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Bundesministerium für Verkehr, Innovation und
Technologie
Radetzkystraße 2 |
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1031 Wien
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Wien, am 19. November 2004
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Infar
erlaubt sich in der Folge zum geplanten „Vormerksystem“ wie folgt Stellung zu
nehmen. Wir beziehen uns dabei auf das Schreiben der Sektion
Verkehrspsychologie des BÖP (Berufsverband der österreichischen Psychologinnen
und Psychologen).
zu § 7 Abs. 3 Z. 4:
Die
Inbetriebnahme eines Kfz mit offensichtlichen technischen Mängeln stellt aus
verkehrspsychologischer Sicht ein besonders gravierendes Delikt dar, weil es
als "Vorsatzdelikt" gewertet werden muss. Der Lenker nimmt das Kfz in
vollem Bewusstsein einer Normverletzung in Betrieb. Die Entscheidung für das
Fehlverhalten liegt schon vor der Fahrt und beinhaltet auch ein hohes
Gewöhnungspotenzial (jede Fahrt mit diesem Fahrzeug stellt eine Normverletzung
dar). Die Problematik dieser Lenkergruppe zeigt auch eine Spezialauswertung des
deutschen Verkehrszentralregisters (Barthelmess, 1990), wonach Lenker, die sich
nicht um den Zustand ihres Fahrzeugs kümmern, besonders häufig mit einer Vielzahl anderer Eintragungen
belastet sind. Sie sind es offenbar gewöhnt, sich über Verkehrsregeln
hinwegzusetzen, und stellen damit einen Prototyp eines Hochrisikolenkers dar.
Das Lenken von
Fahrzeugen in schlechtem technischen Zustand sollte daher als Entzugsdelikt beibehalten werden.
zu § 7 Abs. 3 Z. 15:
Bei
weiteren Eintragungen im Vormerksystem trotz der erfolgten Teilnahme an einer
besonderen Maßnahme gemäß § 30b ist ein Entzug der Lenkberechtigung wegen
mangelnder Verkehrszuverlässigkeit vorgesehen. Bei dieser Gruppe der
Rückfalltäter ist allerdings zu befürchten, dass der LB-Entzug allein zu keinem
entscheidenden Sinneswandel führen wird. Dies zeigen u.a. die umfangreichen
Erfahrungen aus früheren Jahren, als bei alkoholauffälligen Lenkern LB-Entzug
und Verwaltungsstrafe noch die einzigen Konsequenzen waren und dabei sehr hohe
Rückfallquoten beobachtet werden mussten. Es sollte daher bei Rückfalltätern unbedingt
vor der
Wiedererteilung der LB eine verkehrspsychologische Untersuchung vorgeschrieben
werden. Darin kann dann geprüft werden, ob eine entscheidende Veränderung in
Einstellung und Verhalten erkennbar ist, oder ob zusätzliche Maßnahmen zu
Wiederherstellung der Fahreignung gesetzt werden müssen.
zu § 30a Abs. 1:
Das
Vormerksystem enthält Delikte höchst unterschiedlichen Gefährdungspotenzials.
Es wäre daher zu überlegen, eine Gewichtung vorzunehmen (Leitlinien könnten der vorhandene
Strafgeldkatalog oder das deutsche Punktesystem sein) und besondere Maßnahmen
nach 30b vom Erreichen einer bestimmten Punktezahl abhängig zu machen.
zu § 30a Abs. 2:
Ø Der Deliktkatalog des
Vormerksystems weist eine gravierende Lücke auf: das Problem überhöhter
/ unangepaßter Geschwindigkeiten im Straßenverkehr. Diese Delikte sind in
den Statistiken des BMI seit Jahren eindeutig die Hauptursache bei tödlichen
Verkehrsunfällen vor allem bei
"ungeschützten" VerkehrsteilnehmerInnen innerorts
(Tötungswahrscheinlichkeiten, siehe Unfallstatistik 2002, KfV 2003; über ein Drittel aller
tödlichen Unfälle ist auf nicht angepasste Geschwindigkeit zurückzuführen - die zweitwichtigste
Ursache (Vorrangverletzungen) überspringt nur knapp die 10%-Grenze!)
Diese
Lücke wird auch dadurch nicht geschlossen, dass der vorliegende Entwurf bei
zwei extremen Geschwindigkeitsdelikten (mehr als 40 km/h innerorts oder mehr
als 50 km/h außerorts) innerhalb von zwei Jahren eine zwingende Nachschulung
(die prinzipiell sehr zu begrüßen ist) vorsieht.
Will man
mit dem Vormerksystem ernsthaft etwas gegen die Ursache Nr. 1 bei tödlichen
Verkehrsunfällen tun, so sollten zumindest gravierende Verletzungen des
Tempolimits (mehr als 10 km/h innerorts oder mehr als 30 km/h außerorts) eine Vormerkung nach sich
ziehen. Dadurch würden Delikte berücksichtigt werden, deren
Gefährdungspotenzial deutlich über dem anderer im Katalog schon enthaltener
Delikte liegt.
