REPUBLIK ÖSTERREICH

BUNDESMINISTERIUM FÜR JUSTIZ

BMJ-L697.001/0001-II 2/2005

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

 

An das

Bundesministerium für Finanzen

Himmelpfortgasse 4 – 8

1015 Wien

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Briefanschrift

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(01) 52152-0*

Telefax

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Sachbearbeiter(in):

Irene Mann

*Durchwahl:

21552

 

 

Betrifft:

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988 u.a. geändert werden;
Stellungnahme des Bundesministerium für Justiz

 

Bezug:     BMF 010000/0059-IV/14/2005

 

Das Bundesministerium für Justiz nimmt zu Artikel IV – Änderungen des Finanzstrafgesetzes –  des im Betreff angeführten Gesetzesentwurfes wie folgt Stellung, wobei eine allfällige Stellungnahme zu Art. V und VI des Entwurfs nachgereicht werden wird:

1. Zur Vorgangsweise

Die vorgeschlagene Änderung des § 38 Abs. 1 FinStrG betrifft (auch) das gerichtliche Strafrecht und fällt somit (auch) in den Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Justiz. Das Bundesministerium für Justiz hat mit an alle Ressorts gerichtetem Rundschreiben vom 15.1.2005 (BMJ-L10.013/0002-II 2/2005) seinen Wirkungsbereich dargestellt und ersucht, bereits vor der Versendung eines Entwurfs zur Begutachtung mit jenen Bestimmungen befasst zu werden, die in seinen Wirkungsbereich fallen. Die Befassung erst im Zuge des allgemeinen Begutachtungsverfahrens sei keinesfalls ausreichend, weil durch eine solche Vorgangsweise das Bundesministerium für Justiz gezwungen wäre, zu Angelegenheiten eine Stellungnahme im Begutachtungsverfahren abzugeben, die in seinen eigenen Wirkungsbereich fallen. Vor allem aber werde den begutachtenden Stellen auf diese Weise das Recht entzogen, zu jener Gestaltung der strafrechtlichen Bestimmungen Stellung zu nehmen, die nach Herstellung des Einvernehmens mit dem Justizressort tatsächlich in Aussicht genommen wird. Das Bundesministerium für Justiz lege jedoch großen Wert auf ein umfassendes und seriöses Begutachtungsverfahren zu strafrechtlichen Bestimmungen.

Der vorliegende Entwurf, insbesondere der Vorschlag zu einer Änderung des § 38 FinStrG, ist dem Bundesministerium für Justiz erst durch den Begutachtungsentwurf bekannt geworden; eine Einbindung vor Versendung wurde seitens des Bundesministeriums für Finanzen unterlassen. Das Bundesministerium für Justiz kann diese Vorgangsweise nicht hinnehmen und ersucht dringend, in Zukunft bei Gesetzesvorschlägen, die seinen Wirkungsbereich betreffen, rechtzeitig eingebunden zu werden.

Im konkreten Fall kommt hinzu, dass die auf zwölf Tage verkürzte Begutachtungsfrist kaum eine seriöse Begutachtung der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen zulässt. Das Bundesministerium für Justiz bringt daher sein Befremden über die unkooperative Vorgangsweise des Bundesministeriums für Finanzen zum Ausdruck.

2. Zum Inhalt

Im Begutachtungsentwurf wird zu § 38 Abs. 1 FinStrG vorgeschlagen, eine zusätzliche Qualifikation einzuführen, die bei einem strafbestimmenden Wertbetrag von mehr als drei Millionen Euro erfüllt ist und für die ein Strafrahmen von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorgeschlagen wird. In den Erläuterungen wird dazu (lediglich) ausgeführt, dass einer Schädigung der Allgemeinheit durch besonders schadensintensive Deliktsbegehung ohne eine dem allgemeinen Strafrecht entsprechende Sanktionierung derzeit nur ungenügend begegnet werden könne und durch die Anhebung der Freiheitsstrafen ein weiterer Schritt in Richtung effiziente Betrugsbekämpfung gesetzt werde.

