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                   Rp 764/04/CN/Va                   4298                   3.09.2004

                                       Dr. Christoph Nauer

 

 

 

BG über die Verantwortlichkeit von Verbänden für mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlungen (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz-VbVG), Stellungnahme

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Die WKÖ nimmt zu oa Gesetzesentwurf wie folgt Stellung:

 

Grundsätzliche Bemerkungen:

Es wird akzeptiert, dass internationale bzw europarechtliche Entwicklungen gesetzliche Maßnahmen erfordern, um juristische Personen für Straftaten ihrer Führungskräfte bzw Mitarbeiter verantwortlich zu machen; darin liegt auch die Rechtfertigung des gegenständlichen Gesetzesentwurfs. Aus unserer Sicht besteht darüber hinaus kein kriminalpolitisches Bedürfnis, Verbände für Straftaten ihrer Führungskräfte bzw Mitarbeiter zu sanktionieren. Bei der Umsetzung dürfen daher die internationalen bzw europarechtlichen Vorgaben nicht überschritten werden. Ohne Nachweis einer kriminalpolitischen Notwendigkeit, sollte das bewährte österreichische Sanktions- und Präventionssystem nicht zerstört werden. Wenn es tatsächlich politisch notwendig ist, die Verbandsverantwortlichkeit auf sämtliche Straftatbestände – ähnlich dem deutschen OrdnungswidrigkeitenG – auszudehnen, muss dies zwar akzeptiert werden; in diesem Fall wäre aber auch das enge Zurechnungsmodell des dt OrdnungswidrigkeitenG zu übernehmen.

 

Aus diesem Blickwinkel sind daher zunächst sämtliche Bestimmungen des Gesetzesentwurfs zu überprüfen, ob über die europarechtlichen Vorgaben hinausgegangen wird und wenn ja, ob dafür eine sachliche Rechtfertigung besteht. Daraus ergeben sich kurz zusammengefasst nachstehende Kritikpunkte:

 

-          Die Verbandsverantwortlichkeit sollte auf Deliktsbereiche eingeschränkt werden, für die europarechtliche bzw internationale Vorgaben bestehen. Ein Großteil der grundsätzlichen und technischen Probleme des Entwurfs ergeben sich im Zusammenhang mit Delikten (insbesondere fahrlässigen Körperverletzungsdelikten), bei denen eine europarechtliche Verpflichtung für eine Verbandssanktionierung gerade nicht besteht.

-          Die Einbeziehung von Personengesellschaften in das VerbandsverantwortlichkeitsG sollte überdacht werden; insbesondere bei der unmittelbaren Deliktsverwirklichung durch Entscheidungsträger kommt es aufgrund der Selbstorganschaft typischerweise zu einer „Doppelbestrafung“.

-          Der Begriff des Entscheidungsträgers ist enger zu fassen und durch Verweis auf den leitenden Angestellten des § 309 Abs 2 StGB zu definieren; mehr fordert das 2. Protokoll[1] nicht.

-          Der Zurechnungskreis für die Verbandsverantwortlichkeit ist enger zu ziehen: Der Verbandsbezug muss sich daraus ergeben, dass ein Vorteil für den Verband erzielt oder angestrebt wurde oder dass durch die Tatbegehung besondere Verbandspflichten verletzt wurden; nach dem 2. Protokoll wären nur Taten „zu Gunsten“ der juristischen Person zu sanktionieren.

 

Weitere Kritikpunkte des Entwurfs (ohne direkten Bezug zu den europarechtlichen Vorgaben):

 

-          Privatwirtschaftliches Handeln von Gebietskörperschaften darf nicht generell von der Verbandsverantwortlichkeit ausgenommen werden; die berufliche und die territoriale Selbstverwaltung darf nicht unterschiedlich behandelt werden.

-          Das Problem „Doppelbestrafung“ kann nicht allein über die Strafbemessung (Milderungsgrund) gelöst werden: Von einer Verfolgung des Verbandes ist abzusehen, wenn die Verfolgung des Individualtäters – aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen – ausreicht.

-          Das Sanktionensystem führt zu exzessiven Sanktionen gegen Verbände. Es müssen mehrere Höchstgrenzen eingezogen werden; je nach Bezug der Tat zum Verband (Zurechnungskriterium, Mitarbeiter- oder Entscheidungsträgertat). Der engste Bezug zum Verband ist gegeben, wenn ein Entscheidungsträger die Tat zu Gunsten des Verbandes begangen hat; der geringste Bezug liegt vor, wenn durch eine Mitarbeitertat Pflichten des Verbandes verletzt worden sind und die Tat durch ein „Überwachungsverschulden“ eines Entscheidungsträgers ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde.

-          Über zentrale Fragen der Schadenersatzpflicht des Verbandes darf nicht durch Weisungen des Strafgerichts abgesprochen wird.

-          Das Strafgericht darf nicht befugt sein, strukturelle Weisungen für die Organisation eines Wirtschaftsbetriebs zu erteilen; Strafgerichten fehlt dafür in der Regel das entsprechende Know-how.

-          Vorverurteilungen von Verbänden dürfen nicht mehr releviert werden, wenn durch Umstrukturierungen, sei es durch Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolge, die Organisationsstruktur verändert wird.

-          Im Verfahren gegen Verbände müssen individuell beschuldigte Organwalter von der Vertretung des Verbandes ausgeschlossen werden.

-          Sämtlichen Entscheidungsträgern (und insbesondere Organwaltern) ist - unabhängig von ihrer individuellen Stellung als Beschuldigte – die Beschuldigtenstellung im Verfahren gegen den Verband zuzuerkennen.

-          Unternehmensberatern und gewerblichen Buchhalter müssen Zeugnisentschlagungsrechte eingeräumt werden.

 

Zu den Ausführungen der EB über flankierende Maßnahmen in anderen Bundesgesetzen (Allgemeiner Teil, F.):

Sollte die Verbandsverantwortlichkeit tatsächlich auf sämtliche gerichtlich strafbare Handlungen ausgedehnt werden, müssen die von den EB unter diesem Punkt aufgezählten Bestimmungen des Nebenstrafrechts aufgehoben werden; insbesondere die Haftung juristischer Personen für Geldstrafen, die gegen natürliche Personen verhängt werden, verträgt sich nicht mit einer originären Verbandsverantwortlichkeit. Im Falle einer umfassenden Verbandsverantwortlichkeit tritt die WKÖ daher für die Streichung dieser Bestimmungen ein. Wenn keine Verbandsverantwortlichkeit festgestellt wird oder wenn die Verfolgung des Individualtäters ausreicht, dann ist auch die Haftung eines Verbandes für Geldstrafen gegen einen Individualtäter nicht gerechtfertigt.

 

Die EB sprechen die besondere Situation im Finanzstrafrecht an: Straftatbestände des FinStrG fallen entweder in die Zuständigkeit des Gerichts oder in jene der Finanzstrafbehörde (Verwaltungsbehörde). Darüber hinaus haften Verbände gemäß § 28 FinStrG für Geldstrafen, die über Organmitglieder oder Dienstnehmer verhängt wurden. Die EB führen aus, dass die Anpassung des Finanzstrafrechts einem späteren Schritt vorbehalten wird. Da es jedoch nach dem vorliegenden Entwurf auch für gerichtliche Straftatbestände des FinStrG zu einer Verbandsverantwortlichkeit kommen kann, besteht die Gefahr, sachlich nicht gerechtfertigter Doppelsanktionen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Der Geschäftsführer einer GmbH begeht eine (vorsätzliche) Abgabenhinterziehung. Diese ist gemäß § 53 FinStrG gerichtlich strafbar. Der Geschäftsführer wird wegen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG zu einer Geldstrafe bis zum zweifachen des (hinterzogenen) Verkürzungsbetrags verurteilt. Der GmbH wird eine Geldbuße nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz auferlegt. Der Geschäftsführer ist vermögenslos oder hat sich dem Zugriff der Behörden entzogen. Dies hat zur Folge, dass die GmbH neben der Verbandsgeldbuße auch für die über den Geschäftsführer verhängte Geldstrafe (Haftung gemäß § 28 FinStrG) aufkommen muss. Da der Geschäftsführer vermögenslos ist, entfällt für die GmbH die Regressmöglichkeit. Derartige Doppelbelastungen sind sachlich nicht gerechtfertigt. Die Anpassung des FinStrG darf daher nicht einem zweiten Schritt vorbehalten werden, sondern ist gleichzeitig mit dem VerbandsverantwortlichkeitsG vorzunehmen. Derartige Anpassungen wären nicht notwendig, wenn – wie von der WKÖ gefordert – das VerbandsverantwortlichkeitsG auf die europarechtlich bzw international geforderten Deliktsbereiche eingeschränkt wird.

