1746/AB XXIII. GP
Eingelangt am 21.12.2007
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0106-Pr 1/2007
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 1714/J-NR/2007
Die Abgeordneten zum Nationalrat Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „aktuelle Missstände in der Justizverwaltung“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Ich habe aus Anlass dieser Parlamentarischen Anfrage einen Bericht des Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt einholen lassen, der dazu Stellung nimmt wie folgt:
„Zu Pkt. 1) der Anfrage wird ausgeführt, dass es nicht zutreffend ist, dass Mag. Löb und RA Dr. Kresbach die Einsichtnahme in die Schöffendienstliste verweigert wurde.
Mag. Löb hat im Präsidium des Landesgerichtes diesbezüglich nie vorgesprochen, RA Dr. Kresbach wurde die Einsichtnahme sowohl in die Quartalslisten als auch in die Dienstlisten des gegenständlichen Zeitraumes angeboten.
Hinsichtlich seines Wunsches um Übersendung einer Kopie der gesamten Schöffenliste 2005/2006 wurde er im Hinblick auf den Umfang (ca. 1300 Schöffen) und aus Datenschutzgründen sowie die Kosten auf die Möglichkeit einer schriftlichen Antragstellung verwiesen. Die Vorsprache des RA Dr. Kresbach erfolgte noch vor Ausfertigung des gegenständlichen Urteiles.“
Zu 2:
Der Präsident des Landesgerichtes Wiener Neustadt berichtet hiezu:
„Zu Pkt. 2) wird ausgeführt, dass es ebenfalls nicht zutreffend ist, dass die Schöffendienstliste erst zu Ende der Rechtsmittelfrist aufgrund des Einschreitens des OLG-Präsidenten herausgegeben wurde.
Die im gegenständlichen Verfahren im Präsidium des LG Wr. Neustadt eingelangten Anträge bzw. Ersuchen wurden unmittelbar und sofort per Fax sowie fernmündlich erledigt. Der an das OLG gerichtete Antrag des Privatbeteiligtenvertreters Dr. Jeanee wurde nach Übermittlung durch das OLG ebenfalls sofort positiv erledigt.“
Zu 3 und 4:
Wie bereits bei der Beantwortung der Anfrage vom 7. März 2007 dargelegt, hat das Bundesministerium für Justiz eine Eingabe von Mag. Löb vom 27. September 2006 erhalten, in der u.a. auch die Verweigerung der Einsichtnahme in die Schöffenliste des Landesgerichtes Wiener Neustadt beanstandet wurde. Da sich Mag. Michael Löb in der Eingabe primär über Verzögerungen bei der Übermittlung der Protokollabschriften sowie bei der Urteilsausfertigung beschwerte und sich aus der Beschwerde keine Anhaltspunkte für eine im Rahmen der Dienstaufsicht des Bundesministeriums für Justiz wahrzunehmende Verweigerung der Einsicht durch den Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt ergaben, wurde dem Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom Bundesministerium für Justiz aufgetragen, das Beschwerdevorbringen – unter Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 87 Abs 1 B-VG) – zu überprüfen, dem Einschreiter zu antworten und darüber zu berichten. In weiterer Folge legte der Präsident des Landesgerichtes Wiener Neustadt sein Antwortschreiben an Mag. Löb vor, aus dem hervorging, dass das Urteil und die Verhandlungsprotokolle mittlerweile abgefertigt wurden.
Zu 5 und 6:
Laut dem mir vorliegenden Bericht des Herrn Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien trat Dr. Adrian Hollaender an diesen mit E-Mail vom 25. Jänner 2007 heran, um auf kurzem Weg die vom Präsidenten des Landesgerichtes Wr. Neustadt geführte Schöffenliste für das zweite Quartal des Jahres 2006 übersendet zu erhalten. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien ersuchte die in seinem Präsidium mit Angelegenheiten der Geschworenen- und Schöffenlisten befasste Richterin des Oberlandesgerichtes Wien Dr. Monika Jahn um die Bearbeitung dieser Anfrage. Mit E-Mail vom 27. Jänner 2007 wandte sich RA Dr. Jeannée mit demselben Anliegen direkt an Dr. Jahn und ersuchte um Übermittlung der Liste entweder an Dr. Hollaender oder an ihn selbst. Aufgrund dieser Eingaben nahm Dr. Jahn mit dem Präsidenten des Landesgerichtes Wr. Neustadt Kontakt auf, woraufhin die gewünschte Schöffenliste am 30. Jänner 2007 an RA Dr. Jeannée gefaxt wurde.
