1359/AB XXIII. GP

Eingelangt am 07.11.2007
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BM für Wirtschaft und Arbeit

Anfragebeantwortung

 

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara PRAMMER

 

Parlament

1017 Wien

                                                                                                                           Wien, am 30. Oktober 2007

 

                                                                                                                           Geschäftszahl:

                                                                                            BMWA-10.101/0163-IK/1a/2007

 

In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 1382/J betreffend „Generation Praktikum“, welche die Abgeordneten Laura Rudas, Kolleginnen und Kollegen am 19. September 2007 an mich richteten, stelle ich fest:

 

Antwort zu den Punkten 1 und 6 der Anfrage:

 

Unter dem Begriff "Generation Praktikum" wird das aus Deutschland und Frankreich bekannte und in den Medien diskutierte Phänomen verstanden, wonach jungen   Akademiker/inne/n der Berufseinstieg erst nach Absolvierung mehrerer gar nicht  oder sehr gering entlohnter Praktika gelingt. Gemeint ist damit, dass dieser Effekt erst in der jetzigen Generation von Absolvent/inn/en auftritt, nicht jedoch, dass dies für die gesamte Generation zutrifft.

 

Wenn im österreichischen Arbeitsrecht von "Praktikant/inn/en" die Rede ist, müssen zunächst mehrere Personengruppen unterschieden werden, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, deren rechtliche, aber auch berufliche Situation unterschiedlich ist.

 

Zu erwähnen sind:

·      Pflichtpraktikant/inn/en

·      Ferialarbeitnehmer/innen

·      Volontär/inn/e/n

·      Personen, die zwar als Praktikant/inn/en beschäftigt werden, aber Tätigkeiten in der Art und Weise erbringen, dass in Wahrheit ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

 

 

Antwort zu Punkt 2 der Anfrage:

 

Die rechtliche Einordnung von Praktikant/inn/en und deren Rechtsstellung gilt für alle Praktikant/inn/en in gleicher Weise. Es wird nicht unterschieden, ob der/die Praktikant/in eine Hochschulbildung hat.

 

Bei dem Phänomen „Generation Praktikum“ kann ganz grundsätzlich entweder ein Volontariat, das dem Arbeitsrecht nicht unterliegt, oder ein Arbeitsverhältnis vorliegen, das aber nicht als solches bezeichnet wird. Als weiterer Vertragstyp kann auch ein freier Dienstvertrag herangezogen werden. Bei der Abgrenzung zwischen Volontariat, Arbeitsverhältnis und freier Dienstvertrag können die allgemeinen Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zur Anwendung gelangen.

 

Volontär/in ist eine Person, die in einem Betrieb mit Erlaubnis des Betriebsinhabers/der Betriebsinhaberin maschinelle oder sonstige Einrichtungen kennen lernen und sich gewisse praktische Kenntnisse und Fertigkeiten für eine anderweitige Beschäftigung aneignen kann. Im Vordergrund steht die Gelegenheit zur Fortbildung. Ein Volontariat ist ein Ausbildungsverhältnis, aber kein Arbeitsverhältnis. Es sind daher die arbeitsvertragsrechtlichen Bestimmungen sowie die Regelungen zum Verwendungsschutz nicht anzuwenden. Bei einem Volontariat stehen die Erweiterung und Anwendung von Kenntnissen in der Praxis sowie der Erwerb von Fertigkeiten und nicht die Erbringung von Arbeitsleistungen für das Unternehmen im Vordergrund.

 

Zu beachten ist jedenfalls, dass das Volontariat rechtlich und tatsächlich so zu     gestalten ist, dass sich aus der gelebten Vertragspraxis keine persönliche Abhängigkeit (vor allem keine Einbindung in die betriebliche Organisation), insbesondere keine Arbeitspflicht, ergibt, da andernfalls trotz Bezeichnung des Vertragsverhältnisses als Volontariat ein Arbeitsverhältnis vorliegt und damit sämtliche arbeitsrechtlichen Regelungen zur Anwendung kommen sowie überdies auch volle Sozialversicherungspflicht besteht.

 

Das Arbeitsverhältnis ist ein Dauerschuldverhältnis, das die Erbringung von Arbeitsleistungen zum Inhalt hat und das durch einen schriftlichen oder mündlichen Arbeitsvertrag begründet wird. Neben dem Merkmal der „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ ist als wesentliches Merkmal eines Arbeitsvertrages die „persönliche Abhängigkeit“ des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin zu nennen. Diese resultiert daraus, dass die Arbeitsleistung einem/einer anderen zugute kommt und der/die Arbeitnehmer/in einem bestimmten Organisationsgefüge untersteht. Das Tatbestandsmerkmal „persönliche Abhängigkeit“ setzt sich aus vielen rechtlichen und faktischen Merkmalen zusammen.

