Stellungnahme im Rahmen des Begutachtungsverfahrens

zu dem

Bundesgesetz mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz erlassen sowie das Fremdengesetz 1997, das Gebührengesetz 1957, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Kinderbetreuungsgeldgesetz geändert wird

 

Die Stellungnahme bezieht sich auf die mit der INTEGRATION zusammenhängenden Absätze des Gesetzes (insbesondere §§ 14-16)

 

 

1. Generelle Beurteilung aus fachlicher Sicht

 

1.1 Integration

Integration ist ein zweiseitiger Prozess, der nicht nur von den Zuwanderern, sondern auch von der Aufnahmegesellschaft Anstrengungen und eine Bereitschaft zur Öffnung erfordert.

-         Integration in das Aufnahmeland erfordert ein gezieltes Angebot an die Zuwanderer und ihre Familien, die Landessprache zu erlernen,

-         Integration in das Aufnahmeland schließt eine Angleichung der rechtlichen, sozialern und ökonomischen Rahmenbedingungen der Migranten an die Standards des Aufnahmelandes ein,

-         Integration bedeutet, auch die Herkunftssprachen und Herkunftskulturen der Zuwanderer zu respektieren und ihnen dazu Bildungsangebote zu machen.

-         Integration gibt der Aufnahmegesellschaft die Chance, die Anwesenheit der Migranten und ihrer Familien als Gelegenheit der kulturellen Öffnung und Erweiterung zu nutzen.

 

Es ist daher richtig, dass in den Erläuterungen zu § 14 NAG Integration als ein solcher zweiseitiger Prozess charakterisiert und der Zweck des Gesetzes nicht im „Zwang zur Assimilation“ gesehen wird.

Es ist bedauerlich, dass im Gesetzestext selbst die in den Erläuterungen formulierten Ziele nicht umgesetzt sind: das Gesetz modelliert Integration als einseitigen Prozess, bei dem allein die Migranten durch Besuch von Kursen, deren Kosten sie weitgehend selbst zu tragen haben, eine Anpassungsleistung (= Assimilation) erbringen müssen.

 

1.2 Integrationsförderung

Es ist unbestritten, dass Zuwanderer, die dauerhaft in Österreich leben wollen, Deutsch lernen müssen. Allerdings sind Sprachkenntnisse für die Integration eine notwendige, nicht jedoch eine hinreichende Bedingung.

 

Es ist daher zu begrüßen, dass § 17 ausdrücklich die Möglichkeiten einer über Sprachkurse hinausgehenden Integrationsförderung eröffnet. Bedauerlich ist, dass dies lediglich als Kann-Bestimmung formuliert wurde.

 

1.3 Erstsprache - Zweitsprache

Sprache spielt für die Herausbildung der menschlichen Identität eine zentrale Rolle: durch unsere Erstsprache wird es uns möglich, uns als Ich zu begreifen und zu artikulieren. Der mit Migration verbundene Sprachwechsel gelingt umso besser, je weniger er als Bedrohung für die Erstsprache angesehen wird. Die Europäische Union hat daher in ihren Programmen für das Zusammenleben von Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen immer wieder als Grundsatz den Respekt vor und den Erhalt von mitgebrachten Sprachen und Kulturen formuliert: „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“, heißt es in der am 7. Dezember 2000 in Nizza unterzeichneten Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Es ist bedauerlich, dass von diesem europäischen Verständnis von Integration in dem Gesetzentwurf nichts zu spüren ist, die Anwesenheit von Zuwanderern nicht auch als Bereicherung empfunden und eine Anerkennung ihrer Sprachen ausgedrückt wird.

 

 

1.4 Erwerb der deutschen Sprache

Spracherwerb ist nur unter bestimmten  Bedingungen erfolgreich. Dazu gehören nach unserem heutigen Kenntnisstand eindeutig

 

a)       eine positive Sprachlernmotivation als Kern des Lernerfolgs:

          Die  Verknüpfung der vorgesehenen Sprachkurse mit Sanktionen, die von Geldstrafen bis zur Ausweisung reichen, widerspricht jeder sprachpsychologischen und sprachpädagogischen Erkenntnis;

 

b)      eine Orientierung an den Lernvoraussetzungen:

          Es ist insofern zu begrüßen, dass im Gesetzentwurf für nichtalphabetisierte Menschen ein ‚Alphabetisierungsmodul’ vorgesehen ist. Die Konstruktion beruht allerdings auf der irrigen Annahme, dass nach erfolgter Alphabetisierung alle in Frage kommenden Menschen in gleichartigen Kursen ‚gleich’ lernen.

