1311/AB XXIII. GP
Eingelangt am 06.09.2007
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möglich.
Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Glawischnig-Piesczek, Freundinnen und Freun- de haben am 6. Juli 2007 unter der Nr. 1221/J an mich eine schriftliche parlamentari- sche Anfrage betreffend Beteiligung Österreichs am umstrittenen Riesenstaudammpro- jekt Ilisu gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 29:
Ø Halten Sie es angesichts der massiven Kritik von ExpertInnen, Menschenrechtsor- ganisationen, NGOs, lokalen BehördenvertreterInnen und der deutlichen Mehrheit der betroffenen Bevölkerung für verantwortungsvoll und vertretbar, dass die Repu- blik Österreich dieses umstrittene Projekt mit Steuergeldern via Oesterreichische Kontrollbank versichert? Falls ja, warum?
Ø Sind Sie bereit, die Beteiligung Österreichs am Ilisu-Staudamm zu überdenken? Falls nein, warum nicht?
Ø Haben Sie sich jemals vor Ort selbst ein Bild von dem geplanten Ilisu-Staudamm und der betroffenen Region gemacht und dort mit Betroffenen, GegnerInnen und BefürworterInnen gesprochen? Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht bzw. planen Sie, die Region noch zu bereisen? Falls ja wann, falls nein, warum nicht? Welche offiziellen VertreterInnen Österreichs (Finanzminis- terium, Kontrollbank) haben die betroffene Region bereist und wann? Mit welchen Personen haben diese vor Ort gesprochen? (Bitte um genaue Auflistung)
Ø Schwedische, britische und italienische Firmen haben sich bereits vor Jahren aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen aus dem Ilisu-Projekt zurück- gezogen. Selbst die Weltbank hat schon im Jahr 1984 eine Beteiligung am ge- samten Südostanatolienprojekt abgelehnt. Sind Sie der Meinung, dass eine Staat-
liche Unterstützung des Ilisu-Projekts dem Ruf Österreichs als Umweltmusterland zuträglich ist?
Ø Welche Berichte, Untersuchungen und Belege liegen Ihnen vor, die zweifelsfrei nachweisen, dass das geplante Ilisu-Projekt keine Menschenrechtsverletzungen verursacht und in vollem Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonventi- on stehen?
Ø Ist Ihnen die Kritik von Amnesty International, wonach der aktuell gültige Umsiede- lungsplan des türkischen Staates für das Ilisu-Projekt aus 2005 als klarer Verstoß gegen die Menschenrechte eingestuft wird, bekannt?
Ø Wie erklären Sie die Diskrepanz von Aussagen des Ilisu-Firmenkonsortiums einer- seits, wonach die Betroffenen umfassend informiert und einbezogen wurden und den Aussagen vieler Menschen in der Region andererseits, wonach die Betrof- fenen so gut wie keine Informationen über das Projekt bzw. betreffend angeblich zugesagter Entschädigungen erhalten haben? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesen offensichtlich widersprüchlichen Angaben?
Ø Steht die geplante Flutung der 11.000 Jahre alten Stadt Hasankeyf, der von Exper- ten de facto ein Status als UNESCO-Kulturerbe zugeschrieben wird und die vor kurzem in die Liste der 100 am meisten bedrohten Kulturgüter der Welt aufgenom- men wurde, sowie der Flutung weiterer zahlreicher, größtenteils in ihrer Bedeutung unerforschter archäologisch bedeutender Monumente Ihrer Ansicht nach im Ein- klang mit den türkischen Gesetzen zum Erhalt archäologischer Güter?
Ø Ist es Ihrer Ansicht nach vertretbar, die 11.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf, deren historische Bedeutung sogar mit Ephesus gleichgesetzt wird, den Fluten zu über- geben für ein Staudammprojekt mit einer erwarteten Lebensdauer von 60 bis 80 Jahren?
Ø Würden Sie es akzeptieren, dass die Altstadt von Salzburg, UNESCO-Weltkultur- erbe, einem Stausee weichen muss bzw. einzelne Stücke der Stadt dafür in ein Kulturmuseum transferiert würden? Falls nein, wieso unterstützen Sie dann die Flutung von Hasankeyf mittels österreichischem Steuergeld?
