619/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 03.03.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gernot Darmann, Ursula Haubner

und Kollegen

betreffend Maßnahmenpaket zum Schutz von Kindern und gegen Jugendkriminalität

Nach der Opfertabelle des Bundeskriminalamtes wurden mehr als 700 Verurteilungen von Straftaten an unter Zehnjährigen innerhalb eines Jahres statistisch erfasst. Dabei waren allein knapp 200 Kinder unter sechs Jahren von Gewaltdelikten betroffen. In Wien gab es im selben Jahr genau 10.045 Meldungen über Kindesmisshandlungen an das Jugendamt, in Oberösterreich gingen rund 5.000 Meldungen dieser Art bei den Behörden ein. Der größte Teil der Meldungen bezog sich auf Vernachlässigung und psychische Gewalt. Weiters leben nach Schätzungen österreichweit mindestens 8.000 verwahrloste Kinder.

Die insgesamt erschreckend hohe Anzahl von Vergehen und Verbrechen an Kindern muss dringender Auftrag an alle an der Verwaltung und Gesetzgebung Beteiligten sein, unsere Kinder besser zu schützen. Dies gilt erst recht, da Experten gerade bei kindlichen Opfern regelmäßig von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehen.

Durch die mediale Berichterstattung in den vergangenen Wochen und Monaten sind wieder schreckliche Gewaltverbrechen an Kindern und Kleinkindern einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Besonders der schockierende Fall des 17-monatigen Luca, der nach langem Martyrium qualvoll sterben musste, sowie der Vorfall in Wien, das so genannte Sex-Attentat am 13.09.2007 an einem sechsjährigen Mädchen auf der Toilette der Volksschule Kindermanngasse, und der fortgesetzte Missbrauch an mindestens sechs Mädchen durch einen 63-Jährigen in einem Vorarlberger Kinderdorf haben verdeutlicht, dass Kindern in unserer Gesellschaft ein zu geringer Wert beigemessen wird und sie zu wenig vor Rechtsbrechern geschützt werden. Gleichermaßen zeigt dies der Fall des Kinderschänders aus Innsbruck. Dieser hatte im vergangenen Jahr serienweise Mädchen sexuell missbraucht und war daraufhin lediglich zu zwei Jahren teilbedingter Haft verurteilt worden. Besondere Mahnung und Antrieb müssen die vier weiteren in der letzten Woche bekannt gewordenen Fälle von schwerer Kindesmisshandlung in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg sein.

Geradezu unerträglich ist die Tatsache, dass der schlimme Zustand des kleinen Luca den Behörden bekannt war - immer wieder wurde der Bub in Krankenhäuser in Tirol am Wohnort der Mutter und in Niederösterreich am Wohnort des Stiefvaters mit gebrochenen Armen, Hämatomen am ganzen Körper und sichtbaren Narben eingeliefert. Obwohl die Krankenhäuser die Behörden über den Zustand des Kindes informiert hatten, sah man bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft in Schwaz offenbar keinen Grund, wirksame Maßnahmen zum Schutz des Kleinkindes einzuleiten. Leider stellt dies keinen Einzelfall dar.

Nach Aussage des Obmanns des Vereins Dialog für Kinder, Günther Tews, ist das Schicksal des Buben einer unter vielen: Rund 90 Prozent der Fälle von Kindesmisshandlung mit letztlich tödlichem Ausgang waren dem Jugendamt vorher bekannt. Ein sträfliches Unterlassen, das ob seiner Verantwortungslosigkeit nicht zu begreifen ist.

Wenn nicht die eigenen Eltern für das Wohlergehen ihrer Kinder sorgen können, haben Kinder offenbar keine verlässlichen Vertreter ihrer Interessen. Dabei brauchen gerade Kinder Zu- und Fürsprache, erst recht, wenn die Eltern hierzu nicht in der Lage sind oder die Gefahr gar von diesen ausgeht. Darüber hinaus lässt die geschätzte Zahl von 8.000 verwahrlosten Kindern in Österreich größte Befürchtungen aufkommen - da stellt es sich als Skandal dar, dass   das   entsprechende   Delikt   vor   Gericht   kaum   eine   Rolle   spielt:    Lediglich


25 Verurteilungen wegen "Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen" gab es laut gerichtlicher Kriminalstatistik innerhalb eines Jahres.

Allerdings kann die hohe Zahl von verwahrlosten Kindern, die niedrige Zahl der Verurteilungen und die erschreckend hohe Anzahl der Fälle, in denen die Behörden schlicht untätig bleiben, nicht besonders verwundern, da ein skandalöses Verhältnis von Personalressource und zugewiesenen Aufgaben in den Behörden der Jugendwohlfahrt herrscht: Ein Sozialarbeiter hat zwischen 80 und 100 Kinder aus schwierigen Verhältnisses mit „Erziehungsmaßnahmen" zu betreuen. Mehr als eine Alibifunktion kann mithin ob dieser Arbeitsbelastung schlicht nicht erfüllt werden. Hier muss eine massive Aufstockung des Personalbestandes erfolgen. Kinder müssen vom Staat geschützt werden!

Nichtsdestotrotz dürfen neben den Fällen in der Presse die alltäglichen kindlichen Opfer von Straftaten nicht vergessen werden. Gerade bei den weniger spektakulären Tatbegehungen an Kindern im Alltag herrscht generell ein geringes Problembewusstsein. Damit geht die regelmäßig von Kriminalisten angeführte hohe Dunkelziffer einher.

Insgesamt muss eine wirksame Kontrolle zum Schutz der Kinder sichergestellt sein. Da Jugendschutz weitgehend Ländersache ist, gibt es österreichweit keine einheitliche Vorgangsweise bei einer Meldung an das Jugendamt. Wiens Kinderanwältin Monika Pinterits fordert im Kampf gegen Gewalt an Kindern daher zu recht eigene Kinderschutz-Teams in Spitälern und eine bessere bundesweite Vernetzung aller Jugendämter. Gewalttätige Eltern wechseln erfahrungsgemäß oft Wohnsitz und Hausarzt, damit Gewaltexzesse nicht entdeckt werden. Außerdem bleibt Gewalt gegen Kinder in der Familie bis zum 6. Lebensjahr, also dem Beginn der Schulpflicht, oft unentdeckt. Weiters darf die Verjährung von Straftaten an Kindern erst mit deren Volljährigkeit beginnen, da diese frei sein müssen in der Entscheidung eine Strafverfolgung zu verlangen und nicht mit einer Verjährung der Delikte konfrontiert sein dürfen. Dies belegt der Fall der 54-jährigen Tirolerin, die am 14. Juni 2007 festgenommen wurde, nachdem Anfang Juni im Kellerabteil eines Innsbrucker Mehrparteienhauses drei Babyleichen entdeckt worden waren. Zwar steht für die Staatsanwaltschaft Innsbruck fest, dass die Frau strafrechtlich relevante Schuld auf sich geladen hat und dies auch nicht leugnet. Dennoch kann sie dafür wegen der viel zu kurzen Verjährungsfrist des § 79 StGB nicht mehr belangt werden. Dem kann mit einer bundesweiten Erfassung von Meldungen, die Kinder betreffen, mit einer generellen, nicht auf bestimmte Berufsgruppen oder nahe stehende Personen beschränkte Anzeigepflicht, einer Verjährungshemmung und mit einer Untersuchungspflicht für Kinder entgegengewirkt werden.

Neben dem Schutz der Kinder vor Übergriffen darf das Kindeswohl auf der anderen Seite des Rechts nicht außer Acht gelassen werden. Übergriffe von Kindern und Jugendlichen müssen gleichfalls verhindert werden und gefährdete oder straffällige Kinder und Jugendliche bestmöglich in die Gesellschaft integriert werden.

Im Laufe des vergangenen Jahres wurden exakt 33.068 Kinder und Jugendliche bei strafrechtlich relevantem Verhalten von den Sicherheitsbehörden aufgegriffen. Im Bereich der Jugendkriminalität ist in manchen Bundesländern ein unfassbarer Anstieg zu verzeichnen: in Salzburg wurden gar um über ein Viertel mehr Anzeigen geschrieben, in Vorarlberg gab es ein Plus von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kurz vor Weihnachten 2007 wurden zwei sechzehn- und siebzehnjährige Burchen verhaftet. Sie sollen für 44 Einbrüche im Bezirk Mödling verantwortlich sein. Beide sind der Polizei seit vier Jahren wegen ähnlicher Vorfälle bekannt.


