1616/AB XXIII. GP

Eingelangt am 07.12.2007
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Anfragebeantwortung

JOSEF PRÖLL

Bundesminister

                                                      

 

An die                                                                                    Zl. LE.4.2.4/0117 -I 3/2007

Frau Präsidentin

des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

 

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 5. DEZ. 2007

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl. parl. Anfr. d. Abg. z. NR Werner Neubauer,

            Kolleginnen und Kollegen vom 25. Oktober 2007,

Nr. 1702/J, betreffend Völkerrechtsklage wegen Temelín

 

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen vom 25. Oktober 2007, Nr. 1702/J, betreffend Völkerrechtsklage wegen  Temelín, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:

 

Zu den Fragen 1 bis 5:

 

Eingangs verweise ich darauf, dass die allfällige Einleitung völkerrechtlicher Schritte nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft fällt. Unbeschadet dessen bietet mir diese Anfrage die Gelegenheit zu einer umfassenden Stellungnahme. Da die einzelnen Fragen einen starken inneren Zusammenhang aufweisen, beantworte ich sie unter einem.

 

Zunächst erinnere ich daran, dass mit der „Vereinbarung von Brüssel“ vom 29. November 2001 (Abkommen zwischen Österreich und der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-Up (Conclusions of the Melk Process and    Follow-Up, BGBl. III Nr. 266 vom 28. Dezember 2001), erstmals zwei Staaten Sicherheitsziele für ein Kernkraftwerk in einem bilateralen Vertrag festgelegt haben. Damit haben beide     Staaten nuklearrechtlich absolutes Neuland betreten.

Ein konkreter Zeitplan zur Erörterung der im Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel“ festgelegten Sicherheitsziele wurde in Form einer „Road Map“ noch im Dezember 2001 bilateral vereinbart. Von 2002 bis 2004 wurden insgesamt 14 Experten-Workshops abgehalten, in die auf österreichischer Seite 35 Organisationen und andere Projektpartner aus 10 Ländern involviert waren. Das österreichische „Monitoring“-Konzept sah unter dem Generalmanagement der Umweltbundesamt GmbH technische Projektteams zu jedem einzelnen Punkt der Road Map (bzw. des Annex I der „Vereinbarung von Brüssel“) vor. Klarzustellen ist, dass sich die bilaterale Übereinstimmung hinsichtlich der Erfüllung der „Road Map“ zur „Vereinbarung von Brüssel“ auf den Umstand beschränkt, dass die vereinbarten Expertentreffen plangemäß stattgefunden und die vereinbarten Themen behandelt wurden. Eine Übereinstimmung hinsichtlich der Erreichung der im Anhang I zur „Vereinbarung von Brüssel“ formulierten Sicherheitsziele bestand – wie unten im Detail ausgeführt – nicht.

 

Der vom Umweltbundesamt koordinierte Abschlussbericht der österreichischen Expertenteams zum Stand der Umsetzung der Sicherheitsziele des Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel“ wurde im Oktober 2005 veröffentlicht und sowohl der Tschechischen Republik als auch der Europäischen Kommission übermittelt. Der Abschlussbericht identifiziert wesentliche Fortschritte in Sicherheitsfragen. Andererseits zeigt der Bericht auch noch zu diskutierende Fragen auf.

 

In der Folge verständigten sich Österreich und die Tschechische Republik daher auf einen intensiven Sicherheitsdialog mit dem Ziel, aus österreichischer Sicht offene Fragen Zug um Zug vertieft zu erörtern. Dieser Sicherheitsdialog wurde vereinbarungsgemäß mit einem weiteren technischen Workshop am Standort des KKW Temelín im September 2006 fortgesetzt.

 

Mit der endgültigen Kollaudierung des KKW Temelín im November 2006 – gleichbedeutend mit der kommerziellen Inbetriebnahme – entstand allerdings eine neue rechtliche Situation, der angemessen zu begegnen war.

