339/AB XXIII. GP
Eingelangt am 17.04.2007
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0014-Pr 1/2007
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 348/J-NR/2007
Die Abgeordneten zum Nationalrat Theresia Haidlmayr, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Benachteiligende Bestimmungen für Menschen mit Behinderungen“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 6:
Ich lehne jedwede Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der sozialen oder ethnischen Herkunft, von Behinderungen oder aus anderen Gründen ab und fühle mich dem Regierungsprogramm 2007 – 2010 verpflichtet, das Menschen mit Behinderungen ein eigenes Kapitel widmet. Unter anderem ist es das ausdrückliche Ziel dieser Bundesregierung, diskriminierende Bestimmungen in den Materiengesetzen zu beseitigen. Dass dieses Ziel im Justizressort bereits in der Vergangenheit große Bedeutung hatte, ist auch den Beantwortungen zu den Parlamentarischen Anfragen Zl. 1053/J-NR/2003 und 4379/J-NR/2002 zu entnehmen, in denen ausführlich über die das Justizressort betreffenden Teile des „Gesamtberichts der Arbeitsgruppe zur Durchforstung der österreichischen Bundesrechtsordnung hinsichtlich behindertenbenachteiligender Bestimmungen“ berichtet und auf die dort geäußerten Kritikpunkte eingegangen wurde. Ich berichte daher in meiner Beantwortung primär über die Änderungen und Neuerungen aus dem Justizressort, die seit der letzten Anfragebeantwortung veranlasst wurden oder die in naher Zukunft noch umgesetzt werden. Aufgegriffen werden nachfolgende Punkte aus dem Bericht:
B) Bericht der Untergruppe „Rechtsschutz“
Punkt.................................................................................................................................. Seite
III.17. Zivilprozessordnung................................................................................................ 44
III.18. Außerstreitgesetz.................................................................................................... 49
III.19. Strafprozessordnung.............................................................................................. 51
III.20. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch................................................................. 59
III.21. Notariatsordnung - Notariatszwangsgesetz - ABGB........................................... 64
III.22. Urheberrechtsgesetz.............................................................................................. 67
C) Bericht der Untergruppe „Berufsausbildung-Beschäftigung-Erwerbstätigkeit-Altersvorsorge-Gesundheit“
Punkt.................................................................................................................................. Seite
II.9. Richterdienstgesetz................................................................................................ 90
E) Bericht der Untergruppe „Mobilität-Verkehr-Wohnen-Bauen-Freizeit-Kommunikation“
Punkt.................................................................................................................................. Seite
II.2.1. Öffentlich zugängliche Baulichkeiten.................................................................. 119
Zu Teil B
Zu III. 17. (Zivilprozessordnung) und III. 18 (Außerstreitgesetz):
Zu diesen Punkten ist im Bericht festgehalten, dass es sich bei den einzelnen geprüften Vorschriften um Schutzvorschriften handelt. Da der Bericht davon ausgeht, dass es sich nicht um diskriminierende Bestimmungen handelt, waren keine Maßnahmen zu setzen. Seit 1.1.2005 ist das neue Außerstreitgesetz, BGBl I Nr. 111/2003 in Kraft, dass das Kaiserliche Patent aus 1854, das Grundlage des Berichts ist, ersetzt hat. Auch dieses enthält keine diskriminierenden Bestimmungen.
Zu III. 19.e. (Strafprozessordnung):
§ 203 StPO wird durch das Strafprozessreformgesetz, BGBl Nr. 19/2004, ab 1. Jänner 2008 aus dem Rechtsbestand fallen.
Opfer haben seit dem 1. Jänner 2006 Anspruch auf Übersetzungshilfe unter den gleichen Voraussetzungen wie Beschuldigte; d.h. insbesondere für Zwecke der Akteneinsicht (siehe § 47a Abs. 4 StPO). Auf dieser Grundlage kann z.B. ein Dolmetsch für die Gebärdensprache zur Verfügung gestellt werden.