          Eine Unterscheidung zwischen Lernungewohnten, die nur eine geringe, evtl. weit zurück liegende Schulbildung haben, und solchen, die bereits lernerfahren sind, ist jedoch durchgängig erforderlich.

          In Schweden z.B. gibt es unterschiedliche Kursangebote je nachdem, ob jemand 0-5, 5-8 oder 9 und mehr Jahre Schulbildung mitbringt.

          Vollends problematisch wird die Festlegung auf ein einheitliches Modul 2 durch die Einbeziehung von Schülern und Studierenden;

 

c)       die Möglichkeit, das Gelernte auch anzuwenden:

          Die Verwendung der deutschen Sprache beginnt bei Zuwanderern, so zeigen alle vorliegenden Untersuchungen, dann, wenn diese im nichtghettoisierten Wohnumfeld oder am Arbeitsplatz gebraucht werden kann. Maßnahmen, die die „Kontaktqualität“ erhöhen, fehlen im Gesetzentwurf bedauerlicher Weise.

Insbesondere wäre es unsinnig, Schüler und Studierende in separaten Integrationskursen Deutsch lernen zu lassen und sie damit aus dem ‚natürlichen deutschsprachigen Umfeld’, in dem der Spracherwerb ziel- und kontextbezogen erfolgt, zu entfernen -

 

d)      die Zumutbarkeit:

          Zuwanderer sind vielfach Menschen mit gravierenden Existenzsorgen: wer um die Aufenthaltsbewilligung bangt, wer Probleme der materiellen Existenzsicherung hat, wer den Tag über anstrengende Arbeit verrichtet und sich evtl. auch noch um Haushalt und Kinder kümmern muss, dem fällt das Sprachenlernen schwer. Sprachlernangebote sollten diesen Druck nicht noch durch Kursgebühren, Geldstrafen und Ausweisungsdrohungen verstärken, sie müssten vielmehr erleichternde Bedingungen schaffen wie z.B. begleitende Kinderbetreuung, Koordination mit der Berufstätigkeit und Arbeitszeit.

 

e)       die Einbeziehung der Herkunftssprachen der Zuwanderer: Eine Zweitsprache – so der seit vielen Jahren gesicherte Erkenntnisstand der Wissenschaft – wird dann besonders erfolgreich gelernt, wenn sie die mitgebrachten Sprachen einbezieht und auf diesen aufbaut.

          Europarat und Europäische Union verfolgen auf der Basis dieser Erkenntnisse seit gut 30 Jahren eine konsequente Sprachenpolitik, indem alle entsprechenden Entschließungen darauf abzielen, dass die Integration Anderssprachiger durch Angebote in der Landessprache unter Achtung der Sprache und Kultur des Herkunftslandes erfolgen solle.  Dabei wird darauf hingewiesen, dass gründliche Kenntnisse der eigenen Muttersprache(n) das Erlernen der Zweitsprache erleichtern (vgl. EDUC 155: 14757/01, Brüssel 10.1.02).

          Es ist bedauerlich, dass es weder entsprechende Hinweise noch gar Maßnahmen gibt, um eine Einbeziehung des vorhandenen Sprachbesitzes der Zuwanderer zu fördern;

 

f)       Zeit:

          Für die Entwicklung der Muttersprache und das Hineinwachsen in die Gesellschaft des Heimatlandes stehen dem Menschen viele Jahre unter in der Regel optimalen Bedingungen zur Verfügung. Es ist völlig unrealistisch zu glauben, dass Zuwanderer diesen Prozess unter erheblich ungünstigeren Verhältnissen innerhalb von ein oder zwei Jahren leisten können. Je nach individueller Lage und Migrationskontext kann der Prozess des Ausbalancierens der mitgebrachten Sprachen und soziokulturellen Prägungen mit Sprache und den Werten und Strukturen der Aufnahmegesellschaft sich über viele Jahre hinziehen.

          Es ist daher richtig, dass der Gesetzentwurf diesem Prozess gegenüber dem Fremdengesetz nunmehr mehr Zeit einräumt. Fixe, strafbewehrte Fristen werden aber der Komplexität des Integrationsprozesses nicht gerecht und werden im Einzelfall innerhalb dieser Fristen trotz ernsthafter Bemühungen nicht zu leisten sein.