 

Angesichts des Umstandes, dass die Geltendmachung der Verletzung eines völkerrechtlich bindenden Vertrages ein Schritt mit möglicherweise weit reichenden Konsequenzen ist und daher gründlich vorzubereiten ist, war zunächst der Bericht der österreichischen Experten zum Temelín Workshop 2006 abzuwarten. Dieser Bericht wurde am 11. Jänner 2007 auf der Internetseite der Umweltbundesamt GmbH veröffentlicht und – im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ – auch offiziell an das Tschechische Staatsamt für Nukleare     Sicherheit (SÙJB) übermittelt. In diesem Zusammenhang betone ich nochmals, dass Österreich seit Veröffentlichung des von der Umweltbundesamt GmbH koordinierten Abschlussberichtes der österreichischen Expertenteams zum Stand der Umsetzung der Sicherheitsziele des    Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel“ im Oktober 2005 wiederholt und mit zunehmendem Nachdruck auf die aus österreichischer Sicht offenen und daher vertieft zu diskutierenden Fragen verwiesen hat.

 

In der Folge wurden alle vorliegenden Informationen ausgewertet und im Rahmen der parlamentarischen Temelín-Konferenz am 21. März 2007 eine Übersichtsdarstellung (Gegenüberstellung von Zielen und Bewertung) präsentiert. Diese parlamentarische Anhörung sollte natürlich auch Teil des bilateralen Sicherheitsdialoges sein. Allerdings ist die tschechische Seite der österreichischen Einladung unter Verweis auf die von Bundeskanzler GUSENBAUER und Premierminister TOPOLÁNEK am 27. Februar 2007 ins Leben gerufene gemischte parlamentarische Kommission nicht gefolgt. Folglich – aber auch angesichts unterschiedlicher Darstellungen und Interpretationen tschechischer Regierungsmitglieder – habe ich mit Schreiben vom 28. März 2007 gegenüber Außenminister SCHWARZENBERG nochmals deutlich gemacht, dass eine erhebliche Anzahl von Punkten als offen und ungelöst anzusehen ist. Weiters habe ich ersucht, eine ausführliche schriftliche technische Stellungnahme zu veranlassen und der Republik Österreich ehest möglich zur Verfügung zu stellen. Diese Stellungnahme wurde von Außenminister SCHWARZENBERG mit Schreiben vom 30. April 2007 übermittelt und mit Unterstützung von Experten ausgewertet. Bedauerlicherweise enthielt diese Stellungnahme keine entscheidenden neuen Informationen.

 

Am 14. Mai 2007 haben dann der Verfassungsdienst und das Völkerrechtsbüro ihre von der Bundesregierung angeforderte juristische Stellungnahme vorgelegt. Diese Stellungnahme stellt u.a. klar, dass zu diesem Zeitpunkt die Gefahr einer Verschweigung des österreichischen Standpunktes noch nicht bestand.

Vor diesem Hintergrund ist am 4. Juni 2007 eine Mitteilung unter Anschluss einer technischen Expertise erfolgt. Damit wurde auch der Gefahr einer Verschweigung des österreichischen Standpunktes vorgebeugt. Die Tschechische Republik hat am 16. Juni 2007 mit einem gemeinsamen Schreiben von Premierminister TOPOLÁNEK und Außenminister SCHWARZENBERG an Bundeskanzler GUSENBAUER geantwortet. Darin verweisen sie darauf, dass die tschechische Seite wiederholt ihre Position dargelegt habe, dass die aus der „Vereinbarung von Brüssel“ resultierenden Zielsetzungen als erfüllt zu betrachten sind. Weiters kündigt die Tschechische Regierung die Ausarbeitung einer Fachstellungnahme an. Die „Materialien“ beider Seiten sollten dann als Diskussionsgrundlage für die gemischte parlamentarische Kommission dienen. Gegenstand dieser Kommission soll eine aktuelle Bewertung des Standes der Umsetzung der im Anhang I zur „Vereinbarung von Brüssel“ angeführten Sicherheitsmaßnahmen für das KKW Temelín sein. Diese Kommission ist bislang zweimal, nämlich am 11. Juli 2007 in Prag und am 17./18. September 2007 in Wien zusammengetreten. Das nächste Treffen soll im Dezember 2007 in Budweis stattfinden.

 

Mein Haus unterstützt die Arbeit dieser Kommission in sicherheitstechnischen Angelegenheiten und damit zusammenhängende Fachfragen. Den Ergebnissen dieses sehr intensiv verlaufenden Prozesses kann und soll nicht vorgegriffen werden.

 

 

Der Bundesminister: