3863/AB XXIII. GP

Eingelangt am 13.05.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0051-Pr 1/2008

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 3903/J-NR/2008

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Entwicklungen bei den Diversionsmaßnahmen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Zieht man die Daten der Verfahrensautomation Justiz (VJ) heran, so ist im Jahr 2007 die Gesamtzahl der diversionellen Angebote – nach einem leichten Rückgang in den Jahren 2004 und 2005 – um insgesamt 130 Fälle auf 51.931 Diversionsanbote gegenüber dem Jahr 2006 (51.801) angestiegen.

Der Anteil der Geldbußen ist im Jahr 2007 auf 43,06% gegenüber dem Jahr 2006 mit 44,69% gesunken, hingegen der Anteil der gemeinnützigen Leistungen von 4,84% auf 6,16% gestiegen. Die Anteile der  Probezeit ohne Zusatz, der Probezeit mit Bewährungshilfe oder Übernahme von Pflichten sowie der außergerichtliche Tatausgleich waren mit +0,24% bis – 0,01% tendenziell gleichbleibend. Der nachfolgenden Tabelle mögen die Diversionsanbote, aufgegliedert nach den verschiedenen Diversionsarten für die Jahre 2004 bis 2007 entnommen werden:

 

Tabelle 1: Vergleich Diversionsanbote der Jahre 2004 bis 2007

 

 

2007

in

% der Gesamt-summe

2007

 

2006

in

% der Gesamt-summe

2006

 

2005

in

% der Gesamt-summe

2005

 

2004

in

% der Gesamt-summe

2004

Geldbetrag

22.361

43,06%

23.150

44,69%

26.183

47,33%

27.847

47,82%

Gemeinnützige Leistungen

3.187

6,14%

2.508

4,84%

2.568

4,64%

2.167

3,72%

Probezeit ohne Zusatz „dpv“

14.907

28,71%

14.748

28,47%

14.350

25,94%

16.317

28,02%

Probezeit mit Bewährungshilfe oder Übernahme von Pflichten

2.097

4,04%

2.035

3,93%

2.201

3,99%

2.054

3,53%

Außergerichtlicher Tatausgleich

9.379

18,06%

9.360

18,07%

10.016

18,11%

9.854

16,92%

Summe

51.931

 

51.801

 

55.318

 

58.239

 

 

Tabelle 2: Änderungen der Diversionsanbote der Jahre 2004 bis 2007

 

Änderung

2007 gegenüber 2006

Änderung

2006 gegenüber 2005

Änderung

2005 gegenüber 2004

Geldbetrag

-789/-1,63%

-3.033/-2,64%

-1.664/-0,49%

Gemeinnützige Leistungen

+679/+1,3%

-60/-0,2%

+401/+0,92%

Probezeit ohne Zusatz „dpv“

+159/+0,24%

+398/+2,53%

-1.967/-2,08%

Probezeit mit Bewährungshilfe oder Übernahme von Pflichten

+62/+0,11%

-166/-0,06%

+147/+0,46%

Außergerichtlicher Tatausgleich

+19/+0,01%

-656/-0,04%

+162/+1,19%

Summe

+130

-3.517

-2.921

 

Zu 3:

Sprengelbezogene Daten liegen mir nicht vor. Deren Erhebung und Auswertung bedürfte einer – den Rahmen dieser Anfragebeantwortung sprengenden – wissenschaftlichen Untersuchung. Ich ersuche daher um Verständnis, wenn ich von der Beantwortung dieser Frage Abstand nehmen muss. 

Zu 4:

Dem Rückgang der Diversionen in den Jahren 2004 bis 2006 steht der neuerliche Anstieg der Diversionsanbote im Jahr 2007 gegenüber. Nach der Gerichtlichen Kriminalstatistik war für das Jahr 2006 auch bei den Verurteilungen ein Rückgang von 5% gegenüber dem Vergleichszeitraum 2005 zu verzeichnen (Sicherheitsbericht 2006, S. 403). Solche Schwankungen liegen im statistischen Normbereich. Die Zahlen deuten insgesamt auf eine kontinuierliche und gleichförmige Rechtsanwendung durch Staatsanwaltschaften und Gerichte hin.

