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Zl. ZS-R/P-43.00/04 Gm/Er |
HAUPTVERBAND DER ÖSTERREICHISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER
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TELEFAX 711 32 3775
Wien, 3. September 2004
An das
Bundesministerium für Justiz per
e-mail
Museumstraße 7
1070 Wien
und an das
Präsidium des Nationalrates per
e-mail
(sowie 25 Ausfertigungen in Papierform)
Betr.: Entwurf zu einem Verbands-
verantwortlichkeitsgesetz (VbVG)
Bezug: Schreiben des BMJ vom 14. Juni 2004, GZ: 318.017/0001-II.2/2004
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger nimmt wie folgt Stellung:
Im Rahmen des Entwurfs wird vorgeschlagen, die Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) gänzlich (also auch in Bezug auf privatwirtschaftliches Handeln), andere öffentlich-rechtliche Körperschaften (wie etwa die Sozialversicherungsträger) jedoch nur im Bereich der Hoheitsverwaltung vom Anwendungsbereich des VbVG auszunehmen.
Dies entspricht nicht den europarechtlichen Vorgaben.
Das in den Erläuternden Bemerkungen zitierte 2. Protokoll des Rates über das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EU (ABl. Nr. C 221/11 vom 19. 7. 1997) definiert als juristische Person „jedes Rechtssubjekt, das diesen Status nach dem jeweils geltenden innerstaatlichen Recht besitzt, mit Ausnahme von Staaten oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte".
Aus dem erläuternden Bericht (ABl. Nr. C 91/8 vom 31. 3. 1999) geht aber hervor, dass diese Ausnahme „Staaten oder andere mit der Wahrnehmung staatlicher Befugnisse befasste öffentliche Einrichtungen" betrifft.
Staaten oder andere mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Einrichtungen gelten somit generell nicht als juristische Personen im Sinne des 2. Protokolls.
Die europarechtlichen Vorgaben erfordern somit nicht die im VbVG bei sonstigen Körperschaften öffentlichen Rechts vorgeschlagene Differenzierung zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung.
Überdies wäre es aus unserer Sicht nicht nur wünschenswert, sondern im Lichte des Gleichheitssatzes vielmehr geboten, die allgemeine Ausnahme im gleichen Maße für alle Körperschaften öffentlichen Rechts vorzusehen.
Denn tatsächlich besteht im Rahmen des privatwirtschaftlichen Handelns kein manifester Unterschied zwischen Gebietskörperschaften einerseits und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts andererseits. Es gelten auch die selben Bindungen und Kontrollmechanismen. Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel der Gemeinden, die - ebenso wie Sozialversicherungsträger - Selbstverwaltungskörper unter staatlicher Aufsicht sind.
Auch der Unrechtsgehalt eines der juristischen Person zurechenbaren strafrechtlich relevanten Verhaltens im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung wäre bei einer Gebietskörperschaft nicht anders zu bemessen, als bei einer sonstigen Körperschaft öffentlichen Rechts. Unterschiedliche strafrechtliche Konsequenzen sind daher sachlich nicht gerechtfertigt.
Die in den Erläuternden Bemerkungen
aufscheinende Rechtfertigung für die Differenzierung, dass sich andernfalls der
Staat selbst bestrafen würde, trifft gerade auf die Sozialversicherungsträger
aufgrund der Herkunft ihrer Dienstgeberbeiträge ebenso zu. Diese Rechtfertigung
kann aber im Hinblick auf das Grundprinzip der Gewaltentrennung und der daraus
resultierenden Unabhängigkeit der Gerichte nicht
überzeugen. Zivilrechtlich können Gebietskörperschaften - in gleicher Weise wie
andere Körperschaften öffentlichen Rechts - schließlich auch
schadenersatzpflichtig werden und unterliegen in diesem Zusammenhang den
Urteilen der Zivilgerichte.
Im Interesse einer gleichheitskonformen Lösung sollten somit nicht nur die Gebietskörperschaften, sondern auch sonstige Körperschaften öffentlichen Rechts und damit auch die Sozialversicherungsträger generell vom Anwendungsbereich des VbVG ausgenommen werden.
Diese Lösung würde auch den europarechtlichen Rahmenbedingungen entsprechen und könnte überdies die in der Praxis aufwendige Abgrenzung zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung vermeiden.
