Stellungnahme der Sachverständigen am

Institut für gerichtliche Medizin der Med.Univ. Wien

zur geplanten Änderung der § 119 und 128 StPO

A- 1090 Wien, Sensengasse 2; 4277-657 01

 

Zu § 119 StPO:

Gültige Version:

§ 119. (1) Die Wahl der Sachverständigen steht dem Untersuchungsrichter zu. Sind solche für ein bestimmtes Fach beim Gerichte bleibend angestellt, so soll er andere nur dann zuziehen, wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn jene durch besondere Verhältnisse abgehalten sind oder im einzelnen Fall als bedenklich erscheinen.

 

Geplante Version:

§ 119. (1) Die Wahl der Sachverständigen steht dem Untersuchungsrichter zu. Sind solche für ein bestimmtes Fach beim Gerichte bleibend angestellt, so soll er andere nur dann zuziehen, wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn jene durch besondere Verhältnisse abgehalten sind oder im einzelnen Fall als bedenklich erscheinen. Als Sachverständiger kann auch der Leiter eines Institutes einer Uni­ver­sität bestellt werden, der mit Befundaufnahme und Gutachten einen oder mehrere Instituts­an­gehörige unter seiner Verantwortung beauftragen kann, soweit diese die Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sach­ver­ständigen (§ 2 SDG) erfüllen.

 

1. Unterlaufung der Sachverständigeneintragung:

Die Bestellung eines Leiters eines Universitätsinstituts, der Angehörige seines Institutes mit der Begutachtung beauftragen kann, soweit diese die Eintragungsvoraussetzungen in die Sachverständigenliste erfüllen, führt zu einer Unterlaufung der direkten Be­stellung eingetragener Sachverständiger (SV) durch das Gericht oder - im Ein­zel­fall – besonders qualifi­zierter, aber nicht als SV einge­tragener Experten aus Uni-Instituten, wobei die Un­mittel­barkeit der Befundaufnahme durch den SV und auch die Kenntnis der Verfahrensvorschriften, auf die für den eingetragenen SV zunehmend Wert gelegt wird, hier völlig unberücksichtigt bleiben.

 

2. Einflussnahme auf den Gutachter statt Unabhängigkeit:

Die beabsichtigte Regelung, dass der Leiter eines Instituts als Sachverständiger bestellt werden, dieser dann seinerseits einen ihm weisungsunterworfenen Mitarbeiter mit dieser Aufgabe betrauen kann, bringt weiters die Gefahr der direkten Ein­fluss­nahme des Leiters gegenüber seinem ihm dienst- und
dis­zi­plinarrechtlich Untergebenen dar, was diesen u.U. in der Erstellung seines Gutachtens wesentlich beeinflussen und einschränken kann (und möglicherweise auch wird).

Aufgabe eines Gutachters aber ist, dass er ungeachtet irgend welcher Strukturen nach eigenem Wissen und Gewissen seine fachlich fundierte Äußerung abgibt. Damit ist er auch direkt und nicht über ihm möglicherweise übergeordnete Strukturen anzusprechen.

 

Dies auch deshalb, weil zuweilen nur er zu beurteilen hat, ob er in einer Causa persönlich oder fachlich befangen ist oder nicht.

Der Hinweis in den dazu ergangenen „Erläuternden Bemerkungen“ auf die erfolgte Prüfung der Gebarung der Medizinischen Uni­versität Wien durch den Rechnungshof greift ins Leere: Der Rechnungshof ist in seinem Rohbericht keineswegs zum Ergebnis gekommen, dass es auch Aufgabe des Leiters etwa eines ge­richts­medizinischen Institutes zu sein hat, ihm unter­stellte, zur freien Berufsausübung berechtigte Fach­ärzte, die direkt von Behörden und Gerichten als unabhängige (!) Gutachter bestellt worden sind, in dieser ihrer eigenverantwortlichen Gutachtertätigkeit in auch nur irgend welcher Weise einzu­schränken, zu beeinflussen, zu supervidieren.

Das widerspricht dem Grundsatz der Unmittelbarkeit und gutachterlichen Unabhängigkeit.

 

3. Institutsvorstand als Obergutachter:

Zweifellos erhielte durch diese Neuregelung der Leiter

eines Instituts einer Universität die Funktion eines

„Ober­gut­achters“.

 

Zu § 128:

Gültige Version:

§ 128. (1) Die Leichenbeschau und Leichenöffnung ist durch einen oder nötigenfalls zwei Ärzte (§ 118 Abs. 2) nach den dafür bestehenden besonderen Vorschriften vorzunehmen.

