359/AB XXIII. GP
Eingelangt am 20.04.2007
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Die Abgeordneten zum Nationalrat Ing. Hofer, Kolleginnen und Kollegen
haben am
26. Februar 2007
unter der Nr. 370/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage
betreffend Förderung der
europäischen Atomenergie seitens der Republik Österreich
durch
den EURATOM-Vertrag gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 9:
Diese Fragen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzleramts.
Zu Frage 10:
Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm für die Jahre
2007 bis 2010
festgelegt,
die Bemühungen für eine Reform des Euratom-Vertrages
auf Ebene der EU
fortzusetzen
(Seite 83).
Im Rahmen der letzten Regierungskonferenz 2003/2004 konnte Österreich
gemeinsam
mit Deutschland,
Irland, Schweden und Ungarn erreichen, dass im Rahmen einer Erklä-
rung
(Nr. 44) zum Vertrag über eine Verfassung für Europa
festgehalten wurde, dass der
Euratom-Vertrag seit
seinem Inkrafttreten in seiner Substanz kaum verändert wurde und
er daher einer Aktualisierung unterworfen
werden muss.
Österreich wird sich im Rahmen
einer allfälligen Änderungskonferenz zum Vertrag über
eine Verfassung für Europa, für die
Beibehaltung der Erklärung Nr. 44 einsetzen und ver-
suchen, weitere Mitgliedstaaten als Unterstützer für eine
Reformkonferenz zu gewinnen.
Nachdem von den derzeit 27 Mitgliedstaaten 15 aktiv die Nuklearenergie
als Energie-
quelle
nutzen und im Hinblick auf die beim Europäischen Rat am 8. und
9. März 2007
festgelegten
Klimaziele (erhebliche Einschränkung der CO2-Emmissionen), Bestrebun-
gen im Gange sind,
diese Ziele auch durch den verstärkten
Einsatz von Kernenergie zu
erreichen, haben sich am 26. März 2007 die
Umweltminister aus Irland, Österreich,
Deutschland1
und den EWR-Staaten Norwegen und Island, in Dublin eingefunden, um
die
Debatte über die Zukunft der Nuklearenergie wieder in eine
angemessene Balance
zu
bringen. Die anwesenden Minister waren sich einig, der einseitigen Darstellung
der
Kernenergie als „saubere“ Alternative im Kampf gegen
den Klimawandel seitens einiger
Mitgliedstaaten, durch Hinweis auf die vielen ungelösten Probleme der Nutzung der Nu-
klearenergie deutlich entgegenzutreten (z.
B. die ungelösten Fragen der Lagerung des
atomaren Abfalls,
Probleme der Wiederaufbereitung, Sicherheitsaspekte). Diesem Tref-
fen in Dublin wird im kommenden Herbst eine
weitere Veranstaltung der europäischen
kernkraftskeptischen
Mitgliedstaaten in Wien folgen, an der möglicherweise weitere
in
der Sache
sympathisierende Mitgliedstaaten der EU teilnehmen werden (z. B. Griechen-
land, Italien, Luxemburg, Portugal,
Spanien).
Auch wenn
das Ziel der dieser Gruppe zugehörigen
Länder nicht darin besteht, eine
Alli-
anz gegen die nuklearbefürwortenden
Mitgliedstaaten zu „schmieden“, haben diese Staa-
ten
hinsichtlich einer Revision des Euratom-Vertrages ähnlich
gelagerte Interessen, so
dass die Möglichkeit mittelfristig eine Reformkonferenz einberufen
zu können, dadurch
möglicherweise
größer wird.
Zu Frage 11:
Wie sich
bereits aus der Beantwortung der Frage 10 ergibt, haben lediglich vier von ins-
gesamt zwölf
Mitgliedstaaten der EU, die die Kernenergie nicht als Energiequelle nutzen,
im Rahmen der letzten
Regierungskonferenz eine Änderung
des Euratom-Vertrages für
erforderlich gehalten. Die Einberufung einer
Regierungskonferenz zur Änderung des
1 Deutschland war im Hinblick auf
seinen derzeitigen Ratsvorsitz durch den Staatssekretär im
Umweltministerium
vertreten.
Euratom-Vertrages erfordert gemäß Art. 48 EUV
einen Beschluss des Rates mit ein-
facher
Mehrheit (dzt. 14 Mitgliedstaaten). Ein derartiger Beschluss war in den letzten
Jahren nicht zu
erreichen und wird auch künftig
nicht leicht erreichbar sein.