Die Bezeichnung „Verbände" ist für die genannten Organisationen nicht optimal, zumal sie im Zusammenhang mit dem Instrument der Verbandsklage einen gänzlich anderen Hintergrund hat - man denke etwa an die Klagslegitimation der Arbeiterkammer oder des Verbandes für Konsumenteninformation.
Die Satzgliederung lässt mehrere Interpretationen zu, für welche der aufgezählten Organisationen die Einschränkungen „soweit sie in Vollziehung der Gesetze handeln" und „soweit sie nicht unternehmerisch tätig sind" gelten. Die vom Gesetzgeber gewünschte Interpretation ist nur aus den Erläuternden Bemerkungen ersichtlich. Eine exakte Aufschlüsselung der Ausnahmen im Gesetzestext würde sich jedenfalls empfehlen.
Zudem sollen die
in zwischenstaatlichen Rechtsakten verwendeten Worte „in Ausübung
hoheitlicher Rechte" durch den in der österreichischen Rechtssprache
üblichen Begriff „in Vollziehung der Gesetze" ersetzt werden.
Die Begriffe
sind jedoch nicht vollständig inhaltlich kongruent.
So handelt es
sich etwa bei der Beschaffung diverser Gesundheitsleistungen im Rahmen des gesetzlich
vorgesehenen Sachleistungsprinzips nicht um eine Tätigkeit „in Ausübung
hoheitlicher Rechte", sehr wohl hingegen jedoch durchaus um die
Vollziehung gesetzlich übertragener Aufgaben.
Eine
diesbezügliche Klarstellung zumindest im Rahmen der Erläuternden Bemerkungen
erschiene uns geboten.
Im Übrigen wird auf unsere Ausführungen unter Allgemeines verwiesen.
Die Vertretung nach außen impliziert keine leitende Funktion im Unternehmen; sie ist streng von der Geschäftsführungsbefugnis zu trennen. Jemand der zur Vertretung nach außen berechtigt ist, muss nicht zwangläufig Befugnis zur Geschäftsführung (= Willensbildung im Innenverhältnis) haben.
Leitende Funktion im Sinn von Entscheidungsbefugnis kann im Wege der Delegation auch Mitarbeitern der untersten Hierarchieebenen eingeräumt werden. Soll wirklich jeder, der irgendetwas entscheiden darf, „Entscheidungsträger" sein?
Es ist zudem nicht klar erkennbar, ob die Umschreibung der leitenden Funktion im 2. Satz eine taxative oder demonstrative Aufzählung ist.
Die
Erläuterungen zu § 3 VbVG sehen vor, dass nicht nur die vollendete Tat,
sondern auch der Versuch (§ 15 StGB) sowie die Bestimmungs- bzw.
Beitragstäterschaft (§ 12 StGB) bestraft werden soll.
Es wäre zu
überlegen, diesen Grundsatz zum Zwecke der Rechtsklarheit auch in § 3 VbVG
zu verankern.
Die Formulierung
„für diesen und nicht zu dessen Nachteil" ist äußerst unklar und
wird auch im Blickwinkel der Erläuterungen nicht verständlicher.
Offen bleibt
auch, aus wessen Blickwinkel dies zu beurteilen ist (des Geschädigten, des
Entscheidungsträgers, des Verbandes?). Dieser Blickwinkel ist auch für die Frage
einer allfälligen Haftung der Entscheidungsträger und Mitarbeiter für die
Geldbuße dem Verband gegenüber von Interesse.
Der letzte Satz
des Abs. 2 ist unverständlich („Der Verband kann ... nur verantwortlich
gemacht werden ...“) – das Delikt im Sinn des StGB, bei dem Vorsatz oder
Fahrlässigkeit des Täters eine Rolle spielen, kann er aber nach der Systematik
des Entwurfes nicht begehen.
Bei der
Verantwortlichkeit unterscheiden auch weder die allgemeinen Voraussetzungen
noch die Bußgeldbemessung nach Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Sollte gemeint
sein, dass ein Verband für ein Vorsatzdelikt nur verantwortlich gemacht werden
kann, wenn dem Mitarbeiter der Vorsatz nachgewiesen werden kann, relativiert
sich die Aussage laut Erläuterungen, dass es auf das Verschulden des
Mitarbeiters nicht ankommt und er namentlich gar nicht bekannt sein muss.
