1385/AB XXIII. GP
Eingelangt am 12.11.2007
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BM für Gesundheit, Familie und Jugend
Anfragebeantwortung

Frau
Präsidentin des Nationalrates
Maga. Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien
GZ: BMGFJ-11001/0139-I/A/3/2007
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr. 1371/J der Abgeordneten Grünewald, Freundinnen und Freunde wie folgt:
Frage 1:
Ernährungsteams sind in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gut etabliert. In Österreich gibt es diese schon in einem Drittel aller Spitäler, einige wurden bereits in den 90iger Jahren in Österreich gegründet, bewährten sich sehr und spielen nun eine besondere Vorbildrolle für andere Krankenhäuser.
Während in Amerika Ernährungsteams ausschließlich für die parenterale und enterale Ernährung zuständig sind, beschäftigen sich österreichische Ernährungsteams auch mit allgemeinen Ernährungsfragen und Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation, wie zum Beispiel mit der Erarbeitung von hausinternen Kostformenkatalogen und Modifizierungen im Menübereich.
Kompetenzrechtlich
besteht für mein Ressort aufgrund der bestehenden Länderkompetenzen
keine direkte Einflussmöglichkeit auf die Ernährungssituation im
intramuralen Bereich (Krankenanstalten, Senioren- und Pflegeheime etc.). Es
wird allerdings von meinem Ressort nicht nur im Ausbildungsbereich der
Gesundheitsberufe, sondern auch bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten wie
Veranstaltungen, Kongresse, Enqueten, Krankenhausbesichtigungen,
Expertengespräche etc. auf besonderen therapeutischen Wert einer
angepassten Ernährung im Rahmen der Gesamttherapie in aller gebotenen
Deutlichkeit hingewiesen.
Frage 2:
In mittlerweile rund 80 Spitälern Österreichs treffen einander interdisziplinäre Ernährungsteams aus den verschiedensten Bereichen im Krankenhaus, wie z.B. aus Ärzte- Apotheker-, Diätologenschaft, Pflege, ernährungsmedizinischer Beratung und medizinischer Forschung. Diese Arbeitskreise haben es sich u.a. als Ziel gesetzt, nicht nur zu einer einheitlichen Handhabung (Standards) der enteralen und parenteralen Ernährung in der Praxis und der Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität der Patienten beitragen zu wollen, sondern auch die Abwägung zu erleichtern, was ist sinnvoll ist bzw. was weniger, und damit unnötige Therapien, Komplikationen und Ausgaben vermeiden zu helfen.
Detailiertere Informationen liegen vollständig nicht vor.
Fragen 3 und 4:
Voraussetzung ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Teammitgliedern, die Engagement, Wissen und Erfahrung einbringen. Diese Teammitglieder kommen aus verschiedenen Disziplinen und Berufsgruppen: Ärzte/-innen, Diätologen/-innen, Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Apotheker/innen und Hygienefachkräfte.
Ich werde weiter auf die Schäden durch Mangelernährung in Krankenhäusern, Wohn- und Pflegeheimen hinweisen. Beispielsweise wurden allein 900 Millionen Euro für einen verlängerten Aufenthalt oder zusätzliche Pflegekosten in den letzten Jahren aufgewendet. Das bedeutet, dass im Krankheitsfall eine Verweigerung der Nahrungsaufnahme (aus diversen durchaus triftigen Gründen) die Erkrankung verkomplizieren und die Genesung verzögern kann.
Es ist mir wichtig nochmals zu betonen, dass nicht pauschal und grundsätzlich von mangelhaft bzw. nicht ausreichend mit Essen und Getränken versorgten Patienten/-innen bzw. Heimbewohner/-innen auszugehen ist. Die entsprechenden Versorgungseinrichtungen haben stets und von Beginn an besonderes Augenmerk auf eine besonders gute leibliche (und somit auch seelische) Versorgung gelegt und tun dies nach wie vor.
Frage 5:
Beispielsweise an der Grazer Universitätsklinik.
Frage 6:
Es gibt bereits eine österreichweite IST-Zustandserhebung (diese ist bereits mit dem Nutrition-Day erfolgt), nach deren Evaluation ein SOLL-Zustand festgelegt werden wird (inkl. einer Teilnahme an gemeinsamen Studien). Auf diese Weise kann auf die dringende Notwendigkeit der standardisierten Erstellung eines Ernährungsstatus mit Ernährungsempfehlungen bei stationärer Aufnahme oder bei der Übernahme einer Pflege und Betreuung im extramuralen Bereich bzw. in häuslicher Betreuung und Pflege hingewiesen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andrea Kdolsky
Bundesministerin
PK „Verhungern im Schlaraffenland“, 11. Juli 2007, 9.30 Uhr, Österreichischer Journalistenclub (ÖJC)
Mangelernährung in der Überflussgesellschaft: häufig, gefährlich und teuer!
Wien, Mittwoch 11. Juli 2007 – „Während von Adipositas in der öffentlichen Diskussion der vergangenen Jahren viel die Rede war, wird das Problem Mangelernährung im öffentlichen Bewusstsein wohl eher den Entwicklungsländern zugeordnet. Das allerdings zu Unrecht, wie aktuelle Untersuchungen erneut zeigen“, sagt Univ.-Prof. Dr. Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin (MUW). „Mangelernährung belastet das Gesundheitssystem schätzungsweise mit 900 Millionen Euro pro Jahr.“
„NutritionDay“: Jeder 2. Patient kommt mangelernährt ins Spital. Mangelernährung verlängert Spitalsaufenthalt um 6 Tage, Mortalität bis zu 4 mal höher.
So wurden im Rahmen von „NutritionDay in European Hospitals“ mehr als 30.500 Patienten in rund 1000 Spitalsstationen in 24 europäischen Ländern zu ihrer Ernährungssituation befragt. Österreich ist an der Untersuchung mit 150 Stationen und mehr als 6000 Patienten beteiligt. Einige Ergebnisse der von Univ.-Prof. Dr. Michael Hiesmayr (Abteilung für Herz-Thorax-Anästhesie und Intensivmedizin, MUW; Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung) koordinierten Umfrage:
· 47 Prozent der befragten Patienten hatten vor der Spitalsaufnahme Gewicht verloren.
· Nur 38 Prozent aller Patienten essen im Spital das angebotene Essen vollständig auf. Von jenen, die besonders wenig essen, hatte die Mehrheit keinen Appetit (47 Prozent) oder litt unter Übelkeit (14 Prozent). Das Problem ist also offensichtlich nicht die Essens-Qualität.
· Wenig Appetit bedeutet höhere Sterblichkeit. Haben Patienten mit ausreichender Nahrungsaufnahme eine durchschnittliche Mortalität von 1,3 Prozent, steigt diese bei halber Nahrungsaufnahme auf 2,4 Prozent, bei jenen die weniger als ein Viertel des Nahrungsangebots essen auf 5,5 Prozent, bei denen die gar nichts essen auf 5,7 Prozent.
· Bei Mangelernährung erhöht sich der Spitalsaufenthalt um durchschnittlich 50 Prozent der Tage.
„Mangelernährung geht mit eingeschränkter Lebensqualität, höherer Sterblichkeit und längerer Krankenhausverweildauer einher“, so Prof. Hiesmayr. „Im Krankheitsfall kann das Nicht-Essen die Erkrankung an sich verkomplizieren, die Genesung verzögern und den Pflegebedarf erhöhen – mit entsprechender Mehrbelastung des Gesundheitsbudgets.“
Seit wenigen Tagen liegt eine neue Untersuchung zum Thema („Mangelernährung in Deutschland – Die erste umfassende Gesamtkostenbetrachtung. Eine Studie von Cepton Strategies“) vor. Einige Ergebnisse, die sich durchaus mit österreichischen Studienergebnissen in Einklang bringen lassen: 20 bis 50 Prozent der Krankenhauspatienten, 56 Prozent aller geriatrischen Patienten in der Klinik, 38 Prozent der Krebspatienten und jeder dritte gastroenterologische Patient weisen Mangelernährung auf.
Mangelernährung wird oft übersehen. Auch Dicke können betroffen sein.
Mangelernährung, heißt es in der Studie, tritt in bestimmten Lebenssituationen besonders häufig auf: Im Zusammenhang mit Älter werden, Armut, Trauer, Isolation, chronischen Krankheiten, Operationen, psychischen Problemen oder Medikamenteneffekten. Aber auch in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Therapiezentren. „All das führt dazu, dass Mangelernährungen in Österreich schon deshalb nur selten zum öffentlichen Thema werden, weil sie nicht gesehen werden“, erklärt Prof. Kunze. „Sie werden häufig nicht als spezifisches Phänomen erkannt, weil sie in Verbindung mit anderen Beschwerden auftreten. Außerdem entsprechen Mangelernährte nicht immer unseren Vorstellungen von besonders schlanken Menschen – auch Dicke können mangelernährt sein.“
Von Untergewicht ist die Rede, wenn der Body-Mass-Index (Kilogramm/Quadratmeter Körperoberfläche) weniger als 18,5 beträgt. Doch sind auch Patienten, die ungewollt Gewicht verlieren, die nicht ausreichend essen können oder wollen, oder die einfach keinen Appetit haben davon betroffen.
Mangelernährung belastet das Gesundheitssystem schätzungsweise mit zusätzlich 900 Mio. Euro
In der deutschen Studie wurde auch eine Cost of Illness-Untersuchung durchgeführt. Umgerechnet auf Österreich bedeuten die Ergebnisse, dass
· in Krankenhäusern die zusätzlichen Kosten durch Mangelehrnährung in Folge verlängerter Verweildauer etwa 500 Millionen Euro betragen;
· im Pflegebereich die zusätzlichen Kosten durch Mangelernährung bedingt durch zusätzlichen Pflegeaufwand mindestens 260 Millionen Euro betragen;
· im Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung die zusätzlichen Kosten durch Mangelernährung etwa 130 Millionen Euro betragen.
„Demnach ist Mangelernährung in Österreich mit schätzungsweise rund 900 Millionen Euro zusätzlichen Kosten ein bedeutendes Problem für das Gesundheitssystem“, so Prof. Kunze. „Durch die demografische Entwicklung werden sich bis zum Jahr 2020 die Kosten durch die Mangelernährung auf geschätzte 1,1 Milliarden Euro erhöhen, wobei der größte Anstieg im Pflegebereich zu erwarten ist. In diesen Berechnungen sind indirekte volkswirtschaftliche Effekte wie Arbeitsausfälle noch nicht berücksichtigt.“
Systematisches Screening und Monitoring ermöglicht frühzeitige Intervention
„Obwohl die vielfältigen negativen Folgen der Mangelernährung heute gut bekannt sind, ist ein generelles Ernährungs-Screening bzw. -Monitoring der Patienten bei der Aufnahme in ein Spital noch immer eine Seltenheit“, kritisiert Dr. Karin Schindler (MUW, Arbeitsgemeinschaft Klinische Ernährung). „Bei der Aufnahme in ein Krankenhaus muss die Erhebung und Dokumentation des Ernährungsstatus zur frühzeitigen Erfassung von Risikopatienten genauso selbstverständlich werden wie die Erhebung von Blutdruck, Puls und Körpertemperatur.“ Für das Erkennen von Mangelernährung stehen heute sehr gute Fragebögen zur Verfügung, die rasch und einfach ausgewertet werden können. Auch der Ernährungszustand ambulanter Patienten muss beobachtet werden, fordert Dr. Schindler: „Das ermöglicht ein frühes Erkennen von Veränderungen wie ungewollter Gewichtsverlust, verminderter Appetit oder beginnendes Übergewicht.“
Die frühe und adäquate ernährungstherapeutische Intervention ist ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Vermeidung von Mangelernährung, und kann kostendämpfend wirken. Prof. Kunze: „Die deutsche Studie kommt zum Beispiel zum Ergebnis, dass allein die perioperative Gabe von Trinknahrung durch eine Verringerung der Verweildauer Behandlungskosten von etwa 700 Euro pro Patient spart.“
Qualitätssicherung: Mehr Ressourcen für Ernährungsteams verbessere Versorgungs-Qualität
In den Niederlanden verlangt ein Erlass des Gesundheitsministers ein Screening jedes Patienten auf Mangelernährung. Dass es in Österreich einzelne Krankenhäuser gibt, die solche Screenings bereits institutionalisiert haben, ist dem Einsatz interdisziplinärer Ernährungsteams zu verdanken. „In Österreich gibt es 72 Teams, die vor allem durch individuelles Engagement aktiv sind“, berichtet Dr. Schindler. „Es ist dringend zu wünschen, dass im Sinne der viel zitierten Qualitätssicherung im Gesundheitswesen für die Arbeit der Ernährungsteams Ressourcen bereitgestellt gestellt werden, und die Etablierung eines Ernährungsteams zumindest für größere Krankenhäuser verpflichtend vorgeschrieben wird.“
Wichtig ist, so Dr. Schindler, dass die bei den Screenings gesammelten Informationen strukturiert zusammengeführt werde. Die Häufigkeit der Mangelernährung könne nur reduziert werden, wenn alle involvierten Personengruppen und Stellen optimal zusammenwirken.
Konkrete Maßnahmen gegen Mangelernährung: Erfahrungen am Univ.-Klinikum Graz
Ein Vorreiter ist hier das Univ.-Klinikum Graz. Dort wurde 2005 an der Klinischen Abteilung für Thorax- und Hyperbarer Chirurgie und an der Klinischen Abteilung für Nephrologie mit einem Ernährungs-Screening aller Patienten bei der stationären Aufnahme begonnen. „Dieses Screening wurde 2006 in das bestehende EDV-System integriert und die Einführung mittlerweile auf die Hälfte der Stationen des Klinikums ausgeweitet“, berichtet Anna Maria Eisenberger, Leitende Diätologin am Univ.-Klinikum Graz. „Das Ernährungsteam entwickelte in Anlehnung an bestehende Richtlinien einen Grazer Ernährungsscore. Dieser wurde in das Krankenhaus Informations-System zur Patientendokumentation integriert, die Durchführung erfolgt in Zusammenarbeit mit Pflegepersonal und Ärzten.“
Bei der Aufnahme eines Patienten werden vom Pflegepersonal Größe, Gewicht, Gewichtsverlust und Ernährungsgewohnheiten bzw. -Probleme erfasst und vom ärztlichen Personal Angaben zu den Erkrankungen gemacht. Diesem System ist ein Punktescoring hinterlegt, das automatisch berechnet wird. Eine vorliegende Mangelernährung wird sofort signalisiert und außerdem ICD10-codiert, die ernährungstherapeutische Intervention wird dadurch rasch ermöglicht. „Um die Ursache der Mangelernährung festzustellen, wird ein automatischer Handlungsalgorithmus angeboten“, erklärt Eisenberger. Vereinfacht dargestellt geht es dabei um die Suche nach den möglichen körperlichen Ursachen, und um geeignete therapeutische Maßnahmen, deren Erfolg durch ein Ernährungs-Monitoring überprüft wird.
Ein generelles Ernährungs-Screening bei stationärer Aufnahme der Patienten (ca. 76.000 pro Jahr im Univ.-Klinikum Graz) bietet eine sehr gute Möglichkeit, auf Mangelernährung aufmerksam zu machen und um frühzeitig Konsequenzen einzufordern, bilanziert Eisenberger. „Damit es in der Praxis auch durchführbar ist, muss es rasch und einfach anwendbar sein und in den Ablauf der Abteilung eingegliedert werden. Der Grazer Ernährungsscore wurde von allen Beteiligten als sehr einfach und schnell erhebbar beschrieben, ohne einen administrativen Mehraufwand zu verursachen.“
Kontakt: B&K Bettschart & Kofler Medien- und Kommunikationsberatung GmbH; Mag. Roland Bettschart, Mag. Daniela Pedross; Tel.: 0043-01-319 43 78-0; pedross@bkkommunikation.at; www.bkkommunikation.at. Die Fotos der Pressekonferenz sind am 11.7.07 ab ca. 13 Uhr online: http://moritz.wustinger.com/b&k