3604/J XXII. GP
Eingelangt am 15.11.2005
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möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Josef Cap
und GenossInnen
an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten
betreffend den Fortschrittsbericht 2005 für die Türkei
Die
Europäische Kommission hat am 9. November 2005 den vernichtenden
Fortschrittsbericht 2005 für die Türkei veröffentlicht - also rund einen Monat
nachdem die
EU mit der Zustimmung von Österreichs Vertreterin, Außenministerin Plassnik,
das
Verhandlungsmandat für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschlossen
und die
Beitrittsverhandlungen eröffnet hat. Dieser
Bericht enthält, wie schon der Fortschrittsbericht
2004, gravierende Kritik, was die Einhaltung der Menschen- und
Minderheitenrechte in der
Türkei betrifft.
Der
Bericht hält u.a. fest, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
seit Oktober
2004 129 Urteile zur Türkei gesprochen und
in 120 Fällen einen Verstoß der Türkei gegen die
EMRK festgestellt habe. In diesem Zeitraum seien zudem 1812 neue Klagen
wegen
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei eingegangen.
Menschenrechtsverletzungen - so
die Europäische Kommission - seien zwar seltener geworden, kämen aber immer
noch vor.
Die Ahndung von Folter und Misshandlung müsse energischer durchgesetzt werden,
obwohl
die rechtlichen Maßnahmen dazu bereits
geschaffen worden seien. Trotz gewisser Fortschritte
sei die Umsetzung von Grundfreiheiten nach wie vor mangelhaft, vor allem in den
Bereichen
Meinungsfreiheit, Frauenrechte, Religion und Gewerkschaftsrechte. Trotz
der
Verabschiedung einer umfassenden
Justizreform und Reformen in den Beziehungen zwischen
Zivilsphäre und Militär übten die Streitkräfte immer noch Einfluss aus.
Die
Staatsanwaltschaft in der Türkei eröffne nach wie vor Strafverfahren gegen
Personen, die
gewaltlos ihre Meinung äußerten. Dabei stütze sie sich sogar auf das neue
Strafgesetzbuch.
Anlass zur ernsten Sorge biete auch nach
wie vor die Gewalt gegen Frauen in der Türkei. Die
wirtschaftliche und soziale Lage im kurdischen Südosten des Landes habe
sich kaum
verbessert. Obwohl bei kulturellen Veranstaltungen in nicht-türkischer Sprache
inzwischen
eine größere Toleranz festzustellen sei, gebe es weiterhin starke
Einschränkungen bei der
Wahrnehmung kultureller Rechte.
Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die
Bundesministerin für auswärtige
Angelegenheiten
nachstehende
Anfrage:
1.
Weshalb
wurde der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission für die
Türkei, der sehr kritisch ausfiel und in dem u.a. „Folter und
Misshandlung" in der
Türkei angeprangert werden (Der Standard,
10.11.05), erst nach der Eröffnung der
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei veröffentlicht?
2.
Ist diese Vorgangsweise aus Ihrer Sicht geeignet, das
Vertrauen der Bürger in die
EU-Institutionen zu
stärken?
3.
Würden
Sie heute - also in Kenntnis dieses Berichtes - der Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen immer noch
zustimmen?
4.
Sind
aus Ihrer Sicht, die im Bericht dokumentierten Entwicklungen in den
Bereichen Menschenrechte, Situation der
Frauen, Gewerkschaftsrechte, Presse- und
Meinungsfreiheit, Kinderrechte, Situation der kurdischen Minderheit etc.
zufrieden
stellend?
5.
Weshalb ist dem aktuellen Fortschrittsbericht, im
Gegensatz zum Forschrittsbericht
2004,
nicht zu entnehmen, wie viele Klagen im Zusammenhang mit Folter
(innerhalb, aber auch
außerhalb der förmlichen Haft) bei der Türkischen
Menschenrechtsvereinigung im letzten Halbjahr eingegangen sind?
6.
Die
Erfüllung der vom Europäischen Rat (Kopenhagen) festgelegten politischen
Kriterien ist eine Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.
Rechtfertigen die vorliegenden Ergebnisse
des Fortschrittsberichtes im Bereich der
politischen Kriterien die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen?
7.
Wenn nein, welche Auswirkungen hat dieser Bericht auf
die Beitrittsverhandlungen
mit der Türkei?
8.
Werden Sie den Fortschrittsbericht zum Anlass nehmen,
Änderungen im geplanten
Prozedere der
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorzuschlagen?
9.
Wenn
nein, warum nicht?
10.
Werden Sie von der im Verhandlungsmandat vorgesehenen
Möglichkeit Gebrauch
machen, auf Grund der
nach wie vor bestehenden Menschenrechtsverletzungen
gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten die
Aussetzung der Beitrittsverhandlungen
zu beantragen?
11.
Wenn
nein, warum nicht?
12.
Welche Verhandlungskapitel werden unter österreichischer
Präsidentschaft eröffnet
werden?