4386/J XXII. GP

Eingelangt am 19.06.2006
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend fragwürdige Aussagen von Staatssekretär Kukacka zur geplanten Einstellung sowie Stillegung zahlreicher "Nebenbahn"-/Regionalbahnstrecken

 

 

Die ÖBB haben in den letzten Monaten ein neues Regionalbahnenkonzept ausgearbeitet („Strategische Ausrichtung RegioBahnen“). Dieses wird derzeit mit den Ländern – die künftig massiv dazuzahlen oder selbst betreiben sollen - verhandelt. Dieses Konzept geht auf eine Vereinbarung zwischen Verkehrsminister Gorbach, Finanzminister Grasser und ÖBB-Holding-Chef Huber zurück, wonach im Bereich der Neben- und Regionalstrecken (B- und C-Netz) 20 Mio Euro einzusparen sind. Zitat dazu aus dem Konzept: „Seitens des Eigentümers wird die Erstellung eines Konzeptes für eine Nebenbahnreform gefordert, das insbesondere (...) auf eine verstärkte regionale Verantwortung abzielt. Weiters soll in diesem Konzept (...) ein Einsparungspotential von 20 Mio Euro (...) enthalten sein.“

 

„Zufällig“ handelt es sich bei diesen 20 Mio Euro um die Summe, die seit der ÖBB-Reform und der unnötigen, nur zum Zweck der Vermehrung ÖVP- und FPÖ/BZÖ-nah besetzbarer Vorstandsposten vollzogenen Trennung von ÖBB Infrastruktur Bau und ÖBB Infrastruktur Betrieb in zwei Aktiengesellschaften bei der Infrastruktur Betrieb AG für die Erhaltung des Schienennetzes fehlt. Kurz gesagt sollen nun also Regionalstrecken stillgelegt bzw. eingestellt werden, um dieses teure Folgeproblem der ÖBB-Reform auf Umwegen zu „lösen“, auf Kosten der Fahrgäste und Güterverkehrskunden der ÖBB.

 

Dieses Konzept sieht konkret vor:

·              die endgültige Stillegung von 19 seitens der ÖBB in den letzten Jahren gesetzwidrig trotz Entgegennahme entsprechender öffentlicher Mittel nicht in befahrbarem Zustand gehaltenen Strecken,

·              den „Rückzug“ (d.h. in vielen Fällen die „vorläufige Einstellung“) von 16 weiteren Strecken,

·              den kurz- oder mittelfristigen Rückzug vom Personen- oder Güterverkehr auf 12 weiteren „zur Disposition stehenden“ Strecken,

·              den kurz- oder mittelfristigen Rückzug vom Personenverkehr bei gleichzeitiger Stärkung des Güterverkehrs auf 16 weiteren Strecken,

·              den kurz- oder mittelfristigen Rückzug vom Güterverkehr bei gleichzeitiger Stärkung des Personenverkehrs auf 9 weiteren Strecken.

 

Es handelt sich um das größte Einstellungsprogramm für Schienenstrecken seit vielen Jahren. Dies in einer Zeit, in der wegen hoher und absehbar weiter steigender Treibstoffpreise die Mobilitätskosten der Bevölkerung gerade in den Regionen abseits der Hauptrouten massiv anwachsen und zugleich der LKW-Verkehr ungebremst anschwillt und daher leistbare, leistungsfähige und stauunabhängige Zugsangebote einerseits und ökologisch vertretbare Alternativen im Güterverkehr andererseits dringender denn je erforderlich sind.

 

Ungeachtet der klaren Faktenlage zu diesem Einstellungsprogramm sprach der inhaltlich offenbar federführende Staatssekretär Kukacka wiederholt und besonders deutlich am 7.6.2006 von einer (Zitat) „angeblichen“ Schließung von Nebenbahnen. Zitat (APA-OTS231): „Kukacka hält ausdrücklich fest, dass es bei dem neuen Regionalbahnen-Konzept keineswegs darum geht, Nebenbahnen stillzulegen (...).“

Neben diesen nicht nachvollziehbaren Verschleierungsversuchen sind noch andere Angaben Kukackas zu diesem Thema mehr als fragwürdig. So versuchte Kukacka, die Stillegungs- und Einstellungsabsichten mit Kostendeckungsbeiträgen von 5 bis 10% bei „den meisten“ Nebenbahnen zu rechtfertigen. Daß die Kostendeckungsbeiträge bei zahlreichen Großprojekten im Infrastrukturbereich (vom Koralmtunnel bis zum Brennerbasistunnel) und natürlich im Großteil des Straßennetzes ebenso gering oder noch geringer sind, wird dabei „zufällig“ verschwiegen.