Zu III.20.a. (§ 273 ABGB – Sachwalterbestellung für behinderte Personen):
Obwohl diese Bestimmung nach dem eingangs zitierten Bericht nicht diskriminierend ist, wurde mit dem Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 (SWRÄG 2006 – BGBl. Nr. I 92) die Rechtsstellung von behinderten Personen in einigen Punkten deutlich verbessert. Die Änderungen, die auch das Selbstbestimmungsrecht behinderter Personen stärken sollen, werden mit 1. Juli 2007 in Kraft treten. Zu erwähnen ist hier besonders, dass
- das Gericht auch bestimmen kann, dass die Verfügung oder Verpflichtung hinsichtlich bestimmter Sachen, des Einkommens oder eines bestimmten Teiles davon vom Wirkungsbereich des Sachwalters ausgenommen ist (§ 268 Abs. 4 ABGB);
- die Anzahl der übernommenen Sachwalterschaften beschränkt wurde, damit die persönlichen Kontaktnahmen ordnungsgemäß besorgt werden kann (§ 279 Abs. 5 ABGB),
- betont wurde, dass der Wille und die Bedürfnisse der behinderten Person zu berücksichtigen sind (§ 281 ABGB);
- festgeschrieben wurde, dass in eine medizinische Behandlung eine behinderte Person, soweit sie einsichts- und urteilsfähig ist, nur selbst einwilligen kann (§ 283 ABGB) und
- auch einsichts- und urteilsfähige behinderte Personen eine Vorsorgevollmacht (§§ 284f ff ABGB) errichten können.
Zu III.20.b. (§ 566 ABGB – Testierunfähigkeit aus mangelnder Besonnenheit),
III.20.d. (§ 591 ABGB - Unfähige Zeugen bei letztwilligen Anordnungen) und
III.20.e. (§ 616 ABGB – Beschränkungen der fideikommissarischen Substitution):
Die im Bericht kritisierten sprachlichen Diskriminierungen wurden beseitigt. Im Einzelnen wird auf die Beantwortung der Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Theresia Haidlmayr, Freundinnen und Freunde, zur Zahl 4379/J-NR/2002, verwiesen, in der ausführlich Stellung genommen wurde.
Zu III.20.c. (Testamentserrichtung durch Personen unter Sachwalterschaft - § 568 ABGB):
Auch wenn im Bericht grundsätzlich keine Diskriminierung festgestellt wurde, wurde kritisiert, dass bestimmte behinderte Personen, nämlich gehörlose, gehörbehinderte, stumme und sprachbehinderte Personen nur mündlich vor Gericht oder mündlich notariell testieren können, was einen Nachteil darstelle.
Mit BGBl. I Nr. 135/2000 und BGBl. I Nr. 58/2004 wurde diese Bestimmung geändert. Grundsätzlich können Personen unter Sachwalterschaft – ausreichende Testierfähigkeit vorausgesetzt – letztwillige Verfügungen in allen zur Verfügung stehenden Formen errichten. Die mündliche Errichtung vor Gericht oder Notar ist nur dann ein Formerfordernis, wenn das Gericht dies im Sachwalterbestellungsbeschluss ausdrücklich anordnet.
Ferner ist nach § 4 Abs. 3 AußStrG vom Gericht eine Tagsatzung auf tunlichst kurze Zeit zu erstrecken und zur neuerlichen Tagsatzung ein Dolmetsch für die Gebärdensprache beizuziehen, wenn eine gehörlose oder stumme Partei, die im Übrigen zu einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Verfahrens fähig ist, weder mit einem geeigneten Bevollmächtigten noch mit einem solchen Dolmetsch erschienen ist. Ausdrücklich geregelt ist, dass in diesem Fall die Kosten des Dolmetsch für die Gebärdensprache der Bund trägt.