 

Weiters wird in den EB ein Sanktionsregister für Verbände angekündigt. Daneben wird ergänzend ausgeführt, dass es sinnvoll sein könnte, bestimmte gerichtliche Entscheidungen auch im Firmenbuch ersichtlich zu machen. Letzteres wird strikt abgelehnt. Strafgerichtliche Verurteilungen von natürlichen Personen unterliegen einem äußerst restriktiven Auskunftsregime. Eine Ersichtlichmachung von Verurteilungen des Verbandes im Firmenbuch wäre daher im Verhältnis zu natürlichen Personen gleichheitswidrig, aus datenschutzrechtlichen Gründen unzulässig und überdies wettbewerbsverzerrend. Ein Sanktionsregister sollte aber die Möglichkeit bieten, eine Negativbestätigung auszustellen, dh zu bestätigen, dass keine Verurteilungen des Verbandes eingetragen sind, da in internationalen Ausschreibungen oftmals ein entsprechender Nachweis verlangt wird.

 

Zu den Bestimmungen im Einzelnen:

 

zu § 1 Abs 1:

Nach dem Entwurf kommt eine Verbandsverantwortlichkeit grundsätzlich für jede mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung in Betracht. Die Verbandsverantwortlichkeit sollte jedoch auf Delikte eingeschränkt werden, für die internationale bzw europarechtliche Vorgaben bestehen. Die Hauptintention des gegenständlichen Gesetzesvorhabens sollte darin bestehen, europarechtliche und internationale Vorgaben umzusetzen. Regelungen, die darüber hinaus gehen, bedürfen einer besonderen kriminalpolitischen Rechtfertigung.

 

Der Schwerpunkt der europarechtlichen Vorgaben liegt bei den Vermögensdelikten (z.B. Betrug, Bestechung, Geldwäsche, Geldfälschung etc.). Weiters werden strafbare Handlungen umfasst, bei denen besonders oft die Entwicklung von kriminellen Organisationsstrukturen beobachtet werden kann (z.B. Terrorismus, Menschenhandel, Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie etc.). Sanktionen gegen juristische Personen für Vermögensdelikte, die zu deren Gunsten begangen werden, werden offensichtlich für gerechtfertigt bzw für notwendig erachtet, da der juristischen Person auch der Vorteil aus diesen Delikten zukommt bzw zukommen soll. Für Delikte, in deren Zusammenhang oftmals der Mißbrauch von gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen beobachtet werden kann, wird die Rechtfertigung für Sanktionen gegen juristische Personen darin gesehen, dass Strukturen mißbraucht und für kriminelle Zwecke verwendet werden. Es ist aber offenbar kein Anliegen der EU, dass juristische Personen auch für andere Deliktsbereiche sanktioniert werden; z.B. ist es europarechtlich nicht erforderlich für fahrlässige Körperverletzungen Sanktionen gegen juristische Personen vorzusehen.

 

Die Verbandsverantwortlichkeit sollte daher auf Deliktsbereiche eingeschränkt werden für die europarechtliche bzw internationale Vorgaben bestehen. Zur Überprüfung, ob es tatsächlich kriminalpolitisch erforderlich ist, sämtliche Deliktsbereiche in die Verbandsverantwortlichkeit einzubeziehen, sollten zunächst die Auswirkungen eines VerbandsverantwortlichkeitsG – eingeschränkt auf die europarechtlich geforderten Deliktsbereiche – für einen repräsentativen Zeitraum beobachtet werden. Der Anwendungsbereich des Gesetzes könnte ohne weiteres erst in einem zweiten Schritt erweitert werden; sollte dies tatsächlich erforderlich sein.

 

Die Einschränkung auf die europarechtlich geforderten Deliktsbereiche wäre auch insoweit geboten, da sich ein Großteil der grundsätzlichen und technischen Probleme des Entwurfs im Zusammenhang mit Delikten (insbesondere fahrlässigen Körperverletzungsdelikten) ergibt, bei denen eine europarechtliche Verpflichtung für eine Verbandssanktionierung nicht besteht.

 

Wenn es tatsächlich politisch notwendig ist, die Verbandsverantwortlichkeit auf sämtliche Straftatbestände – ähnlich dem deutschen OrdnungswidrigkeitenG – auszudehnen, muss dies zwar akzeptiert werden; in diesem Fall wäre aber auch das enge Zurechnungsmodell des dt OrdnungswidrigkeitenG zu übernehmen. Auch durch einen eng gezogenen Zurechnungskreis ließen sich grundsätzliche Probleme des Entwurfs – insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte – vermeiden.

 

zu § 1 Abs 3:

Es ist nicht gerechtfertigt, privatwirtschaftliches Handeln von Gebietskörperschaften generell von der Verbandsverantwortlichkeit auszunehmen; auf diese Weise wird die privatwirtschaftliche Tätigkeit von Gebietskörperschaften gegenüber sonstiger unternehmerischer Tätigkeit unsachlich privilegiert. Der Argumentation der EB, dass sich der Staat ansonsten quasi selbst sanktionieren würde, trifft insbesondere auf die Gemeinden nicht zu. Anliegen des Gesetzes ist es, dass unternehmerisch tätige Verbände der Begehung von gerichtlich strafbaren Handlungen in ihrem Tätigkeitsbereich entgegen wirken sollen. Dieser generelle Ansatz trifft auch auf unternehmerisch tätige Gebietskörperschaften (privatwirtschaftliche Tätigkeit) zu. Auch eine Gemeinde sollte sicherstellen, dass in ihrer Organisation keine gerichtlich strafbaren Handlungen begangen werden.

 

Weiters ist es unsachlich, danach zu differenzieren, in welcher Rechtsform die Gebietskörperschaften privatwirtschaftlich handeln: Betreibt eine Gemeinde den Betrieb ihrer Abfallentsorgung in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, wäre diese Tätigkeit von der Verbandsverantwortlichkeit umfasst; führt die Gemeinde die selben Tätigkeit selbst (in einem Betrieb gewerblicher Art) durch, wäre das VerbandsverantwortlichkeitsG anwendbar.

 

Es ist auch nicht gerechtfertigt die berufliche (Kammern) und die territoriale Selbstverwaltung (Gemeinden) ungleich zu behandeln. Soweit in Vollziehung der Gesetze gehandelt wird, erscheint eine Anwendung des VerbandsverantwortlichkeitsG nicht geboten, da die Bundesverfassung entsprechende Verantwortungen sicherstellt. Tätigkeiten der Gemeinde, die nicht in Vollziehung der Gesetze im eigenen Wirkungsbereich erfolgen (privatwirtschaftliche Tätigkeiten), dürfen jedoch nicht anderes behandelt werden, als Tätigkeiten der beruflichen Selbstverwaltung, die ebenso nicht in Vollziehung der Gesetze im eigenen Wirkungsbereich erfolgen.

 

Zur derzeitigen Formulierung: Nach den EB soll der Bund, die Länder und die Gemeinden generell vom VerbandsverantwortlichkeitsG ausgenommen werden; andere Körperschaften des öffentlichen Rechts nur dann, wenn sie in Vollziehung der Gesetze handeln. Ausländische Staaten und internationale Organisationen sollen wiederum zur Gänze ausgenommen werden; anerkannte Kirchen und religiöse Bekenntnisgemeinschaften nur insoweit sie nicht unternehmerisch tätig sind. Die EB sind vom Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig gedeckt: Es ist unklar, ob sich die Wortfolge „soweit sie in Vollziehung der Gesetze handeln“ nur auf „andere Körperschaften des öffentlichen Rechts“ bezieht oder auch auf den Bund, die Länder und die Gemeinden.

 

Das Problem der „Doppelbestrafung“ (siehe dazu näher die Ausführungen zu § 3 Abs 3) zeigt sich besonders deutlich bei einer Verbandsverantwortlichkeit von Personengesellschaften. Insbesondere bei der unmittelbaren Deliktsverwirklichung durch einen „Entscheidungsträger“ im Rahmen von Personengesellschaften kommt es aufgrund der Selbstorganschaft[2] in der Regel zu einer „Doppelbestrafung“. Der Entscheidungsträger hat zunächst als Individualtäter für das Delikt einzustehen. Ist er gleichzeitig persönlich haftender Gesellschafter, trifft ihn auch die Sanktion gegen die Gesellschaft. Auch hier zeigt sich, dass durch Einhaltung der europarechtlichen Vorgaben Problemfälle vermieden werden können. Die Einbeziehung der Personengesellschaften in das Regime der Verbandsverantwortlichkeit sollte daher noch einmal überdacht werden.

 

zu § 2 Abs 1:

Gerichtlich strafbare Handlungen eines Entscheidungsträgers können – soweit die sonstigen Voraussetzungen des § 3 Abs 1 erfüllt sind - ohne weiteres Zurechnungskriterium zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen. Es ist daher unbedingt erforderlich, den Begriff des „Entscheidungsträgers“ eng zu fassen und exakt und eindeutig abzugrenzen. Die vom Entwurf gewählte Definition wird diesem Anliegen nicht gerecht. Die EB geben an, dass der Begriff des „Entscheidungsträgers“ weiter zu verstehen sei als der Begriff des „leitenden Angestellten“ (§ 309 Abs 2 StGB) und verweisen zur Rechtfertigung auf die Definition der Führungsposition in Art 3 Abs 1 des 2. Protokolls[3].