2.1. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass die Freiheitsstrafdrohungen der gerichtlich strafbaren Finanzvergehen in den letzten Jahren bereits zweimal erhöht worden sind:

o       Bereits durch das Abgabenänderungsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 28/1999, wurde – neben einer Erhöhung der Grundstrafdrohung von einem auf zwei Jahre – die Strafdrohung für gewerbsmäßige oder bandenmäßige Begehung (§ 38) von zwei auf drei Jahre erhöht.

o       Durch das Steuerreformgesetz 2005, BGBl. I Nr. 57/2004, wurde § 38 Abs. 1 FinStrG derart ausgeweitet, dass bei einem strafbestimmenden Wertbetrag von mehr als 500.000 Euro auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren erkannt werden kann.

§ 38 FinStrG in der derzeit geltenden Fassung ist erst seit 5. Juni 2004 - und somit nicht einmal seit einem Jahr - in Kraft. Eine sinnvolle Analyse der praktischen Handhabung und kriminalpolitischen Auswirkungen der verschärften Strafdrohung ist in Anbetracht dieser kurzen Geltungsdauer ausgeschlossen. Das Bundesministerium für Justiz sieht daher derzeit keinen Anlass, § 38 Abs. 1 FinStrG idF BGBl. I Nr. 57/2004 abermals einer Verschärfung zu unterziehen, die sich bloß darin erschöpft, durch Einfügung einer neuen Wertbetragsgrenze eine Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren in § 38 Abs. 1 FinStrG aufzunehmen.

2.2. Das Bundesministerium für Justiz hat gegenüber dem do. Ressort bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass ein bloßer Vergleich der angedrohten höchsten Freiheitsstrafdrohungen des Finanzstrafrechtes mit jenen des allgemeinen Strafrechts (konkret: mit der im Vermögensstrafrecht gebräuchlichen Strafdrohung von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bei einem Schaden oder einer Bereicherung von mehr als 50.000 €) unzulässig ist. Während in Österreich im allgemeinen Strafrecht (StGB) die (nach dem Tagessatzsystem bemessene) Geldstrafe und die Freiheitsstrafe im Wesentlichen Sanktionsalternativen sind, bildet im Finanzstrafgesetz die Geldstrafe die Hauptstrafe, zu der bei spezial- oder generalpräventiver Notwendigkeit (§ 15 FinStrG) eine Freiheitsstrafe kumulativ hinzutritt. Die Geldstrafe richtet sich als Geldsummenstrafe nach der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages – z.B. des hinterzogenen Abgabenbetrages – und wird deshalb in der Regel wesentlich strenger ausfallen als eine Tagessatzgeldstrafe.

Ferner kommt im Finanzstrafrecht auch dem Verfall und dem Wertersatz punitiver Charakter zu; diese Sanktionen können kumuliert und in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden, die bis zu zwei Jahren betragen können (§ 28 FinStrG). Schließlich können – anders als im allgemeinen Strafrecht, wo das Absorptionsprinzip gilt: § 28 StGB) – auch Strafen wegen Finanzvergehen und solche wegen anderer strafbarer Handlungen kumuliert werden (§ 22 Abs. 1 FinStrG). Im gerichtlichen Finanzstrafrecht ist auch die Diversion ausgeschlossen (weil für Finanzvergehen ausschließlich das Schöffengericht zuständig ist).

Im Hinblick auf die hier interessierende Qualifikation des § 38 ist zu berücksichtigen, dass eine gewerbsmäßige Begehung (die Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen) der Abgabenhinterziehung in vielen Fällen immanent ist.

Aus den dargestellten Besonderheiten des Finanzstrafrechts (höhere Geldstrafe, Kumulation Geld- mit Freiheitsstrafe, Wertersatz bzw. Ersatzfreiheitsstrafe) ergibt sich, dass die Sanktionsdrohung im Fall der vorgeschlagenen Qualifikation insgesamt strenger wäre als bei Bestrafung wegen Betruges nach dem StGB. Das vom Entwurf nach den Erläuterungen angestrebte Ziel, eine dem allgemeinen Strafrecht entsprechende Sanktionierung zu erreichen, wird daher durch die vorgeschlagene Qualifikation nicht erreicht.

