Zum übersandten Entwurf einer Gewerberechtsnovelle 2006 wird folgende Stellungnahme abgegeben:
Zu Art. I Z. 1 (§ 77
Abs. 3 der Gewerbeordnung 1994):
Die Formulierung „…eine Überschreitung eines Grenzwertes…“ im dritten Satz ist
zu unbestimmt. Es ist nicht ersichtlich, ob schon eine einmalige Überschreitung
eines Grenzwertes die vorgesehenen Rechtsfolgen auslösen soll. Nach dem
Immissionsschutzgesetz-Luft ist pro Kalenderjahr eine bestimmte Anzahl von
Überschreitungen bei bestimmten Stoffen zulässig (zB bei PM10 ab dem
Jahr 2005 30 Überschreitungen pro Jahr). Wenn bereits eine einzige
Überschreitung eines Grenzwertes die vorgesehenen Rechtsfolgen auslösen soll,
widerspricht dies dem im Immissionsschutzgesetz-Luft näher geregelten Verursacherprinzip,
weil bereits eine einzige Überschreitung eines Grenzwertes – auch wenn sie von
einem anderen Verursacher wie dem Hausbrand oder dem Verkehr verursacht wird –
die strengen Genehmigungsvoraussetzungen zur Folge hat. Nach dem
Verursacherprinzip sollen Maßnahmen zur Beschränkung von Immissionen jedoch
bei den tatsächlichen Verursachern im adäquaten Ausmaß zum Beitrag zur
jeweiligen Überschreitung gesetzt werden.
Ob die Emissionen einer Anlage einen wesentlichen Beitrag zur Immissionsbelastung leisten oder nicht, kann erst nach Durchführung eines aufwändigen Ermittlungsverfahrens erhoben werden. Dabei ist noch nicht geklärt, welche Daten in welcher Form miteinander in Relation zu setzen sind. Schon die Erhebung der Grundbelastung (zB bei PM10) wird erhebliche Probleme verursachen. Nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft wird die Immissionsbelastung an bestimmten Messstellen gemessen. Diese Daten geben jedoch keinen Aufschluss über die tatsächlichen örtlichen Verhältnisse im Bereich der Betriebsanlage. Die Beurteilung, ob eine einzelne Anlage einen relevanten Beitrag zur Immissionsbelastung leistet oder nicht, hängt somit wesentlich vom Ort der Imissionsbetrachtung ab. Dabei ist offen, ob dieser Ort bei der Messstelle oder wie im Betriebsanlagenverfahren bisher üblich, bei der Betriebsanlage anzusetzen ist. Auch das Kriterium eines „relevanten Beitrages“, ist zu unbestimmt.
Sehr unklar sind auch die in der Z. 2 genannten alternativen Maßnahmen. Ob ein zusätzlicher Beitrag durch emissionsbegrenzende Auflagen im technisch möglichen Ausmaß beschränkt werden kann, kann im Rahmen des jeweiligen Betriebsanlagenverfahrens zwar festgestellt werden, bedeutet aber die Vorschreibung von Auflagen, die über den Stand der Technik hinausgehen. Ob solche Auflagen wirtschaftlich zumutbar sind, ist anzuzweifeln. Fehlt es an dieser Genehmigungsvoraussetzung, so ist wohl die Betriebsanlagengenehmigung zu versagen, weil die beiden Voraussetzungen in der Z. 2 kumulativ („und“) vorliegen müssen. Für eine sinnvolle Regelung müsste zumindest das Wort „und“ in der Z. 2 durch die Wendung „und/oder“ ersetzt werden. Aber auch die Klärung der Frage, ob zusätzliche Emissionen erforderlichenfalls durch Maßnahmen zur Senkung der Immissionsbelastung aufgrund eines Programmes nach § 9a des Immissionsschutzgesetzes-Luft oder eines Maßnahmenkataloges nach § 10 des Immissionsschutzgesetzes-Luft ausreichend kompensiert werden, sodass in einem realistischen Szenario langfristig keine weiteren Grenzwertüberschreitungen anzunehmen sind, sobald diese Maßnahmen wirksam geworden sind, machten ein Betriebsanlagengenehmigungsverfahren in der Praxis undurchführbar. Die Betriebsanlagengenehmigung wird von Kriterien abhängig gemacht, die weder von der Behörde noch vom Antragsteller beeinflussbar sind.
Die vorgesehene Regelung im Abs. 3 dritter Satz ist somit überschießend, unvollziehbar und widerspricht dem Verursacherprinzip, weil die Immissionsbelastung nicht allein durch Gewerbe- und Industriebetriebe verursacht wird. Zur Immissionsbelastung ist gerade in Tirol zusätzlich zu bemerken, dass diese jahreszeitlich unterschiedlich sehr stark schwankt. So basieren sämtliche Statuserhebungen, die aufgrund der Grenzwertüberschreitungen von PM10 zu erstellen waren, auf Überschreitungen während der Wintermonate. Nach der vorgesehenen Regelung wäre aber eine Betriebsanlagengenehmigung generell zu verweigern.
Aufgrund der langen Messzeiträume (ein Jahr und mehr) würden Betriebsanlagengenehmigungsverfahren in den betroffenen Gebieten sehr lang dauern und hohe Kosten verursachen. In Tirol ist das gesamte Inntal Sanierungsgebiet aufgrund von Grenzwertüberschreitungen von PM10. Da fast jede Betriebsanlage einen Beitrag zur PM10 Belastung leistet, wären sehr viele Betriebsanlagen im Inntal betroffen. Letztendlich würde dies wohl zu einem faktischen Stopp von Betriebsanlagengenehmigungen im Inntal führen. Wenn aber Anlagenerweiterungen nicht mehr möglich sind, besteht stets auch die Gefahr der Abwanderung bereits bestehender Betriebe.
Zu Art. II (Änderung des
Mineralrohstoffgesetzes):
Mit dem In-Kraft-Treten des Mineralrohstoffgesetzes
wurde jegliche Maßnahme, deren Zweck der planmäßige Abbau der Erdkruste mit
bergbautechnischen Mitteln und Methoden ist, den sehr umfangreichen
Bewilligungsregelungen des Mineralrohstoffgesetzes unterworfen. Ausgenommen
sind lediglich der Abbau zu wissenschaftlichen Zwecken sowie das Sammeln von
Mineralien. Was bergbautechnische Mittel und Methoden sind, ist im Gesetz nicht
definiert. Sämtliche Regelungen gelten unabhängig von der Größe des Abbaues.
Auch Kleinstentnahmen, die oft im land- und forstwirtschaftlichen Bereich
vorgenommen werden, werden erfasst. Das Mineralrohstoffgesetz kennt keine der
Gewerbeordnung 1994 vergleichbare Ausnahmebestimmung für den Abbau der eigenen
Bodensubstanz im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft, obwohl dies schon aus
kompetenzrechtlichen Gründen notwendig wäre.
In der Praxis stellt sich oft das Abgrenzungsproblem zur Agrarstrukturverbesserung oder zur Entnahme von Schotter aus Geschieberückhaltebecken. Derartige Maßnahmen unterliegen nur dann nicht dem Mineralrohstoffgesetz, wenn der überwiegende Zweck in der Agrarstrukturverbesserung oder in der Schutzfunktion bei der Geschiebeentnahme gelegen ist. In vielen Fällen sind beide Schutzzwecke gleichwertig, womit derartige Maßnahmen bereits dem Mineralrohstoffgesetz unterliegen.
Es wird deshalb angeregt, für derartige Entnahmen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft eine entsprechende Ausnahmebestimmung oder zumindest ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren vorzusehen.
Die Entnahme von Schotter, Kies, Wasserbausteinen und dgl. zur Beseitigung von Katastrophenschäden kann dann zu Problemen führen, wenn aus Gründen der Sicherung der Rohstoffversorgung eine besonders rasche Genehmigung notwendig wäre. Dass derartige Fälle eintreten, jedoch nicht vorhersehbar sind, hat die Hochwasserkatastrophe am 22. und 23. August 2005 in Tirol gezeigt. Ein schneller rechtmäßiger Abbau der zur Sanierung der beschädigten Dämme und Hochwasserbauten erforderlichen Flusssteine bzw. des notwendigen Schotters wäre im Rahmen der Katastrophenbekämpfung aber notwendig. Eine lange Dauer von Bewilligungsverfahren ist hier besonders hinderlich. Es wird deshalb angeregt, für Katastrophenfälle ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren vorzusehen.
25 Ausfertigungen sowie eine elektronische Fassung dieser Stellungnahme werden unter einem der Parlamentsdirektion zugeleitet.
Für die Landesregierung:
Dr.
Liener
Landesamtsdirektor