 

Schließlich wird in der erwähnten APA-Aussendung des Staatssekretärs vom 7.6.2006 auch noch argumentiert, dass jährlich 500.000 Euro für die Erhaltung von bereits seit einigen Jahren eingestellten Eisenbahnstrecken aufgewendet würden und dass diese Mittel anderweitig verwendet werden sollten. Wegen 500.000 Euro pro Jahr (!) sollen also derzeit nicht bediente Schienenstrecken endgültig stillgelegt (sprich: unwiderruflich zerstört) werden, die für flächendeckende Versorgung mit leistungsfähigem Öffentlichen Verkehr und umweltverträglichem Gütertransport großteils revitalisierbar oder gar sehr entwicklungsfähig wären. Damit diese Revitalisierung zB auch durch andere Betreiber als die ÖBB möglich ist, müssen diese Strecken, auf denen von den ÖBB aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen der Betrieb eingestellt wurde, bisher auch von Gesetz wegen für die Allgemeinheit erhalten werden, was eben diese eigentlich lächerlich kleine Summe erfordert.
Die Kritik an dieser Ausgabe ist umso unverständlicher, vergleicht man diese mit anderen „Investitionen“ im Schienenbereich:

·              etwa mit den im Schnitt etwa 18 Mio Euro pro Jahr - also das 36-fache der bei den Neben- und Regionalbahnen bekrittelten Summe -, die seit Amtsübernahme von Schwarzblau in Beraterhonorare für diverse mehr oder weniger regierungsnahe Beratungsunternehmen geflossen sind, noch mehr waren es rund um die ÖBB-Reform. Da wird also nicht so genau gerechnet.

·              Auch der Golden Handshake für ÖBB-Chef Rüdiger vorm Walde hat mit 1,2 Mio Euro gleich einmal das zweieinhalbfache dieser Summe gekostet, ohne Gegenleistung (wenn man von der dadurch ermöglichten Installierung eines ÖVP und BZÖ gewogenen Managements an der ÖBB-Spitze absieht, das ebenfalls bei weitem nicht gratis arbeitet).

·              Und beim Brennerbasistunnel, der nach der Realisierung ein ewiger Verlustbringer für den Betreiber (ÖBB?) wäre, soll allein der Probestollen das ca. 1.000-fache dieser Summe verschlingen, der Bau insgesamt das etwa 15.000- bis 30.000-fache - soviel zum gebetsmühlenartig strapazierten betriebswirtschaftlichen Denken.

 

Bei Regionalbahnen herumzuknausern, zugleich aber für Politfreunde, Manager und Baukonzerne das Geld mit beiden Händen auszugeben, mag das Motto von Kukacka, Gorbach & Co sein, geht aber im Gegensatz zur betonten Einsparungsrhetorik massiv zulasten der Bahnkunden und SteuerzahlerInnen.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.      Ist es zutreffend, dass dem neuen Regionalbahnenkonzept der ÖBB der Auftrag des Eigentümers zugrunde liegt, 20 Mio Euro einzusparen?

 

2.      Ist es zutreffend, dass das Regionalbahnenkonzept die endgültige Stillegung von 19 seitens der ÖBB in den letzten Jahren gesetzwidrig trotz Entgegennahme entsprechender öffentlicher Mittel nicht in befahrbarem Zustand gehaltenen Strecken vorsieht, und welche sind dies?

 

3.      Ist es zutreffend, daß das Regionalbahnenkonzept den „Rückzug“ der ÖBB (d.h. in vielen Fällen die „vorläufige Einstellung“) von 16 weiteren Strecken vorsieht, und welche sind dies?

 

4.      Ist es zutreffend, daß das Regionalbahnenkonzept den kurz- oder mittelfristigen Rückzug der ÖBB vom Personen- oder Güterverkehr auf 12 weiteren „zur Disposition stehenden“ Strecken vorsieht, und welche sind dies?

 

5.      Ist es zutreffend, daß das Regionalbahnenkonzept den kurz- oder mittelfristigen Rückzug der ÖBB vom Personenverkehr bei gleichzeitiger Stärkung des Güterverkehrs auf 16 weiteren Strecken vorsieht, und welche sind dies?

