2624/AB XXIII. GP
Eingelangt am 06.02.2008
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0141-Pr 1/2007
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 2852/J-NR/2007
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Brigid Weinzinger, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Umsetzung der beiden CEDAW Entscheidungen (Communication 5/2005 und Communication 6/2005)“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Die Umsetzung der Empfehlungen des CEDAW-Komitees fällt in den Vollzugsbereich mehrerer Bundesministerien.
Was die Umsetzungen der CEDAW-Empfehlungen in meinem Vollzugsbereich betrifft, verweise ich auf die legislativen Neuerungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Anwendung des in Österreich bestehenden – vom CEDAW-Komitee ausdrücklich anerkannten umfangreichen – Modells zur Bekämpfung häuslicher Gewalt und die dazu entwickelten Aus- und Fortbildungspläne.
Um die Stellung von Opfern - insbesondere im Hinblick auf ihre emotionale Belastung - im Strafverfahren zu stärken, haben Opfer von Gewalt, gefährlicher Drohung oder von Sexualdelikten schon seit 1.1.2006 Anspruch auf kostenfreie psychosoziale und juristische Prozessbegleitung. Diese umfasst die Vorbereitung des Opfers auf das Strafverfahren und die damit verbundenen emotionalen Belastungen sowie die Begleitung zu Vernehmungen während des Verfahrens und die rechtliche Beratung und Vertretung durch eine Rechtsanwältin/einen Rechtsanwalt. Das Bundesministerium für Justiz beauftragt geeignete Opferschutzeinrichtungen mit der Durchführung der Prozessbegleitung und ersetzt diesen ihre Aufwendungen im Rahmen der Prozessbegleitung. Die/der psychosoziale ProzessbegleiterIn kann Opfer zu Vernehmungen als Vertrauensperson begleiten und ihnen Unterstützung leisten (§ 160 Abs. 2 StPO nF).
Die Möglichkeit und Verpflichtung, Zeugen/Opfer auf besonders schonende Weise zu vernehmen (§ 165 Abs. 3 und 4 StPO nF), wurde im Stadium der Hauptverhandlung dahingehend ausgedehnt, dass nunmehr alle Opfer, die Anspruch auf Prozessbegleitung haben, auf Antrag auf die gleiche Weise (ohne Anwesenheit des Beschuldigten, indirekte Fragen etc) zu vernehmen sind (§ 250 Abs. 3 StPO nF).
Dadurch wird der besonderen Lage von Opfern von häuslicher Gewalt Rechnung getragen und gleichzeitig gewährleistet, dass das erkennende Gericht dennoch einen unmittelbaren Eindruck von dem zugefügten Leid erhält, wodurch auch eine opfergerechte Sanktionierung unterstützt werden kann. Prozessbegleitung gewährleistet auch in dieser Situation, dass die unter besonderem psychischem Druck stehenden Opfer von häuslicher Gewalt mit Anerkennung und Würde behandelt werden sowie die Unterstützung erhalten, um den Belastungen eines Strafverfahrens besser gewachsen zu sein.
Um dem besonderen Schutzbedürfnis von Opfern häuslicher Gewalt gerecht zu werden, bietet nunmehr § 173 Abs. 5 Z 3 StPO nF ausdrücklich die Möglichkeit, nach einer Festnahme von der Verhängung der Untersuchungshaft gegen die Auflage von gelinderen Mitteln (Gelöbnisse und Weisungen) abzusehen. Als gelindere Mittel in Fällen von Gewalt in Wohnungen iSd § 38a SPG werden das Gelöbnis, jeglichen Kontakt zum Opfer zu unterlassen, die Weisung, die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung nicht zu betreten oder ein bereits erteiltes Betretungsverbot oder eine einstweilige Verfügung nicht zu übertreten samt Abnahme aller Schlüssel zur Wohnung, genannt. Damit kann nunmehr bei einer Missachtung des Gelöbnisses oder der Weisung als unmittelbare strafprozessuale „Sanktion“ die Untersuchungshaft verhängt werden.
Darüber hinaus wurde das Erfordernis der Ermächtigung für die Strafverfolgung durch das Opfer wegen des Straftatbestandes der gefährlichen Drohung im Familienkreis (§ 107 Abs. 4 StPO) mit Wirksamkeit vom 1.7.2006 beseitigt, sodass Opfer von der innerfamiliären Drucksituation, die Ermächtigung wieder zurückzuziehen, entlastet werden. Unterstrichen wird dadurch, dass nicht dem Opfer, sondern allein der Staatsanwaltschaft die Entscheidung über die Verfolgung der strafbaren Handlung der gefährlichen Drohung (§ 107 StGB) obliegt. Die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft haben jeden ihnen zur Kenntnis gekommenen Verdacht einer Straftat von Amts wegen in einem Ermittlungsverfahren aufzuklären (§ 2 StPO nF). Schließlich leitet auch die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren und entscheidet über die Anklageerhebung oder die Beendigung des Ermittlungsverfahrens (§ 101 StPO nF). Im Falle der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch den Staatsanwalt hat das Opfer das Recht, beim Oberlandesgericht die Fortführung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu beantragen (§ 195 StPO nF).