 

Aus Sicht der WKÖ sollte aber der „Entscheidungsträger“ des VerbandsverantwortlichkeitsG gerade mit einem Verweis auf den „leitenden Angestellten“ des § 309 Abs 2 StGB definiert werden. Nachstehend wird gezeigt, dass die „Führungsposition“ nach Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls auch vom Begriff des „leitenden Angestellten“ (§ 309 Abs 2 StGB) umfaßt ist. Besonders ist auch auf das dt Ordnungswidrigkeitenrecht zu verweisen, das einen deutlich engeren Zurechnungskreis zieht und nur Personen mit Vertretungsbefugnis (Vertretungsmacht) umfaßt. Weiters sind die zivilrechtlichen Zurechnungskriterien für deliktisches Verhalten zu beachten: Zivilrechtlich werden nur Delikte von Machthabern zugerechnet. Weiters dürfen Delikte von fremdbestimmten Entscheidungsträgern (z.B. Notgeschäftsführer) nicht zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen.

 

Wie zu zeigen sein wird, sind Führungskräfte gemäß Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls auch als leitende Angestellte nach § 309 Abs 2 StGB einzustufen. Es kann daher für die Definition des „Entscheidungsträgers“ auf § 309 Abs 2 StGB abgestellt werden. Die weite Auslegung des Art 3 des 2. Protokolls, die vom Entwurf vorgenommen wird, ist daher nicht gerechtfertigt.

 

Nach Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls muss zur Begründung einer Verantwortlichkeit zunächst eine Führungsposition vorliegen. Diese Führungsposition muss sich zusätzlich aus drei alternativen Kriterien ergeben. Für eine Zurechnung ist sohin erforderlich, dass einerseits überhaupt eine Führungsposition vorliegt und andererseits, dass alternativ eine der drei angeführten Befugnisse für diese Führungsposition gegeben ist. Das 2. Protokoll verlangt nicht nur eine Entscheidungszuständigkeit oder eine Kontrollfunktion für die juristische Person, sondern auch eine diesbezügliche Führungsposition. Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen:

-          Ein Aktionär hat Kontrollbefugnisse nach dem AktG. Es kommt ihm jedoch keine Führungsposition innerhalb der juristischen Person zu. Aus Art 3 des 2. Protokolls folgt daher keine Verpflichtung, den Zurechnungskreis auf Aktionäre einer AG auszudehnen. Würde lediglich auf das Kriterium „Kontrollbefugnis“ abgestellt werden – ohne eine Führungsposition zu fordern – dann müßte der Zurechnungskreis auch auf Aktionäre ausgeweitet werden.

-          Ebenso haben Personen mit Handlungsvollmacht oder Ladenvollmacht zwar die Befugnis eine juristische Person zu vertreten, es kommt ihnen aber keine Führungsposition zu.

 

Der von Art 3 des 2. Protokolls normierte Zurechnungskreis ergibt sich daher kumulativ aus der Innehabung einer Führungsposition und der Erfüllung eines der drei alternativ aufgezählten Kriterien (Befugnis zur Vertretung, Befugnis Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, Kontrollbefugnis).

 

Nachstehend wird gezeigt, dass sich alle von Art 3 des 2. Protokolls aufgestellten Kriterien auch im Tatbestand des leitenden Angestellten (§ 309 Abs 2 StGB) wiederfinden; d.h. eine Führungsposition im Sinne Art 3 des 2. Protokolls hat auch maßgeblichen Einfluß auf die Geschäftsführung.

 

-          Innehabung einer Führungsposition und die Befugnis zur Vertretung der juristischen Person (Art 3 Abs 1 erster Spiegelstrich des 2. Protokolls) ergeben einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung. Vertretungsbefugte Personen in Führungspositionen sind daher auch leitende Angestellte gemäß § 309 Abs 2 StGB. Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und Prokuristen sind in § 309 Abs 2 StGB auch ausdrücklich angeführt.

-          Innehabung einer Führungsposition und die Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen (Art 3 Abs 1 zweiter Spiegelstrich des 2. Protokolls), führt zu maßgeblichem Einfluss auf die Geschäftsführung. Aus dem Erläuternden Bericht zum 2. Protokoll zu Art 3 ergibt sich, dass eine Führungspositionen die Möglichkeit zur Einflußnahme auf die Verwaltung der juristischen Person beinhalten muss. Die Möglichkeit, die Verwaltung in einer Führungsposition zu beeinflussen bedeutet aber auch, dass die Möglichkeit besteht, die Geschäftsführung zu beeinflussen, da die Weite des Begriffs „Geschäftsführung“ in § 309 Abs 2 StGB jeden maßgeblichen Einfluss in technischer, kaufmännischer oder verwaltungsmäßiger Hinsicht umfaßt (Foregger/Kodek, StGB, 6. Auflage, § 309 Anm II).

 

Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls fordert, dass die Befugnis darin bestehen muss, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen. § 2 Abs 1 des Entwurfs weicht davon deutlich ab und normiert als Definitionsmerkmal für den Entscheidungsträgers, dass dieser die Möglichkeit hat, sonst Entscheidungen für den Verband zu treffen. Nach Art 3 des 2. Protokolls kommt es jedoch nicht darauf an, dass die Führungsposition Entscheidungen treffen darf, die den Verband lediglich tatsächlich betreffen, sondern auf die Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen. Insbesondere Personen in Führungspositionen, denen die Befugnis zukommt, Entscheidungen im Namen einer juristischen Person zu treffen, kommt maßgeblicher Einfluss auf die Geschäftsführung zu. Es ist daher davon auszugehen, dass auch dieses Kriterium in § 309 Abs 2 StGB Deckung findet.

 

-          Auch Führungsposition und Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person (Art 3 Abs 2 dritter Spiegelstrich des 2. Protokolls) führen zu einem maßgeblichen Einfluß auf die Geschäftsführung. Nach dem Erläuternden Bericht zum 2. Protokoll kann sich die Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person insbesondere aus der Verantwortung für die interne Finanzkontrolle und die Rechnungsprüfung oder aus der Mitgliedschaft in einem Kontroll- oder Aufsichtsgremium innerhalb der juristischen Person ergeben, soweit diese Position einer Führungsposition entspricht, die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Verwaltung der juristischen Person beinhaltet. Damit bleibt die Kontrollbefugnis von Personen, die keinerlei Einflussnahme auf die Verwaltung der juristischen Person ermöglicht, außer Betracht. Wie zum vorangehenden Definitionskriterium ausgeführt, ist gerade die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Verwaltung der juristischen Person zentrales Definitionsmerkmal des leitenden Angestellten gemäß § 309 Abs 2 StGB. Aufgrund der Weite des Begriffs „Geschäftsführung“ ist jeder maßgebliche Einfluss in technischer, kaufmännischer oder verwaltungsmäßiger Hinsicht tatbestandsmäßig nach § 309 Abs 2 StGB (vgl. Foregger/Kodek, StGB, 6. Auflage, § 309 Anm II). Auch erschöpfen sich „Kontrollbefugnisse“ nicht allein in der Kontrolltätigkeit; Resultate der Kontrolle haben in der Regel direkten Einfluss auf die kontrollierten Bereiche bzw Tätigkeiten. Aufsichtsratsmitglieder selbst sind bereits vom Wortlaut des § 309 Abs 2 StGB umfaßt.

 

Wie gezeigt wurde, kann die Definition der „Führungsposition“ gemäß Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls vollständig mit der Definition des „leitenden Angestellten“ in § 309 Abs 2 StGB in Deckung gebracht werden. Der „Entscheidungsträger“ des VerbandsverantwortlichkeitsG sollte daher durch einen Verweis auf den „leitenden Angestellten“ gemäß § 309 Abs 2 StGB definiert werden.

 

Es kann nicht akzeptiert werden, dass § 2 Abs 1 des Entwurfs über Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls hinausgeht:

 

-          Grundsätzlich muss eine Führungsposition vorliegen; bereits aus diesem Grund sollte auf § 309 Abs 2 StGB verwiesen werden.

-          „Entscheidungen für den Verband zu treffen“ ist – wie oben ausgeführt - weiter als „Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen“.

-          Die Merkmale „Verantwortung für einzelne Tätigkeitsbereiche, für die Aufsicht oder für die interne Kontrolle“ gehen wesentlich über die von Art 3 Abs 2 des 2. Protokolls geforderte Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person hinaus; die Kontrollbefugnis muss nämlich nach dem Erläuternden Bericht zum 2. Protokoll die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Verwaltung der juristischen Person beinhalten.

 

Aufgrund der weiten Definition des Entscheidungsträgers ist insbesondere im Verhältnis zu Deutschland ein Standortnachteil zu befürchten. § 30 des deutschen OrdnungswidrigkeitenG zieht einen engen Zurechnungsrahmen und erfaßt nur Personen, denen formale Vertretungsbefugnis eingeräumt ist.[4]

 

Besonders sind auch die Auswirkungen im Bereich des Schadenersatzrechts zu beachten: Derzeit werden juristische Personen nur aus dem deliktischen Verhalten physischer Personen ersatzpflichtig, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung einnehmen („Machthaber“) (vgl. Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Band I, 12. Auflage, 69). Delikte werden einer juristischen Person nur dann zugerechnet, wenn die Schadenshandlung von Personen erfolgt ist, die in verantwortlicher, leitender oder überwachender Funktion Tätigkeiten für die juristische Person ausführen. (Posch in Schwimann, ABGB, 2. Auflage, § 26 Rz 34). Das VerbandsverantwortlichkeitsG darf nicht dazu führen, dass durch eine weite Definition des Entscheidungsträgers über den Umweg der Schutzgesetzverletzung (§ 1311 ABGB) der zivilrechtliche Haftungsrahmen für juristische Personen erweitert wird. Auch aus diesem Blickwinkel muss der Zurechnungskreis auf „leitende Angestellte“ beschränkt werden.