 

1.5  Sprachlernprozess

          Sprachlehrforschung und Sprachpsychologie sind sich darin einig, dass Sprachenlernen ein sehr individueller und nichtlinearer Prozess ist – die Anpassung der Lehrmethoden wie der Unterrichtsinhalte an die Lebenswirklichkeit und die Lerndispositionen sind daher besonders wichtig.

          Mit der Ausweitung der Gruppen, für die die Integrationsvereinbarung verpflichtend ist, wird die Heterogenität der Lerngruppe größer: Studierende können als lerngewohnt eingestuft werden, für sie sind Lesen und Schreiben vertraute und auch in der deutschen Sprache wichtige kommunikative Aktivitäten, während Arbeitskräfte, die vorwiegend manuelle Arbeiten verrichten (um dies vereinfachend zu typisieren), möglicherweise eher lernungewohnt sind; für sie steht die mündliche Kommunikation im Zentrum.

          Es ist daher falsch und nicht zielführend, alle einem einheitlichen Curriculum zu unterwerfen und in gleichem Maße für alle das Lesen und Schreiben ins Zentrum zu rücken.

 

1.6 Qualifikation der Lehrkräfte

          Ein besonderes Augenmerk muss bei dem Angebot von Integrationsmaßnahmen auf die Qualifikation von Lehrkräften gerichtet werden. Für Sprachkurse von Zuwanderern ist zusätzlich zu den sprachdidaktischen eine spezifische sozialpsychologische Qualifikation erforderlich, so dass die Lehrkräfte in den meisten europäischen Ländern zusätzlich zur vorhandenen Lehrerfahrung und Grundqualifikation eine verpflichtende Weiterbildung für die speziellen Aufgaben erhalten. Hierzu lassen sowohl das Gesetz als auch die Erläuterungen konkrete Vorgaben vermissen.

 

1.7  Erweiterung der Zielgruppe: Schüler und Studierende

          Schüler und Studierende werden mit dem Gesetzentwurf in die Integrationsvereinbarung einbezogen. Sie haben die entsprechenden Kurse zu absolvieren (§ 15, § 69, § 70). Grundsätzlich ist richtig, dass für einen Schulbesuch bzw. ein Studium in Österreich Deutschkenntnisse erforderlich sind. Allerdings handelt es sich hierbei um spezifische Kenntnisse der Unterrichts- bzw. Wissenschaftssprache, die in einem zielgruppenunspezifischen Kurs nicht unterrichtet werden (können). Die Vorschaltung eines Integrationskurses von 300 Unterrichtsstunden würde die Schul- bzw. Studienzeit in Österreich unnötig verlängern, da damit – im Gegensatz zu den derzeitigen Angeboten – nicht zugleich eine Vorbereitung auf die spezifische Unterrichts- bzw. Wissenschaftssprache einhergeht.

          Einrichtungen wie z.B. die Vorstudienlehrgänge oder auf ganz andere Art und Weise internationale Schulen leisten die Sprachvermittlung dagegen in spezifischer Form integriert in die jeweilige fachliche Institution. Das beschleunigt den Spracherwerb, da neben dem unterrichtlichen Angebot der außerunterrichtliche Kontakt ganz erheblich zur Sprachentwicklung beiträgt.

          Die Verpflichtung dieser Zielgruppe zu den in § 14 beschriebenen Kursen läuft dem Bildungsziel der Betroffenen ebenso wie den beteiligten Institutionen zuwider; für bestimmte internationale Bildungsformen (Beteiligung an internationalen European Master-Programmen, englischsprachige Studiengänge, internationale Schulen) ist diese Regelung absolut kontraproduktiv und der Internationalisierung Österreichs abträglich.

          Die Verpflichtung für die Bildungsträger, auch noch die Kosten für eine solche unsinnige Regelung zu übernehmen, trifft ohnehin unter finanziellen Engpässen leidende Bildungseinrichtungen unvorbereitet.

          Vgl. auch Anmerkung zu § 14/ 3

 


2. Zum Gesetz im Einzelnen

 

§ 11/ 2

          Die hier und an anderer Stelle aufgeführten Sanktionen sind aus fachlicher Sicht absolut inakzeptabel (vgl. auch Absatz 1). Diese Bestimmungen treffen Menschen, die ohnehin schon unter unsicheren, tw. existenzbedrohenden Umständen leben. Ein zusätzlicher Druck gefährdet den mit der Integrationsvereinbarung angestrebten Lernerfolg.

 

§ 14 / 1

          Angesichts der unterschiedlichen Lebensverhältnisse und beruflichen Perspektiven ist es falsch, für alle Zuwanderer das Lesen und vor allem Schreiben in gleicher Weise ins Zentrum zu rücken.

Es handelt sich hier um ein Missverständnis des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen, auf den sich die Erläuterungen zum Gesetz mit der Niveaustufe A2 beziehen. Dort wird immer wieder betont, dass diese Niveaustufen nicht in allen Fertigkeitsbereichen in gleichem Maße erreicht werden müssen, dass vielmehr je nach Lebenssituation und Berufsperspektive unterschiedlen werden muss:

 „Die mehrsprachige und die plurikulturelle Kompetenz ist im Allgemeinen auf eine oder mehrere Arten ungleichmäßig: ...

- das Kompetenzprofil in einer Sprache unterscheidet sich von dem in anderen (z.B. sehr gute mündliche Kompetenz in zwei Sprachen, aber gute schriftliche Kompetenz in nur einer von beiden); ...

... eine mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz (besitzt) ein kurzlebiges Profil und eine veränderliche Konfiguration. (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen 2001, 132 f.)

 

§ 14/ 2

          vgl. die Stellungnahme zu § 16/ 1

 

§ 14/3

          Für Schüler und Studierende stellt § 14 (3) eine böse Falle dar: wer zu Bildungszwecken nach Österreich kommt, entdeckt oft erst einige Wochen oder Monate nach der Anreise, welche Voraussetzungen für einen raschen Abschluss einer Ausbildung erforderlich sind (das kann auch an der Dauer der Verfahren für Anrechnungen u.ä. liegen). D.h. wer in gutem Glauben, dass die Studiensequenz oder das jeweilige Projekt in weniger als 12 Monaten zu bearbeiten sei, auf eine Teilnahme am Integrationskurs verzichtet, verwirkt damit Verlängerungsmöglichkeiten für den Aufenthalt und verfehlt damit seinen Aufenthaltszweck. Damit werden unverschuldete Schul- und Studienabbrecher produziert – diese Regelung wird der Flexibilität insbesondere des Wissenschaftsbetriebes nicht gerecht.

 

§ 14/ 4

          Die erforderlichen Ausnahmen müssen unter dem Aspekt der „Zumutbarkeit“ in verschiedener Hinsicht weiter gefasst werden.

          - körperlich und geistig Behinderte

          - Gehörlose

          - Zumutbarkeit im Hinblick auf familiäre, berufliche Belastungen, Zugänglichkeit der Kurse in ländlichen Regionen u.ä.

          Was ist, wenn der Kursbesuch zum Verlust des Arbeitsplatzes führt, wenn es keine entsprechenden Verkehrsverbindungen gibt, wenn kranke oder alte Familienangehörige zu pflegen sind  oder Kinder nicht allein gelassen werden können?

 

 

§ 14/ 7

          Die Durchführung eines Orientierungsgesprächs, um „Integrationserfordernisse zu identifizieren“, ist außerordentlich wichtig – bedacht werden muss allerdings, dass hierfür eine hohe sozialpsychologische Qualifikation erforderlich ist, d.h. dass entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen für die jeweiligen Behörden unumgänglich sind.

 

§ 15

          Die hohe Eigenbeteiligung für die Betroffenen steht in keinem Vergleich zu den Lösungen in anderen Ländern (Deutschland, Niederlande, Schweden). Der Gesetzentwurf lässt völlig offen, wie Mittellose die Kursgebühren aufbringen sollen.

           Wer z.B. auf Grund finanzieller Probleme den Kurs nicht oder nicht regelmäßig besucht, für den wird die Situation durch die Erhöhung des Selbstbehaltes und Geldstrafen in der Folge vollends unlösbar.

          Zumutbar wäre eine Regelung, die festlegt, dass je nach finanzieller Situation ein anteiliger Selbstbehalt vorzusehen ist. Auch Lösungen mit einem je nach späterer Einkommenssituation und je nach Kurserfolg rückzahlbarem Scheck für den Kursbesuch wären denkbar und ein positiver Anreiz.

          Dies gilt auch für Schüler und Studierende. Die Bildungsträger haben bislang keineswegs Vorsorge getroffen, entsprechende Kostenanteile zu tragen.

 

§ 16/ 1

          Es ist richtig, dass mit dem Gesetzesentwurf auch berücksichtigt wird, dass Menschen, die in ihrer Muttersprache nicht alphabetisiert sind, spezifische Sprachlernprobleme haben. Im Gesetz werden mit der Einrichtung eines 75-stündigen Kurses keineswegs zielführende Schlüsse gezogen:

          a) Die Forschung favorisiert eine zweisprachige Alphabetisierung, da eine Alphabetisierung nur in der neuen Sprache auf einem unzureichenden Fundament aufbaut.

          b) Auch eine in der Muttersprache vorhandene Alphabetisierung reicht in vielen Fällen nicht aus: wer mit einem kyrillischen Alphabet, mit Chinesisch o.ä. Sprachen ohne lateinisches Alphabet groß geworden ist, hat eventuell gleichfalls besondere Lernprobleme mit der Schrift im Deutschen.

          c) Für viele Lernende wird ein Alphabetisierungskurs im Umfang von 75 Stunden nicht ausreichen. Die Praxis hat gezeigt, dass nichtalphabetisierte Lernende meist insgesamt lernungewohnte Menschen sind, die einen längerfristigen spezifischen Sprachförderbedarf haben.

          Es wäre daher zielführender, Modul 1 und Modul 2 zusammen zu legen und für nicht alphabetisierte Menschen einen durchgängigen Kursstrang einzurichten, der auf ihre besondere Lernsituation Bedacht nimmt.

 

          Die Aufstockung der Stundenzahl für Modul 2 auf 300 Stunden ist ausdrücklich zu begrüßen. Spracherwerb  im Kontext existenzieller Verunsicherung bedarf eines ausreichenden Zeitraums.

          Die Zielsetzung, mit dieser Stundenzahl bei den Lernenden das Niveau A2 der Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen zu erreichen, ist für einen Teil der Betroffenen durchaus realistisch. Es sollte aber bedacht werden, dass alle Erfahrungen zeigen, dass dies für einen anderen Teil der Lerngruppe nicht zutrifft. In den Niederlanden erreichen etwa 60% der Lernenden mit ca. 600 Unterrichtsstunden nicht einmal das Niveau A1.

          Es ist dringend zu empfehlen, dass nicht ein einheitliches Curriculum für dieses Modul entwickelt wird, sondern differenzierte Möglichkeiten angeboten werden. Dies würde es auch erleichtern, das bestehende, teilweise sehr differenzierte Kursangebot zu integrieren.

 

          Die Zielsetzungen für Modul 3 sind mit einem Umfang von 30 Stunden völlig unrealistisch: die Behandlung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Themen bedarf eines sprachlichen Niveaus, wie es nach 300 Stunden keineswegs vorausgesetzt werden kann. Die Gefahr besteht, dass hier lediglich Floskeln auswendig gelernt werden, aber kein Beitrag zur Integration geleistet wird.

          Das bundesdeutsche „Bundesforum Familie“ weist zu Recht darauf hin, dass entsprechende Kenntnisse und Handlungsfähigkeiten im „sozialen Nahraum“ angesiedelt sein sollten und sich unterscheiden müssen (für Eltern schulpflichtiger Kinder sind andere Themen relevant als für Schüler oder Studierende usf.).

„Für die Aufgabe der Integration kommt der Familie eine zentrale Bedeutung zu. Hier werden Kontakte und Wissen vermittelt für die Orientierung im fremden Land. ...

Integration erfordert die gleichberechtigte Teilhabe und Partizipationschancen von Familien mit Migrationshintergrund in allen gesellschaftlichen Bereichen. Der soziale Nahraum, das Zusammenleben in den Wohngebieten und Gemeinden, die Öffnung und Nutzung der sozialen Infrastruktur sind dabei wesentliche Gradmesser für das Gelingen von Partizipation. Um das Zusammenleben im Wohngebiet positiv zu gestalten gilt es, die Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Umfeld zu stärken. Die Beteiligung der Betroffenen an politischen Entscheidungen fördert diese Identifikation.“

            (Bundesforum Familie/BRD 2004, 10-11)

 

         

Kostenaufstellung (Vorblatt)