Diesen beiden in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Phänomene, einerseits Gewalt an Kindern, diese werden vermehrt Opfer familiärer Gewalt bis hin zum Mord und andererseits die Gewalt, die von Kindern und Jugendlichen ausgeht, diese treten mit immer größerer Brutalität als Straftäter hervor, muss Einhalt geboten werden.

Aus diesem Grund und wegen des skandalösen Zustandes des Kinderschutzes in Österreich und der schlicht unbegreiflichen weiteren Untätigkeit der Bundesregierung stellen die unterzeichnenden Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend sowie die Bundesministerin für Justiz werden ersucht, dem Nationalrat bis zum 31. März 2008 Gesetzesentwürfe vorzulegen, die nachstehendes Maßnahmenpaket umsetzen:

1.              die Gewaltprävention muss zumindest bei bekannten Problemfällen schon vor der Geburt eines Kindes einsetzen; dies soll im Rahmen von Gesprächen, in denen die Konfliktlösungsfähigkeit der Eltern gestärkt wird, stattfinden;

2.      das Bewusstsein der Eltern für ihre Pflichten im Interesse ihrer Kinder muss geschärft und gefördert werden;

3.              bei Erziehungsnotstand müssen Eltern bei der Erfüllung ihrer Erziehungspflichten durch Erziehungsfachleute besser unterstützt werden;

4.      die    Lebenssituation    durch    Gewalt    gefährdeter    Kinder    muss    durch    eine Intensivbetreuung bis hin zur Herausnahmen aus der Familie so nachhaltig verbessert werden, dass eine weitere Gefährdung ausgeschlossen werden kann;

5.              in diesem Zusammenhang ist auch den Jugendwohlfahrtbehörden ein wirksameres Eingreifen insbesondere in Fällen von akuter Gefährdung von Kindern durch Gewalt zu ermöglichen;

6.    dazu      ist      eine      bundesweite      Vernetzung      und      Koordinierung      der Landesjugendwohlfahrtsstellen zu schaffen und eine bundesweite Vereinheitlichung der Jugendschutzgesetzte endlich zu verwirklichen;

7.      ebenfalls muss die Jugendwohlfahrt eine bessere personelle und finanzielle Dotierung erfahren;

8.              wenn Kindern in Österreich Gewalt angetan wird, darf keiner wegsehen! So ist die Einführung   einer   generellen   Anzeigepflicht   bei   begründetem   Verdacht   auf Gewalttaten an Kindern vorzusehen;

9.              um zu verhindern, dass Gewalt an Kindern zu spät, nämlich erst bei Schuleintritt, erkannt wird, ist eine vierteljährliche verpflichtende ärztliche Untersuchung von Kindern in Österreich noch vor dem Schuleintrittsalter einzuführen;


10.       darüber     hinaus      ist     die     Schärfung     des      Sicherheitsbewusstseins     der Pflichtschulpädagogen im Rahmen ihrer Ausbildung zu berücksichtigen, damit auch diese für die Problematik, Gewalt an Kinder, Gewalt von Kindern, sensibilisiert werden;


11.     die Möglichkeit ist zu schaffen, extrem gefährliche Kinder - ohne sie in Haft zu nehmen - zum Schutz der Bevölkerung kurzfristig zwangsweise anzuhalten, um sie einer intensiven Betreuung zu unterziehen;

12.     bei Straftaten durch Unmündige ist ein dem Jugendgerichtsgesetz vergleichbares Instrumentarium zur Verfügung  zu  stellen,  insbesondere  eine Ermahnung und Belehrung des Kindes und seiner Erziehungsberechtigten sowie die Möglichkeit eines außergerichtlichen Tatausgleichs und der Vorschreibung gemeinnütziger Arbeit zu schaffen, um Kindern deutlich zu machen, dass die Gesellschaft auch bei strafbaren Handlungen von Kindern bereit ist, das gesetzliche Wertesystem zu vermitteln und durchzusetzen;

13.     verbesserte   Möglichkeiten   sind   zu   schaffen,   um   straffällige   Jugendliche   in qualifizierten Pflegefamilien nach dem Beispiel der deutschen Sozialpädagogin Petra Peterich unterzubringen, zu sozialisieren und Verhaltensweisen zu vermitteln, die einen   verantwortlichen   zwischenmenschlichen   Umgang  ermöglichen   sowie  die Konsequenzen von Handlungsweisen aufzeigen.“

Informeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss vorgeschlagen.