4361/J XXII. GP

Eingelangt am 13.06.2006
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Weinzinger, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

betreffend Hochwasservorsorge Österreich

 

Anfang 2006 wurde in einer Bund-Ländereinigung vereinbart, die Bundesmittel für den Hochwasserschutz zu erhöhen. Die bisher auf Bundesebene jährlich veranschlagten 47 Mio. Euro sollen in den Jahren 2007 bis 2016 um 32 Mio. Euro auf insgesamt 79 Mio. Euro angehoben werden. Im Jahr 2006 soll ein Einmalbetrag von 15 Mio. Euro veranschlagt werden. Das heißt, dass die Bundesmittel für den Hochwasserschutz in den kommenden zehn Jahren auf insgesamt 805 Mio. Euro angehoben werden. Auch die Bundesländer und Gemeinden sollen gem. dieser Vereinbarung ihre Mittel anheben. Bis heute gibt es allerdings keinen Plan, nach welchen Kriterien und Prioritäten die deutlich aufgestockten Hochwasserschutz-Mittel in den kommenden Jahren investiert werden soll.

 

In den letzten 15 Jahren hat Österreich sechs verheerende Hochwasserkatastrophen erlebt (2006, 2005, 2002, 1999, 1997, 1991), die Milliardenschäden verursacht haben. Tausende Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. Allein für das Jahr 2002 hat das WIFO 7,5 Milliarden Euro Gesamtkosten der Hochwasserkatastrophe in Österreich geschätzt. Die Hochwasserschäden an der March in diesem Frühjahr betragen rund 350 Millionen Euro.

Trotz der Ohnmacht, die viele Menschen angesichts der Naturgewalten verspüren, ist es nicht leugbar, dass die Katastrophen zu großen Teilen hausgemacht sind und die Frage nach der Verantwortung für die Katastrophen immer lauter wird. Einerseits ist die Zunahme der extrem starken Unwetter auch in Europa nach Aussagen renommierter Klimaforscher eindeutig auf den Treibhauseffekt aufgrund der rasant gestiegenen CO2-Emissionen durch Industrie, Verkehr und Haushalte zurückzuführen. Andererseits wurden nach Schätzungen des WWF zwischen 1950 bis 2000 insgesamt 400.000 Hektar natürliche Überschwemmungsflächen durch die technische Regulierung von 30.000 Kilometer Fließgewässer in Österreich abgedämmt und haben dadurch ihre natürliche Hochwasserschutzfunktion verloren. Naturnahe Flusssysteme weisen ganz grundsätzlich eine stärkere Hochwasserschutzfunktion auf als regulierte und verbaute Flusssysteme. Auenwälder, Auenwiesen und andere freie Flächen sind so genannte Retentionsflächen, die einerseits im Bedarfsfall Überflutungsfläche für den Fluss bieten und andererseits überschüssiges Wasser wie einen Schwamm aufnehmen können. Darüber hinaus haben Schotterbänke, Auen und Flussinseln in naturnahen Flusssystemen eine bremsende Wirkung auf Hochwasserwellen. Zusätzlich wird durch einen ökologischen Hochwasserschutz einerseits die Selbstreinigungskraft der Flüsse, die auf diese Weise zu natürlichen Kläranlagen werden, gestärkt, und andererseits die Artenvielfalt bei Flora und Fauna bereichert.

 

Zukünftig wird Österreich verstärkt von Hochwasserereignissen bedroht. Das geht aus einem Zwischenbericht einer zur Zeit laufenden Studie zum Thema „Hochwasser und Klimawandel“ im Auftrag des WWF (World Wide Fund for Nature) hervor, die von ExpertInnen der BOKU Wien erstellt wird. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts muss man im Alpenraum mit einer Niederschlagszunahme in den Wintermonaten von etwa 15 bis 40 Prozent rechnen. Im Sommer ist zudem mit einer Zunahme der Niederschlagsintensität zu rechnen. Aber auch indirekte Effekte erhöhen das Hochwasserrisiko. Durch die Erwärmung wird in Zukunft ein deutlich geringerer Anteil am Gesamtniederschlag als Schnee fallen. Die Kombination – Anstieg der Schneefallgrenze und Niederschlagszunahme im Winter – erhöht zweifach das Hochwasserrisiko im Tiefland und im Alpenvorland in dieser Jahreszeit.

 

Den Flüssen mehr Platz zu verschaffen ist aber nicht nur für einen nachhaltigen Hochwasser- und Lebensraumschutz wichtig, sondern hat auch rechtliche Relevanz in bestehenden österreichischen und europäischen Gesetzgebungen. So wird explizit im österreichischen Wasserbautenförderungsgesetz verlangt, dass dort wo möglich passive Hochwasserschutzmaßnahmen, d.h. ökologischer Hochwasserschutz, jedenfalls den Maßnahmen des aktiven Hochwasserschutzes, d.h. technischen Maßnahmen, vorzuziehen sind. Darüber hinaus hat Österreich sich wie alle Mitgliedstaaten der EU mit Inkrafttreten der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) dazu verpflichtet, bis spätestens 2027 die Fließgewässer wieder in einen „guten Zustand“ zu bringen. Hierbei wird ausdrücklich auf die „Wiederherstellung“ bzw. „Förderung“ von beeinträchtigten Flussstrecken verwiesen. In einer Ist-Zustandsanalyse des BMLFUW wurde von Seiten Österreichs festgestellt, dass 56 Prozent der Fließgewässer in einem schlechten Zustand sind oder ein hohes Risiko aufweisen, keinen guten Zustand zu erreichen.

Bei Flussausbaumaßnahmen dürfen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Der Rückbau der Flüsse und die Schaffung neuer Überflutungsflächen sind daher ein Gebot der Stunde. Um allen Erfordernissen und Funktionen naturnaher Flüsse zu entsprechen fehlen laut einer WWF-Studie in Österreich Flusslandschaften in einer Größenordnung von 84.000 Hektar, 1 % der gesamten Bundesfläche.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.      Welche Mittelaufstockung für den Hochwasserschutz ist gem. der Bund-Länder-Vereinbarung für die Jahre 2006 bis 2016 konkret geplant? Bitte um genaue Auflistung, gesondert nach Bundesmitteln, Landesmitteln und Interessentenmitteln.

2.      Nach welchen Kriterien wurde die Aufstockung der Bundesmittel für den Hochwasserschutz kalkuliert?

3.      Auf welcher Grundlage wurde die veröffentlichte Aufstockung der Budgetmittel errechnet?

4.      Gab es bei der Budgetierung der Aufstockung eine Prioritätenreihung der für die Berechnung zu Grunde gelegten Projekte? Falls ja, bitte um taxative Auflistung der entsprechenden Projekte und der Prioritätenreihung. Fall nein, warum nicht?

5.      Gibt es einen konkreten Plan, für welche Hochwasserschutzprojekte die im Zeitraum 2007 – 2016 insgesamt veranschlagten Bundesmittel verwendet werden sollen? Falls ja, bitte um konkrete Darstellung des Plans und Auflistung der Projekte. Falls nein, warum nicht bzw. bis wann wird ein solcher Plan vorliegen?

6.      Welche Kompetenzen haben Sie bei der Prioritätensetzung von Schutzwasserbauprojekten?

7.      Werden die Mittel für Hochwasserschutzprojekte in den kommenden zehn Jahren vorwiegend für den ökologischen Hochwasserschutz (Schaffung von Retentionsflächen) eingesetzt?

8.      Gibt es konkrete Zahlen, zumindest Schätzungen über das Potential an Retentionsräumen in Österreich? Wie hoch sind diese? Bitte um genaue Angaben.

9.      Wie setzt sich die Speisung der budgetären Bereitstellung der Mittel für den Hochwasserschutz in den Jahren 2006 bis 2016 zusammen? Welche Anteile (bitte um Angabe der konkreten Zahlen) entfallen davon auf die einzelnen bundes- und landesspezifischen Finanzierungsquellen wie etwa Katastrophenfond oder Wasserwirtschaftsfond? Um taxative Auflistung der Finanzierungsquellen und Budgetmittel pro Jahr nach Gliederung in Bundes-, Landes- und Interessentenanteile wird ersucht.

10.    Wurden für die Speisung dieser Budgetmittel auch Mittel aus EU – Finanzierungsquellen eingerechnet, etwa aus Mitteln der „Strukturfonds“ oder der „Ländlichen Entwicklung“? Falls ja, wie hoch sind die Anteile dieser Mittel in konkreten Zahlen? Falls nein, warum nicht?

11.    Unter welchen EU-Förderrichtlinien können diese Mittel überhaupt für den Hochwasserschutz eingesetzt werden? Um taxative Auflistung der eingerechneten/geplanten Finanzierungsquellen und Budgetmittel pro Jahr nach Gliederung in Bundes-, Landes- und Interessentenmittel wird ersucht.

12.    Die gesamthafte Betrachtung, Behandlung und Bewirtschaftung von Gewässern ist eine Grundlage der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Als wesentliche Elemente einer flussbezogenen Gesamtbetrachtung können die Gewässerbetreuungskonzepte (GBK) gelten. Wie viele Gewässerbetreuungskonzepte in Österreich gibt es? Wie viele davon sind fertig gestellt, in Ausarbeitung bzw. in Planung? Bitte um genaue Auflistung.

13.    Wie hoch ist das Potential an Retentionsräumen, das sich aus den Ergebnissen der GBKs ergibt? Um Auflistung der Flächengrößen (in Hektar) pro GBK wird ersucht.

14.    Nach einer laufenden Studie der Universität für Bodenkultur im Auftrag des WWF weisen erste Ergebnisse ein erhöhtes Risiko für Hochwasserereignisse als Auswirkung des Klimawandels in gesamt Österreich aus. Auf welchen Grundlagen (Datenlage, Zeitpunkt der Festlegung) basieren die Gefahrenzonenpläne einerseits und die Berechnung der Hochwasseranschlagslinien (HQ 30, HQ 100) andererseits in Österreich?

15.    Wie regelmäßig werden diese Berechnungen aktualisiert? Für welche Flüsse ist eine Aktualisierung geplant oder wird durchgeführt? In welcher Kompetenz liegt die Festlegung dieser HQ Berechnungen sowie die Ausscheidung der Gefahrenzonenpläne?

16.    Wie aktuell ist daher das in Ausarbeitung befindliche Informationssystem HORA? Bitte um genaue Angaben.

17.    Werden in die Berechnung dieser HQ 30 bzw. HQ 100 Bereiche sowie die Gefahrenzonenplanung prognostische Modelle der sich, wie von der BOKU festgestellt, verschärfenden Hochwasserereignisse aufgrund des Klimawandels einbezogen? Welche Prognosemodelle kommen dabei zur Anwendung? Wann wird damit begonnen?

18.    Wie hoch sind die Schäden, die in den letzten Jahren durch Hochwasserereignisse in Österreich, vor allem durch die Hochwässer 2002, 2005 und 2006, entstanden sind? Bitte um Auflistung nach Hochwasserereignis.

19.    Gibt es eine Berechnung über die Schadenspotentiale, etwa für Bereiche des HQ 30 oder HQ 100? Gibt es Schadenspotentialschätzungen für die Landeshauptstädte in Österreich? Falls ja, wie hoch sind diese? Falls nein, warum nicht?

20.    Gibt es eine Effizienzberechnung (Gegenüberstellung Investitionsvolumen von Schutzwasserbauprojekten zu Schadenspotentialen) für die im Rahmen der Bund-Ländereinigung prioritären Schutzwasserbauprojekte? Falls ja, welche Zahlen wurden ermittelt, falls nein, nach welchen Kriterien werden dann Projekte des Hochwasserschutzes priorisiert?