          In der Kostenaufstellung fehlen diverse, mit dem Gesetz verbundene Ausgabenpositionen

          a) Information der Betroffenen durch mehrsprachiges Personal bzw. mehrsprachige Merkblätter  (vgl. § 14/3a)

          b) Entwicklung und Evaluation von Lehrplänen (differenziert nach den o.g. unterschiedlichen Lernvoraussetzungen)

          c) Entwicklung von Kursmaterial

            Es muss angemerkt werden, dass die für die derzeitigen Integrationskurse entwickelten Materialien weitestgehend nicht den erforderlichen fachlichen Standards entsprechen.

          d) Aus- bzw. Weiterbildung der Lehrkräfte

          e) Aus- bzw. Weiterbildung der MitarbeiterInnen in den Behörden

          f) Kostenübernahme für mittellose TeilnehmerInnen

          g) Kostenanteile für Fahrtkosten, Kinderbetreuung o.ä. Rahmenmaßnahmen

         

 

3. Schlussfolgerungen

 

3.1     Der vorliegende Gesetzentwurf verweist zu Recht auf Integration als eine „zweiseitige Aufgabe“, die nicht allein durch die Zuwanderer in Form von Assimilation zu leisten sei. Das hier geäußerte grundsätzliche Verständnis von Integration wird allerdings im konkreten Gesetzestext reduziert auf einseitig von den Zuwanderern zu erbringende Leistungen, für die diese auch noch einen erheblichen Kostenanteil tragen müssen.

 

3.2     Der vorliegende Gesetzentwurf bringt gegenüber der Integrationsverordnung von 2002/2003 in Teilbereichen Verbesserungen, so insbesondere die Aufstockung der Stundenzahl in Modul zwei und eine Berücksichtigung von AnalphabetInnen in Modul 1. In der konkreten Umsetzung dieser Erkenntnisse fällt der Gesetzesentwurf jedoch hinter vorliegende fachliche und sprachdidaktische Erkenntnisse zurück und unterläuft damit die angestrebten Verbesserungen.

 

3.3     Der Gesetzentwurf arbeitet mit Sanktionen, die wenig lernfördernd sind, statt positive Anreize zu ersetzen (Verkürzung von Fristen bei der Einbürgerung, beim Zugang zum Arbeitsmarkt, bei der Aufenthaltsverfestigung etc.) und damit zu einer lernwirksamen Integrationsmotivation beizutragen.

 

3.4 Die Kostenbeteiligung wäre nach dem Vorbild anderer EU-Staaten zu regeln, wobei berücksichtigt werden sollte, dass bessere Sprachkenntnisse der Aufnahmegesellschaft zu Gute kommen und der Spracherwerb von Menschen, deren schulische Ausbildung Österreich nichts gekostet hat, eine recht billige Investition darstellt.

 

3.5     Auf überhöhte Ziele im Bereich Staatsbürgerkunde sollte verzichtet werden. Hierzu  könnte Material in den Herkunftssprachen der Zuwanderer erarbeitet werden.

 

3.6     Für Schüler und Studierende sind die vorgesehenen Kurse und ihre Inhalte absolut unbrauchbar. Es widerspricht den Internationalisierungstendenzen des Bildungsbereichs ebenso wie den positiven Erfahrungen mit den dort entwickelten Schul- bzw. studienspezifischen Sprachlernangeboten, Schüler und Studierende aus der Arbeitsumgebung, für die sie nach Österreich gekommen sind, herauszureißen und zeitverschwendend für diese Gruppe ungeeignete Kurse zu absolvieren.

         

3.7 Die Einrichtung einer Clearingstelle/ Agentur für die Entwicklung von Konzepten, Materialien und Qualitätskriterien wäre in Zusammenarbeit mit den vorhandenen fachlichen Einrichtungen vorzunehmen; über sie sollte auch eine Mitwirkung der Betroffenen an der Entwicklung von Verfahren sichergestellt werden.

         

Der vorliegende Gesetzentwurf trägt nach meiner Überzeugung eher zu einer weiteren Verunsicherung und Abkapselung von Zuwanderern im Hinblick auf ihre Zukunft in Österreich als zu einer erfolgreichen Integration bei. Er fällt hinter den erreichten Stand der Kenntnisse über Möglichkeiten der Sprachförderung im Zusammenhang mit Integration zurück.

 

Wien, den 19.04.2005

 

Hans-Jürgen Krumm

Univ. Prof. Dr. Mag. Mag. Hans-Jürgen Krumm

o. Prof. für Deutsch als Fremdsprache am Institut für Germanistik der Universität Wien