Zu 7:
Anlässlich der ersten parlamentarischen Anfrage vom 7. März 2007 sowie der nunmehrigen Anfrage wurden von der für die Angelegenheiten der Dienstaufsicht über die Gerichte im Sprengel des Oberlandesgerichtes Wien zuständigen Fachabteilung des Bundesministeriums für Justiz Berichte des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien sowie des Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt eingeholt, auf deren Basis die erste und die nunmehrige Anfrage beantwortet wurden bzw. werden. Soweit der Sachverhalt aus den mir vorliegenden Berichten eruierbar ist, ergibt sich für darüber hinausgehende dienstaufsichtsbehördliche Maßnahmen kein Anlass.
Zu 8 bis 12:
Wie bereits bei der Beantwortung der Anfrage vom 7. März 2007 ausgeführt, verfügte die vorsitzende Richterin im Verfahren 46 Hv 9/05d des Landesgerichtes Wr. Neustadt die Ladung der Schöffen laut Dienstliste; tatsächlich wurden von der zuständigen Leiterin der Geschäftsabteilung nur die Schöffen Nr. 136, 137, 138 und 140 geladen. Aufgrund des länger zurückliegenden Zeitpunktes kann nicht mehr nachvollzogen werden, ob die Ladung des Schöffen Nr. 139 aus einem Versehen der zuständigen Leiterin der Geschäftsabteilung oder einer – allenfalls zuvor telefonisch mitgeteilten – Bekanntgabe einer Verhinderung dieses Schöffen unterblieben ist. Nach den mir vorliegenden Berichten wurden mit Ausnahme des Schöffen 139 im zweiten Quartal 2005/2006, Abteilung 42/46 alle Schöffen nach der Reihenfolge der Schöffendienstliste berufen.
Zu 13:
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass die Übergehung eines Schöffen laut Dienstliste allenfalls eine Nichtigkeit des im genannten Strafverfahren ergangenen Urteils in Folge nicht gehöriger Besetzung des Gerichtes (§ 281 Abs. 1 Z 1 StPO) bewirken kann. Dabei handelt es sich aber um eine vom Obersten Gerichtshof in Ausübung des richterlichen Amtes (Art. 87 Abs. 1 B‑VG) im Zuge des anhängigen Rechtsmittelverfahrens zu beurteilende Frage, die einer Überprüfung durch Verwaltungsorgane entzogen ist (Art. 94 B-VG). Da der Oberste Gerichtshof diese Frage im anhängigen Rechtsmittelverfahren noch nicht beurteilt hat, ergibt sich derzeit kein Anlass für weitergehende Maßnahmen.
Zu 14:
Wie aus angeblichen „Absonderlichkeiten in der Justizverwaltung“ auf eine Befangenheit einer für ein Verfahren zuständigen Richterin geschlossen werden kann, ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass auch über Befangenheiten von Richtern die Gerichte in Ausübung des richterlichen Amtes (Art. 87 Abs. 1 B-VG) zu entscheiden haben, die einer Beurteilung oder Prüfung durch die Bundesministerin für Justiz entzogen sind (Art. 94 B-VG).
Zu 15 bis 19:
Die angesprochenen Rechtsgutachten sowie die Abhandlung von Dr. Hollaender wurden am 9. März 2007 anlässlich einer persönlichen Vorsprache von RA MMag. Dr. Michael DOHR dem Kabinett der Frau Bundesministerin für Justiz zur Kenntnis gebracht und im Anschluss daran der für Einzelstrafsachen zuständigen Fachabteilung übermittelt.