 

Weiters müssen bei der Definition der Entscheidungsträger „fremdbestimmte“ Entscheidungsträger, das sind Entscheidungsträger, die nicht direkt oder indirekt von den Eigentümern des Verbandes bestimmt werden können, ausgenommen werden. Es darf zu keiner Verbandsverantwortlichkeit für Notgeschäftsführer, Masseverwalter etc. kommen.

 

zu § 3 Abs 1:

Damit eine Straftat zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen kann, muss die Tat einen Verbandsbezug aufweisen, der über die Position des Individualtäters als Entscheidungsträger hinausgeht. Der Entwurf definiert diesen Verbandsbezug dadurch, dass ein Entscheidungsträger die Tat in seiner leitenden Funktion im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes für diesen und nicht zu dessen Nachteil (...) begangen haben muss. Aus den EB ergibt sich, dass damit alle Taten umfasst sein sollen, die „aus dem Betrieb heraus“ begangen werden. Taten, die sich direkt gegen die Interessen des Verbandes richten, sollen ausgeschlossen werden.

 

Nach dem Entwurf wären sämtliche Straftaten von Entscheidungsträgern – soweit für diese ein Bezug zur Tätigkeit des Verbandes herzustellen ist und die nicht zum Nachteil des Verbandes begangen wurden – dem Verband zuzurechnen. Dieser Zurechnungskreis ist zu weit gefasst: Für die Zurechnung einer Tat muss diese entweder dem Verband einen Vorteil bringen bzw einen solchen anstreben oder es müssen durch die Tat betriebsbezogene Sonderpflichten des Verbandes verletzt worden sein.

 

Die Stellung als Entscheidungsträger eines Verbandes reicht für die Zurechnung noch nicht aus. Die Tat muss zusätzlich mit der Sphäre des Verbandes in Verbindung gebracht werden können. Dies kann durch zwei alternative Kriterien erfolgen:

 

-          Einerseits wenn das Tatziel mit dem Verband in Verbindung gebracht werden kann, d.h. wenn ein Vorteil für den Verband erzielt oder angestrebt wurde, und

-          andererseits, wenn die Begehung der Tat mit dem Verband zusammenhängt, d.h. wenn durch die Tatbegehung besondere Verbandspflichten verletzt worden sind.

 

Das erste Kriterium deckt sich mit dem 2. Protokoll und erfaßt Taten die „zu Gunsten“ des Verbandes begangen wurde; eindeutige Fälle der Aufwandsersparnis wären dadurch ebenso abgedeckt.

 

Die EB führen aus, dass das Zurechnungskriterium „zu Gunsten“ bei Deliktsgruppen nicht greift, bei denen die Erlangung eines Vorteils nicht vom Tatbestand umfasst ist, wie etwa bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten oder bei terroristischen Straftaten. Nach den EB würden wichtige Konstellationen einer Verantwortlichkeit des Verbandes entzogen werden, wie etwa der Verstoß gegen Sicherheitsbestimmung oder reine Verantwortungslosigkeit.

 

Um die angeführten Einwände der EB zu entkräften, könnte unseres Erachtens alternativ eine Zurechnung auch dann erfolgen, wenn durch die Straftat Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind. Die Straftat eines Entscheidungsträgers ist dem Verband zuzurechnen, wenn dadurch eine „betriebsbezogene“ Pflicht verletzt wurde. Betriebsbezogene Pflichten ergeben sich aus dem jeweiligen Wirkungskreis des Verbandes. Betriebsbezogen sind in erster Linie Pflichten, die nach verwaltungsrechtlichen Gesetzen im Zusammenhang mit dem Wirkungskreis des Verbandes bestehen und diesen als Normadressaten treffen (zB als Arbeitgeber, als Gewerbetreibender, als Unternehmer, als Veranstalter, als Eigentümer einer Anlage, als Halter von Fahrzeugen, als Ein- oder Ausführer, als Erzeuger oder Verteiler einer Ware, als Inhaber einer Verkaufsstelle, als Auskunfts- oder Meldepflichtiger usw.). Auch Allgemeinpflichten, die im Grundsatz jedermann treffen können, zB Pflichten die sich aus Straftatbeständen des StGB ergeben, gelten als betriebsbezogene Pflichten, wenn diese Allgemeinpflichten im Zusammenhang mit der Betriebs- oder Unternehmensführung stehen. In diesem Fall sind diese Pflichten „betriebsbezogene“ Sonderpflichten des Verbandes. Die Sonderpflichten müssen sich jedoch tatsächlich aus verwaltungsrechtlichen Vorschriften, aus Bestimmungen des StGB, aus Schutz- und Sorgfaltspflichten des ABGB, odgl ergeben. Es darf jedoch keine Verbandspflicht normiert oder entwickelt werden, dass Verbände grundsätzlich Straftaten in ihrem Wirkungsbereich zu verhindern hätten.

 

Durch dieses Zurechnungssystem wären auch - wie von den EB gefordert - gerichtlich strafbaren Handlungen mit denen gegen Sicherheitsbestimmungen verstoßen wird von der Verbandsverantwortlichkeit umfaßt.

 

§ 3 Abs 2 des Entwurfs sollte daher lauten: „Ein Verband ist für eine Straftat verantwortlich, wenn ein Entscheidungsträger die Tat in seiner leitenden Funktion im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes für diesen und nicht zu dessen Nachteil rechtswidrig und schuldhaft begangen hat und durch die Tat Pflichten, welche den Verband treffen, verletzt worden sind oder der Verband bereichert worden ist oder werden sollte.“

 

Zusammenfassend sollten daher alternativ zwei Zurechnungskriterien zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen: Einerseits wenn die Tat dem Verband einen Vorteil verschafft hat bzw dazu bestimmt gewesen ist dem Verband einen Vorteil zu bringen und andererseits wenn durch die Tat betriebsbezogene Pflichten des Verbandes verletzt worden sind. Durch die Kombination dieser beiden Zurechnungskriterien wäre die Verbandsverantwortlichkeit klar abgegrenzt. Da auch die Verletzung betriebsbezogener Pflichten zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen kann, könnten die von den EB befürchteten Verantwortlichkeitslücken vermieden werden.

 

Dieses Zurechnungsmodell entspricht auch dem § 30 dt OWiG. Straftaten bzw Ordnungswidrigkeiten können juristischen Personen oder Personenvereinigungen dann zugerechnet werden, wenn durch diese Pflichten verletzt worden sind, die die juristische Person oder Personenvereinigung treffen oder die juristische Person oder Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte. Um die betriebsbezogenen Pflichten abzugrenzen, könnte auf die reichhaltige deutsche Judikatur und Literatur zu § 30 OWiG zurückgegriffen werden.

 

Die Vorteile des vorgeschlagenen Zurechnungssystems sollen durch nachstehendes Beispiel verdeutlicht werden: Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft verursacht, abgelenkt durch ein Telefonat mit dem Leiter des Rechnungswesens, das ohne Freisprecheinrichtung geführt wurde, mit seinem Dienstwagen auf der Fahrt zu einem beruflichen Termin einen Verkehrsunfall bei dem eine Person verletzt wird. Das Vorstandsmitglied hat den Verkehrsunfall rechtswidrig und schuldhaft verursacht, sodass ihm eine fahrlässige Körperverletzung zur Last fällt.

 

Gemäß § 3 Abs 1 des Entwurfs könnte die fahrlässige Körperverletzung des Entscheidungsträgers zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen. Die Dienstfahrt und das Telefonat wurden vom Entscheidungsträger in seiner leitenden Funktion im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes für den Verband durchgeführt. Die Straftat des Entscheidungsträgers wurde auch nicht direkt gegen die Interessen des Verbandes ausgeführt, sodass diese nach den Kriterien des § 3 Abs 1 nicht zu dessen Nachteil erfolgt ist. Sohin wären sämtliche Zurechnungskriterien des § 3 Abs 1 erfüllt. Dennoch ist uE unstrittig, dass für diese fahrlässige Körperverletzung eine Verbandsverantwortlichkeit nicht gerechtfertigt ist, da die Zurechnung allein auf der Qualifikation des Vorstands als Entscheidungsträger beruht.

 

Das vorgeschlagene Zurechnungsmodell böte ein sachgerechtere Lösung und würde in diesem Fall nicht zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen, da der Verkehrsunfall nicht aus der Verletzung einer Verbandspflicht resultiert. Das Verbot, während der Fahrt ohne Freisprecheinrichtung Mobiltelefone nicht zu benutzen, gehört nicht direkt zum Wirkungskreis des Unternehmens. Etwas anderes würde jedoch gelten, wenn der Verkehrsunfall durch ein Bremsversagen verursacht wurde und mangelnde Wartung bzw Überprüfung des Fahrzeuges durch den Verband – sofern dies ein Entscheidungsträger verschuldet hat - zu diesem Bremsversagen führten. In diesem Fall wäre eine betriebsbezogene Pflicht verletzt worden, die den Verband als Halter des Fahrzeuges trifft.