Ø Wie stehen Sie zur Forderung des EU-Parlaments aus dem Jahr 2004, wonach die türkische Regierung Hasankeyf für Wert befinden sollte in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen zu werden? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Stadt Hasankeyf in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wird? Falls ja, was werden Sie tun? Falls nein, warum nicht?
Die EU hat in ihren Fortschrittsberichten zum Beitrittswerber Türkei mehrfach Kritik an den menschenrechtlichen, sozialen und umweltpolitischen Rahmenbedingungen des Ilisu-Damm- Baus geübt. Die EU-Kommission fordert darüber hinaus in einem Bericht aus 2004 die Türkei auf, dass „alle neuen Investitionen mit dem umweltpolitischen Acquis in Einklang stehen soll- ten."
Ø Entsprechen die von den Exportkreditbanken aufgestellten Auflagen dem umwelt- politischen Acquis der Europäischen Union?
Ø Wurde für das Ilisu-Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach EU-Standards mit Bürgerbeteiligung und Alternativenprüfung durchgeführt? Wenn ja, mit wel- chem Ergebnis; wenn nein warum nicht und welche Konsequenzen werden Sie da- raus ziehen?
Ø Sind Sie der Meinung, dass die öffentliche österreichische Unterstützung von Bau- projekten im Ausland denselben Kriterien und Auflagen entsprechen sollten, die auch bei Bauprojekten in Österreich bzw. der EU verpflichtend sind? Falls nein, warum nicht?
Ø Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, das österreichische Außenhandelsfördergesetz dahingehend zu novellieren, dass bei allen von der Oesterreichischen Kontrollbank versicherten Projekten im Ausland lückenlos österreichische bzw. EU-Standards hinsichtlich Umwelt-, Menschenrechts-, Sozial und Kultur- und Transpa-renzstandards gelten müssen? Würden Sie eine solche Novelle unterstützen? Falls nein, warum nicht?
Ø Entspricht das Ilisu-Projekt den Weltbankstandards für Staudammprojekte? Falls ja, aus welchen konkreten Dokumenten und Prüfberichten ist deren Einhaltung ab- lesbar?
Ø Entspricht das Ilisu-Projekt den OECD-Standards?
Ø Wurden beim Ilisu-Projekt gemäß Weltbank- und OECD-Richtlinien Frauenbelange gesondert untersucht? Falls ja bitte um Angabe der entsprechenden Berichte und Studien. Falls nein warum nicht und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Ø Welche Garantien seitens des türkischen Staates oder anderer Institutionen liegen Ihnen vor, dass die verheerenden Folgen für die betroffene Bevölkerung und die Umwelt bei anderen, bereits realisierbaren Dammprojekten in der Türkei beim Ilisu- Projekt nicht eintreten?
Der Birecik-Staudamm (Fertigstellung: 2001; beteiligte Firmen: Verbundplan und Strabag) am Euphrat ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, unter welchen Bedingungen und mit wel- chen Auswirkungen Staudammprojekte in der Türkei realisiert werden. Die türkischen Behör- den haben die Umsiedelung von 30.000 Menschen damals im Hinblick auf die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen als vorbildlich ge- lobt. Berichte der Bevölkerung an internationale Beobachter sprechen eine andere Sprache: 18 Dörfer im Baustellengebiet wurden von Soldaten gewaltsam geräumt; mehr als tausend BewohnerInnen eines Dorfes mussten vor den steigenden Fluten flüchten und ihr Hab und Gut zurücklassen, weil sie nicht vorgewarnt wurden; die Gräber ihrer Ahnen wurden geflutet statt verlegt; viele Betroffene haben bis heute keine Entschädigung erhalten. Ähnliche Berich- te liegen von fast allen fertig gestellten Staudammprojekten in Südostanatolien und auch aus anderen Regionen der Türkei vor.
Ø Sind Ihnen diese Berichte bekannt? Falls ja, welche Konsequenzen leiten Sie da- raus für das geplante Ilisu-Projekt ab? Falls nein, warum nicht?
Ø Wurden beim Ilisu-Projekt, insbesondere vor dem Hintergrund der Wasserproble- matik in der Region und der geopolitischen Spannungen mit Syrien und Irak in der Planungsphase dem internationalen Völkergewohnheitsrecht entsprechende rechts- konforme Konsultationen betreffend der zu erwartenden grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen geführt? Falls ja, bitte um Angabe der entsprechenden Berichte und Quellen und wieso beklagt der irakische Außenminister in einem Brief an EU-Kommissarin Ferrero-Waldner das Fehlen eben solcher Konsultationen? Falls nein, welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Ø Welche Geschäftsbanken werden die Kredite für das Ilisu-Projekt vergeben?
Ø Wurde bei der OEKB um Refinanzierung dieser Kredite angesucht? Falls ja, von wem?
Ø Ist Ihnen bekannt, dass beim völlig veralteten Stromübertragungsnetz in der Re- gion des geplanten Ilisu-Damms Netzverluste von 20% auftreten, während der in- ternationale Durchschnitt bei Netzverlusten nur 8% beträgt? Sind Sie nicht auch der Meinung, dass eine Investition in die Erneuerung des Übertragungsnetzes eine sinnvollere Investition wäre als in den geplanten llisu Damm? Hätten hierbei nicht österreichische Firmen mitwirken können? Sind Ihnen diesbezügliche Gespräche Österreichs mit der Türkei bekannt?
In der Türkei gibt es enorme, bisher ungenutzte Potenziale im Bereich erneuerbare Energien. Allein für die Windkraft wird das Potenzial auf 50.000 MW geschätzt. Zum Vergleich: Das llisu- Wasserkraftwerk hätte eine Leistung von 1.200 MW. Das in der Türkei im Jahr 2005 beschlos- sene Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien wird von Energieexperten und NGOs zwar als Schritt in die Richtung bezeichnet, sei jedoch nicht ausreichend geeignet, um die hohen Potenziale im Bereich Wind- und Sonnenenergie effizient und rasch zu nutzen.
Ø Sind Sie nicht auch der Meinung, dass eine Kooperation des Staates Österreich mit der Türkei auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ökologisch, sozial und wirtschaftlich vernünftiger wäre, als sich an einem umstrittenen Riesenstaudamm- projekt zu beteiligen? Sind Ihnen Gespräche von österreichischen Regierungsver- tretern mit der Türkei bekannt, um das große österreichische Know-how österrei- chischer Unternehmen im Bereich Ökoenergien anzubieten?
Stauseen produzieren durch faulende Pflanzen und Kohlenstoffzufuhr aus dem Einzugsgebiet (Eutrophierung) Treibhausgase.
Ø Ist Ihnen bekannt, dass Riesenstaudammprojekte nicht wie von den Errichtern be- hauptet als „saubere Energiegewinnungsprojekte" zu bewerten sind, sondern er- hebliche negative Auswirkungen auf das Klima haben?
Ø Sind Ihnen die Stellungnahmen des irakischen Wasserministers Latif Rashid sowie des irakischen Außenminister Hoshiyar Zebari bezüglich der bisher völkerrechtlich notwendigen, aber noch immer nicht erfolgten Konsultationen der Türkei mit den Tigris-Anrainerstaaten bekannt? Stellen die fehlenden Konsultationen Ihrer Mei- nung nach einen Bruch mit den für die Vergabe der Garantie zu erfüllenden TORs dar?
Ø Kennen Sie das Gutachten der renommierten VölkerrechtlerInnen Prof. Boisson de Chazournes, Prof. Crawford und Prof. Philippe Sands, in dem es u.a. heißt: "... appropriate efforts should be taken to be satisfied that Turkey has provided full Information to Syria and Iraq in advance of a decision to proceed, and that Syria and Iraq have been provided with an opportunity to set forth their views and, as necessary, to participate in meaningful and good faith consultations. Such con- sultations should allow for an exchange of views in which no party has closed its mind as to the concerns of the other"? Entsprechen die bisher diesbezüglich ge- setzten Schritte diesen Empfehlungen?
Ø In dem o.a. Gutachten heißt es weiter: "Finally, (...), the possibility cannot be exclu- ded that a State agency or instrumentality which provides financial support to a project that violates a rule of international law can itself give rise to the international responsibility of the State of which the public body forms a part." Ersehen Sie da- raus die Gefahr, dass die Republik Österreich für die Nichtbefolgung des Völker- rechts seitens der Türkei zur Verantwortung gezogen werden könnte? Wenn nein, warum nicht?
Ich verweise auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage 1224/J durch den Bundesminister für Finanzen.