Meinen Informationen zufolge wurden die genannten Rechtsgutachten dem von RA Dr. E. gestellten Ablehnungsantrag vom 9. Jänner 2007 als Beilagen angeschlossen und sind somit Bestandteil des Gerichtsaktes in dem beim Landesgericht Wiener Neustadt gegen Dr. E. anhängigen Strafverfahren. Die Entscheidung darüber, ob und gegebenenfalls welche Auskünfte aus solchen Gerichtsakten erteilt werden, ist eine Angelegenheit der unabhängigen Rechtsprechung. Ich ersuche daher um Verständnis, dass Informationen zum Inhalt dieser Gutachten nicht erteilt werden können.
Der Anfragebeantwortung ist eine Kopie der einschlägigen, dem Bundesministerium für Justiz übermittelten Abhandlung beigefügt.
Zu 20:
Nein. Nach den mir vorliegenden Informationen wurde ein vom Angeklagten Dr. E. am 9. Jänner 2007 gestellter Antrag auf Ablehnung der nach der Geschäftsverteilung zuständigen Verhandlungsrichter mit Beschluss des Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 22. Jänner 2007 abgewiesen.
Gemäß § 73 StPO ist das Gesuch, womit ein Beteiligter die Ablehnung eines Richters geltend machen will, jederzeit bei dem Gerichte, dem der Abgelehnte angehört, und zwar, wenn es sich um die Ablehnung eines Mitgliedes des erkennenden Gerichtes handelt, längstens binnen vierundzwanzig Stunden vor Beginn der Verhandlung und, wenn es sich um die Ablehnung eines ganzen Gerichtshofes handelt, längstens binnen drei Tagen nach der Vorladung zur Verhandlung zu überreichen oder zu Protokoll zu geben. In diesem Gesuche müssen die Gründe der Ablehnung genau angegeben und, soviel als möglich, bescheinigt sein.
Die Fristen des § 73 StPO sollen einer schikanösen Ausübung des Ablehnungsrechtes vorbeugen. Sie gelten aber nur, wenn die Geltendmachung des Ablehnungsgrundes in dieser Frist überhaupt möglich ist; sonst, vor allem wenn der Ablehnungsgrund erst später entstanden ist, kann die Ablehnung auch noch in der Hauptverhandlung erfolgen.
Unabhängig von den unten zur Frage 21 angestellten Erwägungen ist daher festzuhalten, dass die Stellung eines – neuerlichen – Ablehnungsantrages im derzeitigen Verfahrensstadium voraussetzen würde, dass neu hervorgekommene, bislang nicht geltend gemachte Gründe, die Unbefangenheit der Verhandlungsrichter in Zweifel zu ziehen, behauptet und bescheinigt werden. Andernfalls wäre ein derartiger Ablehnungsantrag verfristet.
Abgesehen davon, dass die in der Anfrage erwähnten Rechtsgutachten bereits als Beilagen dem Ablehnungsantrag vom 9. Jänner 2007 angeschlossen und damit Bestandteil des Gerichtsaktes wurden, zielen diese ebenso wie die Abhandlung Dris. Hollaender – soweit ersichtlich – auf eine andere rechtliche Beurteilung des seinerzeit erstatteten Vorbringens des Ablehnungswerbers Dr. E. ab, ohne neue Befangenheitsgründe darzutun.
Zu 21:
Nein. Wie bereits in der Beantwortung der Voranfrage erwähnt, wurde die Generalprokuratur von Dr. E. sowohl mit der Frage der Befangenheit als auch mit der Frage der Ladung unter Missachtung der in der Schöffenliste vorgegebenen Reihenfolge befasst.
Aus den Akten der Generalprokuratur – die nach Prüfung in beiden Fällen zum Ergebnis gelangte, dass kein Anlass zur Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gefunden wurde – ergibt sich zusammengefasst Folgendes:
Zur Befangenheit eines Richters, der an der abgesonderten Verurteilung eines Mitangeklagten mitgewirkt hat, wird auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes verwiesen, wonach dieser weder ausgeschlossen noch allein deshalb als befangen anzusehen ist, weil diese Verurteilung eine (Beitrags-)Täterschaft des nunmehrigen Angeklagten mitumfasst. Nur dann, wenn ein Richter durch zusätzliche Umstände zu erkennen gibt, dass er – der ihm durch § 57 Abs. 1 RDG auferlegten Verpflichtung zuwider – ersichtlich nicht bereit ist, seine bei der ersten Urteilsfällung vertretene Meinung erforderlichenfalls – der jeweiligen Prozesslage entsprechend – zu ändern, liegt tatsächlich Befangenheit vor (in diesem Sinne auch EGMR vom 10. August 2006, Schwarzenberger gegen Deutschland, BeschwNr 75737/01). Für die Annahme, dass die mit dieser Strafsache befassten Senatsmitglieder nicht bereit wären, mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit an die Sache heranzutreten, bietet der Akt nach Ansicht der Generalprokuratur keinen Anhaltspunkt.