Läuft dies
darauf hinaus, dass in Fällen, in denen die fahrlässige Begehung durch den
Mitarbeiter gar nicht strafbar wäre, dennoch der Verband strafrechtlich
verantwortlich sein soll? Kann also auch die zufällige Verwirklichung des
Tatbildes zur Verantwortlichkeit führen? Oder läge dann ein
Entschuldigungsgrund für den Verband vor (vgl. die Erläuterungen auf Seite 22,
Mitte)?
Für den
(zumindest nicht auszuschließenden) Fall eines ärztlichen Kunstfehlers in einer
(Sonder-)krankenanstalt schließt § 3 Abs. 2 und 3 in der Fassung des
vorliegenden Entwurfes nicht mit ausreichender Sicherheit aus, dass –
zusätzlich zur potenziellen strafrechtlichen Haftung des betroffenen Arztes und
zur zivilrechtlichen Haftung des Betreibers der (Sonder-)krankenanstalt – die
(Sonder-)krankenanstalt bzw. der Halter dieser Krankenanstalt auch noch nach
den Bestimmungen des VbVG haftet.
Entgegen
den diesbezüglichen ausführlichen Erläuterungen zu § 3 erscheint hinsichtlich
potenzieller im Rahmen eines Verbandes begangener Fahrlässigkeitsdelikte das
problematische Ergebnis einer faktischen Doppelbestrafung nicht ausgeschlossen.
Überhaupt kann
von uns mangels praktischer Erfahrungen nicht abgeschätzt werden, ob § 3 Abs. 2
idF. des Entwurfes hinsichtlich allfälliger im Rahmen eines Verbandes
begangener Fahrlässigkeitsdelikte praktikable Grenzziehungen bzw.
Verantwortlichkeitskriterien normiert (z. B. unter welchen Voraussetzungen
wird ein Transportunternehmen verantwortlich, wenn einer seiner Kfz-Lenker
infolge überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verschuldet, bei dem Personen
verletzt werden?).
Vgl. die Ausführungen zu § 3 Abs. 2.
In § 4
Abs. 4 VbVG wird das Höchstmaß der Ertragsäquivalente festgelegt
(„... bis zu ...“). Ein Mindestmaß der Anzahl der Ertragsäquivalente
fehlt jedoch.
Es bleibt zu
überlegen, ob z. B. bei Delikten, deren Strafausmaß fünf Jahre übersteigt
(Zuständigkeit eines Schöffensenates), auf Grund des höheren Unrechtsgehaltes
nicht eine solche Mindestgrenze festgelegt werden sollte.
Wie wird der
Umsatz einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft bestimmt?
Zählen nur nicht-hoheitlich erzielte Umsätze?
In diesem
Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Sozialversicherungsträger eigene
Rechnungsvorschriften anzuwenden haben, die nicht mit den üblichen „Umsätzen“
vergleichbar sind. Die „Erträge“ eines Sozialversicherungsträgers werden
naturgemäß gering sein sein.
Diese Bestimmung wirft eine Reihe von Fragen auf:
- Soll eine solche Weisung einen sonst üblichen Zuspruch von Schadenersatz durch das Strafgericht oder das Zivilgericht ersetzen?
- Ist die Weisung ein Exekutionstitel?
- Was passiert, wenn die Höhe des Schadens strittig ist?
Da im Falle der
Rechtsnachfolge auch gegen den „neuen“ Verband vorgegangen werden darf, sollten
gerichtliche Entscheidungen unbedingt (wie unter Punkt F Z 4 des
Allgemeinen Teiles der Erläuterungen zum VbVG angedacht), entweder im
Firmenbuch oder im Strafregister ersichtlich gemacht werden.
Der Erwerber
soll die Möglichkeit haben, sich vollständig über mögliche Verurteilungen des
Verbandes zu informieren.
Es ist unklar, wodurch die „Tatsachen“ bestimmt werden.
Die Bestimmung lässt vermuten, dass an irgendein Mitglied des Vorstandes zugestellt werden könnte.
Gerade bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften erscheint diesbezüglich eine Abstimmung der Regelung mit den gesetzlichen Organisationsvorschriften ratsam.
Es ist fraglich, ob sich der „Beschuldigte" sinnvoll verteidigen kann, wenn er nicht von der Amtsverschwiegenheit entbunden wird.
Mit freundlichen Grüßen
Für die Geschäftsführung: