1587/AB XXIII. GP
Eingelangt am 04.12.2007
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Neubauer, Kolleginnen und Kollegen haben am 25. Oktober 2007 unter der Nr. 1703/J an mich eine schriftliche parlamentarische An- frage betreffend Völkerrechtsklage wegen Temelin gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 und 2:
Ø Wann genau sind Sie an welche tschechische Regierungsvertreter herangetreten um ein- zufordern, dass mit der erfolgten Kollaudierung umgehend der Nachweis der Umsetzung aller offenen Sicherheitsmaßnahmen betreffend das AKW Temelin, wie im Anhang I (BGBl. 2001/266) festgelegt, erbracht wird?
Ø Welches Ergebnis hatte Ihre Bemühung?
Zunächst darf ich daran erinnern, dass mit der „Vereinbarung von Brüssel" vom 29. November 2001 (Abkommen zwischen Österreich und der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow up, BGBl. III Nr. 266/2001) erstmals zwei Staaten Sicherheitsziele und -maßnahmen für ein Kernkraftwerk in einem bilateralen Übereinkommen festgelegt und damit nuklearrechtlich Neuland betreten haben.
Ein konkreter Zeitplan zur Erörterung der im Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel" festgelegten Sicherheitsziele wurde in Form einer „Road Map" noch im Dezember 2001 bilateral vereinbart. Von 2002 bis 2004 wurden insgesamt 14 Experten-Workshops abgehalten, in die auf österreichischer Seite 35 Organisationen und Projektpartner aus 10 Ländern involviert waren.
Der vom Umweltbundesamt koordinierte Abschlussbericht der österreichischen Expertenteams zum Stand der Umsetzung der Sicherheitsziele des Anhangs 1 der „Vereinbarung von Brüssel" wurde im Oktober 2005 veröffentlicht und sowohl der Tschechischen Republik als auch der Europäischen Kommission übermittelt. Der Abschlussbericht identifiziert wesentliche Fortschritte in Sicherheitsfragen. Andererseits zeigt der Bericht auch noch zu diskutierende Fragen auf.
In der Folge verständigten sich Österreich und die Tschechische Republik daher auf einen intensiven Sicherheitsdialog mit dem Ziel, aus österreichischer Sicht offene Fragen Zug um Zug vertieft zu erörtern. Dieser Sicherheitsdialog wurde vereinbarungsgemäß mit einem weiteren technischen Workshop am Standort des AKW Temelin im September 2006 fortgesetzt.
Mit der endgültigen Kollaudierung des AKW Temelin im November 2006 entstand eine neue rechtliche Situation, der angemessen zu begegnen war.
Angesichts des Umstandes, dass die Geltendmachung der Verletzung eines völker- rechtlich bindenden Übereinkommens ein Schritt mit möglicherweise weit reichenden Konsequenzen ist, und daher auch gründlich vorzubereiten ist, wurde zunächst der Bericht der österreichischen Experten zum Temelin Workshop 2006 abgewartet. Dieser Bericht wurde am 11. Jänner 2007 auf der Internetseite des Umweltbundesamtes veröffentlicht und im Zuge des Informationsaustausches im Rahmen des bilateralen Nuklearinformationsübereinkommens auch offiziell an das Tschechische Staatsamt für Nukleare Sicherheit (SÚJB) übermittelt.
In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass Österreich seit der Veröffentlichung des vom Umweltbundesamt koordinierten Abschlussberichtes der österreichischen Expertenteams zum Stand der Umsetzung der Sicherheitsziele und -maßnahmen des Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel" im Oktober 2005 wiederholt und mit zunehmendem Nachdruck auf die aus österreichischer Sicht offenen und daher vertieft zu diskutierenden Fragen hingewiesen hat.
In der Folge wurden alle vorliegenden Informationen ausgewertet und im Rahmen der Parlamentarischen Temelin-Konferenz am 21. März 2007 eine Übersichtsdarstellung (Gegenüberstellung von Zielen und Bewertung) präsentiert.
Angesichts unterschiedlicher Darstellungen und Interpretationen durch tschechische Regierungsmitglieder wurde in einem Schreiben vom 28. März 2007 dem tschechi- schen Außenminister Schwarzenberg gegenüber nochmals deutlich gemacht, dass eine erhebliche Anzahl von Punkten als offen und ungelöst zu betrachten ist. AM Schwarzenberg wurde auch ersucht, eine ausführliche schriftliche technische Stellungnahme zu veranlassen und diese Österreich ehest möglich zur Verfügung zu stellen. Diese Stellungnahme wurde von AM Schwarzenberg mit Schreiben vom 30. April 2007 übermittelt. Bedauerlicherweise enthielt sie keine entscheidenden neuen Informationen.
Am 14. Mai 2007 legten der Verfassungsdienst des BKA und das Völkerrechtsbüro des BMeiA ihre von der Bundesregierung angeforderte juristische Stellungnahme vor. Die Stellungnahme stellte u.a. klar, dass zu diesem Zeitpunkt die Gefahr einer Verschweigung des österreichischen Standpunktes nicht bestand.
Vor diesem Hintergrund erging am 4. Juni 2007 ein Schreiben von Bundesminister DI Pröll und mir an den tschechischen Premierminister Topolánek, dem auch eine technische Expertise beigeschlossen war, worin klar und unmissverständlich mitgeteilt wurde, dass nach österreichischer Auffassung die tschechische Seite ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Dieses Schreiben hatte rechtswahrenden Charakter wodurch der Gefahr der Verschweigung des österreichischen Standpunktes vorgebeugt wurde.
Die tschechische Seite antwortete mir am 16. Juni 2007 mit einem gemeinsamen Schreiben von PM Topolánek und AM Schwarzenberg. In dem Schreiben verweisen sie darauf, dass die tschechische Seite wiederholt ihre Position dargelegt habe und, dass die aus der „Vereinbarung von Brüssel" resultierenden Zielsetzungen als erfüllt zu betrachten sind. Weiters kündigte die tschechische Seite die Ausarbeitung einer fachlichen Stellungnahme an.
Die fachlichen Stellungnahmen beider Seiten dienten sodann als Diskussionsgrundlage der von PM Topolánek und mir am 27. Februar 2007 ins Leben gerufenen gemeinsamen parlamentarischen Kommission. Gegenstand der Kommission ist eine aktuelle Bewertung des Standes der Umsetzung der in Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel" angeführten Sicherheitsziele und -maßnahmen für das AKW Temelin. Die Kommission ist bislang zweimal zusammengetreten; das nächste Treffen wird am 17. und 18. Dezember 2007 in Budweis stattfinden.
Zu den Fragen 3 bis 5
Ø Wie genau ist der Nachweis erbracht worden?
Ø Sollte der Nachweis nicht erbracht worden sein, haben Sie, gemäß der einstimmig verabschiedeten Entschließung des Nationalrates, Aktivitäten gesetzt, welche eine Völkerrechtsklage gegen die Tschechische Republik, wegen Bruchs des zwischen der Tschechischen Republik und der Republik Österreich geschlossenen internationalen und völkerrechtlich verbindlichen Vertrages (Melker Protokoll - Brüsseler Fassung), bewirken?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, wann und mit welchem genauen Inhalt?
Ø Sollte der Nachweis nicht erbracht worden sein, haben Sie, gemäß der einstimmig verabschiedeten Entschließung des Nationalrates, Aktivitäten gesetzt, welche internationale Rechtsschritte - außer einer Völkerrechtsklage - bewirken?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, wann und mit welchem genauen Inhalt?
Die Frage der Umsetzung der in Anhang 1 der „Vereinbarung von Brüssel" festgelegten Sicherheitsziele und -maßnahmen durch die tschechische Seite befindet sich in einem laufenden Prozess, dessen Ergebnissen nicht vorgegriffen werden kann.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber darauf hinweisen, dass unabhängig von den Diskussionen in der gemeinsamen parlamentarischen Kommission der Sicherheitsdialog mit der Tschechischen Republik im Rahmen des bilateralen Nuklearinformationsübereinkommens fortgesetzt wird. Das nächste Treffen wird voraussichtlich am 6. und 7. Dezember 2007 stattfinden.