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MD-VD - 141/06                                                                Wien, 24. Februar 2006

Entwurf eines Bundesgesetzes über

die Ordnung des öffentlichen Per-

sonennah- und Regionalverkehrs

(Öffentlicher Personennah- und Re-

gionalverkehrsgesetz - ÖPNRV-G);

Begutachtung;

Stellungnahme

 

zu GZ BMVIT-239.597/0001-II/SCH6/2005

 

 

An das

Bundesministerium für Verkehr,

Innovation und Technologie

 

 

Zu dem mit Schreiben vom 16. Jänner 2006 übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes wird nach Anhörung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wie folgt Stellung genommen:

 

Einleitende Bemerkungen:

 

Die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Reform des öffentlichen Personenverkehrs sind unbestritten. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist jedoch in seiner Struktur finanzpolitisch zu Lasten der Länder motiviert und lässt darüber hinaus notwendige verkehrspolitische Ansätze weitgehend vermissen, weshalb die vom Bund selbst gesteckten Reformziele mit dem vorliegenden Entwurf keinesfalls erreicht werden können. Der Bund zieht sich mit diesem Entwurf aus seiner derzeitigen Verantwortung zurück, indem bei gleichzeitiger Deckelung aller Bundeszahlungen Lasten und Risken auf die Länder überwälzt werden.

 

Mit Befremden muss zur Kenntnis genommen werden, dass der Neuentwurf eines Bundesgesetzes über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV-G) zur Begutachtung ausgesandt wurde, obwohl dem Herrn Vizekanzler mit Schreiben der Verbindungsstelle vom 20. Dezember 2005, Zl. VST-3242/83, mitgeteilt wurde, dass die Anberaumung einer politischen Bund-Länder-Verhan-dlungsrunde vor Einleitung eines Begutachtungsverfahrens für ein neues ÖPNRV-Gesetz gewünscht wird.

 

Auch muss auf den durch den vorliegenden Entwurf in keiner Weise entsprochenen Beschluss der Landesfinanzreferentenkonferenz vom 30. November 2005 verwiesen werden, wonach für Gespräche auf politischer Ebene davon auszugehen ist, dass das Verlustproblem der Österreichischen Bundesbahnen - ÖBB (gemeint ist die fehlende Ausfinanzierung der ÖBB Personenverkehr AG) ohne finanzielle Mitwirkung der Länder und Gemeinden und ohne Kürzung von Verkehrsdienstleistungen durch den Eigentümer Bund gelöst wird und die derzeit be­stehenden Bundesgarantien rechtsverbindlich abgesichert weiter be­stehen bleiben.

 

Darüber hinaus entspricht der derzeitige Entwurf nicht einmal ansatzweise dem von den Landeshauptleuten am 25. Mai 2005 geforderten Gesamtkonzept zur Zukunft des öffentlichen Verkehrs, welches an dieser Stelle abermals mit Nachdruck eingefordert wird.

 

Auch lässt die Vorgehensweise des Bundes, wonach laut Begleitschreiben des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie vom 16. Jänner 2006 zum Gesetzesentwurf auf Grundlage der Ergebnisse der noch zu führenden Beratungen für den sich ergebenden Mittelbedarf eine haushaltsrechtliche Deckung im Bundesfinanzgesetz erst vorzusehen ist, weitere Kürzungen - insbesondere im Bereich der Bestellerförderung - für die Länder und Gemeinden befürchten.

 

Auf europäischer Ebene wurde am 20. Juli 2005 der - nunmehr - dritte Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, KOM (2005)319 endg. veröffentlicht. Dieser Vorschlag übernimmt wesentliche Forderungen Wiens und des Europäischen Parlamentes aus erster Lesung vom November 2001 zum Erhalt des kommunalen Wahlrechts bei der Beauftragung eines Verkehrsdienstleistungserbringers. Dies unter der strengen Auflage, dass bei direkter Beauftragung eines eigenen kommunalen Verkehrsunternehmens dieses außerhalb des geografischen Wirkungsbereichs der zuständigen Behörde von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen bleibt (so genanntes „Reziprozitätsprinzip“). Ein In-Kraft-Setzen der österreichischen Gesetzesnovelle erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen noch nicht abgeschlossenen Entwicklungen auf europäischer Ebene gegenwärtig nicht zielführend, da die österreichischen Reformbestrebungen zum öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr nicht die Entwicklungen auf europäischer Ebene außer Acht lassen sollten.