 

Hiezu wären unter anderem zu nennen:

·      Einordnung in den betrieblichen Organisationsbereich (Bindung hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsabfolge)

·      Weisungsgebundenheit

·      Kontrolle

·      Disziplinäre Verantwortung

·      Persönliche Arbeitspflicht

 

Völlig unerheblich ist die Bezeichnung des Vertrages. Bei der Beurteilung, ob im Einzelfall ein Arbeitsvertrag vorliegt, kommt es auf das Überwiegen der wesentlichen Merkmale an, die für eine in Abhängigkeit erbrachte Arbeitsleistung sprechen. Dabei ist der Sachverhalt so zu beurteilen, wie er - den Tatsachen, den wirtschaftlichen Vorgängen und Verhältnissen angemessen - rechtlich zu fassen gewesen wäre.

 

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Regelungen zum technischen Arbeitnehmerschutz gemäß § 1 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes sowohl für Arbeits- als auch für Ausbildungsverhältnisse gelten. Handelt es sich um minderjährige Praktikant/inn/en, unterliegen diese in jedem Fall dem Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz, und zwar ebenfalls unabhängig davon, ob es sich um ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis handelt.

 

Im Gegensatz zum Arbeitsvertrag steht der so genannte freie Dienstvertrag, welcher zur Arbeit ohne persönliche Abhängigkeit, weitgehend selbständig und frei von Beschränkungen des persönlichen Verhaltens verpflichtet. Es handelt sich – wie beim Arbeitsvertrag – um ein Dauerschuldverhältnis. Vor allem die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbständig zu regeln und jederzeit zu ändern, also das Fehlen der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit, unterscheidet den freien Dienstvertrag vom echten Arbeitsvertrag. Grundsätzlich kann jede Leistung, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden kann, auch Inhalt eines freien Dienstvertrages sein. Auch hier gilt natürlich, dass nicht die Bezeichnung des Vertrags maßgeblich ist, sondern die tatsächlich praktizierte Handhabung des Beschäftigungsverhältnisses.

 

Im Wesentlichen ergibt sich damit, dass in der Praxis auch bei den so genannten „Praktikanten-Vertragsverhältnissen“ zu prüfen ist, welches Vertragsverhältnis im Einzelfall nach den konkreten Umständen vorliegt.

 

Soweit es sich aber bei den Praktika tatsächlich nicht um Arbeitsverträge, sondern um andere Vertragsformen handelt (wie z.B. freier Dienstvertrag, Werkvertrag als Neue/r Selbständige/e), sollte der Aspekt nicht übersehen werden, dass die Wahl dieses Vertragstypus durchaus auch im Interesse des/der so Beschäftigten gelegen sein kann: Für solche Formen der Beschäftigung können sich die Möglichkeiten des Erfahrungsgewinns, des Einstiegs in den Arbeitsmarkt und auch einer vom/von der Beschäftigten sogar gewünschten mangelnden Bindung (Ausprobieren einer Beschäftigung, während man sich gleichzeitig noch nach anderen Möglichkeiten umsieht) ergeben.


Antwort zu den Punkten 3 und 4 der Anfrage:

 

Das Regierungsprogramm sieht die Neukodifizierung des Arbeitsrechts zur Beseitigung der derzeitigen Rechtszersplitterung sowie zur Schaffung eines Arbeitsvertragsrechts nach Vorschlägen der Sozialpartner vor. Des Weiteren ist die Schaffung eines modernen, einheitlichen Arbeitnehmerbegriffs in allen relevanten Rechtsmaterien vorgesehen.

 

Aus europarechtlicher Sicht ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in seiner Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission "Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts" ebenso wie im Rahmen der gegenwärtigen politischen Debatte zur „Flexicurity“ deutlich gemacht hat, dass die grundsätzliche Aufgabe des Arbeitsrechtes darin besteht, Mindestnormen zum Schutz der unselbständig Beschäftigten zu schaffen. Gleichzeitig soll das Arbeitsrecht die Wettbewerbs- bzw. Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und insbesondere der KMU berücksichtigen. Eine Reform des Arbeitsrechts darf dessen Charakter als Schutzrecht nicht in Frage stellen und muss Vorteile für Arbeitnehmer/innen und Unternehmen gleichermaßen beinhalten. Unbefristete und stabile Arbeitsverhältnisse sind eine wesentliche Grundlage für die materielle Absicherung der Arbeitnehmer/innen und tragen zur Sicherung der für die Volkswirtschaft notwendigen Nachfrage bei. Das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis soll daher in Österreich und in Europa auch in Zukunft die Norm bleiben.

 

 

Antwort zu den Punkten 5, 7 und 8 der Anfrage:

 

Da der Hauptverband der Sozialversicherungsträger - als grundlegende Datenquelle zum Thema registrierte Beschäftigung - keine gesonderte Codierung für Praktikant/inn/en vornimmt, können gegenwärtig keine Zahlen zu diesem Thema ausgewertet werden. Auch die vorliegenden aktuellen österreichischen Studien lassen keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Volumen der Beschäftigung von Praktikant/inn/en zu.

 

Dieses Thema soll voraussichtlich im Rahmen des Sondermoduls "Eintritt Jugendlicher ins Erwerbsleben" der Arbeitskräfteerhebung 2009 von der Statistik Austria erhoben werden.

 

 

Antwort zu Punkt 9 der Anfrage:

 

Die Europäische Kommission hat am 5. September 2007 eine Mitteilung zur "Förderung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft" vorgelegt. Diese Mitteilung basiert auf einem sektorübergreifenden Ansatz, d.h. der Kommissar für allgemeine und berufliche Bildung, Kultur und Jugend sowie der Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit arbeiten hier eng zusammen.

 

Die Mitteilung enthält eine Reihe konkreter Vorschläge, unter anderem wird die Kommission 2008 eine Initiative für eine europäische Qualitätscharta für Praktika vorschlagen, mit der Praktika gefördert, deren Missbrauch aber bekämpft werden soll. Der konkrete Inhalt dieser geplanten EU-Qualitätscharta - etwa Mindestlöhne oder eine maximale Dauer - steht noch nicht fest. Es bleibt der entsprechende Kommissionsvorschlag abzuwarten. Ziel ist jedenfalls zu verhindern, dass vollwertige Jobs durch Praktika ersetzt werden. Der Missbrauch von Praktikanten als Billigarbeitskräfte soll bekämpft werden.

 

In der genannten Mitteilung der Kommission finden sich dazu folgende Aussagen:

"Frühzeitig Kontakte zwischen Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt herzustellen ist wesentlich, um junge Menschen mit der Arbeitswelt vertraut zu machen. Praktika, sofern sie mit dem Ausbildungs- oder Studienplan verknüpft sind, sind ein wichtiges Instrument in dieser Hinsicht. Allerdings sollten Praktika mit geringem oder ohne Entgelt und begrenztem Weiterbildungswert vermieden werden. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass Praktika angemessen definiert werden" (Dok. COM(2007) 498 endg., Seite 6).

 

In einer EU-Pressekonferenz wurde u.a. darauf hingewiesen, dass "die Qualitätscharta 2008 Praktika zwar künftig fördern, Missbrauch aber bekämpfen soll. Dabei soll sich die Wirtschaft verpflichten, keine regulären Stellen mit schlecht oder gar nicht bezahlten jungen Leuten zu besetzen. Ziel sei es, die Ausbeutung von Jugendlichen zu verhindern. Im Rahmen der Charta können sich Firmen etwa verpflichten, keine Langzeitpraktika von einem Jahr oder mehr anzubieten sowie die jungen Leute angemessen für ihre Arbeit zu bezahlen; auch der pädagogische Wert des Praktikums könne darin festgehalten werden."

 

Die Aussagen der Frau Staatssekretärin nehmen auf diese Kriterien Bezug.

 

Praktika sollen künftig gefördert werden, da es wesentlich ist, frühzeitig Kontakte zwischen Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt herzustellen und die jungen Menschen mit der Arbeitswelt vertraut zu machen. Praktika, sofern sie mit dem Ausbildungs- oder Studienplan verknüpft sind, sind ein wichtiges Instrument in dieser Hinsicht. Andererseits muss verhindert werden, dass reguläre Stellen mit schlecht oder gar nicht bezahlten jungen Menschen unter dem Deckmantel des "Praktikums" besetzt und damit Sozialdumping betrieben wird.

 

 

Antwort zu Punkt 10 der Anfrage:

 

Wichtig wird in Hinkunft vor allem eine weitere effektive Durchsetzung der bestehenden Regelungen sein, um die Umgehung von arbeitsrechtlichen Vorschriften so weit wie möglich zurückzudrängen.

 

 

Antwort zu Punkt 11 der Anfrage:

 

Durch die Schaffung eines Vorsorgemodells nach dem Modell der "Abfertigung neu" für freie Dienstnehmer/innen und Selbständige und die Einbeziehung dieser Personengruppe in die Arbeitslosenversicherung wird der „Flexicurity-Ansatz“ in Österreich weiter gestärkt.

 

Weiters enthält auch die letzte Arbeitszeitgesetz-Novelle, BGBl. I Nr. 61/2007, die mit 1. Jänner 2008 in Kraft treten wird, Maßnahmen zur Stärkung des unbefristeten Vollzeitarbeitverhältnisses. Die neu geschaffenen Bestimmungen des § 19d Abs. 3a bis 3f AZG sehen nunmehr vor, dass künftig für Mehrarbeitsstunden unter bestimmten Voraussetzungen ein Zuschlag von 25% gebührt.