Zu den Fragen 12 und 13:
Es gibt eine Reihe von Mitgliedstaaten, deren Energieversorgung dzt.
wesentlich von der
Nutzung der
Nuklearenergie abhängig ist. Das Interesse dieser
Mitgliedstaaten an einer
Euratom-Revisionskonferenz wird sich auch
weiterhin in Grenzen halten. Die voraus-
sichtlichen Themenschwerpunkte einer
solchen Revisionskonferenz würden wohl mit
einiger
Wahrscheinlichkeit Fragen der Sicherheitsstandards kerntechnischer Anlagen,
der
Endlagerung nuklearen Abfalls, der Anwendung der Wettbewerbs- und Beihilfenre-
gelungen des Binnenmarktes auf die Kernenergiewirtschaft, der Mitentscheidung
des
Europäischen Parlamentes bei der Erlassung von Rechtsakten im
Bereich der Nukle-
arpolitik
und die Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen
im Rat sein. Das
heißt: Das
Ergebnis einer Revisionskonferenz würde letztlich auf die Einschränkung
nuklearpolitischer Befugnisse der Mitgliedstaaten hinauslaufen. Es ist sehr
fraglich, ob
sich
unter diesen Rahmenbedingungen so rasch eine Mehrheit im Rat für eine Revisi-
onskonferenz
finden lassen wird. Ein Zeitpunkt kann somit seriöserweise
derzeit nicht
genannt
werden.
Zu Frage 14:
Das Ergebnis einer derartigen Konferenz sollte aus österreichischer
Sicht die
durchgängige Einführung des Mitentscheidungsverfahrens sein
(qualifizierte Mehrheit im
Rat bei voller Mitentscheidung des Europäischen
Parlaments), die Schaffung einer
eindeutigen
Kompetenzgrundlage zur Festlegung unionsweiter einheitlicher
kerntechnischer
Sicherheitsstandards auf hohem Niveau (einschließlich der Lagerungs-
vorschriften für nuklearen Abfall) sowie
uneingeschränkte Anwendung der Binnenmarkt-
vorschriften auf die Nuklearindustrie.
Zu den Fragen 15. 16 und 17:
Österreich wurde am 1. Jänner 1995 Mitglied der Europäischen Union und Vertragspart-
ner der die Union begründenden Verträge, nämlich des
EG-Vertrags, des damaligen
EGKS-Vertrags und des
Euratom-Vertrags. Damals wie heute konnte ein Beitritt nur als
gemeinsamer Beitritt zu allen Gemeinschaften
erfolgen. So enthält der EU-Vertrag nur
einen einzigen Artikel über den
Beitritt zur Europäischen Union, die in ihrer gesamten
Struktur eine administrative Einheit mit einheitlichem institutionellem Rahmen
und ge-
meinsamem
Budget bildet.
Nach überwiegender Auffassung besteht aus
rechtlicher Sicht keine Möglichkeit eines
einseitigen,
isolierten Austritts nur aus dem Euratom-Vertrag. Dies ergibt sich - neben
den
institutionellen Verflechtungen zwischen den Gründungsverträgen, die sich
insbe-
sondere
in gemeinsamen Organen manifestieren - aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht
aus
der ausdrücklich normierten unbegrenzten Geltungsdauer des Vertrags
und dem
Mangel einer ausdrücklichen Austrittsmöglichkeit.
Daneben bietet auch das allgemeine
Völkerrecht
keine Handhabe für einen einseitigen Austritt. Insbesondere erwächst aus
Art.
56 der Wiener Vertragsrechtskonvention kein beliebiges Austrittsrecht. Vielmehr
ergibt
sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 56 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskon-
vention, dass ein allgemeines Kündigungsrecht nur besteht, sofern „feststeht,
dass die
Vertragsparteien
die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts
zuzulassen beab-
sichtigten“
oder sich ein Austrittsrecht aus der „Natur des Vertrags“ herleiten lässt. Nach
herrschender Auffassung kann weder aus der Absicht der Vertragspartner des
Euratom-
Vertrags noch aus der Natur des Euratom-Vertrags ein solches Austrittsrecht
geschlos-
sen werden.
Neben den rechtlichen Argumenten, die gegen die Möglichkeit
eines einseitigen Austritts
sprechen, wäre auch aus politischer Sicht eingehend zu prüfen, ob man sich
durch einen
Austritt
aus dem Euratom-Vertrag wirklich aller Einflussmöglichkeiten
auf die europäi-
sche Nuklearpolitik
entledigen sollte. Langfristig ist Österreichs
Ziel eine nuklearfreie EU
zu erreichen. Ob zur Erreichung dieses Zieles der Austritt aus dem
Euratom-Vertrag tat-
sächlich ein geeignetes Mittel wäre, bedarf sehr sorgfältiger Überlegungen.