Bundesministerium für Justiz

 

Museumstraße 7

 

1070 Wien

 

 

 

 

 

GZ: 91870/11-I/B/6/04

Wien, am 9.9.2004

 

 

 

Betreff: Entwurf eines Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes;

             Begutachtung

             (do. GZ 318.017/0001-II.2/2004)

 

 

Zu dem im Betreff genannten Gesetzesentwurf erlaubt sich das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen folgende Stellungnahme abzugeben:

 

Das geplante Verbandsverantwortlichkeitsgesetz regelt die strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen (hier als „Verbände“ bezeichnet), welche gemeinschaftsrechtlich geboten ist, sodass kein grundsätzlicher Einwand zu diesem Gesetzesvorhaben erhoben werden kann.

 

Ausgenommen von der Geltung des Gesetzes sind nach § 1 Abs. 3 des Entwurfes der Bund, die Länder und die Gemeinden, weiters andere Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit diese „in Vollziehung der Gesetze handeln“, ausländische Staaten und internationale Organisationen sowie anerkannte Kirchen und religiöse Bekenntnisgemeinschaften, soweit sie nicht unternehmerisch tätig.

 

Zu diesem Anwendungsbereich gemäß § 1 wird aus Sicht des ho. Wirkungsbereichs Folgendes festgehalten:

 

1. Sozialversicherungsträger

 

Das bedeutet, dass das neue Verbandsverantwortlichkeitsgesetz auf die Sozialversicherungsträger Anwendung findet, soweit diese nicht in Vollziehung der Gesetze handeln.

 

Gebietskörperschaften hingegen sollen gänzlich - dh auch hinsichtlich ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit - von der Verbandsverantwortlichkeit ausgenommen sein.

 

Aus Sicht des ho. Ressorts ist kein sachlich gerechtfertigter Grund ersichtlich, dass hinsichtlich der strafrechtlichen Konsequenzen von privatwirtschaftlichem Handeln öffentlich-rechtlicher Körperschaften zwischen den Gebietskörperschaften und den Sozialversicherungsträgern unterschieden wird. Diese Differenzierung erscheint daher gleichheitswidrig.

 

Diese Bedenken gelten umso mehr, als die – gänzlich von der Verbandsverantwortlichkeit ausgenommenen – Gemeinden ebenfalls Selbstverwaltungskörper sind. Die Sozialversicherungsträger sind wie die Gemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts und unterliegen der staatlichen Aufsicht; beide handeln sowohl hoheitlich als auch privatwirtschaftlich.

 

Auch die Definition des Anwendungsbereichs als solche wirft Unklarheiten auf: Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Sozialversicherungsträger etwa bei der Beschaffung diverser Gesundheitsdienstleistungen im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Sachleistungsprinzips nun „in Vollziehung der Gesetze“ im Sinne des Entwurfs handeln; die genannten Aufgaben sind nach herkömmlichem Verständnis jedenfalls keine hoheitlichen, sondern privatwirtschaftliche, erfolgen

aber „in Vollziehung der Gesetze“ (Versorgungsauftrag der österreichischen Sozialversicherung).

 

Die Einbeziehung der Sozialversicherungsträger in den Anwendungsbereich des geplanten Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes erscheint aus Sicht des ho. Ressorts aus den genannten Gründen problematisch. Das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen geht diesbezüglich von einer weiteren Kontaktnahme vor Erstellung der Regierungsvorlage aus.

 

2. Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit

 

Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (im Folgenden als Agentur bezeichnet) gilt nach § 19 Abs. 5 des Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetzes, BGBl. I Nr. 63/2002, als Körperschaft öffentlichen Rechts und fällt daher unter diese Ausnahme – soweit sie in Vollziehung der Gesetze handelt. Dass die Agentur auch unter den oben zitierten Ausnahmetatbestand fällt, wenn sie unternehmerisch tätig wird und mit Privaten in Konkurrenz tritt (§ 8 Abs. 7 Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz), ist dagegen wohl zu verneinen. Aus dem Wortlaut des Entwurfs und den Erläuterungen ist vielmehr abzuleiten, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Agentur nicht ausgeschlossen werden kann.

 

Zu §§ 4 ff (Verbandsgeldbuße):

 

Der Gesetzentwurf trifft nicht nur jene Fälle, in denen leitende Funktionäre selbst auch strafrechtlich verantwortlich sein können, sondern ausdrücklich auch jene Fälle des „systematischen“ Organisationsverschuldens, in denen kein/e Mitarbeiter/in unmittelbar zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Strafe (Verbandsgeldbuße) soll die juristische Person fühlbar treffen, aber nicht ihre Existenz in Frage stellen. Die Strafbemessung erfolgt nach dem Jahresumsatz.

 

Im Zusammenhang mit der Verbandsgeldbuße, welche in Ertragsäquivalenten bemessen wird, stellt sich die Frage, wie der Umsatz einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und konkret jener der Sozialversicherungsträger bestimmt wird.

 

Dies gilt umso mehr, als die Sozialversicherungsträger auf Grund ihres spezifischen gesetzlichen Auftrags eigenen Rechnungslegungsvorschriften unterliegen und die Begriffsverwendungen nicht mit jenen im privatrechtlichen Bilanzrecht ident sind.

 

Im Fall der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, deren Einnahmen auch im unternehmerischen Bereich weitestgehend durch – oftmals lediglich kostendeckende - Tarife geregelt wird, erscheint eine Bemessung des Verbandsbußgeldes nach dem Jahresumsatz zumindest untunlich. Setzt man den Umsatz nämlich mit dem Gesamtbudgetrahmen der Agentur gleich, erschiene dies im Vergleich zu industriellen Unternehmen unangemessen und gleichheitswidrig. Dies ohne weitere Kriterien der richterlichen Entscheidung zu überlassen, erscheint bedenklich und wäre wohl abzulehnen.

 

Zu den Erläuterungen, Allgemeiner Teil, F. Flankierende Maßnahmen in anderen Bundesgesetzen im Hinblick auf § 69 LMG Folgendes bemerkt:

 

Gemäß § 69 Abs. 1 LMG 1975 haftet der/die Betriebsinhaber/in für die Geldstrafen, Kosten der Urteilsveröffentlichung, und als Bereicherung abgeschöpfte Geldbeträge (§ 20 StGB), zu deren Zahlung ein/e Arbeitnehmer/in oder Beauftragte/r seines/ihres Betriebes wegen einer nach den §§ 56 bis 64 leg.cit. mit Strafe bedrohten Handlung verurteilt worden ist, es sei denn, dass der Verurteilte die strafbare Handlung nicht im Rahmen der dienstlichen Obliegenheiten des Betriebes begangen hat.

 

Gemäß § 69 Abs. 3 leg.cit. ist die Haftung in Anspruch zu nehmen, wenn die Geldstrafe, die Kosten oder die Geldbeträge aus dem beweglichen Vermögen des Verurteilten nicht eingebracht werden können.

 

Wie in den Erläuterungen zum vorliegenden Entwurf ausgeführt ist, spricht gegen die Aufhebung, dass das bestehende Instrumentarium, insbesondere die Haftung für Geldstrafen, einfach handhabbar und daher insbesondere für den unteren Deliktsbereich unverzichtbar ist, umso mehr, als eine Verfolgung von Verbänden im bezirksgerichtlichen Verfahren eine seltene Ausnahme sein wird. Weiters spricht gegen eine gänzliche Aufhebung des § 69 LMG 1975, dass durch das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz Einzelunternehmer nicht erfasst werden.

 

Dem ho. Ressort ist nicht ersichtlich, weshalb die genannten Bestimmungen sich überhaupt widersprechen bzw. einander ausschließen. Im LMG 1975 wird lediglich ausgesprochen, dass im Fall der Verurteilung eines/einer Arbeitnehmers/-in der/die Betriebsinhaber/in für die Geldstrafe etc. haftet. Würde gemäß dem neuen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz die juristische Person herangezogen werden, käme in der Folge § 69 LMG 1975 gar nicht zur Anwendung.

 

Aus diesem Grund wird seitens des ho. Ressorts keine Veranlassung gesehen, § 69 LMG 1975 aufzuheben.

 

 

Für die Bundesministerin:

AIGNER

 

 

Für die Richtigkeit

der Ausfertigung:



Präsidium des Nationalrats

 

     

 

Parlament

 

1010 Wien

 

 

 

 

 

 

GZ: 91980/10-I/B/6/04

Wien, am 9.9.2004

 

 

 

 

 

Betreff: Entwurf eines Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes;

             Begutachtung

 

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

 

Das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen übermittelt die ho. Stellungnahme zu dem im Betreff genannten Entwurf in elektronischer Form sowie in 25-facher Ausführung zur gefälligen Kenntnisnahme.

 

 

Beilagen

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Für die Bundesministerin:

AIGNER

 

 

Für die Richtigkeit

der Ausfertigung: