561/A(E) XXIII. GP
Eingebracht am 30.01.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Entschließungsantrag
DRINGLICHER ANTRAG
der Abgeordneten Van der Bellen, Glawischnig, Lichtenecker, Moser, Freundinnen und Freunde
betreffend Energiewende 2020 - Ausstiegsfahrplan „Raus aus Atomstrom, Öl, Gas und Kohle"
Begründung
Die jetzige Bundesregierung beschreitet - so wie schon die vergangenen Regierungen - beim Klimaschutz einen mutlosen Weg. Die Erreichung des Kyoto-Ziels wurde ebenso aus den Augen verloren wie die energiepolitischen Vorgaben der EU oder die selbstauferlegten Regierungsziele. Selbst dieses (Nicht-)Tun wurde aber in den vergangenen Tagen durch Aussagen von Bundeskanzler und Vizekanzler noch übertroffen. „Klimaschutzziele bekämpfen" lautet die neue Parole von SPÖ und ÖVP. Die österreichische Klimaschutzpolitik ist an ihrem absoluten Tiefpunkt angelangt.
Die EU-Kommission hat vergangene Woche ein Klimaschutzpaket vorgelegt und Klimaschutzziele (Reduktion der Treibhausgasemissionen, Ausbau erneuerbarer Energien) für die Mitgliedsstaaten für das Jahr 2020 vorgeschlagen. Obwohl die Vorschläge teilweise hinter die EU-Bekenntnisse bei der Weltklimakonferenz in Bali im Dezember 2007 zurückfallen und die Vorreiterrolle der EU beim Klimaschutz abschwächen, sind sie in den Augen der Bundesregierung noch zu weitreichend. SPÖ und ÖVP legen beim Klimaschutz den Rückwärtsgang ein. Mit Argumenten, die an die umweltpolitische Steinzeit der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnern und Klimaschutz vor allem als Belastungspaket für die Wirtschaft sehen, wollen Gusenbauer und Molterer nun in Brüssel gegen verbindliche Klimaschutzziele ankämpfen.
Während die EU-Kommission den Kampf gegen den Klimaschutz noch nicht aufgegeben hat und Fortschritte in Deutschland und anderen Staaten Anlass zur Hoffnung geben, sehen die Prognosen auf globaler Ebene ebenso wie in Österreich düster aus.
Düstere Prognosen
Setzt sich der derzeitige Trend auf globaler Ebene fort, wird der weltweite Energieverbrauch gem. Prognose der internationalen Energieagentur bis 2030 um 53% ansteigen (IEA, Weltenergieausblick 2006). Die Importe von Öl und Gas der OECD und der asiatischen Schwellenländer steigen in dieser Projektion sogar schneller als die Gesamtnachfrage. Der weltweite Ölverbrauch würde von 84 auf 116 Millionen Barrel pro Tag steigen. Der überwiegende Teil des zusätzlichen Ölangebots würde von wenigen OPEC-Mitgliedern kommen, die Ölproduktion der Nicht-OPEC-Länder ca. 2015 ihren Höhepunkt erreichen. Die Erdöl-Abhängigkeit von einzelnen - meist geopolitisch instabilen - Staaten würde zunehmen. Die Verwundbarkeit der von Öl und Gas abhängigen Verbraucher wie der EU durch Lieferausfälle und den daraus resultierenden Preisschocks würde dramatisch steigen. Bis 2030 würden die weltweiten CO2-Emissionen 40 Milliarden Tonnen erreichen und damit 55 Prozent über heutigem Niveau liegen.
Wird diesem Trend nicht rasch und radikal gegengesteuert, wird sich der Klimawandel derart beschleunigen und verstärken, dass eine weltweite ökologische und wirtschaftliche Katastrophe unausweichlich ist.
Auch in Österreich bewegen sich alle klima- und energiepolitischen Trends in die falsche Richtung. Das angebliche Umweltmusterland hat entgegen aller Beteuerungen der Bundesregierung längst abgedankt. Der Stromverbrauch wächst seit Jahren um 2 bis 3 % pro Jahr völlig ungebremst. Um diesen Zuwachs abzudecken, müsste jedes Jahr ein Donaukraftwerk von der Dimension des Wasserkraftwerks Freudenau errichtet werden, ein unmögliches Unterfangen. Der Gesamtenergieverbrauch ist seit 1970 um durchschnittlich 2% pro Jahr gestiegen. Das „Land am Strome" ist ein Land der fossilen Energieträger. Fast 80% des österreichischen Energieverbrauchs werden durch Öl, Gas und Kohle gedeckt. Der Anteil der erneuerbaren Energieträger sinkt; im Strombereich seit 1997 von 70% auf 57%.
Die Treibhausgasemissionen sind seit 1990 um 15% gestiegen und lagen im Jahr 2006 um 22 Mio. Tonnen über dem Kyoto-Zielwert, der ab 2008 verbindlich eingehalten werden muss. Im Verkehrsbereich ist die Situation noch um ein Vielfaches dramatischer: die CO2- Emissionen sind seit 1990 um mehr als 80% angestiegen.
Maßnahmen, die diesen Trend umkehren könnten, sind nicht in Sicht. Die Bundesregierung hat den Kampf gegen den Klimawandel aufgegeben. Die Ziele des Regierungsprogramms haben keine Gültigkeit mehr. Die Bundesregierung verkommt zur PR-Abteilung von Schwerindustrie und Lkw-Lobby mit dem Auftrag, Klimaschutz in Brüssel zu verhindern.
So kann es nicht weitergehen. Österreich braucht eine neue Energie- und Klimaschutzpolitik.
Es geht nicht um ein bisserl Agrartreibstoff hier und ein wenig Ökostrom dort, so wie sich die Bundesregierung das vorstellt. Bis diese armseligen Maßnahmen wirken, ist es längst zu spät. Der Klimawandel droht nicht irgendwann in ein paar Jahrzehnten, sondern findet bereits statt. Die notwendige Klimaschutzpolitik hingegen nicht.
Es braucht eine radikale Klima- und Energiepolitik, die in ihrer Dimension und Reichweite der industriellen Revolution entspricht. Diese ökologische Revolution des Wirtschafts- und Energiesystems muss in den nächsten 20 Jahren vollzogen sein, die Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden.
Nicht-Handeln ist x-fach teurer als aktiver Klimaschutz
Bleibt die Klimarevolution aus, drohen nicht nur Umweltkatastrophen wie häufigere und stärkere Stürme, Überschwemmungskatastrophen, Murenabgänge, Hagelunwetter sowie das völlige Abschmelzen der Alpengletscher. Wird nicht gehandelt, wird eine Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes die Folge sein. Bis zu 20% des globalen BIP müssten für die vom Klimawandel verursachten Schäden in Kauf genommen werden, hat der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, errechnet.
Bis zu 3.000 Euro pro Jahr könnte der Klimawandel nach Angaben der EU-Kommission jeden EU-Bürger kosten, wenn nicht gegengesteuert wird. Das nun von der EU-Kommission vorgelegte Klimapaket ist mit 150 Euro pro EU-Bürgerin und Jahr vergleichsweise günstig.
Es sei sehr viel günstiger, jetzt Klimaschutz zu betreiben, als die Schäden in der Zukunft zu bezahlen, sagt auch die große Rückversicherung Münchener Rück. Naturkatastrophen nehmen nach Angaben der Münchener Rück dramatisch an Zahl und Ausmaß zu, die Schadenpotenziale würden neue Größenordnungen erreichen. 2007 lagen die Schäden bei rund 75 Mrd. Dollar, um 50 Prozent mehr als 2006.
Entschließt sich die Bundesregierung nicht endlich, Klimaschutz ernst zu nehmen, drohen zusätzlich weitreichende negative Konsequenzen für die österreichische Bevölkerung:
Das absehbare Nicht-Erreichen des Kyoto-Ziels kann Strafzahlungen von bis zu zwei Milliarden Euro nach sich ziehen. Zwei Milliarden Euro, die letztlich von den SteuerzahlerInnen aufgebracht werden müssten, ins Ausland abfließen würden und in der Bildungs- und Sozialpolitik sowie in der Forschungs- und Umweltpolitik im Inland dringend benötigt würden.
SPÖ und ÖVP weigern sich, durch ein engagiertes Ökostromgesetz nach deutschem Vorbild die Ökoenergien im Strombereich rasch und breit auszubauen. Auch dem stark steigenden Stromverbrauch wird tatenlos zugesehen. Die Folge sind steigende Atomstromimporte nach Österreich. Bereits heute importiert Österreich jährlich Atomstrom im Ausmaß der doppelten geplanten Jahresproduktion des AKW Zwentendorf. Die Anti-Atompolitik der Bundesregierung wird vollends unglaubwürdig. Der Kampf gegen Temelin, Mochovce, Belene und EU-Atomforschung erübrigt sich, wenn Österreich zum Großabnehmer von Atomstrom aus unsicheren AKW wird. Dann kann die Bundesregierung auch Zwentendorf in Betrieb nehmen.
SPÖ und ÖVP weigern sich, das Passivhaus im Neubau innerhalb kürzester Zeit zum verpflichtenden Standard zu machen, die Althaussanierungsrate gekoppelt an strenge Klimaschutzkriterien zu verdreifachen und die Umstellung von Ölheizungen auf Heizungssysteme mit erneuerbaren Energieträgern großflächig voranzutreiben. Die Folge: Die Bundesregierung treibt die Menschen immer tiefer in die Ölpreisfalle. Die Energiekrise wird zur sozialen Krise.
Hohe Kostenbelastung der BürgerInnen durch verfehlte Energiepolitik
Für eine Familie in Niederösterreich mit drei Kindern, Einfamilienhaus, Ölzentralheizung und Diesel-Van hat sich die Jahres-Energierechnung von 2004 bis 2007 um 2.000 Euro verteuert!
Die Kosten für den Import fossiler Energieträger nach Österreich haben sich seit 2002 auf zwölf Milliarden Euro verdoppelt, Tendenz weiter steigend. Eine Ölrechnung, die sich Österreich auf Dauer nicht leisten wird können, ohne Wohlstandsverluste hinzunehmen.
Die Treibhausgasemissionen des Verkehrsbereichs sind seit 1990 um mehr als 80% angestiegen. Statt den Öffentlichen Verkehr auszubauen, sollen Milliarden in den Bau neuer Strassen gesteckt werden. Die Feinstaubbelastung in Österreichs Ballungsräumen ist unerträglich, krankmachend und immer öfter tödlich. Ein Ende dieses Total-Versagens in der Verkehrspolitik ist nicht absehbar. Ein Verkehrsminister, der zwar gerne medienwirksam Maßnahmen ankündigt, diese aber nicht umsetzt und von einer weitreichenden CO2- Reduktion im Verkehr gar nichts wissen will, weil laut Prognosen der Pkw- und Lkw-Verkehr in den nächsten Jahren ohnehin ansteigen werde, ist eine Garantie für steigende Klima- und Gesundheitsbelastungen aus dem Straßenverkehr.
Seit dem Jahr 1995 hat sich die Zahl der schweren Lkw über den Brenner von einer Million auf zwei Millionen verdoppelt. Auch Ostösterreich wird immer mehr zum Transitland, die Zahl der Transit-Lkw ist beispielsweise in Niederösterreich enorm gestiegen. Österreich wird zum Auspuff Europas.
Laut Angaben des VCÖ hat der Lkw-Verkehr in Österreich im Jahr 2007 Kosten von ca. 6,3 Milliarden Euro verursacht. Davon würden lediglich 2,7 Milliarden Euro über Steuern, Lkw- Maut und Abgaben bezahlt. Die fehlenden 3,6 Milliarden Euro zahlt die Allgemeinheit. Jeder Mensch in Österreich subventioniert den Lkw-Verkehr mit 440 Euro. Das ist das Dreifachen dessen, was jede/r Bürger/in für das neue EU-Klimapaket zahlen wird müssen.
Der Vorschlag von ÖVP-Klubobmann Schüssel, die Lkw-Maut zwar anzuheben, im Gegensatz die Lkw-Steuern für heimische Lkw zu senken, entlarvt die ÖVP als Handlanger der Frächter-Lobby. Von wirkungsvollen Maßnahmen, wie einer Ausdehnung der LKW-Maut auf alle Strassen, wollen SPÖ und ÖVP nichts wissen.
Auch die großen wirtschaftspolitischen Chancen einer Energiewende werden von SPÖ und ÖVP seit Jahren konsequent ignoriert. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, verzichtet Österreich auf den Wachstumsmarkt der Zukunft. Heimische Unternehmen sind in vielen Bereichen der Umwelt- und Klimaschutztechnologie gut positioniert, auf Grund der Untätigkeit der Regierung verliert Österreich aber den Anschluss an Vorreiter wie Deutschland.
Der Anti-Klimaschutz-Kurs von SPÖ und ÖVP gefährdet Umwelt, Wirtschaftsentwicklung und sozialen Frieden in Österreich und muss gestoppt werden.
Energiewende: Ausstieg aus Atom, Öl, Gas und Kohle
Es muss - aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen - das erklärte Ziel der Bundesregierung sein, Österreich zum Vorreiter im Klimaschutz zu machen. Österreich soll das erste Land der Welt werden, das aus der Fossil- und Atomwirtschaft aussteigt.
o Bis zum Jahr 2020 soll die Stromerzeugung von Gas, Öl und Kohle unabhängig werden. Atomstromimporte nach Österreich soll es nicht mehr geben. Der rasche Ausbau erneuerbarer Energieträger soll gekoppelt mit einem großangelegten Effizienz- und Stromsparprogramm Österreich unabhängig von Stromimporten machen, die Stromwirtschaft CO2-neutral werden.
o Im Bereich der Wärmeerzeugung soll der Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bis zum Jahr 2030 erreicht werden. Das ist ambitioniert und realistisch. Im Bereich Wärme soll bei Neubauten durch den Passivhaus- bzw. Niedrigstenergiestandard, bei Altbauten durch Wärmedämmung Energie eingespart werden, Heizungen sollen auf erneuerbare Energien umgestellt werden.
o Im Verkehrsbereich ist eine radikale Reduktion der CO2-Emissionen nötig. Bis zum Jahr 2050 sollen die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs um 80% gesenkt werden. Alternativen zu Pkw und Lkw müssen gestärkt werden, Benzinfresser deutlich zur Kasse gebeten werden. Die Lkw-Maut soll nicht nur auf Autobahnen, sondern auf allen Straßen gelten. Ab sofort sollen die Angebote im Öffentlichen Verkehr um 2% pro Jahr ausgebaut werden. Der Treibstoffverbrauch soll bis 2010 um 1%, ab 2010 um 2% pro Jahr sinken.
Die Umsetzung dieser Ziele würde Österreich zu einem weltweiten Vorreiterland machen. Eine aktive Klimaschutzpolitik würde breiten Wohlstand und eine hohe Lebensqualität für die Bevölkerung nachhaltig absichern. Die Wirtschaft würde in einen zukünftigen Wachstumsmarkt investieren, insgesamt könnten damit 100.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Abhängigkeit von steigenden Preisen bei Öl und Gas in den Bereichen Stromerzeugung und Wärme würde ein Ende haben. Durch die Energieeinsparungen und durch Wärmedämmungen bliebe eine warme Wohnung auch für sozial Schwächere leistbar.
Die Bundesregierung muss einen Ausstiegsfahrplan „Raus aus Atomstrom, Öl, Gas und Kohle" rasch vorlegen, um den Klimaschutz in Österreich wieder auf Schiene zu bringen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Bundesregierung und insbesondere der Herr Bundeskanzler werden aufgefordert, dem Nationalrat umgehend einen gesetzlich verbindlichen Ausstiegs- Fahrplan „Raus aus Atomstrom, Öl, Gas und Kohle" vorzulegen und durch die rasche Umsetzung eines breiten Maßnahmenpakets zu garantieren, dass
1. Österreich nicht länger Großabnehmer von Atomstrom aus Temelin, Mochovce und anderen Risiko-AKW ist, sondern bis 2020 im Strom-Bereich vollständig auf Atomstrom verzichtet sowie aus der Öl-, Gas- und Kohle- Verstromung aussteigt;
2. Österreich nicht länger 12 Milliarden Euro pro Jahr für Öl- und Gasimporte bezahlen muss und die BürgerInnen immer tiefer in die Ölpreisfalle rutschen, sondern der Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle im Wärme-Bereich bis 2030 vollzogen ist;
3. Österreich keine Strafzahlungen im Ausmaß von bis zu zwei Milliarden Euro für das Verfehlen des Kyoto-Ziels leisten muss, sondern alle Klimaschutz- Ziele erreicht, sowie bis 2050 die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs um 80% reduziert werden.
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 74a iVm § 93 Abs. 2 GOG verlangt.