859/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 09.07.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Strache, Dr. Bösch
und weiterer Abgeordneter

betreffend Widerruf der Ratifikation des „EU-Reformvertrages von Lissabon"

In einer Stellungnahme vom 29. Juni 2008 stellt Prof. Karl Albrecht Schachtschneider unter dem Titel „Der Verfassungsrechtsschutz gegen die Unionspolitik in Österreich nach der Ablehnung des Vertrages von Lissabon durch die Iren" folgendes fest:

„Die Iren haben am 12. Juni 2008 die nach der Verfassung der Republik Irland vom 1. Juli 1937, zuletzt geändert am 24. Juni 2004, für die Ratifikation des Vertrages von Lissabon nach Art. 29 Verf.lrland erforderliche Verfassungsänderung abgelehnt. Der nach Art. 46 Abs. 2 Verf.lrland notwendige Volksentscheid hat eine Mehrheit gegen den Vertrag von Lissabon ergeben. Damit ist der Vertrag von Lissabon, der nach Art. 54 Abs. 2 EUV nur in Kraft treten kann, wenn alle Mitgliedstaaten ihn nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert haben, gescheitert. Der Versuch, den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft zu ändern, der zur Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon am 13. Dezember 2007 geführt hat und den (u.a.) Österreich aufgrund der Genehmigung des Nationalrates vom 9. April 2008 und der Zustimmung des Bundesrates vom 24. April 2008 durch den Bundespräsidenten am 28. April 2008 ratifiziert hat, ist erfolglos beendet.

Dennoch sehen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausweislich ihrer Bekundungen in der Regierungskonferenz vom 19./20. Juni 2008 den (sogenannten) Reformprozeß als nicht beendet an und sind bemüht, den Vertrag von Lissabon trotz der Ablehnung durch die Iren durchzusetzen. Die Ratifikationsverfahren in den Mitgliedstaaten, die den Vertrag von Lissabon noch nicht ratifiziert haben, wie insbesondere Deutschland, sollen fortgesetzt werden. Die irische Ablehnung hofft man korrigieren zu können. In Betracht kommt

a)   eine erneute Abstimmung in Irland über den Vertrag von Lissabon,

b) eine Veränderung des Vertrages von Lissabon, eine erneute Unterzeichnung durch die Vertreter aller Mitgliedstaaten und eine erneute Ratifikation in allen Mitgliedstaaten.


Die Durchführung eines erneuten Volksentscheids in Irland nach Art. 46 Abs. 2 Verf.lrland wäre rechtlich bedenklich. Sie würde einer Organentscheidung, zumal einem Volksentscheid, im Gesetzgebungsverfahren die Verbindlichkeit absprechen. Das ist nach allgemeinem Recht nicht möglich. In Betracht kommt ein erneutes Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Verfassung aufgrund einer erneuten Gesetzesvorlage. Auch einem solchen Verfahren stehen verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, solange sich nicht die Lage derart verändert hat, daß die Bindungswirkung des Volksentscheids seine Kraft verloren hat. Diese irischen Verfassungsfragen, deren einfachgesetzliche Aspekte zu prüfen wären, entscheidet Irland innerstaatlich. Wenn Irland entgegen der eigenen Verfassungsordnung diesen Weg geht und der Vertrag von Lissabon in einem erneuten Volksentscheid von den Iren angenommen werden sollte, ist das von den anderen Mitgliedstaaten der Union hinzunehmen. Für die Ratifikation gibt es keine Ausschlußfristen. Die Ratifikationen des Vertrages durch die verschiedenen Mitgliedstaaten behalten ihre Wirkung, solange, bis der Vertrag aufgehoben ist oder durch einen neuen Vertrag ersetzt worden ist oder auch ein Mitgliedstaat die Ratifikation völkerrechtlich verbindlich gegenüber den Vertragspartnern als gescheitert erklärt hat.


Für eine Vertragsänderung genügt auch die Änderung von Protokollen oder Anhängen (Art. 51 EUV, Vertrag von Lissabon). Es können auch Erklärungen zum Vertrag, welche irische Interessen begünstigen, abgegeben werden. Die Erklärungen sind an sich nicht Bestandteil der Verträge, haben aber nach Art. 31 Abs. 2 b WVRK (Wiener Überein-kommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969) Bedeutung für die Auslegung der Verträge und sind damit nicht nur politisch, sondern auch rechtlich (nach dem Grundsatz von Treu und Glauben) relevant, gemeinsame mehr als einseitige Erklärungen, deren Zusammenhang mit dem Vertrag von den Vertragspartnern angenommen wurde .Erklärungen können je nach Wortlaut, Gegenstand und Umständen genügen, um ein erneutes Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Verfassung Irlands zu legitimieren, weil das die politische Lage für Irland hinreichend verändern kann. Diese Änderung ist aber zugleich eine Veränderung der Rechtslage, jedenfalls der rechtlich relevanten Interpretationsfrage, für alle Mitgliedstaaten, so daß eine solche Maßnahme wiederum der Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedarf" (...).

Weiters meinte Univ.-Prof. Hans Klecatsky in der „Kronen Zeitung" vom 2. Juli 2008 folgendes:

,„Eine Volksabstimmung kann nicht zunichte gemacht werden. Das irische Volk hat nun einmal rechtsgültig auch für die übrigen EU-Mitglieder zum Lissabonner Vertrag ,Nein' gesagt, daher ist es auch für alle so. Man kann nicht noch einmal abstimmen, denn es handelt sich um eine Frage der Rechtskraft: Auch ein Gericht kann nicht zweimal in derselben Sache ein Urteil fällen', so Klecatsky. Die bisherigen Varianten der,EU-Verfassungsmacher' (= ,supernationale Konstitutionalisten') wären nach Nizza am französischen und niederländischen Volk, nun am irischen abermals gescheitert. Nur über die Volksabstimmung jedes einzelnen Staates bei jeder Änderung der Vertragsgrundlagen wäre es möglich, schließlich eines Tages zu einer ,rechtlich einwandfreien EU-Verfassung' zu kommen. So müsse es nun auch eine Änderung der österreichischen Verfassung geben, die eine verpflichtende Volksabstimmung über jeden neuen EU-Vertrag vorschreibt - nicht zuletzt auch als Konsequenz auf die Verweigerung einer Volksabstimmung über den ,Reformvertrag' durch das Parlament. Ein anderer Weg sei gar nicht mehr möglich, ohne in eine ,Parlamentsdiktatur' hineinzugeraten, wie Klecatsky scharf betont."

Vor diesem Hintergrund erscheint es zweckmäßig, gegenüber der EU und ihren Mitgliedern in Form eines Widerrufes der Ratifikation festzuhalten, dass das Ratifikationsverfahren des „ EU-Reformvertrages von Lissabon" seitens Österreichs als endgültig gescheitert qualifiziert wird.


Unterfertigte Abgeordnete stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, alles Erforderliche zu unternehmen, damit die Ratifikation des Vertrages von Lissabon widerrufen wird, zumal der Ratifizierungsprozeß aufgrund des Votums des irischen Volkes gescheitert ist."

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuß vorgeschlagen.