Die mit 1.1.2008 in Kraft getretene Reform der Strafprozessordnung, BGBl. I Nr. 19/2004, betont in ihrem Verfahrensgrundsatz gemäß § 9 StPO nF das verfassungsrechtlich abgesicherte Beschleunigungsgebot für jedes Strafverfahren (Artikel 6 Abs. 1 EMRK). Durch die Verpflichtung, Verfahren zügig und ohne unnötige Verzögerung durchzuführen, wird die primäre Aufgabe des Verfahrens, eine rasche Rechtsdurchsetzung (auch der Opferinteressen) und Legalbewährung zu gewährleisten, unterstrichen.
Als eine weitere Maßnahme zur Verbesserung und effizienteren Gestaltung der Verfolgung von Straftaten bei Gewalt in der Familie durch die Strafverfolgungsbehörden werden bei allen größeren Staatsanwaltschaften Sonderzuständigkeiten für die Bearbeitung von Fällen bei Gewalt im sozialen Nahraum (Gewalt in der Familie, Gewalt an Kindern) geschaffen. Geschulte StaatsanwältInnen, die mit dem Phänomen von Gewalt in der Familie besonders vertraut sind, werden in Hinkunft für die Führung der Strafverfahren von Fällen mit Gewalt in der Familie zuständig sein. Dadurch wird ein vertieftes Verständnis für die spezielle Situation von Opfern von Gewalt in Beziehungen (in Familie) bzw. auch für die Situation von Tätern sichergestellt.
Um die Zusammenarbeit und den Informationsfluss zwischen Staatsanwaltschaften, Gerichten und Opferschutzeinrichtungen zu verbessern und zu intensivieren, werden vom Bundesministerium für Justiz regelmäßige „runde Tische“ auf Ebene der Landesgerichte und Staatsanwaltschaften mit den örtlich zuständigen Opferschutzeinrichtungen initiiert. Dadurch soll sich vor allem das gegenseitige Verständnis verbessern und schließlich auch die Zusammenarbeit und Kommunikation in konkreten Fällen effizienter gestaltet werden. Die Schaffung von Sonderzuständigkeiten bei größeren Anklagebehörden für Fälle von Gewalt im sozialen Nahraum wird auch dazu beitragen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Staatsanwaltschaften und den Opferschutzeinrichtungen wirksamer gestaltet werden kann, weil sich die Kooperation in konkreten Fällen auf wenige zuständige Personen beschränken wird, was die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis erleichtern wird.
Zu 2 und 3:
Eine einheitliche Übersetzung der Empfehlungen des Komitees über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau vom 6.8.2007 zu den Mitteilungen in den Fällen Sahide Goekce, Nr. 5/2005, und Fatma Yildirim, Nr. 6/2005, wird derzeit vom Bundeskanzleramt angefertigt. Nach Vorliegen dieser Übersetzung werden die Empfehlungen sowohl auf der Internet- als auch der Intranet-Seite des Bundesministeriums für Justiz publiziert werden.
Zu 4 und 5:
Der Umsetzungsbericht wird sämtliche Stellungnahmen der berührten Bundesministerien umfassen und zeitgerecht bis zum 20.2.2008 dem CEDAW-Komitee übermittelt werden.
Zu 6:
Unter den vom Justizressort in diesem Zusammenhang veranlassten Maßnahmen ist auf erweiterte Schulungskonzepte für die Ausbildung der RichteramtsanwärterInnen sowie für StaatsanwältInnen und die mit Strafrecht befassten RichterInnen hinzuweisen, an deren Erarbeitung sich auch VertreterInnen von NGOs beteiligt haben.
Im Rahmen der geplanten Module zu den Themenbereichen „Opferschutz/Gewaltschutz“, „Häusliche Gewalt“, „Gewaltstrukturen“ und „Gefährlichkeitsprognose“ sind neben RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen auch ExpertInnen aus NGOs und sonstigen berührten Bereichen als Vortragende vorgesehen.
Im Übrigen verweise ich auf meine Antwort zu Frage 1.
. Februar 2008
(Dr. Maria Berger)