 

6.      Ist es zutreffend, daß das Regionalbahnenkonzept den kurz- oder mittelfristigen Rückzug der ÖBB vom Güterverkehr bei gleichzeitiger Stärkung des Personenverkehrs auf 9 weiteren Strecken vorsieht, und welche sind dies?

 

7.      Offensichtlich (vgl. APA-OTS231 vom 7.6.2006) liegen Ihnen bzw. Ihrem Staatssekretär die Kostendeckungsbeiträge auf den einzelnen Strecken des B- und C-Netzes und damit auch auf den in Frage 2 bis 6 angesprochenen Strecken vor. Wie hoch sind diese Kostendeckungsbeiträge bei den einzelnen in Frage 2 bis 6 angesprochenen Strecken?

 

8.      Ist Ihnen bekannt, dass der (betriebswirtschaftliche) Kostendeckungsbeitrag von zahlreichen Großprojekten der Bahninfrastruktur ähnlich niedrig wie derjenige von manchen Regionalbahnen ist, und warum entscheiden Sie bzw. Ihr Staatssekretär sich dennoch für Rückzug der Bahn aus den Regionen und nicht zB für den Rückzug aus dem einen oder anderen nur für einzelne Baukonzerne und Großbanken profitablen Großprojekt?

 

9.      Ist Ihnen bekannt, daß der (betriebswirtschaftliche) Kostendeckungsbeitrag von zahlreichen Straßenstrecken ähnlich niedrig wie derjenige von manchen Regionalbahnen ist, und warum entscheiden Sie bzw. Ihr Staatssekretär sich dennoch für Rückzug der Bahn aus den Regionen und nicht zB für entsprechende Einsparungen durch eine Eindämmung des Straßenbaus, der ja nach wie vor in vielfältiger Weise zB über den Finanzausgleich aus Bundesgeldern kofinanziert wird?

 

10.    Wie erklären Sie angesichts der offenkundig anders gearteten Faktenlage die Aussage Ihres Staatssekretärs in APA-OTS231/7.6.2006, wonach es im Zusammenhang mit dem Regionalbahnkonzept nur um eine „angebliche“ Schließung von Nebenbahnen gehe?

 

11.    Wie erklären Sie angesichts der offenkundig anders gearteten Faktenlage die Aussage Ihres Staatssekretärs in APA-OTS231/7.6.2006 „Kukacka hält ausdrücklich fest, dass es bei dem neuen Regionalbahnen-Konzept keineswegs darum geht, Nebenbahnen stillzulegen“?

 

12.     Ist Ihnen bekannt, dass bei Ersatz von Regionalstrecken durch Busverkehre üblicherweise die Fahrgastzahl sofort deutlich und unumkehrbar sinkt, die Einstellung von Regionalbahnen somit zu Mehrbelastungen für Umwelt und Haushalte durch mehr Individualverkehr führen?

 

13.    Wie bringen Sie den in Frage 12 angesprochenen Sachverhalt mit der vom Rechnungshof anlässlich der Evaluierung des Nah- und Regionalverkehrsgesetzes an Sie gerichteten „Empfehlung“, verkehrspolitische Lenkungsmaßnahmen zugunsten des ÖPNRV zu ergreifen, in Einklang?

 

14.     Warum wollen Sie bzw. Ihr Staatssekretär die durch Ihre ÖBB-Reform entstandene Finanzlücke bei der Schienennetzerhaltung durch die ÖBB Infrastruktur Betrieb AG im Wege einer Kostensenkung durch Stillegung/Einstellung zahlreicher Neben- und Regionalstrecken reparieren?

 

15.    Wie erklären Sie das hohe Gewicht, das Staatssekretär Kukacka den (gesetzeskonform) jährlich aufzuwendenden 500.000 Euro für die Erhaltung von bereits seit einigen Jahren eingestellten, aber vielfach revitalisierungsfähigen Eisenbahnstrecken zumisst, wo doch zugleich für Beraterhonorare im Zusammenhang mit den ÖBB pro Jahr im Durchschnitt das 36-fache, für den Golden Handshake von Ex-ÖBB-GD vorm Walde das zweieinhalbfache, für die zusätzlichen Managementausgaben nach der ÖBB-Reform ein Mehrfaches und allein für den Probestollen des künftigen Verlustbringers Brennerbasistunnel das ca. 1.000-fache dieser Summe ausgegeben wird?