 

Geplante Version:

§ 128. (1) Die Leichenbeschau und Leichenöffnung ist durch den Leiter eines Instituts für gerichtliche Medizin einer Universität (§ 119 Abs. 1 letzter Satz) nach den dafür bestehenden besonderen Vorschriften vorzunehmen.

(2) ...

 

1. Gerichtliche Obduktionen als ausschließlich universitäre Aufgabe?

Gerichtliche Obduktionen sind nicht primäre Aufgabe eines Univer­sitäts­institutes – vielmehr sind dies Wissenschaft, Lehre und Forschung. Auch laut dem Rechnungshofbericht wären Begutachtungen etwa am Wiener Institut auch in geringerem Umfang aus­reichend, um die universitäre Funktion zu erfüllen.

Die vorgesehene Änderung führt weiters dazu, dass die Erfül­lung dieser straf­prozessualen Regelung eine Abhängigkeit von den privatrechtlichen Einrichtungen der Universitäten schafft.

 

2. Entscheidungsfreiheit und freie Berufsausübung des Fach­arztes:

Die freie Berufsausübung des Facharztes für gerichtliche Medizin wird verhindert, weil er - in- und außerhalb eines Universitätsinstitutes - nicht mehr für Leichenöffnungen zum SV bestellt werden kann, obwohl die Abgabe von Gutachten und die Durchführung von Leichenöffnungen nach § 2 Ärzte­gesetz dezidiert eine fachärztliche Kompetenz darstellt.

 

Leichenöffnungen im Gerichtsauftrag werden aber auch derzeit nicht nur in Universitätsinstituten für gerichtliche Medizin sondern auch in öffentlichen Krankenhäusern durch Fachärzte und Sachverständige für gerichtliche Medizin österreichweit durchgeführt, wobei hier eine persönliche Bestellung der SV´s durch das Gericht die Regel ist.

Die derzeit am Wiener Institut zumeist geübte Praxis ist, einen SV namentlich, einen unbenannten Arzt, den Leiter des Instituts oder das Institut zu bestellen, dies jeweils mit der Anweisung, den die Obduktion in Universitätsinstituten nach vorher feststehenden Dienstplänen dann durchführenden Arzt als SV zu benennen, der somit der direkt bestellte, eigen- und letztverantwortliche Sachverständige ist.

 

In Zukunft werden – entsprechend den Bestimmungen des Dienst­rechts, das eine unbefristete Anstellung von Mittelbau­ange­hörigen der Uni nicht mehr vorsieht, vermehrt Fachärzte für ge­richtliche Medizin als niedergelassene Ärzte oder in nicht-universitären Instituten als Sachverständige tätig werden, da überhaupt keine Möglichkeit für ein Verbleiben an der Univer­sität besteht. Für diesen Personenkreis wird auf diesem Weg ein Berufsausübungsverbot für wesentliche Teile des Fachge­bietes verhängt, was für die Berufswahl und Qualität der FA f. Gerichtsmedizin mittel­fristig nicht ohne Folgen bleiben kann.

 

3. Monopolstellung ohne Alternativen:

Die Bestimmung schafft hingegen eine, verfassungsrechtlich be­denk­liche Monopolstellung für gerichtliche Obduk­tionen für 4 Personen in ganz Österreich, mit allen daraus sich erge­ben­den Konsequenzen.

 

Für das Gericht besteht keine Auswahlmöglichkeit mehr, für alle oder auch nur für bestimmte Fälle einen Sachverständigen direkt zu bestimmen.

 

Für Parteienvertreter ist die Ablehnung eines SV unmöglich, weil es keine Alternative mehr gibt.

 

Die Meinung eines einzigen Sachverständigen ist – etwa für das Wiener Institut -  in allen, im Gerichtsauftrag obduzierten To­des­­fällen (ca. 1000/Jahr) in einem Einzugsgebiet von rund 2,5 Mil­lionen Staats­­bürgern ausschlaggebend, wobei gerade in dieser Situ­ation darauf hinzuweisen ist, dass der Wiener Instituts­leiter in den letzten 3 Jahren nur eine einzige gerichtliche Leichen­öffnung mit Gutachtenserstattung durchgeführt hat.

 

Es gibt dann auch keine Möglichkeit einer gutachterlichen Über­­prüfung oder eines qualifizierten Gegengutachtens mehr, da die übrigen Sachverständigen bereits durch die Formulierung des § 128 als Sachverständige zweiter Wahl in ihren Berufs­rechten beschränkt sind.

 

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass bei der bis­herigen Regelung des § 128 Abs. 1 StPO auch von einem Vier­augenprinzip ausgegangen worden ist („... oder nötigenfalls zwei Ärzte ...“).

Die in Aussicht gestellt Norm ersetzt dieses Wissen und diese Fähigkeit durch eine Person, die damit in den — übrigens durch keine gesetzliche oder sonstige Vor­schrift gedeckten — Status eines „Überfacharztes“ versetzt wird.

Auch hier wird dem Grundsatz der Gleichheit in seinen mehr­fachen Facetten widersprochen.

 

4. Unabhängigkeit und Objektivität des Gutachters:

Der Leiter eines Uni-Institutes ist eingebunden in die Organi­sationsstruktur der Universität und wird auch in Zukunft nicht auf Lebenszeit als Leiter bestellt, sodaß Objektivität und Un­abhängigkeit nicht gewährleistet sind, dies in Kenntnis der vielfachen Möglichkeiten der Einflussnahme auch auf den Insti­tuts­leiter und von der Leitung ausgehend bis zur Auswahl des Sachbearbeiters und Entscheidung über die Endausfertigung eines Gutachtens.

 

Zu denken ist hier nicht nur an Fälle mit Öffentlichkeits­interesse, wie nach fraglichen Todesfällen im Zusammenhang mit Behördenaktivität, sondern auch an die Obduktionen im Zu­sammenhang mit Fragen nach ärztlichem Fehl­verhalten.

 

Darüber hinaus bestehen zunehmende Verflechtungen und auch vertragliche Vereinbarungen der Universitätsinstitute mit dem Innenministerium über die kontinuierliche Beauftragung mit DNA-Untersuchungen für die Datenbank sowie ein Druck der Uni­versität als vollrechtsfähige Einheit zum Erbringen bezahlter Leistungen – dies alles über die Personen der Institutsleiter, sodaß auch auf diesen Ebenen eine Unab­hängigkeit nicht immer und in allen Situationen als gegeben angenommen werden kann.

 

5. Unmittelbarkeit, Weisung und Haftung bei Befundaufnahme und Gutachten:

Die Bestimmung des § 128 „ist durch den Leiter.. vorzunehmen“ steht im Widerspruch zur geplanten Ergänzung des § 119, der eine Weitergabe der eigentlichen Sachverständigentätigkeit, also der Befundaufnahme und Gutachtenserstattung an Instituts­angehörige vorsieht.

 

Eine Durchführung aller gerichtlichen Obduktionen durch eine Person ist nicht möglich.

 

Die Weitergabe von Befundaufnahme und Gutachtenserstattung steht aber im Gegensatz zur Verpflichtung sowohl des Arztes als auch des Sachverständigen, unmittelbar und per­sönlich die Befund­aufnahme durchzuführen und das Gutachten zu erstatten.

 

Entsprechend den bisherigen Gerichtsentscheidungen kommt der Befundaufnahme und Gutachtenserstattung durch den direkt bestellten Sachverständigen große Bedeutung zu (z.B. Ent­scheidung des OLG Wien 22.2.83, 4R 19, 20/83; OLG Wien 12.8.1987, 12R 129/87). Demzufolge ist der vom Gericht bestellte SV grundsätzlich nicht berechtigt, die Gutachtens­erstattung anderen Personen zu übertragen. Die Übertragung von Teilleistungen ist möglich, die ausführenden Personen sind dann als „Hilfskräfte“ beizuziehen, die ohne Eigenver­ant­wortung zuzuarbeiten haben, denen präzise, fachliche Anweisungen zu geben sind.

 

Die erläuternden Bemerkungen des Entwurfes, die sich mit der Ge­bührenbestimmung befassen, geben ebenfalls wieder, dass der, Befund und Gutachten tatsächlich erstellende Arzt als Hilfs­kraft anzusehen wäre, da er keinen direkten Gebührenanspruch gegenüber dem Gericht mehr hätte.

 

Dies bedeutet aber, dass Fachärzte und selbst eingetragene SV´s in Zukunft nur mehr über direkte Weisung als Hilfskräfte bei Obduktionen tätig werden können, was sich mit der Funktion und Qualifikation der Betroffenen nicht in Einklang bringen läßt.

 

Weiters würden sich daraus nicht abschätzbare Haftungs­probleme, sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber Parteien ergeben.

 

Der dann mit der Durchführung durch den Leiter beauftragte Arzt wäre nur disziplinär, über die Bestimmungen des Dienst­rechts anzuhalten, nicht aber über das Gericht, da ihm ja keine Ent­scheidungskompetenz über die Art und Weise der Be­fundaufnahme und die Erstellung des Gutachtens letzt­ver­ant­wortlich mehr zukäme.

 

Auch eine Ablehnung des Gutachtensauftrages, zu der ein SV in Einzelfällen, etwa bei Befangenheit verpflichtet ist, könnte nicht mehr dem Ge­richt direkt mitgeteilt werden.

 

Eine Notwendigkeit, warum gerade im Bereich des, an sich engen Personenkreises der Fachärzte und SV´s für Gerichtsmedizin eine Kompetenzbeschneidung mit Verlust der fachärztlichen und gutachterlichen Unabhängigkeit der eingetragenen Sach­ver­ständigen erfolgen sollte, ist nicht zu erkennen.

 

6. Erstattung von Obduktionsgutachten und Kosten:

Das Sachverständigengesetz aber auch der Erlaß des Justiz­ministeriums (BMJ vom 27.5.2004, 425.001/0001-II3/2004) sehen in zunehmendem Umfang vor, dass bei der Auswahl der Sach­ver­ständigen auf Qualität, rasche Erledigung und geringe Kosten Bedacht zu nehmen ist.

 

Bei Schaffung eines Monopols für den Bereich der Leichen­öf­fnungen ist aber keine Auswahlmöglichkeit für das Gericht unter den einzelnen, in der Liste eingetragenen SV´s und damit auch keine weitere Einflussmöglichkeit mehr gegeben.

 

Die in den Erläuterungen angesprochenen „besonders kosten­inten­siven und hohen wissenschaftlichen Standard voraus­setzenden Obduktionsgutachten“ werden bereits jetzt von Fach­ärzten und Sachverständigen in dieser Weise erledigt, wobei es für die Bearbeitung der Fälle auf die Kompetenz und Sachkunde des einzelnen Sachverständigen, nicht aber auf die universi­täre Institution ankommt.

 

Auch bei komplexen Fragestellungen ist es jeweils der einzelne Sachverständige, der Befund und Gutachten persönlich zu er­stellen und zu vertreten hat, dabei zusätzliche Befunde, wie etwa toxikologische Untersuchungsergebnisse oder spuren­kundliche Befunde einbezieht.

 

Im Zusammenhang mit dem Begriff „kostenintensiv“ ist darauf hinzuweisen, dass etwa die Gebühr für Befund und Gutachten in komplizierten Fällen seitens des Gebührenanspruchsgesetzes mit € 159,80 (§ 43/1/2/d GebAG) festgesetzt ist.

 

Von vorneherein wird nunmehr in Kauf genommen, dass ein vom Gericht bestellter Sachverständiger mit der Befundaufnahme und Erstattung des Gutachtens gar nicht mehr befasst gewesen ist, somit eine bloße formale Stellung, aber ausgestattet mit allen Rechten einnehmen würde, eine Position, die im krassen Gegen­satz zu den sonst geforderten Rechten und Pflichten des Sach­verständigen steht.

Auch ist nicht einzusehen, weshalb im Gegenstand nicht die Gesetze des freien Marktes gelten sollen, wie sie in allen Beschlüssen der EU immer wieder deutlich zum Ausdruck kommen, und Gutachten österreichweit plötzlich zum Monopol von vier Personen werden, obwohl auch andere Fachärzte und Sachver­ständige ausdrücklich die dafür nötige Qualifikation auf­weisen.

Dass die Stellung eines unabhängigen, in seiner freien Fach­meinung unbeeinflussten Gutachters nicht mit der eines weisungsunterworfenen Dienstnehmers verquickt werden kann, liegt auf der Hand. Die Frage der Organisation eines Instituts als Gradmesser für diese, den Grundsätzen der österreichischen Verfassung zuwiderlaufende Neuregelung heranzuziehen, ist nicht nur der unrichtige, sondern jener Ansatz, der den Grundsatz, der das Recht der freien Meinungsäußerung — und damit eines der fundamentalen Grundsätze jeder Demokratie — gröblichst missachtet.

Die relative Vielfalt der Sachverständigen für Gerichtsmedizin und ihre Unabhängigkeit, auch gegenüber einem Dienstgeber Universität aufgrund der direkten Bestellung als Sachver­ständiger war in den letzten Jahrzehnten ein Garant für die Erstellung qualitativ hochwertiger Gutachten mit der immer bestehenden Möglichkeit der Überprüfung durch andere, eben­falls unabhängige Sachverständige.

Deswegen kann den geplanten Änderungen der StPO nicht zugestimmt werden.

Es ist vielmehr zu verlangen, dass die geltende Bestimmung des § 119 unverändert aufrecht bleibt.

Um den hohen, wissenschaftlichen Standard, der für Obduktions­gutachten von den Gerichten vorausgesetzt wird, soll der § 128 wie folgt lauten:

 „Die Leichenbeschau und Leichenöffnung ist durch einen oder nötigenfalls zwei Fachärzte und Sachverständige für Gerichts­medizin nach den dafür bestehenden, besonderen Vorschriften vor­zunehmen.“