 

Zum Gesetzesentwurf:

 

Allgemeines:

 

In den Erläuternden Bemerkungen wird ausgeführt, dass sich trotz steigender Zuschüsse der Modal Split gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zu Ungunsten des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs verändert. Die Ursachen dieses Sach-verhaltes werden im Auseinanderklaffen von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung geortet. Mit diesem vordergründigen Motiv will der Bund sich trotz ausdrücklicher Kompetenz (Art. 10 B-VG!) von dieser insoferne verabschieden, als er künftig lediglich seinen bestehenden Zahlungsverpflichtungen mit geringer Indexierung nachkommen will, ohne jedoch seine verfassungsrechtlich bestehende Aufgabenverantwortung wahrzunehmen. Vielmehr soll den kompetenzmäßig nicht zuständigen Ländern politisch und finanziell die Hauptlast und das komplette Risiko aufgebürdet werden. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bereits das bestehende ÖPNRV-Gesetz 1999 mit dem Versprechen eingeführt wurde, dadurch keine Verschlechterung der Position der nachgeordneten Gebietskörperschaften zu normieren. Nur ergänzend sei bemerkt, dass die eingangs erwähnte Veränderung des Modal Split in Wien nicht festzustellen ist, sondern positiv entgegengesetzt verläuft (Erhöhung von 29 % auf 34 % innerhalb von zehn Jahren).

 

Angesichts der Konzeption des Gesetzes wird anstelle des Neuentwurfes gefordert, dass auf Grund der Verschiebung finanzieller Belastungen diese Materie zunächst Gegenstand finanzausgleichsrechtlicher Verhandlungen sein muss.

 

Der Bund plant die Umsetzung per einfachem Bundesgesetz, welches jederzeit zu Lasten der Länder abänderbar ist. Der Forderung der Landesfinanzreferenten, eine allfällige Finanzausstattung der Länder sowie die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr durch eine Art. 15a B-VG Vereinbarung zwischen Bund und Ländern abzusichern, wird somit nicht nachgekommen.

 

Zu den einzelnen Bestimmungen:

 

Der Satz der Erläuterungen des § 2, wonach Unternehmen, die ausschließlich Stadt- und Vororteverkehre betreiben und für welche die Möglichkeit einer Bereichsausnahme seitens der EU geschaffen und von Österreich in Anspruch genommen wurde, jedenfalls als Auftragsverkehre zu werten sind, sollte gestrichen werden.

 

Die im § 4 vorgenommene Definition der Eigen- und e contrario der Gemeinwirtschaftlichkeit mag zwar eine beruhigende Lösung für die Situation bis zum In-Kraft-Treten der EU-Nahverkehrsverordnung darstellen, es erscheint jedoch mehr als fraglich, ob diese Begriffsbestimmung vor den europäischen Instanzen standhalten wird.

 

In § 4 Abs. 3 ist nun die Möglichkeit eines Finanzierungsbeitrages durch Dritte nicht mehr vorgesehen, wodurch eine gemeinsame Finanzierung von Gebietskörperschaften und Dritten unterlaufen wird.

 

Wenn auch für Wien derzeit nicht von Bedeutung, so sollte im § 5 Abs. 2 doch auch die Möglichkeit offen bleiben, dass sich Gemeinden an den Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften beteiligen.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 orientiert sich der räumliche Geltungsbereich eines Verkehrsverbundes nunmehr an den Bundesländer- oder Staatsgrenzen und nicht - wie bisher - an den Fahrgastströmen. Bereits im jetzigen ÖPNRV-G ist es ein Nachteil, dass der Bund nicht verpflichtet ist, sich um bundesländer- bzw. verbundübergreifende Verkehre zu kümmern, dies wird durch den Entwurf besonders dokumentiert (ÖPNV Richtung Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Steiermark wäre Verkehrsverbundorganisationsvereinbarungen vorbehalten).

 

Stattdessen wird gefordert, die bestehende Regelung des § 14 Abs. 1 ÖPNRV-G 1999, wonach sich der räumliche Geltungsbereich eines Verkehrsverbundes an den jeweiligen Fahrgastströmen orientiert, aufrecht zu erhalten. Dies ist wesentlich flexibler und würde die Festschreibung eines Grundangebotes (oder besser eines optimalen Angebotes, welches sich auf Grund zukünftiger Anforderungen auch weiterentwickeln lässt) den tatsächlichen Bedürfnissen besser entsprechen.

 

Die Normierung des § 5 Abs. 3 zweiter Satz, wonach bei grenzüberschreitenden Fahrgastströmen die davon betroffenen Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften entsprechende Vereinbarungen zu treffen haben, erscheint wenig praktikabel.

 

§ 5 Abs. 4 weist einen redaktionellen Fehler auf und sollte wie folgt lauten: „... Schüler- und Lehrlingsfreifahrt gemäß § 13 ...“.

 

Zu den in § 6 genannten Aufgaben des Bundes ist festzuhalten, dass zwar der noch im Sommer 2005 im Rahmen der Arbeitsgruppen präsentierte Vorschlag, wonach die Sicherstellung flächendeckender Verkehrsangebote den Ländern und Gemeinden obliegt, nicht mehr enthalten ist. Jedoch wäre auch der Bund nicht mehr wie bisher (vgl. § 7 ÖPNRV-G 1999) für die Sicherstellung eines Grundangebotes im öffentlichen Schienenpersonennah- und -regionalverkehr (SPNRV) im Umfang der im Fahrplan 1999/ 2000 bestellten oder erbrachten Leistungen zuständig. Es ist entschieden abzulehnen, dass der Bund im Wege der Neuregelung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (insbesondere auch durch den Entfall des § 7 ÖPNRV-G 1999) die Kosten für die ihn treffende Verpflichtung auf die Länder überwälzt. Weiters bleibt zu befürchten, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen ihre Kostensteigerungen (hervorgerufen durch die jährliche Anpassung des Infrastrukturbenützungsentgelts sowie die fehlende Ausfinanzierung des Unternehmens ÖBB Personenverkehr AG) auf die Länder abwälzen werden.

 

Das Eisenbahnwesen liegt kompetenzrechtlich im Bereich des Bundes, der die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und die übergeordnete Koordination des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs wahrzunehmen hat. Dennoch fehlen bereits derzeit zur Aufrechterhaltung des bestehenden Angebotes österreichweit ca. EUR 200 Mio. Daher wird gefordert, dass auch das neue ÖPNRV-G diese Finanzverpflichtungen des Bundes fortschreibt. Als Aufgabe des Bundes muss hier eine Verpflichtung des Bundes zur regelmäßigen Erstellung eines Gesamtverkehrskonzeptes unter Einbeziehung der Länder normiert werden. Ohne ein derartiges Konzept ist zum Beispiel § 15 Z 4 betreffend die zur Verfügung Stellung bundesweit einheitlicher und verkehrsübergreifender Informationssysteme über Fahrpreise, Fahrpläne, Routenwahl und Umsteigerelationen nicht vollziehbar.

 

Nachdem die Kompetenz der Gemeinden (§ 7 Abs. 1 enthält eine Mischung von Länder- und Gemeindeaufgaben) unklar ist, wäre diese zu konkretisieren, um nicht wieder allzu großen Interpretationsspielraum und damit Rechtsunsicherheit zu verursachen. Gleiches gilt hinsichtlich der Autonomie der Gemeinden in Fragen des öffentlichen Verkehrs sowie hinsichtlich der Ausstattung der Gemeinden mit Finanzmitteln für den öffentlichen Verkehr.

 

§ 7 Abs. 1 Z 3 normiert, dass der Abschluss von Verträgen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienstleistungen den Ländern und Gemeinden obliegt. Derzeit sieht jedoch § 13 ÖPNRV-G 1999 vor, dass für die über das Angebot gemäß § 7 hinaus gehenden Verkehrsdienstleistungen oder Angebotsverbesserungen im Kraftfahrlinienbereich die Länder und Gemeinden zuständig sind.

 

§ 7 Abs. 1 Z 4 legt fest, dass die Abgeltung der durch den Verbundtarif und dessen Durchrechnung entstehenden Durchtarifierungsverluste (DTV) an die am Verkehrsverbund teilnehmenden Verkehrsunternehmen unter Verwendung der dafür zugewiesenen Bundesmittel gemäß § 6 Z 3 erfolgen soll, lässt jedoch offen, wie vorzugehen ist, wenn die Bundesmittel zur Abdeckung des DTV nicht ausreichen. So wurden bereits in den letzten Jahren dem Bund und den Ländern die Verbundzahlungen (DTV, Abtarifierungsverlust - ATV) im Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) nie in voller Höhe in Rechnung gestellt. Bereits derzeit klafft ein Lücke von bis zu EUR 6,6 Mio., die in der Restverteilung der Fahrkarten fehlt. Eine Verpflichtung der betroffenen Länder, etwaige Fehlbeträge abzudecken, ist jedenfalls entschieden abzulehnen, da diese Verpflichtung schon aus kompetenzrechtlichen Gründen den Bund trifft.

 

Zu den §§ 8 und 9 ist anzuführen, dass für den Bund generell klar sein sollte, dass eine Reihe von Verkehrsunternehmen eigenwirtschaftlich agierende, sehr erfolgreiche Wirtschaftskörper sind, und es nicht Sache des ÖPNRV-G sein kann, diesen Unternehmen penible Vorschriften über die ihnen zukommenden Aufgaben zu machen. Damit setzt sich bedauerlicherweise nur die bisher bei den Verhandlungen über Grund- und Finanzierungsverträge geübte Vorgangsweise fort.

Aus Sicht der Stadt Wien ist zu fordern, dass § 8 Z 4 wie folgt geändert wird:

 

„Fahrplangestaltung in Abstimmung mit den Gebietskörperschaften bzw. den Verkehrsverbundorganisations­gesellschaften, wenn sie dafür von den Gebietskörperschaften beauftragt werden.“.

 

Die in § 8 Z 7 von den Verkehrsunternehmen geforderte transparente streckenbezogene Darstellung der Verwendung der von den je­weiligen Bestellern aufgewendeten Finanzmittel widerspricht dem von vielen Verkehrsunternehmen geleisteten Netzangebot. Auch ist eine derartige Darstellung derzeit technisch unmöglich und würde die Umsetzung jedenfalls Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe hervorrufen.

 

Die Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften erfahren nach § 9 des vorliegenden Entwurfes eine weitgehende Kompetenzstärkung. Während nach dem ÖPNRV-G 1999 eine Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft nur für Rahmenvorgaben für die Festsetzung, Entwicklung oder Weiterentwicklung sowie die Umsetzung des Verbundregelbeförderungspreises zuständig ist, sollen diese in Zukunft in Zusammenarbeit mit den Verkehrsunternehmen im Falle der Bruttobestellung von Verkehrsdiensten den Verbundtarif festsetzen, entwickeln oder weiterentwickeln können. Eine derartige Kompetenzausweitung wird strikt abgelehnt. Es ist daher jedenfalls zu fordern, dass bei den Aufgaben der Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften der einleitende Satz folgendermaßen lautet: „Aufgaben der Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft sind, wenn sie dafür von den Gebietskörperschaften beauftragt werden ...“. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, warum die in § 9 Z 3 enthaltene Kontrolle der Erfüllung der Qualitätskriterien gemäß § 15 ausschließlich bei den Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften angesiedelt werden soll und nicht bei den Ländern selbst, die in der Regel die Verkehrsdienstverträge abschließen und darin auch die entsprechenden Qualitätskriterien aufnehmen. Ziffer 3 sollte deshalb als Aufgabe der Länder und Gemeinden in § 7 aufgenommen werden.

 

Sollte der VOR mit allen im Entwurf genannten Agenden betraut werden (die er teilweise bislang nicht wahrgenommen hat), ist jedenfalls mit einem Ansteigen der Kosten für den VOR zu rechnen.

 

Auch muss in diesem Zusammenhang festgehalten werden, dass in den Arbeitsgruppen seitens des Bundes stets bekräftigt wurde, dass eine Abrechnung der Schüler- und Lehrlingsfreifahrten über die Verkehrsverbünde nur auf freiwilliger Basis erfolgen soll. Für Wien und die Wiener Linien ist von besonderer Bedeutung, dass auch in Zukunft die Schüler- und Lehrlingsfreifahrten für ausschließlich von den und für die Wiener Linien befahrenen Strecken nicht vom VOR abgerechnet werden. Diese Möglichkeit muss auch in Zukunft gesetzlich gewährleistet sein.

 

Zu der Einrichtung eines Fahrgastbeirates ist zu erwähnen, dass die Wiener Linien bereits sehr gute Erfahrungen mit ihrem Fahrgastbeirat gemacht haben. Ob sich ein solcher jedoch in einer überschaubaren und sinnvollen Größe bspw. für den VOR einführen lässt, wird sich zeigen und ist auch diese gesetzliche Verpflichtung jedenfalls mit zusätzlichen Kosten verbunden.

 

Zur Finanzierung:

 

In § 10 Abs. 1 Z 9 werden für Wien EUR 11,157.500 für Aufgaben der Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften ausgewiesen. Im Falle von Fahrgastzuwächsen ist dieser Betrag nach Auskunft des VOR nicht ausreichend und der Vorschlag daher auch wegen Unterdotierung abzulehnen. Hinsichtlich der in Vorschlag gebrachten Indexierung (§ 10 Abs. 4) ist zu kritisieren, dass die Abrechnungswerte nach einem Mischindex wertgesichert werden sollen, welcher einerseits zur Hälfte von der allgemeinen Preisentwicklung, andererseits zur Hälfte von der Entwicklung der Nachfrage abhängt. Die Bindung an die Nachfrageveränderung ist bei einer Abgeltung für Semestertickets oder aber auch für bloßen Organisationsaufwand überhaupt nicht gerechtfertigt. Auch berücksichtigt die Bindung an den Verbraucherpreisindex auf Grund der überproportional steigenden Energie- und Treibstoffpreise die tatsächliche Kostenentwicklung unzureichend. Zwar berücksichtigt die Indexierungsregelung die Fortschreibung der Gesamtförderungen, nicht jedoch die Aufteilung auf die einzelnen Unternehmen. Es ist daher zu erwarten, dass die Verhandlungen für die neu zu konzipierenden Einnahmenaufteilungsverträge entsprechend schwierig sein werden.

 

Darüber hinaus sind die Berechnungsregeln überaus unklar, sodass - bei Auffassungsunterschieden - Klagen beim Verfassungsgerichtshof zur Durchsetzung dieser Finanzierungsansprüche sehr wahrscheinlich sind. Die Einnahmen sind in keiner Weise ein Indiz für die Nachfrage. Gerade bei Netzkartensystemen führt eine gesteigerte Nachfrage in der Regel nicht zu proportional steigenden Einnahmen. Wenn der Verbundtarif angehoben wird, um den vom Bund nicht abgedeckten Kostensteigerungen zu begegnen, soll diese Tariferhöhung auch aus den Einnahmen heraus-„bereinigt“ werden, wodurch die Unternehmen aber auch die Länder bei der Valorisierung jedenfalls benachteiligt werden. Was schließlich unter dem Begriff „Überwanderung zwischen Verbundtarif und Unternehmenstarif“ zu verstehen sein soll, bedarf näherer Erläuterungen.

 

Unklar bleibt weiters, in welcher Rechtsform die Valorisierung stattfinden soll. Da der Gesetzgeber nunmehr die Ausgangsbeträge gesetzlich fixiert hat, wäre die Valorisierung, die ja nicht bloß an einen amtlichen Index gebunden ist, wohl ebenfalls in Gesetzesform, oder - im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage - in Verordnungsform vorzunehmen. Eine diesbezüglich Festlegung fehlt jedoch. Vollkommen abzulehnen wäre eine bloße rechtsaktfreie, einseitige Festlegung durch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Auch darf ein fehlendes (vollständiges) Beibringen der Nachweise nicht zum endgültigem Verlust der Valorisierung führen.