2.3. Aus den (äußerst kurzen) Erläuterungen des Entwurfs kann nur entnommen werden, dass auf Taten mit „besonders schadensintensiver Deliktsbegehung“ abgezielt wird. Allerdings sind im Finanzstrafrecht Wertgrenzen nur beschränkt als Qualifikationsmerkmal geeignet, weil die Höhe der Steuerleistung und damit auch die Höhe des möglichen Ausmaßes der Abgabenhinterziehung häufig umsatzabhängig ist.

Tatsächlich gibt es aber Fälle – auch darauf hat das Bundesministerium für Justiz bereits mehrfach hingewiesen –, bei denen durchaus eine strengere Bestrafung als die derzeit im FinStrG vorgesehene kriminalpolitisch vertretbar oder sogar wünschenswert wäre: In Fällen organisierter Abgabenhinterziehung, bei der Gründung von Scheinfirmen, groß angelegtem Vorsteuerbetrug, sog. Umsatzsteuerkarussellen udgl. Solche Tatformen unterscheiden sich durch gezieltes und geplantes betrügerisches Ausnützen steuerrechtlicher Regelungen (insbesondere bei der Umsatzsteuer) in oft organisierten und grenzüberschreitenden Begehungsformen von „normalen“ Abgabenhinterziehungen (bei denen lediglich eine auf tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge gegründete Steuerpflicht nicht zur Gänze erfüllt wird). Durch die Vorspiegelung tatsächlich nicht beabsichtigter wirtschaftlicher Vorgänge erinnern solche Taten sehr stark an Betrug (§ 146 StGB).

Die Anwendung dieses Tatbestandes – der bei einem Schaden von mehr als 50.000 € mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist – wird jedoch durch die Bestimmung des § 22 Abs. 2 FinStrG ausgeschlossen („Ist ein Finanzvergehen auf betrügerische Weise oder durch Täuschung begangen worden, so ist die Tat ausschließlich als Finanzvergehen zu ahnden.“). Dieser generelle Ausschluss ist im Hinblick auf die angeführten Handlungsweisen problematisch und nicht sachgerecht.

In vergleichbaren Staaten fallen solche Begehungsformen unter besondere Tatbestände des Steuerbetrugs oder werden strafrechtlich nicht privilegiert, sind also als Betrug strafbar.

Es wären daher zwei Möglichkeiten einer Verschärfung denkbar:

o       entweder einen besonderen Tatbestand des Steuerbetruges zu erwägen; oder

o       die privilegierende Vorschrift des § 22 Abs. 2 FinStrG so einzuschränken, dass in den angeführten Fällen der allgemeine Betrugstatbestand des StGB zur Anwendung gelangen kann.

Der Begutachtungsentwurf zielt jedoch in keiner Weise auf die dargestellten Fälle besonders hoher krimineller Energie ab, sondern erfasst unterschiedslos alle Fälle ab einer bestimmten Höhe und setzt damit vor allem umsatzstarke Unternehmen bzw. deren Leiter einer übermäßigen und unsachlichen Sanktionsdrohung aus.

2.4. Schließlich ist zu betonen, dass – entgegen den Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf - die Strafdrohung allein kein Indiz für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung ist. Anstatt der bloßen Anhebung der Strafdrohung wäre vielmehr die Beschleunigung und Effizienzsteigerung der finanz(straf)behördlichen Ermittlungen (z.B. häufigere Betriebsprüfungen) ein wichtigerer Schritt in Richtung einer nachhaltigen Verbesserung der Effizienz des Finanzstrafverfahrens.

 

Zusammenfassend ist es aus der Sicht des Bundesministeriums für Justiz unerlässlich, zu einer besseren Erfassung der unter 2.3. dargestellten Fälle sachgerechte Lösungen mit strafverschärfender Tendenz zu erarbeiten und diese sodann einem Diskussionsprozess zu unterziehen.

Dagegen ist der vorliegende Vorschlag zu einer Änderung des § 38 FinStrG sachlich nicht begründet, systemwidrig und überzogen. Das Bundesministeriums für Justiz lehnt eine solche Instrumentalisierung des Strafrechts für aktionistische Gesetzgebung nachdrücklich ab und kann dem Vorschlag daher nicht zustimmen.

 

27. Mai 2005
Für die Bundesministerin:
Dr. Fritz Zeder

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