 

Zum Zurechnungskriterium „Tatbegehung in seiner leitenden Funktion“ sollte klargestellt werden, dass Mitarbeitertätigkeiten einer Führungsperson nicht zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen können. Insbesondere in kleineren Betrieben helfen Geschäftsführer oft im Bedarfsfall aus und verrichten Tätigkeiten von Mitarbeitern. Es sollte daher ergänzt werden, dass diese Mitarbeitertätigkeiten eines Entscheidungsträgers nicht in leitender Funktion erfolgen.

 

 

zu § 3 Abs 2:

Das zu § 3 Abs 1 dargestellte Modell lässt sich auch auf rechtswidrige Sachverhaltsverwirklichungen durch Mitarbeiter des Verbandes übertragen: Auf Ebene des Mitarbeiters ist zunächst eine rechtswidrige Handlung notwendig, die den Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Wenn durch die Mitarbeiterhandlung dem Verband ein Vorteil verschafft werden soll bzw ein Aufwand erspart, dann ist das Zurechnungskriterium „zu Gunsten“ erfüllt. In diesen Fällen wird in der Regel der Mitarbeiter auch vorsätzlich handeln, sodass der Verband – „Überwachungsverschulden“ vorausgesetzt – für ein Vorsatzdelikt sanktioniert werden könnte. Ebenso kann die Mitarbeiterhandlung dem Verband zugerechnet werden, wenn durch die Tat verbandsbezogene Pflichten verletzt worden sind (zB Verkehrssicherungspflichten); sofern auch hier ein Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt zur Verhinderung der Mitarbeitertat außer Acht gelassen hat.

 

§ 3 sollte sohin lauten:

„ § 3 (1) Ein Verband ist für eine Straftat verantwortlich, wenn ein Entscheidungsträger die Tat in seiner leitenden Funktion im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes für diesen und nicht zu dessen Nachteil rechtswidrig und schuldhaft begangen hat und durch die Tat Pflichten, welche den Verband treffen, verletzt worden sind oder der Verband bereichert worden ist oder werden sollte.

(2) Ein Verband ist für eine Straftat auch verantwortlich, wenn

a)       Mitarbeiter im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes für diesen und nicht zu dessen Nachteil gehandelt und dabei den Sachverhalt verwirklicht haben, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht und

b)       durch die Tat Pflichten, welche den Verband treffen, verletzt worden sind oder der Verband bereichert worden ist oder werden sollte und

c)       die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass ein Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat, insbesondere in dem er wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen hat.

(3) Der Verband kann wegen vorsätzlicher Begehung nur verantwortlich gemacht werden, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat. Ein Verband kann neben Entscheidungsträgern, Mitarbeitern und anderen natürlichen Personen verantwortlich gemacht werden.“

 

Unseres Erachtens kann – wie es auch der Entwurf vorsieht, ein Verband für ein Vorsatzdelikt nur dann sanktioniert werden, wenn ein Mitarbeiter tatsächlich vorsätzlich gehandelt hat. Entgegen den EB ist es jedoch unbedingt erforderlich, dass festgestellt wird, welcher Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; das wesentliche Zurechnungskriterium bleibt – auch bei einer Vorsatztat des Mitarbeiters - die Sorgfaltspflichtverletzung eines Entscheidungsträgers. Dies sollte auch beim Sanktionensystem beachtet werden (siehe die Ausführungen zu § 4 und § 5). Sanktionshöhe und - rahmen sollten sich an der Sorgfaltspflichtverletzung des Entscheidungsträgers orientieren.

 

Nach dem Entwurf soll es für die Zurechnung einer Mitarbeitertat nicht erforderlich sein, dass festgestellt wird, welcher Mitarbeiter die rechtswidrige Handlung gesetzt hat. Es soll genügen, dass irgendein Mitarbeiter gehandelt hat. Für eine Verbandsverantwortlichkeit ist es jedoch unabdingbar, dass konkret festgestellt wird, welcher Mitarbeiter gehandelt hat.

 

Derzeit stimmen die EB zu § 3 mit dem Gesetzestext nicht überein, da in den EB darauf abgestellt wird, dass der Verband die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Nach dem Gesetzestext ist dabei jedoch auf einen Entscheidungsträger abzustellen. In den EB wäre deutlich auszuführen, dass einen Entscheidungsträger ein „Überwachungsverschulden“ treffen muss. Dh, ein Entscheidungsträger muss objektiv und subjektiv vorwerfbar die gebotene Sorgfalt zur Verhinderung von Mitarbeitertaten außer Acht gelassen haben. Für eine Verbandsverantwortlichkeit muss auch festgestellt werden, welcher konkrete Entscheidungsträger die objektiv und subjektiv vorwerfbare Sorgfaltswidrigkeit begangen hat.

 

Eine Mitarbeitertat kann nach dem Entwurf nur dann zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen, wenn Mitarbeiter rechtswidrig einen Sachverhalt verwirklichen, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Bei Fahrlässigkeitsdelikten bedeutet die Rechtswidrigkeit, dass der „objektive“ Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts verwirklicht worden sein muss; d.h. der Mitarbeiter muss objektiv sorgfaltswidrig gehandelt haben und es müssen alle Kausalitäts- und Zurechnungserfordernisse erfüllt sein. Dies sollte in den EB verdeutlicht werden. Allein die kausale Erfolgsverwirklichung – ohne objektive Sorgfaltswidrigkeit des Mitarbeiters – darf nicht zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen.

 

Eine Mitarbeitertat darf nur dann zu einer Verbandsverantwortlichkeit führen, wenn der eingetretene Erfolg einer Handlung bzw Unterlassung eines Mitarbeiters auch tatsächlich dem Mitarbeiter zugerechnet werden kann. Diese Zurechnung muss sich aus den üblichen Zurechnungskriterien des Fahrlässigkeitsdelikts ergeben. Nur wenn der (schädliche) Erfolg einer Mitarbeiterhandlung bzw -unterlassung tatsächlich zugerechnet werden kann – der Mitarbeiter insoweit rechtswidrig gehandelt hat – stellt sich überhaupt die Frage, ob diese rechtswidrige Handlung bzw Unterlassung durch ein Überwachungsverschulden eines Entscheidungsträgers ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde.

 

Als Beispiel: Ein Mitarbeiter unterlässt pflichtwidrig eine Baustellenabsicherung und die Geschäftsführung lässt die Absicherungspflicht nicht kontrollieren. Ein Volltrunkener, den vermutlich auch die Absperrung nicht abgehalten hätte, stürzt in die Grube. Der Mitarbeiter hat für das entsprechende Fahrlässigkeitsdelikt nur dann einzustehen, wenn sein Unterlassen quasi kausal für den Erfolg war, dh die Vornahme des gebotenen Tuns den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte. Lässt sich dies – wie in vielen Fällen – nicht feststellen, so hat der Mitarbeiter das entsprechende Fahrlässigkeitsdelikt nicht verwirklicht. Dem Mitarbeiter kann der schädliche Erfolg nicht zugerechnet werden. In diesen Fällen kommt eine Verbandsverantwortlichkeit, die allein auf einer Risikoerhöhung durch die Entscheidungsträger fußen würde, nicht in Betracht.

 

zu § 3 Abs 3:

Die Bestimmung sieht vor, dass ein Verband neben Entscheidungsträgern, Mitarbeitern und anderen natürlichen Personen verantwortlich gemacht werden kann.

 

Das Problem der „Doppelbestrafung“ muss differenzierter betrachtet werden. Unseres Erachtens ist es nicht sachgerecht, den Verband in jedem Fall neben dem Individualtäter verantwortlich zu machen. Bei Taten, die von Gesellschafter-Geschäftsführern einer juristischen Person oder von persönlich haftenden Gesellschaftern einer Personengesellschaft (OHG, KG, OEG, KEG, EWIV) begangen werden, zeigt sich, dass eine Verbandssanktion auch direkt das Vermögen des Individualtäters trifft. Bei geschäftsführenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft mindert sich der Wert der Beteiligung, gleiches gilt für den Anteil an einer Personengesellschaft. Bei Personengesellschaften haftet ein persönlich haftender Gesellschafter darüber hinaus mit seinem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft; eine Verbandssanktion trifft ihn daher in jedem Fall.

 

Zur Lösung dieses Problems sollte uE einerseits der Ermessensspielraums bei der Verfolgung der Verbandsverantwortlichkeit durch die Anklagebehörden ausgedehnt werden und andererseits eine materiellrechtliche Bestimmung eingefügt werden, dass von der Festsetzung einer Sanktion gegen den Verband abgesehen werden kann, wenn dadurch maßgeblich das Vermögen des Individualtäters betroffen wäre, das ohnedies bereits bei der Sanktionsfestsetzung gegen den Individualtäter zu berücksichtigen ist. Die general- und spezialpräventiven Überlegungen, die in § 17 des Entwurfs eingeflossen sind, könnten auch für die vorgeschlagene materiellrechtliche Bestimmung angewendet werden.