Vorschlag: Zusatz zum Deliktkatalog:
Der im Gesetz genannte Tatbestand "unangepasster Geschwindigkeit" sollte operationalisiert und überprüfbar gemacht
werden. Verstöße
sollten innerhalb des
Ortsgebietes geahndet
werden
zu § 30b Abs. 3:
Als besondere Maßnahmen sollten
(aus Gründen der Verkehrssicherheit, aber auch des Konsumentenschutzes)
prinzipiell nur solche gelten, die in einem schlüssigen Zusammenhang zu den
gesetzten Delikten stehen und deren Wirksamkeit durch Evaluationsstudien
belegt ist. Beide Forderungen werden gegenwärtig weder von den im Entwurf
genannten "Perfektionsfahrten" und dem
"Fahrsicherheitstraining" noch von den "Unterweisungen in
lebensrettenden Sofortmaßnahmen" erfüllt.
Für alle
drei Maßnahmen fehlt der Nachweis der Wirksamkeit bei Risikolenkern. Das
„Fahrsicherheitstraining“ z.B. bringt internationalen Erkenntnissen zufolge
keine Besserung im Verhalten und den vorgeschalteten Einstellungen, sondern
bedeutet eine "verfeinerte Vermittlung von Fahrfertigkeiten" -
hauptsächlich beim Handling und der Fahrzeugführung. Mehrere Studien haben sogar
gezeigt, dass dies einen Anstieg von riskanten Verhaltensweisen zur Folge
haben kann (vgl. z.B. Siegrist & Ramseier 1992; neuere Ergebnisse siehe http://www.bfu.ch/forschung/ergebnisse/index.htm#Forschungsergebnisse%20Strassenverkehr). Der
Trainierte glaubt sich im Besitz höhere Fahrfertigkeiten und beginnt damit erst
recht, sich gefährliche Situationen auszusuchen, zu deren Bewältigung er/sie
sich nun fähig fühlt ("It is will, not skill, that
is the problem").
Im
Gegensatz dazu liegen zur Effizienz psychologischer Rehabilitationsmaßnahmen
seit vielen Jahren umfangreiche und überzeugende Daten vor (vgl. dazu z.B. das
EU-Projekt ANDREA). Hier wird in Form eines Einstellungs- und
Verhaltenstrainings das hinter dem Fehlverhalten liegende Bedingungsgefüge
aufgearbeitet und konkrete Strategien zur Vermeidung weiterer Delikte
entwickelt.
Da es generell um
den Versuch von Verhaltens- und vor allem Einstellungsänderung gehen muß, sind
psychologische Maßnahmen angemessen. Wie schon derzeit im Rahmen der FSG-NV
praktiziert, kann aufgrund des spezifischen Fachwissens in den für die
Nachschulungen ermächtigten Stellen dort am besten eingeschätzt werden, welche
Maßnahme sich für den jeweiligen Delinquenten am besten eignen würde. Für
Wiederholungsfälle innerhalb von fünf Jahren ist hier auch schon durch die
FSG-NV eine entsprechende Vorsorge getroffen worden, die sowohl theoretisch
als auch aus der praktischen Erfahrung heraus Sinn macht.
Weiters
ist nicht erkennbar, bei welchen Delikten die drei oben genannten Maßnahmen
überhaupt sinnvollerweise zum Einsatz kommen sollten. Welche Wirkung soll z.B.
eine Perfektionsfahrt oder ein Fahrsicherheitstraining auf Lenker haben, die
Alkoholdelikte oder Rotlichtverletzungen setzen, den Pannenstreifen einer
Autobahn befahren oder mit technisch mangelhaften Fahrzeugen unterwegs sind?
zu § 31 Abs. 3:
Bei Mopedlenkern unter 16
Jahren ist es seit dem Wegfall des verkehrspsychologischen Screenings (Ende
2002) zu einem massiven
Anstieg der Verkehrsunfälle gekommen (2003: 663 gegenüber 2002: 232 !
). Der im vorliegenden Entwurf vorgesehene Ersatz der Bestätigung der Schule
oder des Arbeitgebers durch eine 8-stündige praktische Schulung beseitigt zwar
vielleicht gewisse "Unzufriedenheiten", geht aber am Kernproblem der
mangelnden Verkehrssicherheit vorbei. Die Erfahrungen aus den
verkehrspsychologischen Screenings haben gezeigt, dass im Durchschnitt rund 20%
der Antragsteller unter 16 Jahren aufgrund von Reifedefiziten ungeeignet zum
Lenken von Mopeds sind. Hauptgründe waren hier u.a. deutlich erhöhte
jugendliche Unbekümmertheit mit mangelnden Sicherheits- und Verantwortungsbewusstsein,
erhöhte Risikobereitschaft usw.
Diese Defizite sind durch eine praktische Schulung (die sich ja
schwerpunktmäßig dem Handling des Fahrzeugs widmet) nicht zu kompensieren. Es
ist daher dringend die Wiedereinführung des verkehrspsychologischen Screenings für Mopedlenker
unter 16 Jahren anzuraten.
Dr.
Christine Chaloupka-Risser