 

Es wird darauf hingewiesen, dass die bereits langjährig erfolgte Integration der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt im VOR als Konsequenz eine Nullabgeltung für Wien zur Folge hat, während andere Länder, deren Verbundgesellschaften erst vor kurzem eine Verbundtarifintegration für Schüler und Lehrlinge ermöglichten, für diese Aufwände entschädigt werden. Diese Ungleichbehandlung müsste im Zuge eines neuen Gesetzes beseitigt und eine derartige Abgeltung auch dem VOR zugestanden werden.

 

Zur Bestellerförderung (§ 11) wird angemerkt, dass diese nunmehr auf EUR 30 Mio. statt der 2005 geleisteten EUR 11,5 Mio. (laut Bundesvoranschlag waren EUR 8,5 Mio. vorgesehen, gesetzlich verpflichtend wären lediglich EUR 7,2 Mio.) aufgestockt werden soll. Eine verbindliche Zusage des Bundesministeriums für Finanzen liegt dazu jedoch nicht vor.

 

Zwar signalisiert dies ein Entgegenkommen des Verkehrsminis­teriums unter Abwälzung des Konfliktpotenzials auf das Bundesministerium für Finanzen. Abgesehen davon wurde bei den Verhand­lungen über das ÖPNRV-G 1999 die Zustimmung der Länder davon abhängig gemacht, dass die in den Erläuterungen zum ÖPNRV-G 1999 genannten Förderungen von EUR 62,5 Mio. zur Verfügung gestellt werden. Auch aus diesem Grund relativiert sich das Entgegenkommen im Entwurf.

 

Es ist zu beachten, dass die Aufteilung der in Zukunft zur Verfügung stehenden Bestellerförderung in der Höhe von EUR 30 Mio. auf die einzelnen Länder sich zum Teil auf Basis der bereits genehmigten Anträge berechnet. Im Fall der Stadt Wien bedeutet das, dass Fördermittel bei bundesländerübergreifenden Projekten mit Niederösterreich, welches auch als antragstellende Gebietskörperschaft fungiert hat, diese nunmehr alleine Niederösterreich zugeschieden werden. Es wird davon ausgegangen, dass diese Mittel auch künftig eben diesen grenzüberschreitenden Vorhaben zugute kommen.

 

Verschiebungen zu Ungunsten Wiens auf Grund der noch abzuhaltenden politischen Bund-Länder Gespräche werden jedenfalls abgelehnt. Die Berechnungsgrundlage für die Bestellerförderung der einzelnen Länder sind jedenfalls durch den Bund darzulegen. So ist aus den Erläuterungen nicht ersichtlich, zu welchem Stichtag der jeweilige Bevölkerungsanteil berechnet ist und kann auch nicht nachvollzogen werden, ob die Summe der laufenden Projekte und der Warteliste nach wie vor den Unterlagen der Landeshauptleute-Konferenz entsprechen.

Für die Wiener Linien und als deren Eigentümer für die Stadt Wien von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob neue Verkehrsdienstebestellungen auch im Rahmen eines bestehenden Vertrages generiert werden können. Dies sollte ausdrücklich als zulässig im Gesetz verankert werden. Auch wäre eine extensive Interpretation des Begriffes „zusätzliche Verkehrsdienste“ zu fordern. Jedenfalls sollten auch Fahrplanänderungen und Fahrtroutenänderungen bestehender Linien umfasst sein.

 

Im § 12 wird die Leistung der Schienenbahnen wiederum mit dem Verkauf von Fahrausweisen gleichgesetzt. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass der Zeitpunkt der Abrechnung ganz offensichtlich nach bereits erbrachter Leistung liegen soll. Auf Grund der Abrechnungen erfolgt die Zuscheidung per 30. Juni des Folgejahres. Es ist hoffentlich davon auszugehen, dass zumindest Akonto-Zahlungen auch während des Jahres fließen. Davon findet sich allerdings nichts im Gesetz.

