1538/AB XXIII. GP
Eingelangt am 27.11.2007
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0097-Pr 1/2007
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 1543/J-NR/2007
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Brigid Weinzinger, Freundinnen und Freunde, haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Beihilfe zum unrechtmäßigen Aufenthalt“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Seit dem 1. Jänner 2006 wurden in den staatsanwaltschaftlichen Registern 197 Anzeigen eingetragen.
Zu 2:
Seit dem 1. Jänner 2006 gab es nach den mir vorliegenden Informationen insgesamt 21 Verurteilungen wegen § 115 FPG (Stand: 8. Oktober 2007). Davon erfolgten sechs Verurteilungen im Jahr 2006, die weiteren im Jahr 2007.
Folgende Strafen wurden dabei verhängt;
- bedingte Geldstrafe iHv 60 Tagessätzen á 2 Euro, im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG,
- bedingte Geldstrafe iHv 200 Tagessätzen á 2 Euro bzw. 10 Euro, im Nichteinbringungsfall 100 Tage Ersatzfreiheitsstrafe (Probezeit 3 Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG (zwei Verurteilungen),
- teilbedingte Geldstrafe: unbedingte Geldstrafe iHv 50 Tagessätzen á 2 Euro, im Nichteinbringungsfall 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe sowie bedingte Geldstrafe iHv 100 Tagessätzen á 2 Euro, im Nichteinbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe (Probezeit drei Jahre) wegen 115 Abs. 2 und 117 Abs. 2 FPG,
- unbedingte Geldstrafe iHv 50 Tagessätzen á 2 Euro, im Nichteinbringungsfall 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen § 115 Abs. 1 FPG,
- unbedingte Geldstrafe iHv 240 Tagessätzen á 2 Euro, im Nichteinbringungsfall 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen §§ 115 Abs. 1 FPG,
- bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Tagen (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG,
- bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von jeweils drei Wochen (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG (zwei Verurteilungen),
- bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von jeweils vier Wochen (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG (zwei Verurteilungen),
- bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von jeweils einem Monat (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG (zwei Verurteilungen),
- bedingte
Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen (Probezeit drei Jahre) wegen
§ 115 Abs. 1 FPG,
- bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von jeweils zwei Monaten (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1 FPG (fünf Verurteilungen),
- bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten (Probezeit drei Jahre) wegen § 115 Abs. 1, 2 und 3 FPG,
- unbedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren wegen §§ 114 Abs. 2 und 4, 115 Abs. 2 FPG, 28 Abs. 2 und 3 SMG sowie anderen Delikten.
Zu 3 bis 6:
Im Rahmen des Fremdenrechtspakets 2005, BGBl. I Nr. 100, wurden die Strafbestimmungen im Fremdenpolizeigesetz (FPG) verschärft, wobei die Bestimmung des § 107a Fremdengesetz durch § 115 FPG ersetzt wurde. Diese Verschärfung der Strafbestimmungen gründete teilweise auf europa- bzw. völkerrechtlichen Vorgaben.
Dabei handelt es sich auf der Ebene des Europarechts um die Richtlinie 2002/90/EG des Rates zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt sowie um den Rahmenbeschluss des Rates betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, beide vom 28. November 2002 (ABl. L 328). Durch diese Instrumente werden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, angemessene Sanktionen dafür vorzusehen, dass einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates ist, zu Gewinnzwecken vorsätzlich geholfen wird, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates über den Aufenthalt von Ausländern aufzuhalten. Durch den Rahmenbeschluss werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, unter anderem für diese Handlung eine wirksame, angemessene und abschreckende Strafe vorzusehen, die zu einer Auslieferung führen kann. Die Anordnung einer Sanktion kann unterbleiben, wenn das Ziel der Handlung die humanitäre Unterstützung der betroffenen Person ist.
Auf völkerrechtlicher Ebene enthält das Zusatzprotokoll gegen die Schlepperei von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität weitere Kriminalisierungsverpflichtungen. Die parlamentarische Behandlung der Ratifizierung dieses Zusatzprotokolls wurde am 11. Oktober 2007 mit der Beschlussfassung im Bundesrat abgeschlossen. So ist unter anderem unter Strafe zu stellen, wenn einer Person, die nicht Staatsangehöriger des betreffenden Staates ist oder dort einen ständigen Aufenthalt hat, durch bestimmte unrechtmäßige Mittel ermöglicht wird, in diesem Staat zu verbleiben, ohne die erforderlichen Voraussetzungen hiefür zu haben. Auch hier ist jedoch Bereicherungsvorsatz verlangt. Wie sich aus den Erläuterungen (interpretative notes) zu dieser Bestimmung ergibt, wird hiebei auf die Tätigkeit von kriminellen Organisationen abgezielt, während das Handeln von Personen aus humanitären Gründen oder auf Grund einer familiären Bindung bewusst ausgeklammert bleiben soll.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Österreich seinen europäischen und internationalen Verpflichtungen in diesem wichtigen Rechtsgebiet verlässlich und konsequent nachkommen soll. Im Rahmen des Spielraums, den diese Vorgaben gestatten, bin ich aber gerne bereit, die geltenden Vorschriften zu überdenken und Überlegungen in Richtung einer möglicherweise sachgerechteren Lösung nachzugehen.
Ich teile die Bedenken dagegen, dass das Strafrecht Personen dafür kriminalisiert, dass sie zu Gunsten von Angehörigen – wie im Beispiel in der Anfrageeinleitung – unrichtige Angaben gegenüber der Fremdenpolizei machen oder deren illegalen Aufenthalt in einer sonstigen, vergleichbaren Weise unterstützen. Auch ich schätze es als problematisch ein, dass – wie in Frage 4. der Anfrage angesprochen – § 115 FPG, anders als der Straftatbestand der Begünstigung nach § 299 StGB, keine Privilegierung naher Angehöriger vorsieht. Der Wertungswiderspruch, dass es nicht strafbar wäre, einen Mörder, zu dem man in einem Angehörigenverhältnis steht, vor der Strafverfolgung zu schützen, während es strafbar ist, einen Angehörigen, der lediglich Verwaltungsunrecht nach dem FPG begangen hat, z.B. vor der Fremdenpolizei zu verstecken, ist nicht von der Hand zu weisen.
Zu 7:
Aus den eingangs genannten Erwägungen habe ich bereits im August 2007 durch mein Haus eine Überprüfung des § 115 FPG veranlasst. Das Ergebnis dieser Überlegungen war, dass § 115 FPG durch einen Absatz ergänzt werden sollte, wonach die Begehung der Taten nach Abs. 1, also ohne Entgelt, jedenfalls in Bezug auf einen Angehörigen im Sinn des § 72 StGB von der Strafbarkeit ausgenommen ist. Gleichzeitig sollte, um für diverse Betreuungsorganisationen Rechtssicherheit zu gewährleisten, im Gesetzestext ausdrücklich klargestellt werden, dass eine ausschließliche Ausübung einer erlaubten rechtsberatenden Tätigkeit oder rechtsfreundlichen Vertretung ebenfalls von der Strafbarkeit ausgenommen ist. Die derzeit bestehende ausdrückliche Nennung der Rechtsanwälte und Verteidiger könnte in diesem Fall entfallen. Darüber hinausgehend bin ich der Meinung, dass die humanitäre Unterstützung des Fremden, etwa indem dieser mit Nahrungsmitteln und Kleidung versorgt oder vor der Obdachlosigkeit bewahrt wird, ausdrücklich von der Strafbarkeit nach § 115 FPG ausgenommen werden sollte. Auch die genannten internationalen Vorgaben bezwecken keinerlei Kriminalisierung humanitären Handelns.
Die Zuständigkeit für das Fremdenpolizeigesetz liegt primär beim Bundesminister für Inneres. Ich habe Herrn Bundesminister Platter gegenüber bereits brieflich meine Bedenken gegen die derzeitige Fassung von § 115 FPG geäußert und werde diese Meinung auch weiterhin vertreten, um gemeinsam mit dem Bundesministerium für Inneres in dieser Frage eine sachgerechte Lösung zu finden.
Zu 8:
Bezüglich der Veranlassung der Einbringung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ist es schwierig, eine von den Umständen des konkreten Einzelfalles losgelöste Beurteilung abzugeben. Ich muss allerdings darauf hinweisen, dass nach der ständigen Praxis der Generalprokuratur in Fällen, in denen ein – wenn auch bedenkliches oder gar verfassungswidriges – Gesetz richtig angewendet wurde, keine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes eingebracht wird, weil diese nur der Gewährleistung der richtigen Gesetzesanwendung dient. In der vorliegenden Situation glaube ich daher, dass die Lösung nur in einer gesetzgeberischen Intervention liegen kann.
. November 2007
(Dr. Maria Berger)