Zu 5:

Auffällige Schwankungen in der Anwendung der einzelnen Diversionsarten sind nicht ersichtlich, allerdings ist aufgrund der vorliegenden Zahlen erkennbar, dass ein Rückgang der Anbote an Geldbußen nach § 200 StPO nF von 47,82% im Jahr 2004 auf 43,06% der Gesamtsumme im Jahr 2007 und ein wesentlicher Anstieg der Diversionsanbote an sozialkonstruktiven Maßnahmen der Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201 StPO nF) von 3,72% der Gesamtsumme im Jahr 2004 auf 6,14% im Jahr 2007 zu verzeichnen ist. Die Anwendung des § 200 StPO nF (§ 90c StPO aF) ist vor allem bei Massendelikten (wie beispielsweise Ladendiebstahl, Einbruchsdiebstähle mit geringen Tatauswirkungen, fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr,…) sowie bei Personen, die im Erwerbsleben stehen, und in jenen Fällen indiziert, in denen keine Auseinandersetzung mit dem Opfer oder keine sonstige Intervention durch SozialarbeiterInnen angezeigt ist.

Zu 6:

Rückfallstatistiken zu diversionellen Erledigungen stehen dem Bundesministerium für Justiz mangels Erfassung in den automationsunterstützten Registern derzeit nicht zur Verfügung.

 

 

 

Zu 7:

Der ausführliche Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz (zweiter Teil) zur Strafprozessnovelle 1999 („Diversion“), JMZ 578.015/35-II.3/1999, JABl. Nr. 1/2000 enthält Ausführungen zu den Grundvoraussetzungen und dem Anwendungsbereich der einzelnen Diversionsmaßnahmen. Allen Diversionsmaßnahmen ist gemeinsam, dass sie einen hinreichend geklärten Sachverhalt voraussetzen, somit einen Grad des Tatverdachts, der an und für sich zur Erhebung der Anklage ausreichen würde. Ihr Anwendungsbereich ist auf Bezirks- und Einzelrichterzuständigkeit beschränkt. Eine diversionelle Erledigung ist ferner in jenen Fällen ausgeschlossen, in denen die Schuld des Verdächtigen als schwer anzusehen wäre oder die Tat den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat. Diese Bestimmungen gelten auch nach der Strafprozessreform 2008 und sind nunmehr im 11. Hauptstück verankert. Im Einzelfall ist jene Maßnahme zu wählen, die die Erreichung des gebotenen general- und spezialpräventiven Zwecks und gegebenenfalls die Schadensgutmachung mit dem verhältnismäßig geringsten Eingriff in die Lebensführung des Verdächtigen erwarten lässt. Zudem wird auf die Indikationen der einzelnen Diversionsmaßnahmen und die Möglichkeit der Einbeziehung der Clearingstellen hingewiesen. Das wesentliche Ziel der Einführung der Diversionsmaßnahmen war, unterschiedliche Reaktionsformen anzubieten, um auf strafrechtliche Handlungen einzelfallbezogen reagieren zu können. Eine schematische Zuordnung zu bestimmten Diversionsmaßnahmen im Rahmen von Weisungen würde der Intention des Gesetzes widersprechen.

Zu 8:

Diversion ist verpflichtender Teil der Ausbildung. RichteramtsanwärterInnen werden in mehrtägigen Seminaren geschult.


Die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen ist freiwillig. Es gibt regelmäßig Veranstaltungen, die sich mit Diversion beschäftigen. So veranstaltet etwa die Oberstaatsanwaltschaft Wien mit dem Verein Neustart alle zwei Jahre eine zweitägige Tagung zum Thema Diversion, die großen Anklang findet. Der Oberste Gerichtshof hat ein Seminar über Rechtsmittel im Strafrecht veranstaltet, das sich auch diversionellen Maßnahmen widmete. Das Seminar wurde wegen der großen Nachfrage im März 2008 wiederholt. Im Februar 2007 wurde Univ. Prof. Dr. Dr. hc Manfred Burgstaller eingeladen, im Rahmen des 35. Strafrechtsseminars in Ottenstein zur „Diversion in Österreich – eine Zwischenbilanz“ vorzutragen. An Vortrag und Diskussion beteiligten sich insgesamt 56 RichterInnen, StaatsanwältInnen und Richteramts-anwärterInnen.

. Mai 2008

 

(Dr. Maria Berger)