Textfeld: Bundesministerium für Verkehr,
Innovation und Technologie
Radetzkystraße 2
1030 Wien

Eisenstadt, am 27.2.2006

E-Mail: post.vd@bgld.gv.at

Tel.: 02682/600 DW 2032

Mag. Peter Zinggl

 

 

 

 

 

Zahl:  LAD-VD-B515-10010-4-2006

Betr: Entwurf eines Bundesgesetzes über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV-G); Stellungnahme

 

Bezug: BMVIT-239.597/0001-II/SCH6/2005 

 

 

 

Zu dem mit obbez. Schreiben übermittelten Neuentwurf eines Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrsgesetzes (ÖPNRV-G) erlaubt sich das Amt der Burgenländischen Landesregierung mitzuteilen, dass dieser Entwurf aus folgenden Gründen nachdrücklich abgelehnt wird:

 

I. Allgemeines

 

1.

 

Der Bereich des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNV) ist aus kompetenzrechtlicher Sicht als Querschnittsmaterie zu qualifizieren. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist im Wesentlichen nur hinsichtlich der zu den Materien Gewerberecht und Verkehrswesen bezüglich Eisenbahnen (Art. 10 Abs. 1 Z 8 und 9 B-VG) zu zählenden Bereiche gegeben. Die anderen Bereiche fallen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.

 

Regelungsgegenstand des ÖPNRV-G ist die Privatwirtschaftsverwaltung. Daher ist auf Art. 17 B-VG Bedacht zu nehmen. Aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs ergibt sich, dass eine Gebietskörperschaft nur jenes privatwirtschaftliche Staatshandeln durch außenwirksame Gesetze determinieren kann, das nach der Kompetenzverteilung des B-VG zu einem in seine Zuständigkeit verwiesenen Kompetenztatbestand gehört.

 

Aus der herrschenden Lehre und Staatspraxis ist zu schließen, dass hinsichtlich der Privatwirtschaftsverwaltung auch außerhalb der Kompetenzverteilung Gesetzgebungsbefugnisse bestehen. Gesetzen in diesem sogenannten transkompetenten Bereich darf allerdings nur Innennormcharakter zukommen. Die Gebietskörperschaften dürfen lediglich Selbstbindungsgesetze erlassen, die keine Außenwirksamkeit haben.

 

Insbesondere können in solchen Gesetzen keine Rechte und Pflichten anderer Gebietskörperschaften normiert werden. Daher sind jene Bestimmungen des gegenständlichen Entwurfes, die Länder oder Landesgesellschaften in die Pflicht nehmen - etwa die §§ 7, 9, 11 ua. – als verfassungswidrig anzusehen.

 

2.

 

Trotz dieser Kompetenzrechtslage nimmt das BMVIT für den Bund eine umfassende Zuständigkeit im Bereich des ÖPNV in Anspruch. Fortlaufend wird angekündigt, das von vielen Seiten – aufgrund des immer besorgniserregenderen Modal Split – geforderte Gesamtkonzept für den ÖPNV vorzulegen. Dies wird auch als die Intention der gegenständlichen Gesetzesvorlage genannt. Diese Gesetzesvorlage erfüllt diesen Anspruch aus unserer Sicht nicht einmal ansatzweise. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass lediglich Lasten und Kostenrisiko auf die Länder abgewälzt werden sollen.

 

Aus unserer Sicht ist die Erarbeitung eines durchdachten und ausgewogenen Gesamtkonzeptes für den ÖPNV dringend erforderlich. Das konzeptive Vermögen des Bundes scheint hierbei an seine Grenzen zu stoßen. Es wird auf den Vorschlag der Länder verwiesen, eine Vereinbarung nach Art. 15a B-VG zwischen Bund und Länder auszuarbeiten (was aus unserer Sicht für die gegenständliche Angelegenheit auch die in der Verfassung vorgesehene Vorgangsweise wäre).

 

3.

 

Der ÖPNV gehört zu den zentralen Aufgaben des Staates im Rahmen der Daseinsvorsorge. Nicht zuletzt aufgrund der Politik auf europäischer Ebene kommt die Daseinsvorsorge immer mehr unter Druck. Aus unserer Sicht ist diese Politik ein wesentlicher Grund für die immer stärker werdende Ablehnung der Europäischen Union in der österreichischen Bevölkerung. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der EG-Vertrag in Art. 16 die besondere Bedeutung der Daseinsvorsorge für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts hervorhebt und die Organe der Gemeinschaft sowie die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können.

 

Wir fordern daher, dass der Bund den hohen Stellenwert der Daseinsvorsorge bei seiner Politik sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf europäischer Ebene – auch um einen Beitrag zur Verhinderung des Scheiterns des europäischen Projektes zu leisten – mehr berücksichtigt und seine diesbezügliche Verantwortung wahrnimmt.

 

II. Zum Entwurf

 

Das Burgenland ist grundsätzlich bereit, eine größere Verantwortung für den ÖPNV zu übernehmen. Aber schon aufgrund der Verfassungsrechtslage muss das Recht eingefordert werden, in die Konzeption mehr und gleichberechtigt eingebunden zu werden.

 

In der vorliegenden Form ist der gegenständliche Entwurf bereits aus inhaltlicher Sicht abzulehnen.

 

Der Bund zieht sich in wichtigen Bereichen von der Finanzierung des ÖPNV zurück, woraus sich für die Länder finanziell derzeit kaum vorhersehbare Lasten und Risken ergeben. Es wird kein erkennbarer Schritt in Richtung des von den Landeshauptleuten im Rahmen der Landeshauptleutekonferenzen geforderten Gesamtkonzeptes gesetzt. Verkehrspolitische Aspekte bleiben unberücksichtigt.

 

 

Dazu im Einzelnen:

 

1.         Die im ÖPNRV-G 1999 bestehende Leistungsverpflichtung des Bundes zum Schienengrundangebot gemäß § 7 ÖPNRV-G ist im neuen Gesetzesentwurf nicht mehr enthalten. Die sich daraus ergebende Frage, wer künftig für die Sicherstellung (Kostentragung) des Schienengrundangebotes zuständig ist, bleibt somit offen bzw. ist davon auszugehen, dass daraus resultierende Kosten zur Gänze von den Ländern zu tragen sein werden. Ein Entfall der Sicherung des Grundangebotes ist durch eine Erhöhung der Bestellerförderung (österreichweit um 22,77 Mio. Euro) in keiner Weise aufzuwiegen.

 

Zu dieser „Aufstockung“ wird angemerkt, dass die Länder dem ÖPNRV-G 1999 unter der Voraussetzung zugestimmt haben, dass im Bedarfsfall die in den Erläuterungen genannte Aufstockung der Mittel auf etwa  60 Mio. Euro vorgenommen wird. Die derzeit im Gesetzesentwurf enthaltenen  30 Mio. Euro bedeuten also eine Halbierung der ursprünglich in Aussicht gestellten Bestellerförderung durch den Bund.

 

2.         Insbesondere aus zwei Gründen besteht die Gefahr, dass durch das neue Gesetz zusätzliche Kosten für die Länder entstehen, wenn die Verkehrsleistungen im bisherigen Ausmaß aufrecht erhalten werden sollen: Zum einen ist es die jährliche Erhöhung des Infrastrukturbenützungsentgelts (IBE), auf dessen Ausgestaltung die Länder keinen Einfluss haben, zum anderen die fehlende Ausfinanzierung der ÖBB Personenverkehr AG durch den Eigentümer.

 


Infrastrukturbenützungsentgelt (IBE):

 

Durch einen zu erwartenden jährlichen Anstieg des Infrastrukturbenützungsentgeltes (IBE) um ca. 5 bis 6 % entsteht bei der ÖBB Personenverkehr AG ein Mehraufwand, der einerseits durch Rationalisierungen oder Angebotskürzungen, andererseits durch höhere Zuschüsse der öffentlichen Hand bzw. durch höhere Fahrpreise kompensiert werden muss.

 

Da sämtliche im Gesetz vorgesehenen Zahlungen des Bundes gedeckelt sind, sind für die Länder Mehrausgaben zu erwarten, um sogar das bisher vom Bund garantierte Grundangebot gem. § 7 ÖPNRV-G 1999 finanzieren zu können. Eine jährliche Anhebung der Fahrpreise im oben genannten Ausmaß erscheint als Alternative nicht geeignet, wenn man den öffentlichen Verkehr attraktiver gestalten will.

 

Eine Schätzung der ÖBB Personenverkehr AG ergibt einen durch die Steigerung des IBE ausgelösten Mehraufwand für die gesamte Ostregion (Wien, Niederösterreich, Burgenland) - bei gleich bleibendem Verkehrsangebot - von ca. 8 Mio. Euro (Steigerung von 2006 bis 2011 von 70,6 Mio. auf 78,9 Mio. Euro). Selbst bei einer äußerst moderaten jährlichen Erhöhung des IBE würde sich dies aufgrund der Basis–km im Fahrplanjahr 1999/2000 für das Burgenland mit mindestens ca. 100.000,-- Euro Mehrkosten im Jahr 2007 zu Buche schlagen. Für die Folgejahre erhöht sich dieser Betrag um die jeweilige IBE Steigerung.

 

Finanzierung ÖBB Personenverkehr AG:

 

Es ist davon auszugehen, dass zur Aufrechterhaltung des bestehenden ÖBB-Angebots Österreich weit ca. 200 Mio. Euro fehlen. Auf den Fernverkehr entfallen davon ca. 50 Mio. Euro, auf den Nahverkehr ca. 150 Mio. Euro, wovon wiederum 70 Mio. Euro Fehlbetrag der Ostregion (Wien, Niederösterreich, Burgenland) zugerechnet werden können. Eine exakte Aufteilung auf die einzelnen Bundesländer ist wegen der starken Verflechtung des Verkehrsangebotes über die Bundesländergrenzen hinweg nicht möglich. Diese Lasten der ÖBB dürfen keinesfalls auf die Länder übertragen werden.

 

3.         Im § 11 des Gesetzesentwurfes wird die Bestellerförderung geregelt. Darin werden für das Burgenland Finanzmittel in Höhe von 922.300,-- Euro festgeschrieben. Diese Finanzmittel sind aus heutiger Sicht nicht ausreichend, um die Umsetzung von notwendigen neuen Verkehren zu gewährleisten. Darüber hinaus ist die Art der Zuscheidung der vom Bund einseitig festgelegten Finanzmittel im Ausmaß von 30 Mio. Euro auf die Länder nach laufenden/geplanten Projekten, Fläche und Bevölkerungszahl aus der Sicht des Burgenlandes abzulehnen, weil dadurch den Verhältnissen nichtalpiner ländlicher Räume nicht entsprechend Rechnung getragen wird.

 

4.         Es besteht die Gefahr, dass die Freiheit von der Umsatzsteuer, die für Zahlungen durch Verkehrsdienste und Verbünde gilt, entfallen könnte, da die Zahlungen nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes nur noch von den Ländern geleistet werden. Dies führt ebenfalls zu weiteren Kostenbelastungen der Länder.

Ebenso würde jede Änderung sonstiger Rahmenbedingungen (z.B. Behindertengleichstellungsgesetz, Schülerverkehre, ÖV-Leistungen aufgrund Kyoto-Protokoll, Feinstaub etc.) ausschließlich die Länder treffen. Die daraus erwachsenden Kosten sind heute in keiner Weise abschätzbar.

 

Es darf daher seitens des Landes Burgenland noch einmal folgende Vorgangsweise angeregt werden:

-           Ausarbeitung des von der Landeshauptleutekonferenz eingeforderten Gesamtkonzeptes zur Zukunft des öffentlichen Verkehrs und

-           Festlegung der organisatorischen und finanziellen Eckpfeiler im Rahmen einer Vereinbarung gem. Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern.

 

III. Konsultationsmechanismus

 

Wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist, würde das Inkrafttreten des vorliegenden Entwurfes zu erheblichen finanziellen Mehrausgaben für das Land Burgenland führen. Daher wird seitens des Landes Burgenland gemäß Artikel 2 der Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über einen Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebietskörperschaften beantragt, dass Verhandlungen in einem Konsultationsgremium über die dem Land Burgenland durch den vorliegenden Gesetzesentwurf entstehenden Mehrkosten aufgenommen werden.

 

Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme ergeht an die e-mail Adresse „begutachtungsverfahren@parlinkom.gv.at“.

 

Mit freundlichen Grüßen!

 

 

Für die Landesregierung:

Der Landeshauptmann:

Nießl


Zl.u.Betr.w.v.                                                                        Eisenstadt, am 27.2.2006

 

 

1.      Präsidium des Nationalrates, Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien

2.      Präsidium des Bundesrates, Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien

3.      Allen Ämtern der Landesregierungen (z.H. der Herren Landesamtsdirektoren)

4.      Der Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der NÖ. Landesregierung, Schenkenstraße 4, 1014 Wien

 

zur gefälligen Kenntnis.

 

 

Für die Landesregierung:

Der Landeshauptmann:

Nießl