43/J XXII.GP

Eingelangt am: 23.01.2003

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Petrovic, Lichtenberger, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend verkehrspolitisch kontraproduktive Entwicklungen im Zusammenhang mit
Zuckerrübentransporten

Im Zuge des EU-Beitritts war es ein Vorschlag der österreichischen Delegation für den
Bereich Landwirtschaft, das Netz an Rübenplätzen auszudünnen. Von 128 Plätzen im
Jahr 1994 sind nun (Abschluß der Restrukturierung 2002) nur noch 54 vorhanden. Das
ist - studienmäßig belegt - auch in betrieblicher Hinsicht zu wenig, berücksichtigt man
die Lieferspitzen. Der Studie entsprechend wären zumindest 70 Zuckerrüben-
Übernahmeplätze ein akzeptabler Zustand. Dahinter steht das Inter-esse des
Raiffeisen-Zuckerproduzenten Agrana, der von viel weniger und viel näher-gelegenen
Plätzen mit größeren Fahrzeugen sein Rohmaterial abholen kann und somit
beträchtliche betriebswirtschaftliche Vorteile hat.

Begleitet wurde diese Maßnahme zudem von einem undurchsichtigen Geldfluß. Als
"Gegenleistung" für die Ausdünnung des Rübenplatznetzes wurde Österreich von der
EG-Kommission 1996 eine einmalige Subvention an die Rübenbauern zugestan-den.
Diese ca. 300 Mio ATS flössen zwar tatsächlich an die Rübenbauern, allerdings gingen
sie in weiterer Folge von den Bäuerinnen und Bauern als Einmalzahlungen an die
Agrana weiter. Im Gegenzug dafür übernahmen die Bäuerinnen und Bauern die
verbleibenden 54 Lagerplätze von der Agrana, diese übernahm die Hälfte statt bis
dahin 10% der Erhaltungskosten für das Rübenplatznetz.

Ergebnis dieser Aktion: Nachdem das Netz gleichzeitig stark schrumpfte, Plätze, auch
fast neue, mit Bahnanschluß stillgelegt und neue Rübenübernahmeplätze mit Nur-
Straßenanschluß gebaut wurden, wurde das Übernahmesystem für die Agrana massiv
billiger und dem Raiffeisensektor im weiteren Sinn kamen die ca. 300 Mio ATS
Steuergelder zugute. Daneben sind bei dem Deal noch 20 Mio ATS an "Finan-
zierungskosten" angelaufen.

Die Bäuerinnen und Bauern sind zwar offiziell mit knapp über 20% an der Agrana
beteiligt und haben sich um die genannten 300 Mio. ATS eine neue Struktur gekauft,
haben davon netto aber nicht Vorteile, sondern so wie die Öffentlichkeit massive
Nachteile aus diesem Deal:

Die Bäuerinnen und Bauern mußten eine große Summe in zusätzliche und
größere Anhänger investieren, um die weiteren Transportstrecken (durchschnitt-
lich 3km mehr, Einzelfälle bis 20km) in der Rübenkampagne wenigstens einiger-
maßen wirtschaftlich abwickeln zu können; auch beim Treibstoffverbrauch und
bei der Transport-Zeit zahlen sie mit etwa 20 Mio ATS/Jahr, trotz einer Weg-
streckenvergütung, die nämlich zur Hälfte von den Landwirten selber zu zahlen
ist, drauf. Weitere 175 Mio ATS wurden für Ablöse, Schliessung und Neubau
von Übernahmestationen über einbehaltene Teile der Rübenabrechnung von
den Bäuerinnen und Bauern eingeholt.


Die Allgemeinheit hat (neben der sachlich schwer argumentierbaren Finanz-Spritze
für die Agrana über diesen Umweg) den dreifachen Schaden, monetär und nicht
zuletzt im Hinblick auf die Verkehrssituation:

1.   durch den höheren Schadstoffausstoß des Traktortransports gegenüber dem
LKW und v.a. der Bahn

2. zweitens durch die gestiegene Unfallhäufigkeit (eine Verkehrsstudie für den
Großraum Tulln erbrachte alleine dort 5-8 zusätzliche Unfälle mit Personen-
schaden pro Jahr mit 4-6 Mio ATS zusätzlichen Unfallfolgekosten)

3.   durch die Prämie, die die Agrana aus Steuermitteln für Frühlieferungen zahlt,
um die nunmehr auftretenden Verkehrs- und Anlieferungsspitzen zu
verflachen.

