3961/AB XXIII. GP

Eingelangt am 29.05.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

 

BM für europäische und internationale Angelegenheiten

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Dr. Manfred Haimbuchner, Kolleginnen und
Kollegen haben am 1. April 2008 unter der Zl. 3983/J-NR/2008 an mich eine schriftliche
parlamentarische Anfrage betreffend „Tätigkeiten in Bezug auf Benes-Dekrete" gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Zu den Fragen 1,2,7,9,16 und 18:

Die Benes-Dekrete, auf deren Grundlage unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg die
deutschsprachige Bevölkerung der damaligen Tschechoslowakei enteignet und vertrieben
wurde, müssen aus heutiger Sicht als Völkerrechts- und menschenrechtswidrig bewertet
werden. Mein Ressort arbeitet im Sinne der Entschließungen des Nationalrats vom 9. Juli
2003 und 3. Dezember 2003 weiter darauf hin, dass in weiteren Gesprächen mit der
Tschechischen Republik über die Frage jener Gesetze und Dekrete aus den Jahren 1945 und
1946, die sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen in der ehemaligen
Tschechoslowakei beziehen, unter Einbindung der betroffenen Interessenvertretungen eine
menschenrechtskonforme Lösung erzielt wird.

Dabei konzentrieren sich unsere Bemühungen insbesondere auf die Aufhebung des sog.
„Amnestiegesetzes" (Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946, auch „Straffreistellungsgesetz"), mit
dem gewisse nach dem 2. Weltkrieg begangene Straftaten pauschal legitimiert wurden. Ferner
wurde gegenüber Prag wiederholt der Vorschlag einer "symbolischen materiellen Geste" der
Versöhnung vorgebracht.

Am 24. August 2005 gab die tschechische Regierung eine Erklärung „gegenüber aktiven
Gegnern des Nazismus, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Zusammenhang mit
den gegenüber der sog. feindlichen Bevölkerung in der Tschechoslowakei ergriffenen
Maßnahmen gelitten hatten", ab.

Diese Erklärung wurde sowohl von den österreichischen Regierungs- als auch von den
Oppositionsparteien als wichtige Geste und als ermutigender Schritt in der Auseinander-
setzung mit der Vergangenheit begrüßt, zumal darin das Bedauern bzw. die Entschuldigung
der tschechischen Regierung ausgesprochen wurde, dass einigen dieser Personen keine
angemessene Würdigung zuteil wurde und sie im Widerspruch zu der damals gültigen
Gesetzeslage behandelt wurden.

Zu den Fragen 3,4,10,12,19 und 21:

Mein Ressort arbeitet auch gegenüber der Slowakei im Sinne der bereits genannten
Entschließung des Nationalrates in weiteren Gesprächen darauf hin eine menschenrechts-
konforme Lösung zu erzielen.

Der slowakische Nationalrat hat am 20. September 2007 eine Erklärung über die Unantast-
barkeit der Nachkriegsdokumente zur Regelung der Verhältnisse nach dem 2. Weltkrieg in
der Slowakei angenommen. Diese Erklärung zeigt, dass die Aufarbeitung der Benes-Dekrete
auf slowakischer Seite noch eines Prozesses der Selbstreflexion bedarf, der auf der Ebene der
slowakischen Zivilgesellschaft unter Einbeziehung der in der Slowakei lebenden Minder-
heiten stattfinden sollte. In der expliziten Ablehnung der Kollektivschuld in der slowakischen
Parlamentserklärung kann ein diesbezüglicher Ansatz erkannt werden.

Zu den Fragen 5,6,13 und 15:

Auch die Beschlüsse des AVNOJ müssen aus heutiger Sicht als Völkerrechts- und
menschenrechtswidrig bewertet werden.
Das 1991 erlassene Denationalisierungsgesetz zeigt den Willen Sloweniens, sich mit seiner
Vergangenheit auseinanderzusetzen und die dadurch geschaffene Möglichkeit der Restitution
bzw. Entschädigung derogiert den AVNOJ-Enteignungsbestimmungen. Somit bedarf es
keiner formellen Aufhebung dieser Bestimmungen.

Zu den Fragen 8,11,14,17,20 und 23:

Die bereits dargestellten österreichischen Anliegen werden von mir und VertreterInnen
meines Ressorts bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegenüber der tschechischen,
slowakischen und slowenischen Seite vorgebracht. So habe ich etwa das Thema
Benes-Dekrete zuletzt anlässlich meines Treffens mit dem tschechischen Außenminister Karl
Schwarzenberg am 25. April 2008 angesprochen.

Zu den Fragen 22 und 24:

Im Gegensatz zur Tschechischen sowie zur Slowakischen Republik besteht in Slowenien mit
dem 1991 erlassenen Denationalisierungsgesetz eine rechtliche Grundlage für Restitutionen
bzw. Entschädigungen.

Im gesamten Denationalisierungsprozess waren bis zur Fallfrist des 7. Dezember 1993
insgesamt fast 40.000 Denationalisierungsanträge gestellt worden. Davon entfielen lt.
aktuellen Angaben von slowenischer Seite auf österreichische Staatsbürger 1.671 Anträge.
Hievon sind bisher 1.408 Anträge rechtskräftig entschieden worden. Der Wert des
österreichischen AntragstellerInnen bisher rückerstatteten oder entschädigten Vermögens
beträgt mehr als 109 Millionen €.

 

Mein Ressort begleitet seit Jahren österreichische AntragstellerInnen. Komplexe und
besonders lang dauernde Verfahren wurden im Einverständnis mit den Betroffenen in einer
sog. „Problemfall-Liste" erfasst. Die Liste wurde im Jahr 2007 unter Beteiligung der
Restitutionswerberlnnen einer generellen Überprüfung unterzogen und in ihrer Neufassung
Ende Februar 2008 finalisiert. Die bisher 91 Fälle umfassende Liste konnte dabei auf 55 Fälle
reduziert werden. Dies entspricht der generellen Entwicklung des allmählich zu Ende
gehenden Denationalisierungsprozesses in Slowenien.