Zur vorgebrachten Missachtung der in der Schöffendienstliste vorgegebenen Reihenfolge hinwieder weist die Generalprokuratur darauf hin, dass dieser Vorwurf nicht das gegen Dr. E. geführte Verfahren, sondern das Verfahren gegen A.M.R. und Mag. L. geführte Strafverfahren beim Landesgericht Wiener Neustadt betrifft, und aufgrund von Nichtigkeitsbeschwerden der dortigen Angeklagten ohnehin bereits Gegenstand der Prüfung durch den Obersten Gerichtshof ist.
Aufgrund dieser Erwägungen, denen das Bundesministerium für Justiz vollinhaltlich beitritt, besteht insgesamt kein Anlass, die Generalprokuratur mit der Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu beauftragen.
Zu der in der Anfrage beanstandeten Unkenntnis des Bundesministeriums für Justiz über ein beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängiges Beschwerdeverfahren wird der Vollständigkeit halber bemerkt, dass laut neuerlicher Information des Völkerrechtsbüros im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten vom 13. November 2007 das angesprochene Verfahren weder der Prozessvertretung (government agent) im Völkerrechtsbüro noch dem Verfassungsdienst beim Bundeskanzleramt bekannt ist. Dies sei entweder darauf zurückzuführen, dass der Gerichtshof noch nicht über die Anhängigmachung/Zulässigkeit entschieden hat oder aber darauf, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Verfahren, und zwar jene, die vom Gerichtshof als aussichtsreich beurteilt würden, bei der Republik anhängig gemacht und damit – auch dem Bundesministerium für Justiz – bekannt werden.
Zu 22 und 23:
Nein. Zunächst darf auf die Beantwortung der Punkte 15 und 17 aus der Voranfrage verwiesen und festgehalten werden, dass seit der dort erwähnten, von der Oberstaatsanwaltschaft Wien konzipierten und vom Bundesministerium für Justiz genehmigten Anklageschrift weder eine Änderung der Entscheidungsgrundlagen noch der rechtlichen Erwägungen eingetreten ist.
Die nicht namentliche Erwähnung von Dr. E. in den rechtlichen Erwägungen bei der Beantwortung der Voranfrage gründet auf dem Umstand, dass diesem – wie ohnedies erwähnt – Beitragshandlungen im Sinne des § 12 dritter Fall StGB zu Teilen der A.M.R. angelasteten Taten vorgeworfen werden.
Zu 24 und 25:
Da diese Frage zumindest in einem der hier angesprochenen Verfahren von Bedeutung ist und daher von den in ihrer Rechtsprechung unabhängigen Gerichten zu beurteilen sein wird, ersuche ich um Verständnis, dass ich von einer Beantwortung Abstand nehme.
Zu 26:
Was die Frage der Einsicht in die Schöffendienstlisten des Landesgerichtes Wiener Neustadt, den nicht tätig gewordenen Schöffen Nr. 139 und eine mögliche Befangenheit der für das Verfahren zuständigen Vorsitzenden betrifft, ist zusammenfassend darauf zu verweisen, dass nach den mir vorliegenden Informationen sämtliche Anträge auf Einsichtnahme in die Schöffendienstlisten umgehend und positiv erledigt wurden und die Frage der Konsequenzen der Übergehung eines Schöffen ebenso wie eine mögliche Befangenheit der vorsitzenden Richterin von Gerichten in Ausübung des richterlichen Amtes (Art. 87 Abs. 1 B-VG) zu beurteilen ist.
. Dezember 2007
(Dr. Maria Berger)
Anmerkung der Parlamentsdirektion:
Die vom Bundesministerium übermittelten Anlagen stehen nur als Image (siehe Anfragebeantwortung gescannt) zur Verfügung.