1603/AB XXIII. GP
Eingelangt am 05.12.2007
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0101-Pr 1/2007
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 1607/J-NR/2007
Die Abgeordneten zum Nationalrat Heinz-Christian Strache und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „rechtsstaatliche Gefahren der Auslieferung von Österreichern an das Ausland infolge eines Europäischen Haftbefehls“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Die Übergabe eines österreichischen Staatsbürgers an einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls kommt gemäß § 77 Abs. 2 EU-JZG (Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der EU) frühestens ab dem 1.1.2009 in Betracht und zwar nur im Rahmen der Bestimmung des § 5 EU-JZG, also nur für den Fall, dass der Betroffene Tathandlungen im Ausstellungsstaat begangen hat, die nach österreichischem Recht nicht gerichtlich strafbar sind und unter die Liste des Anhangs I A zum EU-JZG fallen.
In einem derartigen Fall steht dem Betroffenen gegen den Beschluss des Untersuchungsrichters, mit dem die Übergabe angeordnet wird, gemäß § 20 Abs. 2 EU-JZG das Rechtsmittel der Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 114 StPO).
Zu 2 und 3:
Gemäß § 19 Abs. 1 EU-JZG sind die Voraussetzungen für eine Übergabe an Hand des Inhalts des Europäischen Haftbefehls zu prüfen. Eine Würdigung der Beweisfrage und eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Betroffenen im Rahmen des Übergabeverfahrens finden im Regelfall nicht statt. Diese sollen vielmehr im Zuge des im Ausstellungsstaat anhängigen Strafverfahrens erfolgen. Eine Verdachtsprüfung ist daher im Übergabeverfahren nur im Umfang des § 33 Abs. 2 ARHG (Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz) vorzunehmen, d.h. nur für den Fall, dass Beweise vorliegen oder angeboten werden, durch die der bestehende Verdacht ohne Verzug entkräftet werden könnte.
Zu 4 bis 9:
Diesbezüglich wird auf die Bestimmungen des § 19 Abs. 3 und 4 EU-JZG hingewiesen. Danach hat der Untersuchungsrichter für den Fall, dass die rechtliche Würdigung als Straftat nach Anhang I A offensichtlich fehlerhaft ist oder der Betroffene dagegen begründete Einwände erhoben hat, die ausstellende Justizbehörde unverzüglich unter Fristsetzung um zusätzliche Informationen zu ersuchen. Für den Fall, dass innerhalb der gesetzten Frist keine derartigen Informationen übermittelt oder die bestehenden Bedenken bzw. die begründeten Einwände des Betroffenen gegen die Einordnung der Tat als Listendelikt durch die übermittelten Informationen nicht entkräftet werden, ist die Übergabe abzulehnen. Das Gleiche gilt – bei entsprechenden Einwänden des Betroffenen – auch dann, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Europäische Haftbefehl zum Zweck der Verfolgung oder Bestrafung des Betroffenen aus Gründen seines Geschlechts, seiner Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen worden ist oder die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe sonst beeinträchtigt würde (§ 19 Abs. 4 EU-JZG).
Zu 10 bis 14:
Das eben dargestellte Verfahren bietet meines Erachtens ausreichende Absicherung, um diese Befürchtung zu entkräften.
Zu 15 bis 18 und 20:
Eine Überwachung des im Ausstellungsstaat durchgeführten Strafverfahrens durch Österreich ist nicht vorgesehen; das erscheint entbehrlich, weil sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention angehören und die Individualbeschwerde zugelassen haben, sodass die Nichteinhaltung der nach Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK garantierten Rechte im betreffenden Verfahren vom Betroffenen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geltend gemacht werden kann.
Zu 19:
Eine Rücküberstellung österreichischer Staatsbürger wegen Verfahrensmängeln im Ausstellungsstaat ist dementsprechend nicht vorgesehen.
Zu 21:
Im Zuge der Verhandlungen am Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (der bereits am 13.6.2002 verabschiedet wurde) hat sich Österreich gegen die vorgesehene Verpflichtung zur Übergabe eigener Staatsangehöriger an andere Mitgliedstaaten ausgesprochen, konnte sich damit allerdings nicht durchsetzen. Immerhin wurde Österreich die Sonderregelung des Art. 33 leg. cit. eingeräumt, wonach eine Übergabe österreichischer Staatsbürger – innerhalb der engen Grenzen des Art. 5 EU-JZG – erst ab 1.1.2009 zu erfolgen hat.
Zu 22:
Da eine Übergabe österreichischer Staatsbürger nur innerhalb der engen Grenzen des Art. 5 EU-JZG in Betracht kommt (d.h. nur für den Fall, dass der Betroffene Tathandlungen im Ausstellungsstaat begangen hat, die nach österreichischem Recht nicht gerichtlich strafbar sind und unter die Liste des Anhangs I A zum EU-JZG fallen) und der Betroffene zur Vollstreckung einer im Anordnungsstaat allenfalls über ihn verhängten Strafe nach Österreich rückzuüberstellen ist, sowie ferner im Hinblick auf das bereits erläuterte Individualbeschwerderecht an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sehe ich keine rechtsstaatlichen Gefahren vom Europäischen Haftbefehl ausgehen.
Zu 23:
Der Ablehnungsgrund der Immunität ist im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl nicht vorgesehen; er konnte dementsprechend auch nicht in das österreichische Umsetzungsgesetz aufgenommen werden.
. Dezember 2007
(Dr. Maria Berger)