2690/AB XXIII. GP

Eingelangt am 11.02.2008
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Gesundheit, Familie und Jugend

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Maga. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

 

 

 

GZ: BMGFJ-11001/0214-I/A/3/2007

Wien, am       7. Februar 2008

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 2860/J der Abgeordneten Mag. Johann Maier und GenossInnen nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Fragen 1 und 2:

Meinem Ressort liegen dazu keine Daten oder Informationen vor.

 

Frage 3:

Die Arbeitssucht wird, so wie beispielsweise die Kauf-, Sex- oder Spielsucht zu den substanzunabhängigen Süchten gezählt. Für arbeitssüchtige Patient/inn/en steht die Arbeit an erster Stelle, alle privaten Angelegenheiten, soziale Kontakte, so sie nicht beruflicher Natur sind, gleichsam wie Hobbys nehmen einen viel geringeren Stellwert als berufliche Aufgaben ein und werden im Verlauf der Erkrankung immer mehr vernachlässigt. Mit der Zeit übernimmt der/die Süchtige immer mehr Aufgaben, vertraut nur mehr sich selbst und ist sich sicher, dass niemand sonst die Arbeit so gut erledigen kann. Dieser Perfektionismus geht soweit, dass das gesamte Privatleben überhaupt keinen Stellenwert mehr einnimmt. Die Auswirkungen dieses übertriebenen Arbeitseinsatzes sind gravierend; so zählen zu den häufigsten direkten Folgen der Arbeitssucht Herzversagen, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

 

Eine einheitliche wissenschaftliche Definition von Arbeitssucht gibt es nicht. Trotz weiter Verbreitung ist der Begriff „Arbeitssucht“ bislang nicht in die offizielle psychiatrische und psychologische Begriffswelt eingegangen. Über das anerkannte Definitionsmerkmal hinaus, dass arbeitssüchtige Menschen ausserordentlich viel in ihre Arbeit investieren und andere Lebensbereiche vernachlässigen, existiert keine einheitliche Bestimmung des Terminus

„Arbeitssucht“. Insbesondere fehlt es an größeren empirischen Studien zur Entstehung, Entwicklung und Behandlung von Arbeitssucht. Folgt man den allgemeinen Indikatoren nicht-stoffgebundener Süchte, so lassen sich folgende Merkmale feststellen:

-         der/die Betroffene ist dem Arbeitsverhalten völlig verfallen, das gesamte Denken und Handeln, der gesamte Vorstellungsraum bezieht sich auf die Arbeit

-         der/die Betroffene hat die Kontrolle über sein Arbeitsverhalten verloren, er ist unfähig, Umfang und Dauer des Arbeitsverhaltens zu bestimmen

-         der/die Betroffene ist abstinenzunfähig. Er erlebt es subjektiv als unmöglich, kürzere oder längere Zeit nicht zu arbeiten.

-         bei den Betroffenen treten Entzugserscheinungen beim gewollten oder erzwungenen Nicht-Arbeiten auf, bis hin zu vegetativen Symptomen.

-         der/die Betroffene entwickelt eine gewisse Toleranz gegenüber der Arbeitsquantität, das heißt, zur Erreichung angestrebter Gefühlslagen oder Bewusstseinszustände muss immer mehr gearbeitet werden.

-         bei den Betroffenen treten psychosoziale und/oder psychoreaktive Störungen auf.

 

Es ist derzeit noch keine eindeutige wissenschaftliche Aussage möglich, wie viele der Indikatoren in welcher Intensität und über welchen Zeitraum hinweg auftreten müssen, um eine zuverlässige Arbeitssuchtdiagnose stellen zu können.

 

Arbeitssucht tritt vor allem bei Menschen in Führungspositionen oder in selbstständigen Tätigkeitsbereichen auf, wohingegen Angestellte bzw. ArbeiterInnen seltener betroffen sind.

 

Folgende Typen von Arbeitssüchtigen können unterschieden werden:

 

1.) Die entscheidungsunsicheren Arbeitssüchtigen:

Diese Gruppe weist zwar eine hohe quantitative Arbeitsleistung auf, verfügt jedoch, vergleicht man sie mit den übrigen Gruppen, dennoch über eine gewisse Menge an freier Zeit. Diese Gruppe kann somit als gefährdet bezeichnet werden, eine Arbeitssucht zu entwickeln.

 

2.) Die überfordert-unflexiblen Arbeitssüchtigen:

Diese Personengruppe lässt sich durch starke Überforderungs- und Angstgefühle charakterisieren, sowie durch fehlende Spontanität und Unflexibilität, sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben. Weiters weisen diese Abhängigen deutliche Beeinträchtigungen in gesundheitlichen Belangen auf, und zeichnen sich durch beträchtliche Probleme mit ihrem sozialen Umfeld aus.

 

3.) Die verbissenen Arbeitssüchtigen:

Diese Personen neigen dazu, ihre Überzeugungen und Absichten mit allem Nachdruck und um „jeden Preis“ durchsetzen zu müssen. Sie arbeiten sehr viel, sowohl im Berufsleben als auch im Haushalt, neigen zum Perfektionismus und haben auffallend wenig Freizeit. Verantwortungsabgabe und das Delegieren von Aufgaben lehnen sie ab, da sie die Meinung vertreten, nur sie selbst können die zu verrichtenden Arbeiten zur Zufriedenheit aller erfüllen. Auffallend sind häufige Problem im interpersonellen und partnerschaftlichen Bereich.

 

4.) Die überfordert-zwanghaften Arbeitssüchtigen:

Diese Süchtigenpopulation weist die meisten Zwangsmerkmale aller hier beschriebenen Gruppen auf. Überforderungs- und Angstgefühle, Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung, Verbissenheit und eine zwanghaft-ritualisierte Arbeitseinstellung kennzeichnet diese Arbeitssüchtigen. Interessant ist, dass die Personen über relativ viel Freizeit verfügen, diese aber nicht genießen können, da sich ihre Gedanken nur um noch zu erledigende oder schon verrichtete Aufgaben drehen. Sie sind sehr unzufrieden mit ihrer Leistung und stellen extrem hohe Ansprüche an sich selbst.

 

Ergänzend dazu darf ich auf die Ausführungen des Österreichischen Psychologenforums verweisen:

 

„Bei der sogenannten Arbeitssucht handelt es sich um ein Phänomen, das eher einer Impulskontrollstörung entspricht als einer Sucht (=Abhängigkeit) im eigentlichen Sinn. D.h. es geht um ein aus der Kontrolle geratenes Selbstbelohnungs- bzw. Spannungsreduktionssystem, das nur wenige derjenigen Elemente aufweist, die bei stoffgebundenen Süchten und auch einigen der nicht stoffgebundenen Süchte (Spielsucht, Sexsucht etc.) zu beobachten sind:

 

Es gibt keinen Verhaltensablauf, der zu bestimmten Zustandsbildern oder Stimmungslagen führt, die das Ziel des Suchtverhaltens sind. Es treten vielmehr dann, wenn die unerwünschten (oder auch wie im Fall des sogenannten Pensionsschocks zunächst erwünschten) Verhaltensweisen unterbunden werden, Spannungszustände auf, die entzugsähnlichen Charakter annehmen können und extrem negativ erlebt werden.

 

Das als Arbeitssucht angesprochene Phänomen manifestiert sich nicht darin, dass irgendeine Arbeitstätigkeit euphorisierende oder entspannende Zustände auslöst, die entgleisen, sondern es wird vielmehr die Suche nach sozialer Anerkennung durch berufliche Tätigkeiten überwertig. Diese Suche nach sozialer Anerkennung über die berufliche Karriere ist allerdings primär ein durchaus „normales“ Verhalten, das nur dann bedenklich wird, wenn es selbstschädigende Ausmaße annimmt.“

 

Frage 4:

Meinem Ressort liegen keine konkreten Zahlen vor.

 

Der Stellungnahme des Österreichischen Psychologenforums entsprechend, darf ich darüber hinaus anmerken, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und strafrechtlichen Delikten besteht, da die bei der Arbeitssucht gesetzten Handlungen grundsätzlich – wenn es zu keinen weiteren Komplikationen und negativen Folgen kommt – als sozial sehr erwünscht angesehen werden.

 

Frage 5:

Meinem Ressort liegen keine konkreten Zahlen vor.

 

Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen verweist auf eine Information auf der Website der Stiftung Maria Ebene (http://www.mariaebene.at/admin/web/special_portal.php?textID=615&katID=134):

 

"Unterschieden werden bei Suchtkranken Sekundär- und Primärsüchte. Häufig vorkommende Hintergrundsüchte betreffen bei Arbeitssüchtigen Geld, Beziehungen, Alkohol oder Medikamente bis hin zu illegalen Drogen. So ist der übermäßige Genuß von Alkohol, um abspannen zu können, oftmals die Sekundärsucht zur primären Arbeitssucht. Oft treiben die Menschen zwischen diesen Süchten hin und her, und die sekundäre Sucht wird auch eingesetzt, um die primäre Arbeitssucht zu rechtfertigen oder herunterzuspielen.“

 

Fragen 6 und 7:

Der Begriff „Krankheit“ im sozialversicherungsrechtlichen Sinn definiert sich gemäß § 120 Abs. 1 ASVG bzw. den entsprechenden Bestimmungen der Parallelgesetze als ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht.

Gemäß § 133 Abs. 2 ASVG bzw. der jeweiligen Bestimmungen der Parallelgesetze sollen durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden.

Unter diesen Voraussetzungen können auch allenfalls durch Arbeitssucht verursachte krankheitswertige Störungen der sozialversicherungsrechtlichen  Definition von „Krankheit“ entsprechen und zu einem Anspruch auf Krankenbehandlung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Als Leistungen der Krankenversicherung kommen hiebei in erster Linie ärztliche Hilfe sowie die der ärztlichen Hilfe gesetzlich gleichgestellten Leistungen, wie insbesondere psychotherapeutische Behandlung durch hiezu befugte Therapeuten sowie diagnostische Leistungen von dazu befugten klinischen Psychologinnen und Psychologen in Betracht (siehe dazu auch die Beantwortung der Fragen 15 und 17).

 

Frage 8:

Seitens der WHO wird festgelegt bzw. gefordert, dass die Begriffe Missbrauch, Abhängigkeit und Sucht nur in Zusammenhang mit dem Konsum einer spezifischen Substanz zu verwenden sind und der Suchtbegriff nicht verwässert wird. Es liegen keine Informationen vor, dass sich die EU-Kommission mit dieser Problematik befasst hat.

 

Fragen 9 und 11:

Arbeitssucht ist nicht als ICD-Diagnose erfasst, daher sind keine Auswertungen dahingehend möglich, in welchen Krankenanstalten entsprechende Behandlungen stattfinden. Meinem Ressort sind keine auf Arbeitssucht spezialisierten Einrichtungen (weder ambulant noch stationär) bekannt. Grundsätzlich stehen aber die Einrichtungen für Abhängigkeitserkrankungen in den Krankenanstalten sowie viele Suchthilfeeinrichtungen (Beratungsstellen, ambulante oder stationäre Therapie etc.) auch für Menschen mit nicht stoffgebundenen Süchten - und damit auch für Arbeitssucht - zur Verfügung.

 

Laut Suchthilfekompass (http://suchthilfekompass.oebig.at) stehen in fast allen Bundesländern Einrichtungen für Menschen mit nicht stoffgebundenen Süchten zur Verfügung:

 

­        Kärnten:             2 stationäre und 8 ambulante Einrichtungen

­        Niederösterreich: 12 stationäre und 9 ambulante Einrichtungen

­        Oberösterreich:   1 stationäre und 4 ambulante Einrichtungen

­        Salzburg:            3 stationäre und 1 ambulante Einrichtungen

­        Steiermark:         3 stationäre und 17 ambulante Einrichtungen

­        Tirol:                   2 ambulante Einrichtungen

­        Vorarlberg:          3 stationäre und 1 ambulante Einrichtungen

­        Wien:                  3 ambulante Einrichtungen

 

Frage 10:

Meinem Ressort sind keine repräsentativen Zahlen bekannt, ich verweise ergänzend auch auf meine Ausführungen zu Frage 3.

 

Frage 12:

In der SIGIS-Datenbank des Fonds Gesundes Österreich sind zwei Selbsthilfegruppen zum Thema Arbeitssucht vermerkt:

 

- Anonyme Arbeitssüchtige Wien

- AAS - Anonyme Arbeitssüchtige Lilienfeld

 

Fragen 13 und 14:

Im angesprochenen Zeitraum wurden keine der angesprochenen Gruppen und/oder Selbsthilfeeinrichtungen vom Gesundheitsressort gefördert, derzeit ist eine derartige Förderung auch nicht in Aussicht genommen.

 

Fragen 15 und 17:

Zu einem umfassenden therapeutischen Angebot gehören neben klinisch-psychologischer bzw. psychotherapeutischer Therapie (Einzel-, Paar- und Gruppentherapie) auch eine psychiatrische Konsultation/Behandlung sowie Einzelbetreuung bzw. -beratung für Angehörige und therapeutisch geleitete Gruppen für Angehörige. Bezüglich der Behandlung der Arbeitssucht werden auch bei dieser substanzunabhängigen Form einer Abhängigkeit verhaltenstherapeutische Therapieregime (die Arbeitszeit bewusst reduzieren, Entspannungstechniken sowie sich eine alternative Beschäftigung suchen, Selbstmanagement) zur Anwendung gebracht.

 

Auch periodische Zusammentreffen von Betroffenen nach dem Vorbild der „Anonymen Alkoholiker“ sind mittlerweile schon weit verbreitet („Workaholics“).

 

Nach Mitteilung des Österreichischen Psychologenforums wird die Psychotherapie im Zusammenhang mit dieser Störung im Rahmen der derzeitigen Möglichkeiten von den Sozialversicherungsträgern bezahlt, klinisch-psychologische Behandlung ist derzeit keine Kassenleistung. Zielführende Maßnahmen können daher v.a. arbeitspsychologische und/oder arbeitsmedizinische Programme sein, die eine Früherkennung von bedenklichen Entwicklungen erleichtern.

 

Abschließend darf ich anmerken, dass es zum Zeitpunkt 6. Dezember 2007 in Österreich 6378 Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten und 5449 Klinische Psychologinnen und Psychologen gab, die in die Liste des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend eingetragen sind.

 

Frage 16:

Angelegenheiten der Abhängigkeitserkrankungen fallen primär in die Zuständigkeit der Abteilung III/B/6 meines Ressorts, wobei allerdings der Schwerpunkt bei der Abhängigkeit und dem Missbrauch von psychoaktiven Substanzen liegt und mein Ressort mit Angelegenheiten der substanzungebundenen Süchte bislang kaum befasst war. Im Hinblick auf die Aspekte der psychosozialen Versorgung ist die Abteilung I/B/7 mit der bestehenden Problematik befasst.

 

Fragen 18 bis 20:

Diese Fragen setzen voraus, dass „Arbeitssucht“ als Erkrankung anerkannt ist, was aber derzeit nicht der Fall ist. Daher wurden und werden keine gezielten Aktionen für die Bekämpfung der Arbeitssucht durchgeführt. Es wurde allerdings seit 2003 bis heute ein Schwerpunkt auf Stressabbau und psychische Gesundheit, sowohl durch die ISCH-Programme, als auch durch Präventionsmaßnahmen im Sinne der psychischen Gesundheit gelegt.

 

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

Dr. Andrea Kdolsky

Bundesministerin