 

Anzumerken bleibt, dass anstatt der in den Erläutungen zu § 12 ausgewiesenen Werte für Privatbahn-Förderungen an die Wiener Lokalbahnen (Gesamtbetrag von Wien und Niederösterreich in der Höhe von EUR 7,443.400,00, der zur Gänze den Wiener Lokalbahnen zuzuscheiden ist) zumindest der Betrag für 2004 als Basiswert zu Grunde zu legen wäre. Auch ist sicherzustellen, dass im Falle des Markteintritts zusätzlicher privater Eisenbahnverkehrsunternehmen die den Wiener Lokalbahnen nach der vorliegenden Konzeption zustehenden Mittel nicht geschmälert werden. Eine Valorisierung der Tarifbestellungen sowohl für die Privatbahnen als auch für die ÖBB wird gefordert. Derzeit soll nur die Veränderung der mit Fahrausweisen erbrachten Verkehrsleistungen berücksichtigt werden.

 

Schon um das bisher vom Bund garantierte Grundangebot gemäß § 7 ÖPNRV-G 1999 ausfinanzieren zu können, müssten wohl die Länder zusätzliche Finanzmittel bereitstellen. In diesem Zusammenhang ist zu ergänzen, dass durch das jährlich um ca. 5 bis 6 % ansteigende Infrastrukturbenützungsentgelt (IBE), das die ÖBB Personenverkehr AG an die ÖBB Infrastruktur Betrieb AG zu leisten hat, bei der ÖBB Personenverkehr AG ein Mehraufwand entsteht, der entweder durch Rationalisierungen oder Angebotskürzungen, und/oder durch höhere Zuschüsse der öffentlichen Hand bzw. durch höhere Fahrpreise kompensiert werden muss. Eine jährliche Anhebung der Fahrpreise im
oben genannten Ausmaß erscheint als Alternative jedenfalls kontraproduktiv, wenn man den öffentlichen Verkehr attraktiver gestalten will. Allein für die Ostregion (Wien, Niederösterreich, Burgenland) ist aus diesem Titel mit einem Mehraufwand von EUR 8,3 Mio. bis 2011 zu rechnen.

 

Darüber hinaus wird auch für die Wiener Lokalbahnen wie für die ÖBB ein Verlagerungs- und Qualitätsbonus gefordert.

 

Zu § 15 ist positiv zu bemerken, dass Qualitätskriterien weiter im ÖPNRV-G enthalten sind. Klarzustellen wäre jedoch, dass eine „Gewährleistung der persönlichen Sicherheit der Fahrgäste“ ihre Grenzen beim strafrechtlich relevanten Verhalten Dritter hat. Es ist bedauerlich, dass die noch im ÖPNRV-G 1999 (§ 31 Z 3) geforderte Einhaltung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften nicht mehr zu den Qualitätskriterien zählt.

 

Die nach § 16 von den Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften zu liefernden Daten werden nach derzeitigem Stand zumindest nicht auf Strecken bezogen erstellt werden können.

 

Der Gesetzesvorschlag geht davon aus, bis zum 30. Juni 2016 Effizienzsteigerungen auszulösen, deren Evaluierung von Bund und Ländern dann gemeinsam vorzunehmen ist. Es ist nicht nachvollziehbar, durch welche konkreten Maßnahmen diese Effizienzsteigerungen bewirkt werden sollen, wenn bereits jetzt absehbar ist, dass durch den Wegfall des bisher vom Bund sichergestellten Grundangebotes gemäß § 7 ÖPNRV-G 1999 Kostensteigerungen auf die Länder zukommen. Die Länder müssten folglich mehr Geld als bisher aufwenden, um das Verkehrsangebot zumindest in seiner jetzigen Form aufrecht halten zu können. Die Finanzierung zusätzlicher Bestellungen von Verkehrsdiensten erscheint schon auf Grund dieses absehbaren Mehraufwandes der Länder durch den vorliegenden Gesetzesbeschluss verhindert. Aufgabe des vorliegenden Gesetzesentwurfes wäre es stattdessen, konkrete gesetzliche Rahmenbedingungen für eine deutliche Steigerung des Modal Split zugunsten des öffentlichen Verkehrs vorzusehen und damit nicht nur dem dringenden Bedürfnis nach einer Priorisierung des öffentlichen Verkehrs zu entsprechen, sondern gleichzeitig auch der berechtigten Kritik des Rechnungshofes nachzukommen.

 

Ein unterjähriges In-Kraft-Treten, insbesondere mit 1. Juli 2006, wird strikt abgelehnt. So sind die Finanzplanungen der einzelnen Verbünde und Verbundpartner für das Jahr 2006 schon lange abgeschlossen und sind darüber hinaus die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht wirklich deckungsgleich mit den derzeit noch bestehenden Grund- und Finanzierungsverträgen.

 

§ 26, wonach aufrechte Grund- und Finanzierungsverträge, Vereinbarungen über die Finanzierung der Semestertickets sowie die Vereinbarung über die Finanzierung der laufenden Kosten für die Abrechnung im Rahmen der Integration der Schüler- und Lehrlingsfreifahrten außer Kraft treten, ist rechtsstaatlich äußerst bedenklich, da ein Vertragspartner die Gültigkeit von im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung abgeschlossenen Verträgen mittels gesetzlicher Regelung beendet und somit den Vertragsinhalt abändert. Jeder Grund- und Finanzierungsvertrag enthält detaillierte Kündigungsregelungen, an die sich die Vertragspartner zu halten haben. Es bleibt dem Bund natürlich unbenommen, dieses Kündigungsrecht zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt und unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Frist wahrzunehmen. In der Grundsatzvereinbarung des VOR ist überdies eine an­dere Regelung ent­halten. Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass im Grund- und Finanzierungsvertrag alt des VOR nicht nur finanzielle, sondern auch verkehrspolitische Re­ge­lungen enthalten waren, aus deren Ein­haltung der Bund nicht ent­lassen werden kann.

 

Schlussfolgerung:

 

Es ist beizupflichten, dass grundsätzlich Reformbedarf besteht, da die Länder und die Gemeinden vor allem im Hinblick auf die Finanzierung zusätzlicher Verkehrsleistungen ein berechenbares und auch verlässliches Finanzinstrumentarium brauchen. Eine griffige Reform muss jedoch den gesellschaftlichen Nutzen im Rahmen der Daseinsvorsorge in den Vordergrund stellen und darf nicht bloß auf Grund knapper werdender Finanzmittel zu einem Abschieben von Verantwortung führen.

 

Zielsetzung des Neuentwurfes scheint demgegenüber fast ausschließlich eine möglichst rasche Übertragung der Aufgaben und des Finanzierungsrisikos vom Bund auf die Länder zu sein. Die Sinnhaftigkeit, in der derzeitigen Situation (bevorstehendes Erlassen der EU-Nahverkehrsverordnung, etc.) ein neues ÖPNRV-G in der vorliegenden Fassung zu erlassen, ist in keiner Weise ersichtlich.

 

Die Stadt Wien verlangt angesichts ihrer massiven Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf, der aus den angeführten Gründen insgesamt abgelehnt wird, stattdessen folgende weitere Vorgehensweise:

 

-        Einberufung der angekündigten politischen Verhandlungsrunde durch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie unter gleichzeitiger Einbeziehung aller Bundesländer;

 

-        Ausarbeitung des von der Landeshauptleutekonferenz im Mai 2005 eingeforderten Gesamtkonzepts zur Zukunft des öffentlichen Verkehrs, welches im Sinne der Wahrnehmung der übergeordneten Planungskompetenz durch den Bund unter Mitwirkung der Länder ein Grundangebot mit kalkulierbaren Schnittstellen zwischen Fernverkehr und Nahverkehr definiert;

 

-        darauf aufbauend die Festlegung der organisatorischen und finanziellen Eckpfeiler im Rahmen einer Vereinbarung gem. Art. 15a B-VG;

 

-        basierend auf dieser Vereinbarung gem. Art. 15a B-VG die Vornahme der notwendigen Adaptierungen des ÖPNRV-G im Einvernehmen mit den Ländern.

 


Gleichzeitig werden 25 Ausfertigungen dieser Stellungnahme an das Präsidium des Nationalrates übermittelt. Eine weitere Ausfertigung ergeht an die e-mail Adresse „begutachtungsverfahren@parlament.gv.at“.

 

 

                                                                      Für den Landesamtsdirektor:

 

 

Mag. Leopold Bubak                                              Dr. Peter Pollak