Diese Prämie deckt jedoch nicht die Mindereinnahmen für die Bäuerinnen und Bauern,
da diese nach Zuckergehalt der Rüben bezahlt werden und daher bei Frühlieferung
weniger Abgeltung für ihr Produkt bekommen. Nach unseren Informationen werden die
Frühlieferungen über die Rodegemeinschaften, in denen die teuren Erntegeräte
vorhanden sind, quasi erzwungen.

Daneben wird in diesem Zusammenhang noch über andere volkswirtschaftliche Unsin-
nigkeiten berichtet, wie die Stillegung eines Platzes, der erst 1995 errichtet worden war,
oder den Bau eines Rübensammelplatzes in Böheimkirchen, der deswegen dort (und
zwar nicht hochwassersicher) gebaut wurde, weil die Gründe einem Vorstandsmitglied
eines involvierten Unternehmens gehörten.

Von der Spitze der Vereinigung der österreichischen  Rübenbauernorganisationen
(VÖR) werden alle diese Massnahmen bis heute vehement verteidigt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1.      Gab es im Zusammenhang mit dem Vorschlag einer Ausdünnung des Netzes an
Rübenplätzen im Zuge des EU-Beitritts eine Befassung oder Stellungnahme Ihres
Ressorts bzw. Österreichs zu den zu erwartenden Verkehrsfolgen, wenn ja,
welchen Inhalts im einzelnen, wenn nein, warum nicht?

2.      Gab es Äußerungen oder Stellungnahmen seitens der EU-Kommission zu den zu
erwartenden Verkehrsfolgen, wenn ja, welchen Inhalts im einzelnen?

3.      Welche Untersuchungen oder Informationen liegen Ihnen über die Auswirkungen
für Verkehrsaufkommen, Schadstoffausstoß, Unfallentwicklung durch die
Umstrukturierung des Rübenübernahmeplatznetzes a) für die Seite der
verarbeitenden Industrie, b) für die Seite der ProduzentInnen, c) allgemein vor?

4.      Verfügen Sie über Daten oder andere Informationen über das mit der jeweiligen
jährlichen Rübenkampagne ursächlich zusammenhängende
Verkehrsunfallgeschehen und seine Folgekosten? Wenn ja, bitte um Darstellung
auf möglichst weit regional differenziertem Niveau für die letzten zehn Jahre.


5.      Stimmt es, dass durch die Verringerung der Sammelplätze insbesondere
wesentlich weitere Transportdistanzen und -strecken für die ProduzentInnen
entstehen? Wenn ja, bitte beziffern Sie die insgesamt zusätzlich anfallenden
Fahrkilometer mit Zugmaschinen sowie die damit verbundene Mehrbelastung für
die Umwelt, wenn möglich in regionaler Untergliederung auf Bezirks- oder
zumindest Bundesländerbasis.

6.      Liegen Ihnen konkrete Zahlen zur Reduktion der auf der umweltfreundlicheren
Schiene durchgeführten Rübentransporte hinsichtlich Zahl und Transportleistung
während der letzten zehn Jahre vor, und wenn ja, welche?

7.      In welchem Umfang hat sich dadurch in diesem Zeitraum die Einnahmensituation
der involvierten Schienenverkehrsunternehmen, insbesondere der ÖBB,
verschlechtert?

8.      Halten Sie die Zunahme der Transportdistanzen und -strecken auf der Straße bei
gleichzeitigen Abbau der Transportmöglichkeiten auf der Schiene für vereinbar mit
den Verkehrs-, klimaschutz- und umweltpolitischen Zielen Österreichs und dieser
Bundesregierung?

9.      Welche Rolle spielte der Abzug der Rübentransporte von der Schiene aufgrund
der dadurch verschlechterten Kostendeckungssituation für die Stillegung von
Regional- und Nebenbahnstrecken?

10.    Was haben Sie im Hinblick auf die gestiegene Unfallhäufigkeit (allein 5-8
zusätzliche Unfälle jährlich im Großraum Tulln) konkret unternommen?

11.    Was ist Ihnen a) seitens der betroffenen Bundesländer, b) seitens Dritter über
konkrete Aktivitäten und ihre Ergebnisse zur Verkehrsvermeidung und
Unfallvermeidung im Zusammengang mit dem Zuckerrübentransport bekannt?

12.    Was werden Sie als Verkehrsminister insgesamt gegen die negativen

Auswirkungen der Ausdünnung der Rübenübernahme-Plätze unternehmen?

13.    Was werden Sie und Ihr Ressort insbesondere für die Wieder-Verlagerung auf die
Schiene unternehmen?