, Zertifikate, die Idee “personenbezogene Karten” oder Microsoft Office Dateiformate erteilt wurden?

16.         Wie hoch sind zukünftig die Kosten für die österreichische Regierung im eGovernment-Programm durch die Patente, die vom EPO beispielsweise auf das Betreiben von Webservern, browserbasierte Anwendungen, Zertifikate, die Idee “personenbezogene Karten” oder Microsoft Office Dateiformate erteilt wurden?

17.         Planen die österreichischen Regierungsstellen selbst Patente auf Computeranwendungen durch Regierungsorganisationen anzumelden, um die selbstständige Arbeitsfähigkeit ihrer Rechenzentren durch ein eigenes “Tauschportfolio” zu erhalten?

18.         Werden die einzelnen Regierungsstellen und -rechenzentren angehalten, sich die für eine weitere selbstständige Softwareentwicklung notwendigen Patentportfolios selbst aufzubauen oder ist dafür eine zentrale Stelle geplant?

19.         Wie hoch sind die (ggf. geschätzten) Kosten dieser Stelle?

20.         Wie wird bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Notwendigkeit eines Patentportfolios des Anbieters zur juristischen Absicherung gelieferter Softwareanwendungen in den Vergabeprozess einfließen?

21.         Wie wird der Unvorhersagbarkeit, Langwierigkeit und der Höhe üblicher Patentrechtsstreitigkeiten bei der Implementierung der Intellectual-Property-Enforcement-Richtlinie Rechnung getragen?

22.         Welche Maßnahmen plant die Regierung, um über die Verweigerung der Zustimmung zur Richtlinie im Wettbewerbsrat hinaus eine Beschlussfassung im Sinne der österreichischen Wirtschaft und der europäischen KMUs im Allgemeinen zu unterstützen?

23.         Plant die Regierung, sich für die Beibehaltung der vom europäischen. Parlament beschlossenen Abänderungen der Richtlinie, welche einen adäquaten Schutz einer Erfindungen als Gesamtes und ohne die nachgewiesenen Nachteile unbeschränkter Patentierbarkeit realisiert, einzusetzen?

24.         Durch welche Maßnahmen wird die Regierung sich für die Beibehaltung der vom europäischen Parlament beschlossenen Abänderungen einsetzen?

25.         Wie sind Stellungnahmen von Mitarbeitern des Patentamts und/oder des Wirtschaftsministeriums, welche den Inhalt der Richtlinie auf eine Art und Weise wiedergeben, die dazu führt, dass ein sehr stark vom tatsächlichen Inhalt abweichender Eindruck entsteht, zu verstehen?

26.         Wie wird sich die Regierung verhalten wenn die Richtlinie im EU-Parlament scheitert und der von Kommissar Bolkestein für diesen Fall angekündigte Versuch unternommen wird, denselben Rechtetransfer durch eine Änderung des Patentübereinkommens zu ermöglichen?