Univ.-Doz. Dr. Olaf Stanger
Klinik für Herzchirurgie
Herzchirurgische Forschung
Paracelsus Medizinische Universität
Müllner Hauptstrasse 48, A-5020 Salzburg
o.stanger@salk.at
ÖGK-Insitut für Aminosäure- und Vitaminstoffwechsel
Vorsitzender DACH-Liga Homocystein e.V.
An das
BM für Gesundheit und Frauen
Radetzkystrasse 2, 1031 Wien
Betr.: Stellungnahme zum Folsäuregesetz/Entwurf
Salzburg, 5. September 2006
Sehr geehrte Damen und Herren,
Das Inkrafttreten des Gesetzes zur Anreicherung von Mehl mit Folsäure und Vitamin B12 (Folsäuregesetz) ist grundsätzlich zu begrüßen und wird dringend befürwortet.
Hintergrund: Die prophylaktische Wirksamkeit von Folsäure (präkonzeptionelle Einnahme) auf Geburtsfehlbildungen, besonders Neuralrohrdefekte, steht seit Jahrzehnten außer Frage. Auf den in der Österreichischen Bevölkerung tatsächlich vorhandenen Mangel an Folsäure und Vitamin B12 weisen seit Jahren alle fachrelevanten Publikationen, einschließlich des im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit und Frauen herausgegebenen Österreichischen Ernährungsberichts, hin. Viele Österreicher erreichen über die Ernährung nicht die empfohlenen Tagesmindestaufnahmen dieser Vitamine. Die Fallzahl für Neuralrohrdefekte beträgt in allen westeurop. Ländern ~1:1000, mit Ausnahme von Irland - dort: 6:1000 - mit gesetzlichem Verbot der Schwangerschaftsterminisierung, was zusammen mit Registern verschiedener Regionen und Ländern eine erhebliche Dunkelziffer durch Frühdiagnostik und frühzeitigen Schangerschaftsabbruch bedeutet. In Österreich sind bei etwa 77.252 Lebendgeburten im Jahr 2005 (Statistik Austria) jährlich 70-80 Neugeborene davon betroffen. Bis zu 70% dieser betroffenen Kinder wären durch eine rechtzeitige Folsäureversorgung gesund und ohne lebenslange Behinderung. 1 Alle europäischen Länder haben bislang Aufklärungs-programme für Frauen im gebärfähigen Alter eingesetzt, jedoch ohne messbaren Erfolg. 2 Das Folsäuregesetz ist ein ideales und zeitgemäßes Instrument zur Behebung des Folsäure und Vitamin B12-Mangels in der Gesamtbevölkerung [etwa in Analogie der erfolgreichen Programme zur Jodierung und Fluordiierung des Kochsalzes] und in der flächendeckenden Prophylaxe gegen Geburtsfehlbildungen. Diese Maßnahme dient damit dem Schutze der Gesundheit der Bevölkerung unter absolutem Ausschluß von Risiken oder Gefahren und mit vernachlässigbaren Kosten (ca. 0.0004 Euro/kg Mehl). Zahlreiche Staaten der Welt haben bereits ähnliche Programme ein- und durchgeführt, alle Analysen zeigen übereinstimmend die erfolgreiche Senkung der Anzahl von Neuralrohrdefekten und anderer Fehlbildungen um 49-78%.
Anmerkungen zum Gesetzesentwurf:
§ 1 Generell könnten Bio- bzw. Vollkornmehle von der Vorschreibung ausgenommen werden. Hier stellt sich das Problem der fertigungstechnischen Trennung und Qualitätsminderung nicht und ein gewisse Wahlmöglichkeit des Konsumenten bliebe bestehen.
§ 2 Die Anwendung auf jedes in Verkehr gebrachtes Mehl würde auch importiertes Mehl aus angrenzenden Staaten betreffen. Diese Anwendung und besonders der Ratifizierungsprozess wird schwer durchsetzbar sein und die Einführung zumindest erheblich verzögern. Die Menge an importierten Mehl aus angrenzenden Staaten ist jedoch sehr gering und im Sinne der Maßnahme vernachlässigbar, sodaß §2 dahingehend formuliert werden sollte, dass es sich um in Österreich hergestelltes und in Verkehr gebrachtes Mehl handelt.
[NB: den österreichischen Herstellern könnte im Gegenzug für eigene Exporte und auf Ansuchen das Aufbringen eines, auf die im Vergleich höherwertige Qualität hinweisenden, Gütesiegels gestattet werden].
§2 (1) Der Absatz sollte die zuzugebende Menge anführen und 200 µg Folsäure / 100g Mehl und 1 µg Vitamin B12 / 100g Mehl betragen. Die Berechnungen berücksichtigen Daten der Ernährungsberichte und aus mehreren Tausend Blutuntersuchungen (vorwiegend Steiermark, Salzburg und Tirol) im eigenen Forschungslabor sowie Untersuchungsdaten im europ. Vergleich. 3 Hitzestabilität und die biologische Verfügbarkeit i.S. des Folsäureäquivalents (Faktor 1.7 für Folsäure zum Folat) sind hierbei berücksichtigt, sodaß die Differenz zwischen durchschnittlicher Aufnahme und empfohlener Mindestaufnahme in Österreich weitgehend genau geschlossen wird.
Mit freundlichen Grüßen

Univ.-Doz. Dr. Olaf Stanger
1 Busby , et al. Preventing neural tube defects in Europe: a missed opportunity. Reprod Toxicol 2005;20:393-402.
2 Botto LD: International retrospective cohort study of neural tube defects in relation to folic acid recommendations: are the recommendations working? Br Med J 2005; 2005;330:571-576.
3 de Bree A, van Dusseldorp M, Brouwer IA, van het Hof KH, Steegers-Theunissen RP. Folate intake in Europe: recommended, actual and desired intake. Eur J Clin Nutr. 1997;51:643-660.