Zu III. 21.a. (Notariatsaktsgesetz);
Bereits im Rahmen des ersten Euro-Umstellungsgesetzes-Bund, BGBI. l Nr. 98/2001 (Art. 70 u. 71), wurden sowohl das Notariatsaktsgesetz als auch das Notariatstarifgesetz in enger Zusammenarbeit mit Vertretern der Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und dem Österreichischen Blindenverband geändert: Nach dem novellierten § 1 Abs. 1 lit. e Notariatsaktsgesetz unterliegen die von Blinden errichteten Urkunden über Rechtsgeschäfte, die Angelegenheiten des täglichen Lebens betreffen, nicht mehr der Notariatsaktspflicht, wenn eine von der blinden Person beigezogene Vertrauensperson die Urkunde über das Rechtsgeschäft mitunterfertigt. Diese Vertrauensperson muss unbefangen sein, das heißt, das beabsichtigte Rechtsgeschäft darf die wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen der Vertrauensperson nicht betreffen. Da Vertreter der Behindertenorganisationen die Notariatsaktspflicht besonders bei der Eröffnung von Girokonten durch blinde Personen als unnötig beschränkend erachteten, wurde ausdrücklich klargestellt, dass diese Regelung auch für bankübliche Verträge über die Eröffnung von Girokonten gilt. Von einer völligen Beseitigung der Notariatsaktspflicht für Blinde wurde in Übereinstimmung mit den Behindertenorganisationen abgesehen, um nicht tatsächlich vorhandene Schutzbedürfnisse behinderter Personen leichtfertig außer Acht zu lassen. Da der Zweck der Formpflicht allein dem Schutz der behinderten Vertragspartei dienen soll, wurde mit dem neu angefügten § 1 Abs. 3 Notariatsaktsgesetz ausdrücklich klargestellt, dass sich nur die behinderte Person auf die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Fehlens des Notariatsakts berufen kann. Um außerdem jede wirtschaftliche Diskriminierung der behinderten Person zu vermeiden, wurde in das Notariatstarifgesetz ein neuer § 4a eingefügt, wonach bei sonst gleichen Voraussetzungen ein sich bei der Erfüllung eines notariellen Auftrages aus der Behinderung einer Partei ergebendes, zusätzliches oder strengeres Beurkundungserfordernis keine Erhöhung der tarifmäßigen Gebühr zur Folge haben darf.
Mittlerweile wurden Gespräche mit den Vertretern von Behinderten geführt, wonach auf deren Wunsch – abgesehen für Bürgschaften, für die ein besonderer Schutzbedarf vor Übervorteilung besteht – das Notariatsaktserfordernis für die behinderte Person auch bei nicht alltäglichen Geschäften verzichtbar werden soll. Eine entsprechende Gesetzesänderung ist in Vorbereitung und wird im Rahmen des Berufsrechtsänderungsgesetzes 2007 dem Gesetzgebungsprozess im Nationalrat zugeleitet werden.
Zu TEIL C
Zu II. 9:
Gemäß Teil 2 Abschnitt A Z 6 der Anlage zu § 2 Bundesministeriengesetz fallen Allgemeine Personalangelegenheiten von öffentlich Bediensteten einschließlich insbesondere des Dienstrechtes nicht in den Wirkungsbereich meines Ressorts, sondern in jenen des Bundeskanzleramtes.
Durch das aufgrund des Sachzusammenhangs davon abweichend durch das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz eingebrachte Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz vom 23. Juni 2006, BGBl. I Nr. 90, wurden mit Auswirkungen (auch) in meinem Ressort allerdings jüngst insbesondere das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Richterdienstgesetz und das Rechtspflegergesetz wie folgt geändert:
A. Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979:
1. In § 10 Abs. 4 Z 2 wurde der Ausdruck „körperlichen oder geistigen“ durch den Ausdruck „für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erforderlichen gesundheitlichen“ ersetzt.
2. In § 14 Abs. 3 wurden die Ausdrücke „körperlichen oder geistigen“ und der Ausdruck „körperlichen und geistigen“ jeweils durch das Wort „gesundheitlichen“ ersetzt.
3. In § 52 Abs. 1 wurde der Ausdruck „körperlichen oder geistigen“ durch das Wort „gesundheitlichen“ ersetzt.
4. In § 151 Abs. 4 Z 1 wurde der Ausdruck „körperlichen oder geistigen“ durch den Ausdruck „für die ordnungsgemäße Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erforderlichen gesundheitlichen“ ersetzt.
5. In § 175 Abs. 8 Z 1 wurde der Ausdruck „körperlichen und geistigen“ durch den Ausdruck „für die ordnungsgemäße Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erforderlichen gesundheitlichen“ ersetzt.
6. In der Anlage 1 Z 3.18 wurde das Wort „körperlicher“ durch das Wort „gesundheitlicher“ ersetzt.
B. Vertragsbedienstetengesetz 1948:
In § 32 Abs. 2 Z 2 wurde der Ausdruck „eine entsprechende Verwendung als geistig oder körperlich“ durch den Ausdruck „die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben als gesundheitlich“ ersetzt.
C. Richterdienstgesetz:
1. § 2 Abs. 1 Z 3 wurde die Wortfolge „persönliche, geistige und fachliche Eignung sowie die körperliche Eignung für den Richterberuf;“ durch „persönliche und fachliche Eignung für die mit der Ausübung des richterlichen Amtes verbundenen Aufgaben;“ ersetzt.
2. In § 95 Abs. 1 wurde die Wortfolge „die Art seiner körperlichen und geistigen Eigenschaften oder Gebrechen“ durch „seine gesundheitliche Verfassung“ ersetzt.
D. Rechtspflegergesetz:
In § 24 Abs. 2 wird die Wortfolge „körperliche oder geistige Eignung für die Ausbildung zum Rechtspfleger“ durch „persönliche und fachliche Eignung für die mit der Ausübung des Amtes eines Rechtspflegers verbundenen Aufgaben“ ersetzt.
Im Bereich des Dienstrechtes existiert – auch im Hinblick auf die eingangs dargestellte Ressortzuständigkeit – im Geschäftsbereich des Justizressorts aus meiner Sicht kein weiterer Handlungsbedarf.
Zu TEIL E
Zu II. 2:
Das Bundesministerium für Justiz wird in den Gerichtsgebäuden nach Möglichkeit sukzessive Service Center und zumindest je einen Verhandlungssaal einrichten, der vollkommen barrierefrei erreichbar und erschlossen ist und in denen „Front-Office“-Leistungen der Justiz angeboten werden können (Beglaubigungen, Auskünfte allgemein und aus Grundbuch, Firmenbuch, Registern; Einzahlungen, bei Bedarf auch Akteneinsicht und Amtstag). Zugleich wird die barrierefreie Erreichbarkeit und Erschließung aller Gerichtsgebäude überprüft und je nach Dringlichkeit der Adaptierungsmaßnahmen ein detaillierter Etappenplan mit einer Umsetzung bis 2015 ausgearbeitet.
Bereits 2003 wurden die Gerichtsgebäude in den Landeshauptstädten hinsichtlich ihrer Zugänglichkeit für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen untersucht. Die Ergebnisse sind unter www.you-too.net abrufbar. Im Jahr 2005 wurden alle Wiener Gerichte auf Einhaltung der Wiener Bauordnung und der Ö-NORMEN B-1600 und B-1600/A1 überprüft. Die Wiener Gerichtsgebäude sind im Wesentlichen für Menschen mit Behinderung uneingeschränkt erreichbar und die Mehrheit der Gerichte auch barrierefrei erschlossen.
Die in den letzten Jahren neu errichteten oder generalsanierten Gerichtsgebäude sind bereits barrierefrei gestaltet.
. April 2007
(Dr. Maria Berger)