11/AB XXIII. GP
Eingelangt am 21.12.2006
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0067-Pr 1/2006
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 22/J-NR/2006
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Nationalsozialistische Gewaltverbrechen – Aufklärung in Österreich durch das Justizministerium“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Die von der für die Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zuständigen Fachabteilung meines Hauses veranlassten Nachforschungen ergaben, dass von den insgesamt 329 Personen, die das Simon Wiesenthal-Center Jerusalem dem Bundesministerium für Justiz in den vergangenen Jahren namhaft gemacht hat, noch 90 Personen am Leben sind und gegen einen Teil dieser Personen bzw. andere Angehörige der betroffenen Wehrmachts-, SS- oder Polizeieinheiten Strafverfahren in Österreich anhängig waren. Die Zentrale Stelle zur Ausforschung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Ludwigsburg lieferte insbesondere Hinweise, zu welchen Personen in ihren Aufzeichnungen Erkenntnisse vorliegen. Diese beziehen sich in den meisten Fällen jedoch lediglich darauf, dass der betreffende Name in einem bestimmten Verfahren erwähnt wurde. Konkrete Hinweise auf strafbare Handlungen dieser Personen sind hingegen in keinem Fall hervorgekommen.
Die systematische Überprüfung einer Vielzahl von Personen an Hand historischer Aktenvorgänge ist als wenig zweckmäßig anzusehen, um neue Ermittlungsansätze zu erhalten, zumal die gegen einige dieser Personen bereits anhängig gewesenen Strafverfahren zu einem großen Teil ohne Anklageerhebung eingestellt worden sind. Daher hat das Bundesministerium für Justiz die Zentrale Stelle Ludwigsburg auch um Hinweise ersucht, ob im Rahmen von in Deutschland anhängigen Strafverfahren allenfalls Verdachtsmomente gegen österreichische Staatsbürger hervorgekommen sind, die noch nicht verjährte Straftaten betreffen. Gegenüber der für Rechtshilfeangelegenheiten zuständigen Fachabteilung meines Hauses stellten die deutschen Justizbehörden in diesem Zusammenhang in Aussicht, dass für den Fall der Ausforschung eines österreichischen Verdächtigen die österreichischen Behörden jedenfalls verständigt werden.
Da noch weitere Nachforschungsergebnisse aus Deutschland abzuwarten sind, kann derzeit nicht abgeschätzt werden, ob und welche weiterführenden Erhebungsmaßnahmen zu setzen sein werden. Zwar sind die österreichischen Strafverfolgungsbehörden unvermindert bestrebt, nationalsozialistische Gewaltverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Nach den bisherigen Erfahrungen sind die Erfolgsaussichten bei realistischer Betrachtung der bestehenden Möglichkeiten jedoch als eher gering einzuschätzen.
Zu 4:
In sieben Fällen wurden die Erhebungsergebnisse den zuständigen Staatsanwaltschaften - und zwar in zwei Fällen der Staatsanwaltschaft Wien und jeweils in einem Fall den Staatsanwaltschaften Graz, Klagenfurt, Linz, Innsbruck und Feldkirch - zugemittelt, wobei jedoch eine Konkretisierung des Verdachtes nicht der Anlass, sondern vielmehr der Zweck für die Befassung der Anklagebehörde war. Eine Person verstarb während der Erhebungen. In Ansehung der anderen Verdächtigen wurde die Anzeige nach Durchführung von Vorerhebungen zurückgelegt, weil zum Teil deren Alibis verifiziert bzw. keine konkreten Anhaltspunkte für die Begehung noch nicht verjährter Straftaten gefunden werden konnten.
Zu 5:
Festzuhalten ist, dass den in den Listen des Simon Wiesenthal-Centers Jerusalem genannten Personen in keinem einzigen Fall konkrete Straftaten vorgeworfen werden. Das Bundesministerium für Justiz wurde lediglich darauf hingewiesen, dass diese Personen Angehörige von in Kriegsverbrechen verwickelten Einheiten waren. Die Frage nach der strafrechtlichen Verfolgbarkeit der genannten Personen ist an Hand dieser Listen jedenfalls nicht zu beantworten, zumal die Tatsache der Zugehörigkeit zu einer solchen Einheit für eine Anklageerhebung allein noch nicht ausreicht.
Zu 6:
Die in der Begründung der Anfrage aus dem Jahresbericht des Simon Wiesenthal-Centers Jerusalem 2006 zitierte Kritik muss ich zurückweisen. Die Behauptung, Österreich habe es im Beobachtungszeitraum - so wie in den Vorjahren - unterlassen, „bekannte und in Österreich lebende Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen“, während es im Vergleichszeitraum Verurteilungen vor allem in den USA gegeben habe, entspricht nicht den Tatsachen. Es ist zwar richtig, dass es in dieser Zeit zu keiner Verurteilung in Österreich gekommen ist. Soweit die Identität von mutmaßlichen Kriegsverbrechern bekannt ist und der Verdacht wegen der ihnen zur Last gelegten Tathandlungen in einem nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführten Strafverfahren geprüft wurde, konnten diese jedoch vor allem deswegen nicht vor Gericht gestellt werden, weil sie entweder flüchtig oder verhandlungsunfähig waren bzw. sind. In der Zwischenzeit sind auch einige dieser Verdächtigen verstorben.
Von anderen Personen ist hingegen - im Sinne einer für die Durchführung eines Strafverfahrens erforderlichen Sicherheit - nicht „bekannt“, dass es sich um Kriegsverbrecher handelt. Die vom Simon Wiesenthal-Center übermittelten Listen mit Namen von Angehörigen verschiedener Wehrmachts- oder SS- bzw. Polizeieinheiten stellen keinen Ersatz für einen konkreten Verdacht dar, in strafrechtlich verantwortlicher Weise an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein.
Bei den angeführten „Verurteilungen“ in den USA handelt es sich - nach den mir vorliegenden Informationen - um Ausbürgerungsentscheidungen wegen Verschweigung der Mitgliedschaft zu einer nationalsozialistischen Organisation anlässlich der Emigration in die USA, was jedoch ebenfalls noch nicht als Beweis für die Begehung konkreter Straftaten gewertet werden kann.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die inkriminierten Verbrechen vor mehr als 60 Jahren begangen wurden, sind die Möglichkeiten für die heutige Strafjustiz, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, im Hinblick auf die faktische Beweislage und die rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere in Anbetracht der Verjährungsbestimmungen, naturgemäß sehr begrenzt. Ich darf dazu auf die Anfragebeantwortung 2185, XXII. GP, vom 10. Dezember 2004 zu den Fragen 9. bis 12. verweisen.
Im vorliegenden Zusammenhang ist auch auf die Ahndung von Kriegsverbrechen zwischen 1945 und 1955 durch die Volksgerichte während der Geltung des Kriegsverbrechergesetzes hinzuweisen. Die Anzahl der wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen verurteilten Personen liegt bei rund 2000 Personen, von denen 341 zu Strafen im oberen Bereich verurteilt wurden. 43 Angeklagte wurden zum Tode, 29 zu lebenslänglichem Kerker und 269 Angeklagte zu Kerkerstrafen zwischen 10 und 20 Jahren verurteilt. 30 Todesurteile wurden vollstreckt. Von den zwischen 1956 und 1975 angeklagten 49 Personen wurden 20 verurteilt und 23 freigesprochen. Sechs Verfahren wurden durch Gerichtsbeschluss eingestellt.
Hinsichtlich der in den Listen des Simon Wiesenthal-Centers genannten Personen wurden in etwa einem Drittel der Fälle bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Strafverfahren durchgeführt, die meist mit Einstellung endeten, in Einzelfällen aber auch zu Verurteilungen führten.
. Dezember 2006
(Maga. Karin Gastinger)