 

Der Entwurf berücksichtigt das Problem der „Doppelbestrafung“ nur bei der Bemessung der Verbandsgeldbuße. Nach § 5 Abs 2 des Entwurfs ist bei der Bemessung der Verbandsgeldbuße zu berücksichtigen, ob die Tat bereits gewichtige rechtliche Nachteile für den Verband oder seinen Eigentümer nach sich gezogen hat. Nach den EB soll dadurch insbesondere in jenen Fällen eine mildere Bemessung der Buße ermöglicht werden, in denen eine natürliche Person aufgrund ihrer Doppelstellung als Geschäftsführer und Eigentümer Gefahr läuft, zunächst als Täter der (die Verantwortlichkeit des Verbandes auslösenden) Straftat bestraft und dann nochmals indirekt durch die Verhängung einer Geldbuße über den Verband sanktioniert zu werden. Die Problemlösung über eine Vorschrift zur Strafbemessung ist uE nicht ausreichend, daher sollten dem Gericht zwei Möglichkeiten eingeräumt werden: Die Ausmessung einer milderen Verbandsgeldbuße und das vollständige Absehen von der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße. Dadurch könnte auch Verfahrensaufwand vermieden werden.

 

zu § 4 und § 5:

 

Der Entwurf sieht Geldbußen vor, die grundsätzlich der Höhe nach unbeschränkt sind. Aufgrund der umsatzabhängigen Ertragsäquivalente, kann theoretisch eine Geldbuße ohne Grenze verhängt werden. Durch die Umsatzabhängigkeit – die sich rein aus der Leistungsfähigkeit des konkreten Unternehmens ergibt – fehlt der Bemessung der Verbandsgeldbuße die Proportion zur konkret begangenen Straftat. Der Entwurf geht von der falschen Auffassung aus, dass es derart exorbitanter Sanktionen bedarf, um Straftaten von Mitarbeitern oder Führungspersonen zu verhindern. Das vom Entwurf vorgeschlagene Modell führt im Vergleich zum strafrechtlichen Gesamtsystem zu exzessiven Geldbußen gegen Verbände.

 

Die Übersicht zeigt die vorgeschlagenen Sanktionsrahmen:

 

Strafandrohung individuell

Max. Anz an  Ertragsäqui.

Sanktionsrahmen 0,0005 bis 0,01% x Anz. an Ertragsäqui. =Jahresumsatz in %

Sanktionsrahmen bei Mindest-Ertrags­äquivalent € 50,-

 

 

Von

bis

Von

bis

Lebenslang
bzw FS bis 20 J

1.500

0,75

15

50

75.000

FS bis 15 J

1.350

0,675

13,5

50

67.500

FS bis 10 J

1.200

0,6

12

50

60.000

FS bis 5 J

1.050

0,525

10,5

50

52.500

FS bis 3 J

900

0,45

9

50

45.000

FS bis 2 J

750

0,375

7,5

50

37.500

FS bis 1 J

600

0,3

6

50

30.000

Sonst

500

0,25

5

50

25.000

Als Beispiel: Bei einer fahrlässigen Körperverletzung (angedrohte FS bis 3 Monate) – ausgehend vom Mindestertragsäquivalent € 50 – ist ein Sanktionsrahmen von € 50 bis € 25.000 vorgesehen. Da die „übliche“ Sanktionsbemessung sich in der Praxis um die Hälfte des maximalen Strafrahmens einpendelt, würde dies selbst bei den geringsten Mitarbeitertaten zu Sanktionen um € 10.000 führen.

 

Sollte das Ertragsäquivalent über € 50 liegen, ergäbe sich ein Sanktionsrahmen 0,25 – 5 % des Jahresumsatzes. Bei Sanktionen im Bereich der Hälfte des maximalen Strafrahmens ist mit Sanktionen um 2,5 % des Jahresumsatzes für Delikte mit geringster Strafandrohung zu rechnen. Bei den üblichen Umsatz-Ertragsverhältnissen der österreichischen KMU´s sind die Multiplikatoren für die Ertragsäquivalente deutlich zu hoch gegriffen. Diese Sanktionsrahmen liegen in vielen Branchen deutlich über der durchschnittlichen Umsatzrendite, die im Handel bei ca 0,1 – 1%, im Gewerbe um 1,5 % und in der Industrie bei ca 2,1% liegt.

 

In den EB wird das System der Sanktionsbemessung ausdrücklich zur Diskussion gestellt. Es wird darauf hingewiesen, dass mit der Ermittlung des Ertragsäquivalents zwar auf die Besonderheiten des Einzelfalls transparenter eingegangen werden kann, dass dieses System jedoch in der Praxis einen gewissen Aufwand mit sich bringt. Aus Sicht der WKÖ ist zu befürchten, dass das Verfahren zur Ermittlung eines Ertragsäquivalents äußerst kompliziert ist und ohne entsprechendes Sachverständigengutachten durch das Strafgericht nicht geleistet werden kann. Selbst im relativ einfach gestalteten Tagsatzsystem des Individualstrafrechts wird der jeweilige Tagsatz – ohne tiefergehende Ermittlungen – nach den kursorischen Angaben des Beschuldigten bzw Beklagten ermittelt. Diese Ermittlung wird sich in manchen Fällen zu Gunsten des Beschuldigten, in anderen Fällen jedoch auch deutlich zum Nachteil des Beschuldigten auswirken. Ein kursorische Ermittlung von Ertragsäquivalenten wäre mit großen Unsicherheiten behaftet und erscheint der WKÖ im Bereich der Verbandsverantwortlichkeit – wo Organe für fremdes Vermögen verantwortlich sind - nicht tragbar.

 

Wie die EB ausführen, liegt der Kern des Vorwurfs gegen den Verband darin, dass Entscheidungsträger die gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Im Fall von Mitarbeitertaten, die Sorgfalt derartige Taten zu verhindern bzw zu erschweren. Im Fall von Entscheidungsträgertaten manifestiert sich der Umfang des Sorgfaltsverstoßes in dem vom Entscheidungsträger verwirklichten Delikt.

 

Um das Sanktionssystem möglichst einfach zu gestalten, schlägt die WKÖ folgende Eckpunkte vor:

 

-          Die alternativen Zurechnungskriterien für eine Verbandsverantwortlichkeit (Vorteil für Verband oder Verletzung von Verbandspflichten) werden in das Sanktionssystem übernommen: Eine Höchstgrenze für Verbandsgeldbußen wird für Delikte eingezogen, durch die Verbandspflichten verletzt wurden. Die zweite Höchstgrenze wird für Delikte normiert, die dem Verband einen Vorteil gebracht haben oder hätten sollen; diese Grenze sollte über der ersten liegen, da Delikte „zu Gunsten“ des Verbandes schwerer wiegen.

-          Die Sanktionsrahmen differenzieren zwischen der Zurechnung von Entscheidungsträger- und Mitarbeitertaten. Der Verbandsbezug ist bei einer Mitarbeitertat wesentlich geringer ausgeprägt, als bei der Tat eines Entscheidungsträgers; auch das 2. Protokoll fordert Geldsanktionen nur bei Taten von Entscheidungsträgern.

-          Bei der Bemessung der Geldbuße ist zwischen Mitarbeiter- und Entscheidungsträgertaten zu differenzieren. Bei Taten von Entscheidungsträgern wird auf die Schwere des Deliktstypus abgestellt, der sich in der Strafandrohung des Individualstrafrechts manifestiert. Bei Mitarbeitertaten wird dagegen auf die Schwere des Sorgfaltsverstoßes eines Entscheidungsträgers abgestellt. Dadurch wird berücksichtigt, dass das zentrale Zurechnungskriterium für Mitarbeitertaten im „Überwachungsverschulden“ des Entscheidungsträgers liegt.

-          Bei der Strafbemessung sollte auch zwischen Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten differenziert werden.

 

Besonders ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff des Jahresumsatzes näher zu definieren und auch nach Branchen zu differenzieren ist. Z.B. bestehen im Bereich der Bank- und Versicherungswirtschaft große Probleme den Umsatz zu bestimmen. Das KartellG sieht daher für Banken und Bausparkassen sowie für Versicherungsunternehmen eigene Berechnungsformen für die Umsatzerlöse vor (vgl § 2a KartellG).

 

zu § 6:

Die Möglichkeit der bedingten Nachsicht der Verbandsgeldbuße sollte unabhängig von der Höhe der verhängten Geldbuße möglich sein. Durch die angeführten general- und spezialpräventiven Ausschlussgründe ist bereits ausreichend sichergestellt, dass eine bedingte Nachsicht sachlich gerechtfertigt sein muss.

 

zu § 7:

Gemäß den Ausführungen zu § 6 soll der gesamte Teil der Geldbuße, auf den die Voraussetzung des § 6 zutreffen, bedingt nachgesehen werden können.

