4024/AB XXIII. GP
Eingelangt am 05.06.2008
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0081-Pr 1/2008
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 4193/J-NR/2008
Der Abgeordnete zum Nationalrat Heinz-Christian Strache und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Korrekturbedarf der neuen Strafprozessordnung“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Wurde eine Aussage eines Beschuldigten oder eines Zeugen durch Folter herbeigeführt, so darf eine solche nach internationalem Recht selbstverständlich nicht verwertet werden. Bisher als Erhebungsverbot behandelt, konnte der Verlesung einer solchen Aussage widersprochen und damit eine unzulässige Beweisaufnahme iSd § 281 Abs. 1 Z 4 StPO (§ 345 Abs. 1 Z 5) bewirkt werden.
§ 166 Abs. 2 StPO stellt nunmehr klar, dass Aussagen, die unter Folter oder sonst durch unerlaubte Einwirkung auf die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung oder durch unzulässige Vernehmungsmethoden, soweit sie fundamentale Verfahrensgrundsätze verletzen, nichtig sind, wodurch ihre Geltendmachung dem (rügepflichtigen) Nichtigkeitsgrund der Z 2 des § 281 Abs. 1 StPO (§§ 345 Abs. 1 Z 3, 468 Abs. 1 Z 2a StPO) unterliegt.
§§ 164 Abs. 4 und 166 StPO gelten grundsätzlich auch für die Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (§ 245 Abs. 2). Sollten in diesem Verfahrensstadium derart schwere Vernehmungsverstöße vorkommen, so bleibt deren Geltendmachung im Sinn der bisherigen Rechtsprechung (vgl. 14 Os 30/00, SSt 63/96 = RZ 2001/4, 50; RIS-Justiz RS0113618) der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO (§§ 345 Abs. 1 Z 5, 468 Abs. 1 Z 3) vorbehalten, um Vorwürfe im Sinn des § 166 StPO bereits in der Hauptverhandlung aufklären zu können.
Dem Angeklagten steht es weiterhin frei, Anträge zur Aufklärung des Sachverhalts zu stellen, gegen deren Abweisung die Rüge aus dem Grund der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO (§§ 345 Abs. 1 Z 5, 468 Abs. 1 Z 3) offen steht. So kann der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Geltung verschafft werden, dem es um die Möglichkeit des Beschwerdeführers geht, die Authentizität des Beweises zu bestreiten, seiner Verwendung zu widersprechen sowie die Gelegenheit, alle relevanten Zeugen dazu zu befragen und damit die Zuverlässigkeit des Beweises in Frage zu stellen.
Vor diesem Hintergrund scheint eine ausdrückliche Nichtigkeitssanktion im § 166 StPO entbehrlich. Sie wäre in der Hauptverhandlung geradezu kontraproduktiv gewesen, weil sie es dem Beschwerdeführer ermöglicht hätte, einen aufklärungsbedürftigen Vorwurf, eine in der Hauptverhandlung gewonnene Aussage sei durch Folter oder sonst durch unerlaubte Einwirkung auf die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung oder durch unzulässige Vernehmungsmethoden zustande gekommen, für den Fall eines ungünstigen Verfahrensausgangs gleichsam in der Hinterhand zu halten und so einen weiteren Rechtsgang zu erzwingen.
Am Rechtsschutz für den Angeklagten ändert sich mit der Maßgabe nichts, dass ihn unter dem Aspekt der Nichtigkeitssanktion der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO (§§ 345 Abs. 1 Z 5, 468 Abs. 1 Z 3) die Obliegenheit trifft, sich rechtzeitig bereits in der Hauptverhandlung durch entsprechende Antragstellung gegen die Vorführung der angeblich rechtswidrig zustande gekommenen Aussage zur Wehr zu setzen.
Für eine eigene Nennung des § 164 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO besteht aus den genannten Gründen und im Hinblick auf § 166 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 2 StPO kein Bedarf.
Zu 2 bis 6:
Die erwähnten Redaktionsversehen sollen bei nächster Gelegenheit, etwa im Rahmen der einzubringenden Regierungsvorlage zum 2. Gewaltschutzgesetz, 193/ME (XXIII. GP), berichtigt werden.
Zu 7 und 8:
Das Bundesministerium für Justiz führt derzeit eine umfangreiche Evaluierung der durch das In-Kraft-Treten der Strafprozessreform verursachten Auswirkungen in der Rechtsanwendung, den organisatorischen Abläufen und der täglichen Arbeit bei Gerichten, Staatsanwaltschaften, Kriminalpolizei und den weiteren Verfahrensbeteiligten durch, die federführend von der für das Strafverfahrensrecht zuständigen Abteilung betreut wird. Rückmeldungen, Fragen und Anregungen aus der Praxis werden einer Prüfung und – falls möglich und erforderlich – auch einer Lösung zugeführt.
Zu 9 und 10:
An meine MitarbeiterInnen wurden trotz insgesamt breiter Akzeptanz für die Reform und die damit einher getretenen rechtlichen Änderungen bereits wiederholt Auslegungsfragen, Probleme und legistische Anregungen herangetragen. Dies ist jedoch bei einer Reform dieser Größenordnung, bei deren In-Kraft-Treten naturgemäß auch keine richtungsweisende Judikatur vorliegen kann, nicht ungewöhnlich. Schon jetzt wurden einige Auslegungsfragen durch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte gelöst (etwa im Zusammenhang mit den Fortführungsanträgen gemäß § 195 StPO). Darüber hinaus werden sämtliche Rückmeldungen aus Wissenschaft und Praxis einer inhaltlichen Prüfung unterzogenen. Die daraus gewonnenen Schlussfolgerungen können schließlich auch in legislative Anpassungsvorschläge münden.
. Juni 2008
(Dr. Maria Berger)