 

zu § 8:

Der Entwurf sieht vor, dass dem Verband als Weisung aufzutragen ist, den aus der Tat entstandenen Schaden nach Kräften gut zu machen, soweit dies noch nicht erfolgt ist (§ 8). Die zwingende Weisung zur Schadensgutmachung wird abgelehnt. Das Gericht sollte lediglich fakultativ dem Verband auftragen können, den aus der Tat entstandenen Schaden nach Kräften gut zu machen. Die StPO bietet nicht die Möglichkeit ein entsprechendes Ermittlungsverfahren über Schadenersatzansprüche von Geschädigten durchzuführen. Der Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche erfolgt daher im Strafverfahren - entgegen der gesetzlichen Anordnung des § 366 Abs 2 StPO - in der Regel nicht, sondern der Privatbeteiligte wird auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Das Schadenersatzrecht ist eine komplexe zivilrechtliche Materie, bei der ua Schadenshöhe, Zurechnung (Kausalität und Adäquanz), Rechtswidrigkeit (Rechtswidrigkeitszusammenhang, rechtmäßiges Alternativverhalten etc.) und Verschulden zu berücksichtigen sind. Es wird daher strikt abgelehnt, dass über zentrale Fragen der Schadenersatzpflicht durch Weisungen des Strafgerichts abgesprochen wird. Es besteht auch - wie bei der Diversion - die Gefahr einer Bindungswirkung für ein Zivilverfahren (siehe dazu die Ausführungen zu § 18).

 

§ 8 Abs 2 des Entwurfs sieht vor, dass dem Verband mit dessen Zustimmung technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen mit Weisung aufgetragen werden können, wenn diese geeignet erscheinen, die Begehung weiterer Taten, für die der Verband verantwortlich gemacht werden kann, zu verhindern. Nach § 6 des Entwurfs sind vom Gericht, falls erforderlich, Weisungen zu erteilen, wenn eine Verbandsgeldbuße bedingt nachgesehen wird.

 

Da Weisungen durch den Entwurf mit der Erteilung der bedingten Strafnachsicht verknüpft sind, wird der Verband, um in den Genuss ein bedingten Nachsicht zu kommen, seine Zustimmung zu Weisungen geben müssen. Dem Strafgericht fehlt jedoch in der Regel die entsprechende Erfahrung, um strukturelle Weisungen für die Organisation eines Wirtschaftsbetriebs erteilen zu können. Die WKÖ fordert daher, dass die Ermächtigung für technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen komplett gestrichen wird, da dies eine zentrale Aufgabe von Aufsichtsbehörden darstellt und in speziellen Materiengesetzen geregelt ist oder werden sollte. Jedenfalls muss die Verknüpfung der Weisungen mit der bedingten Sanktionsnachsicht aufgehoben werden.

 

Grundsätzlich sollte der aus dem Individualstrafrecht übernommen Begriff „Weisung“ gestrichen bzw geändert werden. Weisungen stehen bereits im Individualstrafrecht mit Persönlichkeitsrechten und dem Recht zur freien Lebensführung des Individualtäters im Konflikt; Weisungen, die einen unzumutbaren Eingriff in Persönlichkeitsrechte und in die Lebensführung darstellen, sind unzulässig. Aufgrund der individuellen Schuld des Individualtäters können Weisungsbefugnisse des Gerichts im Individualstrafrecht jedoch gerechtfertigt werden. Anders verhält sich dies im Bereich der Verbandsverantwortlichkeit: Dort ist bereits der Begriff „Weisung“ verfehlt und sollte – wenn inhaltlich nicht komplett darauf verzichtet wird - auf „gerichtliche Anordnung“ odgl geändert werden; auch um den Unterschied zu Weisungen im Individualstrafrecht deutlich zu machen.

 

Völlig ungelöst ist das Problem, wenn falsche oder betriebswirtschaftliche ungünstige Weisungen durch das Gericht erteilt werden. Ordnet das Gericht z.B. die Investition in eine neue Produktionsanlage an und ist diese Investition betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll, kann dadurch ein Schaden für das Unternehmen entstehen. Dieser Schaden müßte – Rechtswidrigkeit und Verschulden vorausgesetzt – im Wege der Amtshaftung geltend gemacht werden.

 

zu § 9 Abs 2:

Für die praktische Anwendung stellt sich die Frage, wie das Gericht die Einhaltung einer Weisung für eine technische, organisatorische oder personelle Maßnahme kontrollieren soll. Auch aus diesem Grund sollte die Verknüpfung zwischen Weisungen und bedingter Sanktionsnachsicht gestrichen werden.

 

zu § 10:

Zentrales Zurechnungselement für die Verbandsverantwortlichkeit sind Organisationsmängel, die sich darin manifestieren, dass Entscheidungsträger die gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Durch unternehmerische Umstrukturierungen, sei es in Gesamtrechtsnachfolge (Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung, Realteilung) oder durch Einzelrechtsnachfolge (Einbringung, Betriebsveräußerung etc) wird massiv in die Organisationsstruktur eines Betriebs eingegriffen: Betriebsteile werden in eine neue unternehmerische Struktur eingeordnet bzw eingegliedert; in der Regel kommt es auch zu Änderungen auf Ebene der Entscheidungsträger. Auch die Gesamtrechtsnachfolge führt daher in aller Regel zu einem Wegfall der betrieblichen Identität. Es ist daher in diesen Fällen nicht gerechtfertigt, an Verurteilungen eines Gesamtrechtsvorgängers anzuknüpfen.

 

Dies gilt um so mehr in Fällen der Einzelrechtsnachfolge. Hier wird praktisch immer eine Betriebsstruktur in eine neue Organisation eingegliedert. Weiters ist der Begriff der „Einzelrechtsnachfolge“ für die Ausübung der staatlichen Sanktionsgewalt zu unbestimmt: In welches Recht muss einzeln nachgefolgt werden? Betriebsliegenschaften? Produktionsanlagen? Betriebswichtige Verträge?

 

Wenn die Bestimmungen zur Rechtsnachfolge nicht komplett gestrichen werden, müssen zumindest jene Fälle ausgeschlossen werden, bei denen es zu einer betrieblichen Neustrukturierung kommt.

 

Aus dem Entwurf geht auch nicht hervor, warum im Falle der Einzelrechtsnachfolge der Geldbußenanspruch nicht weiterhin gegen den ursprünglichen Verband gerichtet bleibt? Bei einer Einzelrechtsnachfolge (z.B. Betriebsveräußerung) wird der veräußernde Verband in der Regel ein entsprechendes Entgelt für den Betrieb erhalten.

 

zu § 12:

Das Konzept des Entwurfs geht davon aus, dass neben dem Strafverfahren gegen den Individualtäter bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen sofort auch ein selbstständiges Strafverfahren gegen den Verband zu führen ist. Nach dem Entwurf ist es nicht möglich, mit dem Verfahren gegen den Verband zuzuwarten. Es besteht daher die Gefahr, dass gegen Verbände auch dann ein Strafverfahren eingeleitet wird, wenn noch nicht klar ist, ob sich der Verdacht hinsichtlich einer entsprechenden Verbandsverantwortlichkeit überhaupt verdichten läßt. In diesen Fällen wäre eine Verfahrenseinleitung für den Verband besonders reputationsschädlich. Das Verfolgungsermessen in § 17 sollte daher um eine Variante erweitert werden, die es möglich macht, mit der Verfolgung des Verbandes bis zur hinreichenden Klärung des zugrundeliegenden Sachverhalts zuzuwarten.

 

zu § 13:

Die EB führen aus, dass juristische Personen und Gesellschaften nicht prozessfähig sind und eines Vertreters bedürfen. Der Entwurf geht davon aus, dass die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung nach Außen berufenen Organe auch zur Vertretung des Verbandes in einem gegen diesen geführten Strafverfahren berufen sind. Der Entwurf übersieht, dass bei Organwaltern, die selbst Beschuldigte sind, Interessenkonflikte bestehen. Diese Organwalter sind daher von der Vertretung des Verbandes auszuschließen.

 

Wenn ein Verband für eine Entscheidungsträgertat verantwortlich gemacht wird, so kann der Entscheidungsträger, der für dieses Delikt individuell beschuldigt wird, nur schwer Interessenkonflikte zwischen seinen Individual- und den Verbandsinteressen vermeiden; er ist daher zur Vertretung des Verbandes im Verfahren nicht geeignet (vgl. Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Unternehmen, JBl 2003, 496). Dieser Konflikt soll durch das VerbandsverantwortlichkeitsG gelöst werden: Organwalter, die selbst als individueller Täter beschuldigt sind, dürfen den Verband im Verfahren nicht vertreten. Die Vertretung hat daher durch einen anderen Organwalter zu erfolgen; ist ein solcher nicht bestellt, muss ein Kurator (Notgeschäftsführer, vgl § 15a GmbHG oder § 76 AktG) bestellt werden. Bei Aktiengesellschaften könnte auch der Aufsichtsrat zur Vertretung der Gesellschaft herangezogen werden (vgl. § 97 AktG).

 

Aufgrund der Vertretungsprobleme kommt den Überlegungen zum Opportunitätsprinzip und der Doppelbestrafung besondere Bedeutung zu: Wenn der bereits der maßgeblich beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer als Individualtäter beschuldigt ist, wird sich in vielen Fällen ein Verfahren gegen den Verband erübrigen. Interessenkonflikte könnten auf diese einfach Weise vermieden werden.

 

zu § 15:

Die Ausführungen zu § 13 des Entwurfs sind auch bei einer Zustellung zu berücksichtigen. Ist daher ein Organwalter auch individuell beschuldigt, so dürfen Zustellungen, die das Verfahren gegen den Verband betreffen, diesem Organwalter nicht zu eigenen Handen zugestellt werden. In diesen Fällen ist an einen anderen Organwalter, an den Aufsichtsrat oder an einen Kurator zuzustellen.

 

 

zu § 16:

Nach dieser Bestimmung sind Entscheidungsträger und Mitarbeiter die im Verdacht stehen, die Straftat begangen zu haben, oder wegen der Straftat bereits verurteilt sind, als Beschuldigte zu laden und vernehmen. Der Kreis der „Beschuldigten“ ist zu eng gezogen. Sämtlichen Entscheidungsträgern und insbesondere Organwaltern ist – unabhängig von ihrer individuellen Stellung als Beschuldigte – die Beschuldigtenstellung im Verfahren gegen den Verband einzuräumen.

 

Ein Verband kann nur durch seine Organe handeln und wird durch diese vertreten. Ohne Entschlagungsrecht würde sich der Verband durch die Aussagen seiner Organwalter quasi selbst belasten (vgl. Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Unternehmen, JBl 2003, 496).

 

Für Verbandsvertreter muss auch ein spezielles Entschlagungsrecht vorgesehen werden: Wird ein Verbandsvertreter in einem Fremdprozeß als Zeuge vernommen und steht die Zeugenaussage in Verbindung mit der Funktion als gesetzlicher Verbandsvertreter des eigenen Verbands, dann ist dem Verbandsvertreter ein Entschlagungsrecht einzuräumen, wenn die Zeugenaussage „seinen“ Verband in die Gefahr einer Verfolgung nach dem VerbandsverantwortlichkeitsG bringen würde (analog § 152 Abs 1 Z 1 StPO). Dasselbe gilt, wenn der Zeuge (Verbandsvertreter) durch die Aussage „seinen“ Verband der Schande oder der Gefahr eines unmittelbaren und bedeutenden Vermögensnachteils aussetzen würde (analog § 153 Abs 1 StPO) (vgl. dazu Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Unternehmen, JBl 2003, 496).

 

§ 152 Abs 1 Z 4 StPO gewährt Angehörigen bestimmter taxativ aufgezählter Berufsgruppen, wie Verteidigern, Rechtsanwälten, Notaren und Wirtschaftstreuhändern, ein Zeugnisentschlagungsrecht über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist. Zweck der Bestimmung ist es, die Vertrauensbeziehungen zu gewissen Berufsgeheimnisträgern zu schützen. Da sich Unternehmen auch einer Vielzahl von anderen Beratergruppen bedienen, müssen die angeführten Berufsgruppen für das Verfahren gegen Verbände erweitert werden. Es sind alle Beratungsberufe aufzunehmen, bei den der Schutz des Berufsgeheimnisses ein wesentlicher Aspekt ist. In den Katalog des § 152 Abs 1 Z 4 StPO sind daher insbesondere auch Unternehmensberater und gewerbliche Buchhalter aufzunehmen. Ein besonders schützenswertes Vertrauensverhältnis besteht auch zu Immobilientreuhändern, Vermögensberatern und Datenverarbeitern. Auch Köck tritt für ein Zeugnisentschlagungsrecht für Unternehmensberater ein (Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Unternehmen, JBl 2003, 496). Diese Überlegungen treffen natürlich auch auf Strafverfahren gegen Einzelunternehmer als Individualtäter zu.

 

zu § 17:

Wie bereits zu § 3 Abs 3 ausgeführt, sollte das Verfolgungsermessen auf jene Fälle ausgedehnt werden, bei denen bereits durch die Verfolgung des Individualtäters und seiner besonderen Stellung zum Verband (maßgeblich beteiligter Gesellschafter, persönlich haftender Gesellschafter einer Personengesellschaft) das Auslangen gefunden werden kann. Das Verfolgungsermessen sollte erweitert werden: Grundsätzlich kann von einer Verfolgung des Verbandes abgesehen werden, wenn aus general- und spezialpräventiven Erwägungen die Verfolgung des Individualtäters ausreichend ist.

 

Die derzeitige Formulierung des § 17 Z 3 würde es zulassen, nach politischer Opportunität Exempel zu statuieren, wenn sonst eine Verfolgung des Verbandes nicht geboten wäre. Eine Verfolgung, die nur durch ein besonderes öffentliches Interesse (§ 17 Z 3) begründet wird, ist für den verfolgten Verband notwendigerweise ungerecht. Das Verfolgungsermessen darf daher nicht vom öffentlichen Interesse abhängen. Jedenfalls sollte ausdrücklich in den EB klargelegt werden, dass allein die Medienaufmerksamkeit für einen Fall kein öffentliches Interesse an einem Verfahren gegen den Verband begründen kann.

 

zu § 18:

Analog den Überlegungen zur Ermittlung der Verbandsgeldbuße (§ 4 und 5 des Entwurfs) sollte für die Diversion die Ermittlung von Ertragsäquivalenten nicht erforderlich sein. Auch hier könnte eine betragsmäßige Höchstgrenze eingezogen werden.

 

Die Diversion steht unter der Voraussetzung, dass der Verband den aus der Tat entstandenen Schaden gut macht sowie andere Tatfolgen beseitigt. Dadurch wird die Diversion in all jenen Fällen ausgeschlossen, in denen eine solche Schadenswiedergutmachung samt Beseitigung sonstiger Tatfolgen entweder begrifflich oder tatsächlich nicht möglich ist. ZB kann in üblichen Fällen der Geldwäsche oder bei unbekannten Geschädigten eine Schadenswiedergutmachung praktisch nicht durchgeführt werden.

 

Um allfällige Auswirkungen für nachfolgende Schadenersatzprozesse zu vermeiden, sollte in den EB klargestellt werden, dass die Annahme einer Diversion durch den Verband für einen Zivilprozeß keine Bindungswirkung entfaltet; weder als Tat- noch als Schuldeingeständnis. Für einen Verband kann es mannigfaltige Gründe geben – auch gegen die Überzeugung, dass keine Verbandsverantwortlichkeit besteht - eine Diversion anzunehmen. Jeder Prozeß ist – unabhängig vom Ausgang - in der Regel mit einem massiven Imageschaden verbunden. Weiters können Kosten und Aufwendungen für eine Verteidigung auch den Diversionsbetrag übersteigen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verband, der eine Diversion annimmt, damit seine Verbandsverantwortlichkeit eingesteht.

 

zu § 19:

Durch die Verhängung von einstweiligen Verfügungen zur Sicherung der Geldbuße, darf nicht in betriebsnotwendige Mittel eingegriffen werden. Es muss sichergestellt werden, dass die zur Betriebsfortführung erforderliche Liquidität nicht durch einstweilige Verfügungen beeinträchtigt wird. Diese Überlegungen sind bei der Bemessung der Verbandssanktion generell zu berücksichtigen und gelten daher auch bei einstweiligen Verfügungen, die ohne tiefergehendes Ermittlungsverfahren erlassen werden können; zu einem Zeitpunkt zu dem eine Verbandsverantwortlichkeit noch nicht gerichtlich festgestellt wurde und die Entscheidung auch nicht in Rechtskraft erwachsen ist.

 

Grundsätzlich ist eine Ermächtigung, die Durchsetzung von Geldstrafen mit Zwangsmaßnahmen zu sichern, dem geltenden Strafrecht fremd. Derartige Maßnahmen sind äußerst eingriffsintensiv und könnten jede Unternehmenstätigkeit verunmöglichen. Insbesondere darf die Verhängung von einstweiligen Verfügungen nicht als Ersatz für eine Untersuchungshaft missverstanden werden.

 

zu § 22:

Die Durchführung der Hauptverhandlung, ohne daß der beteiligte Verband vertreten ist, ist nur dann zulässig, wenn die Vorladung zur Hauptverhandlung wirksam zugestellt wurde. Es

wird nochmals darauf hingewiesen, dass Zustellungen, die den Verband betreffen, nicht an Organwalter erfolgen dürfen, die selbst als Individualtäter beschuldigt sind (siehe die Ausführungen zu § 15).

 

25 Ausfertigungen der Stellungnahme wurden dem Präsidium des Nationalrates übermittelt; weiters wurde die Stellungnahme an begutachtungsverfahren@parlament.gv.at übersandt.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Dr. Christoph Leitl         Dr. Reinhold Mitterlehner

Präsident Generalsekretär-Stv.

 



[1] Zweites Protokoll vom 19.6.1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl 1997 C 221, 11).

[2] Sämtliche persönlich haftende Gesellschafter einer Personengesellschaft sind zur Geschäftsführung grundsätzlich berechtigt und verpflichtet; eine Fremdgeschäftsführung kommt nicht in Betracht.

[3] Zweites Protokoll vom 19.6.1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl 1997 C 221, 11).

[4] Es können nur solche Straftaten bzw Ordnungswidrigkeiten einer juristischen Person bzw Personenvereinigung zugerechnet werden, die jemand als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstands, als vertretungsberechtigter Gesellschafter eine Personenhandelsgesellschaft oder als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person bzw Personenvereinigung begangen hat (§ 30 dt OWiG).